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Die neue Welt
Der Morgen war kaum heller als die Nacht. Mau fühlte sich, als hätte er gar nicht geschlafen, so zusammengerollt zwischen den überall am Boden verstreuten Kokospalmwedeln. Doch sein Körper und Geist mussten sich wohl immer wieder abgeschaltet und ein wenig den Tod geprobt haben. Er war steif und frierend im stumpfgrauen Licht erwacht – oder wieder lebendig geworden. Die Wellen am Ufer beugten sich kaum, und das Meer hatte fast die gleiche Farbe wie der Himmel. Noch immer regnete es Tränen.
Der kleine Fluss, der auf dem Berg entsprang, war mit Sand, Schlamm und Pflanzenresten verstopft. Er floss nicht mehr, auch nicht, als Mau mit bloßen Händen grub. Das Wasser versickerte nur. Schließlich musste Mau den Regen trinken, der von den Blättern tröpfelte. Er schmeckte nach Asche.
Die Lagune war voller zerbrochener Korallen, und die Welle hatte ein großes Loch ins Riff gerissen. Die Gezeiten hatten gewechselt, und nun strömte das Wasser herein. Die Kleine Nation, die kaum mehr als eine Sandbank am Rand der Lagune war, hatte alle Bäume verloren bis auf einen, der nur noch ein ausgefranster Stamm war, an den sich verzweifelt ein paar letzte Blätter klammerten.
Nahrung finden, Wasser finden, einen Unterschlupf finden – das waren die Dinge, die man an einem fremden Ort tun musste. Und dieser Ort war ihm fremd – obwohl er hier geboren war…
Mau erkannte sofort, dass das Dorf nicht mehr da war.
Die Welle hatte es von der Insel gespült. Ein paar Stümpfe markierten die Stelle, an der das Langhaus gestanden hatte. Es hatte dort gestanden, seit… seit Ewigkeiten. Die Welle hatte das Riff zertrümmert. Eine solche Welle hätte das Dorf gar nicht weiter bemerkt.
Er hatte gelernt, die Zeichen an einer Küste zu lesen, als er mit seinem Vater und seinen Onkeln unterwegs gewesen war. Als Mau nun aufblickte, sah er die Geschichte der Welle, die in den umgestürzten Felsbrocken und Bäumen geschrieben stand.
Das Dorf hatte sich nach Süden geöffnet. Es wäre gar nicht anders möglich gewesen. Die übrigen drei Seiten wurden von steilen, bröckelnden Klippen geschützt, darunter donnerten und schäumten etliche Brandungshöhlen. Die Welle war von Südost gekommen. Entwurzelte Bäume zeigten ihre Richtung an.
Alle mussten sich am Ufer aufgehalten haben, rund um das große Feuer. Hätten sie über dem Knistern der Flammen das Dröhnen der Welle gehört? Hätten sie verstanden, was es bedeutete? Wenn sie schnell reagiert hatten, wären sie nach oben ins Großschwein-Tal geflüchtet und hätten sich auf die höher gelegenen Felder gerettet. Doch ein Teil der Welle wäre bereits den östlichen Hang hinaufgerast – wo nur Grasland war und nichts sie bremsen konnte – und hätte die Menschen auf dem Rückweg erwischt.
Dann wäre die brodelnde Masse aus Steinen, Sand, Wasser und Menschen im Westen durch das Riff gebrochen, und die Strömung hätte alles gnadenlos in die Tiefe gerissen, wo die Menschen zu Delfinen geworden wären.
Aber nicht alle…
Die Welle hatte Fische, Schlamm und Krabben zurückgelassen – zum Entzücken der Schweinefußvögel und der grauen Raben und natürlich auch der Großvatervögel. An diesem Morgen war die Insel voller Vögel. Vögel, die Mau noch nie zuvor gesehen hatte, stritten sich mit denen, die ihm vertraut waren, um ihre Beute.
Und dann stieß er auch auf Menschen, im Gewirr der abgerissenen Äste hängend, halb unter Schlamm und Blättern vergraben – ein weiterer Teil der verwüsteten Welt.
Er brauchte eine ganze Weile, um zu erkennen, worauf er starrte. Das, was er für einen Ast gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Arm.
Langsam blickte er sich um und begriff, warum so viele Vögel da waren und worum sie sich stritten…
Er rannte los. Seine Beine rissen ihn mit, und er schrie Namen, während er rannte, den langen Hang hinauf, an den unteren Feldern vorbei, die mit Trümmern übersät waren, an den höheren Anpflanzungen vorbei, die selbst für die Welle zu hoch lagen, und fast bis zum Rand des Waldes. Und dort hörte er seine eigene Stimme von den Felsen zurückhallen.
Niemand. Aber irgendjemand musste doch…
Alle hatten gewartet, auf jemanden, der kein Junge mehr sein würde, aber auch noch nicht ganz zum Mann geworden war.
Er lief zum Frauenhain – der natürlich für jeden Mann streng verboten war – und riskierte einen flüchtigen Blick durch die große Hecke, von der die Gärten rundum geschützt wurden und vom Wasser unerreicht geblieben waren. Trotzdem sah er nichts, was sich bewegte, und niemand antwortete seinen Rufen.
Sie hatten am Strand gewartet. Er konnte sie alle klar und deutlich vor seinem inneren Auge sehen, wie sie plauderten und lachten und das Feuer umtanzten. Aber es gab keinen silbernen Faden, nichts, mit dem er sie zurückholen konnte.
Sie hatten auf den neuen Mann gewartet. Die Welle musste wie ein Hammer auf sie niedergeschmettert sein.
Als er wieder zu den Feldern hinunterging, griff er sich einen Ast und schlug damit nach den Vögeln, ohne etwas zu bewirken. Überall oberhalb des verwüsteten Bereichs, wo sich das Dorf befunden hatte, lagen Leichen. Anfangs waren sie nur schwer zu erkennen gewesen, im Gewirr der Trümmer und genauso grau wie der aschefarbene Schlamm. Er würde sie berühren müssen. Er würde sie wegbringen müssen. Die Schweine würden schon bald kommen. Die bloße Vorstellung, wie sich die Schweine… Nein!
Im Osten war es hinter den Wolken ein wenig heller. Wie konnte das sein? War eine weitere Nacht vergangen? Hatte er geschlafen? Wo war er gewesen? Auf jeden Fall war er todmüde.
Er schleifte ein paar Äste, an denen noch Blätter hingen, zu einem großen Felsen, und kroch in seinen Unterschlupf. Dann spürte er, wie sich der graue Schlamm und der Regen und der verwundete Himmel lautlos hereinschlichen, ihn ausfüllten und ihn unter sich begruben.
Und Mau träumte. Es konnte nur ein Traum sein. Er wurde zu zwei Menschen. Der eine war ein grauer Körper aus Schlamm und suchte all jene Leichen, die die Welle nicht mitgenommen hatte. Er tat es so behutsam wie möglich, während der zweite Mau sich tief drinnen verkroch, zusammengerollt und träumend.
Wer bin ich, der dies tut?, dachte der graue Mau. Wer bin ich jetzt? Ich bin wie Locaha geworden und messe die Umrisse des Todes. Lieber bin ich er als Mau, zumindest an diesem Tag…
denn da ist schon wieder eine Leiche. Mau will sie nicht sehen, sie nicht aufheben oder ihr in die Augen blicken, weil er sonst verrückt wird. Also tue ich es für ihn. Und diese Leiche hat ein Gesicht, das er an jedem Tag seines Lebens gesehen hat, aber ich werde nicht zulassen, dass er es jetzt sieht.
Also arbeitete er weiter, während sich der Himmel aufhellte, die Sonne hinter der Rauchwolke im Osten aufging und der Wald trotz des Regens voller Gezwitscher war. Er durchkämmte die unteren Hänge, bis er eine weitere Leiche fand, sie hinunter zum Strand zerrte oder trug – manche waren klein genug, um sie tragen zu können – und dann weiter zu der Stelle, von wo aus man die Strömung sah. Normalerweise waren hier Schildkröten, aber nicht heute.
Er, der graue Schatten, würde Steine und große Korallenbrocken suchen, von denen es jede Menge gab, und sie mit Papierreben an den Leichen festbinden. Und jetzt muss ich mein Messer nehmen und das Seelenloch aufschneiden, dachte der graue Mau, damit die Seele schnell entweichen kann, und dann werde ich die Leiche in die Wellen ziehen, wo die Strömung abfällt, und sie loslassen.
Der träumende Mau überließ seinem Körper das Denken.
Jetzt hebst du so, jetzt ziehst du so. Du schneidest die Papierrebe so ab, und du schreist nicht, denn du bist eine Hand und ein Körper und ein Messer, und die vergießen keine Tränen. Du steckst in einer dicken grauen Hülle, in der du gar nichts spürst.
Und nichts kann hindurchdringen. Gar nichts. Und du lässt die Leiche langsam in der dunklen Strömung untertauchen, fort von Vögeln und Schweinen und Fliegen, damit ihr eine neue Haut wächst und sie zu einem Delfin wird.
Er fand auch zwei Hunde, und daran wäre er beinahe zerbrochen. Die Menschen, nun… das Grauen war so entsetzlich, dass sein Geist völlig leer wurde. Aber die verdrehten Kadaver der Hunde zerrten heftig an seiner Seele. Sie hatten mit den Menschen zusammengelebt, immer aufgeregt, aber ohne zu wissen, warum. Er hüllte sie in Papierreben und beschwerte sie und ließ sie von der Strömung mitnehmen. Die Hunde wollten bestimmt bei den Menschen bleiben, weil auch sie in gewisser Weise wie Menschen waren.
Aber er hatte keine Ahnung, was er mit dem Ferkel tun sollte.
Es war ganz allein. Vielleicht hatte sich die Sau in den höher gelegenen Wald geflüchtet, wie die Schweine es immer taten, wenn sie mit ihren Schweinesinnen spürten, dass das Wasser kam. Das Ferkel war jedenfalls zurückgeblieben. Maus Bauch sagte, dass es Nahrung war, aber er selbst sagte: Nein, nicht dieses Ferkel, nicht dieses kleine, traurige, verlassene Wesen. Er schickte es in die Strömung. Über sein weiteres Schicksal sollten die Götter entscheiden. Er war zu müde.
Kurz vor Sonnenuntergang schleifte er den letzten Toten zum Strand und wollte gerade in die Strömung hinauswaten, als sein Körper zu ihm sagte: Nein, nicht diesen! Dieser gehört dir. Du bist zwar sehr müde, aber nicht tot. Du musst essen, trinken und schlafen. Und vor allem musst du versuchen, nicht mehr zu träumen.
Er stand eine Weile da, bis ihm die Bedeutung der Worte klar wurde, und dann trottete er zurück zum Strand, suchte seine behelfsmäßige Unterkunft auf und ließ sich hineinfallen.
Der Schlaf kam über ihn, aber er brachte nichts Gutes.
Immer wieder fand er Leichen und trug sie zum Ufer, weil sie so leicht waren. Sie versuchten mit ihm zu reden, aber er konnte sie nicht hören, weil die Worte nicht durch seine graue Hülle drangen. Da war auch eine sehr seltsame Leiche, ein Geistermädchen, das völlig weiß war. Auch sie versuchte mehrmals, zu ihm zu sprechen, doch dann verblasste sie immer wieder im Traum, genau wie die anderen. Sonne und Mond jagten sich gegenseitig über den Himmel, und er wandelte in einer grauen Welt – das Einzige, was sich je in den Schleiern des Schweigens bewegte.
Und dann wurde aus dem Grau zu ihm gesprochen. WAS TUST DU, MAU?
Er blickte sich um. Das Land sah seltsam aus, ohne jede Farbe.
Die Sonne schien, aber sie war schwarz.
Als die Stimmen erneut sprachen, schienen sie von überall gleichzeitig zu kommen, vom Wind herbeigetragen.
JETZT IST KEINE ZEIT ZUM SCHLAFEN. ES GIBT NOCH SO VIEL ZU TUN.
»Wer seid ihr?«
WIR SIND DIE GROSSVÄTER!
Mau zitterte. Zittern war das Einzige, wozu er imstande war.
Seine Beine ließen sich nicht bewegen.
»Die Welle ist gekommen«, stieß er mühsam hervor. »Alle sind tot! Ich habe ein paar ins dunkle Wasser geschickt!«
DU MUSST DAS LIED DES DUNKLEN WASSERS SINGEN.
»Ich kenne es nicht.«
DU MUSST DIE GOTTESANKER WIEDER HERRICHTEN.
»Wie soll ich das tun?«
DU MUSST DAS LIED DES MORGENS UND DAS LIED DES ABENDS SINGEN.
»Ich kenne die Worte nicht! Ich bin kein Mann!«, sagte Mau verzweifelt.
DU MUSST DIE NATION VERTEIDIGEN! DU MUSST ALL DAS TUN, WAS SCHON IMMER GETAN WURDE!
»Aber ich bin ganz allein! Alle anderen sind tot!«
ALLES, WAS DIE NATION WAR, BIST JETZT DU! SOLANGE DU EXISTIERST, EXISTIERT AUCH DIE NATION! SOLANGE DU DICH ERINNERST, LEBT DIE NATION!
Er spürte eine Änderung im Luftdruck, und dann waren die Großväter… fort.
Mau erwachte blinzelnd. Die Sonne war gelb und hatte die Hälfte ihres Abstiegs bereits zurückgelegt. Neben sich bemerkte er plötzlich ein flaches, rundes Ding aus Metall, auf dem eine geöffnete Kokosnuss und eine Mango lagen. Er starrte diese Dinge an.
Er war allein. Niemand sonst konnte hier sein, jetzt nicht mehr. Niemand, der ihm etwas zu essen hinterlassen und sich davonschleichen konnte.
Er betrachtete den Sand. Da waren Fußspuren. Nicht sonderlich groß, aber sie hatten keine Zehen.
Er stand sehr vorsichtig auf und schaute sich um. Das Wesen ohne Zehen beobachtete ihn, dessen war er sich ganz sicher.
Vielleicht… vielleicht hatten die Großväter es zu ihm geschickt!
»Danke«, sagte er in die Luft.
Die Großväter hatten zu ihm gesprochen. Darüber dachte er nach, während er die Mango vom großen Stein knabberte. Er hatte ihre Stimmen noch nie zuvor gehört. Aber was sie von ihm verlangt hatten… wie sollte ein Junge das alles schaffen? Jungen durften sich nicht einmal in die Nähe ihrer Höhle wagen. Das war ihnen strengstens verboten.
Aber die Jungen taten es trotzdem. Mau war acht gewesen, als er einer Gruppe älterer Jungs hinterher geschlichen war. Sie hatten gar nicht bemerkt, wie er ihnen den ganzen Weg gefolgt war – durch den oberen Wald bis zu den Wiesen, von wo aus man den Rand der Welt sehen konnte. Da oben nisteten die Großvatervögel, was der Grund war, warum sie so hießen. Die älteren Jungen hatten ihm erzählt, dass die Vögel die Spione der Großväter waren und sich auf ihn stürzen und ihm die Augen auspicken würden, wenn er ihren Nestern zu nahe kam. Doch er wusste, dass das nicht stimmte, weil er sie beobachtet hatte, und – solange kein Bier in der Nähe war – würden sie nichts angreifen, das größer als eine Maus war und sich womöglich wehren konnte. Manche Leute erzählen einfach jeden Blödsinn, wenn sie glauben, jemandem damit Angst einzujagen.
Am Ende der Wiesen lag die Höhle der Großväter, ganz oben im Wind und im Sonnenlicht, mit Blick auf die weite Welt. Sie wohnten hinter einer runden Steintür, die sich nur von zehn Männern bewegen ließ. Und selbst wenn man hundert Jahre alt wurde, erlebte man vielleicht nur ein paarmal, wie sie geöffnet wurde, weil nur die besten Männer, nur die größten Jäger und Krieger, nach ihrem Tod zu Großvätern wurden…
Als er damals den Jungen gefolgt war, hatte Mau durch das dichte Laub eines Grasbaums ihre gemeinsame Mutprobe beobachtet. Sie hatten sich dem Stein genähert, sich schließlich getraut, ihn zu berühren und ein wenig dagegenzudrücken – bis jemand rief, er hätte etwas gehört. Innerhalb weniger Sekunden waren sie zwischen den Bäumen verschwunden und rannten nach Hause. Mau hatte noch eine Weile abgewartet, und als sich nichts rührte, war er hinuntergestiegen und hatte am Stein gehorcht. Er hatte ein ganz leises Rascheln vernommen, doch dann erbrach sich oben auf den Klippen ein Großvatervogel [1].
Hier gab es nichts Unheimliches.
Niemand hatte je davon gehört, dass die Großväter aus ihrer Höhle gekommen waren. Der Stein war aus gutem Grund da.
Und er war aus gutem Grund so schwer. Dann dachte er nicht weiter über das Geräusch nach. Wahrscheinlich waren es nur Insekten im Gras gewesen.
Nachdem er am Abend dieses Tages in die Jungenhütte zurückgekehrt war, hatten die älteren Jungen vor den jüngeren geprahlt, wie sie den großen Stein zur Seite gerollt hätten. Angeblich hätten die Großväter ihnen die uralten, vertrockneten Gesichter zugewandt, um sie anzuschauen. Dann hätten sie versucht, sich auf die wackligen Beine zu erheben, woraufhin die Jungen dann (mit großem Mut) gerade noch rechtzeitig den Stein zurückgerollt hatten.
Mau hatte in seiner Ecke gelegen und sich gefragt, wie oft diese Geschichte in den letzten paar hundert Jahren schon erzählt worden war, damit große Jungen sich tapfer fühlten und kleine Jungen Albträume bekamen und sich nass machten.
Und nun, fünf Jahre später, saß er da und betrachtete verwundert das graue, runde Ding, auf dem das Obst gelegen hatte. Es sah aus wie Metall, aber wer besaß so viel Metall, dass er es für etwas verschwenden konnte, auf das man Nahrung legte?
Es war mit Zeichen versehen. Sie bildeten den Schriftzug Sweet Judy in verblasster weißer Farbe, doch in diesem Moment hatten sie für niemanden eine Bedeutung.
Mau war gut darin, wichtige Zeichen zu lesen. Er konnte das Meer, das Wetter, die Fährten von Tieren, Tätowierungen und den Nachthimmeliesen. In diesen weißen Strichen und Haken auf dem Metall gab es für ihn nichts zu lesen. Aber feuchten Sand konnte jeder lesen. Ein zehenloses Wesen war aus dem unteren Wald gekommen und wieder dorthin zurückgekehrt.
Irgendwann in der Vergangenheit hatte etwas die Felsen der Insel gespalten und auf der Ostseite ein langes, flaches Tal hinterlassen, das nur knapp über dem Meeresspiegel lag. Dort gab es kaum Erdreich. Trotzdem hatten schon bald die ersten Pflanzen Wurzeln geschlagen, weil irgendwo immer etwas wuchs.
Im unteren Wald war es ständig heiß, feucht und salzig, die stickige, juckende, dunstige Atmosphäre eines Ortes, wo nur selten frische Luft hinkam. Mau hatte sich ein paarmal ins Tal vorgekämpft, aber dort gab es nicht viel, was interessant war, zumindest nicht am Boden. Alles fand hoch oben im Blätterdach statt. Dort wuchsen wilde Feigen, die nur die Vögel erreichen konnten. Und während sie um die winzigen Leckerbissen kämpften, regnete es ständig Vogelscheiße und Feigenreste auf den Waldboden. Davon ernährten sich wiederum die kleinen, roten Krabben, die überall herumhuschten und alles entsorgten, was herunterfiel. Manchmal kamen die Schweine, um die Krabben zu fressen, so dass es sich durchaus lohnte, gelegentlich im unteren Wald vorbeizuschauen. Doch man musste vorsichtig sein, weil man dort häufig auf Baumkraken [2] stieß, die Jagd auf Jungvögel und alles andere machten, was sie erwischen konnten.
Sie waren schwer wieder loszuwerden, wenn sie einem auf dem Kopf landeten. Mau wusste, dass man ihnen gegenüber nie den Eindruck erwecken durfte, man sei eine Kokosnuss. Doch das lernte man recht schnell, denn sie hatten sehr scharfe Schnäbel.
Nun kam er hinter den riesigen, zerbrochenen Felsen hervor, die am Eingang zum Tal lagen, und blieb wie angewurzelt stehen. Auf dem Waldboden war etwas gelandet, das um einiges größer als Vogelschiss oder ein ausgewachsenes Schwein war. Das konnte nicht nur die Welle gewesen sein. Etwas gewaltig Großes hatte sich seinen Weg durch die Bäume gebahnt und sie über eine ziemlich lange Strecke umgerissen.
Und nicht nur Bäume. Es hatte wahre Schätze hinterlassen.
Steine! Graue runde, braune, schwarze… Gute, feste Steine ließen sich auf der Insel für nützliche Zwecke verwenden, wo das Gestein des Berges viel zu bröckelig war, um daraus anständige Waffen herstellen zu können.
Doch Mau widerstand der Versuchung, sie sofort einzusammeln, weil Steine schließlich nicht wegliefen. Außerdem war da noch der Tote. Er lag ein Stück neben der Schneise durch den Wald, als hätte das Ungeheuer ihn zur Seite geworfen. Und er war voller kleiner, roter Krabben, die ihren großen Tag feierten.
Mau hatte noch nie einen solchen Mann gesehen, aber von ihnen gehört – von den blassen Menschen im Norden, die ihre Beine in Tuch hüllten, so dass sie wie Großvatervögel aussahen.
Sie wurden die Hosenmenschen genannt und waren bleich wie Geister. Dieser jedoch machte ihm keine Angst – nicht nach der Erinnerung an gestern, die unablässig hinter einer Tür in seinem Kopf schrie. Es war nur ein Toter. Mau kannte ihn nicht.
Menschen starben nun einmal.
Mau wusste auch nicht, was er mit ihm machen sollte, zumal sich die Krabben in diesem Punkt ganz sicher waren. Leise sagte er: »Großväter, was soll ich mit dem Hosenmann machen?«
Es hörte sich an, als würde der Wald einatmen, und die Großväter sprachen:
ER IST NICHT WICHTIG! NUR DIE NATION IST WICHTIG!
Das war nicht besonders hilfreich, also zerrte Mau den Mann tiefer in den Wald, gefolgt von einer Armee sehr entschlossener kleiner Krabben. Jahrelang hatten sie von Feigensamen und Vogelscheiße gelebt. Sie hatten es wie gute kleine Krabben ertragen, doch nun war ihre Zeit gekommen, und die hatten sie sich redlich verdient.
Ein Stück weiter lag noch ein Hosenmann neben der Schneise.
Diesmal dachte Mau nicht erst darüber nach, sondern schleifte ihn sofort ins dichte Unterholz. Mehr konnte er nicht für ihn tun. In den letzten Tagen war er schon zu häufig in den Fußstapfen von Locaha gewandelt. Vielleicht brachten die Krabben seine Seele in die Hosenmenschenwelt zurück, aber Mau musste sich jetzt um andere Dinge kümmern.
Irgendetwas war mit der Welle aus dem Meer gekommen, überlegte er. Etwas Großes. Größer als ein Segelflossenkrokodil [3], größer als ein Kriegskanu, sogar noch größer als… ein Wal? Ja, das könnte es sein, ein großer Wal. Warum nicht? Die Welle hatte am Strand gewaltige Felsen umgeworfen, so dass ein Wal erst recht keine Chance gehabt hätte. Ja, es konnte nur ein Wal sein, der dort im Wald lag und mit seiner riesigen Schwanzflosse um sich schlug, während er langsam von seinem eigenen Körpergewicht erdrückt wurde und starb.
Oder einer der richtig großen Tintenfische oder ein Riesenhai.
Er musste es herausfinden. Er musste sich vergewissern.
Mau blickte sich um und dachte: Ja, aber nicht im Dunkeln. Nicht im Zwielicht. Am nächsten Morgen würde er bewaffnet zurückkehren. Und am nächsten Morgen war es vielleicht auch schon tot.
In der Schneise, die das Ungeheuer hinterlassen hatte, suchte er ein paar brauchbare Steine zusammen und lief zurück. Die Nacht wälzte sich über den Dschungel. Die Vögel gingen schlafen, die Fledermäuse standen auf. Und ein paar Sterne ließen sich am trostlosen Himmel blicken. Und im Gewirr der zerschmetterten Bäume am Ende der Schneise schluchzte etwas die ganze Nacht lang.
Mau erwachte früh. Auf dem runden Metallding lag kein Obst, aber ein Großvatervogel beobachtete ihn erwartungsvoll – für den Fall, dass er tot war. Als er sah, dass der Mensch sich rührte, seufzte er und watschelte davon.
Feuer, dachte Mau. Ich muss Feuer machen. Und dazu brauche ich Zunder. Sein Zunderbeutel war nach der Welle nur noch ein matschiges Bündel, doch im oberen Wald gab es immer Zunderholz.
Er hatte Hunger, also brauchte er ein Feuer. Ohne Feuer und Speer konnte man niemals hoffen, ein Mann zu sein!
Also hämmerte er eine Weile mit den Steinen aus der Schneise des Ungeheuers auf dem Metall herum, bis er einen langen Splitter hatte, der zwar biegsam, aber sehr scharf war. Immerhin ein Anfang. Dann schlug er so lange mit einem Stein gegen einen anderen, bis dieser eine ausreichend tiefe Kerbe hatte, um ihn mit Papierreben an einen Stock binden zu können. Das eine Ende des Metallsplitters umwickelte er ebenfalls mit Papierreben als eine Art Griff.
Bei Sonnenaufgang war Mau fertig und begutachtete seine neue Keule und sein neues Messer. Ja, es mochte minderwertiges Werkzeug sein, das ein Mann unter normalen Umständen sofort weggeworfen hätte, aber wenigstens konnte er damit töten. Und gehörte das nicht auch dazu, wenn man ein Mann sein wollte?
Der Großvatervogel beobachtete Mau noch immer aus sicherer Entfernung, aber als er seinen Gesichtsausdruck sah, hüpfte er eilig davon und erhob sich schwerfällig in die Luft.
Mau stieg zum oberen Wald hinauf, während die Sonne immer wärmer wurde. Er überlegte, wann er zuletzt etwas gegessen hatte. Die Mango war seine letzte Mahlzeit gewesen, aber wie lange mochte das schon her sein? Schwer zu sagen. Die Jungeninsel schien zeitlich und räumlich sehr weit entfernt. Sie war nicht mehr. Nichts war mehr. Die Nation, die Menschen, die Hütten, die Kanus, alles war fort. Das alles lebte jetzt nur noch in seinem Kopf, wie Träume, die hinter einer grauen Wand verborgen waren…
Er versuchte, die Gedanken zurückzuhalten, doch dann stürzte die graue Wand zusammen, und all der Schrecken, all der Tod, all die Dunkelheit brachen wieder über ihn herein. Sie füllten seinen Kopf und entwichen summend in die Luft, wie ein Schwarm Insekten. All die Bilder, vor denen er die Augen verschlossen hatte, all die Geräusche, all die Gerüche krochen und wanden sich nun aus seiner Erinnerung hervor.
Und plötzlich wurde ihm alles klar. Eine Insel voller Menschen konnte gar nicht sterben. Aber ein einzelner Junge konnte es sehr wohl. Ja, das war es! Nur so ergab es Sinn! Er war tot!
Sein Geist war nach Hause zurückgekehrt, aber außerhalb der Geisterwelt konnte er nichts sehen! Er war ein Geist. Sein Körper, seine Leiche war auf der Jungeninsel zurückgeblieben, ja!
Und diese Welle hatte es gar nicht wirklich gegeben. Es war Locaha gewesen, der ihn geholt hatte. Plötzlich passte alles zusammen. Er war an Land gestorben, und niemand hatte ihn dem dunklen Wasser übergeben können. Er war ein Geist, ein ruheloses Wesen, und die Menschen waren überall um ihn herum, im Reich der Lebenden. Und nun kam es Mau gar nicht mehr so schlimm vor. Das Schlimmste hatte er bereits hinter sich. Er würde seine Familie nie wiedersehen können, weil die Leute Geisterbeutel an ihre Hütten hängten, aber er wusste, dass sie noch am Leben waren.
Die Welt atmete ein.
WARUM HAST DU DIE GOTTESANKER NOCH NICHT ERSETZT? WARUM HAST DU DIE LIEDER NOCH NICHT GESUNGEN? WARUM HAST DU DIE NATION NICHT WIEDERHERGESTELLT?
Das kleine Tal der Großvatervögel verschwamm vor seinen Augen. Wenigstens würden sie ihm diesmal glauben. »Ich bin tot, Großväter.«
TOT? UNSINN! DU BIST NICHT GUT GENUG, UM TOT ZU SEIN!
Er spürte einen stechenden Schmerz im linken Fuß.
Stöhnend wälzte er sich herum. Ein Großvatervogel, der ebenfalls zu der Schlussfolgerung gelangt war, dass Mau tot sein musste, hatte nach seinem Fuß gepickt und hüpfte nun überstürzt davon. Aber er entfernte sich nicht allzu weit, falls Mau demnächst vielleicht doch noch starb. Aus Erfahrung wussten Großvatervögel, dass alles irgendwann starb, wenn man nur lange genug wartete.
Also gut, dann bin ich wohl nicht tot, dachte Mau und richtete sich auf. Aber todmüde. Ein Schlaf voll düsterer Träume war kein richtiger Schlaf, sondern wie eine Mahlzeit aus Asche. Er brauchte Feuer und richtiges Essen. Schließlich wusste jeder, dass man böse Träume hatte, wenn man hungrig einschlief. Er wollte diese Träume nicht. Immer ging es um dunkles Wasser und etwas, das ihn jagte.
Die Felder waren restlos mit Schlamm und Sand bedeckt, aber viel schlimmer war, dass die Welle die Dornenhecken niedergerissen hatte und die Schweine offensichtlich über die Felder hergefallen waren, während Mau die Nacht in der Gefangenschaft seiner Träume verbracht hatte. Vielleicht war in dem Matsch noch irgendetwas übrig, wenn er lange genug grub, aber ein Mensch aß eigentlich nicht, wo ein Schwein gefressen hatte.
Auf der Insel gab es jede Menge essbarer Wildpflanzen: Kopfüberfrüchte, Unglückswurzel, Malla-Stiele, Rotsternbaum, Papierrebennüsse… damit würde man am Leben bleiben, aber vieles davon musste man sehr lange kauen, und selbst dann schmeckte es, als hätte es schon mal jemand gegessen. Menschen aßen Fisch oder Schwein, aber die Lagune war immer noch trüb, und seit seiner Rückkehr hatte er keine Schweine gesehen. Außerdem waren sie hinterlistig. Ein einzelner Mann konnte vielleicht Glück haben, dass ihm im unteren Wald ein Schwein über den Weg lief, das dort in der Nacht Krabben fressen wollte, aber im oberen Wald brauchte man viele Männer, um ein Schwein zu fangen.
Er fand ihre Spuren, sobald er den Wald betrat. Schweine hinterließen immer Spuren. Aber diese waren frisch, also stocherte er darin herum, um zu sehen, wonach sie gesucht hatten. Er fand einige Wahnwurzeln, groß, weiß und saftig. Wahrscheinlich waren die Schweine von den Feldfrüchten dermaßen vollgefressen, dass sie nur aus reiner Gewohnheit ein wenig herumgewühlt hatten, bis sie merkten, dass in ihren Bäuchen wirklich kein Platz mehr war. Wahnwurzeln mussten geröstet werden, bevor man sie essen konnte, weil man ansonsten wahnsinnig wurde. Schweine fraßen sie roh, aber die merkten es vielleicht gar nicht, wenn sie durchdrehten.
Es gab keinen trockenen Zunder. Überall lagen zwar morsche Äste herum, aber sie waren regelrecht aufgeweicht. Außerdem – dachte er, als er die Wurzeln auf einen Papierrebenstrang fädelte – hatte er immer noch keine Feuersteine gefunden, ganz zu schweigen von trockenem Feuerholz.
Opa Nawi, der wegen seines krummen Beins nicht mit den anderen auf Raubzüge gegangen war, hatte die Jungen manchmal zum Fährtenlesen und Jagen mitgenommen. Dabei hatte er oft über den Papierrebenstrauch gesprochen. Der wuchs überall und hatte lange Blätter, die unglaublich zäh waren, selbst in knochentrockenem Zustand. »Wenn ihr der Länge nach an einem Streifen der Rebe zieht, ist die Kraft von zwei Männern nötig, um ihn zu zerreißen. Aber wenn ihr fünf Streifen zu einem Seil flechtet, hält es hundert Männern stand. Je mehr die Männer ziehen, desto mehr verbinden sich die einzelnen Fasern miteinander und desto stärker wird das Seil. Genauso ist es mit der Nation.«
Hinter seinem Rücken lachten sie über ihn, weil er so humpelte, und nahmen seine Worte nicht besonders ernst, denn was konnte ein alter Mann mit einem krummen Bein schon Wichtiges zu sagen haben? Aber wenn sie lachten, achteten sie darauf, dass sie es recht weit hinter seinem Rücken taten, weil Nawi immer dieses leise Lächeln auf den Lippen hatte und seine Miene zu sagen schien, dass er längst viel mehr über einen wusste, als man selbst überhaupt ahnte.
Mau bemühte sich, nicht allzu viel zu lachen, weil er Nawi gern hatte. Der alte Mann beobachtete den Flug der Vögel und kannte immer die besten Plätze zum Fischen. Er kannte sogar das Zauberwort, mit dem man Haie vertrieb. Aber nach seinem Tod wurde er nicht sorgsam im heißen Sand getrocknet und dann in die Höhle der Großväter gebracht. Und zwar deshalb, weil er mit einem Bein geboren worden war, auf dem er nicht richtig laufen konnte, was bedeutete, dass er von den Göttern verflucht war. Dafür konnte er sich einen Finken ansehen und sagen, auf welcher Insel er aus dem Ei geschlüpft war. Er beobachtete Spinnen, wie sie ihre Netze knüpften, und bemerkte Kleinigkeiten, die andere Leute gar nicht wahrnahmen. Als Mau jetzt darüber nachdachte, fragte er sich, wie die Götter solch einen Menschen verfluchen konnten. Schließlich war er so auf die Welt gekommen. Was konnte ein Baby angestellt haben, um den Zorn der Götter auf sich zu lenken?
Eines Tages nahm Mau all seinen Mut zusammen und fragte ihn danach. Nawi saß draußen auf den Felsen und sah gelegentlich aufs Meer hinaus, während er etwas schnitzte. Aber er hatte Mau einen Blick zugeworfen, der ihm sagte, dass er keine Einwände gegen ein wenig Gesellschaft hätte.
Der alte Mann hatte über die Frage gelacht.
»Es war ein Geschenk, mein Junge, kein Fluch«, sagte er.
»Wenn viel genommen wird, muss etwas dafür zurückgegeben werden. Da ich ein nutzloses Bein hatte, musste ich mir ein kluges Gehirn machen! Ich kann nicht rennen, also habe ich gelernt, zu beobachten und zu warten. Ich verrate euch Jungen diese Geheimnisse, und ihr lacht darüber. Doch wenn ich jage, kehre ich nie mit leeren Händen zurück, nicht wahr? Ich glaube, die Götter haben mich angesehen und sich gesagt: Aus diesem Kind könnte ein weiser Mann werden. Geben wir ihm ein lahmes Bein, damit er kein Krieger werden kann und zu Hause bei den Frauen bleiben muss (ein Leben, das ich nur empfehlen kann, mein Junge, glaub mir). Und dafür danke ich ihnen.«
Mau war von seinen Worten schockiert gewesen. Jeder Junge wollte doch ein großer Krieger werden!
»Du wolltest nie ein Krieger sein?«
»Nie. Eine Frau braucht neun Monate, um einen neuen Menschen in die Welt zu setzen. Warum sollte man ihre Mühen einfach so zunichtemachen?«
»Aber wenn du mal stirbst, würde man dich in die Höhle bringen, wo du auf ewig über uns wachen könntest!«
»Ha! Ich glaube, ich habe schon jetzt genug von euch allen gesehen! Ich bin gern an der frischen Luft, Junge. Ich werde zu einem Delfin wie jeder andere auch. Ich werde beobachten, wie sich der Himmel verändert, und Haie jagen. Und wenn alle großen Krieger oben in ihrer Höhle eingesperrt sind, dürfte es wohl wesentlich mehr weibliche als männliche Delfine geben – eine Vorstellung, die mir ausgesprochen gut gefällt.«
Er beugte sich vor und blickte in Maus Augen.
»Mau…«, sagte er. »Ja, ich erinnere mich an dich. Du warst immer irgendwo ganz hinten. Aber ich habe gesehen, dass du nachgedacht hast. Nicht viele Menschen denken – ich meine, richtig. Sie glauben nur, dass sie denken. Und als sie über den alten Nawi lachten, wolltest du eigentlich nicht mitmachen. Aber du hast trotzdem gelacht, um wie sie zu sein. Habe ich recht?«
Wie hatte er das nur erkennen können? Aber leugnen hatte einfach keinen Zweck, wenn diese blassen Augen einen anblickten.
»Ja. Es tut mir leid.«
»Gut. Und nachdem ich jetzt deine Fragen beantwortet habe, könntest du mir einen Gefallen tun.«
»Soll ich etwas für dich holen? Ich könnte vielleicht…«
»Ich möchte, dass du dich für mich an etwas erinnerst. Hast du davon gehört, dass ich ein Wort kenne, mit dem sich die Haie vertreiben lassen?«
»Die Leute behaupten es, aber gleichzeitig lachen sie darüber.«
»Ja, sicher. Aber es funktioniert. Ich habe es dreimal ausprobiert. Entdeckt habe ich es beim ersten Mal, als mir fast mein gutes Bein abgebissen worden wäre. Dann habe ich es von einem Floß aus probiert, um zu sehen, ob ich beim ersten Mal vielleicht nur Glück gehabt hatte. Und schließlich bin ich eines Tages vom Riff aus losgeschwommen und habe einen Hammerhai verjagt.«
»Du meinst, du hast nach einem Hai gesucht, um es auszuprobieren?«, fragte Mau.
»Ja. Ich erinnere mich, dass es sogar ein ziemlich großer war.«
»Aber du hättest gefressen werden können!«
»Ach, ich kann ganz gut mit einem Speer umgehen, und ich wollte es unbedingt wissen«, sagte Nawi grinsend. »Irgendwer musste auch die erste Auster essen. Irgendwer hielt eine Schale voller Rotz in der Hand und brachte den Mut auf, es zu probieren.«
»Warum kennt nicht jeder dieses Wort?«
Nawis beständiges Lächeln wurde ein wenig schwächer. »Du weißt, dass ich etwas seltsam bin. Und die Priester mögen Leute wie mich nicht. Wenn ich es allen sagen und dann jemand sterben würde, könnte es für mich sehr heikel werden. Aber außer mir sollte noch jemand das Wort kennen, und du bist ein Junge, der Fragen stellt. Aber benutze es erst, wenn ich tot bin, ja? Oder, natürlich, falls du in die Verlegenheit gerätst, von einem Hai gefressen zu werden.«
Und dann, auf dem Felsen am Meer, während der Sonnenübergang einen roten Pfad auf das Wasser malte, lernte Mau das Hai-Wort.
»Das ist ein Trick!«, sagte er, ohne nachzudenken.
»Nicht so laut!«, erwiderte Nawi und blickte sich zum Strand um. »Natürlich ist es ein Trick. Ein Kanu zu bauen ist ein Trick. Einen Speer zu werfen ist ein Trick. Das ganze Leben ist ein Trick, und du bekommst nur eine Chance, ihn zu lernen. Und jetzt kennst du einen weiteren. Wenn er dir eines Tages das Leben retten sollte, fang einen großen Fisch und wirf ihn dem ersten Delfin zu, den du siehst. Mit etwas Glück werde ich es sein!«
Und nun waren der alte Mann und sein Bein nur noch eine Erinnerung, genauso wie alle anderen Menschen, die Mau gekannt hatte. Unter dieser Last hätte Mau am liebsten aufgeschrien. Die Welt hatte sich geleert.
Er blickte auf seine Hände. Er hatte eine Keule hergestellt. Eine Waffe wofür? Warum fühlte er sich danach besser? Aber er musste ja am Leben bleiben! Denn wenn er starb, wäre es, als hätte die Nation niemals existiert. Dann würden die roten Krabben und die Großvatervögel über die Insel herrschen. Es wäre niemand mehr da, der sagen könnte, dass hier einmal Menschen gelebt hatten.
Über ihm flatterte etwas. Ein Großvatervogel war auf dem zotteligen Kopf eines Grasbaums gelandet. Mau wusste es, obwohl er durch das Gewirr der Lianen gar nichts erkennen konnte.
Großvatervögel waren recht unbeholfen, und wenn sie sich irgendwo niederlassen wollten, sah es eher nach einem kontrollierten Sturz aus als nach einer Landung. Der Vogel hüpfte im Baum herum und gab seine mürrischen Nah-nah-Laute von sich. Dann folgte das vertraute Geräusch, mit dem er sich übergab, und ein Regen aus kleinen Knochen ging auf den Waldboden nieder.
Der Baum wackelte, als sich der Großvatervogel wieder in die Luft erhob und ins Freie flatterte. Da bemerkte der Vogel Mau, machte kehrt – für den Fall, dass es hier etwas zu holen gab – und landete ungeschickt auf einem Ast, der unter den massigen Würgeranken kaum noch zu erkennen war.
Eine Weile starrten sich Junge und Vogel gegenseitig an. Dann brach der Ast.
Der Großvatervogel krächzte und hüpfte davon, bevor das morsche Holz auf den Boden schlug. Er verschwand flatternd im Unterholz, protestierend vor verletztem Stolz. Mau beachtete ihn gar nicht weiter. Sein Blick fiel fasziniert auf die Wolke aus gelbem Staub, die von dem abgebrochenen Ast aufstieg.
Das war Zunderstaub, der immer dort entstand, wo Zeit und Termiten einen toten Ast zersetzten und aushöhlten. Und dieser Ast war hoch oben in der Luft verrottet, fernab vom feuchten Waldboden. Der Staub war fein wie Blütenpollen. Er würde ideal sein, um ein Feuer zu entfachen.
Mau nahm sich den größten Teil des Astes, den er tragen konnte, stopfte beide Enden mit Blättern zu und machte sich daran, vom Berg herunterzusteigen.
Jetzt wühlten wieder die Schweine auf den Feldern, aber er hatte keine Zeit, sie zu verscheuchen. Ein Strang aus Papierrebe konnte leicht reißen, dachte er, aber wenn man fünf miteinander verband, waren sie stark. Das ist gut zu wissen, und es ist wahr. Das Problem ist nur, dass ich der einzige Strang bin.
Er blieb stehen. Er hatte den steileren Weg hinunter zum Do…
zu der Stelle genommen, wo sich das Dorf befunden hatte. Auch hier war die Welle über die Insel hinweggegangen. Bäume waren zerbrochen, und alles stank nach Tang. Doch auf der anderen Seite der verwüsteten Bäume gab es eine Felswand, von der aus man den unteren Wald überblicken konnte…
Mau bedeckte die Wurzeln und den Ast vorsichtig mit Gras und kämpfte sich durch das Gewirr aus Ranken und Zweigen vor der Felswand. Es war nicht allzu schwierig, ganz hinaufzuklettern. Er hatte es schon ein paarmal gemacht. Dort gab es so viele Kletterpflanzen und Ranken, die den Fels überwucherten, und genügend Erde und Vogelnester, in denen herangewehte Samen keimen konnten, dass die Wand eher an eine senkrechte Wiese erinnerte, auf der kreuz und quer Blumen blühten. Auch Papierreben wuchsen dort. Die gab es überall. Mau schnitt so viele davon ab, dass er sich daraus eine Schlinge für seine Keule machen konnte, während er einen verspäteten Dank an die Papierrebenfrau flüsterte, dafür dass er ihr stets zuverlässiges Haar benutzen durfte.
Schließlich zog er sich auf die Klippe und drückte einen Strauß Orchideen beiseite.
Unter ihm stieg Nebel auf, aber er konnte die Spur deutlich erkennen, die das Ungeheuer durch den Wald gezogen hatte – eine weiße Narbe, vielleicht eine halbe Meile lang. Sie endete vor einer Gruppe aus Feigenbäumen, die im höchsten Teil des unteren Waldes wuchsen. Sie waren kräftig. Mau kannte sie gut.
Ihre Stämme hatten riesige Stützstreben, die den Eindruck erweckten, als reichten sie bis zu den Wurzeln der Welt hinab. Die würden bestimmt alles aufhalten, aber der Nebel und das dichte Blätterdach ließen Mau nicht erkennen, was sie wohl aufgehalten hatten.
Doch er hörte eine Stimme. Zwar nur sehr schwach, und sie kam von irgendwo weiter unten, aber Mau kam es fast so vor, als würde jemand singen, aber auch nur fast. Für Mau klang es eher wie »Na, na, na«.
Aber es war eine menschliche Stimme. Vielleicht noch ein Hosenmann? Dafür klang sie allerdings etwas zu piepsig. Gab es auch Hosenfrauen? Oder ein Geist? Eigentlich müsste es auf der Insel jetzt sehr viele Geister geben.
Es war bereits Nachmittag. Wenn es tatsächlich ein Geist war, dann wäre er sehr schwach. Mau war die Nation. Er musste etwas tun.
Der Abstieg an der Felswand bereitete ihm keine Mühe, obwohl er darauf achtete, leise zu sein. Trotzdem flatterten überall um ihn herum Vögel auf. Mau schauderte. Er wusste nicht, wie man einen Geisterbeutel machte. Das war Aufgabe der Frauen gewesen.
Das, was sich fast wie Gesang anhörte, ging weiter. Vielleicht war es ja doch eine Art Geist. Die Vögel hatten so viel Lärm gemacht, dass ein lebender Mensch sofort mit dem Singen aufgehört und nachgesehen hätte.
Seine Füße berührten das Gewirr aus bröckelndem Gestein und Baumwurzeln, aus dem der Boden des unteren Waldes bestand, und Mau bewegte sich lautlos zwischen den tropfenden Bäumen hindurch.
»Na, na, na.« – Klickt – »Na, na, na.« – Klickt
Das klang nach Metall. Mau packte seine Keule mit beiden Händen.
»… auf, die, Hände, Leitung, Tod« – Klickt – »er, hör, des, See, manns, Not, gebet« – Klickt – »wenn, er, in, Stür, men, zu, dir, fleht« – Klickt – »verflixt!«
Mau lugte um den Stamm eines riesigen Feigenbaums. Dort gab es sehr viel auf einmal zu sehen.
Etwas war hier gestrandet, aber es war nichts Lebendiges. Es war so etwas wie ein Riesenkanu, das zwischen zwei Baumstämmen klemmte und mit Trümmern übersät war. Es würde sich bestimmt lohnen, darin herumzustöbern, aber nicht jetzt.
Aus einem großen Loch in der Seite quollen sogar Steine. Aber das war alles nur Hintergrund. Was Mau aber direkt gegenüberstand und ihn erschrocken anstarrte, war ein Mädchen – wahrscheinlich. Aber vielleicht auch ein Geist, denn dieses Wesen war unglaublich blass.
Und sie war ein Hosenmensch. Ihre Hosen waren weiß und ausgefranst, ähnlich wie die gefiederten Beine eines Großvatervogels, aber sie hatte sich auch eine Art Rock um den Oberkörper gewickelt. Ihr Haar leuchtete im Sonnenlicht. Und sie hatte geweint.
Und sie hatte die ganze Zeit versucht, ein Loch in den Waldboden zu graben, mit etwas, das wie ein merkwürdiger Speer mit breiter Spitze aussah und metallisch glänzte. Was für eine dumme Idee, denn der Boden bestand doch nur aus Wurzeln und Gestein, und neben ihr lag auch nur ein sehr kleiner Haufen Steine. Da war aber noch etwas anderes, ziemlich groß und eingewickelt. Vielleicht bin ich doch in Locahas Fußstapfen gewandelt, dachte Mau, denn ich weiß, dass sich darin ein Toter befindet. Und das Geistermädchen habe ich in meinen Albträumen gesehen.
Ich bin nicht allein.
Das Mädchen ließ den flachen Speer fallen und hob hastig etwas anderes auf, das ebenfalls metallisch schimmerte.
»Ich w-weiß, wie man das benutzt!«, rief sie sehr laut. »Einen Schritt weiter, und ich drücke ab. Ich meine es ernst!« Das Metallding schwankte in ihren Händen hin und her. »Glaub nicht, dass ich Angst hätte! Ich habe keine Angst. Ich hätte dich schon längst töten können! Nur weil ich Mitleid mit dir hatte, heißt das noch lange nicht, dass du einfach hierherkommen kannst! Mein Vater wird jeden Moment hier sein!«
Sie klang sehr nervös. Mau verstand die Szene so, dass sie ihm das Metallding geben wollte. Die Art, wie sie es unsicher mit beiden Händen hielt, deutete darauf hin, dass sie sich davor fürchtete.
Als er danach griff, schrie sie und wandte das Gesicht ab.
Dann machte es Klick, und an einem Ende des Metalldings flogen Funken. Danach rollte ganz langsam eine kleine runde Kugel aus einem Loch am anderen Ende und landete vor dem Mädchen im Matsch. Sie hatte… Dinger an den Füßen, bemerkte er mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen. Sie sahen aus wie schwarze Schoten und hatten keine Zehen.
Das Mädchen starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen ängstlich an.
Behutsam nahm Mau ihr das Ding ab, und sofort presste sie sich schutzsuchend gegen eine Wand des großen Kanus, als wäre er der Geist.
Das Metall stank bitter und faulig, aber das war im Moment völlig unwichtig. Es hatte gefunkt. Und Mau wusste sehr genau, was man mit Funken machen konnte.
»Danke für dieses Feuergeschenk«, sagte er und hob seine Keule auf. Dann lief er eilig davon, bevor das Mädchen ihm noch irgend etwas antun konnte.
Zwischen den Trümmern am Strand beugte sich Mau über seine Arbeit. Der Ast mit dem Zunderholz war erst der Anfang.
Zuvor hatte er den Wald nach trockenen Zweigen und Rindenstücken abgesucht – davon gab es immer welche, selbst nach einem heftigen Regen – und dann alles ordentlich sortiert, von feinem Gras bis zu grobem Holz. Er hatte sich ein kleines Häufchen aus zerriebenen getrockneten Papierreben und Zunder zurechtgelegt, und nun hob er sehr vorsichtig den Funkenmacher auf. Wenn man das Metallstück auf der Oberseite zurückzog, bis es klickte, und dann das Teil an der Unterseite drückte, wobei man – zumindest beim zweiten Versuch – seine Finger aus dem Weg nehmen sollte, dann kratzte eine Art Metallkralle über einen grauen Stein, und Funken wurden geboren.
Er versuchte es gleich noch einmal und hielt den Funkenmacher genau über den Zunderhaufen. Mit angehaltenem Atem beobachtete er, wie ein paar Funken auf den feinen Staub fielen, der an diesen Stellen schwarz wurde.
Sanft pustete Mau in den Haufen, den er mit den Händen schützte, und ein winziger Rauchfaden stieg auf. Er blies stetig weiter, bis eine kleine Flamme knisternd zum Leben erwachte.
Jetzt kam der schwierige Teil. Er musste die Flamme ganz behutsam füttern und sie zuerst mit Gras und Rinde locken, bis sie stark genug für den ersten Zweig geworden war. Dabei musste er äußerst vorsichtig sein, weil sich das Feuer sehr leicht verschrecken ließ. Erst als es knisterte und zischte und spuckte, versuchte er es mit einem dünnen Ast. Dann kam ein kritischer Moment, in dem die Flammen daran zu ersticken schienen.
Doch wenig später kehrten sie umso kräftiger zurück und verlangten bald nach mehr. An Brennstoff herrschte jedenfalls kein Mangel. Überall lag zerbrochenes Holz herum. Er schleppte die Äste zum Feuer, wo sie platzten, sobald die Hitze das Wasser darin zum Kochen brachte. Mau legte immer weiter Holz auf, bis Funken und Rauch in die Dunkelheit emporstiegen. Schatten sprangen wild über den Strand, so dass es den Anschein hatte, als gäbe es noch Leben auf der Insel.
Nach einer Weile grub er am Rand des Feuers ein Loch, warf die Wahnwurzeln hinein, bedeckte sie mit einer dünnen Schicht Sand und schob glühende Kohlestücke darüber.
Dann lehnte er sich zurück. Wann hatte er das letzte Mal zu Hause an einem Lagerfeuer gesessen? Die Erinnerung daran überwältigte ihn, bevor er sie aufhalten konnte. Es war bei seinem letzten Mahl als Junge. Seine ganze Familie war dabei gewesen, was in der Nation bedeutete, dass früher oder später alle gekommen waren. Es war sein »letztes Mahl«, weil er seine nächste Mahlzeit auf der Insel erst wieder als Mann zu sich nehmen würde, wenn er nicht mehr in der Jungenhütte, sondern im Haus der unverheirateten Männer schlief. Vor Aufregung hatte er kaum etwas gegessen. Und schon gar nicht, nachdem ihm klar geworden war, dass es nicht allein um ihn ging. Es ging auch um seine Familie. Wenn er zurückkehrte und für die Tätowierungen eines Mannes bereit war und natürlich auch für die… Sache mit dem Messer, bei der man nicht schrie, dann wäre es auch für seine Verwandten ein Triumph. Es würde bedeuten, dass sie ihn gut erzogen und ihm die richtigen Dinge beigebracht hatten.
Das Feuer ließ tanzende Funken in die Nacht aufsteigen, und dann sah er sie alle im Feuerschein, wie sie ihn beobachteten, wie sie ihm zulächelten. Er schloss die Augen und versuchte, die lärmenden Erinnerungen in die Dunkelheit zurückzudrängen.
Hatte er einige von ihnen in den dunklen Strom geschickt, als er in den Fußstapfen Locahas gewandelt war? Vielleicht. Aber dazu gab es keine Erinnerung. Er hatte sich tief im grauen Körper von Locaha-Mau versteckt, während ein Teil von ihm hin und her gestapft war, tat, was getan werden musste, und dafür sorgte, dass die Toten zu Delfinen und nicht zu Futter für die Schweine wurden. Er hätte einen Bestattungsgesang angestimmt, aber man hatte ihm nie die Worte beigebracht. Stattdessen hatte er den Toten die Arme und Beine gerichtet, so gut es ihm möglich gewesen war. Vielleicht hatte er auch Gesichter gesehen, aber danach war dieser Teil von ihm gestorben. Er versuchte, sich an das Gesicht seiner Mutter zu erinnern, doch er sah nur dunkles Wasser. Aber er konnte ihre Stimme hören, wie sie das Lied über den Gott des Feuers sang, wie die Papierrebenfrau böse auf ihn geworden war, weil er ständig ihren Töchtern nachstellte, wie sie ihm mit dicken Reben die Hände an den Körper gefesselt hatte und, wie seine jüngere Schwester darüber lachen musste und ihn mit Ranken… Dann schwappte eine Welle über seinen Geist hinweg, und er war froh, dass sie diese klare Erinnerung fortspülte.
Er spürte das Loch in seinem Innern, schwärzer und tiefer als die dunkle Strömung. Alles fehlte. Nichts war mehr, wo es sein sollte. Er saß hier an diesem einsamen Ufer und konnte nur an all die dummen Fragen denken, die Kinder stellten… Warum hört etwas auf? Wie fängt es an? Warum sterben gute Menschen? Was tun die Götter?
Und das war nicht richtig, denn für einen Mann galt: Stell keine dummen Fragen!
Und nun hatte der kleine, blaue Einsiedlerkrebs sein Schneckenhaus verlassen und krabbelte über den Sand, auf der Suche nach einem neuen Heim, aber es gab keins. Rundherum nur leerer Sand. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als immer nur weiterzurennen…
Mau öffnete die Augen. Jetzt gab es hier nur noch ihn und ein Geistermädchen. Aber war sie wirklich da gewesen? War er wirklich da? War das eine dumme Frage?
Der Duft der Wurzeln stieg aus dem Sand auf. Sein Bauch forderte, dass wenigstens sie wirklich da sein könnten. Mau verbrannte sich die Finger, als er sie ausgrub. Eine würde er sich für morgen aufheben, aber die zweite brach er auf und drückte sein Gesicht in das weiche, warme Herz der Wurzel. Mit vollem Mund schlief er ein, während die Schatten tanzend das Feuer umkreisten.