ZWEITES KAPITEL

 

Die Gelegenheitsschauspielerin lebte in einem Appartement in Hollywood-West, das offensichtlich weit mehr Miete kostete als ihrem sozialen Status entsprach, und ich war bereits beeindruckt, als ich gegen zwei Uhr nachmittags auf ihre Klingel drückte.

Eine große Blonde mit einer nach hinten gekämmten Frisur öffnete die Tür und starrte mich mit einem Ausdruck sanfter Überraschung mit ihren nebligblauen Augen an. Sie trug einen Morgenrock, eine gerüschte Phantasie aus limonengrüner Seide mit einem avantgardistischem Muster wild verstreuter türkisfarbener Kleckse. Ihr hervorstechendes Merkmal, jenes, das einem geradezu buchstäblich in die Augen sprang, war ihr unglaublicher Busen, der sich dermaßen nach vorn drängte, daß man den Eindruck gewann, er müsse jeden Augenblick den dünnen seidenen Schutzwall ihres Morgenrocks durchbrechen.

»Ja, bitte fragte sie in einer kühlen, gewissermaßen limonengrünen Stimme.

»Virginia Strong fragte ich höflich.

Sie nickte, und ihre Augen wurden aus einem Grunde, der mir im Augenblick nicht klar wurde, plötzlich mißtrauisch.

»Ich heiße Rick Holman«, sagte ich und lächelte freundlich. »Mein lieber Freund Marty Jennings hat mir gesagt, ich solle Sie mal ausgiebig besuchen

»Oh!« Erleichterung wurde in ihren kühlen Augen sichtbar, während sie die Tür öffnete. »Kommen Sie herein, Rick

»Vielen Dank, Virginia«, sagte ich zu ihr und überlegte, daß es das erstemal war, daß ich jemals mit einem Frauenzimmer auf dem Vornamenstatus angelangt war, bevor ich noch die Schwelle der Wohnungstür überschritten hatte.

Ich folgte ihr in die Wohnung, die sichtlich aufwendig eingerichtet war, aber jenen Eindruck von Vernachlässigung machte, der gemeinhin am Dienstag herrscht, wenn die Reinemachefrau wöchentlich nur einmal und lediglich am Mittwoch kommt.

»Hier sieht es wüst aus«, sagte die Blondine beiläufig. »Wir hatten gestern eine solch tolle Party bei Marty, daß ich erst vor einer halben Stunde aus dem Bett gekrochen bin Sie gab ein langsames kehliges Lachen von sich. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie so früh kommen, wär’s mir vermutlich nicht so peinlich gewesen

Ich starrte sie ausdruckslos an, und nach ein paar Sekunden errötete sie leicht und zuckte dann die Schultern.

»Vielleicht möchten Sie sich ein Glas eingießen, Rick, solange ich das Schlafzimmer ein bißchen in Ordnung bringe Sie machte eine Geste zur eingebauten Bar in der einen Ecke des Wohnzimmers. »Okay?«

Dann schritt sie mit prachtvollem, unter ihrem limonenfarbenen Morgenrock sichtbarem Hüftschwenken auf das Schlafzimmer zu. Erst als sie völlig verschwunden war, begab ich mich zur Bar und goß mir einen Bourbon auf Eis aus einer guten sechsjährigen Flasche ein.

Ungefähr fünf Minuten später — ich hatte gerade mein Glas ausgetrunken — drang ihre heisere Stimme aus dem Schlafzimmer.

»Okay, Rick! Sie können jetzt hereinkommen

Ich stellte das leere Glas auf den Barschrank und begab mich dann langsam zum Schlafzimmer, wobei ich mich fragte, ob sie nicht alle Tassen im Schrank habe oder ob sich alle meine Pubertätsphantasien plötzlich verwirklichen würden.

Virginia Strong lag splitterfasernackt auf ihrem limonengrünen Bettüberzug, die Hände bequem unter dem Kopf verschränkt, während ihr nach oben gekämmtes Haar wie ein breiter Fächer auf einem weißen Seidenkissen ausgebreitet lag. Ich blieb ungefähr zwei Meter vor dem Bett stehen und starrte sie offenen Mundes an. Ihre unglaubliche wie mit Korallen gekrönte Brust war in jeder Hinsicht Wirklichkeit, und es war ein Anblick, der selbst einen starken Mann in die Knie gehen ließ.

Sie lächelte leicht. »Die letzte Matinee liegt so lange zurück, daß ich mich wie ein Backfisch fühle. Es kann sich nur noch um Sekunden handeln, bis ich rot werde, und Sie werden zugeben, daß das komisch ist

In diesem Augenblick wurde mir die offensichtliche Realität der Existenz der limonengrün getönten Blonden klar, und ich fragte mich, verdammt noch mal, wieso ich die ganze Zeit so naiv hatte sein können. Jetzt begriff ich den Ausdruck plötzlicher Wachsamkeit in ihren Augen, als sie die Tür aufgemacht hatte und mich dastehen sah, und warum sie sich so erleichtert gezeigt hatte, als ich ihr den Schwindel erzählt hatte, ich sei ein Freund von Marty Jennings, dem großen Filmproduzenten. Die offensichtliche Wahrheit erklärte jenen Anflug von Gedunsenheit in ihrem Gesicht und jene Aura des zu oft Gebrauchtwordenseins, der ihr irgendwie anhaftete.

Virginia Strong war ein professionelles Callgirl.

»Wieviel wird mich diese Geschichte kosten — ich meine genau fragte ich mit tonloser Stimme.

Sie zog eine Schnute. »Müssen Sie denn gerade in diesem Augenblick eine so geschäftliche Frage stellen, Rick? Ich meine, bevor wir überhaupt Zeit gefunden haben, uns miteinander bekannt zu machen

»Dafür habe ich einen guten Grund, Süße«, sagte ich zu ihr.

Der prachtvolle nackte Leib wurde einen Augenblick lang starr, dann zuckte sie lässig die Schultern, und ich beobachtete, wie sich einen Augenblick lang ihre wundervollen Brüste geradezu atemberaubend bewegten.

»Okay, wenn Sie darauf bestehen«, sagte sie schroff. »Der Preis beträgt genau — einhundert Dollar — .«

Ich zog meine Geldscheintasche heraus, entnahm ihr zwei Fünfzigdollarnoten und ließ sie unmittelbar neben ihren nackten Füßen auf den Bettüberzug fallen. Sie beobachtete mich dabei mit einem Ausdruck rasch anwachsender Wut in ihren Augen und erhob sich dann mit einer schnellen geschmeidigen Bewegung von ihrem Bett. Sie ergriff den auf einem Stuhl liegenden Morgenrock und schlang ihn eng um sich.

»Es würde mich in Verlegenheit bringen, von einem richtigen Gentleman Geld anzunehmen«, sagte sie voller Spott. »Also scheren Sie sich zum Henker, Rick Holman! Nehmen Sie Ihr Geld wieder an sich und machen Sie, daß Sie umgehend aus meiner Wohnung verschwinden

»Vermutlich haben wir uns gegenseitig mißverstanden«, sagte ich behutsam. »Ich wollte von ihnen nur einige kleine Auskünfte und habe Marty Jennings nur erwähnt, um Sie wissen zu lassen, daß Sie ohne Bedenken mit mir reden können — und Sie haben, weil ich ihn erwähnte, gedacht, ich sei ein von ihm empfohlener Kunde. Nicht wahr? Es war völlig meine Schuld, Virginia, und ich möchte mich aufrichtig entschuldigen

»Auskünfte?« Der Ausdruck des Auf-der-Hut-Seins und des Mißtrauens, der bei meinem ersten Auftauchen sichtbar geworden war, kehrte plötzlich in ihre Augen zurück. »Was für Auskünfte?«

»Nur ein paar ganz einfache Fragen«, sagte ich im beruhigendem Tone. »Aber ich vermute, daß Sie ein Anrecht darauf haben, für die Zeit, die ich Sie in Anspruch nehme, bezahlt zu werden. Aus diesem Grunde habe ich nach dem Honorar gefragt. Wie wäre es also, wenn wir von vorn anfingen? Sie behalten das Geld, wir gießen uns noch ein Glas im Wohnzimmer ein, und Sie beantworten mir meine Fragen dort. Wie wär’s damit

»Sie können ja schon mal die Gläser eingießen, während ich mir die Sache überlege«, fuhr sie mich kurzangebunden an. »Das gibt mir außerdem die Möglichkeit, etwas anzuziehen. Ohne jede positive Reaktion vor Ihnen nackt herumzuhüpfen ist für ein Mädchen in meiner Branche schlecht. Es beeinträchtigt die Moral

»Gut«, sagte ich. »Was trinken Sie

»Scotch — pur — und ohne Eis«, antwortete sie.

Ich begab mich ohne Eile zurück ins Wohnzimmer und zu der Hausbar, da ich der Überzeugung war, daß ich viel Zeit haben würde, bevor Virginia Strong wiederauftauchte, und damit hatte ich recht. Es dauerte mindestens fünf Minuten, bevor sie wieder erschien, angetan mit einem limonengrünen Seidenhemd und hautengen Hosen von derselben Farbe. Sie setzte sich nervös in einen Lehnsessel und betrachtete mich eindringlich, während ich ihr ihr Glas brachte.

»Hat Marty Ihnen gesagt, es sei in Ordnung, mich aufzusuchen und mir Fragen zu stellen erkundigte sie sich mit ausdrucksloser Stimme, während sie mir das Glas aus der Hand nahm.

»Klar hat er das«, sagte ich leichthin. »Marty und ich sind seit Jugendzeiten alte Kumpels Ich setzte mich ihr gegenüber auf die Couch und ließ das Glas in meiner Hand langsam kreisen, so daß die Eiswürfel ein anheimelndes Klirren verursachten.

»Was für Fragen?« Sie nippte an ihrem puren Scotch, ohne daß sie ihre Augen nur eine Sekunde von meinem Gesicht abwandte.

»Über die Party, die gestern nacht in seinem Hause stattgefunden hat.«

Ein Blick auf ihr Gesicht genügte, um festzustellen, daß es gebumst hatte. Es war, als ob jemand einen Vorhang heruntergelassen habe und damit alle Belebtheit und Ausdrucksfähigkeit in dem Gesicht zum Erlöschen gebracht und an Stelle dessen nichts wie vollkommene Leere zurückgelassen habe.

»Sie sind ein lügnerischer Drecksack«, sagte sie leise.

»Wer, ich?«

»Um es zu beweisen, brauche ich lediglich den Hörer abzunehmen und Marty anzurufen«, sagte sie. »Wenn ich Ihnen Unrecht getan haben sollte, können Sie Ihre hundert Dollar zurückbekommen und dazu alle die von Ihnen erwünschten Auskünfte noch umsonst. Ist das nicht ein guter Vorschlag

»Sie brauchen sich nicht die Mühe zu machen, Jennings anzurufen, ich habe ihn noch nicht einmal kennengelernt«, gestand ich großzügig ein. »Sie brauchen ja nur die Fragen zu beantworten, dann können Sie das Geld behalten

»Raus fauchte sie.

»Lassen Sie uns noch einen Augenblick darüber nachdenken, Süße«, forderte ich sie in gleichmütigem Ton auf. »Das große Mißverständnis, dessen Zeuge wir eben waren, hat mir bereits ein paar Tatsachen über Sie eröffnet. Sie sind ein professionelles Hundert-Dollar-Callgirl, wobei es mir gleich ist, ob Sie das Geld für eine Abendvorstellung oder für eine Matinee verlangen; und der große Hollywoodproduzent Marty Jennings ist nicht nur Stammkunde bei Ihnen, sondern er lädt Sie sogar zu Parties in seinem Hause ein.«

Ich lächelte sie an, wobei ich ein wenig meine Zähne fletschte. »Ich möchte wegen dieser Geschichte nicht unhöflich werden oder Ihnen das Geschäft vermasseln, indem ich Sie verpfeife und die Polypen rufe oder sonst irgendwen. Aber vermutlich kann die Angelegenheit schrecklich peinlich für Marty werden, wenn sich die Sache mit Ihnen beiden herumspricht, Süße, und die Art der elementaren Dienstleistungen, die Sie für ihn laufend erbringen, bekannt werden.

»Sie...!« Sie biß sich wütend in ihre Unterlippe. »Okay, worauf wollen Sie hinaus

»Wie spät war es, als Sie gestern nacht — oder heute morgen die Party verließen fragte ich abrupt.

»Ich habe Martys Haus heute früh gegen halb neun verlassen«, sagte sie. »Er hat mich auf dem Weg zum Atelier hier abgesetzt

»Um wieviel Uhr ging Robert Giles

»So ungefähr um vier herum«, antwortete sie. »Er verlor das Bewußtsein und...«

»Diesen Stuß habe ich schon einmal gehört«, brummte ich. »Ich möchte die Wahrheit hören, oder es wird nichts aus unserem Handel

»Das ist die Wahrheit, ehrlich Ihre Augen weiteten sich ein wenig. »Warum sollte ich Sie deshalb auf den Arm nehmen wollen? Dieser englische Schauspieler mit seinem Haufen Murmeln im Maul bedeutet mir nicht das geringste

»Sie lügen, weil man Ihnen zu lügen befohlen hat«, fuhr ich sie an. »Entweder sagen Sie mir die Wahrheit oder Sie sind drauf und dran, ein Leben in Einsamkeit ertragen zu müssen, Mädchen, wenn Marty Jennings nicht mehr auf der Bildfläche erscheint

Das blonde Mädchen biß sich erneut auf die Unterlippe, diesmal so schmerzhaft, daß ein roter Blutstropfen auf deren schimmernder Oberfläche sichtbar wurde.

»Die Wahrheit ist, daß ich es nicht weiß«, flüsterte sie. »Irgendwann gegen zwei Uhr früh erzählte mir Marty, ein Freund von ihm suche nach wirklich guter Unterhaltung, und seiner Meinung nach sei ich gerade die Richtige, die ihm das verschaffen könne. Darauf sagte Marty, es sei wirklich wichtig, daß sich sein Freund erstklassig unterhalte, und so war ich — nun — für längere Zeit danach praktisch aus dem Verkehr gezogen

»Und wer war der Freund von Marty, der so dringend der Unterhaltung bedürftig war

»Sammy Westin

»Sie beide sind also gegen zwei Uhr früh diskret von der Party verschwunden

»Stimmt

»Wieviel später war das, nachdem sich die andere Blonde, diese Dixie, ausgezogen und diesen Liebestanz aufgeführt hatte erkundigte ich mich.

Sie zuckte mit den Lidern. »Welche andere Blonde?«

»Das können Sie mir nicht erzählen knurrte ich. »Sie wissen verdammt gut, welche andere Blondine ich meine, diejenige, mit der Giles später abhaute

»Als ich mit Sammy ging, gab es keine andere Blonde«, sagte sie entschieden. »Die einzigen, die noch da waren, waren Marty, Nick Fessler, irgendein chinesisches Frauenzimmer und Giles natürlich. Edwina Ballard war gerade dabei, nach Hause zu gehen, und Marty brachte sie zur Tür

»Warum ging die Ballard, ohne Giles mitzunehmen, wenn die Party ohnehin sozusagen am Ende war, wie Sie sagen erkundigte ich mich.

Virginia Strong zuckte die Schultern. »Woher, zum Kuckuck, soll ich das wissen? Vermutlich war sie wütend auf ihn. Er war stinkbesoffen und machte bei jedem in Reichweite befindlichen Rock Annäherungsversuche. Bei mir hat er es ein paarmal versucht, aber Marty hatte mir schon gesagt, daß die Ballard ihn als ihr persönliches Eigentum betrachte und er nicht wünsche, daß ich mich einmische

Sie grinste schwach. »Einmal während der Party jagte er das Chinesenmädel um die Couch wie ein Stier mit Düsenantrieb. Wenn sie nicht einen bis zu den Hüften geschlitzten Cheongsam getragen hätte, würde er sie auch noch erwischt haben. Das war kurz nachdem die Ballard gesagt hatte, sie gingen jetzt nach Hause und ob er mitkäme. Er sagte ihr, sie könne ihn kreuzweise, und das war gerade, als ich mit Sammy das Wohnzimmer verließ

Ich starrte sie eine Weile lang mürrisch an und überlegte, daß an dem, was sie gesagt hatte, wenig Wahres dran war — mehr Lügen, und wie ich, zum Kuckuck, jemals herausfinden konnte, was das eine und was das andere war. Und das war genau das, worauf sie sich verließ. Sie hatte es mir besorgt, und sie war sich auch im klaren darüber.

»Okay«, brummte ich. »Warum haben Sie dann der Ballard und Giles was vorgelogen, als Sie sich heute am späteren Vormittag bei Ihnen erkundigten und behaupteten, er sei die ganze Zeit bis vier Uhr früh, als er die Besinnung verlor, auf der Party gewesen?«

»Weil es stimmte«, sagte sie einfach. »Wir kamen vielleicht fünf Minuten, nachdem er besinnungslos umgefallen war und auf dem Fußboden lag, in das Wohnzimmer zurück. Marty fragte Sammy, ob er Giles zu der Ballard nach Hause fahren würde, und dann haben ihn die beiden mit Nick Fessler hinaus zu Sammys Wagen getragen

Ich trank mein Glas aus, stand von der Couch auf, stellte das leere Glas auf die Hausbar in der Ecke zurück und machte dann eine winzige Pause, bevor ich ihr wirklich gekonnt ganz beiläufig eine Frage hinpfefferte.

»Wie kommt es, daß sich Marty eine Hütte am Strand hält, wenn er sie den ganzen Sommer über nicht benutzt

»Ich glaube, er hat sie für seine Freunde«, antwortete sie in gelangweiltem Ton. »Marty haßt einfach den Strand, und er geht nie...«

Ich konnte gerade noch rechtzeitig herumfahren, um den Ausdruck des Entsetzens in ihrem Gesicht zu sehen. »Das heißt, wenn er überhaupt eine Strandhütte hat. Ich vermute, er muß mich wohl auf den Arm genommen haben«, sie lächelte nervös, »weil ich sie nie gesehen habe oder ihn davon habe sprechen hören

»Sie sind eine lausige Lügnerin, Virginia«, sagte ich zu ihr. »Sie wissen genau, daß ich das nachprüfen kann, und ich werde es auch nachprüfen

»Ich weiß nicht das geringste darüber, daß Marty eine Strandhütte besitzt — ehrlich Ihre Augen blickten mich die ganze Zeit voller Haß an. »Das müssen Sie mir glauben, Rick. Und sagen Sie ihm bitte nichts darüber, daß ich Ihnen die Sache von mir und Sammy Westin erzählt habe

»Nicht, solange ich nicht unbedingt muß«, sagte ich großmütig. »Vielen Dank für den Whisky.«

Sie erhob sich aus ihrem Sessel, brachte mich zur Wohnungstür, wohl mehr, um sicherzugehen, daß ich endlich ihre Wohnung verließ, als aus dem Gefühl heraus, eine höfliche Gastgeberin sein zu müssen. Ich blieb einen Augenblick im Korridor stehen und sah sie an, wobei ich versuchte, mir darüber klarzuwerden, was es war, was mir an ihr irgendwie merkwürdig vorkam, dann fiel der Groschen. Die Hose und die Bluse, die sie trug, waren vor derselben Farbe wie das Négligé, das sie angehabt hatte, als ich angekommen war, und beides wiederum war von derselben Farbe wie die Bettbezüge.

»Sagen Sie mir eins«, sagte ich, »was hat es denn mit der limonengrünen Farbe auf sich. Müssen Sie sie die ganze Zeit tragen

Ihre Augen wurden einen Augenblick lang weich.

»Ich liebe sie«, sagte sie heiser. »Sie ist wunderschön, und sie erinnert mich an das Meer

»Das Meer krächzte ich.

»Ich liebe das Meer, Rick In ihrer Stimme lag plötzlich ein sehnsuchtsvoller Unterton, der einen an ein kleines Mädchen erinnerte.

»Es ist die ganze Zeit über immer so frisch. So frisch — und so sauber!«

 

 

Man konnte sofort sehen, daß Bruce Milford zu den wirklich erfolgreichen Agenten gehörte, denn seine Privatsekretärin sah von ihrem schlanken, von einem kupfernen Haarschopf gekrönten Kopf bis zu ihren Füßen wie das Äußerste an Tüchtigkeit aus. Gleichzeitig trug sie das Äußerste an sekretariellem Statussymbol — nämlich eine dicke schwarze Brille.

Das polierte Bronzeschild an ihrem Schreibtisch verriet, daß sie Hilda Johns hieß, und ich fragte mich, ob das irgendwen interessiere.

»Sie werden erwartet, Mr. Holman«, sagte sie mit forscher Stimme. »Um ganz genau zu sein, Sie werden schon seit heute mittag erwartet Sie lächelte kurz. »Was hat Sie so lange aufgehalten Die anmutige goldene Uhr an ihrem Handgelenk funkelte, während sie darauf blickte. »Es ist doch wohl schon halb fünf

Ich dachte mir, daß es sie, verdammt noch mal, überhaupt nichts anginge und daß ich mir ohnehin nichts aus Frauen vom Typ >Elektronengehirn< machte.

»Er wird scheinbar alt«, sagte ich mit fragender Stimme.

»Wer? Mr. Milford?« Sie blickte zu mir auf, wobei sanftes Interesse in ihren durch die Brille vergrößerten Augen sichtbar wurde.

»Als ich das letztemal in diesem Büro war, saß auf Ihrem Platz eine törichte kleine Silberblonde mit einer ebenso interessanten wie völlig unwahrscheinlichen Balkonlinie«, sagte ich zu ihr. »Was also kann inzwischen geschehen sein? Wie ich schon gesagt habe, er ist vermutlich alt geworden

»Sie sind auf dem Holzweg«, murmelte sie. »Mr. Milford ist in keiner Hinsicht alt geworden. Es liegt lediglich daran, daß das Geschäft immer größer und besser wurde, bis der Zeitpunkt kam, an dem es ohne ein Mädchen, das wirklich maschineschreiben konnte, nicht mehr ging

»Ich muß mir wirklich notieren, bei Gelegenheit daran zu denken, mir ein paar gute Texter zu besorgen, damit ich Ihnen auch mal passend rausgeben kann

Nach diesem Geistesblitz schlenderte ich gemütlich in Milfords Büro, wobei ich so tat, als hätte ich das selbstzufriedene Lächeln der Überlegenheit, das sie zur Schau trug, bevor ich mich von ihrem Schreibtisch abwandte, nicht gesehen.

Robert Giles’ Agent war ein bißchen fülliger geworden und hatte noch ein paar mehr Haare verloren, aber davon abgesehen, sah er genau wie der Bruce Milford aus, den ich aus der ein paar Jahre zurückliegenden Zeit in Erinnerung hatte. Sein mildes pausbäckiges Engelsgesicht glühte noch immer in einem wie durch frische Massage erzeugten Rosa, und nach wie vor lag in seinen Gerissenheit verratenden blauen Augen ein schalkhaftes Blitzen. Im Grunde genommen sah er wie ein großherziger Weihnachtsmann aus, der alle Welt so in sein Herz geschlossen hatte, daß er auch außerhalb der Weihnachtssaison fortgesetzt arbeiten mußte, um noch mehr Freude und Glück auf der Welt zu verbreiten.

Milford war einer der gerissensten Agenten an der Westküste, und er besaß jene Art von rasiermesserscharfem Verstand, mit dessen Hilfe er einen prozentualen Anteil auf die Weise in sieben verschiedene Anteile zu zerlegen vermochte, daß die übrigen sechs Beteiligten beglückt von dannen zogen und er trotzdem mindestens fünfzig Prozent des ganzen Anteils in die Tasche steckte. Ich mochte nicht daran denken, wieviel ihm dieses vor Wohlwollen strahlende Gesicht pro Jahr einbrachte und wieviel es den verschiedenen Managern der großen Filmgesellschaften gekostet haben mochte, nur weil sie ganz einfach nie hatten glauben können, es sei ihm ernst, wenn er den Vertrag eines Kunden minuziös durchging und alle die hübschen Paragraphen im Kleinstdruck durchstrich, welche die Filmanwälte mit so viel Mühe hineinappliziert hatten.

»Setzen Sie sich und machen Sie es sich gemütlich, Rick Er wies auf einen bequemen Ledersessel. »Wir haben uns lange Zeit nicht mehr gesehen

»Sie sehen aus, als ob Sie mit jeder Minute wohlhabender würden«, sagte ich ihm, als ich mich setzte.

»Bobby hat mich angerufen und mir erzählt, daß Sie ihm heute vormittag einen anständigen Haufen Geld aus der Tasche gezogen haben — Sie Strauchdieb Er grinste. »Aber, wie ich ihm sagte: Was kann einem Burschen mit derartigen Gagenforderungen Geld überhaupt noch bedeuten

»Sie haben keinerlei Chance, mir zehn Prozent von dem abzuknöpfen, was ich Giles aus der Tasche gezogen habe, Bruce«, sagte ich rasch. »Wagen Sie es nur, mir in Reichweite zu kommen, und ich schreie laut, worauf Sie sich verlassen können

»Rick, Baby«, sagte er, während er mit dem Kopf wackelte, »Sie wissen genau, daß ich in dieser Branche nur tätig bin, um anderen Leuten zu helfen

»Ich weiß«, sagte ich in nüchternem Tone. »Es liegt eben daran, daß Sie gleichzeitig bei Ihrer Samaritertätigkeit soviel Geld an Ihren Hilfsbedürftigen verdienen

»Okay, Sie sind eine Wucht gab er zu. »Also Spaß beiseite. Was gibt’s, Rick

»Nun, um damit anzufangen«, sagte ich zu ihm, »zunächst mal sind Sie an allem schuld. Was hat Sie veranlaßt, Giles zu sagen, er sollte sich an mich wenden, Bruce, alter Knabe

»Nun, Bobby hatte diese« — er zuckte ausdrucksvoll mit den Schultern—, »diese Wahnvorstellung, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatte; und es war offensichtlich sinnlos für jedermann, den Versuch zu machen, sie ihm auszureden. Deswegen dachte ich, die logische Antwort auf dieses Problem sei, einen Fachmann beizuziehen, der ihm beweisen könnte, daß das Ganze nur Einbildung sei. Und wer kann da außer Ihnen in Frage, Rick? Sie sind der Beste, Baby, der Beste in der Branche

»Und außerdem habe ich Respekt für die Branche, nicht brummte ich.

»Das ist genau das, was ich Bobby gesagt habe«, bemerkte er, während er mich anstrahlte.

»Nur mal eben für einen Augenblick lang angenommen — Giles würde an keiner Wahnvorstellung leiden und es habe sich alles so zugetragen«, sagte ich. »Welchen Teil der Branche muß ich dann am meisten respektieren, alter Knabe

»Aber Rick!« Er kicherte gut gelaunt. »Das glauben Sie doch selbst nicht für eine Sekunde Seine Augen funkelten ein wenig zu heiter. »Das ist doch eine idiotische Frage, oder

»Ich bin nun eben mal so idiotisch, auf einer Antwort zu bestehen, Bruce«, sagte ich ihm.

Er dachte einen Augenblick darüber nach, während seine Hände emsig über die Schreibunterlage glitten. »Nun«, sagte er schließlich, »in diesem Fall ist es an Bobby, eine Entscheidung zu treffen, nicht an mir

»Wenn es das Mädchen wirklich gegeben hat und sie ermordet worden ist«, fuhr ich mit kalter Stimme fort, »bedeutet es, daß die übrigen Anwesenden auf der Party gelogen haben. Es macht Ihnen natürlich nichts aus, ob die Polizei Marty Jennings, Nick Fessler und die übrigen wegen gemeinschaftlicher Mordvertuschung — oder gar Schlimmerem verhaftet

Milford entnahm einer Schachtel auf seinem Schreibtisch eine dünne schwarze Virginia und schlitzte deren Cellophanhülle sorgfältig mit dem Daumennagel auf.

»Worauf, verdammt noch mal, wollen Sie hinaus, Rick

»Sie haben gerade einen Vertrag zwischen Marty Jennings und Robert Giles in die Wege geleitet, nachdem letzterer in Jennings’ nächsten Film für dreihunderttausend Dollar die Starrolle übernehmen soll«, sagte ich. »Wenn Marty irgend etwas Drastisches zustößt, so gibt es keinen Film, keine Gage für Giles und auch keine zehn Prozent für seinen Agenten. Ich möchte wissen, ob Sie dieser Gedanke beunruhigt, alter Knabe

Die Wolke blauen Rauchs, die während des Zigarrenanzündens einen Augenblick lang sein Gesicht hatte verschwinden lassen, verflüchtigte sich, und ich sah, daß seine blauen Augen kalt und klug blickten. In diesem Augenblick hätte man seinen Blick vermutlich bis zum Abendstern richten müssen, um die nächste Andeutung eines heiteren Funkeins zu erblicken.

»Ich habe allerhand Respekt für Sie, Rick«, sagte er mit einer geschmeidig knurrenden Stimme, die ihn in den Gänsehaut erregendsten Weihnachtsmann verwandelte, der mir je begegnet war. »Sie windiges Mistvieh! Bobby Giles ist ein allerhand verdammt guter Schauspieler, und wenn Marty Jennings heute nacht mit samt seinem verdammten Ausstattungsfilm auf den Mond fliegt, läßt mich das eiskalt. Wissen Sie warum? Weil, wenn erst mal bekannt wird, daß Bobby im Augenblick zu filmen bereit ist, ich binnen vierundzwanzig Stunden mindestens drei Angebote bekomme, die so gut sind wie das von Jennings. Aber das ist noch nicht alles«, fuhr er mit eiskalter Stimme fort. »Zufälligerweise ist Bobby ein verdammt guter Freund von mir, und ich lasse meine Freunde nicht sitzen. Besonders, wenn sie wirklich in Schwierigkeiten sind, wie es der Fall wäre, wenn das Unmögliche wirklich geschehen wäre und seine Wahnvorstellung sich als Realität herausstellte.«

Ich grinste ihn an. »Jetzt haben Sie mich so weit gebracht, daß ich das Gefühl habe, ich müsse nun meinerseits die Flagge hissen und grüßen. Okay, Bruce, ich wollte es von Ihnen nur laut und deutlich gehört haben

»Wirklich?« Es klang vollständig uninteressiert, und mir wurde plötzlich klar, daß, falls Bruce Milford je ein Freund von mir gewesen war, diese Beziehung ihr Ende gefunden hatte. Bis zehn Uhr nächsten Tages würde der weibliche Elektronenrechner im Vorzimmer Rick Holman bereits im Akt »Schweinehunde« abgelegt haben.

»Wie gut kennen Sie Marty Jennings fragte ich ihn.

»Ziemlich gut. Warum?«

»Und waren Sie jemals in seine Strandhütte eingeladen

»Nicht von Marty — er benutzt sie nie«, sagte Milford kurzangebunden. Er zog ein Gesicht, um zu zeigen, daß er für die Überspanntheiten des großen Filmproduzenten nicht verantwortlich war. »Er stellt sie Freunden zur Verfügung, wenn immer diese ihre Leiber in der Sonne rösten oder sich einer kleinen privaten ungestörten Hurerei hingeben wollen

»Haben Sie sich die Hütte jemals ausgeliehen fragte ich mit betont höflichem Lächeln. »Von Jugend her müssen Sie doch bestimmt einer von diesen verrückten Sonnenanbetern gewesen sein

»Bitte fangen Sie nicht an, frech zu werden, Rick«, sagte er mit dünner Stimme, »denn diese Sorte ist die schlimmste. Natürlich habe ich Martys Strandhütte einmal benutzt, als ich ein paar Mandanten aus Übersee über ein Wochenende Zerstreuung verschaffen mußte. Was soll’s übrigens

»Also können Sie mir erzählen, wo sie liegt und wie ich sie finden kann«, sagte ich aufrichtig.

»Sie liegt an einem der kleineren Strände nördlich von Palisades«, sagte er und gab mir dann eine detaillierte Schilderung, wie man dort hingelangen konnte. »Vielen Dank«, sagte ich.

»Marty hätte Ihnen das aber auch selbst sagen können Er starrte mich einen Augenblick voll offener Neugier an. »Warum haben Sie ihn nicht gefragt

»Wenn ich mit Marty Jennings spreche, bin ich gezwungen, ihm auf den Kopf zuzusagen, daß er ein Lügner ist«, brummte ich, »und das möchte ich vermeiden, solange ich es nicht wenigstens halbwegs beweisen kann

»Wie steht es in dieser Hinsicht mit Nick Fessler Milford grinste häßlich. »Ich wette, mit dem haben Sie überhaupt keine Lust zu reden

»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, Bruce, Baby«, pflichtete ich bei und erhob mich dann aus dem Sessel. »Also werde ich mich jetzt raschestens zu Martys Strandhütte begeben, bevor jemand die Gelegenheit wahrnimmt, die Blutflecken auf dem Boden zu beseitigen

Ich war schon auf halbem Wege zur Tür, als er sich freundlich räusperte und »Rick murmelte.

Als ich über die Schulter zurückblickte, sah ich das gute alte Weihnachtsmanngefunkel auf allen Frequenzen in seinen Augen blitzen.

»Wo sind Sie den ganzen Nachmittag über gewesen fragte er. »Ich hatte gedacht, Sie würden nach Ihrer Unterhaltung mit Bobby sofort zu mir kommen

»Ich habe mich mit einer von Martys Freundinnen unterhalten«, sagte ich. »Ich bin nicht sicher, ob er auch die an seine Freunde ausleiht, aber mit Sicherheit macht er selbst von ihr Gebrauch

»Oh!« Er nickte. »Sie reden vermutlich von Virginia Strong

»Natürlich.« Ich grinste finster. »Macht uns das zufällig zu Mitgliedern desselben Klubs, alter Knabe

»Nein fuhr er mich an, faßte sich dann aber und funkelte mich erneut wohlwollend an. »Ich dachte, Sie seien vielleicht damit beschäftigt gewesen, Betty Wong aufzusuchen

»Ist sie nicht als allererstes heute früh in den Urlaub gefahren erkundigte ich mich.

»Ich weiß es nicht, Rick. Warum erkundigen Sie sich nicht bei Nick Fessler? Wenn sie irgendwohin gefahren ist, so hat er das sicher arrangiert

»Ist das Chinesenmädchen mit ihm liiert fragte ich in ehrlichem Erstaunen.

»Wie ich schon sagte, Sie sollten sich bei ihm erkundigen«, wiederholte Mildford freundlich.

Ein Blick in sein Gesicht überzeugte mich davon, daß es nur Zeitverschwendung bedeuten würde, ihm weitere Fragen zu stellen. Bruce hatte seinen Köder ausgelegt, und nun, als er mich prächtig an der Angel hatte, zeigte er sich schweigsamer als ein CIA-Agent. Zum erstenmal in meinem Leben kam mir der Gedanke, daß dieser Weihnachtsmann ein ganz seltenes Mistvieh war. Aber das Mistvieh saß vor mir und funkelte mich auf seine seltene Weise an, bis ich sein Büro verließ und die Tür hinter mir zuschlug.