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Puh! Das sind harte Worte. Willst du damit sagen, daß wir nie Versprechen abgeben, nie jemandem irgend etwas versprechen sollten?

SO WIE DIE meisten gegenwärtig ihr Leben leben, ist in jedes Versprechen eine Lüge eingebaut. Die Lüge ist, daß ihr nicht wissen könnt, wie ihr in Zukunft in bezug auf etwas fühlt und was ihr dann in dieser Sache unternehmen wollt. Das könnt ihr nicht wissen, wenn ihr euer Leben als das reaktive Wesen führt, das die meisten von euch sind. Nur wenn ihr ein Leben als schöpferisches Wesen führt, ist es möglich, daß euer Versprechen keine Lüge enthält.

Schöpferische Wesen können wissen, welche Gefühle sie künftig hegen werden, weil sie ihre Gefühle erschaffen, statt sie nur zu erfahren.

Solange ihr eure Zukunft nicht erschaffen könnt, könnt ihr eure Zukunft auch nicht vorhersagen. Solange ihr eure Zukunft nicht vorhersagen könnt, könnt ihr auch keine wahrhaftigen Versprechen für die Zukunft abgeben.

Doch auch eine Person, die ihre Zukunft sowohl zu erschaffen wie auch vorherzusagen vermag, hat die Macht und das Recht zur Veränderung. Veränderung ist ein Grundrecht aller Geschöpfe. Tatsächlich ist es mehr als ein »Recht«, denn ein »Recht« ist etwas, das einem gegeben wird. »Veränderung« ist das, was ist.

Veränderung ist.

Ihr seid das, was Veränderung ist.

Sie kann euch nicht gegeben werden. Ihr seid das.

Nun, da ihr »Veränderung« seid – und da Veränderung das einzig Konstante an euch ist –, könnt ihr nicht wahrhaftig versprechen, daß ihr immer der- oder dieselbe bleibt.

Willst du damit sagen, daß es keine Konstanten im Universum gibt? Daß es in all der Kreativität nichts gibt, was konstant bleibt?

DER VON EUCH Leben genannte Prozeß ist ein Prozeß der Wiedererschaffung. Alles Leben erschafft sich ständig in jedem Moment des Jetzt wieder aufs neue. In diesem Prozeß ist eine völlige Gleichheit unmöglich, denn wenn ein Ding vollkommen identisch ist, hat es sich in nichts verändert. Völlige Gleichheit ist also unmöglich, nicht aber Ähnlichkeit oder Gleichartigkeit. Ähnlichkeit ist das Ergebnis des Veränderungsprozesses, der eine bemerkenswert ähnliche Version des Vorangegangenen hervorbringt.

Wenn die Kreativität zu einem hohen Maß an Ähnlichkeit gelangt, nennt ihr das identisch. Und aus der groben Perspektive eurer beschränkten Sichtweise ist es auch so.

Von daher scheint, unter menschlichen Gesichtspunkten gesehen, im Universum eine große Beständigkeit zu herrschen.

Das heißt, die Dinge sehen gleich aus und agieren und reagieren augenscheinlich gleich. Ihr seht darin Konsistenz.

Das ist gut, denn das liefert euch einen Bezugsrahmen, innerhalb dessen ihr eure Existenz im Physischen betrachten und erfahren könnt.

Doch ich sage euch: Aus der Perspektive allen Lebens – dem, was physisch und was nichtphysisch ist – gesehen, verschwindet das Erscheinungsbild von Konsistenz. Die Dinge werden so erfahren, wie sie wirklich sind: sich ständig verändernd.

Du sagst also, daß diese Veränderungen zuweilen so fein, so subtil sind, daß die Dinge aus unserer weniger scharfen Sicht gesehen dasselbe zu sein scheinen – manchmal genau dasselbe –, es aber faktisch nicht sind.

GENAU.

So etwas wie »völlig identische Zwillinge« gibt es nicht.

RICHTIG. DU HAST es erfaßt.

Doch wir können uns in so ausreichend ähnlicher Form aufs neue wiedererschaffen, daß der Effekt von Beständigkeit erzeugt wird.

JA.

Und das können wir hinsichtlich dessen, Wer-wir-Sind und wie wir uns verhalten, auch in unseren menschlichen Beziehungen tun.

JA, OBWOHL DIE meisten von euch das sehr schwierig finden.

Weil echte Beständigkeit (im Gegensatz zur augenscheinlichen Beständigkeit) gegen das Naturgesetz verstößt, wie wir gerade gelernt haben, und es schon eines großen Meisters bedarf, um auch nur den Anschein von völliger Gleichheit zu erschaffen.

Meister und Meisterinnen überwinden jegliche naturgegebene Tendenz (die ja eine Tendenz zur Veränderung ist), um sich gleichbleibend zu zeigen. In Wahrheit können sie nicht von Augenblick zu Augenblick gleichbleibend auftreten, doch können sie sich so ausreichend gleichartig geben, daß sie den Anschein von völliger Gleichheit erzeugen.

Aber Menschen, die nicht »Meister« sind, zeigen sich ständig »in gleichbleibender Weise«. Ich kenne Leute, deren Verhalten und Auftreten so vorhersehbar sind, daß man sein Leben darauf verwetten könnte.

DOCH ES BEDARF großer Astrengung, das absichtlich zu tun.

Ein Meister stellt absichtlich ein hohes Maß an Gleichartigkeit her, was ihr »Konsistenz« nennen würdet. Ein Schüler erzeugt Konsistenz, ohne dies unbedingt zu beabsichtigen.

Ein Mensch, der auf bestimmte Umstände immer auf dieselbe Weise reagiert, sagt zum Beispiel oft: »Ich konnte nicht anders.«

Ein Meister würde das nie sagen.

Auch eine Person, die ein bewundernswertes Verhalten an den Tag legt – ein Verhalten, wofür sie gelobt wird –, wird oft darauf antworten: »Es war nichts. Das war ganz automatisch. Jeder würde das tun.«

Auch das würde ein Meister nie tun.

Meister und Meisterinnen sind Personen, die – ganz buchstäblich – wissen, was sie tun.

Und sie wissen auch, warum.

Menschen, die nicht auf der Meisterschaftsebene agieren, wissen oft beides nicht.

Und deshalb ist es auch so schwer, ein Versprechen zu halten?

DAS IST EINER der Gründe. Wie ich schon sagte, könnt ihr so lange nicht etwas wirklich versprechen, wie ihr nicht eure Zukunft vorhersagen könnt.

Ein weiterer Grund, warum Menschen das Einhalten von Versprechen so schwerfällt, ist der, daß sie mit der Authentizität in Konflikt geraten.

Was meinst du damit?

ICH MEINE DAMIT, daß sich ihre entfaltende oder weiterentwickelnde Wahrheit in bezug auf eine Sache von der Wahrheit unterscheidet, die, wie sie sagten, unveränderlich sein würde. Und damit geraten sie in einen tiefen Konflikt. Wem soll ich Folge leisten – meiner Wahrheit oder meinem Versprechen?

Was rätst du?

DAS, WAS ICH dir schon einmal geraten habe: Verrat an dir selbst, um nicht einen anderen zu verraten, bleibt dennoch Verrat. Es ist die höchste Form von Verrat.

Aber das würde dazu führen, daß überall Versprechen gebrochen werden! Kein gegebenes Wort würde mehr zählen. Man könnte sich auf niemanden mehr verlassen!

OH, DU HAST dich also darauf verlassen, daß andere Wort halten. Kein Wunder, daß du so elend dran warst.

Wer sagt, daß ich elend dran war?

DU MEINST, SO hast du ausgesehen und gehandelt, als du glücklich warst?

Na gut. Okay. Ich war elend dran. Manchmal.

OH, GANZ SCHÖN oft. Sogar, als du allen Grund hattest, glücklich zu sein, hast du dir erlaubt, dich elend zu fühlen – machtest du dir Sorgen, ob du imstande wärst, an deinem Glücklichsein festzuhalten!

Und der Grund, warum du dir darum Sorgen machen mußtest, ist der, daß dieses »Festhalten an deinem Glücklichsein« in hohem Maße davon abhing, daß andere Menschen ihr Wort hielten.

Du meinst, ich habe kein Recht zu erwarten – oder zumindest darauf zu hoffen –, daß andere ihr Wort halten?

WARUM WÜRDEST DU ein solches Recht haben wollen? Der einzige Grund, warum eine andere Person ihr dir gegebenes Wort nicht hält, ist der, daß sie es nicht will – oder das Gefühl hat, daß sie es nicht kann, was auf dasselbe hinausläuft.

Und warum solltest du, wenn eine andere Person ihr Wort nicht halten will oder aus irgendeinem Grund nicht halten zu können glaubt, es von ihr einfordern wollen?

Möchtest du wirklich, daß jemand eine Vereinbarung einhält, die er nicht einhalten will? Hast du wirklich das Gefühl, Menschen sollten zu Dingen gezwungen werden, die sie ihrem Empfinden nach nicht tun können?

Warum würdest du irgend jemanden dazu zwingen wollen, irgend etwas gegen seinen Willen zu tun?

Nun, versuchen wir es mit diesem Grund: Weil mir – oder meiner Familie – Schaden zugefügt würde, wenn dieser Jemand nicht zu tun braucht, was er versprochen hat.

DU BIST ALSO willens, einem anderen Schaden zuzufügen, damit dir kein Schaden zugefügt wird?

Ich kann nicht sehen, daß ich einem anderen Schaden zufüge, wenn ich ihn nur einfach bitte, sein Wort zu halten.

DOCH ER MUSS es so sehen, sonst würde er es bereitwillig halten.

Also soll ich Unrecht erleiden oder zusehen, wie meinen Kindern und meiner Familie Schaden zugefügt wird, statt den, der das Versprechen gegeben hat, einfach dadurch zu »verletzen«, daß ich ihn bitte, es einzuhalten?

GLAUBST DU WIRKLICH, daß dir kein Schaden zugefügt wird, wenn du einen anderen zwingst, sein Versprechen zu halten?

Ich sage dir: Es ist anderen mehr Schaden von Personen zugefügt worden, die ein Leben stiller Verzweiflung führen – das heißt, die das tun, was sie tun zu »müssen« meinen –, als von Personen, die ungehindert tun, was sie tun wollen.

Wenn du einem Menschen Freiheit gibst, verstärkst du nicht die Gefahr, du räumst sie aus.

Es mag zwar so aussehen, daß du, wenn du jemandem aus einem Versprechen oder einer Verpflichtung dir gegenüber entläßt, kurzfristig geschädigt wirst. Doch langfristig gesehen wirst du nie Schaden nehmen, denn indem du der anderen Person die Freiheit gibst, gibst du sie dir auch selber. Und damit bist du frei von den Qualen und Leiden, den Angriffen auf deine Würde und dein Selbstwertgefühl, die unweigerlich erfolgen, wenn du eine Person zur Einhaltung eines Versprechens zwingst, das sie nicht halten will.

Der langfristige überwiegt bei weitem den kurzfristigen Schaden – wie fast jeder erfahren mußte, der versucht hat, eine andere Person zum Worthalten zu zwingen.

Gilt dieser Gedanke auch für das Geschäftsleben? Wie kann man in dieser Weise Geschäfte betreiben?

TATSÄCHLICH IST ES der einzig vernünftige Weg, um Geschäfte zu betreiben.

Das gegenwärtige Problem in eurer ganzen Gesellschaft liegt darin, daß sie sich auf Gewalt gründet. Auf die gesetzliche Gewalt, die ihr »Rechtskräfte« nennt, und allzuoft auf die physische Gewalt, die ihr als »Streitkräfte« bezeichnet.

Ihr habt noch nicht gelernt, euch der Kunst der Überredung zu bedienen.

Wie sollen wir denn ohne Gesetze und Gerichte Wirtschaftsunternehmen dazu »überreden«, daß sie ihre Vertragsbedingungen und Vereinbarungen einhalten?

ANGESICHTS EURER GEGENWÄRTIGEN gesellschaftlichen Moral mag es keinen anderen Weg geben. Doch wenn sich diese gesellschaftliche Moral gewandelt hat, wird sich die Art und Weise, wie ihr Wirtschaftsunternehmen – und auch Einzelpersonen – dazu »zwingt«, Vereinbarungen einzuhalten, sehr primitiv ausnehmen.

Kannst du das erklären?

GEGENWÄRTIG SETZT IHR Gewalt ein, um sicherzustellen, daß Vereinbarungen eingehalten werden. Wenn sich eure gesellschaftlichen Moralvorstellungen dahingehend verändern, daß sie auch die Erkenntnis, daß ihr alle eins seid, mit einschließen, würdet ihr nie Gewalt anwenden, weil ihr damit nur euer Selbst schädigt. Ihr würdet nicht mit der rechten eure linke Hand schlagen.

Auch nicht, wenn die linke Hand dich würgt?

SO ETWAS WÜRDE nicht geschehen. Ihr würdet nicht mehr euer Selbst würgen. Ihr würdet aufhören, euch in die Nase zu beißen, um eurem Gesicht eins auszuwischen. Ihr würdet aufhören, eure Vereinbarungen zu brechen. Und natürlich würden auch eure Vereinbarungen ganz anders aussehen.

Ihr würdet euch nicht darauf einlassen, einem anderen nur dann etwas Wertvolles zu geben, wenn dieser euch im Austausch auch etwas Wertvolles gibt. Ihr würdet nicht nur dann etwas geben oder mit anderen teilen, solange ihr nicht dafür bekommt, was ihr eine angemessene Gegenleistung nennt.

Ihr würdet automatisch geben und miteinander teilen, und damit existierten weitaus weniger Verträge, die gebrochen werden können, denn bei einem Vertrag geht es um den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, wohingegen es in eurem Leben um das Geben von Gütern und Dienstleistungen geht, unabhängig von irgendeinem Austausch, der stattfinden mag oder nicht.

In diesem einseitigen Geben fändet ihr euer Heil, denn ihr würdet das entdecken, was Gott erfahren hat: Was ihr einem anderen gebt, das gebt ihr eurem Selbst. Was ihr gebt, wird euch gegeben werden.

Alle Dinge, die von dir ausgehen, kehren zu dir zurück.

SIEBENFACH. IHR BRAUCHT euch also nicht darum zu sorgen, was ihr »zurückbekommen« werdet. Ihr braucht euch nur darum zu kümmern, was ihr gebt. Im Leben geht es darum, die höchste Qualität des Gebens zu erreichen, nicht die höchste Qualität des Bekommens.

Das vergeßt ihr immer wieder. Aber das Leben ist nicht »zum Bekommen« da. Das Leben ist »zum Geben« da, und dazu müßt ihr anderen vergeben – vor allem jenen, die euch nicht das gegeben haben, was ihr glaubtet, bekommen zu müssen.

Ein solches Umdenken wird eure Kultur völlig verändern.

Heute wird das, was ihr in eurer Gesellschaft als »Erfolg« bezeichnet, weitgehend daran bemessen, wieviel ihr »bekommt«, wieviel Ehre und Geld, Macht und Besitztum ihr anhäuft. In der neuen Kultur wird »Erfolg« daran gemessen werden, wieviel andere durch euer Wirken ansammeln.

Und ironischerweise werdet ihr ganz mühelos um so mehr anhäufen, je mehr ihr dazu beitragt, daß andere anhäufen können. Und das ohne Verträge, ohne Vereinbarungen, ohne Feilschen, ohne Verhandlungen oder Gerichtsprozesse, die euch dazu zwingen, einander zu geben, was »versprochen« wurde.

Im künftigen Wirtschaftsleben werdet ihr die Dinge nicht um des persönlichen Profits, sondern um des persönlichen Wachstums willen tun. Das wird euer Profit sein. Doch euch wird auch »Profit« im materiellen Sinn zukommen, wenn ihr zur größeren und großartigeren Version dessen werdet, wer ihr wirklich seid.

Dann wird euch die Gewaltanwendung, um jemanden dazu zu zwingen, euch etwas zu geben, weil er das versprochen hat, sehr primitiv vorkommen. Wenn andere ihre Vereinbarungen nicht einhalten, werdet ihr sie ihrer Wege gehen, ihre Wahl treffen, sich ihre eigenen Erfahrungen mit sich selbst erschaffen lassen. Und was sie euch nicht geben wollen, werdet ihr auch nicht vermissen, denn ihr werdet wissen, daß es »noch mehr davon gibt« – und daß nicht sie die Quelle dieser Dinge sind, sondern ihr selbst es seid.

Ich habe begriffen. Aber ich habe das Gefühl, wir sind ziemlich weit vom Thema abgekommen. Diese ganze Diskussion begann mit meiner Frage nach der Liebe – und ob Menschen sich je gestatten werden, sie ohne Einschränkungen zum Ausdruck zu bringen. Und das führte zur Frage nach der offenen Ehe. Und plötzlich landeten wir ganz woanders.

NICHT WIRKLICH. ALLES, was wir hier besprochen haben, hat damit zu tun. Und dies liefert die perfekte Überleitung zu deinen Fragen in bezug auf die sogenannten erleuchteten oder höher entwickelten Gesellschaften. Denn in den höher entwickelten Gesellschaften gibt es weder die »Ehe« noch die »Geschäftemacherei« – und, was das angeht, auch keine dieser künstlichen gesellschaftlichen Konstruktionen, die ihr für den Zusammenhalt eurer Gesellschaft erschaffen habt.

Ja, ich denke, das kommt als nächstes. Doch im Moment möchte ich dieses Thema zum Abschluß bringen. Du hast da einige spannende Dinge gesagt. So wie ich es verstehe, läuft alles darauf hinaus, daß die meisten Menschen ihre Versprechen nicht halten können und sie deshalb auch gar nicht geben sollten. Das torpediert die Institution der Ehe ganz gewaltig.

MIR GEFÄLLT, DASS du hier von einer »Institution« sprichst.

Die meisten Menschen machen die Erfahrung, daß sie sich in ihrer Ehe tatsächlich in einer »Institution« befinden.

Ja, sie ist entweder eine Irrenanstalt oder ein Gefängnis – oder aber zumindest eine höhere Lehranstalt!

RICHTIG. GENAU. So erleben es die meisten Menschen.

Na ja, ich habe das eher als Witz gemeint, denn ich würde nicht von den »meisten Menschen« sprechen. Es gibt immer noch Millionen von Menschen, die die Institution der Ehe lieben und sie schützen wollen.

ICH BLEIBE DENNOCH bei meiner Aussage. Die meisten Menschen haben große Probleme mit ihrer Ehe, und es gefällt ihnen nicht, was sie ihnen antut. Die weltweiten Scheidungsraten beweisen das.

Du sagst also, daß die Ehe abgeschafft werden sollte?

ICH HABE IN dieser Sache keine Präferenzen, ich stelle nur …

… ich weiß, ich weiß. Du stellst nur Beobachtungen an.

BRAVO! DU WILLST mich immer noch zu einem Gott der Vorlieben machen, der ich nicht bin. Ich danke dir für deinen Versuch, damit aufzuhören.

Nun, damit haben wir gerade nicht nur die Ehe, sondern auch die Religion torpediert.

ES STIMMT, DASS Religionen nicht existieren könnten, wenn die ganze Menschheit verstünde, daß Gott keine Präferenzen hat. Denn eine Religion behauptet, eine Aussage über Gottes Vorlieben zu sein.

Und wenn du keine Vorlieben hast, dann muß die Religion eine Lüge sein.

NUN, DAS IST hart ausgedrückt. Ich würde es eine Fiktion nennen. Es ist nur etwas, das ihr erfunden habt.

So wie die von uns erdachte Fiktion, daß Gott uns lieber verheiratet sieht?

JA. ICH ZIEHE nichts dergleichen vor. Aber mir fällt auf, daß ihr es tut.

Warum? Warum ziehen wir die Ehe vor, wenn wir doch wissen, daß sie so schwierig ist?

WEIL DIE EHE für euch die einzige Möglichkeit war, die ihr euch ausdenken konntet, ein »Für-immer« oder Ewigkeit in eure Erfahrung von Liebe zu bringen.

Es war die einzige Möglichkeit, wie die Frau ihren Lebensunterhalt und ihr Überleben und wie der Mann die ständige Verfügbarkeit von Sex und Gesellschaft sicherstellen konnte.

Und so wurde eine gesellschaftliche Konvention erschaffen.

Ein Handel abgeschlossen. Du gibst mir dies, und ich gebe dir das. So gesehen ähnelte dies sehr einem Geschäft. Und da beide Parteien dem Vertrag Geltung verschaffen mußten, wurde gesagt, daß er ein mit Gott geschlossener »heiliger Pakt« sei – der die, die ihn brachen, bestrafen würde.

Als das später nicht mehr funktionierte, habt ihr Gesetze erschaffen, um die Einhaltung des Vertrages durchzusetzen.

Aber auch das hat nicht funktioniert.

Weder die sogenannten Gesetze Gottes noch die Gesetze des Menschen vermochten die Leute vom Brechen ihrer Ehegelübde abzuhalten.

Wie kommt das?

WEIL DIESE GELÜBDE, so wie ihr sie normalerweise konstruiert habt, dem einzigen Gesetz, das zählt, zuwiderlaufen.

Und das wäre?

DAS NATURGESETZ.

Aber es liegt in der Natur der Dinge, daß das Leben Einheit, Einssein zum Ausdruck bringt. Das habe ich doch richtig verstanden? Und die Ehe ist die schönste Ausdrucksform davon.

Du weißt schon: »Was Gott vereint hat, soll der Mensch nicht trennen« und all das.

DIE EHE, so wie die meisten sie praktiziert haben, ist nicht besonders schön. Denn sie verstößt gegen drei Aspekte der naturgegebenen Wahrheit über einen jeden Menschen.

Kannst du noch einmal darauf eingehen? Ich fange gerade an, das alles zusammenzubringen.

OKAY. NOCH EINMAL von oben angefangen.

Ihr seid Liebe.

Liebe ist grenzenlos, ewig und frei.

Von daher ist es das, was ihr seid. Das ist die Natur von Wer-ihr-Seid. Ihr seid von Natur aus grenzenlos, ewig und frei.

Jede, gegen eure Natur verstoßende oder sie unterdrückende, künstliche gesellschaftliche, moralische, philosophische, ökonomische oder politische Konstruktion bedeutet einen Eingriff in euer Selbst, gegen den ihr euch auflehnen werdet.

Was, glaubst du, stand Pate bei der Entstehung deines eigenen Landes? War es nicht: »Gib mir Freiheit oder gib mir den Tod?«

Nun, ihr habt diese Freiheit in deinem Land und auch in eurem Leben aufgegeben. Und alles um einer Sache willen. Sicherheit.

Ihr habt so große Angst davor, zu leben – ihr habt so große Angst vor dem Leben selbst –, daß ihr die Grundnatur eures Seinswesens im Austausch für Sicherheit aufgegeben habt.

Eure sogenannte Institution der Ehe ist euer Versuch, Sicherheit zu schaffen, nicht anders als die Instituion, die ihr Regierung nennt. Tatsächlich sind beide dasselbe – künstliche gesellschaftliche Konstruktionen, dazu da, euer Verhalten untereinander zu regeln und zu steuern.

Du meine Güte, so habe ich das nie gesehen! Ich dachte immer, die Ehe sei die höchste Verkündigung von Liebe.

SO WIE IHR sie euch in der Phantasie vorgestellt habt, ja, aber nicht so, wie ihr sie konstruiert habt. So wie ihr sie konstruiert habt, ist sie die höchste Verkündigung von Angst.

Wenn die Ehe euch gestatten würde, in eurer Liebe grenzenlos, ewig und frei zu sein, dann wäre sie die höchste Verkündigung von Liebe.

Aber ihr verheiratet euch im Bemühen, eure Liebe auf die Ebene eines Versprechens oder einer Garantie herabzumindern.

Die Ehe ist der Versuch, sicherzustellen, daß das, »was jetzt so ist«, immer so sein wird. Wenn ihr diese Garantie nicht brauchtet, brauchtet ihr auch keine Ehe. Und wie nutzt ihr diese Garantie? Erstens ist sie für euch ein Mittel, Sicherheit zu schaffen, statt Sicherheit aus dem zu schaffen, was in eurem Innern existiert. Und wenn diese Sicherheit nicht auf ewig geliefert wird, ist die Ehe ein Mittel, einander zu bestrafen, denn das gebrochene Ehegelöbnis kann nun als Grundlage für einen Prozeß vor Gericht herhalten.

Somit fandet ihr die Ehe sehr nützlich – wenn auch aus den falschen Gründen.

Die Ehe ist auch der Versuch einer Garantie, daß ihr die Gefühle, die ihr füreinander hegt, nie für einen anderen empfinden oder sie zumindest nicht auf dieselbe Weise zum Ausdruck bringen werdet.

Nämlich nicht sexuell.

NÄMLICH NICHT SEXUELL.

»Und schließlich besagt die Ehe, so wie ihr sie konstruiert habt: Dies ist eine besondere Beziehung. Diese Beziehung steht für mich über allen anderen.«

Was ist falsch daran?

NICHTS. DAS IST keine Frage von »richtig« oder »falsch«.

»Richtig« und »falsch« existieren nicht. Es ist eine Frage dessen, was euch dienlich ist, was euch innerhalb eurer nächsten großartigsten Vorstellung von Wer-ihr-wirklich-Seid wiedererschafft.

Wenn dieses Wer-du-wirklich-Bist ein Wesen ist, das sagt: »Diese eine Beziehung – diese einzige da – ist sehr viel spezieller als jede andere«, dann gestattet ihm die Ehe, dies auf perfekte Weise auszuagieren. Interessanterweise wirst du aber feststellen, daß fast keiner und keine der anerkannten spirituellen Meister und Meisterinnen verheiratet war oder ist.

Ja, weil sie zölibatär leben. Sie haben keinen Sex.

NEIN. DER GRUND dafür ist, daß sie nicht in aller Wahrhaftigkeit die Aussage machen können, die eure Ehekonstruktion zu machen bestrebt ist: Daß ihnen eine bestimmte Person mehr bedeutet als eine andere.

Meister und Meisterinnen machen keine solche Aussagen, und Gott tut das auch nicht.

Tatsache ist, daß ihr mit euren Ehegelübden, so wie sie gegenwärtig formuliert werden, eine sehr gottlose Erklärung abgebt. Es ist der Gipfel der Ironie, daß ihr das für das heiligste aller heiligen Versprechen haltet, denn ein solches Versprechen würde Gott nie machen.

Doch zur Rechtfertigung eurer menschlichen Ängste habt ihr euch einen Gott zurechtphantasiert, der genauso handelt wie ihr. Deshalb sprecht ihr von Gottes »Versprechen« gegenüber seinem »auserwählten Volk« und von einem Bund zwischen Gott und denen, die Gott in ganz besonderer Weise liebt.

Ihr könnt die Vorstellung von einem Gott, der keinen spezieller liebt als andere, nicht ertragen und erfindet deshalb Märchen über einen Gott, der nur bestimmte Leute aus bestimmten Gründen liebt. Und diese Märchen nennt ihr Religionen.

Ich nenne sie Gotteslästerungen. Denn jeder Gedanke, daß Gott den einen mehr liebt als den anderen, ist irrig – und jedes Ritual, das von euch verlangt, dieselbe Erklärung abzugeben, ist kein Sakrament, sondern ein Sakrileg, eine Entweihung.

O mein Gott, hör auf! Hör auf! Du tötest jeden guten Gedanken, den ich je über die Ehe hatte! Es kann nicht Gott sein, der das schreibt. Gott würde nie solche Dinge über die Religion und Ehe sagen!

WIR SPRECHEN HIER über die Religion und Ehe, so wie ihr sie konstruiert habt. Du denkst, das sind harte Worte? Ich sage dir: Ihr habt das Wort Gottes verfälscht, um eure Ängste zu rechtfertigen und eure geisteskranke Art und Weise, in der ihr einander behandelt, zu rationalisieren.

Ihr laßt Gott sagen, was immer Gott unbedingt sagen muß, damit ihr euch weiterhin in meinem Namen gegenseitig einschränken, schädigen und umbringen könnt.

Ja, ihr habt jahrhundertelang meinen Namen angerufen, meine Fahne geschwenkt und Kreuze auf euren Schlachtfeldern mitgetragen, alles als Beleg dafür, daß ich ein Volk mehr liebe als ein anderes und euch auffordere, zum Beweis dafür zu töten.

Doch ich sage euch: Meine Liebe ist grenzenlos und bedingungslos.

Das ist das, was ihr nicht hören, die Wahrheit, mit der ihr euch nicht abfinden, die Aussage, die ihr nicht akzeptieren könnt.

Denn sie umfaßt alles und zerstört damit nicht nur die Institution der Ehe (so wie ihr sie konstruiert habt), sondern auch jede einzelne eurer Religionen und Regierungen.

Denn ihr habt eine Kultur erschaffen, die sich auf Ausschluß gründet. Diese Kultur unterstützt ihr mit einem kulturellen Mythos von einem Gott, der ausschließt.

Doch Gott bedeutet Gemeinsamkeit. In Gottes Liebe ist jedermann einbezogen. In Gottes Reich ist jedermann eingeladen.

Und diese Wahrheit nennt ihr eine Gotteslästerung.

Aber das müßt ihr auch. Denn wenn das wahr ist, ist alles, was ihr in eurem Leben erschaffen habt, falsch. Alle menschlichen Konventionen und Konstruktionen sind fehlerhaft in dem Maße, wie sie nicht grenzenlos, ewig und frei zu nennen sind.

Wie kann irgend etwas »fehlerhaft« sein, wenn es kein »Richtig« und »Falsch« gibt?

EIN DING IST nur in dem Maße fehlerhaft, wie es nicht funktioniert, um seinem Zweck zu dienen. Wenn sich eine Tür nicht öffnen und schließen läßt, würdet ihr das nicht als einen »Fehler« der Tür bezeichnen. Ihr würdet nur sagen, daß ihre Installation oder ihr Funktionieren »fehlerhaft« ist – weil sie nicht ihren Zweck erfüllt.

Alles, was ihr in eurem Leben, in eurer menschlichen Gesellschaft, aufbaut und was eurem Zweck und Ziel der Menschwerdung nicht dienlich ist, ist fehlerhaft. Es ist eine fehlerhafte Konstruktion.

Und nur, um es noch einmal zu wiederholen: Der Zweck und das Ziel meiner Menschwerdung ist?

ZU ENTSCHEIDEN UND zu erklären, zu erschaffen und auszudrücken, zu erfahren und zu erfüllen, wer du wirklich bist.

Dich in jedem Moment aufs neue wiederzuerschaffen in der großartigsten Version deiner größten Vision, die du je von Wer-du-wirklich-Bist hattest.

Das ist der Sinn und Zweck deiner Menschwerdung, und das ist der Sinn und Zweck allen Lebens.

So – und wo stehen wir jetzt? Wir haben die Religion zerstört, die Ehe abgeschafft, die Regierungen aufgekündigt. Wo befinden wir uns nun?

ZUNÄCHST EINMAL HABEN wir nichts zerstört, abgeschafft und aufgekündigt. Wenn eine von euch erschaffene Konstruktion nicht funktioniert, wenn sie nicht bewirkt, was sie bewirken soll, dann bedeutet eine Beschreibung dieses Zustands noch nicht ihre Zerstörung, Abschaffung oder Aufkündigung.

Versuche dich an den Unterschied zwischen Verurteilung und Beobachtung zu erinnern.

Nun, ich werde mich hier nicht mit dir streiten, aber eine ganze Menge des eben Gesagten hörte sich für mich doch sehr nach Verurteilung an.

WIR WERDEN HIER durch die Begrenztheit der Worte eingeengt. Es gibt im Grunde so wenige Worte, und wir müssen deshalb immer wieder die gleichen verwenden, auch wenn sie nicht immer dieselbe Bedeutung oder dieselben gedanklichen Inhalte übermitteln.

Ihr sagt, daß ihr Schokoladeneis »liebt«, meint damit aber gewiß nicht dasselbe, wie wenn ihr sagt, daß ihr einander liebt.

Du siehst also, ihr verfügt wirklich über sehr wenige Worte zur Beschreibung eurer Gefühle.

Bei dieser Art von Verständigung mit dir – über Worte – habe ich mich auf diese Beschränkungen eingelassen. Wenn ich nun ein Vokabular verwende, das ihr zum Verurteilen benutzt, dann könnte man wahrscheinlich leicht daraus schließen, daß auch ich, wenn ich mich dieser Worte bediene, etwas verurteile.

Laß mich dir versichern, daß es nicht so ist. Im Verlauf dieses ganzen Dialogs habe ich einfach nur versucht, euch zu sagen, wie ihr dahin gelangt, wo ihr eurer Aussage nach hinkommen wollt, und was euch daran hindert, dorthin zu gelangen.

Nun, was die Religion angeht, so sagst du, daß ihr an einen Ort gelangen wollt, wo ihr Gott wahrhaft erkennen und lieben könnt. Ich beobachte nur ganz einfach, daß eure Religionen euch nicht dahin bringen.

Eure Religionen haben aus Gott das große Mysterium gemacht und euch dazu gebracht, Gott nicht zu lieben, sondern ihn zu fürchten.

Sie haben auch wenig getan, um euch zu einer Veränderung eures Verhaltens zu veranlassen. Noch immer tötet und verdammt ihr einander, setzt ihr euch gegenseitig ins »Unrecht«.

Und Tatsache ist, daß euch eure Religionen auch noch dazu ermuntert haben.

Was also die Religion angeht, so beobachte ich nur, daß sie euch eurer Aussage nach zu dem einen Ort bringen soll, euch aber zu einem ganz anderen führt.

Nun sagst du, ihr wollt, daß euch die Ehe ins Land der ewigen Seligkeit oder zumindest zu einer vernünftigen Ebene von Friede, Sicherheit und Glück bringt. Wie bei der Religion funktioniert eure Erfindung namens Ehe hier anfänglich ganz gut.

Und wie bei der Religion führt sie euch, je länger ihr in dieser Erfahrung verweilt, in eine Richtung, in die ihr gar nicht wollt, wie du sagst.

Fast die Hälfte aller Menschen, die eine Ehe eingegangen sind, lassen sich wieder scheiden, und viele von denen, die verheiratet bleiben, sind verzweifelt unglücklich.

Eure »Vereinigungen der Seligkeit« führen zu Bitterkeit, Wut und Bedauern. Manche – und nicht wenige – bringen euch zum Ort einer totalen Tragödie.

Du sagst, ihr wollt, daß eure Regierungen Friede, Freiheit und Ruhe im eigenen Land sicherstellen, und ich beobachte, daß so, wie ihr sie eingerichtet habt, sie nichts dergleichen tun.

Statt dessen führen sie euch zum Krieg, zu Mangel an Freiheit und zu Gewalt und Aufruhr im eigenen Land.

Ihr wart nicht imstande, die grundlegenden Probleme zu lösen und die Menschen einfach zu ernähren und gesund und am Leben zu erhalten – von so etwas wie Chancengleichheit ganz zu schweigen.

Jeden Tag verhungern Hunderte von euch auf einem Planeten, auf dem Tausende täglich genug Essen wegwerfen, um ganze Nationen zu ernähren.

Ihr könnt noch nicht einmal die so einfache Aufgabe in den Griff kriegen, die Reste vom Tisch der Reichen zu den Armen zu befördern – und euch noch weniger zu einer Entscheidung durchringen, ob ihr eure Ressourcen überhaupt gerechter verteilen wollt.

Nun, das ist keine Verurteilung. Das sind Dinge, die sich an eurer Gesellschaft als Realität beobachten lassen.

Warum! Warum ist das so? Warum haben wir in den vielen vergangenen Jahren so wenige Fortschritte bei der Bewältigung unserer eigenen Angelegenheiten erzielt?

JAHRE? VERSUCH'S MIT Jahrhunderten.

Okay, Jahrhunderten.

DAS HAT MIT dem ersten aller menschlichen kulturellen Mythen zu tun und mit all den notwendigerweise daraus folgenden Mythen. Solange sich diese nicht ändern, wird sich auch nichts anderes verändern. Denn eure kulturellen Mythen speisen eure ethischen Prinzipien, und eure ethischen Prinzipien begründen euer Verhalten. Doch das Problem ist, daß euer kultureller Mythos im Widerstreit mit eurem Urinstinkt liegt.

Was meinst du?

EUER ALLERERSTER KULTURELLER Mythos besagt, daß die Menschen von Natur aus schlecht sind. Das ist der Mythos von der Erbsünde. Er besagt, daß nicht nur eure Grundnatur schlecht oder böse ist, sondern daß ihr so geboren werdet.

Der zweite, sich notwendig aus dem ersten ergebende kulturelle Mythos besagt, daß nur die Stärksten überleben.

Er beinhaltet die Anschauung, daß manche von euch stark und manche von euch schwach sind und daß ihr zu den Starken gehören müßt, um überleben zu können. Ihr werdet alles euch mögliche tun, um euren Mitmenschen zu helfen, aber wenn es ums Überleben geht, werdet ihr euch zuerst um euch selbst kümmern. In diesem Fall werdet ihr andere sogar sterben lassen. Ja, ihr geht sogar noch weiter. Wenn ihr glaubt, daß ihr für euer eigenes und das Überleben der Eurigen töten müßt, dann werdet ihr das tun – womit ihr euch als die Stärksten beweist.

Manche von euch sagen, daß das euer Urinstinkt ist. Man nennt ihn »Überlebenstrieb«, und dieser kulturelle Mythos hat eure Gesellschaftsethik stark geprägt und viel von eurem kollektiven Verhalten begründet.

Doch euer wirklicher »Urinstinkt« richtet sich nicht auf das Überleben, sondern auf Fairneß, Einssein und Liebe. Das ist der Urinstinkt aller fühlenden Wesen überall. Das ist euer zellulares Gedächtnis. Das ist eure Natur. Und damit platzt euer erster kultureller Mythos. Ihr seid nicht von Grund auf böse, ihr seid nicht mit der »Erbsünde« geboren.

Wenn euer Urinstinkt das Überleben wäre und ihr in eurer Grundnatur böse wärt, würdet ihr euch nie instinktiv in Bewegung setzen, um ein Kind vor dem Fallen, einen Menschen vor dem Ertrinken oder irgend jemanden vor irgend etwas zu bewahren. Und doch verhaltet ihr euch, sogar unter Einsatz eures eigenen Lebens, genauso, wenn ihr, ohne darüber nachzudenken, auf der Grundlage eurer Urinstinkte handelt und eure Grundnatur zum Vorschein bringt.

Von daher kann euer Urinstinkt nicht das Überleben sein, und eure Grundnatur ist eindeutig nicht böse. Euer Instinkt und eure Wesensnatur sind auf die Widerspiegelung der Essenz dessen, wer ihr seid, ausgerichtet, und diese ist Fairneß, Einssein und Liebe.

Wenn wir uns anschauen, was sich daraus für die Gesellschaft ergibt, dann ist es wichtig, daß ihr den Unterschied zwischen »Fairneß« und »Gleichheit« versteht. Der Urinstinkt aller fühlenden Wesen ist nicht das Streben nach Gleichheit oder danach, gleich zu sein. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall.

Der Urinstinkt aller lebendigen Dinge ist auf Einzigartigkeit gerichtet, nicht auf einförmige Gleichheit. Das Schaffen einer Gesellschaft, in der zwei Wesen wirklich gleich sind, ist nicht nur unmöglich, sondern auch nicht wünschenswert. Gesellschaftliche Mechanismen, die zu einer reinen Gleichheit führen sollen – mit anderen Worten, zu ökonomischer, politischer und sozialer »Einförmigkeit« –, arbeiten nicht für, sondern der großartigsten Vorstellung und höchsten Absicht entgegen, die darin besteht, daß jedes Wesen die Gelegenheit hat, sein größtes Verlangen zu verwirklichen und sich somit wahrhaft aufs neue wiederzuerschaffen.

Chancengleichheit ist es, was hier erforderlich ist, nicht faktische Gleichheit. Das nennt man Fairneß. Eine durch äußere Kräfte und Gesetze herbeigeführte faktische Gleichheit würde diese Fairneß nicht herstellen, sondern beseitigen.

Sie würde die Gelegenheit für die echte Selbstwiedererschaffung, das höchste Ziel aller erleuchteten Wesen allerorten, ausschalten.

Und was würde eine solche Chancenfreiheit schaffen? Es wären Systeme, die der Gesellschaft erlauben, die für das Überleben notwendigen Grundbedürfnisse eines jeden Individuums zu befriedigen. So wären alle Wesen frei, sich ihrer Selbstentwicklung und Selbsterschaffung widmen zu können, statt sich ausschließlich um ihr eigenes Überleben kümmern zu müssen. Mit anderen Worten, Systeme, die das wahre System namens Lebens imitieren, in dem das Überleben garantiert ist.

Nun, da in erleuchteten Gesellschaften das eigene Überleben kein Thema ist, würden diese Gesellschaften nie zulassen, daß eines ihrer Mitglieder leidet, wenn genug für alle da ist. In ihnen sind Eigeninteresse und das wechselseitig beste Interesse identisch.

Eine Gesellschaft, die sich auf einen Mythos vom »angeborenen Bösen« oder dem »Überleben der Stärksten« gründet, kann unmöglich zu solchen Einsichten und zu einem solchen Selbstverständnis gelangen.

Ja, das sehe ich. Der Frage des »kulturellen Mythos« möchte ich später zusammen mit den Verhaltensweisen und ethischen Prinzipien der fortgeschritteneren Gesellschaften genauer nachgehen. Aber ich würde gerne ein letztes Mal auf etwas zurückkommen und die Fragen beantworten, die hier am Anfang standen.

Eine der Herausforderungen im Gespräch mit dir besteht darin, daß deine Antworten in so interessante Richtungen führen, daß ich zuweilen meinen Ausgangspunkt vergesse.

In diesem Fall habe ich das nicht getan. Wir sprachen über die Ehe. Wir sprachen über die Liebe und ihre Bedingungen.

LIEBE HAT KEINE Bedingungen. Das macht sie zur Liebe.

Wenn deine Liebe zu einer anderen Person Bedingungen beinhaltet, ist sie keine Liebe, sondern nur irgendeine vorgetäuschte Version davon.

Das habe ich dir hier zu sagen versucht. Das habe ich dir hier bei jeder Frage, die du gestellt hast, auf dutzendfach verschiedene Weise vermittelt.

Bei der Eheschließung zum Beispiel tauscht ihr Schwüre aus, die für die Liebe nicht erforderlich sind. Doch ihr verlangt sie, weil ihr nicht wißt, was Liebe ist. Und so laßt ihr euch gegenseitig etwas versprechen, was die Liebe nie erbitten oder fordern würde.

Dann bist du gegen die Ehe!

ICH BIN »GEGEN« nichts. Ich beschreibe nur, was ich sehe.

Nun könnt ihr verändern, was ich sehe. Ihr könnt eure gesellschaftliche Konstruktion namens Ehe so umändern, daß sie nicht fordert, was Liebe nie erbitten würde, sondern statt dessen erklärt, was nur Liebe verkünden kann.

Mit anderen Worten, wir sollen unsere Ehegelübde anders ab fassen.

MEHR ALS DAS. Ändert die Erwartungen, auf denen eure Gelübde basieren. Doch diese Erwartungen zu verändern wird schwer sein, weil sie euer kulturelles Erbe sind und eurem kulturellen Mythos entspringen.

Hier sind wir schon wieder bei diesem kulturellen Mythos angelangt. Was hast du bloß damit?

ICH HOFFE, EUCH hier in die richtige Richtung zu dirigieren.

Ich sehe, wo ihr euch mit eurer Gesellschaft hinentwickeln wollt, und hoffe, Worte und Begriffe zu finden, die euch in diese Richtung führen können.

Darf ich dir ein Beispiel geben?

Bitte.

EINER EURER KULTURELLEN Mythen über die Liebe besagt, daß es bei ihr ums Geben und nicht ums Empfangen geht. Das ist zu einem Gebot geworden. Und doch treibt es euch zum Wahnsinn und richtet mehr Schaden an, als ihr euch je vorstellen könnt.

Es läßt die Menschen schlechte Ehen eingehen und darin verbleiben, es führt zu allen möglichen gestörten Beziehungen – und doch wagt keiner, diesen vorherrschenden kulturellen Mythos anzufechten. Nicht eure Eltern, bei denen ihr Anleitung sucht; nicht eure Geistlichen, von denen ihr euch Inspiration erhofft; nicht eure Psychologen und Psychiater, von denen ihr euch Klarheit erwartet; und noch nicht einmal eure Schriftsteller und anderen Künstler, bei denen ihr intellektuelle Führung sucht.

Also werden Songs geschrieben, Geschichten erzählt, Filme gedreht, Anleitungen gegeben, Gebete gesprochen, die allesamt diesen Mythos verewigen. Dann steht ihr alleine da und sollt diesem Mythos entsprechen.

Und das könnt ihr nicht.

Doch nicht ihr seid das Problem, dieser Mythos ist es.

Bei der Liebe geht es nicht viel mehr ums Geben als ums Empfangen?

NEIN.

Wirklich nicht?

NEIN. DARUM GING es nie.

Aber du sagtest selbst gerade eben, daß Liebe keine Bedingungen hat. Du sagtest, das ist es, was sie zur Liebe macht.

UND SO IST es auch.

Nun, das hört sich für mich aber doch sehr nach »geben statt zu empfangen« an.

DANN MUSST DU noch mal Kapitel acht in Band 1 lesen. Alles, worauf ich hier anspiele, habe ich dort erklärt. Diese Gespräche sollten zwar der Reihe nach gelesen, aber als Ganzes betrachtet werden.

Ich weiß. Aber könntest du bitte für die, die Band 1 nicht gelesen haben, erklären, worauf du hier hinauswillst? Und offen gestanden wäre sogar mir, der ich dieses Zeug inzwischen zu verstehen glaube, ein solcher Rückblick nützlich.

OKAY. HIER KOMMT er.

Alles, was ihr tut, tut ihr für euch selbst.

Das ist wahr, da ihr und alle anderen eins seid.

Was ihr für einen anderen tut, tut ihr daher für euch selbst.

Was ihr für einen anderen nicht tut, tut ihr nicht für euch. Was für einen anderen gut ist, ist gut für euch, und was für einen anderen schlecht ist, ist schlecht für euch.

Das ist die fundamentale Wahrheit. Und es ist die Wahrheit, die ihr am häufigsten ignoriert.

Wenn du dich nun in einer Beziehung mit jemandem befindest, dann hat diese Beziehung nur einen Zweck. Sie existiert als Vehikel, damit du deine Vorstellung von Wer-du-wirklich-Bist abklären und erklären, erschaffen und ausdrücken, erfahren und erfüllen kannst.

Wenn dieses Wer-du-wirklich-Bist eine gütige und rücksichtsvolle, fürsorgliche und großzügige, mitfühlende und liebevolle Person ist – dann schenkst du, wenn du im Hinblick auf andere all diese Dinge bist, deinem Selbst die großartigste Erfahrung, für die du dich im Körper inkarniert hast.

Deshalb hast du einen Körper angenommen. Denn nur im physischen Bereich des Relativen kannst du dich auf der Erfahrungsebene als diese Dinge erkennen. Im Bereich des Absoluten, aus dem ihr gekommen seid, ist diese Erfahrung, dieses erfahrungsgemäße Erkennen unmöglich.

Alle diese Dinge habe ich sehr viel detaillierter in Band 1 erläutert.

Wenn nun dieses Wer-du-wirklich-Bist ein Wesen ist, das das Selbst nicht liebt und gestattet, daß es von anderen mißbraucht, geschädigt und zerstört wird, dann wirst du weiterhin ein Verhalten an den Tag legen, das derartige Erfahrungen zuläßt.

Wenn du aber wirklich eine gütige und rücksichtsvolle, fürsorgliche und großzügige, mitfühlende und liebevolle Person bist, wirst du dein Selbst unter die Leute einreihen, gegenüber denen du alle diese Dinge bist.

Tatsache ist, daß du bei dir anfangen wirst. Du wirst dich in diesen Dingen an erste Stelle setzen.

Alles im Leben hängt davon ab, was zu sein du bestrebt bist.

Wenn du zum Beispiel danach strebst, mit allen anderen eins zu sein (das heißt danach strebst, die Erfahrung einer Grundidee zu machen, von der du bereits weißt, daß sie wahr ist), wirst du dich auf eine ganz bestimmte Weise verhalten – auf eine Weise, die dir erlaubt, dieses Einssein zu erleben und zu demonstrieren. Und wenn du als Ergebnis davon bestimmte Dinge tust, wirst du nicht erleben, daß du sie für einen anderen tust, sondern du machst sie um deines Selbst willen.

Dasselbe gilt auch für alles andere, ganz gleich, was zu sein du bestrebt bist. Wenn du Liebe sein willst, wirst du liebevolle Dinge mit anderen tun. Nicht für andere, sondern mit anderen.

Achte auf den Unterschied, die Nuance. Du tust liebevolle Dinge mit anderen, für dein Selbst – damit du deine großartigste Vorstellung von deinem Selbst und Wer-du-wirklich-Bist verwirklichen und erfahren kannst.

So gesehen ist es unmöglich, irgend etwas für einen anderen zu tun, denn jeder Akt aus eigenem Entschluß ist buchstäblich genau das: ein »Akt«. Du agierst. Das heißt, du erschaffst und spielst eine Rolle. Nur daß du hierbei nicht etwas vortäuschst. Du bist es wirklich.

Du bist ein menschliches Wesen. Und du entscheidest und wählst, was du als dieses Wesen bist.

Euer Shakespeare sagte es so: »Die ganze Welt ist eine Bühne, und die Menschen sind die Schauspieler.«

Er schrieb auch: »Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.«

Und er sagte auch: »Deinem Selbst sei treu, und es folgt daraus wie die Nacht dem Tag, daß du keinem Menschen treulos sein kannst.«

Wenn du deinem Selbst treu bist, wenn du dein Selbst nicht verrätst, dann wirst du, wenn es so aussieht, als gäbest du, wissen, daß du in Wirklichkeit empfängst. Du gibst dich buchstäblich deinem Selbst zurück.

Du kannst einem anderen nicht wirklich geben aus dem einfachen Grund, daß da kein »anderer« ist. Wenn wir alle eins sind, dann gibt es da nur dich.

Das scheint mir manchmal wie ein semantischer »Trick«, eine Umstellung der Worte, um ihre Bedeutung zu verändern.

ES IST KEIN Trick, aber es ist Magie! Und es geht nicht darum, die Worte umzustellen, um ihre Bedeutung zu verändern, sondern es geht um die Veränderung der Wahrnehmung, darum, die Erfahrung zu verändern.

Eure Erfahrung von allem basiert auf euren Wahrnehmungen, und eure Wahrnehmung gründet sich auf euer Verständnis.

Und euer Verständnis gründet sich auf eure Mythen. Das heißt auf das, was euch erzählt wurde.

Nun, ich sage euch: Eure gegenwärtigen kulturellen Mythen waren euch nicht dienlich. Sie haben euch nicht dorthin geführt, wo ihr eurer Aussage nach hingehen wollt.

Entweder belügt ihr euch selbst hinsichtlich eures besagten Ziels, oder ihr bemerkt es überhaupt nicht, daß ihr nicht dort anlangt. Nicht als Individuum, nicht als Land, nicht als Spezies oder Rasse.

Gibt es andere Spezies, die das tun?

O JA, GANZ sicher!

Okay, ich habe lange genug gewartet. Erzähl mir von ihnen.

BALD. SEHR BALD. Aber erst möchte ich dir sagen, wie ihr eure Erfindung namens »Ehe« so verändern könnt, daß sie euch eurem erklärten Ziel näher bringt.

Zerstört sie nicht, schafft sie nicht ab – verändert sie.

Ja, gut, das will ich wissen. Ich möchte wissen, ob es irgendeinen Weg gibt, wie die Menschen je wahre Liebe zum Ausdruck bringen können. Und damit beende ich diesen Abschnitt unseres Dialogs so, wie ich ihn begonnen habe.

Welche Grenzen sollten, ja müssen wir diesem Ausdruck auferlegen?