6. Eine neue Welt
Ich musste sehr lange und tief geschlafen haben.
Als ich aus diesem traumlosen Schlaf erwachte, fand ich mich in
eine Decke gewickelt wieder. Im Lagerfeuer vor mir befanden sich
nur noch Überreste von Glut und Asche. Die Sonne stand sehr hoch.
Zuerst dachte ich, dass ich von der Decke so gut gewärmt worden
war, doch als ich meine Hand nur etwas bewegte, erwachte er hinter
mir ebenfalls. Istvan musste mich irgendwann im Laufe des
Vormittags in eine der Decken gehüllt haben und benutzte seinen
eigenen Körper, um mich im Schlaf zu stützten. Neben meinen
Ellbogen waren links und rechts seine Knie und seine abgewinkelten
Beine. Mein Rücken war auf seinen Oberkörper gebettet und mein Kopf
lag schräg unter seiner Schulter. Einen Arm hatte er um meinen
Bauch gespannt.
Als sich die Muskeln in meinem Körper zum ersten
Mal anspannten, fühlte ich, wie er seinen Arm um meinen Bauch
fester anzog.
Da wusste ich mit Sicherheit, dass Istvan
ebenfalls wach war.
„Wie spät ist es? Wie lange habe ich geschlafen?“,
fragte ich mit belegter Stimme.
„Ein paar Stunden. Du warst hundemüde. Es muss
früher Nachmittag sein“, entgegnet er mir, ohne sich zu
bewegen.
Obwohl es erst April war, war es ungewöhnlich mild
und sonnig an diesem Tag.
„Hast du denn überhaupt geschlafen?“, wollte ich
von ihm wissen.
„Ein bisschen schon. Aber ich war zu aufgekratzt
und … abgelenkt“, feixte er und ich fühlte, wie seine Fingerspitzen
an meinen Haarspitzen zupften.
„Das kannst du auch auf die Liste setzen!“, deute
er kryptisch an und in seiner wundervollen, tiefen Stimme war ein
Grinsen auszumachen.
„Welche Liste?“, fragte ich irritiert nach.
„Die Liste der Dinge, die mir gefehlt haben und
ohne die ich nicht mehr auskommen will“, erklärte er mir und ich
legte meine Wange zurück an seine Schulter.
„Hast du Durst?“
„Ja und wie“, gab ich zu.
Ich wünschte sofort, dass ich Nein gesagt hätte.
Denn er ließ mich los, um mir eine Flasche Mineralwasser aus der
Kiste zu holen.
Als ich das kühle Wasser trank und mir den Schlaf
aus den Augen rieb, fiel mir ein, dass ich schon übermorgen wieder
arbeiten musste. Ich sollte mich auch bei Viktor, Paula und meiner
übrigen Familie melden, bevor sie anfingen, sich Sorgen zu
machen.
Denn ich hatte Carla ja versprochen, mich umgehend
zu melden, wenn ich zurück sein würde. Ich machte mich ungewollt
bemerkbar, als ich erschrocken hochfuhr und die Decke von mir
abfiel.
Mist! Carla!, schoss es
mir durch den Kopf und unbeabsichtigt rief ich es auch leise
aus.
Ich hatte bei der ganzen Aufregung vergessen,
Istvan zu erzählen, dass ich eine Dummheit begangen hatte, noch
eine.
„Istvan“, sprach ich ihn jetzt alarmiert an.
Sofort kam er zurückgeschnellt.
„Was ist? Was stimmt nicht?“, folgerte er schnell
und treffsicher.
Er las in meiner Stimme und in meinem Puls wie in
einem Buch. Es war sinnlos, irgendetwas vor ihm zu verbergen, was
ich ohnehin nicht beabsichtigte.
„Ich habe eine leichtsinnige Gedankenlosigkeit
begangen, die ich dir noch nicht gebeichtet habe“, deute ich an,
mein Blick ging an ihm vorbei.
„Was denn? Wovon sprichst du?“, fragte er entsetzt
nach.
„Als es mir richtig dreckig ging, als ich ganz
unten war, da habe ich nicht richtig nachgedacht und habe Carla
angefleht, zu mir zu kommen.“
Meine Stimme war voll von Selbstvorwürfen und mein
Geständnis schien ihn irgendwie nicht wirklich zu erreichen. Ich
konnte keinen Schock in seinem Gesicht erkennen. Hatte er
verstanden, was ich ihm gerade sagte? Ich hatte immerhin die
Geheimhaltungsregel gebrochen.
„Joe, das ist doch keine Katastrophe. Ich bin
froh, dass sie für dich da war!“, meinte er ruhig. Sein Tonfall war
vollkommen aufrichtig.
„Ich bin aber unvorsichtig gewesen“, protestierte
ich. „Sie wollte wissen, warum ich so kaputt bin. Ließ nicht
locker. Das ist es mir fast herausgerutscht. Aber sie wusste es
bereits, Istvan. Carla wusste Bescheid über uns!“, stieß ich
hervor.
Jetzt huschte endlich ein Funken Überraschung über
sein Gesicht.
„Wie? Woher?“, stammelte er erstaunt.
„Sie hat dich auf der Verlobungsparty gesehen und
wusste es sofort. Alles, na ja, fast alles“, korrigierte ich mich
schnell.
„Wie hast du ihr das bloß erklärt?“, wollte er nun
wissen und konnte seine nervöse Anspannung kaum noch
verbergen.
„Ich habe gelogen und sie hat sich damit
zufriedengegeben. Ich habe etwas von einer Art Zeugenschutzprogramm
gefaselt. Von dringender, zwingender Geheimhaltung und Gefahr für
uns beide, falls jemand über uns Bescheid wüsste. Sie hat mir hoch
und heilig versprochen, dass sie zu niemandem ein Wort sagt, auch
zu Christian nicht.“
„Und das hat sie dir
geglaubt?“, fragte er nach, wenig überzeugt.
„Sie weiß, dass es mir damit ernst ist. Und sie
würde nie etwas tun, was mich in Gefahr bringt. Da bin ich mir
sicher!“, setzte ich noch hinzu.
„Ich glaube dir. Ich komme damit schon klar“,
meinte er neutral. „Aber ob Valentin das so sieht, wage ich zu
bezweifeln!“
„Valentin?“, stieß ich hervor, meine Stimme
überschlug sich fast.
„Ist er etwa hier?“ Ich war völlig vor den Kopf
gestoßen.
„Ja. Woltan, Marius und er sind eine Woche nach
Serafina gekommen. Sie haben sich ein Haus gemietet und wollen so
lange bleiben, bis die Situation geklärt
ist.“
„Wahnsinn! Das sind ja unglaubliche Neuigkeiten.
Da bin ich nicht mal ganze zwei Wochen weg und komme in eine völlig
neue Welt zurück. Eine Welt, in der vier weitere Werwölfe leben.
Wie sollen vier rumänische Fremde es bloß fertigbringen,
ausgerechnet hier nicht aufzufallen?“, fragte ich. Mein Tonfall war
schon beinahe sarkastisch.
„Keine Sorge, Joe. Valentin hat einen Plan. Er hat
immer einen Plan … Ich wüsste nur zu gerne, wie Serafina ihn
letzten Endes doch noch überzeugen konnte, zu kommen“, murmelte er
vor sich hin.
„Ich werde sie fragen, Istvan. Ich habe ohnehin
noch etwas mit ihr zu klären“, sagte ich unbestimmt und war um
einen möglichst gleichgültigen Ton bemüht. Meine Andeutung hatte
ihn hellhörig gemacht.
„Worum geht es?“, verlangte er zu wissen.
„Das ist eine Sache unter Frauen“, war alles, was
ich dazu sagte.
Er kniff die Augen zusammen.
Meine geheimnisvolle Andeutung gefiel Istvan ganz
und gar nicht. Aber diese Sache ging ihn wirklich nichts an. Und
das war auch besser so. Wenn er geahnt hätte, dass Serafina mich
vor langer Zeit, schon vor dem Vorfall, gebeten hatte zu gehen,
wenn etwas Schlimmes sich ankündigen würde, wäre er vielleicht
verletzt oder er könnte seiner Freundin nicht mehr vertrauen. Das
durfte einfach nicht passieren.
„Dann sollten wir jetzt aufbrechen. Ihr Haus ist
nicht weit weg. Du kennst es womöglich? Die alte Jagdvilla mit dem
eigenen Zugangweg?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
„Du machst wohl Witze! Seit Ewigkeiten steht das
Anwesen unbewohnt da. Niemand konnte es sich leisten, das Haus zu
mieten oder gar zu kaufen. Schließlich sind die Besitzer Nachfahren
der früheren Grafen und verlangen Unsummen für das Anwesen“,
stammelte ich ungläubig hervor.
„Ja, ich weiß. Schon vergessen, dass ich das Haus
schon viel länger kenne als du. Ich erinnere mich sogar noch daran,
als es im Sommer noch bewohnt war. Der ehemalige Adel kam in den
Sommermonaten manchmal, um Wild zu jagen oder sich um ihre
Angelegenheiten hier in der Gegend zu kümmern“, erzählte er in
einem gleichgültigen Ton und erinnerte mich damit wieder an die
unumstößliche Tatsache, dass er, genau genommen, fünfundsechzig
Jahre älter war als ich.
Ich versuchte, nicht allzu auffällig darauf zu
reagieren.
„Ach ja!“, nuschelte ich mit einem gekünstelt
lässigen Ton.
„Wieso hat Valentin ausgerechnet die Jagdvilla
gemietet?“, fragte ich nach. Ich war neugierig.
„Es bot sich an. Schließlich ist es das einzige
Haus außerhalb von Rohnitz und St. Hodas, das sowohl groß genug
ist, um das gesamte Rudel unterzubringen, als auch versteckt genug
liegt, damit keine neugierigen Blicke die Valentins stören
könnten“.
Ich dachte über seine Worte nach und fand, dass er
damit recht hatte. Die kleine Villa hatte, soweit ich wusste, eine
eigene Zufahrt, und obwohl sie nahe an der Straße lag, wurde sie
von hohen Bäumen und einer kleinen Anhöhe verdeckt. Sie waren dort
weit weg genug von Rohnitz, damit sie nicht allzu viel Kontakt mit
den Bewohnern haben mussten. Ich wusste ja schließlich nicht, wie
sehr die Valentins zwischen normalen Menschen auffallen würden.
Denn ich kannte bis jetzt nur Serafina und sie fiel nicht dadurch
auf, dass sie sich ab und an in eine Wölfin verwandelte, sondern
eher dadurch, dass sie viel zu schön war.
„Gut, dann lerne ich endlich Valentin und seine
Familie kennen. Ich habe irgendwie das Gefühl, als würde ich sie
irgendwie schon kennen. Nur die Gesichter zu den Geschichten fehlen
mir noch“, merkte ich an und trat an Istvans Seite. Er war gerade
dabei, Wasser über die Feuerstelle zu gießen.
„Dann bekommst du jetzt endlich einen Eindruck von
dem Leben in einem Rudel, einem verdammt guten Rudel noch dazu!“,
sagte er und spielt dabei darauf an, dass ich ihn oft genug über
die Valentins und ihre Lebensweise ausgefragt hatte. Nun bekam ich
tatsächlich die Gelegenheit, alles mit eigenen Augen zu
sehen.
Ich war verdammt neugierig darauf, wie Valentin
aussah und natürlich auch Woltan, obwohl ich ihn mir irgendwie gut
vorstellen konnte. Immerhin war er Serafinas Zwillingsbruder. Er
war bestimmt ebenso attraktiv und groß.
Istvan ging zum Zelt und begann es gekonnt
abzubauen. Man merkte sofort, dass er diese Handgriffe schon
unzählige Male ausgeführt hatte. Ich versuchte zu helfen. Zuerst
wollte ich das Seil, mit dem er das Zelt an einen Baumstumpf
gebunden hatte, lösen. Doch als ich den komplizierten Knoten sah,
den er dafür benutzt hatte, stand ich vor einer unlösbaren
Herausforderung.
Keine Sekunde später, gerade ich den Gedanken
vollendet hatte, war er auch schon an meiner Seite und zeigte mir,
wie man den Knoten, den er Pfahlstich
nannte, auseinander bekam. Bei ihm sah es so leicht aus.
„Ich hätte wohl doch zu den Jungpfadfindern gehen
sollen, als ich die Chance dazu hatte“, scherzte ich
unsicher.
Er lachte über meine Selbstironie und versuchte
mir langsam zu zeigen, wie man den Knoten mit der riesigen Schlaufe
hinbekam. Ich versuchte es mir zu merken, wusste jedoch, dass ich
es niemals wiederholen könnte. Istvan erklärte es mir ruhig und
sachlich, genau, wie er mir damals die Karte beschrieben hatte,
dass es ein Knoten sei, den man eigentlich benutze, um Schiffe
festzumachen. Ich nickte zum Zeichen meines Verständnisses. Er gab
sich damit zufrieden und baute weiterhin das Zelt ab. Nachdem ich
mich als derart unnütz herausgestellt hatte, begnügte ich mich
damit, die Ankerhaken aus dem Boden zu ziehen und sie in der Kiste
zu verstauen. Mit ein paar schnellen Handgriffen war Istvan mit dem
Zelt fertig und verstaute es in der zweiten Kiste. Er schloss beide
und schob den Moosteppich darüber.
„Jetzt können wir gehen“, meint er. Ich nickte und
versprach mir selbst, bei der nächsten Gelegenheit den Knoten im
Internet zu suchen und solange zu üben, bis ich ihn genauso gut
binden konnte wie er. Es gab schon genug Ungleichheiten zwischen
uns. Außerdem mochte ich es nicht besonders, von einem Mann belehrt
zu werden, auch wenn es sich dabei um Istvan handelte, der mir ein
paar Jahrzehnte Lebenserfahrung voraushatte. Ich lernte ja
schnell.
Obwohl wir zu Fuß gingen und Istvan sich meinem
Schneckentempo, ohne zu murren, anpasste, standen wir bald vor der
Abzweigung zur Jagdvilla. Zusammen spazierten wir die -steile
Anhöhe der langen Auffahrt hinauf und nach einem kurzen Marsch
erhob sich die Villa vor uns. Der Bau aus Natursteinen, die man
bewusst unbehandelt gelassen hatte, und dunklem Holz erinnerte
sofort an alte Jagddomizile, auch wenn hier keine -Geweihe oder
andere kitschige Dekoration angebracht waren. Schon als Istvan und
ich die ersten Schritte auf dem Kies vor der Garage, einem Zubau
neueren Datums, taten, konnte ich Serafinas Gestalt auf dem kleinen
Holzbalkon auf der rechten Seite erkennen. Das erinnerte mich
daran, dass ich gleich in einem Haus voller Männer und Frauen sein
würde, die alle ein Supergehör hatten und auch meine Vitalzeichen
lesen konnten. Fantastisch, dachte ich
höhnisch.
Istvan zeigte zu dem kleinen Stiegenaufgang und
ich folgte ihm. Am Ende der knarrenden Holztreppe befand sich ein
schweres Holztor, das im selben Moment geöffnet wurde. Vor uns
stand Serafina. Sie strahlte uns beide an und versuchte dennoch,
ein wenig Unsicherheit zu überspielen. Sie konnte ja nicht wissen,
was in der Zwischenzeit passiert war. Erst als sie unsere
verschränkten Hände sah, löste sich ihre Beklommenheit und ihr
Lächeln wurde absurd breit.
„Kommt doch herein! Unser zu Hause ist eures!“,
lud sie uns freundlich ein und hielt das Tor offen.
„Danke“, sagten wir beide abwechselnd und traten
in den Vorraum.
Ich war völlig erstaunt. Ich hatte ein paar alte
Möbel erwartet, die vielleicht vom Vorbesitzer stammten, und vier
Feldbetten, aber nicht ein beinahe voll möbliertes Haus. Schon im
Eingangsraum standen reich verzierte Holzkisten und antike Kästen.
Man hatte zwar noch keine Bilder aufgehängt, aber dafür waren auf
mehreren Kleiderständern leichte Jacken zu sehen. Der Kachelofen
war an und ich konnte im Nebenraum knisterndes Kaminfeuer hören,
das mich überraschte. Immerhin brauchten sie keine Feuer, um sich
warm zu halten.
„Die Villa ist toll. Ihr habt euch sogar schon
eingerichtet. Das ist erstaunlich. Wieso habt ihr denn Feuer
gemacht, wenn ich fragen darf?“, wollte ich von Serafina wissen und
versuchte sehr höflich zu sein, weil ich nicht wusste, wie ich mich
hier verhalten sollte.
„Joe“, feixte sie amüsiert, „das Feuer ist
natürlich für dich. Du sollst ja nicht frieren, wenn du unser Gast
bist. Wir haben euch schon kommen gehört und Woltan war so nett,
den Kamin anzuheizen“.
„Oh, ihr hättet euch meinetwegen nicht solche
Umstände machen müssen. Ich sollte mich an euch anpassen, nicht
umgekehrt“, beschwerte ich mich seltsamerweise. Istvan schüttelte
amüsiert den Kopf. Serafina verlieh Istvans Belustigung
deutlicheren Ausdruck.
„Wir haben unseren Wohnsitz ihretwegen verlegt und
sie macht sich sorgen, dass ein Kaminfeuer zu große Umstände macht
… Sie ist noch immer so witzig!“, lachte Serafina. Istvan und
Serafina schmunzelten gemeinsam um die Wette.
„Immer gern. So ein Witz auf meine Kosten kommt
offenbar immer gut an“, neckte ich weiter und lachte selbst über
mein Verhalten.
Nachdem sich das allgemeine Gelächter auf meine
Kosten etwas gelegt hatte, wandte Istvan seine Aufmerksamkeit
Serafina zu und wurde ernster.
„Wo ist Valentin? Ich muss einiges mit ihm
besprechen“, deute er an und ich wusste, dass es unter anderem um
meinen Bruch der Geheimhaltung ging.
„Er wartet in seinem Arbeitszimmer auf dich. Die
Treppe rauf. Folge dem Schnitzgeräusch“, ordnete Serafina an.
Istvan ließ meine Hand los und ging zur Treppe. Er sah mich lange
an, bevor er dann hinaufschnellte. Zum ersten Mal seit Stunden war
ich alleine, und obwohl Serafina neben mir stand, fühlte ich mich
irgendwie verloren.
„So, und jetzt sollten wir uns unterhalten, junge
Dame“, drohte ich ihr spielerisch und versuchte wie eine predigende
Mutter zu klingen.
Sie schmunzelte wieder, merkte aber schnell, dass
ich es durchaus ernst meinte, trotz meines unangebrachten
Scherzes.
„Gut, dann gehen wir in das Wohnzimmer. Dort sind
wir ungestört. Woltan und Marius essen gerade in der Küche“, schlug
sie vor. Ich folgte ihr in den Raum mit dem Kamin. Wir setzten uns
auf die große, lange Couch, die vor dem offenen Feuer stand.
Dahinter, in der linken Ecke war eine große Tafel, die bestimmt
noch von den ersten Besitzern stammte. Wir saßen also ungestört vor
dem lodernden Feuer.
„Ich wollte nur schnell mit dir alleine reden, du
weißt, wieso“, deute ich an und rollte die Augen zur Decke. Ich
versuchte ihr damit klar zu machen, dass Istvan unser Gespräch
nicht hören dürfte, was eigentlich eine Unmöglichkeit war. Sie
verstand sofort, was ich von ihr wollte. Ihre dunklen Augen
funkelten besorgt. Sie erhob sich von der Couch, ihre langen,
dunklen Haare strich sie dabei hinter die Ohren. Dann machte sie
das Radio auf der Anrichte an und stellte es lauter als
nötig.
„Danke, Joe. Ich meine, dass du nichts gesagt
hast. Das werd ich dir nie vergessen“, sagte sie ernsthaft, nachdem
sie sich wieder gesetzt hatte. Ich flüsterte meine Antwort in ihr
Ohr. Der Radiosprecher ratterte gerade die Nachrichten
herunter.
„Serafina, du sollst nicht denken, dass
irgendetwas deine Schuld ist. Ich werde ihm nie davon erzählen. Es
hat nichts zu tun mit meiner Flucht. Ich bin aus anderen Gründen
gegangen. Ich musste gehen, aber jetzt bin ich da. Für immer“,
stellte ich für sie klar.
„Das ist schön. Gut, dass es ihm jetzt wieder
besser geht. Euch beiden natürlich. Als ich ihn jeden Tag in dem
Zustand sehen musste und dachte, dass ich Mitschuld daran habe … Es
war furchtbar. Ich habe mich so geschämt“, gab sie zu.
„Hör auf! Das ist nicht wahr. Du warst hin- und
hergerissen zwischen deiner Familienaufgabe und deiner Loyalität
als Freundin. Das ist nicht leicht. Sagen wir einfach, wir waren
beide im Unrecht und vergessen die ganze Sache. Wir konzent-rieren
uns ganz auf das, was vor uns liegt. Einverstanden?“, schlug ich
ihr aufrichtig vor.
Sie starrte mich an und reagierte verlegen auf
mein Lächeln.
„Einverstanden, aber ich möchte es irgendwie
gutmachen. Ich hatte kein Recht, dich zu bitten, zu gehen. Deshalb
möchte ich gerne irgendetwas tun, damit ich es wieder hinbiegen
kann.“
„Außer mich am Leben zu halten?“, fragte ich, halb
im Scherz, halb todernst.
„Ja, außer dem Offensichtlichen. Gibt’s da
irgendetwas?“, wollte sie wissen. Ihre Augen flehten mich an. Ich
dachte nach, dann fiel mir etwas Passendes ein.
„Bring mir ein paar Seemannsknoten bei und wir
sind quitt!“, bot ich an. Serafina sah mich an, als wäre ich
verrückt. Doch dann lächelte sie erleichtert.
„Das ist alles? … Wieso ausgerechnet
Seemannsknoten?“, stieß sie verwirrt hervor.
„Sagen wir, ich habe meine Gründe. Also
abgemacht?“, sagte ich und hielt ihr meine Hand hin, die sie nahm
und fest schüttelte.
„Abgemacht!“
Serafina stand auf und stellte das Radio endlich
leiser.
Ich ging ihr nach und stellte das Radio nochmals
lauter, um sie noch etwas zu fragen, wie ich es Istvan versprochen
hatte.
„Was hat Valentin umgestimmt? Istvan will
unbedingt wissen, wieso ihr nun doch gekommen seid?“, flüsterte ich
Serafina ins Ohr.
Sie starrte mich angestrengt an, dann sagte sie
mir die Wahrheit.
„Ich habe ihn daran erinnert, was alles passiert
ist, bevor du gegangen bist. Als ich ihm nochmals erzählte, was
Farkas in Istvan ausgelöst hatte, war mein Vater bereit zu kommen.
Und als ich ihm ungeschönt Istvans erbärmlichen Zustand schilderte,
hielt ihn nichts mehr“, wisperte sie angespannt. Bei der Wendung
„erbärmlicher Zustand“ zusammen mit seinem Namen verkrampfte sich
mein Magen unsanft. Ich nickte kurz und seufzte, dann stellte sie
das Radio ganz ab. Zusammen gingen wir zurück zum Sofa, setzten uns
und sahen dem Feuer zu.
Istvan kam zu uns ins Zimmer und ließ sich an
meiner Seite auf die Couch fallen. Ohne dass er darum bitten
musste, ließ uns Serafina alleine und ging in Richtung Küche.
„Frauengespräche beendet?“, fragte er
herausfordernd. Sein Ton war rau und aufgekratzt, aber nicht ohne
Humor.
„Ja, danke“, gab ich nonchalante zurück. Er bohrte
nicht weiter nach. Immerhin kannte er meine Sturheit.
„Und selbst? Wetzt Valentin schon die Messer, um
mich für meine Dummheit zu bestrafen?“, fragte ich schmunzelnd,
obwohl ich in meinem Magen ein flaues Gefühl unterdrücken
musste.
„Sei nicht albern, Joe. Er hat es besser
aufgenommen, als ich gedacht hatte. Seltsamerweise gefiel ihm deine
Cover-Story mit dem Zeugenschutzprogramm. Er ist ganz begeistert
davon. Offenbar hast du ihn damit auf Ideen gebracht“, merkte er
an.
„Immer gern behilflich. Was immer Sie wünschen:
Tarngeschichten für Werwolf-Existenzen oder hanebüchene Ausreden,
um mit dir alleine sein zu können. Habe ich alles auf Lager“,
verkündete ich im Ton einer Verkäuferin und küsste ihn leicht auf
die Lippen, wobei ich noch immer schmunzelte. Er erwiderte meinen
Kuss nur schwach. Dann fiel mir wieder ein, dass jedes Lebewesen im
Haus gerade genau gehört hatte, was ich wie gesagt hatte, und
mitbekam, dass wir uns küssten.
„Daran werd ich mich nie gewöhnen. Die Wände haben
Ohren, hm?“
„Ich fürchte, ja. Stell dir einfach vor, du wärst
zum ersten Mal zu Besuch bei meiner Familie. Da würden wir uns auch
zusammenreißen müssen“, schlug er vor.
„Hmpf“, war meine einzige Antwort.
„Wieso hat Valentin so gut auf meinen Fehler
reagiert?“, fragte ich nach. Diese Frage war bestens geeignet, die
Stimmung zwischen uns wieder abzukühlen.
„Du warst geistesgegenwärtig genug, kein Wort über
Wölfe zu verlieren. Eigentlich hast du ja nur gestanden, dass du
etwas mit mir hast und es nicht ganz ungefährlich ist. Sollte also
etwas mit mir oder dir passieren, würde Carla nicht sofort auf die
Idee kommen, dass Werwölfe involviert wären, sondern würde
annehmen, dass mich irgendwelche Verbrecher aufgespürt hätten“,
versuchte er zu erklären. Er wollte unbeteiligt klingen, was ihm
nicht gelang.
Ich schluckte besorgt bei dem Gedanken, dass uns
etwas zustoßen konnte. Aber das war nun einmal die Realität. Es
hatte keinen Sinn, sich da etwas vorzumachen. Mein Puls ging etwas
schneller, als ich mir der Bedeutung seiner Worte bewusst wurde.
Istvan war sofort beunruhigt und nahm meine Hand. Seine Augen,
sonst sengend, ruhten jetzt auf mir, um mich zu besänftigen. Mein
Herz gehorchte sofort. Es beruhigte sich, um dann nur noch rasanter
zu schlagen, aber in einer völlig anderen Tonart.
„Solange wir hier sind, solltest du mich
vielleicht besser nicht anfassen. Ich möchte den Valentins nicht
erklären müssen, was mit meinem Herzrhythmus nicht stimmt. Das wäre
einfach zu peinlich!“ gestand ich widerwillig. Er ließ sofort meine
Hand los.
Mist, hätte ich fast laut
gesagt, riss mich dann doch zusammen.
„So, jetzt stell mich mal der sogenannten Familie
vor. Ich bin schon verdammt neugierig“, verlangte ich und
unterdrückte dabei die aufkeimende Nervosität.
Er stand auf und führte mich in die Küche. Alle
Räume in der Villa waren sehr groß und hoch, deshalb gab es hier
unten nur wenige Zimmer. Die Schlafzimmer mussten sich oben
-befinden. In der Küche hingen, wie ich befürchtet hatte,
Hirschköpfe, Eber und verschiedene Felle. Dabei fiel mir
dummerweise wieder ein, dass die Valentins, im Gegensatz zu Istvan,
der Tierjagd keineswegs entsagten. Verdränge den
Gedanken, befahl ich mir selbst.
In der riesigen Küche saß Serafina bei einer Tasse
Tee. Am Ende des dicken Holztisches saß ihr Bruder Woltan. Und wie
ich vermutet hatte, war er ausnehmend attraktiv. Schon im Sitzen
konnte man ausmachen, dass er sehr groß und gut gebaut war. Woltan
war gerade dabei, Speck in Streifen zu schneiden, und blickte hoch,
als wir durch die Tür kamen. Die Familienähnlichkeit mit Serafina
war auffällig. Er hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar, das
ebenso wie ihres glänzte. Auch die dunklen, freundlichen Augen
waren ihnen gemeinsam. Doch Woltans Gesichtszüge waren deutlich
männlicher und härter. Er hatte ein ausgeprägtes, markantes Kinn,
das neben seinen fein gezeichneten Augenbrauen, am auffälligsten
war.
Wieso sich schon die zweite Menschenfrau Hals über
Kopf in Woltan verliebt hatte, wie Istvan mir vor nicht allzu
langer Zeit erzählte hatte, war nicht schwer
nachzuvollziehen.
Istvan machte sich daran, die Vorstellungen hinter
sich zu bringen.
„Joe, das ist Woltan.“ Er nahm meine Hand und
drückte fest zu.
„Hi. Die Ähnlichkeit mit Serafina ist mir sofort
aufgefallen“, begrüßte ich ihn.
„Ich habe dich auch sofort erkannt. Serafina hat
dich gut beschrieben“, deutete er lächelnd an und wir beide sahen
zu ihr. Sie streckte unschuldig die Hände von sich.
Als ich Woltans Hand losließ, kam gerade ein
anderer Mann aus der Speisekammer ins Zimmer. Ich war mir sicher,
dass es nicht Valentin sein konnte. Also musste es sich um Marius
handeln, den Rumänen, der nur etwas jünger war als Valentin und
zusammen mit seinem Bruder Petre auf Valentins Hochzeit-feier durch
einen Biss zum Werwolf gemacht worden war.
Marius schien sich über irgendetwas köstlich zu
erfreuen und wirkte gleichzeitig auf amüsante Art genervt. Ich
verstand es nicht, bis er kopfschüttelnd sagte:
„Rotblond. Verdammt!“ Er schien aus irgendeinem
unerfind-lichen Grund von meiner Haarfarbe enttäuscht. Ich blickte
Istvan fragend an. Er verzog daraufhin nur unwissend den
Mund.
„Tut mir leid, aber ich habe mit meinem Bruder
Petre gewettet, dass Istvans Mädchen entweder blond oder … Wie
nennst du es, Istvan, Strawberry-Blond …?“, Istvan nickte, „… sein
würde. Und ich habe auf Blond getippt. Jetzt schulde ich ihm schon
wieder zwanzig Scheine“, vollendete er seinen Satz.
„Marius hat ein kleines Wettproblem“, flüsterte
mir Istvan zu.
„Freut mich trotzdem, dich kennenzulernen,
Marius“, sagte ich in seine Richtung und fügte noch hinzu: „Tut mir
leid wegen der verlorenen Wette … Aber jetzt mal ehrlich. Ich weiß
nicht, was ihr alle habt. Der rote Farbton in meinen Haaren ist so
schwach, er fällt kaum auf. Nicht mal ich sehe ihn deutlich!“,
stieß ich verwundert über das Aufheben, das wegen meiner Haare
gemacht wurde, hervor.
„Für unsere Augen ist es anders. Wir sehen den
Unterschied ganz deutlich!“, sagte eine weise, samtene Stimme
hinter uns.
Ich drehte mich um und blickte in Valentins
Gesicht, das mich ebenso anstarrte. Ich hatte mir Valentin ganz
anders vorgestellt, fand aber, dass er ein gutes Gesicht hatte, das
zu ihm passte.
Er war etwa so groß wie Istvan und ebenso schlank
und drahtig. Marius dagegen war eher bullig. Valentin sah nicht
älter aus als Mitte vierzig, obwohl das täuschte. Seine wissenden
Augen und die grauen Schläfen machten einen anderen Eindruck. Er
hatte dieselben dunklen, warmen Augen wie seine Kinder. Glänzendes,
dichtes Haar bedeckte seinen Kopf. Es war ganz leicht mit grauen
Strähnen durchzogen und wirkte, anders als bei den Zwillingen,
leicht gewellt. Er sah sehr gut rasiert aus, auch wenn man den
schwarzen Schatten noch erahnen konnte. Auf mich wirkte Valentin
wie der letzte rumänische Adelige. Seine Haltung war sehr elegant,
fast schon ehrerbietig. Er strahlte die Weisheit von Jahrhunderten
aus, wie ein Kamin Hitze. Sofort fühlte ich dieselbe Sympathie, die
ich auch Serafina entgegenbrachte.
„Endlich begegnen wir uns“, sagte er freundlich zu
mir und seine warmen Hände umklammerten meine rechte Hand. Mich
rührte seine aufmunternde Geste und ich fühlte mich willkommen.
Valentin beeindruckte mich und ich verstand endlich, wieso Istvan
sich so viel Mühe gemacht hatte, ihn zu finden und ihm als Freund
treu blieb.
„Ja, ich freue mich auch, Sie endlich zu treffen“,
antworte ich auf seinen Gruß.
„Bitte, Joe, ich bin Valentin. Du musst hier nicht
förmlich sein. Ihr beide seid doch die engsten Freunde der
Familie.“ Er lächelte immer noch sanft. Ich nickte leicht. Istvan
stand die ganze Zeit neben mir und schien überaus erleichtert, dass
mein erstes Zusammentreffen mit den Valentins so gut verlaufen
war.
Im Laufe des Nachmittags und des Abends teilte ich
mit den Valentins das Brot. Man fühlte sich ihnen sofort zugehörig.
Sonst tat ich mir immer schwer damit, aber bei Valentin und Woltan,
ja sogar bei Marius schien es so einfach. Das Ein-zige, was mir
Sorgen machte, mich zumindest beschäftigte, war die Tatsache, dass
Valentin, sogar noch mehr als Serafina, alles über uns zu wissen
schien.
Während Woltan von seiner Verlobten Miriam
erzählte und davon, dass sie langsam anfing, sich daran zu
gewöhnen, einen Werwolf zu lieben, bemerkte ich, dass Valentin mich
ständig musterte, wenn ich nicht hinsah. Nach einer Weile wurde mir
klar, dass er nicht mich alleine beobachtete. Vielmehr studierte
Valentin mich und Istvan und wie wir miteinander umgingen. Valentin
schien erfreut darüber, endlich sehen zu können, worüber er schon
so viel gehört hatte.
Auch wenn ich ihm dieses Verhalten nicht übel
nahm, versprach ich mir selbst, ihn darauf anzusprechen.
Als das ausschweifende Abendessen vorüber war,
ließ Istvan mich eine Weile alleine, um meinen Wagen zu holen, der
noch immer vor der Bibliothek stand. Ich nutzte die Gelegenheit und
sprach Valentin an, der alleine mit einem Krug vor dem Kamin
saß.
„Kann ich dich kurz unter vier Augen
sprechen?“
„Natürlich. Komm! Setzt dich zu mir ans Feuer“,
bot er mir an und rutschte ein wenig zur Seite. Ich nahm Platz und
fackelte nicht lange. Small Talk lag mir nicht.
„Versteh mich nicht falsch, aber wieso hast du
Istvan und mich vorhin so genau beobachtet?“, fragte ich kleinlaut
und starrte auf die Flammen.
Seine samtene Männerstimme war stark und
unbeeindruckt, als er mir antwortete.
„Es war so verblüffend. Ihr beide erinnert mich so
sehr an Serena und mich. Wie es damals war. Ich dachte schon, so
etwas würde ich nie wieder sehen“, murmelte er versonnen vor sich
hin. Seine Gedanken waren weit, Jahrhunderte weit, entfernt.
„Tut mir leid. Das ist bestimmt schwer für dich“,
entschuldigte ich mich und legte ihm meine Hand auf den Unterarm,
der, wie erwartet, äußerst warm war.
„Nein. Im Gegenteil. Es ist schön, das beobachten
zu können. Du solltest dich niemals für das entschuldigen, was dich
und Istvan verbindet. Ich kenne ihn schon so lange und musste immer
mit ansehen, wie einsam er war. Er ist ein anderer Mann geworden.
Jetzt muss er nur noch lernen zu akzeptieren, wer und was er ist“,
deute er rätselhaft an.
„Dann habe ich ihn genauso verändert wie er mich“,
folgerte ich. „Aber was meinst du damit, dass er es noch akzeptieren muss?“, fragte ich beunruhigt
nach.
„Du wirst es schon noch verstehen“, versicherte er
mir und tätschelte beruhigend meinen Arm. Ich hatte gleich so ein
merkwürdiges Gefühl, dass er dazu nichts mehr sagen würde.
Ein Schweigen entstand dadurch, ein unangenehmes.
Dann lächelte er plötzlich in sich hinein und meinte
belustigt:
„Na, da hast du dir ganz schön was aufgehalst,
was? Werwölfe, Farkas, eine fremde rumänische Familie und
Istvan!“ Den letzten Namen betonte er
besonders.
Ich musste lachen, als mir die Absurdität dieser
Klarstellung bewusst wurde.
„Glaub es oder nicht, aber ich würde jederzeit
wieder alles genauso machen! Vielleicht bin ich ja reif für die
Klapsmühle“, feixte ich.
Wir lachten beide nun unwillkürlich, bis uns die
Tränen kamen, dann wurden wir wieder ernst.
„Ich glaube dir“, merkte er ernst und klar
an.
„Danke“.
„Joe, ich verspreche dir, wir werden alles tun,
was in unserer Macht steht, damit ihr wieder sicher seid und
zusammen sein könnt.“
„Wieso ist dir das so wichtig? Wieso bist du
bereit, so viel für ihn und mich zu riskieren?“, fragte ich nach.
Ich musste seine Motive kennen. Schließlich verlangte ich sehr viel
von ihm und seiner Familie. Sie riskierten nichts Geringeres als
ihr Leben für uns.
„Weil ich glaube, dass es richtig ist. In gewisser
Weise tue ich es für Serena und für meinen alten Freund. Ich möchte
nicht, dass ein Mann wie Farkas das Leben seines Sohnes zerstört.
Das wird nicht passieren, nicht solange ich noch lebe!“
Ich nahm seine Versprechungen sehr ernst. Valentin
klang so aufrichtig, dass ich mich gleich zuversichtlicher
fühlte.
An diesem Abend sagte er nichts weiter. Istvan kam
bald darauf und brachte mich nach Hause.
Als der Wagen vor meinem Haus hielt, erkannte ich
es kaum. Ich war nicht lange weg gewesen und doch kam mir alles so
anders vor.
Ich bat Istvan hinein, doch er zögerte. Wollte er
nach alle-dem wirklich nicht bei mir übernachten? Ich würde mich
zusammenreißen. Schließlich wusste ich, dass es noch nicht
ausgestanden war. Ich hatte selbst gesehen, dass ihn dieser innere
Dämon noch immer quälte. Er überlegte kurz, dann kam er mir doch
nach.
Im Inneren des Hauses war es zappenduster. Ich
fühlte sofort die Müdigkeit und die Schlaffheit meines Körpers, als
ich durch die Tür kam.
„Ich muss unbedingt ein Bad nehmen und mir neue
Sachen anziehen. Mach du dir doch schon dein Bett auf der Couch
zurecht!“, bot ich ihm an und konnte ihn auf die Art wissen
-lassen, dass ich die notwendigen Grenzen kannte, die es zu ziehen
galt.
Istvan nickte.
Nachdem ich gebadet und mir die Schlafsachen
übergestreift hatte, sah ich nach ihm. Er lag bereits ausgestreckt
auf dem Sofa und war in Tiefschlaf gefallen. Ich lächelte
zufrieden, weil er sich endlich etwas Schlaf gönnte, und ging
selbst in mein Zimmer. Die Tür ließ ich offen, damit er im Schlaf
meinen Puls hören konnte, weil es ihn beruhigte. „Wie ein Meeresr-auschen“, hatte er mir einmal dazu
gesagt. Dann schlief ich selbst ein, sofort nachdem mein Kopf auf
das Kissen gefallen war. Die letzten Gedanken drehten sich um
unwichtige Dinge, wie meinen ersten Arbeitstag, Erledigungen und
Anrufe, die ich machen musste. Da waren meine Familie, Carla und
der schwierigste Anruf von allen, Malz. Ich musste ihm schließlich
eine möglichst freundliche Absage erteilen, ohne dass es Istvan
mitbekam. Noch bevor ich mich darüber wirklich sorgen konnte, war
ich eingeschlafen.