9. Kapitel
Eine der vermummten Gestalten fuhr in ihrem Stuhl herum und starrte ihn an. Ihre Augen waren vor Überraschung geweitet und signalisierten eine Warnung, die Flinx aber ignorierte. Sie schickte sich an aufzustehen.
Der Rest der Gruppe starrte den jungen Mann an, der auf der anderen Seite am Eingang stand. Einer der jüngeren Männer legte Mutter Mastiff die Hand auf die Schulter und drückte sie in ihren Stuhl zurück, worauf sie ihn sofort in die Hand biss. Der Begleiter des Mannes zog etwas aus der Manteltasche und ging auf Flinx zu. Die Gesichter der Gruppe, die bei Flinx unerwartetem Auftauchen zuerst Verblüffung gezeigt hatten, blickten jetzt grimmig.
Flinx suchte Boden und Wände ab, fand den Schalter, den er gesucht hatte, und drückte ihn. Die Lichter im Speisesaal gingen aus, so dass der Raum jetzt nur noch von dem schwachen Tageslicht erhellt wurde, das durch die schmalen Fenster hereinfiel.
Was für ein phantastisches Talent ich doch besitze, dachte er, während er sich Deckung suchend wegduckte. Er hatte scharf und eindeutig auf Mutter Mastiffs Gegenwart reagiert - nachdem er fast über sie gestolpert war.
Der Raum füllte sich mit Schreien der regulären Gäste, in die sich die Flüche der Gruppe mischten, die Flinx überrascht hatte. Er versuchte nicht, den Tisch zu erreichen, wo man Mutter Mastiff festhielt. Dafür war er ein zu erfahrener Veteran aus vielen Straßenprügeleien. Vielmehr hatte er sich mit einem Blick die Anordnung des Speisesaals eingeprägt, zog sich zurück und versuchte, an der Außenwand entlangkriechend, in den Rücken seiner Gegner zu gelangen. Drei waren mit ihr am Tisch gesessen, und dazu kamen noch die zwei, die eben erschienen waren. Fünf Gegner.
»Wo ist er denn - macht doch Licht!« Sehr hilfreich von ihnen, dachte Flinx, dass sie ihn wissen ließen, wo sie waren. Er würde diese Information schnell nutzen müssen, das wusste er. Bald würde einer der Gäste oder ein Angestellter wieder Licht gemacht haben und ihm damit den einzigen Vorteil nehmen, den er im Augenblick besaß.
Ein scharfes Knistern ging durch den Raum, begleitet von einem kurzen Lichtblitz. Einer der anderen Gäste stieß einen Warnruf aus. Flinx lächelte. So lange sich alle an den Boden pressten, würden die Lichter noch eine Weile ausgeschaltet bleiben.
Ein zweiter Blitz zerriss die Luft in Tischhöhe, dicht genug, dass seine Haut prickelte. Ein Lähmungsstrahl. Die Gegenseite hatte also nicht vor, ihn zu töten, dachte er, nahm sich aber nicht die Zeit zu überlegen, warum sie so um ihn besorgt waren. Die Entführer feuerten weiterhin blindlings durch die Finsternis. So lange diese nervenlähmenden Strahlen den Raum erfüllten, würde kein Angestellter einen Lichtschalter betätigen.
Flinx, wieder einmal dankbar für seine schmächtige Gestalt, hatte inzwischen auf dem Bauch kriechend die andere Wand erreicht. Im gleichen Augenblick hörte das Strahlerfeuer auf. Da er vermutete, dass einer seiner Widersacher jetzt nach einem Lichtschalter tastete, bereitete Flinx sich darauf vor, schnell an dem Kaminfeuer vorbeizugelangen. Dann stieß jemand einen heftigen Fluch aus, und er hörte, wie ganz in der Nähe ein Tisch und Stühle umgeworfen wurden. Flinx Hand fuhr an den Stiefel. Er richtete sich zu halb geduckter Haltung auf und wartete.
Wieder hörte er ein stolperndes Geräusch, lauter, dicht vor ihm. Er griff nach einem Stuhl und stieß ihn in die Dunkelheit hinein. Ein Mann erschien im Feuerschein des Kaminfeuers, und ein Blitz hüllte den Stuhl ein. Flinx huschte hinter den Mann und benützte sein Stilett so, wie der alte Makepeace es ihm beigebracht hatte. Der Mann war zweimal so groß wie Flinx, aber sein Fleisch war auch nicht zäher als das anderer Leute. Er gab einen stöhnenden Laut von sich und sank in sich zusammen. Flinx sprang vor, verließ den verräterischen Feuerschein.
»Erin«, rief eine Stimme unsicher, »alles in Ordnung?« Einige weitere Blitze erfüllten die Luft und trafen den Steinkamin, wo Flinx noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatte. Falls es Ziel dieser Schüsse gewesen war, Flinx zu treffen, so gelang ihnen das nicht, andererseits zwangen sie ihn, sich wieder an den Boden zu pressen.
Augenblicke später flammten die Lichter auf, grässlich hell und strahlend. Flinx, der unter einem Tisch Deckung gefunden hatte, wagte nicht, sich zu regen, aber er hätte keine Angst zu haben brauchen. Die Entführer Mutter Mastiffs, darunter auch der überlebende Schütze, waren geflohen.
Flinx richtete sich auf. Die anderen Gäste blieben auf dem Boden liegen. Wer oder was die Lichter wieder eingeschaltet hatte, war nicht zu erkennen, und er hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken.
Die Tür am anderen Ende des Saals stand offen. Sie führte auf eine halbrund angelegte Veranda. Er rannte auf die Tür zu, blieb aber vorsichtshalber kurz davor stehen und warf einen Stuhl hinaus. Als niemand darauf schoss, atmete er tief durch und sprang mit einem Satz hinaus, rollte sich über die Veranda und kam aus der Rolle in der halbgeduckten Haltung des erfahrenen Kämpfers heraus.
Doch da war kein Feind, mit dem er hätte kämpfen müssen - die Veranda war leer und verlassen. Was man von der Küste zur Linken nicht sagen konnte. Zwei Sumpfer parkten am Ufer. Jetzt drängten sich die Reisenden, die er so lange verfolgt hatte, unter seinen hilflosen Blicken in die beiden Fahrzeuge. Keinen Gedanken an die eigene Sicherheit verschwendend, rannte er die paar Stufen hinunter, auf den Abhang zu, der zum Seeufer führte. Der erste Sumpfer jagte bereits über den Wellen dahin. Als er das Wasser erreicht hatte und erschöpft in die Knie sank, das nutzlose Messer in der rechten Hand, hatte auch das zweite Fahrzeug abgelegt, und beide zogen über den See davon.
Nach Atem ringend, richtete Flinx sich auf und eilte wieder den Abhang hinauf. Er würde die Verfolgung schnell aufnehmen müssen. Wenn er sie auf dem weiten See aus dem Auge verlor, würde er sie so schnell nicht mehr finden, da er ja nicht wusste, an welchem Ufer sie herauskommen würden. Er taumelte um den Gasthof herum und riss die Tür seines Sumpfers auf. Eine grüne, aufgedunsene Schlange starrte ihn an. Pip wirkte entschieden unglücklich. Er versuchte, die Schwingen zu entfalten, sank aber gleich wieder kläglich auf den Sitz zurück.
»Du warst mir auch eine Hilfe«, herrschte Flinx den Minidrach an. Der schaffte es, eher noch jämmerlicher auszusehen. Er hatte ganz offensichtlich die Gefahr gefühlt, in der Flinx sich befunden hatte, und versucht, ihm zu helfen, es aber einfach nicht geschafft.
Flinx schickte sich an einzusteigen, als ihn eine Stimme und eine Hand, die ihn an der Schulter packte, daran hinderten. »Einen Augenblick!« Flinx erschrak, aber ein Blick auf Pip zeigte ihm, dass die Flugschlange nicht defensiv reagierte.
»Das geht jetzt nicht«, wollte er sagen, während er sich umdrehte. Aber als er sah, wer ihn da festhielt, brachte er kein Wort heraus, sondern konnte sie nur anstarren.
Sie schien über ihm aufzuragen, obwohl sie in Wirklichkeit höchstens ein paar Zentimeter größer war. Das schwarze Haar fiel ihr in kleinen Löckchen bis zu den Schultern. Sie hatte ihre Buschjacke in den Hosenbund gestopft, und die Hosenbeine wiederum in kurze Stiefel. Sie war schlank, aber nicht dürr. Mund und Nase waren nur so groß wie bei einem Kind, und ihre Backenknochen unter den großen braunen Augen hoch. Ihre Haut war fast so dunkel wie die von Flinx. Aber diese Färbung rührte von der Strahlung vom naheliegenden See und nicht von ihren Ahnen her. Sie war die auffallendste Schönheit, die Flinx je gesehen hatte.
Jetzt fand er seine Stimme wieder und murmelte: »Ich muss denen nach.« Die Hand ließ seine Schulter nicht los. Er hätte sie wegwischen können, aber er tat es nicht.
»Mein Name ist Lauren Walder«, sagte sie. »Ich bin hier die Geschäftsführerin von Granite Shallows.« Ihre Stimme war voll mühsam unterdrückter Wut, als sie jetzt mit einer ruckartigen Kopfbewegung zum See hinüberdeutete. »Was haben Sie mit diesen Idioten zu tun?«
»Die haben meine Mutter entführt«, erklärte er. »Ich weiß nicht, warum, und das interessiert mich im Augenblick auch gar nicht. Ich will sie bloß zurück haben.«
»Da sind Sie ein wenig in der Minderzahl, nicht wahr?«
»Das bin ich gewöhnt.« Er deutete auf die Fenster des Speisesaals und die immer noch offenstehende Tür zur Terrasse. »Schließlich liegt da nicht meine Leiche auf dem Boden.«
Sie musterte ihn mit gerunzelter Stirn, und ihre Brauen schoben sich zusammen. »Woher wissen Sie, dass der Mann tot ist?«
»Weil ich ihn getötet habe.«
»Verstehe«, sagte sie und studierte ihn im Licht dieser neuen Erkenntnis. »Womit?«
»Mit meinem Stilett«, sagte er.
»Ich sehe kein Stilett.« Ihr Blick musterte ihn von oben bis unten.
»Das sollen Sie auch nicht. Hören Sie, ich muss jetzt weiter. Wenn die einen zu großen Vorsprung bekommen ...«
»Keine Sorge«, sagte sie, sichtlich bemüht, ihn zu beruhigen. »Ich hab da etwas, was ich Ihnen zeigen muss.«
»Sie verstehen anscheinend nicht«, beharrte er. »Ich weiß nicht, wie ich denen auf der Spur bleiben soll. Ich weiß nicht, wo sie an Land gehen und ...«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Sie werden sie nicht verlieren.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil wir die bald eingeholt haben. Lassen Sie sie ruhig glauben, sie wären entkommen.« Ihre Hand spannte sich um seine Schulter. »Ich verspreche Ihnen, dass wir sie fangen.«
»Nun ... « Er warf Pip einen Blick zu vielleicht würde die Flugschlange bald wieder imstande sein aufzusteigen. Das könnte in einer bevorstehenden Auseinandersetzung sehr wichtig sein. »Wenn Sie ganz sicher sind ...«
Sie nickte wieder und wirkte dabei ebenso kompetent wie sie schön war. Ziemlich jung als Geschäftsführerin dieses Freizeitparks, dachte er. Eigentlich sollte sie ja wissen, wovon sie redete. Auf ein paar Minuten konnte er ihr ja jedenfalls vertrauen.
»Was haben Sie mir denn so Wichtiges zu zeigen?« fragte er.
»Kommen Sie mit!« Ihre Stimme war immer noch voll Zorn.
Sie führte ihn quer über die Terrasse, ins Haus zurück, und dort in den Speisesaal. Einige ihrer Mitarbeiter bemühten sich um eine der Frauen, die dort gegessen hatte, als die Lichter ausgegangen waren und die Schießerei begonnen hatte. Ihr Mann und ihre Begleiter standen besorgt um sie herum; ihr Atem ging schwer, und sie hielt sich mit einer Hand die Brust.
»Herzanfall«, erklärte Lauren knapp.
Flinx sah sich um. Da lagen immer noch umgestürzte Tische und Stühle, aber sonst deutete nichts darauf, dass in dem Raum ein verzweifelter Kampf stattgefunden hatte. Paralysestrahlen beschädigten unbelebte Gegenstände nicht. Der Mann, den er getötet hatte, war vom Personal entfernt worden. Darüber war er froh.
Lauren führte ihn zur Küche. Neben der Tür lagen die zwei pelzbedeckten Gestalten, die er beim Betreten des Raums bemerkt hatte. Aus der Nähe konnte er ihre runden Gesichter sehen, die noch im Tod vor Schmerz verzerrt waren. Ihre kurzen Stummelbeine hatten sie dicht an sich herangezogen. Ihr Pelz war rostrot, abgesehen von gelben Kreisen rings um die Augen, die jetzt zugepresst waren. Für immer.
»Sennar und Soba«, sagte Lauren und sah die toten Tiere mit einer Mischung aus Wut und Trauer an. »Das sind Wervils - oder besser gesagt, das waren welche«, fügte sie bitter hinzu. »Ich habe sie von klein auf gepflegt und aufgezogen. Ich fand sie verlassen im Wald. Sie haben hier gerne neben der Küche geschlafen. Alle Leute haben sie gefüttert. Sie müssen sich im falschen Augenblick bewegt haben. In der Dunkelheit muss einer von diesen ...« - sie benutzte einen Ausdruck, den Flinx nicht erkannte, was für sich betrachtet schon ungewöhnlich war - »geglaubt haben, das wären Sie. Die haben auf alles geschossen, das sich bewegte, hat man mir gesagt.« Sie hielt einen Augenblick inne und fügte dann hinzu: »Sie müssen das Glück einer schwangeren Yax'm gehabt haben. Die haben so ziemlich alles außer Ihnen getroffen.«
»Ich war auf dem Boden«, erklärte Flinx. »Ich stehe nur auf, wenn ich unbedingt muss.«
»Ja, wie der da festgestellt hat.« Sie deutete mit dem Daumen in die Haupthalle. Flinx konnte sehen, wie einige Bedienstete dort etwas in Laken hüllten. Es verblüffte ihn, wie groß sein Gegner gewesen war. Aber in der Dunkelheit kommt es nur darauf an, wie groß das Messer ist, das man in der Hand hält.
»Das hätten die nicht zu tun brauchen«, murmelte die junge Frau und starrte auf die toten Tiere. »Die hätten nicht so verdammt gleichgültig zu sein brauchen. Vier Jahre habe ich diese zwei gehätschelt. Vier Jahre, und sie haben nie jemandem etwas zuleide getan.« Flinx wartete stumm.
Nach einer Weile bedeutete sie ihm, ihr zu folgen. Sie gingen in die Halle hinaus, durch einen schmalen Korridor und erreichten schließlich einen Lagerraum. Lauren sperrte die durchsichtige Tür eines Wandschranks auf und entnahm ihm eine große, kompliziert aussehende Schusswaffe und ein paar kleine radförmige Plastikbehälter. Einen davon hakte sie in den großen Schlitz am Kolben der Waffe ein. Für sie schien der Karabiner viel zu schwer, aber sie schwang ihn sich leicht über die Schulter und schob den rechten Arm durch den Trageriemen. Dann steckte sie sich eine Pistole in den Gürtel und führte ihn wieder in den Korridor hinaus.
»Eine solche Waffe habe ich noch nie gesehen«, meinte Flinx und wies auf den Karabiner. »Was jagen Sie damit?«
»Das ist nicht zum Jagen«, erklärte sie. »Das ist zum Fischen. Jedes dieser Magazine ...« - sie wies auf die radförmigen Behälter, die sie Flinx gereicht hatte - »enthält etwa tausend Bolzen, und jeder Bolzen ist mit ein paar Millimeter eines äußerst wirksamen Neurotoxins beladen. Wenn Sie sich damit in den Finger stechen ...« Sie zuckte vielsagend die Achseln.
»Die Magazine werden in der Fabrik in Drallar mit den Bolzen geladen und anschließend versiegelt. Man bekommt keinen heraus, wenn man ihn nicht damit abfeuert.« Sie klopfte gegen den Kolben ihrer Waffe und bog um eine Ecke. Sie waren wieder im Hauptkorridor.
»Sie benutzen einen Karabiner, um Fische zu töten?«
Sie lächelte. Kein besonderes Lächeln, dachte er, aber immerhin das erste, das er an ihr zu sehen bekam. »Sie sind noch nie beim Blau-das-blendet gewesen, wie?«
»Ich habe mein ganzes Leben in Drallar verbracht«, sagte er, was ja praktisch die Wahrheit war.
»Wir benutzen das hier nicht, um die Fische zu töten«, erklärte sie. »Nur um sie etwas abzubremsen, wenn sie dem Boot zu nahe kommen.«
Flinx nickte und versuchte, sich die Waffe im Einsatz auszumalen. Er wusste, dass die Seen des Blau-das-blendet einige große Fischarten beherbergten. Aber offenbar waren die größer als er sich das bisher vorgestellt hatte. Freilich, wenn die Größe der Fische in der Proportion der der Seen entsprach ... »Wie groß ist dieser See?«
»Patra? Nicht einmal zweihundert Kilometer. Der reinste Teich. Die wirklich großen Seen sind weiter oben im Nordwesten, wie Turquoise und Hanamar. Die Geografen streiten sich, ob man sie nun Seen oder Binnenmeere nennen sollte. Aber Geografen sind Narren.«
Sie verließen das Gebäude. Zumindest regnete es nicht, dachte Flinx. Das sollte ihnen die Verfolgung der Sumpfer etwas leichter machen. Er zuckte zusammen, als etwas schwer auf seiner Schulter landete, und warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Wird auch Zeit.« Die Flugschlange machte es sich auf seiner Schulter bequem, wich aber seinem Blick aus.
»Das ist ja ein interessantes Tierchen«, meinte Lauren Walder, sichtlich im Gegensatz zu den meisten Fremden ohne Angst vor dem Minidrach. Wieder ein Punkt für sie, dachte Flinx. »Wo auf Moth haben Sie das gefunden?«
»In einem Müllhaufen«, sagte Flinx, »und dazu hat er sich gerade selbst wieder gemacht. Er hat sich vor ein paar Tagen überfressen und immer noch nicht ganz verdaut.«
»Ich wollte gerade sagen, dass er etwas gelenkiger aussieht, als man aus dieser Landung schließen konnte.« Sie führte ihn hinten um den Gasthof herum, und er konnte jetzt eine kleine Landzunge mit einem zweiten Pier sehen, der sich in den See hinaus erstreckte. Von der Stelle aus, wo Flinx seinen Sumpfer geparkt hatte, war dieser Teil des Sees nicht sichtbar gewesen.
»Ich sagte doch, dass wir die einholen würden.« Sie wies auf den Pier. Das Boot, wenn man es als solches bezeichnen wollte, war ein konkav geformter Bogen, wobei jedes Ende des Bogens sich in einen Stützrumpf ausweitete. Die Kabine war am höchsten Punkt des Bogens angeordnet und gleichsam in ihm versenkt. Die Flanken des seltsamen Katamarans waren von Klappen gesäumt. Flinx fragte sich, welchen Zweck sie wohl erfüllen mochten. Am Achterdeck hingen ein paar schwere Geräte, die an Baukrane erinnerten. Ein ähnliches, kleineres Boot tanzte in der Nähe auf dem Wasser.
Sie kletterten eine gebogene Leiter hinauf, und Flinx sah Lauren dabei zu, wie sie aus dem Tragegurt ihres Karabiners schlüpfte und im Sitz des Piloten Platz nahm. Während sie die Anzeigen überprüfte und ein paar Schalter umlegte, sagte sie: »Wir holen die binnen einer Stunde ein.« Ihre Stimme klang dabei sehr überzeugt. »Sumpfer sind schnell, aber bei weitem nicht so schnell auf dem Wasser wie das hier.« Ein tiefes Dröhnen ertönte aus dem Heck des Bootes; Luft pfiff in die zahlreichen Einlasse seitlich an dem Fahrzeug, und das Dröhnen wurde lauter.
Lauren betätigte einige weitere Schalter, worauf die Magnetkupplungen am Pier sich lösten. Dann schob sie einen Schalter vor, der in das Steuerrad eingelassen war. Ein Donnern erfüllte die Luft, dass Pip zusammenzuckte. Das Wasser hinter ihnen begann zu schäumen wie ein Geysir, als unter der Wasserfläche aus den Düsen in den beiden Rümpfen kräftige Wasserstrahlen schossen. Das Boot machte einen Satz und schnitt die Wellen auseinander.
Flinx stand neben dem Pilotensessel und musste schreien, um sich bei dem Getöse Gehör zu verschaffen. »Woher wissen wir, in welche Richtung die gefahren sind?«
Lauren lehnte sich nach rechts und schnippte ein paar Schalter unter einem kreisförmigen Bildschirm, der sofort zum Leben erwachte. Ein paar hellgelbe Punkte tauchten auf. »Das hier zeigt den ganzen See.« Sie betätigte weitere Schalter. Sämtliche Punkte auf dem Bildschirm, mit Ausnahme von zweien, wechselten die Farbe und wurden grün. »Fischerboote von den anderen Parks, die rings um Patra liegen. Die haben die gleichen Instrumente.« Sie tippte mit dem Fingernagel gegen den Bildschirm. »Und die zwei da, die gelb geblieben sind? Nicht organisch, bewegt und inkompatibler Sender. Was glauben Sie wohl, wer das ist?« Flinx sagte nichts und starrte stumm auf den Schirm. Und bald darauf starrte er über den Bug, der eigentlich kein Bug war. Die Doppelrümpfe des Düsenkatamarans durchschnitten die Wellen, während Lauren immer noch ihr Tempo steigerte.
Gelegentlich sah sie auf den Bildschirm. »Die fahren ziemlich schnell - offenbar mit höchster Geschwindigkeit, zu der ihre Sumpfer fähig sind. Nordkurs, wahrscheinlich wollen sie in Point Horakov an Land. Wir müssen sie natürlich vorher erwischen. Das hier ist kein Sumpfer. Nur auf dem Wasser zu gebrauchen.«
»Und werden wir das?« fragte Flinx besorgt. »Sie erwischen, meine ich.« Seine Augen suchten den wolkenverhängten Horizont ab, suchten nach einem verräterischen Reflex von diffusem Sonnenlicht auf Metall.
»Kein Problem«, versicherte sie ihm. »Außer die haben spezielle Motoren in diesen Sumpfern. Aber in dem Fall würden sie sie schon jetzt einsetzen.«
»Was geschieht, wenn wir sie eingeholt haben?«
»Ich versuche, ihnen den Weg abzuschneiden«, sagte sie nachdenklich. »Wenn das sie nicht zum Halten veranlasst, nun ...«, sie deutete auf ihren Karabiner. »Dann können wir sie einen nach dem anderen wegputzen. Dieses Ding hier trifft auf einen Kilometer genau. Die Bolzen werden von Gas angetrieben, und ich habe ein Zielfernrohr, das es mir erlaubt, einem einen Bolzen ins Ohr zu jagen, wenn ich muss.«
»Und wenn sie zurückschießen?«
»Es gibt keine Lähmungspistole, die es an Reichweite mit diesem Karabiner hier aufnehmen kann, geschweige denn auf eine solche Distanz treffen. Die Wirkung verteilt sich. Ein Paralysestrahl wirkt nur auf nahe Distanz. Da tötet er sogar Tiere«, fügte sie bitter hinzu. »Wenn sie sich ergeben, nehmen wir sie fest und liefern sie den Wildhütern aus. Sie können dann gleich ihre eigene Anklage hinzufügen, denn Wervils stehen auf Moth unter Naturschutz. Aber lieber wäre mir natürlich, wenn sie uns Widerstand leisten würden, damit wir uns verteidigen können.«
Solch ein Blutdurst bei einer so attraktiven Frau war für Flinx keine Überraschung. Er hatte das auch auf dem Markt schon erlebt. Nur ihr Motiv war ihm neu. Er fragte sich, wie alt sie wohl sein mochte. Wahrscheinlich doppelt so alt wie er, dachte er, aber das war schwer zu sagen. Die Zeit, die sie in der Wildnis verbracht hatte, hatte eine Art von Härte in ihr erzeugt, wie es selbst das raue Leben in der Stadt nicht vermochte. Es war eine andere Art von Härte; Flinx fand sie sehr attraktiv.
»Und wenn sie sich ergeben?« Er wusste, dass das höchst unwahrscheinlich war, war aber neugierig, was sie sich für den Fall vorgenommen hatte.
»Wie ich schon sagte, dann nehmen wir sie mit und übergeben sie dem Wildhüter in Kalish.«
Er machte eine kurze, zustechende Bewegung mit der Hand. »Das könnte für mich peinlich werden.«
»Keine Sorge«, beruhigte sie ihn. »Ich werde dafür sorgen, dass Sie da nicht hineingezogen werden. Schließlich haben sie sich ja nicht nur gegen die Schutzvorschriften für Wild vergangen. Erinnern Sie sich an meinen verletzten Gast? Mrs. Marteensons ist krank. Sie könnte dauernden Schaden von diesem Paralysestrahl davontragen. Also werden sich auch nicht nur die für den Tierschutz zuständigen Behörden für diese Leute interessieren.
Und was Sie und Ihre Mutter angeht, so können Sie beide ja verschwinden. Warum hat man sie entführt? Für Lösegeld?«
»Sie hat kein Geld«, antwortete Flinx. »Jedenfalls nicht genug, als dass es die Mühe lohnen würde.«
»Nun, warum dann?« Lauren ließ den Bildschirm nicht aus den Augen, blickte nur gelegentlich zum Himmel auf, um zu sehen, ob Regen aufkam. Das Düsenboot hatte ein schließbares Verdeck. Sie hoffte aber, dass sie es nicht brauchen würden. Das würde sie beim Zielen behindern.
»Das würde ich auch gerne wissen«, antwortete Flinx. »Vielleicht finden wir es auch heraus, wenn wir sie haben.«
»Das sollten wir«, pflichtete sie ihm bei. »Obwohl das Sennar und Soba nichts mehr nutzen wird. Wahrscheinlich sind Sie inzwischen schon dahintergekommen, dass ich keine besonders hohe Meinung von menschlichen Wesen habe. Augenblickliche Gesellschaft natürlich ausgenommen. Ich mag Tiere sehr gern, ihre Gesellschaft ist mir viel lieber. Ein Wervil hat mich noch nie verraten, und auch kein anderes Waldtier, was das betrifft. Bei einem Tier weiß man, wie man dran ist. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich mich für diese Art von Leben entschieden habe, das ich hier in der Wildnis führe.«
»Ich kenne noch ein paar Leute, denen es genauso geht wie Ihnen«, sagte Flinx. »Sie brauchen sich nicht dafür zu entschuldigen.«
»Ich hab mich auch nicht entschuldigt«, antwortete sie gleichgültig.
»Und trotzdem führen Sie einen Jagdpark.«
»Keinen Jagdpark«, verbesserte sie ihn. »Einen Fischpark. Einzig und allein Fischen. Wir nehmen hier keine Jäger auf, aber ich kann die anderen Parks nicht daran hindern, das zu tun.«
»Für die Fische empfinden Sie also keine Sympathie, wie? Geht es da um Schuppen gegen Pelz? Den AAnn würde das nicht gefallen.«
Sie lächelte. »Wen interessiert schon, was den AAnn gefällt? Und im übrigen - es ist schwierig, sich mit einem Fisch anzufreunden. Ich habe zugesehen, wie die Fische in diesem See hilflose junge Wervils und andere Unschuldige aufgefressen haben, die den Fehler gemacht hatten, sich zu weit ins Wasser hineinzuwagen. Aber wenn ich mich entscheiden müsste ...« - sie drehte etwas am Steuer, und das Düsenboot machte einen Satz nach Steuerbord -, »bin ich nicht sicher, ob ich nicht die Gesellschaft selbst von Fischen der von Menschen vorziehen würde.«
»Dann ist es ja ganz einfach«, meinte Flinx. »Sie sind einfach chronisch antisozial.«
Sie zuckte gleichgültig die Achseln. »Ich bin ich, Lauren Walder. Ich bin so glücklich, wie ich bin. Sind Sie das auch?«
Sein Lächeln verblasste. »Ich weiß noch nicht, was ich bin.« Er senkte den Blick und brütete über dem Bildschirm, starrte den näherkommenden gelben Punkt an, den sie verfolgten.
Seltsam für einen jungen Mann, so etwas zu sagen, dachte sie. Die meisten Leute hätten gesagt, sie wüssten noch nicht, wer sie seien. Aber vielleicht hatte er sich nur versprochen.
Der Abstand zwischen Verfolger und Verfolgten schrumpfte auf dem Bildschirm schnell zusammen. Und so dauerte es nicht lang, bis Flinx erregt gestikulierend nach vorne deuten konnte und schreien: »Da sind sie!«
Lauren kniff die Augen zusammen und sah nur Wasser und Wolken und blickte dann auf den Schirm. »Sie haben mächtig scharfe Augen, Flinx.«
»Die braucht man, um in Drallar zu überleben«, erklärte er.
Kurz darauf sah sie die Sumpfer ebenfalls, wie sie über die Wellen dahintanzten, immer noch dem Nordufer zu. Gleichzeitig reagierten auch die Insassen der Sumpfer auf das Auftauchen des Bootes hinter ihnen. Sie beschleunigten und waren eine Weile ihren Blicken entzogen. Lauren beschleunigte. Diesmal konnten sie das Düsenboot nicht mehr abhängen.
Sie nickte. »Habe ich mir schon gedacht. Übliche Sumpfermotoren, keine Überraschungen. Ich glaube nicht, dass sie noch irgend etwas vor uns verbergen.« Sie sah ihren Begleiter an. »Meinen Sie, dass Sie dieses Ding eine Weile steuern können?«
Flinx hatte die letzte halbe Stunde damit verbracht, die Kontrollen und das Bild auf dem Schirm zu studieren. Die Instrumente waren auch nicht komplizierter als die seines Sumpfers. Andererseits war er gewöhnt, über Land zu fahren. »Ich denke schon«, sagte er. Dies war nicht der Zeitpunkt für übermäßige Vorsicht.
»Gut.« Sie rutschte aus dem Pilotensessel und wartete, bis er Platz genommen und das Steuerrad übernommen hatte. »Es reagiert sehr feinfühlig«, warnte sie ihn, »und bei unserem augenblicklichen Tempo schmeißt uns auch ein leichter Steuerausschlag in eine andere Richtung. Passen Sie also gut auf!«
»Wird schon klappen«, versicherte er ihr. Er konnte das Vibrieren des Motors durch das Steuer spüren. Ein herrliches Gefühl.
Plötzlich blitzte es auf einem der fliehenden Sumpfer grell auf, aber der Lichtblitz verteilte sich ein gutes Stück vor dem Bug des Düsenbootes. Flinx hielt den Abstand zwischen den drei Fahrzeugen. Ein zweiter Blitz; aber er richtete an dem Boot oder seiner Mannschaft auch nicht mehr Schaden an als der Lichtkegel einer Taschenlampe.
»Die haben keine Fernwaffen«, rief Lauren. »Wenn sie sie hätten, wäre das jetzt die Zeit, um sie einzusetzen.« Flinx sah, dass sie den Bolzenkarabiner zu sich herangezogen hatte. Er war fast genauso lang, wie sie groß war. Sie stützte ihn an der Rumpfwand auf und beugte sich vor, um durch das komplizierte Zielfernrohr zu spähen. In dieser Position erinnerte die Waffe mehr an eine kleine Kanone als an einen Karabiner.
Zwei weitere Lichtblitze gingen von den Sumpfern aus, hilflose Stiche, die das verfolgende Düsenboot unbeirrt ließen. »Ich kann sie sehen«, verkündete Lauren, die das Auge am Okular hatte. »Sie sehen verwirrt aus. Das ist gut. Ich kann außer Handwaffen nichts erkennen. Zwei von denen scheinen miteinander zu streiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mit der Art von Verfolgung gerechnet haben.«
»Sie haben auch nicht damit gerechnet, mich im Speisesaal zu sehen«, meinte Flinx. »Ich wette, dass die verwirrt sind.«
Sie blickte von ihrer Waffe auf. »Sind Sie sicher, dass die nicht mit Ihrer Verfolgung gerechnet haben?«
»Das bezweifle ich, sonst wäre ich ihnen nie so nahe gekommen.«
Sie brummte etwas Unverständliches und wandte sich wieder ihrem Okular zu. »Auf diese Distanz kann ich denen die Zähne einzeln ausschießen.« Sie schob den Karabiner ein Stück zur Seite. »Jetzt ganz ruhigen Kurs, bitte.« Sie drückte den Knopf, der an dem eigenartig geformten Karabiner die Stelle des Abzugs vertrat. Die Waffe gab ein leises Geräusch von sich - pfft! und etwas Winziges schoss aus ihrer Mündung.
»Warnschuss«, erklärte sie. »Da - jemand zieht den Bolzen heraus. Ich habe auf die Rückenlehne des Pilotensessels geschossen. Jetzt stehen sie alle um ihn herum und studieren ihn - außer dem Fahrer natürlich. Jetzt sehen sie sich nach uns um. Einer von ihnen hält eine alte Dame mit beiden Händen fest. Ist das Ihre Mutter?«
»Ganz bestimmt«, sagte Flinx nervös.
»Die macht es dem, der sie festhält, nicht leicht. Sie versucht ihn zu beißen, tritt nach ihm, obwohl es so aussieht, als wären ihre Füße an den Knöcheln zusammengefesselt.«
»Das ist sie schon. Ganz bestimmt.« Flinx konnte sein Grinsen nicht unterdrücken. »Was machen sie jetzt?«
Lauren runzelte die Stirn. »Äh, hm. Die richten eine Art durchsichtigen Schild auf. Und jetzt die normale Kuppel darüber. Die Kuppel können wir durchdringen. Wie das mit diesem Schild ist, weiß ich nicht. Nun, das ist kein Problem. Steuern Sie nach Backbord.« »Backbord?« wiederholte Flinx.
»Links von Ihnen«, sagte sie. »Wir überholen sie jetzt und schneiden ihnen den Weg ab. Wenn sie sehen, dass wir sie nicht nur einholen, sondern auch noch Kreise um sie herumfahren können, sind sie vielleicht für vernünftige Argumente zugänglich.«
Flinx drehte gehorsam das Steuer nach links und spürte, wie der Katamaran sofort reagierte.
»Okay, und jetzt zurück nach Steuer ... nach rechts, aber nicht zu scharf.« Das Boot schnitt durch die Wellen, als er das Steuer herumdrehte.
Plötzlich veränderte sich alles. Ein neues Geräusch, ein tiefes Dröhnen, wurde hörbar. »Verdammt«, sagte Lauren enttäuscht und deutete nach oben.
Flinx Blick suchte die Wolken ab. Der Skimmer, der vom nördlichen Horizont aufgetaucht war, war ziemlich groß. Jedenfalls mehr als groß genug, um seine eigene Mannschaft und die Insassen der Sumpfer aufzunehmen. Falls es noch irgendwelche Zweifel an den Absichten des Skimmers gegeben hatte, so wurden sie schnell zerstreut, als das bewegliche Fahrzeug herunterstieß, einen Kreisbogen schlug und dann auf den ersten Sumpfer zustrebte und sich seiner Geschwindigkeit anpasste.
»Wenn die an Bord gehen, haben wir für immer das Nachsehen«, meinte Flinx besorgt. »Können sie sie nicht wegputzen, während die umzusteigen versuchen?« Die Mannschaft des Skimmers hatte die Geschwindigkeit ihres Fahrzeugs bereits der des Sumpfers angepasst, und ließ jetzt gerade eine Strickleiter aufs Wasser herunter.
Wieder beugte sich Lauren über ihre Waffe. Ihr Finger zögerte am Abzug; dann richtete sie sich auf und schlug ärgerlich nach dem Kolben der Waffe. »Wirklich reizende Leute. Die halten Ihre Mutter als Schild an die untersten Leitersprossen. So kann ich nicht schießen.«
»Was machen wir jetzt? Wir können sie doch nicht die ganze Zeit nur umkreisen!«
»Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« Sie ließ den Karabiner in seiner Verankerung hängen und rannte an einen Einbaukasten, der mittschiffs angebracht war. »Sumpfer, Paralysepistolen, Entführung, und jetzt noch ein Skimmer, den man ihnen aus dem Norden entgegenschickt. Wer sind denn diese Leute?«
»Keine Ahnung«, knurrte Flinx. »Ich hab Ihnen doch schon gesagt, dass ich das alles nicht kapiere.« Er zögerte, versuchte, sie im Auge zu behalten und mit dem Düsenboot die immer noch mit Höchsttempo dahinrasenden Sumpfer und den Skimmer, der über ihnen in der Luft hing, zu umkreisen. »Was werden Sie jetzt tun?«
Das Gerät, das sie aus dem Kasten geholt hatte, war ebenso lang wie der Bolzenkarabiner, aber viel zierlicher. »Wenn ich es sage«, stieß sie erregt hervor, »möchte ich, dass Sie auf sie losfahren und das Boot im letzten Augenblick zur Seite reißen. Ich glaube nicht, dass sie damit rechnen. Dazu sind die vielzusehr damit beschäftigt, auf den Skimmer umzusteigen.«
»Was haben Sie vor?« fragte er interessiert. »Wollen Sie den Skimmer außer Gefecht setzen?«
»Mit Bolzen? Das ist doch nicht Ihr Ernst!« schnaubte sie. »Tun Sie einfach, was ich Ihnen sage.«
»So lang das, was Sie sagen, einen Sinn ergibt, schon«, meinte er etwas verstimmt über den Ton, den sie angeschlagen hatte.
»Sie vergeuden Ihre Zeit. Tun Sie es!«
Er riss das Rad hart herum. Der Katamaran beschrieb einen so scharfen Bogen, dass der backbordseitige Rumpf sich aus dem Wasser hob. Eine Fontäne verbarg sie einen Augenblick lang den Blicken der Sumpferbesatzung.
Wenige Sekunden später befanden sie sich auf direktem Kurs zu dem Sumpfer und dem darüber schwebenden Skimmer. Die Aktivität auf beiden Fahrzeugen verstärkte sich, als das Düsenboot auf den Sumpfer zuschoss. Wie Lauren vermutet hatte, war ein solcher Angriff das letzte, womit ihre Gegner gerechnet hatten. Ein paar Schüsse, schnell abgefeuert und schlecht gezielt, blitzten an ihnen vorbei.
»Hart Backbord!« schrie Lauren und übertönte damit das Brüllen der Düse. Die Insassen des Sumpfers hatten sich in Erwartung eines Zusammenpralls niedergeduckt. Flinx lehnte sich ins Steuer. Mit kreischenden Motoren fegte der Katamaran nach links und hätte beinahe die auf der Leiter nach oben Kletternden ertränkt.
Lauren musste wenigstens einmal gefeuert haben, dachte Flinx, während das Düsenboot davonraste. Er drehte das Steuer herum, und sie hielten wieder in einem weiten Bogen auf die Sumpfer zu. Zu seiner Überraschung legte die Frau die eigenartig aussehende Waffe in den Schrank zurück und stellte sich wieder hinter den schweren Karabiner. »So, und jetzt heißt es gut zielen.«
»Eine Waffe für einen Schuss?« murmelte er. »Dabei habe ich gar nichts gehört. Was sollte dieser verrückte Angriff?« Er kämpfte mit dem Steuer.
»Dieser Angriff war unsere Versicherung, Flinx.« Sie deutete auf den Kasten, in dem sie die Waffe inzwischen wieder verstaut hatte. »Das war ein Markierer. Wir verwenden so etwas, um verletzte Fische aufzuspüren, die die Leinen abreißen.« Sie deutete auf den Skimmer. »Ich glaube, ich habe ihn zweimal getroffen. Diese Waffe feuert eine Kapsel mit einem besonders sensibilisierten Gel ab. Ein Epoxy, das bei Berührung an allem kleben bleibt und sich auch im Wasser nicht auflöst. So lange die nicht auf die Idee kommen, sich die Unterseite ihres Skimmers anzusehen, ob er beschädigt ist - und dafür haben sie keinen Anlass, da er ja perfekt funktioniert -, werden die das Gel nicht sehen. Es ist transparent. Jetzt können wir sie verfolgen.«
»Aber doch ganz sicher nicht mit diesem Boot.«
»Nein, aber ich habe einen Skimmer. Es hätte zu lange gedauert, ihn startfertig zu machen, sonst hätten wir ihn und nicht dieses Boot genommen. Jetzt wünschte ich mir freilich, wir hätten das getan. Aber wer hätte schon damit gerechnet, dass hier ein Skimmer auftaucht, um denen zu helfen.« Sie deutete auf den Sumpfer. »So lange die keinen zu großen Vorsprung bekommen, können wir ihnen auch folgen - so wie wir es mit diesem Boot gemacht haben. Aber jetzt können wir ihnen wehtun ...« Sie blickte wieder durch das Zielfernrohr. »Ah, die haben jetzt Ihre Mutter mit einer Winde hochgezogen. Festgeschnallt. Ich wette, die hat es ihnen nicht leicht gemacht.«
»Ganz bestimmt nicht«, murmelte Flinx liebevoll.
»Ich habe jetzt freie Schussbahn«, sagte Lauren vergnügt. Aus ihrem Radar war ein lautes Pfeifen zu hören.
»Was ist das?« Flinx warf einen verblüfften Blick auf das Gerät.
Lauren stieß einen Fluch aus, ließ den Karabiner sinken. Ein schneller Blick auf den Bildschirm, und Flinx wurde ziemlich unsanft aus dem Pilotensessel geschoben. Er landete hart auf dem Deck.
»He, was soll ...?«
Aber Lauren schien ihn überhaupt nicht zu hören. Sie riss das Ruder hart nach Steuerbord. Flinx versuchte, sich irgendwo festzuhalten, während das Boot überholte. Er konnte gerade noch sehen, wie sich der Backbordrumpf aus dem Wasser hob, während etwas Riesengroßes, Silbernes aus dem Wasser in die Höhe schoss.