Kapitel 18
Aber im Moment steckte ich noch mitten in einem Ringkampf mit der Wache. Dieser endete abrupt, als Popcorn von rechts zu uns herüberflog und den linken Arm meines Gegners packte. Popcorn fauchte wie ein wildes Tier und war bereits über und über mit dem Blut des Mannes bedeckt, den er niedergestochen hatte. Er kletterte auf meinen Gegner, klammerte sich an ihm fest und biss ihm in den Unterarm, während er ihm seine Glasscherbe in den Hals rammte. Aus dem Hals des Mannes ging ein Blutregen auf mich nieder, denn Popcorn stach immer weiter mit der Glasscherbe zu.
Der Kerl brüllte und taumelte rückwärts. Als er umkippte, nahm ich ihm das Stahlstück aus der Hand. Er fiel auf die Knie und presste seine linke Hand an seinen Hals, während das Blut zwischen seinen Fingern hindurchfloss. Die Rufe der Menge – »Töten! Töten! Töten!« – schwollen an, aber ich brauchte nun wirklich keine zusätzliche Ermutigung. Es würde keine Gnade geben, weder für das, was er getan hatte, noch für das, was aus ihm werden würde, wenn ich ihn ausbluten ließ. Das Letzte, was wir hier drin brauchten, war ein Zombie.
Ich schlug ihm einmal mit dem Stahlteil auf den Kopf, dann ein weiteres Mal, als er aufs Gesicht fiel. Die Meute über uns ließ Jubelgeschrei ertönen, genauso, wie sie es letzte Nacht getan hatte, als Frank getötet worden war. Wie man vielleicht hätte erwarten können, bedeutete ihr Jubel aber keineswegs Anerkennung für den Sieger, sondern war einzig und allein Ausdruck der schieren Begeisterung und des beinahe orgiastischen Vergnügens, die sie bei der Verstümmelung und Ermordung empfanden, derer sie Zeuge wurden.
Popcorn erhob sich neben mir. Jetzt war sein ganzes Gesicht, vor allem jedoch sein Mund, blutverschmiert. Selbst in seinem langen, wilden Haar waren blutige Strähnen. Er keuchte und leckte sich die Lippen wie ein wildes, tollwütiges Tier, von dem er in jenem Moment nicht allzu weit entfernt war. Ich machte ihm ganz bestimmt keinen Vorwurf deswegen und hätte noch nicht einmal sagen können, dass ich sein Verhalten als besonders verstörend empfand unter diesen Umständen. So lange er nicht das Blut seiner Peiniger trank oder ihr Fleisch aß, war jeder Aspekt seines Verhaltens, fand ich, absolut verteidigungswürdig, vielleicht sogar ehrbar.
Ich blickte mich um und sah, dass Copperhead sich noch immer mit voller Wucht gegen die Gitterstäbe warf, sodass Tanya dagegenkrachte. Es sah für keinen der beiden nach Spaß aus, aber sie schien gut alleine zurechtzukommen, wohingegen er offensichtlich schwächer wurde.
Der Typ mit dem Baseballschläger entschied sich schließlich, auf Popcorn und mich loszugehen. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt wollte er einfach nur versuchen, an uns vorbei und über die Strickleiter aus der Grube zu kommen. Gut. Wir waren nicht länger in der Defensive und hatten sogar die Unterstützung der Menge – wenn auch nicht ihre Sympathien, da ich bezweifelte, dass sie überhaupt welche hatten. Vielleicht würden wir in dieser Nacht ja doch nicht sterben.
Der Kerl schwang den Schläger nach Popcorn, der leichtfüßig zur Seite sprang. Dann schlug er nach mir, und ich erhob das Stahlstück, um ihn abzuwehren. Es blieb zwischen den Nägeln stecken, sodass wir um unsere Waffen kämpfen mussten. Popcorn tauchte unter uns zur Kehle unseres Angreifers durch, der dieses Mal jedoch den Schläger losließ, um sich zu verteidigen. Sie rangen miteinander, und Popcorn stach immer wieder auf den Hals und die Arme des Mannes ein. Ich befreite das Stahlstück aus dem Baseballschläger, zog es dem Kerl über den Schädel und schlug ein zweites und schließlich ein letztes Mal zu, nachdem er umgefallen war. Die Menge tobte wie wild.
Ich reichte Popcorn das blutige Stahlteil und nahm den Baseballschläger an mich. Da nun kein Mitglied der Grubenmannschaft mehr zu sehen war, konnten wir endlich Tanya zu Hilfe eilen. Sie war die ganze Zeit über gegen die Stäbe geworfen worden und keuchte und schwitzte, aber es war offensichtlich, dass sie spürte, wie das Leben nun allmählich aus ihrem Peiniger wich. Sie sah mich an – die Zähne zusammengebissen, die Lippen zu einem Grinsen verzogen, die Augen voller Wut und den Mund direkt neben seinem Ohr, während sein aufgedunsenes, groteskes Gesicht blau anlief.
Auch er sah mich mit hervorquellenden Augen an, und ich bildete mir ein, ein Flehen darin zu erkennen, ich war mir allerdings nicht sicher. Schlimmer war jedoch vielleicht, dass ich mir ebenso unsicher war, ob es überhaupt einen Unterschied für mich gemacht hätte. Und noch schlimmer: Mir ging der Gedanke durch meinen adrenalingetränkten Kopf, dass wir das, von dem wir wussten, dass es als Nächstes passieren würde, nur umso mehr genießen konnten, wenn er tatsächlich um Gnade flehte – etwas, dass sich Popcorn und Frank auf so mutige Weise verwehrt hatten. Mich durchfuhr ein Schauder, denn allein die Aussicht, Vergeltung an diesem Stück Dreck zu nehmen und ihn zu bestrafen, schmeckte erschreckend süß.
»Also, Jonah«, zischte Tanya, »du wusstest das vielleicht noch nicht, weil du kein Inzucht-Hinterwäldler-Arschloch bist, das aus irgendeinem Sumpf gekrochen ist – aber man muss einer Schlange richtig kräftig auf den Kopf hauen, wenn man das debile arme Tierchen wirklich umbringen will.«
Ich schwang den Schläger zurück, um ihm den entscheidenden Hieb zu versetzen. Es war die grausame, persönliche Art der Exekution aus allernächster Nähe, die ein Sadist wie Copperhead besonders unterhaltsam gefunden hätte, also bemühte ich mich, sie nicht allzu sehr zu genießen. Aber nach all den Leiden, die Frank und Popcorn durchlebt hatten, war das schlicht unmöglich. Man musste der menschlichen Natur wenigstens ein kleines, zutiefst körperlich befriedigendes Vergnügen gönnen, wenn man schon eine Krankheit wie Copperhead ausmerzen musste – etwa so, als ob man eine reife Eiterbeule aufstach oder sich juckenden Schorf aufkratzte. Ich wäre viel eher geneigt gewesen, einem Untoten Gnade zu erweisen.
Über uns schwollen die »Töten! Töten! Töten!«-Rufe zu orgiastischer Lautstärke an.
»Stirb, du verdammter Hurensohn!« Ich ließ den Schläger auf seine Stirn niedersausen. Aus unmittelbarer Nähe klang das glitschige Krachen viel lauter als bei Frank. Ich zog den Schläger zurück, riss den Nagel aus seiner Stirn, und Tanya stieß ihn mit einem grellen Schrei der Abscheu von sich, während die Menge über uns völlig ausrastete. Er fiel mit einem dumpfen Knall zu Boden, der unter dem Jubel kaum zu hören war.
Tanya und ich rangen nach Luft, und unsere Genugtuung war so berauschend, dass wir gemeinsam mit Popcorn innehielten, um zuzusehen, wie die Pfütze dicken, dunklen Blutes unter seinem Gesicht hervorquoll. Ich sah Tanya an und empfand eine Glückseligkeit, die beinahe so groß wie nach dem Sex war.
Zu diesem Zeitpunkt war es mir wirklich egal, ob die anderen Insassen später meinen Kopf auf einen Stab aufspießten. Ich hatte den Anführer dieser erbärmlichen kleinen Hölle in die echte geschickt. Falls mir in Zukunft noch einmal irgendetwas Gutes widerfahren sollte oder ich auch nur noch ein paar Minuten weiteratmen durfte, um diesen Sieg zu genießen, dann war dies das Sahnehäubchen auf dem Kuchen, und ich würde es auf meine Liste der Dinge schreiben, die auf einen Gott hindeuteten, der daran interessiert war, die Schuldigen zu bestrafen. Zumindest hatte er das Gebet erhört, das ich letzte Nacht bei Franks Beerdigung gesprochen hatte.
Zu dritt standen wir einen Augenblick lang da, keuchend und über und über mit warmem, klebrigem Blut bedeckt, und dann drangen zwei weitere Schreie durch das Gefängnis, die von grellen Blitzen und beinahe zeitgleichen Donnerschlägen begleitet wurden. Der Jubel über uns erstarb plötzlich. Die lang gezogenen, durchdringenden Schreie klangen, als würden Menschen bei lebendigem Leib auseinandergerissen, und im selben Moment, als ich sie hörte, nahm ich einen unglaublich starken Geruch wahr, der selbst den beinahe überwältigenden metallischen Geruch des Blutes übertünchte – den Geruch von verrottendem Fleisch. Dann hörte ich ein weiteres Geräusch – ein leises, kontinuierliches Stöhnen.
Auch wenn es mir innerlich widerstrebte, wandte ich mich langsam von Copperheads Leiche ab und sah, dass, etwa fünfzehn Meter von uns entfernt, eine Menge schwankend schlurfender menschlicher Gestalten durch das Erdgeschoss auf uns zuwankte, die bis zum Eingang des Gefängnisses reichte. Es musste inzwischen doch zu regnen angefangen haben, denn von ihren Körpern stiegen Dampfwolken auf, als seien sie triefnass.
Beim nächsten Blitzschlag sah ich ihre verrotteten, untoten Visagen – ihre schwarzen Zähne, blutigen Münder und vernebelten Augen, ihr fleckiges Fleisch und ihre verfilzten, strohigen Haare. Auch wenn einige von ihnen bereits dabei waren, zwei Mitglieder der Grubenmannschaft zu verspeisen, schwankte die Vorhut mit dem üblichen Mangel an Koordination und der typischen übertriebenen Entschlossenheit und Zielstrebigkeit auf uns zu.
Sadisten und Vergewaltiger zu töten, nur um dann einer Armee der sabbernden Untoten gegenüberzustehen – dieser Ort war verdammt nahe an der Hölle, und ich hoffte, dass ich ihr niemals näher kommen würde. Nun sah es definitiv so aus, als ob wir in dieser Nacht sterben würden. Noch dazu würde es allem Anschein nach schneller geschehen, als ich es mir vorgestellt hatte – und es würde mindestens genauso grauenvoll sein.
Ich beeilte mich, ein weiteres Gebet zu sprechen: dass sie meine Eingeweide vor Popcorns und Tanyas herausreißen und fressen würden, sodass ich nicht sehen musste, was mit ihnen geschah. Aber nein, das war selbstsüchtig und ungerecht. Es schien mir aber auch nicht richtig zu sein, dafür zu beten, dass sie zuerst starben. Ach, zur Hölle, wir konnten es auch ebenso gut Gott überlassen, schließlich schien er gerade den Teil, bei dem unschuldige Menschen auf schreckliche Weise starben, immer besonders gut hinzukriegen. Ich hörte also auf zu beten und wich ganz langsam zurück.