Dreizehn
Ein Satz Leonards fällt mir ein in dieser Zeit absoluter Leere und Langeweile. »Irgend etwas ist schief gelaufen.«… Wir gingen diese stille blaue Straße mit dem Baugerüst entlang. Ich sah all die Gewalt und Unvernunft über mir in der Luft schwirren: wir selbst so klein.
Um uns Tumult, etwas Bedrohliches: Unvernunft. Soll ich ein Buch daraus machen? Es wäre ein Weg, wieder Ordnung und Tempo in meine Welt zu bringen.
Virginia Woolf
»Andere Detektive«, sagte Kate, während sie sich, leichte Verzweiflung im Blick, in Madeline Huntleys Büro umsah, »tun etwas. Gerade habe ich ein Buch gelesen, in dem die Verbrecher den Detektiv in einer Felsspalte gefangen halten – das Ganze spielt natürlich in der Wüste – und ein Feuer unter ihm anmachen; erst in allerletzter Sekunde kann er sich befreien, wie, habe ich vergessen. Da passiert wenigstens etwas. Und ich, ich sitze ständig in irgendwelchen Zimmern herum, eins trostloser als das andere, und schwätze.«
»Etwas anderes kann man an einem College doch sowieso nicht tun, oder?«
fragte Madeline. »Verzeih mir, daß ich nicht besonders mitfühlend bin, aber gegen Abend fühle ich mich immer ziemlich fertig. Auch Psychoanalytiker sitzen nur herum und schwätzen. Mehr tun doch alle nicht, außer den Arbeitern, und die stehen meistens herum und schwätzen, jedenfalls meiner Beobachtung nach.«
»Das Clare zieht dich runter«, sagte Kate. »Ich glaube, jeden zieht es runter.«
»Nur die Ehemaligen nicht, die den lieblichen Ort vergöttern und sich nur beschweren über jede Veränderung. Die Sorte Ehemalige natürlich, die sich etwas aus lieblichen Orten macht. Die anderen sind zu beschäftigt mit ihrem eigenen Kram. Findest du das Clare schlimmer als andere Colleges? Als du das erste Mal herkamst und ich dich vom Flughafen abholte, habe ich das behauptet, erinnerst du dich? Aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Die himmelschreiende Idiotie ist, glaube ich, nicht nur das Privileg dieses Colleges, sondern hat epidemischen Charakter.«
»Hast du Veronica getroffen?«
»Natürlich. Veronica zu treffen ist unvermeidlich.«
»Was hältst du von ihr?«
»Zu Anfang mochte ich sie nicht. So aggressiv, wie die Sorte Mensch, die sich an Bushaltestellen mit Ellbogen an die Spitze der Schlange vordrängt. Aber jetzt kann ich sie besser ertragen, oder genauer: im Gegensatz zu allen anderen hier finde ich sie nicht unerträglicher als zu Anfang. Du Arme, ich fürchte, du hast mich heute am Abend eines noch schlimmeren Tages als gewöhnlich erwischt. Als du hereinkamst, war ich gerade dabei, meine Kündigung zu schreiben. Soll doch der männliche Freudianer mit seinem Glauben an den Penisneid den Job 113
übernehmen: er wird ihm auf den Leib geschneidert sein. Obwohl die Studentinnen hier nicht mal helle genug sind einzusehen, daß es wirklich Gründe gibt, die Penisträger zu beneiden, und das ist die reine Wahrheit. Was hattest du mich gerade gefragt?«
»Veronica.«
»Ich muß hier raus, Kate. Laß uns nach Boston fahren und in ein unverschämt teures Restaurant gehen. Und ich verspreche dir, ich werde mich die ganze Zeit auf deine Fragen konzentrieren.«
»Wenn du es auf dich nehmen willst, über eine Stunde Auto zu fahren – na gut.
Aber wie komme ich zurück?«
»Wir übernachten in meiner Wohnung und fahren morgen früh zusammen zurück. Du kannst mir bei meinem Kündigungsschreiben helfen. Oh, keine Sorge.
In meiner Wohnung findest du alles, was du brauchst, außer der Lösung für dein Rätsel. Fahren wir los?«
»Sollte ich der Rektorin nicht lieber eine Nachricht hinterlassen? Vielleicht fällt ihr auf, daß ich nicht da bin, und sie sorgt sich.«
»Der fällt nichts auf. Und wenn doch, läßt sie den See wahrscheinlich mit einem Schleppnetz abfischen. Diese Frau hat so viel Phantasie wie eine Wühlmaus.«
»Warum eine Wühlmaus?«
»Weil eine Wühlmaus ein Maulwurf ohne Phantasie ist. Das Auto steht auf dem Parkplatz, nur eine Meile entfernt. Knipst du das Licht aus?«
Als man sie zuvorkommend an einem Tisch plaziert hatte, den der vom Maître abgeorderte Weinkellner in steter Bereitschaft umschwebte, bestand Kate darauf, daß Madeline ihre Aufmerksamkeit auf Patrices Tod konzentrierte. »Ich habe dir den Gefallen getan«, sagte Kate, »ohne alles mit dir loszufahren, sogar ohne Zahnbürste. Aber jetzt mußt du mir helfen. Wir sprachen über Veronica, falls du dich noch erinnerst. Du bist Analytikerin. Glaubst du, sie würde jemanden, den sie über alles liebt, umbringen? Ich nehme an, du weißt von ihrem Prozeß gegen Patrice.«
»Ja. Vor kurzem kam sie und erzählte mir davon. Und an der ganzen Geschichte kam mir mehr als ein Punkt merkwürdig vor. Vor allem, daß Patrice ihr mehr oder weniger verzieh.
Zugegeben, Patrice war vielleicht wirklich eine engelsgleiche Person, aber man sollte doch meinen, daß sie eine gewisse Distanz zu jemand gewahrt hätte, der sie vor Gericht geschleppt hat, und noch dazu mit solchen Vorwürfen. Aber wie es aussieht, war Patrice nach einer Weile mit Veronica geradezu wieder befreundet.
Die einzige Erklärung ist: Patrice hatte beschlossen, nicht nach irgendwelchen Maximen zu leben, sondern von Fall zu Fall zu handeln, wie es ihr am besten schien. Sie hat zwar Veronica gegenüber wohl nie mehr so offen über ihre Bücher gesprochen – das ganz bestimmt nicht –, aber warum sich eine Freundschaft 114
verbieten, die um einiges anregender war, als alles andere, was auf diesem Campus unter der Bezeichnung ›menschliche Beziehung‹ firmiert. Der andere merkwürdige Punkt ist, daß Veronica offenbar wirklich davon überzeugt war, eine wichtige Rolle sowohl bei der Konzeption wie auch bei der Niederschrift von Patrices Buch gespielt zu haben, und sie wollte von Patrice dafür öffentliche Anerkennung. Du würdest es nicht glauben, meine Liebe, wie sehr wir uns alle danach sehnen, endlich von unseren Eltern, oder deren Stellvertretern, anerkannt zu werden. Mein Vater, der die achtzig längst überschritten hat, glaubt, ich hätte mich dem Teufel verschrieben mit meiner Psychiatrie und daß ich obendrein noch eine Radikale bin.
In meinen gelasseneren Momenten ist mir natürlich klar, daß der alte Tölpel einfach ein Erzreaktionär ist, aber immer noch träume ich davon, daß er zu mir sagt: ›Das hast du gut gemacht, mein Kind.‹«
»Aber wie wurde Patrice Veronicas Mutter? Veronica hat ihre Mutter geliebt, das hat sie mir selbst erzählt, und Mami, nehme ich an, hat zu ihr gesagt, ›Gut gemacht, mein Mädchen‹.«
»Nimm lieber nichts dergleichen an. Ich glaube, ich bestelle Lammrücken. Das ist die Art deftiges Essen, die man nicht mehr gehabt hat, seit die Kinder aus dem Haus sind, und außerdem sind ja heute sowieso alle Vegetarier, besonders am Clare. Das gilt dort als Revolution, was natürlich reizt, sich auf der Stelle in einen Kannibalen zu verwandeln. Wo war ich? Mütter! Weißt du, meine Liebe, wir Analytiker sind daran gewöhnt, den Part der guten Mutter zu übernehmen, damit die wirkliche Mami die böse sein kann. Und wie es aussieht, war Patrice für Veronica die gute Mutter. Zitiere mich aber bitte nie. Warum reden wir eigentlich über Mütter?«
»Warum reden wir überhaupt über etwas? Madeline, eins ist mir einfach ein Rätsel: wenn ich den Vorträgen von Leiterinnen feministischer Forschungsprogramme aus Princeton zuhöre, bin ich sofort bereit, für die Sache der Frauen auf die Barrikaden zu gehen und zutiefst davon überzeugt, daß der Wandel in den hergebrachten Ideologien der Geschlechterrollen die tiefgreifendste Revolution der Weltgeschichte ist – aber ich brauche nur zwei Tage am Clare zu verbringen, und schon bin ich dafür, daß alle weiblichen Säuglinge bei der Geburt ausgesetzt werden. Habe ich irgendein psychisches Problem oder ist irgend etwas abgrundtief falsch am Clare, oder vielleicht an allen Frauencolleges?«
»Es gibt einfach nichts Tröstlicheres für die Seele als Pastete auf Toast. Ist es wirklich so köstlich oder macht es nur dick und besänftigt?«
»Genau dieses Gespräch habe ich schon mit Archer geführt. Hör bitte auf, übers Essen zu reden. Iß und trink, aber sprich übers Clare.«
»Kate, ich hab dir doch meine Meinung schon gesagt, damals in dem stickigen Tunnel. Lies Margaret Rossiter, wenn du wissen willst, wie es Frauen in diesem Land ergeht, die wissenschaftlich arbeiten. In dem Maße, wie die Wissenschaft zu einer immer härteren Angelegenheit wurde, wurden die Frauen als das Gegenteil 115
von hart angesehen: weich, liebevoll, fraulich, bezaubernd irrational. Der Rollenkonflikt ist also uralt. Rossiter schreibt, daß Emma Willard bei der Eröffnung ihrer Schule so tun mußte, als sei ihr Ziel, bessere Ehefrauen, bessere Hausfrauen und Mütter heranzuziehen, während sie in Wirklichkeit soviel Wissensstoff wie möglich vermittelte. Wußte sie, was sie tat? War ihr die doppelte Botschaft bewußt? Rossiter weiß es nicht, und auch wir können es nicht wissen.
Aber alle Frauen im Erziehungswesen stecken in dieser Falle. Gleich in welcher Kultur – immer wurden ihnen (symbolisch gesprochen) die Füße verkrüppelt. Und Frauen, die sich für die harten Fakten interessierten, galten aller Welt als unweiblich und übernahmen sogar dieses Urteil über sich. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Versuche, feministische Studiengänge einzuführen, und der gesamte männliche Lehrkörper wird zu den Ehemaligen rennen und lamentieren, Lesbierinnen hätte das College an sich gerissen.«
»Wie erklärt denn ihr Analytiker diese entsetzliche Furcht vor Lesbierinnen?«
»Wenn es Freudianer sind, benehmen sie sich ganz wie ihr Meister: sie verlieren vor Schreck ihre Bauchbinden oder Hüfthalter – je nachdem. Lies einmal, wenn du mal einen Monat frei hast, all die neueren Interpretationen des Falles Dora. Was ich nur nicht verstehe, ist, warum all die Frauen, die den Sinn des Lebens darin sehen, entweder glücklich um einen Mann zu kreisen oder ohne Mann unglücklich in irgendwelchen Leerräumen herumzuirren, die Lesbierinnen nicht mit Handkuß begrüßen, die doch schließlich die Konkurrenz erheblich verringern; wenn du weißt, was ich meine.«
»Wenn die Frauencolleges die Sache der Frauen nicht befördern, was bewirken sie dann – außer daß sie die männlichen Vorstellungen von Weiblichkeit bewahren?«
»Da siehst du’s mal wieder, Kate; du drückst alles viel klarer aus als ich und noch dazu mit einem Drittel der Worte. Können wir jetzt zu etwas Erbaulicherem übergehen, einer zweiten Flasche Wein zum Beispiel? Hast du etwas dagegen, wenn wir zu rotem wechseln? Der paßt besser zu meinem Lamm.«
Während der Kellner die Gläser auswechselte und die Vorspeisenteller fortnahm, lehnte sich Kate zurück und seufzte. Warum war dieses Gespräch mit Madeline so viel weniger befrachtet und angespannt als alle anderen auf dem verdammten Campus, selbst die mit Archer? Was tat das Clare den Leuten nur an –
immer wieder stellte sich Kate diese Frage, die, letztendlich, nicht ihre Sorge war.
Ihre Sorge war, herauszufinden, was in jener Juninacht mit Patrice geschehen war.
Sollte sie mit Madeline über den Dr.-Myers-Darsteller sprechen? Nicht ohne Dirk Myers’ Einverständnis, und Kate war sich ziemlich sicher, daß er die Geschichte geheimhalten wollte, jedenfalls vorläufig.
»Kate«, sagte Madeline, »jetzt geht es mir schon viel besser, und ich bin ganz Ohr für dein Problem. Du warst sehr geduldig mit meiner schlechten Laune. Dein Problem, wenn ich es grob ausdrücken darf, heißt also: warum ging Patrice in 116
diesen See, und, wenn sie nicht hineinging, wie kam sie dann dorthin. Richtig?«
»Richtig. Madeline, du hast Medizin studiert, ehe du Analytikerin wurdest. Ich meine, du bist Ärztin. Gibt es irgendein Mittel, das jemanden bewußtlos macht und nach einigen Stunden nicht mehr nachweisbar ist im Körper?«
»Natürlich. Pentothai. Es löst sich spurlos auf.«
»Das Mittel, das immer in Filmen verabreicht wird? Dann müssen die Leute rückwärts zählen, erinnern sich plötzlich und plaudern alles aus.«
»Genau das. Unter Laien heißt es Wahrheitsserum. Es wird übrigens nicht nur benutzt, um verborgene Erinnerungen wachzurufen. Es entspannt auch et cetera.«
»Wenn ich dich richtig verstehe, hätte also jemand Patrice Pentothai injizieren können, und bei der Autopsie hätte man keine Spuren gefunden?«
»Nicht so schnell! Nach einer Injektion ist die Einstichstelle zu sehen.
Pentothai muß in eine Vene injiziert werden. Es sei denn, ein Patient liegt zum Beispiel im Krankenhaus und hängt an einem intravenösen Tropf, da kann es natürlich durch die gelegte Kanüle gegeben werden.«
»Kann die winzige Einstichstelle nicht leicht bei einer Autopsie übersehen werden?«
»Nicht, wenn der Arzt, der sie vornimmt, so arbeitet, wie er sollte. Und ich wette, das tun die meisten – Reed wird dir das bestätigen können.«
»Und wie steht’s zum Beispiel mit der Schädeldecke, unter dem Haar?«
»Kate, planst du einen Mord oder willst du einen aufdecken? Die Schädeldecke ist nicht der geeignete Ort, um für Injektionszwecke nach einer Vene zu suchen.«
»Trotzdem – ein Lichtblick. Denn das heißt doch, jemand hätte Patrice überwältigen, betäuben und dann im See ertrinken lassen können.«
»Nur, daß es so nicht gewesen sein kann«, sagte Madeline mit vollem Mund.
»Göttlich, mein Lamm. Und dein Lachscarpaccio? Fein genug geschnitten? Gut. –
Denn dann wäre sie anders ertrunken. Ich nehme an, daß ihre Lungen mit Seewasser gefüllt waren. Das heißt sie ertrank im See. Jemand, der bewußtlos ins Wasser geworfen wird, ertrinkt anders, jedenfalls aus medizinischer Sicht. Aber verlaß dich nicht auf mein Wort. Vielleicht hast du ja recht.«
»Nein, wahrscheinlich hast du recht. Darauf hätte man bei der Autopsie bestimmt geachtet. Zuallererst müssen sie doch nach Anzeichen gesucht haben, ob sie ohnmächtig oder schon tot war, als sie im See ertrank. Aber einen Moment lang habe ich geglaubt, wir hätten des Rätsels Lösung.«
»Kate, warum nicht einfach der Tatsache ins Gesicht sehen, daß sie wahrscheinlich Selbstmord begangen hat? Vom Standpunkt des Analytikers aus ergibt das durchaus Sinn. Noch bis vor kurzem kursierte das Märchen, daß Leute, die mit Selbstmord drohen, ihn nie begehen, aber das ist Unsinn. Das Gegenteil ist der Fall. Denk nur an Plath, Woolf und Sexton – sie alle hatten schon Selbstmordversuche hinter sich. Plath schrieb sogar ein Gedicht darüber. Vielleicht wollte sie nicht um jeden Preis sterben, und vielleicht ging es Patrice genauso. Es 117
war ein turbulenter Abend, überall wimmelte es von Menschen, vor allem älteren Ehemaligen, die um den See spazierten und zweifellos an ihren ersten ekligen Kuß dachten. Es muß deprimierend wie die Hölle gewesen sein.«
»Du meinst, weil sie über den Tod nachdachte, ihn hofierte und über ihn schrieb, ist es leichter, an ihren Selbstmord zu glauben? Zugegeben. Aber Tatsache ist, daß ihre Einstellung zum Tod, die ja niemandem ein Geheimnis war, es ihrem Mörder um so leichter machte: jeder würde genau das sagen, was du gerade gesagt hast. Und außerdem, Madeline, gibt es noch andere Gründe, über die ich nicht sprechen darf, die auf Mord hinweisen, oder zumindest auf Mordpläne.«
»Gib dich so rätselhaft, wie du willst, aber fang nicht an zu brüten, jedenfalls nicht jetzt, wo ich dich gerade zu einer Crème brûlée überreden will. Lassen wir es am besten dabei: wenn du noch Fragen hast, komm einfach wieder zu mir.
Einverstanden?«
»Natürlich.« Kate lächelte sie an. »Willst du wirklich deine Kündigung schreiben?«
»Der Brief ist schon so gut wie fertig. Bis zum 15. Juni bleibe ich noch und keinen Tag länger.«
»Was ist am 15. Juni?«
»Die Abschlußexamen. Aus irgendeinem Grund ist das immer der heißeste Tag des Jahres, wenn es nicht gerade wie aus Kübeln schüttet, so zumindest behauptet man. Mein Vertrag läuft natürlich bis zum 1. Juli, aber den Rest des Junis werde ich nur noch herumtrödeln und meine Büropflanzen verschenken. Wie lange bleibst du noch in der Gegend?«
»Nur bis übermorgen. Wenn ich mich nicht doch noch entschließe, das Wochenende dranzuhängen, was ich aber nur tun werde, falls sich etwas Neues ergibt; was ich jedoch bezweifle.«
»Die Forschungsgruppe hat also ihre Arbeit getan?«
»Ja, am Donnerstag. Und es sieht ganz so aus, als würde sie ein Versuchsprogramm für feministische Studiengänge empfehlen, für einen begrenzten Zeitraum natürlich. Und dann wird die Rektorin entweder vor Entsetzen hysterisch werden oder es von vornherein abwürgen. Ich schließe meine Wette auf beide Möglichkeiten ab.«
Am Donnerstag stellte sich heraus, daß Kate nur bis zu einem gewissen Grad recht gehabt hatte. Die Forschungsgruppe empfahl zwar kein ausgesprochenes Versuchsprogramm für feministische Studiengänge, aber, probeweise Kurse mit Frauenthemen in bestimmten Fachbereichen anzubieten. Außerdem schlug sie vor, gedrängt von Kate und jenen mittlerweile mutig gewordenen Mitgliedern, die der ganzen Idee nicht völlig ablehnend gegenüberstanden, allen Dozenten, die bereit wären, Kurse mit Frauenthemen auszuarbeiten, Unterstützung in Form von Subventionen und Befreiung von ihren sonstigen Lehraufgaben zu gewähren. Da hast du dein Fett, dachte Kate mit Blick auf die Altphilologin, die auf das eine wie 118
das andere kein Anrecht hatte. Aber ohne Zweifel, sagte Kate zu sich selbst, wird sie eine totale Kehrtwendung machen und Geld beantragen, damit sie beweisen kann, daß es im alten Griechenland überhaupt keine Frauen gab: Wie boshaft ich geworden bin. Kein Wunder, daß Patrice Todesgedanken wälzte. Im Gegensatz zu mir konnte sie nicht einfach aufstehen und gehen.
Was die Rektorin betraf, so hatte Kate sich allerdings geirrt. Diese zeigte sich hocherfreut über die Empfehlungen der Forschungsgruppe und lud alle für den Donnerstag abend zu einer Cocktailparty ein, um das Ergebnis der Arbeit zu feiern.
Während Kate sich für den Anlaß umzog, überlegte sie, ob die Rektorin warten würde, bis sie alle fort waren und dann das Programm entweder gleich abwürgen oder dessen Durchführung endlos verzögern würde. Nun, dachte Kate, ich werde sie im Auge behalten und ihr hin und wieder eine kleine Erinnerungsnotiz schicken. Und das werde ich ihr gleich heute abend ankündigen, wenn ich den unvermeidlichen Sherry ablehne.
Aber auch in diesem Punkt war Kate voreilig gewesen. Alle denkbaren Getränke, alkoholische wie nicht alkoholische, waren bereitgestellt (außer natürlich Laphroaig. Wirklich merkwürdig, daß Geddes seine Vorliebe dafür von Patrice übernommen hatte: Vielleicht hat sie ihm von unserer Begegnung auf dem Flughafen erzählt, aber bestimmt nicht von unserem Gespräch.). Kate, die auf den nie enttäuschenden Martini zurückgriff, plauderte mit den Mitgliedern der Forschungsgruppe, die ihr mittlerweile so vertraut waren, wie es typisch für Leute ist, die gemeinsam eine längere, gefährliche Erfahrung überstanden haben: zum Beispiel ein Flugzeugunglück in der Wüste. Kate, die an Patrice dachte, beschloß, sie zu erwähnen. »Zu schade«, sagte sie, »daß Patrice Umphelby nicht mehr dabei sein kann. Sie wäre zufrieden mit unserem Ergebnis, meinen Sie nicht?«
»Genau das habe ich auch oft gedacht«, sagte eine Dozentin, wie sich herausstellte, aus dem Fachbereich Mathematik. »Und manchmal hatte ich das Gefühl, daß Sie sie sehr würdig vertreten haben. Ich habe eigentlich nie recht eingesehen, warum man unbedingt von weiblicher Wissenschaft sprechen sollte, aber ich muß zugeben, daß all die Frauen, die ich nun kennengelernt habe, und die in diesem Bereich arbeiten, mich beeindruckt haben. Ich vermisse Patrice sehr«, fügte sie hinzu.
»Waren Sie auf ihrer Gedenkfeier in New York?« fragte Kate. »Man spürte dort, daß jemand Großes geehrt wurde.«
»Nein, obwohl ich gern hingegangen wäre. Wir hatten natürlich eine Trauerfeier hier in der Kapelle. Es wurde versucht, sie so zu gestalten, wie sie Patrice gefallen hätte, aber die Trauer ihrer Freunde und ihrer Familie war zu tief und die Heuchelei der anderen zu groß. Ich persönlich«, fügte sie hinzu und kippte ihren Whisky, »hätte es mutiger gefunden, wenn sie erst gar nicht erschienen wären.«
Kate lächelte und spürte, wie sehr sie diese gedrungene Frau mochte, die all ihr 119
Interesse Theoremen widmete und nicht dem Sexualleben oder Geschlecht ihrer Studenten. Wer hatte Patrice gemocht und wer nicht, es war wirklich ein verwünschter Lackmus-Test. Die, die sie gemocht hatten, waren die Guten, ganz offensichtlich. Vorsicht, Kate, sagte sie zu sich selbst. Schließlich hast du nur eine Handvoll Professoren und Dozenten kennengelernt.
Im Verlauf ihrer Pilgerreise durch den Raum bahnte sich die Rektorin schließlich auch ihren Weg zu Kate, und sie standen, was sehr uncharakteristisch für beide war, einen Moment schweigend beieinander. Kate konnte an diesem Ort schlecht von ihrer Untersuchung sprechen, und die Rektorin, die offenbar ihr erstes Gespräch nicht vergessen hatte, konnte kaum Lust verspüren, das Gespräch auf das Forschungsprojekt zu bringen. »Ich hoffe«, fand sie schließlich als erste die Sprache wieder, »Sie haben unseren schönen Campus genossen. März ist nicht der freundlichste Monat hier, aber es gibt doch genug schöne Tage für einen Spaziergang.«
»Besonders habe ich meine Spaziergänge um den See genossen«, sagte Kate.
»Wie lange gehört dem College schon das ganze Land darum herum?«
»Schon vor meiner Zeit, aber nicht lange davor, glaube ich«, sagte die Rektorin, die das neutrale Thema erleichtert aufnahm. »Eine Zeitlang hatte man große Sorge, das Land könne den falschen Leuten in die Hände fallen, Leuten mit Bauprojekten oder Plänen für Schwimmclubs oder noch schlimmerem.
Glücklicherweise spendete der wohlhabende Mann einer Ehemaligen soviel Geld, daß wir alles Land aufkaufen konnten. Die Dozenten wurden ermutigt, in den Häusern am See zu wohnen, sogar neue zu bauen, wobei die Hypotheken weitgehend vom College übernommen werden, an das die Häuser zurückfallen, wenn der Dozent stirbt oder fortgeht.«
»Die Häuser sind wahrscheinlich sehr begehrt?«
»Ja. Aber wie Sie sich denken können, hatten viele ältere Dozenten, die schon lange Zeit hier sind, den Vortritt.«
»Ich habe Professor Geddes besucht.«
»O ja. Er pflegt Haus und Grundstück ganz wundervoll. Unermüdlich sind er und seine Frau dabei, das Anwesen zu verschönern. Wir haben ihn tatsächlich daran erinnern müssen, daß es später ans College zurückfällt. Vor einigen Jahren legten sie einen Swimmingpool an, und vor kurzem haben sie bis hinunter zum See Rasen gesät. Jetzt, im März, konnten Sie natürlich noch nicht sehen, wie wunderhübsch sich das macht. Aber ich hoffe doch sehr, daß Sie uns später, wenn hier alles blüht, einmal besuchen.« Ihre Augen waren schon unterwegs zum nächsten Gesprächspartner in der Runde. Kate nickte ihr ihren vorläufigen Abschied zu, und das mit mehr Sympathie, als sie bisher empfunden hatte; ob dafür der Gin verantwortlich war oder die geschliffenen Manieren der Rektorin, das zu entscheiden, fand sie jedoch nicht der Mühe wert.
»Wirklich bewundernswert, wie sie ihre Kreise durch den Raum zieht«, sagte 120
einer der Männer aus der Forschungsgruppe. »Bewundernswert fand ich übrigens auch, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Ihre Geschicklichkeit in unseren Sitzungen.«
»Unsinn«, sagte Kate. »Ich war doch nur ein Eindringling und habe zu viel geredet. Aber eines frage ich mich«, fuhr sie fort, um das Gespräch, wie sie es immer bei Fremden tat, von sich abzulenken: »Warum legen die Dozenten, die am See wohnen, Swimmingpools an? Warum schwimmen sie nicht im See?«
»Oh, ich bin einer von denen, die am See wohnen und einen Swimmingpool haben, deshalb fällt mir die Antwort leicht: Man kann nicht schwimmen im See.
Das Wasser ist umgekippt, woran all die Boote, Chemikalien und anderen abscheulichen Dinge schuld sind. Jedenfalls ist das Schwimmen im See verboten.
Die Unfallgefahr ist zu groß. Und die Studentinnen kann man nur dann vom Schwimmen abhalten, wenn auch sonst niemand es tut. Im Winter fahren wir aber Schlittschuh auf dem See, und meine Tochter segelt im Sommer darauf.« Kate stellte erleichtert fest, daß dieses Gespräch über den See ihn nicht an Patrice erinnerte. Als Wirtschaftswissenschaftler gehörte er zu den Männern, die sich mit dem gerade anstehenden Problem befassen und nicht zu abwegigen Assoziationen hinreißen lassen. Das Gespräch mit ihm hatte ihre Geduld für Cocktailparties ganz allgemein erschöpft, und ihre soziale Verpflichtung gegenüber dieser speziellen hatte sie ihrer Meinung nach mehr als erfüllt. Also verabschiedete sie sich unauffällig und ging hinüber zu Lucy und Bertie, in der Hoffnung, Archer dort zu treffen.
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