Dreiunddreißig
Hotel-23-Anlage – Südost-Texas
Die Kampfgruppe Phoenix war in einen ungezwungenen Rhythmus verfallen. Dies war nicht unbedingt eine schlechte Sache, aber etwas, von dem Doc meinte, es könnte sich als gefährlich erweisen, wenn sie zu selbstgefällig wurden. Ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort war sicher, und kein Anzeichen deutete darauf hin, dass Remote Six wusste, dass er besetzt war. Kein Angehöriger der Kampfgruppe wusste viel über Remote Six. Natürlich hatten sie alle Berichte darüber gelesen, aber ihnen waren auch erhebliche Lücken im Text aufgefallen.
Doc hatte vor einer Woche Abschussübungen eingeführt. Anfangs waren sie bei seinen drei Kameraden nicht auf Gegenliebe gestoßen. Er hatte sie zu beliebigen Zeiten aus dem Schlaf gerissen, damit sie auf einen imaginären Feind anlegten. Inzwischen hatten sie sich an die Übungen gewöhnt und verstanden die dahinterliegenden Gründe. Doc hatte in jeder Hinsicht recht – im Ernstfall musste alles sehr schnell gehen.
In der Nacht zuvor hatten sich Disco und Hawse außerhalb der Umzäunung aufgehalten, um die Abdeckung des Raketensilos zu inspizieren. Dort angekommen, hatten sie festgestellt, dass sie mit Grünzeug bewachsen und mit verwitterten und beschädigten Tarnnetzen bedeckt war.
»Reiß den Scheiß von der Abdeckung, Hawse. Ich gebe dir Deckung.«
»Was?«, sagte Hawse lachend. »Glaubst du, ich trau ’nem Heerespenner zu, dass er meinen Arsch beschützt, während ich den Ein-Dollar-Job-Gärtner mache?«
»Ist mir doch egal, du krummbeiniger Topfgucker«, sagte Disco. »Du freust dich doch bestimmt, dass du-weißt-schon-was abgeschafft wurde, bevor die Kacke anfing zu dampfen.«
»Mordsmäßig, weil mich jetzt alle Frauen ständig heilen wollen. Solange es die Pferde nicht scheu macht, ist es mir scheißegal, was die Leute in ihren vier Wänden treiben.«
»Dann mach halt den Deckel sauber, damit wir endlich …«
Die beiden Männer hörten ein Geräusch. Es war zu laut, als dass der Wind es erzeugt haben konnte.
»Was war das?«, fragte Disco im Flüsterton.
»Scheiße. Wir scheuchen sie auf, Disco. Ich von Osten, du von Westen.«
»Gebongt.«
Sie suchten ihre Bereiche nach Bewegungen ab.
»Geh nicht zu weit weg«, sagte Disco. »Bleib in der Nähe der Siloabdeckung.«
Minuten vergingen. Der Wind wurde etwas stärker und bewegte die Äste der etwa zehn Meter entfernten Bäume.
»Ich hab was«, sagte Disco leise und ohne sich umzudrehen.
Hawse war sofort an seiner Seite. Er hob seinen Karabiner und schaltete den Infrarot-Laser ein. »Wo ist es, Mann?«, fragte er.
Disco hob ebenfalls seine Waffe, legte an und aktivierte den Laser. »Da drüben. Was ist das, verdammt?«
Eine Wolke schwebte vorbei und enthüllte den Vollmond, der nun das ganze Gelände erhellte. In angespannten Situationen dieser Art neigt der menschliche Geist dazu, die Dinge herunterzuspielen und dann zu verpfuschen. So bestand Hawses erster Instinkt darin, den Abzug zu betätigen.
PUFF, PUFF, PUFF.
Die Kugeln trafen Fleisch. Das Geräusch war ihm tragischerweise nur allzu vertraut. Die Gestalt kam aus der Finsternis des Wäldchens auf sie zu. Disco und Hawse schossen drei Kugeln in ihren Schädel. Ihr Kopf explodierte und ließ verfaulte Fetzen des oberen Drittels zum Abendhimmel hinauffliegen. Das Ding selbst fiel drei Meter vor ihnen zu Boden. Das Geräusch der am Boden landenden Schädelsplitter folgte wenige Sekunden später.
»Was für’n verdammter Scheißdreck!«, rief Hawse.
»Reiß dich am Riemen, Alter. Oder willst du, dass noch mehr von denen kommen? Spar’s dir auf.«
»Verzeihung, Mann, aber das war verdammt knapp. War der etwa schon länger hinter uns her? Das Geräusch … Ich hab nur geschossen, weil ich das Gefühl hatte, da beobachtet mich jemand.«
»Ich hab’s auch gehört«, sagte Disco.
»Okay. Scheiße. Gib mir noch mal Deckung. Ich mach die Abschussluke sauber, dann ziehen wir den Arsch ein. Vielleicht sind’s nur meine Nerven, aber ich hab schon wieder das Gefühl, beobachtet zu werden.«
»Schau dir das Ding an«, sagte Disco. »Sieht ganz frisch aus.« Er begutachtete den Leichnam.
»Lass dich nicht ablenken. Geh nicht zu nah ran. Könnte verstrahlt sein. In dem Bericht stand, dass die Bomben sie konservieren. Was für’n Irrsinn.«
Hawse säuberte die Luke, entfernte das Unkraut und das Tarnnetz und warf den ganzen Dreck beiseite. Dann eilten die beiden ins Hotel 23 zurück, ohne zu wissen, ob die Toten sie und die zurückgelassenen Beweise aus dem Wäldchen heraus beobachteten – die gesäuberte Luke, die jeder sehen konnte, der sie von oben im Visier hatte.
Remote Six – Zwei Wochen nach dem Ausbruch
»Die Lage?«, rief eine Stimme aus dem Dunkel.
»Tja, hm, die Städte sind nun in einem Zustand, den ich unbewohnbar nennen würde.«
»Ausführlicher.«
»Herrgott, was soll ich Ihnen denn erzählen, verdammt? Washington D. C., New York, Atlanta, Los Angeles, Seattle … da gibt’s nichts Ausführliches mehr drüber zu sagen. Die Städte sind alle tot!« Der Beobachter betätigte eine Reihe von Knöpfen auf dem Sensorbildschirm. Die Satellitenansicht einer Inselmetropole erschien. Während die unheilvolle Gestalt rechts neben ihm zuschaute, veränderte er die Größe.
Ein Schwenk. Man sah Manhattan.
Verstreute Trümmer und vereinzelte Brände beherrschten die Szene auf dem Schirm. Gestalten schleppten sich langsam durch den Rauch und bewegten sich auf den Straßen von da nach dort. Schnellere Bewegungen zogen die Aufmerksamkeit beider Beobachter auf sich: Ein Überlebendengrüppchen, mit Baseballschlägern bewaffnet, umging die Kreaturen und die verlassenen Kraftfahrzeuge.
Die orbitalen Bewegungen des Beobachtungssatelliten über New York verzerrten auf eigenartige Weise den Betrachtungswinkel auf den Bildschirmen.
Die beiden Männer beobachteten schweigend die Überlebenden. Die Verdammten. Das Phänomen breitete sich zu schnell aus. Man konnte nirgendwohin fliehen. Aus beiden Enden des Lincoln Tunnels stieg Rauch auf. Kampfflugzeuge hatten die Brücken schon bei dem fehlgeschlagenen Versuch zerstört, die Seuche an der Ausbreitung zu hindern. Um den Brunnen abzudecken, nachdem das Kind hineingefallen war.
Laut Meldungen noch aktiver Nachrichtensender standen selbst die auf natürliche Weise Gestorbenen wieder auf. Die Männer von Remote Six hatten keine Antwort auf dieses Phänomen. Die Datenanalytiker hatten nur einen Lösungsvorschlag: Wer dem freien Himmel ausgesetzt war, in dem schlummerte die Anomalie.
Die dunkle Gestalt vor den Bildschirmen im Lagezentrum war als Gott bekannt. Echte Namen waren hier nutzlos und verbotene Tabus. Die Decknamen, die man in der Denkfabrik erhielt, verwendete man, um grob auszudrücken, wer hier was zu sagen hatte.
Gottes Laufbahn hatte in der Einsatzleitung der CIA begonnen, wo er innerhalb der Vereinigten Staaten verdeckte Aktionen geplant und ausgeführt hatte. Die Besten und die Bösesten hatten ihn ausgebildet. Sein längst toter Mentor hatte die zweifelhafte, doch streng geheime Ehre, sich die Spielregeln für die Operation Northwoods auszudenken – einen Plan, um Angriffe im Inland durchzuführen, Zivilisten zu töten und es den Radikalen in die Schuhe zu schieben, damit Amerika die militärische Invasion Kubas unterstützte.
Gott war ein Wunderkind der wahren Tyrannei. Seine Schattenorganisation hatte das Startgeld vorgestreckt, mit dem Google und andere DARPAnet-Giganten gezeugt wurden. Auf den höchsten Ebenen der zersplitterten Geheimdienste hatte seine Agentur in Partnerschaft mit der NSA uneingeschränkten Zugriff auf einfach alles: private E-Mails und Netzsuche von Individuen. Gottes alte Identität war gelöscht und durch einen Stern auf einer Mauer in Virginia ersetzt worden. Kurz nach der Löschung hatte man ihm befohlen, etwas zu befehligen, das nur sehr wenigen Regierungsbeamten unter dem Namen Remote Six bekannt war. Den Rest kannte nur Gott allein.
Viele verdeckt arbeitende Denkfabriken in der Beltway-Region und um sie herum handelten ausschließlich mit Informationen. Auch Remote Six, doch war sie darüber hinaus eine ausführende Einheit. Sie konnte Beschlüsse fassen und kinetische Unternehmungen mit den Ressourcen und der Macht durchführen, die furchtsame gewählte Amtswalter ihr garantierten – Menschen, die sich die Hände nicht schmutzig machen und keine Einzelheiten wissen wollten. Dieses verdeckte Beschlusszentrum lag nicht mal in der Nähe des District of Columbia – es existierte fern vom politischen Radar und dem Einfluss jedes Beltway-Banditen oder frisch gewählten, immer nur das Gute wollenden Politikers. Remote Six, schon vor dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet, war eine Variable in allem gewesen, angefangen beim Abwurf der ersten Atombombe auf Japan über die Ermordung wichtiger nordvietnamesischer Militärführer im Phoenix-Programm bis zu ähnlichen, kürzlich erfolgten Destabilisierungsmaßnahmen im Mittleren Osten. Remote Six traf die großen Entscheidungen. Die drei Regierungsfilialen besorgten das Gleichgewicht der Macht und die Illusion der verfassungsmäßigen Führerschaft, doch verdeckt arbeitende Einheiten wie Remote Six zogen die Strippen hinter dem Vorhang des Zauberers.
Gottes Kontrolle unterstanden bei Remote Six tief unter der Erde hochentwickelte Quantenrechnersysteme. Multiple und redundante Quantenhologramm-Speicherlaufwerke enthielten jedes Fitzelchen des menschlichen Wissens vom Feuermachen bis zu den technischen Einzelheiten des Großen Hadronen-Speicherrings und weit darüber hinaus.
Jede Komposition, jeder Spielfilm waren dort gespeichert und archiviert. Auch das gesamte Internet wurde regelmäßig abgegrast und in Quantenrechnerspeichern verzeichnet. Wenn die Menschheit unterging, blieb jede kostbare wissenschaftliche Erkenntnis und jegliche Kunst erhalten.
Ein Lämpchen auf der flachen Armatur zeigte eine eingegangene Nachricht an. Sie war an den Stationsleiter gerichtet. Gott trat an den aufleuchtenden Bildschirm und befahl einem Referenten, das Dokument auszudrucken. Während der Drucker die Nachricht ausspuckte, fing Gott schon an zu lesen.
Lage fatal und nicht behebbar. Erbitte Optionspaket R6, alle durchführbaren Optionen an das Pentagon-II-Lagezentrum-LAN hochgeladen.
Gott lachte laut und stellte sich am anderen Ende der Leitung den Präsidenten vor, der im Ausweichquartier in den Shenandoah Mountains Bleikugeln ausschwitzte. Im Moment wollte er das Erbetene tun. Gott wollte die Quantenrechner füttern.
Wahrscheinlichkeit viralen Ursprungs: 90,3 %
Wahrscheinlichkeit anderen Ursprungs: 9,7 %
**Abweichung von ± 2,4 %** Ungenügende Daten
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EINGABE US-Bevölkerung: 320.520.068
EINGABE Infektionshäufigkeit: 100 %
ERGEBNIS basiert auf infrastrukturellen Bedingungen, nationalen Vorratsbestände und archivierten Wetterdaten.
Wahrscheinlichkeit einer Untotenmehrheit innerhalb von 30 Tagen: 100 %
Wahrscheinlichkeit einer Untotenmehrheit innerhalb von 15 Tagen: 94,3 %
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EINGABE US-Bevölkerung nach Stadt / fünfzig größte
EINGABE Fragesatz: Wie viele Städte in Reihenfolge größter Einwohnerzahl müssen vernichtet werden, um die Untoten bis zum 30. Tag in der Minderheit zu halten?
ERGEBNIS basiert auf 55,2 % Umwandlung am 20. Tag.
Städte vernichtet, um Untote als Minderheit am 30. Tag zu behalten: 276
ERGBNIS basiert auf Untotendichte im Umkreis Stadtzentrum und genauem Einsatz thermonuklearer Waffen
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Gott hatte seine Berechnungen – Quantenrechner irrten sich nie. Immer wenn man sich gegen das automatisierte Ergebnis wehrte, kam er sich vor, als bisse ihm jemand in den Arsch. Selbst in Situationen, in denen ein Dissens gegen die Rechner als einzige praktikable Wahl erschien, bewies die Zeit irgendwann die prophezeiende Kraft der künstlichen Intelligenz des Computers. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hatten die Rechner gegen einen Krieg mit dem Irak entschieden und hatten sich später gegen jede Geldspritze für die kollabierende Wirtschaft ausgesprochen.
Die Zwillingsbastarde waren im Internet, SIPr, JWICS, VORTEX, NSAnet und jedem ausländischen Verbund der Erde aktiv, auch dann, wenn für die Entschlüsselung brachiale Gewalt aus dem Stegreif erforderlich war. Sie schlängelten sich im Nu durch die Informationen und bewerteten Furcht erregende Probleme, von denen niemand wusste, dass sie existierten. Die Quantenrechner verbanden sich sogar mit dem HF-Spektrum und analysierten Mobiltelefon- und anderen Funkverkehr. Sie waren dazu gebaut, die menschliche Sprache und die Bedeutung von Worten auf der Grundlage normaler Sprachsyntax zu verstehen. Laut Gerüchten aus dem eigenen Laden konnten die beiden Rechner, wenn sie zusammen die verschiedenen Knotenpunkte abgrasten, die nächsten sechs Monate genau vorhersagen, indem sie entscheidende unterbewusste Sätze großer im Internet kommunizierender Menschenmassen miteinander verbanden.
Bald würde eine weitere Meldung auf Gottes Schreibtisch liegen, in deren Betreffzeile Horizon stand. Oh ja, Gott wusste alles über das kleine Skelett. Sein Direktorium hatte mit den Mingyong-Wissenschaftlern in verschlüsselter Korrespondenz in Verbindung gestanden. Sämtliche Horizon-Programm-Berichte würden später von den Quantenrechnern analysiert und assimiliert, trotz heftigster Bemühungen der Cyberabwehragenten der Zentralen Militärkommission Chinas. Aber jetzt noch nicht. Jetzt musste er – im Auftrag – Städte vernichten.
Einen Kilometer vor Hawaii
Es ist Aufbruchzeit. Das Sondereinsatzkommando ist gerade von Bord gegangen. Die Drohnen sind in der Luft. Saien und ich überwachen die Infrarot-Bildübertragung. Auch mit Kreisel hat das Bild nicht annähernd die Qualität von Predator. Der Vorteil ist, dass diese kleinen Drohnen vom Deck eines U-Bootes abgeschossen werden können und nur wenig Wartung und Treibstoff brauchen, um aktiv zu bleiben.
Ich habe heute früh eine Meldung und einige Aktualisierungen bezüglich des Lebens an Bord des Schiffes von Tara erhalten. Sie war außerdem so lieb, mir zusammen mit dieser Botschaft Johns Schachzug zu übermitteln.
Mir wird immer bewusster, dass ich sie liebe. Könnte ich mich doch nur überwinden, es auch nach außen hin deutlicher zu machen, und sei es nur auf diesem Papier.
Die lange Abwesenheit verstärkt meine Gefühle nur noch, denn in meinem Brustkorb ist das riesige Loch jenes Stückes von mir, das ich auf dem Flugzeugträger zurückgelassen habe. Ich will alles tun, um unverletzt und nicht infiziert zurückzukehren, damit ich sie wieder in die Arme nehmen kann.
Obwohl ich eigentlich nicht der typische Gefühlsmensch bin, habe ich, als die Männer von Bord gingen, viel für sie empfunden. Vielleicht haben sie weniger Glück als ich. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, als gäbe es auf der Welt nur eine gewisse Menge Glück, von der ich alles aufgebraucht habe. Um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, pirsche ich mich gleich ins Quartier zurück, schaue mir Johns Schachzug an und plane meinen nächsten, bis man mich anderswo braucht. Johns letzter Zug sah eigenartig aus. Ich muss wohl eingehend darüber nachdenken, was er vorhat. Mit seinen sonstigen Zügen schickte er immer eine Nachricht wie:
John an Kil: K auf 3C
Sein letzter Zug war eine Reihe von Kombinationen, die aussahen wie:
John an Kil: TzS s34 a3 w34 w55 – und die Kombination ist damit noch lange nicht zu Ende.
Ich werde wohl einige Zeit vor dem Brett verbringen müssen, um zu erkennen, was er meint. Für nur einen Zug hat er zu viele Kombinationen geschickt. Vielleicht ist etwas verstümmelt.
Maximale Klimmzüge: 10
Liegestütze: 90
1 km auf dem Laufband: 4,38 Min.
Neunzigtausend Fuß über dem chinesischen Luftraum
Hoch über der Erde bewegte sich ein dreieckiger Flugkörper mit Mach 6 dahin, seine Sensoren waren auf die Lage am Boden der Volksrepublik China abgestimmt.
»Hier ist Tiefsee, überprüfe Stützpunkt, Bohai, Ende.«
Die Übertragung klang mechanisch und gedämpft, da der Pilot in seine Sauerstoffmaske hineinsprach.
»Höhe ansagen, Tiefsee.«
»Tiefsee neunzigtausend, Mach sechs.«
»Verstanden, Tiefsee. Bewegst dich ein bisschen langsam heute. Wie ist die Sicht?«
»Kameras sind gedreht, keine Veränderungen seit dem letzten Einsatz. Etwa zwanzig Prozent von Peking stehen noch in Flammen. Kein Anzeichen unkonventioneller Detonationen in Sensorreichweite. Stützpunkt unversehrt, Heimatbasis.«
»Hab verstanden, Tiefsee. Glaubst du, du hättest heute noch Zeit, nach Moskau rüberzufliegen?«
»Das sind auf dem kürzesten Weg dreitausendzweihundert Seemeilen, Heimatbasis. Ich kann in achtunddreißig Minuten dort sein. Priorität eins?«
»Nein, Tiefsee, diesmal keine Priorität.«
»Verstanden, Heimatbasis, ich bleibe auf Notreg-Priorität eins und am Ball.«
»Verstanden, Tiefsee, wollte nur wissen, ob du Zeit hast.«
Die schwarze Maschine setzte die Überschallpatrouille über das Bohai-Meer fort. Der Pilot richtete die Multispektralkamera zur optischen Kalibrierung auf den Platz des Himmlischen Friedens und schaltete von Elektro- auf Thermooptik um. Die vielen Hunderttausend sich regenden und umhergehenden Untoten waren nicht verstrahlt. Dann gab der Pilot den Hauptschlüssel in sein multifunktionales Display ein, um auf die Koordinaten des Stützpunktes zuzugreifen – einen Ort, von dem er wusste, dass er irgendwo tief in seinen Eingeweiden etwas enthielt, das so geheim war, dass ein bloßes unautorisiertes Wissen einen schon vor der Anomalie den Kopf hatte kosten können.
Bald, vielleicht in einer Woche, würde die Kampfgruppe Sanduhr ins Bohai-Meer und somit in chinesische Gewässer eindringen. Der Pilot würde einen letzten hochwichtigen Auftrag erhalten, einen Einsatz in diesem Gebiet, um die Kampfgruppe Sanduhr zu unterstützen. Danach würde die Gruppe angesichts dessen, was er über ihren möglichen Rückweg wusste, nicht mehr sicher sein.
Die Maschine führte ihren Aufklärungsflug fort und machte Tausende von Digitalfotos und hochaufgelöste Filmaufzeichnungen, die man analysieren und zur Notregierung übertragen würde. Danach würde alles zur militärischen Führung und zur Einsatzleitung der Kampfgruppe Sanduhr weitergeleitet werden. Das Wissen um die Existenz dieser Flugmaschine und ihrer Fähigkeiten war in einem schwarz budgetierten Multimilliarden-Dollar-Sonderprogramm aus einer Zeit begraben, in der regierungsamtliche Akronyme und Tarnbezeichnungen noch von Bedeutung gewesen waren.