18

WILL UND ROB galoppierten in den Garten, um nachzusehen, was da los war. Nachdem sie mich in Augenschein genommen hatten, beschlossen sie, ich sei deshalb so aufgelöst, weil mein neues Kleid schmutzig geworden war. Sie rieten ihrem Vater, es mir auszuziehen und so schnell wie möglich in die Waschmaschine zu stecken.

Bill meinte, ein heißes Bad wäre ebenfalls hilfreich, und nachdem er den Rat der Jungen befolgt hatte, ließ er Wasser in die Wanne laufen und mich eine Weile in dem heißen Nass in Ruhe, während die Zwillinge den Tisch deckten und er einen Braten ins Rohr schob. Ihre Besorgtheit und Umsicht ließen mich umso schlechter fühlen. Als Bill wieder ins Bad kam, um nach mir zu sehen, hatte ich meinem Badewasser noch reichlich Salzwasser beigemischt.

Mein armer Mann musste eine geschlagene halbe Stunde auf dem Badewannenrand sitzen und mir versichern, dass ich keine Rabenmutter und keine schreckliche Ehefrau war und auch nicht der größte Trottel mit dem kleinsten Spatzenhirn der Welt, bis ich endlich zu weinen aufhörte, um mich abzutrocknen und anzuziehen. Ehe wir das Schlafzimmer verließen, lehnte ich mich erneut in seine Arme.

»Tut mir leid, dass ich den Schwertkampf verpasst habe«, sagte ich kleinlaut.

»Ich weiß.« Er streichelte meinen Rücken.

»Tut mir leid, dass ich auf der Kirmes keine Zeit mit dir und den Jungen verbracht habe«, sagte ich.

»Ich weiß.«

»Ich muss dir jede Menge erzählen.«

»Irgendwie dachte ich mir das schon«, sagte er trocken. »Wir reden später. Wenn die Jungen schlafen.«

Ich schnupperte an seinem Hals, wischte mir die letzten Tränen aus den Augenwinkeln und ging mit ihm nach unten in die Küche. Unkontrolliertes Schluchzen war ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich mir zu viel zugemutet hatte. Wenn Will und Rob im Bett waren, würde ich auch noch die bittere Pille schlucken und Bill alles über meine Nachforschungen erzählen müssen. Vielleicht würde er mir sogar anbieten zu helfen, falls er je aufhörte, mich auszulachen.

 

Einen Moment lang fürchtete ich, abermals einen Rückschlag zu erleiden, als sich Will und Rob an den Esszimmertisch setzten und zwei neue Stofftiere neben ihre Teller platzierten. An sich hatte ich wirklich kein Problem mit Stofftieren, aber der Anblick der beiden schwarzen Drachen, die mich über die Folienkartoffeln der Jungen hinweg anstarrten, dämpfte doch meinen Appetit. Hätten die Zwillinge einen davon obendrein Jacques getauft, hätte ich womöglich den Tisch verlassen müssen. Glücklicherweise hießen die zwei neuen Mitglieder ihrer Stofftierfamilie Flame und Fireball, und sie sahen so herrlich trottelig aus, dass ich mich bereits in sie verliebt hatte, ehe ich mir eine zweite Portion auf den Teller lud.

Die Zwillinge hatten es nicht erwarten können, mir von ihren Erlebnissen auf der Kirmes zu berichten, sodass ich nicht allzu viel zu unserer Unterhaltung beisteuern musste. Ab und zu warf ich »Fantastisch!« oder »Wow!« ein, um ihnen zu zeigen, dass ich zuhörte, und sie plapperten auch ohne die Unterstützung ihrer Eltern glücklich drauflos.

Sie hatten viel zu erzählen. Abgesehen von ihrem Ritt während der Prozession und auf dem Turnierplatz hatten sie in der Hüpfburg gespielt, Seilflechten geübt, Wildschweinwurst am Spieß gegessen, beim Kasperltheater zugeschaut, gelernt, mit zwei Bällen zu jonglieren, ein Märchen über zwei verirrte Drachen gehört, eine Frau getroffen, die eine Einhorn-Tätowierung auf ihrer Schulter hatte, erfahren, wie man Butter macht, geröstete Mandeln, Fondant auf Holzstäbchen und Zuckerwatte gegessen und den Streichelzoo besucht, wo sie, wie ich es vorausgeahnt hatte, überglücklich die Bekanntschaft mit Ajeeta gemacht hatten, dem zwei Meter langen Python, den Lilian Bunting und ich vor der Eröffnungszeremonie am Samstag gesehen hatten.

Hocherfreut erfuhr ich, dass sie Flame und Fireball nicht deshalb adoptiert hatten, weil sie einen gewissen unwürdigen Ritter anhimmelten, sondern weil sie Mitleid mit den verirrten Drachen im Märchen hatten. Mir brach es schier das Herz, als sie mir erzählten, dass sie das Angebot König Wilfreds abgelehnt hatten, sie zu Rittern zu schlagen, weil ich nicht bei der Zeremonie dabei war. Und als sie mich fragten, warum ich nicht zum Turnierplatz gekommen sei, um sie anzufeuern, drohte ich an meinem Schuldgefühl zu ersticken.

»Ich habe mit Jinks dem Hofnarren zu Mittag gegessen«, erklärte ich. »Jinks hat leider nur während des Ritterturniers Zeit für eine Mittagspause.«

Sobald sie den Namen des Hofnarren hörten, erhellten sich die Mienen der Jungen wieder.

»Wir mögen Jinks«, sagte Rob und nickte bestimmt.

»Er hat uns gezeigt, wie man ein Rad schlägt«, sagte Will. »Willst du mal sehen?«

»Lasst uns das Radschlagen für morgen aufheben, ja?«, sagte ich. »Dann habe ich etwas, worauf ich mich freuen kann.«

»Okay«, sagten sie im Chor.

Ich blickte meine Jungen liebevoll an. Obwohl sie mir nicht ausdrücklich verziehen hatten – sie sahen nichts Schlimmes darin, dass ich das Turnier verpasst hatte, um mit einem Mann Mittag zu essen, der ihnen etwas so Cooles beigebracht hatte –, war es genau das, was ich empfand: mir war vergeben worden.

Ich räumte gerade den Tisch ab und wollte das Dessert auftragen – frische Erdbeeren ohne Zucker –, als die Jungen verkündeten, sie hätten etwas für mich. Sie tauschten bedeutungsvolle Blicke mit Bill, der ihnen versprach, kein Wort zu verraten, und verließen das Esszimmer. Kurz darauf kamen sie zurück, eine winzige Goldkrone, ein kleines rotes Cape und ein Miniaturzepter aus Silber in den Händen.

»Die sind für Reginald«, sagte Will und legte das Zepter und das Cape neben meinen Teller.

»König Reginald«, korrigierte Rob ihn und reichte mir die Krone.

»Wir haben einen Stand gefunden, der Kostüme für Stofftiere verkauft«, erklärte mir Bill. »Ich war versucht, ein Cape für Stanley zu erwerben. Du glaubst nicht, was für Sachen es dort gibt.«

Doch, ich glaubte es, da ich am Tag zuvor den Stand ja ebenfalls entdeckt hatte. Aber ich behielt es für mich, wollte ich ihnen doch die Freude über ihre Entdeckung nicht verderben. Ich umarmte die Jungen und überhäufte sie mit Küssen und sah Bill strahlend an. Die Krone, die sie mir für meinen Hasen geschenkt hatten, war für mich viel wertvoller, als König Wilfreds Krone je sein könnte.

Gemeinsam strömten wir ins Arbeitszimmer, um die Krönung abzuhalten. Anschließend aßen wir im Wohnzimmer, in Gesellschaft von König Reginald und seinen Leibwächtern Flame und Fireball, unsere Erdbeeren. Die pudrigrosa Präsenz Seiner Majestät inspirierte uns zu Kings and Queens, einem Kartenspiel ähnlich Quartett. Und dann war es für die Kleinen Zeit, schlafen zu gehen.

Um neun Uhr lagen mein müder Gatte und ich einander gegenüber auf dem Sofa, die Köpfe auf einem Kissen, die Beine ineinander verwoben. Stanley lag zu einem schläfrigen Ball zusammengerollt auf Bills Lieblingssessel. Die Karten waren wieder in der Schublade, mein Bauernmädchenkleid hing zum Trocknen an der Wäscheleine, die Spülmaschine lief, Flame und Fireball wachten über die Zwillinge, und König Reginald war in sein Reich im Arbeitszimmer zurückgekehrt. Im Wohnzimmer herrschte eine wohlige Stille, die nur durch Stanleys beständiges Schnurren unterbrochen wurde. Unsere Welt war wieder in Ordnung.

»Also«, sagte Bill, »wie war dein Tag?«

Ich musste unwillkürlich lächeln. Es gab nur wenige Männer, die so nachsichtig waren wie Bill. Statt augenblicklich eine Erklärung von seiner hysterischen Frau zu verlangen, hatte er gewartet, bis sich der Sturm gelegt hatte, um dann einen behutsamen Vorstoß zu machen. Es tat gut, just in dem Moment an seine feinfühlige Ader erinnert zu werden, da ich dabei war, mich seinem sarkastischen Geist zu stellen, der anderen Seite seines Charakters. Um mich für die knallharte Verhandlung zu wappnen, nahm ich einen tiefen Atemzug, ehe ich mich daranmachte, seine täuschend einfache Frage zu beantworten.

»Das Ganze fing gestern Morgen an. Nachdem du mit den Jungs nach Anscombe Manor gefahren warst. Ich stand hinten im Garten, als ich eine Handsäge …«

Ich gestand alles ein, vom Geräusch der Säge bis zu meinem Versäumnis, Edmonds Schuppen zu durchsuchen. Ich erzählte ihm von der Brüstung und der Quintana, der Krone und der Kanone, von Edmond und Mirabel und meiner fruchtlosen Suchaktion. Als ich meine unglückselige Begegnung mit dem Lüsternen Jack beschrieb, spannten sich Bills Kiefermuskeln alarmierend an, er unterbrach mich jedoch nicht. Er sagte kein Wort, bis ich geendet hatte.

»Geht es dir gut?«, fragte er.

Ich wusste, was er meinte, und nickte.

»Ja, mir geht es gut. Erledigt, aber unversehrt.«

»Willst du, dass ich ein Wörtchen mit ihm rede?«

»Am liebsten wäre es mir, wenn du ihn auf eine Insel voller starker, äußerst wählerischer Frauen verfrachtest«, sagte ich. »Dann käme er als ein anderer zurück.«

»Ich meine es ernst.«

»Das weiß ich, und ich liebe dich deswegen«, sagte ich. »Aber Worte würden gegen sein gusseisernes Ego nichts ausrichten. Wenn er noch mal näher als dreißig Meter an mich heran kommt, hast du von mir die Erlaubnis, ihn bewusstlos zu schlagen, okay?«

»Okay«, sagte Bill, doch seine Kiefernmuskeln sahen noch immer angespannt aus.

»Was sagst du zum Rest meiner Geschichte?« Ich hoffte, mit dieser Frage seine Stimmung etwas heben zu können. »Nun mach schon. Lach mich aus. Necke mich wegen meiner überbordenden Fantasie. Sag mir, dass ich wieder mal auf Vampirjagd bin. Ich werd’s schon verwinden.«

»Ich lache dich nicht aus. Und du bist nicht auf der Jagd nach einem Vampir.«

»Sicher.« Ich rollte die Augen. »Ich bin auf der Jagd nach einem Drachen, richtig? Gute Pointe, Bill.«

»Es gibt keine Pointe, Lori.« Bill blickte mich ruhig an. »Du liegst vollkommen richtig. Jemand will Calvin Malvern etwas antun.«

Das war das Letzte, was ich aus dem Mund meines Mannes erwartet hätte. Ich sah ihn ungläubig an und sagte zögernd: »Das Mordkomplott ist … wahr?«

»Es ist wahr. Horace Malvern hat mir heute, kurz bevor die Kirmes schloss, davon erzählt. Du hast dir nichts eingebildet, Liebes. Jemand hat absichtlich die Streben an der Brüstung gelockert. Jemand hat am frühen Morgen an der Kanone herummanipuliert, lange ehe die halbwüchsigen Jungen dort erwischt wurden, die sich das Ding nur ansehen wollten. Horace wusste nichts von dem Seil an der Quintana, aber es wird ihn nicht überraschen, wenn ich ihm von deiner Entdeckung berichte. Und die Krone wurde aus Calvins Wohnmobil gestohlen.«

Ich runzelte die Stirn. »Jinks hat mir erzählt …«

»Jinks hat den ausdrücklichen Befehl, Gerüchte zu verbreiten«, unterbrach mich Bill. »Der ganze Königshof hat Anweisung, Stillschweigen über die Geschehnisse zu wahren. Calvin weigert sich, auf seinen Onkel zu hören. Er will weder die Polizei um Hilfe rufen noch Leibwächter anstellen noch ins Farmhaus ziehen, wo er weniger angreifbar wäre. Ich glaube, er hat Angst, die Kirmes müsste zumachen, wenn publik wird, dass ihm jemand nach dem Leben trachtet.«

»Die Kirmes sollte zugemacht werden«, sagte ich ernst. »Was ist, wenn ein Kirmesbesucher verletzt wird? Was, wenn du und die Zwillinge in die Schusslinie geratet?«

»Die Kirmes kann nur mit Calvins Einwilligung geschlossen werden. Doch er weigert sich. Er schreibt sämtliche Vorfälle einer Verkettung unglücklicher Umstände oder Dummejungenstreichen zu. Wie schade, dass dir das Quintana-Seil durch die Lappen gegangen ist.«

»Ja, ich weiß.« Ich sah an ihm vorbei zu dem Erkerfenster hinaus, das auf unseren rückwärtigen Garten blickte, und dachte an den Verkehrsstrom, der unsere kleine Straße verstopft hatte. Der Andrang auf der Kirmes brachte es mit sich, dass Calvins Leben nicht das einzige war, das bedroht wurde. »Ich sage es nicht gern, Bill, aber ich glaube, wir haben die Pflicht, uns mit unserer Geschichte an die Presse zu wenden. Es geht um die öffentliche Sicherheit.«

»Ich stimme dir zu, aber ich würde gern noch ein paar Tage abwarten. Horace hat einen Privatdetektiv engagiert. Wenn der den Übeltäter vor dem nächsten Wochenende am Wickel packen kann, gibt es keinen Grund mehr, die Kirmes zu schließen.«

»Ich sollte dem Detektiv erzählen, was ich über Edmond Deland herausgefunden habe.«

»Ich werde mit ihm reden«, sagte Bill. »Horace will den Kreis derer, die über die Nachforschungen Bescheid wissen, möglichst klein halten. Also behalte es für dich, ja? Es würde die Arbeit des Detektivs erheblich erschweren, wenn seine Anwesenheit bekannt würde.«

»Von mir kein Wort.« Ich legte den Kopf auf das Kissen zurück und starrte an die Decke. »Ich hoffe, dass Mr Privatdetektiv seinen Job gut macht. Will und Rob wären am Boden zerstört, wenn die Kirmes schon nach dem ersten Wochenende ihre Pforten schließen müsste.«

Bill setzte sich auf, schwang die Beine auf den Boden und sah mich eindringlich an. »Nun, da Horace einen professionellen Detektiv angeheuert hat, musst du mir versprechen, dass du deine privaten Nachforschungen einstellst, Lori. Kein Herumschnüffeln mehr. Du wirst Edmond nicht länger nachspionieren oder in sein Zelt schlüpfen oder seine Gespräche belauschen. Ich will mir nicht ausmalen, was der Täter mit dir anstellen könnte, sollte er sich von dir bedroht fühlen. Er …« Bill atmetet bebend die Luft ein, ehe er in festem Ton fortfuhr: »Die Jungen brauchen ihre Mutter. Und ich brauche meine Frau.«

»Hör auf, sonst heule ich wieder los«, sagte ich und nahm seine Hände in meine. »Ich verspreche dir, nicht mehr herumzuschleichen, aber ich kann nicht versprechen, meine Ohren zu verschließen. Ich bin eine unverbesserliche Lauscherin. Es ist zu spät, diese lebenslange Gewohnheit abzulegen.«

»Na gut. Ich erwarte keine Wunder.« Bill brachte ein Lächeln zustande, drückte aber meine Hände, um mir zu zeigen, wie ernst er es meinte. »Dann hör eben zu, was die Leute sagen, wenn du nicht anders kannst, aber reagiere nicht auf das, was du hörst. Abgemacht?«

»Abgemacht.«

»Morgen ist ein neuer Arbeitstag.« Bill stand stöhnend auf, gähnte ausgiebig und streckte seine Glieder. »Ich geh ins Bett. Die Jungen haben mich müde gemacht. Ich könnte im Stehen einschlafen.«

»Nächste Woche irgendwelche Geschäftsreisen geplant?«, fragte ich.

Als international tätiger Anwalt, der sich auf Vermögens- und Nachlassmanagement der oberen Zehntausend spezialisiert hatte, verbrachte Bill viel Zeit mit Reisen in ganz Europa, um sich mit seinen anspruchsvollen Mandanten zu treffen. Ihn für mehr als zwei Wochen am Stück zu Hause zu haben war etwas ganz Besonderes.

»Nein«, sagte er, »aber du weißt, wie es ist. Wenn einer unserer Mandanten unverhofft den Löffel abgibt, werde ich herbeizitiert, um die Formalitäten zu regeln.«

»Dann hoffen wir, dass alle gesund bleiben.« Ich stand ebenfalls von der Couch auf und schlang die Arme um seinen Hals. »Ich mag es, wenn du hier bist.«

»Das trifft sich gut, denn ich bin gern hier.« Er küsste mich lange und murmelte dann: »Kommst du mit ins Bett?«

»Bald, ich will nur noch …«

»… Dimity berichten«, beendete er meinen Satz. »Aber bleib nicht zu lange auf.« Er küsste meine Nasenspitze. »Du hattest einen langen Tag.«