DICK IST DAS NEUE DÜNN
Mein Name ist Sabine, und ich bin dick. Ich habe Diäten gemacht, seit ich 13 Jahre alt war. Ich habe in dieser Zeit mehrmals mein eigenes Gewicht abgehungert. Und es doppelt zurückbekommen. Nach der Recherche zu diesem Buch ist mir eines klar: Ich werde nie wieder in meinem Leben eine Diät machen. Ich schwöre.
Und: Ich werde mich nie wieder dafür entschuldigen, dass ich dick bin, oder dass ich eigentlich ganz anders bin, oder dass ich gerade Stress habe, oder dass eine dünne Frau in mir wohnt, oder dass ich gleich morgen mit einer Diät anfangen werde, oder, oder... Mal sehen, ob Sie nach der Lektüre dieses Buches zu einem ähnlichen Entschluss kommen.
Ich werde mich im Essen nicht mehr zügeln und keine Kalorien mehr zählen. Ich werde keinen Salat essen, wenn ich keine Lust auf Salat habe, und ich werde Schokolade essen, wenn ich Schokohunger habe. Ich habe in diesem Jahr gelernt: Es geht nicht um Diät. Essen ist nicht unser Feind. Unser Körper ist nicht unser Feind. Es geht um etwas ganz anderes. Es geht darum, uns neu lieben zu lernen. So wie wir sind. Einzigartig und nicht artig. Mit einem Körper, der okay ist, so wie er ist.
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Ich habe zwei Wochen Diät gemacht, und was ich verloren habe, sind vierzehn Tage!
TOTIE FIELDS
 
Um von diesem Buch zu profitieren, müssen Sie übrigens gar nicht übergewichtig sein. Vielleicht haben Sie ein gestörtes Verhältnis zum Essen, das man Ihnen gar nicht ansieht. Zum Beispiel als gezügelte Esserin, die einen großen Teil Ihrer Energie in ausgeklügelte Speisepläne investiert, um dem Dämon Essen nicht zu verfallen. Oder Sie gehören zu den Fitnessfreaks, die alles erbarmungslos wieder abstrampeln, was Sie sich angefuttert haben. Auch für Sie ist dieses Buch, das Freiheit von Kontrollzwängen geben soll.
Und: Auch Frauen, die von Natur aus dünn sind, sollen bitte dieses Buch lesen und weiterempfehlen. Vielleicht bekommen Sie überraschende Erkenntnisse und verstehen ihre dicke Freundin/Schwester/Kollegin besser, die doch »eigentlich« eine patente Frau ist und »nur das mit dem Gewicht nicht hinkriegt«. Übrigens, Schwestern der Fülle: Die Diskriminierung von dünnen Frauen macht uns Dicke auch nicht glücklicher. Sprechen Sie mir nach: »Nicht jede Frau, die dünner ist als ich, ist anorektisch.«
Auch Männer, die sich herantrauen, können einen Nutzen aus dem Lesen dieses Buches ziehen, egal ob selber übergewichtig oder als Partner einer »molligen« Frau. Ich schreibe zwar gezielt für dicke Frauen, weil ich deren (Gefühls)-Welt am besten kenne. Doch die Erkenntnisse hängen weder am Gewicht noch am Geschlecht. Und vielleicht fallen in Zukunft ein paar zynische Bemerkungen weniger über dicke Frauen, dann hätte sich das Buch schon gelohnt.
Eine Bemerkung zum Thema Essstörungen. Dieses Buch handelt von Frauen, die (gerne) viel und vielleicht einseitig essen und sich deshalb (manchmal) unglücklich fühlen. Im Fall von gefährlichen Essstörungen wie Magersucht, Bulimie, Binge-Eating, extremem Übergewicht und ähnlichem braucht es mehr als ein Buch (auch wenn ich hoffe, dass Sie hier manche Anregungen zum Nachdenken finden). Frauen, die unter massiven Essstörungen leiden, sollten sich professionelle Hilfe suchen. Adressen finden sie auf der Internet-Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (www.bzga-essstoerungen.de).

Ich bin dick, glücklich und erfolgreich!

Es geht um das Vorurteil, dass dicke Frauen faul, undiszipliniert und labil seien. Was für ein Blödsinn! Ich brauche nur mein eigenes, ziemlich erfülltes Leben anschauen, in dem ich es tausend Mal bewiesen habe:
› Ich war 25 Jahre lang eine erfolgreiche Journalistin, meine Leserinnen haben mich geschätzt, manche geliebt. Ich habe zehn Jahre lang in Redaktionen von Frauenzeitschriften gearbeitet, neun Jahre in einer, die Gott sei Dank nie eine Diät im Heft hatte - der Cosmopolitan.
› Ich habe 1999 den Mut gehabt, mich selbstständig zu machen. Ich bin Management-Trainerin und Coach geworden. Ich widerspreche allen gängigen Vorstellungen einer erfolgreichen Geschäftsfrau; wenn man den Fitnessgurus glaubt, überhaupt dem Bild eines erfolgreichen Menschen. Aber ich bin erfolgreich. Auch ohne Triathlon.
› Ich halte Reden auf großen Bühnen, vor großem Publikum, oft sind es 1000 und mehr Zuhörer, und manchmal bis zu vier Stunden lang - und das in Größe 52. Es gibt übrigens inzwischen auch in dieser Größe wunderbare Auftrittsjacken!
› Ich coache Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik. Ja, die schätzen mich trotz Übergewicht, auch wenn das Thema »schlanke Strukturen« heißt. Ich kann Strategien entwickeln und weiß, wie man Veränderungen herbeiführt. Daran kann es nicht liegen, dass ich nicht dauerhaft abgenommen habe. (Ich glaube auch nicht, dass Kalorien die kleinen Männchen sind, die im Kleiderschrank wohnen und nachts die Kleider enger nähen.)
› Ich habe zwischen 120 und 150 Auftritte im Jahr, Vorträge, Moderationen, Seminare. Und ich war jedes Mal pünktlich, ausgeschlafen, gut vorbereitet und begeisternd. Es kann also auch nicht sein, dass ich undiszipliniert bin, wie Dicken gern nachgesagt wird.
› Ich bin ein beliebter (nein, liebe Finger auf der Tastatur, nicht beleibter) Gast in Fernseh-Talkshows, weil ich Stimmung, gute Laune und Lebendigkeit in die Sendung bringe. Aber ehrlich, im Fernsehen sieht man dicker aus,als man in Wirklichkeit ist!
› Ich bin Deutschlands erster Certified Speaking Professional, eine Auszeichnung des Internationalen Rednerverbands Global Speakers Federation, nur rund 600 Redner weltweit haben sich diese Zertifizierung erarbeitet. In der Zertifizierung haben meine Kunden mich grandios bewertet. Nein, nicht aus Mitleid, sondern weil ich et was bewege. Ach ja, Dicke sind träge?
› Ich verdiene richtig gutes Geld und weiß, dass auch eine Kaviardiät mich nicht glücklich machen würde. Das von wegen »Fettsucht als Unterschicht-Problem«! Ich glaube inzwischen: Reiche Zu-viel-Esser können ihre Angewohnheit nur besser tarnen - mithilfe von Super-Steppern im Keller und Personal Trainern, die sie dreimal in der Woche um die Alster/durch den Englischen Garten/ den Tiergarten/den Central Park, am Rhein/East River/ Neckar entlang treiben. Einer Studie habe ich entnommen, dass unter Frauen in Führungspositionen mehr Untergewichtige (7,5 Prozent) als Adipöse (4,7 Prozent) zu finden sind. Aber darüber macht sich niemand Sorgen (genauso wenig wie über Arbeitssucht).
› Ich habe 23 Bücher geschrieben, darunter manche Bestseller und Longseller mit einer Gesamtauflage von schätzungsweise einer halben Million, und weiß jetzt, dass die Zeit am Schreibtisch wertvoller für mich war als drei Abende Workout im Fitnessstudio. Die Frage ist doch: Was erfreut meine Seele? Was erscheint mir als sinnvoll?
 
Mein liebster Leserbrief kam vor drei Jahren aus der Mongolei. Da schrieb eine Frau, sie hätte als Studentin in Korea mein Buch »Eigenlob stimmt« in Koreanisch gelesen. Ob sie es auf Mongolisch übersetzen dürfe, »wir mongolischen Frauen brauchen es!«.
› Und last but not least, wie die Deutschen zu sagen pflegen: Ich habe gerade vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekommen - für mein »engagiertes Wirken«.
 
Soll ich Ihnen ehrlich etwas verraten? Diese Aufzählung ist auch für mich. Ich brauche sie immer wieder einmal, um mich vom Druck des Dünn-sein-Müssens zu retten. Ich habe eigentlich schon lange gewusst, dass das Gewicht kein Maßstab für Glück ist. Aber ich habe mich immer wieder verunsichern lassen. Von SPIEGEL-Titelstorys wie von meinem eigenen Spiegelbild. Von den faszinierenden Geschichten von Frauen, die 25 Kilo im Schlaf abgenommen haben, bis zu dem Wunsch, Stiefel über meine strammen Waden zu bekommen. Von der Scham, beim Arzt ein gelbgemarkertes »adipös« in meine Karteikarte gedrückt zu bekommen.
Ich bin fett, nach Beschreibung des Body Mass Index (BMI), aber ich bin nicht dumm und auch nicht faul. Und ich verbitte mir, dass mir - wie allen Übergewichtigen - nicht nur der Zusammenbruch des Gesundheitssystems, sondern gleich auch noch die Schuld am Klimawandel in die Schuhe geschoben wird (das glauben Sie nicht? Na dann lesen Sie mal Seite 91).

Nie wieder fürs Gewicht entschuldigen

Ich höre jetzt schon Kritikerinnen schreiben: Ach, die dicke Autorin will sich mit dem Buch nur dafür entschuldigen, dass sie es nicht schafft, abzunehmen. Soll ich Ihnen etwas verraten: Das brauche ich gar nicht, denn ich fühle mich nicht schuldig. Es geht nicht um Schuld oder Entschuldigen. Überhaupt werde ich mit dem Kainswort »Schuld« aufräumen. Es geht nicht darum, dass wir Dicken uns das Leben noch schwerer machen, sondern leichter bitteschön.
 
Ich muss mich nicht fürs Dicksein entschuldigen
- ich fühle mich nämlich gar nicht schuldig!
 
Ich habe für dieses Buch Dutzende anderer Bücher ausgewertet, über Diäten, über die Diätlüge, über Bewegung und Selbstbestimmung, weibliche Macht und Mythen. Die deutschen Bücher zum Thema Übergewicht waren meist sehr gut wissenschaftlich belegt und haben mich aufgerüttelt, wie das wichtige Buch »Dick, doof und arm?« des Soziologen Friedrich Schorb.2 Er ist den Lügen des Schlankheitswahns auf den Grund gegangen und demaskiert sie als Volksverdummung und Geschäftemacherei. Ich habe beim Lesen eine solche Wut auf die Pharma- und Diätindustrie entwickelt, die von dicken, unglücklichen Frauen (und immer mehr Männern) profitieren - durch öffentliche Wiege-Veranstaltungen über gefährliche Abnehmpillen bis Joghurt gegen Blähbauch. Und ich habe irgendwann ganz nüchtern erkannt: So funktioniert Wirtschaft. Wo ein Markt ist, will verdient werden. Basta.
Das heißt für jede einzelne Frau: ihren eigenen Umgang mit ihrem Gewicht zu finden, sich auszusöhnen mit ihrem unvollkommenen Körper und Lebensfreude zurückgewinnen. »Ich bin ein unvollkommener Mensch in einer unvollkommenen Welt!« Dieser Satz hat mir sehr geholfen. Und er stimmt sogar.
Ich bin ein unvollkommener Mensch in einer unvollkommenen Welt!
Schorbs zweites Buch »Der Kreuzzug gegen Fette«3 hat mich wachgerüttelt, was die gesellschaftliche Entwicklung zur Schlankheitsnorm und -kontrolle angeht. Eine These aus diesem wissenschaftlichen Buch: Wenn alle Menschen sich nur noch um ihr Gewicht und ihre Fitness kümmern, haben sie keine Zeit mehr, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Statt in die Bürgerinitiative gehen sie ins Fitnessstudio. Ihre Gesundheit ist der Bauchnabel der Welt, alles andere tritt dahinter zurück. Wir erleben dadurch eine Entpolitisierung der Menschen. Die Frage ist: Wer profitiert davon?
In meinem Überschwang nach der Lektüre habe ich leider gleich eine Bekannte beleidigt: Sie hat stolz erzählt, dass sie vier Mal in der Woche nach der Arbeit zwei Stunden ins Fitnessstudio geht, um hart zu trainieren, und wollte mir Gleiches empfehlen. »Asozial« habe ich das genannt. Ich entschuldige mich bei ihr für den wirklich uncharmanten Ausdruck. Ich werde aber gern später erklären, was ich mit a-sozial gemeint habe.
Die »Lizenz zum Essen« des Mediziners Gunter Frank4 war herrlich bestätigend und forderte beim Lesen zum ständigen Kopfnicken heraus. Viele Erkenntnisse, die so banal klingen und so erleichternd sind: Es gibt den hageren Typ und den molligen. So ist es! Manchen Menschen bekommen gekochte Speisen besser als die lautstark propagierte Rohkost. Auch hier konnte ich nur tüchtig nicken. Und der erfahrene Arzt stellt fest: Stress und Druck machen Menschen dick! Am besten war übrigens der angebissene Schaumkuss auf dem Titel - ja, der Mensch versteht mich! Dieses Buch empfehle ich allen meinen Leserinnen! (Leider kann ich nicht alles zitieren).
 
Ich finde die Idee erschreckend, dass der eigene Körper etwas ist, an dem man immer arbeiten muss!
SUSIE ORBACH, PSYCHOTHERAPEUTIN
 
Und dann habe ich wieder einmal die »Bibel« meiner wilden dreißiger Jahre nachgelesen, Susi Orbachs »Anti-Diät-Buch« von 1978. Was mir damals die Macheten der Kämpferin in die Hand gegeben hat, erschien mir bei erneutem Nachlesen allerdings mit dem feministisch-psychoanalytischen Ansatz erstaunlich larmoyant und trotz des sicher belegten Hintergrunds gesellschaftlicher Repression gegen Frauen irgendwie »gestrig«. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat Susie Orbach vor kurzem selbst konstatiert: »Der Feminismus hat verloren. Heute geht es nur noch darum, Superwoman zu werden...«5
Was sehr spannend in diesem aktuellen Interview war: Die Londoner Psychoanalytikerin erzählt, wie sie die Kosmetiklinie »Dove« beraten hat, eine ganz andere Anzeigenkampagne zu starten, mit normalen Frauen mit normalen Figuren. Sie sagt dazu: »Besser Erfolg für wahrhafte Schönheit als wie bisher Körperhass in die Welt zu exportieren.«
Auf halbem Weg der Recherche war ich in Gefahr, das Thema zu »überpsychologisieren«. Es ging plötzlich nur noch um Schuld und Mutterhass, das Patriarchat als solches, den Wunsch nach Autonomie und Fett als »das unausgesprochene Nein des Körpers«. Stimmt von allem etwas, verleitet aber zu tiefem Selbstmitleid und dem Gefühl: Ich kann ja nichts dafür. Wenn meine Eltern mich anders erzogen hätten... (Dass Erziehung eine Rolle spielt, darauf können Sie getrost eine Latte-Macchiato-mit-Extra-Caramel-Fudge-Sirup-Schlagsahne-und-Schokostreusel schlürfen). Die Frage ist jedoch: Wie gehe ich heute, mit meinen 26, 36, 46 oder 56 Jahren damit um? Um diese Antwort habe ich mich bemüht.
 
Ich bin fest davon überzeugt, dass Kurven natürlich sind und weiblich und echt.
KATE WINSLET
 
Eines der Bücher, das mich bei den Schlussfolgerungen meiner Recherche sehr bestätigt hat: »When You Eat at the Refrigerator, Pull up a Chair«6 der amerikanischen BestsellerAutorin Geneen Roth. Roth ist eine Anti-Diät-Kämpferin, die mit Zehntausenden von amerikanischen Frauen gearbeitet hat, die glaubten, Dünnsein stehe für kraftvoll, grandios und glücklich. Mein Lieblingssatz in diesem Buch heißt: »Auch dünne Menschen haben Cellulite, werden alt und sterben irgendwann.« Geneen Roth hat mich direkt gepackt bei meinen Gewohnheiten, bei meinen Vorlieben und Ängsten, im täglichen Tun. Dieser praktische Ansatz hat mir gefallen. Warum Sie sich einen Stuhl vor den Kühlschrank stellen sollten, erzähle ich Ihnen später.
Das absolute Superbuch zum Thema ist »Fat!So?« der Anti-Dicken-Diskriminierungs-Aktivistin Marilyn Wann.7 »Fatso« ist das klassische Schimpfwort für dicke Kinder in den USA, ähnlich dem Wort »Fettsack«, mit dem deutsche dicke Kinder beleidigt werden. Marilyn Wanns Motto heißt: »Because you don’t have to apologize for your size!« Ja, das ist es: »Weil du dich nicht für dein Gewicht entschuldigen musst.« Ein großer Satz, eine wunderbare Erkenntnis. Ich finde: die Revolution! Sie werden mehr davon bekommen.
Ein Praxisbuch für Schönsein ohne Diät ist von der Engländerin Mimi Spencer: »101 Things to do before you Diet«.8 In diesem Ratgeber, in dem man das eine oder andere Kapitel durchaus für oberflächlich ansehen kann, stehen ganz ohne große Aufregung Ausdrücke, die mich umgehauen haben, wie »the dictatorship of thin«. Ja, es gibt eine Diktatur des Dünnseins, und ich möchte Ihnen Handwerkszeug zur Verfügung stellen, wie Sie die Unterdrückungsmechanismen dieser Diktatur aushebeln.
 
Eines der Geheimnisse eines erfolgreichen Lebens ist, zu essen, was du magst!
MARK TWAIN
 
Ich habe monatelang alle Google-Alert-Meldungen zu den Themen »Übergewicht«, »Abnehmen« und »Dicke Frauen« aus dem Internet gesammelt (bei Letzerem war übrigens neben interessanten Berichten über die schrille amerikanische Sängerin in XXL Beth Ditto und der Berliner Komikerin Cindy aus Marzahn ziemlich viel Schweinkram dabei). Unglaublich, wie viele wissenschaftliche Studien täglich veröffentlicht werden, die das Horrorbild des dicken Todes zeigen, Fettleber, Krebs, Siechtum... Anfangs blitzte noch jedes Mal bei einer superaktuellen Studie der Gedanke auf: Ah ja, so ist das. Bis der Gegenbeweis vom nächsten Experten kam. Mein Interesse galt bald weniger der Frage, an welcher Uni wurde die Studie erstellt, sondern: Welche Pharmafirma, welches Unternehmen aus der Diätindustrie hat sie in Auftrag gegeben?
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Sehr bestärkt in meiner Skepsis hat mich der Ernährungsexperte Udo Pollmer, den ich einmal in einer Talkshow kennengelernt habe und der mich sehr überzeugt hat. Er enttarnt in seinem Buch »Esst endlich normal«9 eine Krebsstudie, die »Cancer Prevention Study II«, mit der Dicken Angst vor der Kresbgefahr gemacht wird. Eine Aussage der Studie ist, dass Dicke ein erhöhtes Krebsrisiko haben. Pollmer: »Die Daten zeigen ein völlig anderes Bild: Übergewichtige mit einem BMI zwischen 25 und 30 haben ein geringeres (!) Krebsrisiko als die Leichtgewichte in der Kategorie 18,5 bis 25. Erst ab BMI 30 stieg die Sterblichkeit ein kleines bisschen an.« So wird mit Studien Politik gemacht!

Der Hungerhaken-Trend wandelt sich

In den Hunderten von Zeitungsberichten zum Thema Dicksein, die ich in den letzten zwölf Monaten gesammelt habe, habe ich aber einen erfreulichen Trend ausgemacht: Viele Menschen (sogar Journalist/innen) haben offensichtlich die Nase voll von den dürren Models und Size-Zero-Promis, die in Kinderkleidchen und High Heels herumspazieren und jedem erzählen, dass das Geheimnis ihrer Figur »viel Wasser trinken« sei. Dazu später mehr.
Apropos dick: Wenn ein Modezar, der selbst jahrelang wie eine Presswurst in einen schwarzen Gehrock eingenäht war und erst durch eine Diät-Cola-Diät erleichtert und erleuchtet wurde, öffentlich die »dicken Muttis« geißelt, die »Chips fressend vorm Fernseher auf der Couch sitzen und dünne Models doof finden«, dann muss man das natürlich nicht ernst nehmen.
Ich habe solche »dicken Muttis«, lauter erfolgreiche dicke Frauen (und solche, die einmal dicker waren) zu einer Rubens-Night eingeladen. Bei gutem Essen und Trinken hat jede Frau ihre Erfahrungen mit dem Dicksein erzählt. Was auffällig war - die Geschichten waren sehr unterschiedlich. Es gab nicht die Dicken-Saga. Eine wichtige Erkenntnis! Die einzelnen Geschichten der Rubens-Frauen finden Sie in diesem Buch. Euch Frauen vielen Dank dafür.
 
Wir sollten essen, wenn wir hungrig sind.
Und aufhören, wenn wir satt sind!
Und wir sollten das Essen lieben,
statt Angst zu haben!10
SUSIE ORBACH
 
Expertinnen haben mich an ihrem Wissen teilhaben und sich interviewen lassen: Psychologinnen und Kinesiologinnen zum Thema Schuldgefühl, Sexualtherapeutinnen zum Thema Körpergefühl, Leiterinnen von Selbsthilfegruppen zum Thema Gruppengefühl, Anti-Diät-Aktivistinnen zum Thema Machtgefühl, Ernährungsberaterinnen zum Thema Völlegefühl. Ich verdanke diesen Frauen viele interessante Ansätze und Ideen. Auch ihnen vielen Dank für ihre Bereitschaft, mich an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen.
Ich werde in diesem Buch aufzeigen,
› warum und wodurch Frauen dick werden (Sie werden sich wundern),
› warum Diäten fett machen und wer davon profitiert,
› warum Dicksein keine Entschuldigung ist, unglücklich zu sein,
› warum fit wichtiger als fett ist,
› was Disziplin mit Übergewicht zu tun hat (oder nicht),
› wann dick zu dick ist,
› warum Dicke essen sollten, was sie wollen,
› warum die »Warum ich«-Frage nicht immer was bringt,
› warum Dicke oft nicht über-, sondern unterernährt sind,
› wie Dicke aus der Verteidigungsposition herauskommen,
› warum Erfolg und Liebe nichts mit Dicksein zu tun haben,
› wie schwere Frauen sich das Leben leichter machen können,
› warum Sich-Liebhaben mehr bringt als Sich-Quälen,
› welche Rolle Gewohnheiten spielen,
› warum Sie immer eine Tafel Schokolade bei sich tragen sollten,
› warum Zeit eine Maßeinheit für ein leichtes Leben ist,
› warum Ihnen niemand sagen kann, was richtig ist. Und dass Sie es für sich selbst herausfinden können.
Stichwort Selbstverantwortung: In einem Seminar beklagte sich eine Frau bei mir: »Frau Asgodom, ich muss gar nichts essen, ich werde schon vom Hingucken dick.« Ich antwortete ihr: »Das glaube ich Ihnen nicht. Wenn ich etwas sehe, dann esse ich es auch.« Und mehr als das. Ich esse nicht nur, was ich sehe, sondern auch das, was ich höre.
Ist Ihnen das nicht auch schon aufgefallen: Manche Speisen können reden. Sahneteilchen und andere leckere Happen flüstern mir zu: »Iss mich!« Wie könnte ich da widerstehen und sage zärtlich: »Komm her, du kleines Sahneteil. Sollst auch nicht allein sein.« Für mehr Selbstbewusstsein in Sachen Essen und Dicksein gehört für mich, ehrlich hinzuschauen. Zu dem zu stehen, was wir tun. Ja, die meisten von uns essen mehr als sie verbrauchen. Und das macht dick. Warum das so ist, dafür gibt es viele Gründe. Auch denen gehe ich in diesem Buch auf den Grund.
Ich möchte den Spaß am Essen (wieder) wecken und die Klugheit des eigenen Körpers. Denn »eigentlich« wissen wir, was uns guttut. Und das heißt: Schluss mit Diäten, und die freigewordene Energie da ansetzen, wo wir unser Leben fröhlicher, glücklicher und erfüllter machen können. Deshalb bekommen Sie am Ende des Buches die zwölf Grundlagen für »Gelassen Essen«.
Ein Gedanke noch zu dem Wort »Hüftgold«. Ich hasse dünne Frauen, die vor einem leckeren Buffet stehen und laut mit angeekelter Stimme die Kalorienzahl aller Speisen herunterbeten. Oder die Augen verdrehen und »Alles Hüftgold« stöhnen.
»Seien Sie still!«, bitte ich dann schon mal solche Frauen. »Sie brauchen nichts davon essen, gehen Sie einfach weg und lassen Sie uns, die Lust auf dieses Essen haben, genießen.«
Dick wird das neue Dünn!
Ich bin sicher: Dick wird das neue Dünn (so wie es in Modeberichten heißt: Grau ist das neue Schwarz), sprich: Wir werden unsere erfreuten Augen wieder Frauen zuwenden, die nicht aussehen wie magersüchtige Knaben (sorry, Modemacher, auch wenn eure Mode, wie ihr sagt, »nicht wirklich toll aussieht an Frauen mit Hüften«).
Als Stil-Ikonen der neuen Zeit wurden Anfang 2010 in allen Zeitungen Frauen wie die dicke 26-jährige schwarze Schauspielerin Gabourey Sidibe (»Precious«), die dicke Punk-Sängerin Beth Ditto von der Band »The Gossip« und das Large-Size-Model Chrystal Renn (Größe 42-44) gefeiert. Beth Ditto wurde sogar von Karl Lagerfeld (»Ich habe heute das gleiche Gewicht wie als 18-, 20-Jähriger«) zu seinen Modeschauen eingeladen. Rocky Horror Monster Show?
Als »Rückkehr der echten Frauen« bezeichnet meine geschätzte Autoren-Kollegin Constanze Kleis im Frauen-Magazin »Myself« Promifrauen wie Michele Obama, Barbara Schöneberger oder Kate Winslet. Sie prognostiziert, dass »Kilos und Köpfchen« auf dem Vormarsch seien. Und an den muskulösen Oberarmen ihrer Präsidentengattin erfreut sich ein ganzes Volk. Denn mit solchen Armen kann man »anpacken«. Und das tut Michele Obama auch.
Kommen Sie auch ins Nachdenken über »Dick ist das neue Dünn«? Geht’s Ihnen vielleicht auch wie mir: »Wie bitte, wenn schon Kate Winslet als dick bezeichnet wird, was bin dann ich?!« Lassen Sie mich Ihnen erläutern, wie ich dieses »Dick« verstehe. Das, was heute als dick oder übergewichtig bezeichnet wird, sind ganz normale Frauen mit einem weiblichen Körper. Mit Hüften und Busen und Bauch. Mit Oberarmen, die etwas tragen können, und Beinen, die fest im Leben stehen. Mit einem Hintern, auf dem Frauen ihren Platz im Leben besetzen. Und denen es egal ist, welche Größe sie tragen. Frauen, die sich und ihren Körper mögen, ihn pflegen und für ihre Gesundheit sorgen. Rubensfrauen nennt man solche Frauen, nach dem Maler, der gern üppige Grazien gemalt hat, »rubenesk« ihre Figur. Wenn das alles als dick gilt, dann möchte ich gerne in diesem Trend sein.
Sie glauben nicht, dass sich der Blickwinkel auf Dick und Dünn ändern kann? Zumindest in der Mode ist alles möglich. Erinnern Sie sich an den High-Heels-Hype? Alle Frauen sollten nur noch auf mindestens 19 Zentimeter hohen Absätzen rumturnen.
Und plötzlich titeln Zeitungen »Einfach mal wieder runterkommen!«. »Creepers« werden plötzlich en vogue - bequeme Laufschuhe. Und Ballerinas erobern sich die Straßen zurück. Flacher geht’s nicht. Ganz abgesehen von den ewig jungen Flipflops. Moden ändern sich - Mini, Midi, Maxi; schwarz, braun, lila, grau, gelb, bunt; Schulterpolster - keine Schulterpolster... In der Mode ist alles möglich. Wenn Frauen sogar den Trend zur drogengesichtigen Dürrheit mitmachen - warum nicht auch den Trend zum gesunden Dicksein?
Und wie wäre es, wenn Frauen einfach für sich bestimmen würden, wie sie aussehen wollen und was sie tragen? Klingt gut.
Damit unser Leben Leichtigkeit gewinnt!