Four
Noch vor dem Frühstück mit dem unvermeidlichen Beatles-Medley erreichte ich am nächsten Tag die beiden anderen Vermieter. Ein Zimmer war leider schon vergeben, das andere noch frei, und die Frau am Telefon klang sehr sympathisch und so tüchtig wie Sabine. Die dazugehörige Beschreibung war fast zu schön, um wahr zu sein.
Double room in →recently →renovated house in Camden.
£150 per week, plus →council tax and bills.
Ground floor: living/dining/kitchen area, guest toilet. Washing machine and →dryer.
First floor: 3 bedrooms, shared bathroom with shower.
Room for rent fully furnished with →wardrobe, →chest of drawers, 2 small tables and a comfortable bed.
No parking available.
Flatmate’s comment: “You will be sharing with an →easy-going 30-year-old →psychologist and a 26-year-old →journalist. We are looking for a flatmate with a good →sense of humour, to sharethe →occasional meal, glass of wine or shopping trip. Our →motto: Let sleeping men lie.”
Auf der U-Bahn-Fahrt nach Camden dämpfte ich vorsichtshalber meinen Optimismus. Was genau war mit diesem seltsamen Motto gemeint? Schlafende Männer ... schlafende Hunde. Männer, die bellen, beißen nicht. Den letzten beißen die Männer. Nein, da endete der Vergleich irgendwie.
Das Haus gefiel mir von außen, und die Gegend war so lebhaft, wie ich es mag. Alles fühlte sich irgendwie richtig an, und Cathy Truman war weit weg und konnte mir hier nichts kaputt machen.
An der Wohnungstür erwartete mich eine hochgewachsene Frau mit schulterlangen, roten Locken und Nickelbrille. “I’m Doreen. Come in.”
Hinter ihr erschien eine dralle Brünette mit langem Zopf, deren grüne Augen Wärme ausstrahlten. “And I’m Jill.”
Ich wurde ins Wohnzimmer geführt, superschick und doch gemütlich, genau mein Stil.
“Beautiful.” Ich versank in einem üppigen, weißen Ledersofa und ließ mich mit Tee abfüllen.
Doreen, die mir gegenüber saß, setzte ihre Brille ab. “My →reading glasses”, erklärte sie und musterte mich unverhohlen. “Tell me about your work.”
“I’m a translator, but I →haven’t found a job yet. If I can’t find one, I’ll have to move back to Germany in three months. Until then, I can live on my →savings.”
“It’s not easy to find a job as a translator.”
“I know, but I’→m determined.”
Doreen wirkte noch nicht sehr überzeugt und ich lenkte vom Thema ab. “What’s that motto of yours about? ‘Let sleeping men lie.’”
Doreen konterte mit einer Gegenfrage. “→Have you ever →tried to wake a guy up in the middle of the night and asked: ‘→Darling, can we talk?’ He’ll tell you →in no uncertain terms that you’re crazy and that he’s tired and don’t you know what time it is. Wake up →the same man in the middle of the night and ask: ‘Darling, can we make love?’ He’ll →agree, although making love →requires a lot more →energy than talking. I’m writing a →thesis on male →stereotypes. I just need some real-lifestories to →illustrate some of the →points.”
Doreen erforschte also Männer. Sehr interessant. Vielleicht, so dachte ich mir, würde ich in dieser Wohngemeinschaft die Antworten auf einige der großen Fragen meines Lebens bekommen. Vielleicht würde ich lernen, die Männer zu verstehen. Nicht auszudenken.
“I could tell you my story, if you like.” Und dann brach der ganze Kummer aus mir heraus.
Meine große Liebe zu Peter entflammte als ich ihn das erste Mal traf. Was für ein Mann! Augen, Mund, Hände – alles zu schön, um echt zu sein. Und dann diese Ausstrahlung, die sanfte, volle Stimme! Ich wusste, ich würde mit ihm bis ans Ende der Welt gehen.
“Peter is a →real →hunk”, beschrieb ich ihn und seufzte dabei aus tiefstem Herzen. “And →he’s got class, and a →voice like velvet.”
Als er mich das zweite Mal in ein Luxusrestaurant führte, hatten wir Cathy getroffen, die gerade einen potenziellen Kunden mit einem fünfgängigen Menü gefügig machte. Ich stellte die beiden einander vor. “I was so →blind”, gestand ich Doreen. “→In retrospect I →realize there was something happening betweenthem then and there. The air was full of electricity. Stupid me, I →thought it was because of the →butterflies in my tummy.”
Innerhalb weniger Tage war ich so berauscht vor Liebe, dass ich allen Ernstes beschloss, mit Peter ein neues Leben in Alaska anzufangen.
Auf meiner Abschiedsparty beneideten mich alle glühend oder behaupteten es zumindest. Sabine wich nicht von meiner Seite und ertränkte mich in guten Ratschlägen.
Eigentlich hätte Peter an meiner Seite sein sollen, aber nach dem vierten Glas Rotwein hatte ich ihn aus den Augen verloren.
“Alaska!”, rief meine Tante Marion und setzte sich neben mich. “Das muss man sich mal vorstellen. Ich bin mit meinem Horst nie weiter gekommen als bis Malle.”
“Danke”, antwortete ich knapp, weil das meiner Zunge nicht allzu viel Akrobatik abverlangte.
Das Wort Alaska hatte ich inzwischen so oft gehört, dass es allmählich seine Bedeutung verlor. Wenn man ein Wort wieder und wieder sagt, wird der Klang völlig abstrakt, sogar absurd. Das funktioniert mit allen Wörtern, von Hose bis Heckenschere. Mit Alaska geht es besonders gut. A-las-ka. Ahaha-lahahas-kahaha. Wie unglaublich bescheuert. Ich kicherte.
“Du bist ja total beschwipst vor Glück”, stellte meine Tante fest.
“Danke.”
“Tja.” Sie stand auf und ging.
Ich wiederholte in Gedanken das Wort Tja, bis Cha-cha-cha draus wurde. Hinreißend komisch.
Aber wo war Peter? Ich wollte mit ihm zusammen lachen. Ich ließ meinen Blick über die Tische schweifen. Dabei wurde mir schwindelig. Ich war also reif fürs Bett.
Ich zog meine roten Pumps aus, drapierte sie um das Weinglas und erhob mich. Der Raum schwanke nach links. Ich hielt den Kopf schief, schon stimmte es wieder. Zum Glück war mein Tisch gleich neben dem Durchgang zum Foyer. Treppe oder Lift? Moment, erst noch den Schlüssel.
An der Rezeption sagte ich freundlich: “Alaska.”
“Bitte?”
“Danke.”
“Also, was kann ich für Sie tun?”
Warum war diese Frau so schwer von Begriff? Ich wollte doch nur meinen Zimmerschlüssel, eins von diesen Kärtchen mit Magnetstreifen. Auf dem Zettel, den wir dazu bekommen hatten, stand: “Führen Sie die Karte bis zum Anschlag in den Schlitz und warten Sie, bis die grüne LED blinkt”. Hätte von mir sein können.
“Ihr Kärtchen haben Sie doch noch, oder?”
Da dämmerte mir, dass ich das Teil ja in meiner Handtasche hatte.
“Soll Sie jemand nach oben begleiten?”
Was für ein freundliches Angebot.
Ich deutete auf den rassigen Kellner, der gerade mit einem Tablett voller Sektgläser vorbeikam.
Die Dame an der Rezeption schüttelte freundlich den Kopf. “Ich glaube, Sie sollten nichts mehr trinken.”
Irgendwie hatte ich den Faden unserer Unterhaltung verloren.
Ich tapste zum Lift, der mich ins vierte Stockwerk trug. Meine Füße beförderten mich dankenswerterweise bis vor die Tür der Suite. Von drinnen hörte ich leises Quieken.
Wer kam auf die bescheuerte Idee, einem zum Abschied ein Schwein zu schenken? Brauchte man in Alaska Schweine? Oder stand ich vor der falschen Tür? Ich führte die Magnetkarte ein. Die rote LED erlosch, die grüne leuchtete auf. Faszinierend. Das Quieken wurde lauter.
Die Tür schwang auf. Ich schlich auf Zehenspitzen durch den Wohnraum zum Durchgang ins Schlafzimmer mit angrenzendem Marmorbad. Hoffentlich machte das Schwein hier keine Sauerei, denn ich wollte jetzt duschen.
Es dauerte mehrere Sekunden, bis ich begriff, dass der rosafarbene Hintern auf dem Bett keinem Schwein gehörte, sondern Peter, und dass das Quieken von einer Frau kam, die rote Dessous trug. Cathy!
Ich brach hysterisch kichernd zusammen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bett. Peter betupfte mir mit einem nassen Waschlappen die Stirn.
“I →hate you”, schleuderte ich ihm entgegen.
“I love you.”
“I hate you more than you love me.” So, das saß!
Peter legte sich neben mich, nahm mir den Waschlappen wieder weg und legte ihn sich selbst auf die Stirn. “Let’s sleep on it.”
Ich ging ins Bad, um mir meinen eigenen Waschlappen zu holen. Bei der Gelegenheit zog ich mich auch aus und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Hatte ich wirklich gesehen, wie Peter sich über Cathy hermachte?
Zurück im Schlafzimmer betrachtete ich den schnarchenden Mistkerl, der mir das Herz gebrochen hatte. Ich ohrfeigte ihn mit dem nassen Waschlappen, bis er aufwachte. “How long →has this →been going on between you and Cathy?”
“Only →a couple of weeks.”
Das war’s dann also mit Peter und mir. Aus die Maus.
Nachdem ich Doreen und Jill diese herzzerreißende Geschichte in allen Details erzählt hatte, beglückwünschte mich Doreen, dass ich noch mal mit dem Schrecken davongekommen war. “Can I use this in my thesis?”
Ich nickte. “Sure. You can even →quote me as the →source.”
Doreen holte Rotwein und drei Gläser. “Welcome to our flat.”
So einfach kommt man an eine schicke Wohnung in London. Und schon am nächsten Tag zogen wir ein, Löffi und ich.