21

DIE NÄCHSTEN ZWEI Tage widmete ich mich verbissen meiner Alltagsroutine. Ich kochte, putzte, kümmerte mich um die Wäsche, machte Besorgungen, besuchte Freunde, tratschte mit den Nachbarn, arbeitete ein paar Stunden ehrenamtlich in Oxford und sperrte beide Ohren auf, um auch nicht den kleinsten Informationsschnipsel in Bezug auf Calvin Malvern zu verpassen.

Nach allem, was man so hörte, erholte er sich rasch von der sogenannten Lebensmittelvergiftung, und seither war ihm nichts Unerwartetes mehr zugestoßen. Ich war froh zu erfahren, dass Calvin zwei volle Tage überstanden hatte, ohne schwer zu erkranken oder einen beinahe tödlichen Unfall zu erleiden, wäre jedoch noch froher gewesen, wenn jemand festgenommen worden wäre.

Am Mittwochabend, nachdem Will und Rob im Bett waren, verkündete Bill, dass wir beide zu einer privaten Vorführung auf dem Turnierplatz eingeladen seien. Die Ritter und Fußsoldaten, informierte er mich weiter, hätten eine neue Nummer einstudiert. Als eine Art Generalprobe wollten sie diese vor kleinem Publikum zum Besten geben, ehe sie ins Kirmesrepertoire aufgenommen wurde. Die Probe sollte um zwei Uhr am nächsten Nachmittag stattfinden, und man erwartete von uns nicht, dass wir kostümiert erschienen.

Da die Zwillinge nicht eingeladen worden waren, beschlossen wir, ihnen nichts davon zu erzählen. Wir hätten sie ohnehin nicht mitgenommen. Mit einem frei herumlaufenden Mörder war das Kirmesgelände kein sicherer Ort für unsere Söhne. Bill wollte bei der Probe zuschauen, weil es bestimmt unterhaltsam sein würde, wie er behauptete. Ich wollte dabei sein, weil ich glaubte, dass er nach Strich und Faden log.

Ich war ziemlich sicher, dass tatsächlich eine Probe stattfinden würde und wir dazu eingeladen worden waren, nahm meinem Mann aber nicht einen Augenblick lang die harmlose Erklärung ab, weshalb er angeblich dabei sein wollte. Bill war ein erklärter Workaholic. Er ging früh ins Büro und kam spät nach Hause; gut die Hälfte des Jahres verbrachte er damit, um die Welt zu fliegen und die vielfältigen Wünsche seiner Mandanten zu befriedigen. Ich musste meine ganze Überredungskunst aufbieten, um ihn an einem normalen Werktag dazu zu bewegen, früher als gewohnt das Büro zu verlassen, außerdem verbrachte er nicht selten sogar an den Wochenenden einige Stunden dort. Es war einfach nicht seine Art, blauzumachen. Als er mir daher erzählte, er wolle an einem Donnerstagnachmittag an einer Veranstaltung teilnehmen, weil sie »Spaß« versprach, wusste ich, dass etwas im Busch war.

Ich war sicher, dass Bill die Generalprobe als eine Gelegenheit sah, sich vor meinen Augen zu bewähren. Ich war überzeugt, dass mein heroischer Dummkopf von einem Gatten sich am Donnerstagnachmittag auf den Turnierplatz stürzen wollte, um Sir Jacques niederzustrecken. Ich war mir so sicher, dass ich eine zusätzliche Eiswürfelpackung in das Kühlfach legte und Mirandas Telefonnummer in meinem Handy speicherte. Feierlich versprach ich mir, ihn nicht davon abzuhalten. Doch ich wollte an Ort und Stelle sein, um ihn aufzufangen, wenn er fiel.

 

An einem Eingang des Torhauses stand eine Kartenabreißerin, um Bill und mich einzulassen. Auf dem Torhausplatz und in der Broad Street war keine Menschenseele zu sehen, doch als wir das Ende der Pudding Lane erreichten, schlug uns ein gewaltiger Lärmpegel entgegen – Gesang, Rufe, Lachen und lautstarkes Stimmengewirr.

Auf dem Turnierplatz hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, und alle schienen waschechte Rennies zu sein. Ein kurzer Blick genügte, um mich davon zu überzeugen, dass Bill und ich die Einzigen waren, die zeitgenössische Kleidung trugen. Die anderen hingegen hatten ihre historischen Gewänder an. Ich fühlte mich in meinem sommerlichen Aufzug des 21. Jahrhunderts seltsam befangen, aber die Rennies schienen keinen Anstoß daran zu nehmen. Sie waren zu sehr mit ihresgleichen beschäftigt, um die weltlichen Besucher in ihrer Mitte zu bemerken.

Fußsoldaten flirteten über den Holzzaun des Turnierplatzes mit hübsch herausgeputzten Mädchen, Standverkäufer hatten sich im Picknickbereich niedergelassen, Darsteller gaben Lieder zum Besten, tanzten und spielten Gitarre, schlugen Trommeln oder Tamburine, und oben auf dem Hügel, auf dem Lilian Bunting und ich am Samstag unsere Honigkuchen gegessen hatten, fiedelten Stehgeiger um die Wette.

Weder die Ritter noch ihre Knappen waren auf dem Turnierplatz zu sehen, doch der Hofstaat des Königs hatte bereits seine Plätze auf dem Podium eingenommen. Höflinge und in Seide gewandete Hofdamen saßen bequem unter dem gestreiften Baldachin. König Wilfred stand neben seinem hochlehnigen Thron und unterhielt sich angeregt mit dem rundlichen, kahlköpfigen Sir James dem Siegreichen, dem galanten Feldmarschall, der seine Truppen in die Schlacht gegen den Unrat geführt hatte, der über Finch gekommen war.

»Wo ist Lord Belvedere?«, fragte ich stirnrunzelnd. »Hat Sir James seinen Platz eingenommen?«

»Möglich«, sagte Bill. »Vielleicht hat das gemeinsame Schicksal, Opfer einer Lebensmittelvergiftung geworden zu sein, Calvin und Sir James enger zusammengeschmiedet. Komm, lass uns einen Platz mit guter Sicht suchen.«

Am liebsten hätte ich so weit weg vom Turnierplatz wie möglich gesessen – in unserem Garten zum Beispiel oder, noch besser, im Wohnzimmer meines Schwiegervaters in Boston –, doch Bill bestand darauf, dass wir uns an den Zaun zwischen der königlichen Galerie und dem Zelt stellten. Es war genau die Stelle, die auch ich ausgewählt hätte, um rasch über den Zaun zu springen und den Drachenritter zum Duell zu fordern.

Während König Wilfred die Stufen von der königlichen Galerie herabschritt, den Turnierplatz betrat und Sir Peregrine und Sir Jacques zu sich rief, verstärkte sich meine Vorahnung, dass etwas Verhängnisvolles geschehen würde. Als die Ritter aus dem Zelt auftauchten, umkrampfte ich die obere Holzstange des Zauns und machte mich auf ein Blutbad gefasst, doch Bill verzog keine Miene. Er schien sich mehr für König Wilfred als für den Lüsternen Jack zu interessieren, aber er konnte mich nicht täuschen. Ich wusste, dass er nur den richtigen Augenblick abwartete.

»Das muss die neue Szene der Vorführung sein«, sagte Bill. »König Wilfred und die Ritter am Fuß der Galerie.«

König Wilfred hielt einen Lorbeerkranz in der Hand, den er offensichtlich dem siegreichen Ritter am Ende der umgearbeiteten Show überreichen wollte. Er probierte verschiedene Posen aus und bezog die Ritter in die Choreografie mit ein. Während Sir Peregrine offen seine Meinung kundtat, wurde Sir Jacques’ Aufmerksamkeit von etwas anderem in Anspruch genommen. Er wirkte wie ein Junge in einem Süßigkeitenladen, der etwas im Schilde führte, während sein Blick begierig die Reihen der Frauen musterte, kein Bauernmädchen und keine Hofdame blieben von ihm verschont.

Als er sich mir näherte, senkte ich rasch den Kopf, doch als ich ihn wieder hob, starrte er mich mit leicht verwirrtem Ausdruck an. Ich musste ihm vage bekannt vorkommen, doch da er mich noch nie in weltlicher Aufmachung gesehen hatte, konnte er sich offenbar nicht genau erinnern, bei welcher Gelegenheit er mir begegnet war. Schließlich siegte seine Neugierde, und er kam auf mich zu. Bill versteifte sich, seine Nasenflügel weiteten sich, und seine Kiefermuskeln spannten sich unheilvoll an. Doch noch bevor Sir Jacques mehr als fünf Schritte weit gekommen war, drangen wütende Stimmen aus dem Zelt.

Sir Jacques drehte auf dem Absatz um und starrte zu der Zeltöffnung. Der König und Sir Peregrine verstummten. Das königliche Gefolge richtete sich auf seinen Stühlen auf, die Soldaten und Mädchen hörten auf zu flirten, und oben auf der Anhöhe kamen Musik und Tanz zu einem abrupten Ende. Jedes Augenpaar auf dem Turnierplatz und darum herum war auf den Vordereingang des Zeltes gerichtet.

»Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln!«, schrie Mirabel.

»Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen!«, schrie Edmond zurück. Die Madrigalsängerin und der junge Handwerker kamen, sich lauthals streitend, aus dem Zelt gestürmt. Sie liefen mitten auf den Turnierplatz, wo sie fortfuhren, sich anzuschreien. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nichts um sich herum mitzubekommen schienen.

»Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe«, schrie Mirabel.

»Jemand muss das tun«, brüllte Edmond.

Die Fußsoldaten und Mädchen zogen sich diskret zu dem Picknickbereich oberhalb des Platzes zurück, und Sir Peregrine und König Wilfred folgten ihnen. Als professionelle Darsteller wussten sie, wann sie die Bühne verlassen mussten.

»Wir waren ein Jahr lang verlobt«, rief Edmond, »und nun hast du in weniger als einer Woche deine Meinung geändert. Wir hatten vor, einen romantischen Sommer zu verbringen, während wir auf der Kirmes arbeiteten, aber dieser Typ musste dich nur anschauen, und schon hast du alles hingeschmissen. Verstehst du nicht? Du bist nicht mehr du selbst. Du hast es zugelassen, dass er dir den Kopf verdreht!«

»Mein Kopf ist vollkommen in Ordnung«, sagte Mirabel stolz.

»Wenn du glaubst, dass er’s ernst mit dir meint, hast du den Verstand verloren. Hast du nicht gehört, was man von ihm sagt? Weißt du nicht, wie die Leute ihn hinter seinem Rücken nennen? Den Lüsternen Jack! So nennen sie ihn!«

Ich traute meinen Ohren nicht. Der Lüsterne Jack? Ich verstand gar nichts mehr. Was war mit König Wilfred?

»Du musst gerade reden!«, schleuderte Mirabel ihm entgegen. »Du tust so, als wärst du Sir Edmond der Reine, aber glaub ja nicht, ich hätte nicht von deinem Flittchen gehört.«

»Meinem … meinem was?« Edmond stockte und sah sie verständnislos an.

»Deinem Flittchen«, sagte Mirabel wütend. »Alex und Leslie und Jim und Diane haben gesehen, wie sie aus deinem Zelt geschlichen ist! Glaubst du, du könntest deine Affäre geheim halten, indem sie hinten aus dem Zelt kriecht?«

Ich blinzelte, keuchte und schlug mir die Hand vor den Mund, während ich Mirabel entgeistert anstarrte.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte Edmond unerschütterlich.

Sir Jacques näherte sich lässig dem Paar. »Es hat keinen Sinn, es zu leugnen, Eddie. Ich habe deine Schlampe getroffen, als sie gerade unterwegs zu einem Schäferstündchen mit dir war. Einen knackigen Hasen hast du dir da gefangen. Und ich weiß, wovon ich rede.« Er leckte sich über die Lippen. »Ich habe ein wenig von ihr gekostet.«

Mirabel sah ihn scharf an, sagte aber nichts.

»Du lügst«, knurrte Edmond. »Ich habe noch nicht einmal eine andere Frau angeschaut.«

»Halte deine Augen ruhig geschlossen, ich ziehe es vor, meine offenzuhalten.« Sir Jacques warf Mirabel einen schleimigen, anzüglichen Blick zu. »Ich möchte sehen, was ich bekomme.«

Edmond stieß ein unartikuliertes Brüllen aus und warf sich auf Sir Jacques. Das war ein Fehler. Edmond war ein kräftiger junger Mann, aber ein geübter Kämpfer war er nicht. Sir Jacques parierte seine Hiebe mit Leichtigkeit, ehe er ihn mit einem einzigen, gewaltigen Faustschlag niederstreckte und ihm brutal in die Rippen trat. Mirabel stand, die Augen aufgerissen und mit starrem Blick, wie angewurzelt daneben.

König Wilfred trat nach vorn. »Aufhören«, schrie er. »Das ist genug. Lass ihn in Ruhe, Jack.«

»Halt du dich da raus, Calvin«, schnauzte dieser. »Wird Zeit, dass Eddie sein Fett wegkriegt.«

»Sie haben gehört, was der König sagte.« Mit einem Satz war Bill über den Zaun und schritt auf den Drachenritter zu. »Zurück!«

Sir Jacques bedachte ihn mit einem musternden Blick, ehe er abfällig schnaubte: »Bleiben Sie auf der anderen Seite des Zauns, alter Mann, dann passiert Ihnen nichts.«

Er wollte zu einem weiteren Tritt ausholen, doch Bill hatte sich auf ihn gestürzt, ehe er ihn ausführen konnte. Ich bin mir nicht sicher, was als Nächstes passierte, denn ich machte die Augen zu und zog den Kopf ein, doch als ich sie wieder aufschlug, lag der Lüsterne Jack der Länge nach am Boden. Blut rann ihm aus der Nase, seine Lippe war aufgesprungen, sein rechtes Auge geschwollen, und er röchelte, als hätte seine letzte Stunde geschlagen. Mein Mann stand über ihm, mit leicht gerötetem Gesicht und zerzaust, aber ansonsten schien ihm nichts zu fehlen.

»Wie unsportlich, jemanden zu treten, der bereits am Boden liegt«, sagte Bill pikiert und strich sich das Poloshirt glatt.

Edmond hielt sich die Rippen und stöhnte, während er sich auf seinen Knien aufrichtete. Indessen hatte sich Mirabel, schockiert angesichts von so viel Blut, neben Sir Jacques auf den Boden gekniet und sich über ihn geworfen. König Wilfred trat neben Bill und besah sich traurig die Szene. Bill klatschte in die Hände, um sie vom Staub zu befreien, und wandte sich mir zu.

Dann brach die Hölle los.

Die Erde erbebte, ein Geräusch wie das eines herandonnernden Güterzugs erfüllte die Luft und eine Staubwolke erhob sich über der Weide neben dem Zelt, als sich eine stampfende Rinderherde geradewegs auf den Turnierplatz zuwälzte. Zauberer, Magier, Musiker und Mädchen stoben schreiend auseinander und liefen um ihr Leben. Bill packte König Wilfred am Kragen und schubste ihn zur königlichen Galerie. Sir Jacques stieß Mirabel weg, rappelte sich auf und stürzte davon. Bill drehte sich zu Mirabel um, doch als die panische Rinderherde den Zaun des Turnierplatzes durchbrach, packte Edmond das noch immer am Boden liegende Mädchen und rannte mit ihr zur Treppe des Podiums. Die Hofdamen brachten sich schreiend in Sicherheit, und Bill schob Edmond die Stufen hoch und erklomm sie dann selbst. Oben angekommen, sprang er zum Rand der Galerie, beugte sich über das Geländer und hob mich kraftvoll hinauf.

Fünf Soldaten hielten die Stellung und verteilten sich auf dem Platz, indem sie sich den Tieren Äxte schwingend entgegenstellten. Tatsächlich wurde der Vorwärtsdrang der Herde entschleunigt, bis sie, wie durch ein Wunder, heftig schnaufend und schnaubend auf dem Turnierplatz umherliefen und schließlich erschöpft und zitternd stehen blieben. Die armen Viecher sahen aus, als wären sie jetzt sehr viel lieber in der Melkscheune auf der Farm, um in aller Ruhe einen Ballen Heu zu mampfen.

Mirabel hingegen befand sich auf dem Kriegspfad. Kaum hatte sie Sir Jacques ausgemacht, der in der Nähe des Zeltes seine blutende Nase zu stillen versuchte, verließ sie die Galerie. Während der Rest von uns unter der Markise abwartete, ging sie zum Drachenritter hinüber, um ihm eine Kostprobe ihrer Willensstärke zu geben. Sie hielt die Stimme gesenkt, um die Rinder nicht wieder aufzuscheuchen, und doch konnte ich – wie auch Edmond, der seinen bewundernden Blick nicht von ihr abwenden konnte – jedes einzelne ihrer Worte verstehen.

»Du Feigling. Du Rüpel. Du wehleidige, feige Larve. Zuerst trittst du meinen armen Edmond, als er schon auf dem Boden liegt, dann denkst du nur daran, deine eigene Haut zu retten, und lässt mich auf dem Platz liegen, wo ich zu Tode getrampelt worden wäre. Du kannst Edmond nicht halbwegs das Wasser reichen. Er hat recht gehabt mit dem, was er über dich sagte. Ich war zu sehr … von all dem hier geblendet« – sie machte mit ihrem zarten Arm eine ausladende Geste, die die ganze Kirmes umfasste –, »um dich von Anfang an zu durchschauen, aber nun sind mir die Augen geöffnet worden, und du kannst dir sicher sein, dass ich alle Mädchen und Frauen der Kirmes vor dir warne. Du bist ein Lügner, ein Betrüger und ein feiger Schuft, und ich kann nur hoffen, dass Perry dich nächstes Mal niederstreckt, wenn du dich nach dem Schwertkampf wieder an ihn heranschleichst.« Sie schwenkte eine zarte Faust. »Geh mir aus den Augen, du Larve, sonst werde ich dir das andere Auge auch noch blau schlagen.«

Alle Hofdamen und Bauernmädchen stimmten ihr jubelnd zu. Sir Jacques betupfte sich mit einem blutgetränkten, mit dem schwarzen Drachen bedruckten Wimpel die Nase und war klug genug, sich in die Sicherheit des Zeltes zurückzuziehen. Mirabel machte auf dem Absatz kehrt und kam zur Empore zurück, wo Edmond auf sie wartete.

»Es tut mir so leid, Edmond«, sagte sie, und ihre haselnussbraunen Augen füllten sich mit Tränen. »Ich war ja so ein Dummkopf und habe dich so schäbig behandelt. Kannst du mir je verzeihen?«

Edmond, der sich noch immer die Rippen hielt, umfasste mit einer Hand ihr Kinn und sah lächelnd zu ihr hinab. »Weißt du, woher der Name Mirabel kommt? Von ›mirabilis‹ – ›wunderbar‹, ›herrlich‹. Und genau das bist du und warst es schon immer für mich.«

Mirabel schluchzte auf und legte den Kopf sanft an Edmonds Brust. Einige Sekunden ließ sie ihn dort, ehe sie ihre schmalen Schultern straffte, sich die Augen mit dem Schürzenzipfel trocknete und den Arm um Edmonds schlanke Taille legte.

»Lass uns ins Krankenhaus fahren«, sagte sie. »Deine Rippen müssen geröntgt werden.«

Ich denke, Edmond wäre auch mit ihr gegangen, hätte sie eine Fahrt zum Mond vorgeschlagen, und ich war froh, dass sie diesen vernünftigen Vorschlag gemacht hatte. Sobald Edmond von Wolke sieben herabstieg, würde er ein gutes Schmerzmittel benötigen.

»Meinst du, ich sollte ihr die Sache mit der Frau in seinem Zelt erklären?«, fragte ich Bill.

»Nein«, sagte er fest. »Es wird Mirabel guttun, wenn sie glaubt, er sei nicht das Unschuldslamm, für das sie ihn immer hielt. Für Edmond wird es, auf lange Sicht, auch gut sein.«

»Übrigens«, sagte ich und küsste seine geschwollenen Fingerknöchel, »ich bin wirklich äußerst und zutiefst stolz auf dich. Du hast dich selbst in Gefahr gebracht und mindestens drei Menschenleben gerettet, einschließlich meinem, und als wäre das noch nicht genug, hast du auch noch den Drachenritter bezwungen. Wo hast du gelernt, so zu kämpfen?«

»In der Highschool war ich Captain der Boxmannschaft«, erklärte er. »Und der Fecht- und der Bogenschießmannschaft. Außerdem war ich Vorsitzender des Schachclubs, also weiß ich, wie ich meine Königin verteidigen muss.«

»Mein Held«, murmelte ich und schmiegte mich an ihn.

»Ach«, sagte Bill und sah über den Turnierplatz hinweg. »Da kommt Horace Malvern, und er sieht nicht gerade glücklich aus.«

Ich hob den Blick und sah, wie Mr Malvern auf seinem Geländefahrzeug herangebraust kam. Den Anblick würde ich nie vergessen, denn er trug Wams, Surkot, Goldkette, Samthut und eine Männerstrumpfhose – offensichtlich die Bestandteile seines Patrizierkostüms. Als er Bill erblickte, steuerte er sein Quad neben die Empore und stieg ab. Die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, wirkte er äußerst wütend.

»Was ist passiert?«, fragte Bill.

»Jemand hat das Gatter der südlich gelegenen Weide aufgemacht und dann einen verdammt großen Schäferhund auf die Herde losgelassen«, erwiderte Mr Malvern grimmig. »Keine Ahnung, wo der Hund herkommt.«

»Aber ich«, sagte Bill. »Ich weiß, wo der Hund herkommt und wer das Gatter aufgemacht hat. Ich weiß auch, wer an der Brüstung und am Quintana-Seil herummanipuliert hat. Ich weiß, wer die Krone gestohlen und Ihren Neffen vergiftet hat. Ich weiß jetzt alles.«

»Bill?« Ich sah ihn verwirrt an. »Wovon um Himmels willen redest du?«

»Ich habe dir doch von Horace Malverns Privatdetektiv erzählt?« Er blickte mir ohne zu blinzeln in die Augen. »Er steht vor dir.«