5. KAPITEL
Luke schlich auf Zehenspitzen in sein eigenes Apartment, wie ein Dieb in der Nacht. Er hatte den Film jetzt so oft gesehen, dass er die Untertitel bald auswendig kannte. Überrascht blieb er in der Eingangstür stehen. Alle Lampen in dem aufgeräumten Wohnzimmer waren eingeschaltet. Er schloss die Tür leise hinter sich zu, ging ins Wohnzimmer und knöpfte dabei sein Hemd auf. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er Cat in dem ganzen Durcheinander hatte sitzen lassen. Aber wenn er hiergeblieben wäre, hätte er sich noch mieser gefühlt. Da war es so schon besser.
Als er Cat auf dem Sofa liegen sah, bekam er fast einen Herzanfall. Sie hatte eins seiner alten Lieblings-T-Shirts an und trug diese uralte Pyjamahose, die sie schon als Teenager gehabt hatte. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen funkelten.
“Nett, dass du doch noch kommst, Van Buren. Hast du einen schönen Abend gehabt?”
“Ja, fantastisch”, brachte Luke hervor. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ging langsam um das Sofa herum. “Vielen Dank, dass du schon alles aufgeräumt hast. Hat Nick dir geholfen?”
“Ja, indem er endlich ging.”
Cat griff nach einem Kissen in Leopardenmuster, eine ihrer Neuerwerbungen, und starrte ihn an. Er warf einen misstrauischen Blick durch die angelehnte Tür in das dunkle Schlafzimmer. “Sind wir allein?”, fragte er leise.
Sie wurde rot vor Wut. “Du meinst, ob sich in deinem Schlafzimmer vielleicht eine ganze Fußballmannschaft befindet, die erst mal wieder zu Kräften kommen muss?”
Er setzte sich auf die Sofalehne. “Na ja, es wäre ja immerhin möglich, dass du hier mit einem Mann …”
“Was ist denn in dich gefahren? Vielleicht ein Außerirdischer von einem anderen Stern?”
“Bitte?”
“Wem gehört denn dieses Apartment? All diese Leute heute Abend habe ich doch noch nie in meinem ganzen Leben gesehen! Glaubst du wirklich, dass ich mit einem vollkommen Fremden schlafen würde? In deiner Wohnung? In deinem Bett?”
“Nein.”
“Dann stell nicht solche idiotischen Fragen!”
Sie zog die Beine unter sich und hob ihr schweres Haar an. Wieder trug sie keinen BH. Luke schluckte. Gut, dass er nicht hiergeblieben war.
“Solltest du nicht schon längst schlafen?”, fragte er sanft. Warum hatte er sich bloß die ganze Nacht in diesem Kino um die Ohren geschlagen, wenn er sie doch hellwach vorfand und sexy wie die Sünde?
“Ich bin gerade mit dem Aufräumen fertig geworden.”
Ihre Wangen hatten wieder ihre normale Farbe angenommen, und irgendwie sah sie traurig aus.
“Ich hätte bestimmt am nächsten Morgen alles in Ordnung gebracht, Cat.”
“Ja, ja.” Sie umarmte das Kissen fester.
“Was hältst du denn von Ted?”
Sie zuckte mit den Schultern.
“Und von Allan?”
Sie wiegte gleichgültig den Kopf.
“Und wie fandest du die beiden Bobs?”
Cat streckte die Beine aus.
“Sag schon, Cat.”
“Nun hetz mich doch nicht. Du erfährst es noch früh genug. Ich muss doch erst mal in Ruhe über alles nachdenken.” Sie stand auf und sah ihn an. “Und wie war’s mit Karen?”
“Toll.” Von wegen. Karen war alles andere als glücklich gewesen, als er sie zu Hause einfach abgesetzt hatte.
“Sie macht einen netten Eindruck.”
“Ja, und hübsch und klug. Sie ist Rechtsanwältin.”
“Na, wunderbar, dann kann sie ja selbst euren Ehevertrag aufsetzen.”
Luke stand auf. “Wir werden nie heiraten, und das weiß sie auch.” Er starrte auf Cats Mund. Wie sehr er sich danach sehnte, sie zu küssen! Aber wahrscheinlich würde sie ihn sofort mit dem Kissen auf den Kopf schlagen, das sie immer noch fest umklammert hielt. “Wir haben uns doch erst das zweite Mal gesehen. Außerdem gibt es doch noch diese Wette zwischen Nick und mir.”
Cat schüttelte heftig den Kopf, sodass auch Luke von ein paar roten Strähnen getroffen wurde. Jetzt hätte er ihr gern ins Haar gefasst.
“Das ist wirklich eine eurer besonders albernen Wetten, Luke. Und wenn du dich nun unsterblich in jemanden verliebst, den du heiraten willst, und das noch vor deinem 35. Geburtstag? Das kann doch durchaus passieren.”
“Wenn man sich verliebt, muss man nicht unbedingt heiraten. Deshalb kann mir bei dieser Wette gar nichts passieren. Ich werde nie heiraten, egal, wie alt ich bin.”
“Glaubst du tatsächlich immer noch an den Unsinn, dass eine Frau nicht genug ist für das ganze Leben? Wie damals als Fünfzehnjähriger? Für mich ist das eher ein Zeichen von totaler Unreife. Du willst dich nicht festlegen. Ich glaube, du hast einfach noch nicht die Richtige getroffen.”
“O doch, mehrmals im Jahr sogar. Aber ich denke, wir sollten jetzt lieber schlafen gehen.”
“Gut. Wollen wir morgen zu dem Haus rausfahren?”
“Ja, aber nicht so früh. Du kannst ruhig wieder das Bett nehmen.”
Er sah ihr hinterher, wie sie ins Schlafzimmer ging. Selbst in dem übergroßen T-Shirt wirkten ihre Bewegungen überaus geschmeidig und erotisch. Luke schloss die Augen. Er musste lernen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, solange Cat hier bei ihm wohnte. So was wie …
“Schlaf gut, Luke.”
“Du auch, Kleines.” So was wie … ja, vielleicht eine aufwendige Baukonstruktion. Seine Fantasie sollte sich mit Bauplänen beschäftigen und nicht mit Cat.
“Alles in Ordnung?”
Er öffnete die Augen. Cat stand da, in den Türrahmen gelehnt, und sah ihn besorgt an. Er wünschte, er könnte sie einfach auf die Arme nehmen, in sein Schlafzimmer tragen, auf das große weiche Bett legen …
“Ja, ich bin nur müde.”
Erst müsste das Fundament ausgehoben werden. Große Erdhaufen, runde Hügel, milchweiß mit zimtfarbenen Punkten, gekrönt von rosa Spitzen … Himmel, es war wirklich zum Verzweifeln! “Bis morgen.” Er machte schnell das Licht aus und hörte, wie sie die Tür leise hinter sich zuzog.
Er musste seine Fantasien wohl noch ein wenig kontrollieren, aber es würde schon klappen.
Eine Stunde später war er immer noch hellwach. Er stand auf, um ins Bad zu gehen. Warum hatte er damals nur das Gästebad nicht bauen lassen und stattdessen die Küche erweitert? Hätte er anders entschieden, würde er jetzt nicht durch das Schlafzimmer gehen müssen.
Aber sie schläft sicher tief und fest, sagte er sich, während er vorsichtig die Tür öffnete.
Sie hatte das Licht im Bad angelassen. Ein schmaler Lichtstreifen fiel genau auf ihre ausgestreckte Gestalt. Sie lag auf dem Bauch, Gesicht und Kissen waren von dem roten Haar fast ganz verdeckt. Neben ihr lag der kleine Teddybär, den er ihr vor vielen Jahren geschenkt hatte. Typisch Cat, sie hing an diesen Dingen.
Luke lächelte liebevoll. Dann fiel ihm auf, dass sie die Satinlaken abgezogen und weiße Baumwollwäsche aufgezogen hatte. Er schüttelte leicht den Kopf, während er sich vorbeugte, um ihr die Hausschuhe auszuziehen.
Cat presste die Lippen zusammen, als sie seine warmen Finger spürte. Sie sollte sich einfach umdrehen und ihm die Arme entgegenstrecken, aber sie konnte es nicht. Jetzt so zu tun, als ob sie schlief, war jedoch genauso dumm wie damals vor vielen Jahren, als sie sich unter Lukes Bett versteckt hatte, nur um ihm nahe zu sein. Sie war ungefähr neun gewesen, und natürlich hatte er sie entdeckt. Und obgleich sie vorgab, tief zu schlafen, hatte er sie hervorgezerrt, in den Flur gestoßen und die Tür hinter ihr zugeknallt.
Die Haushälterin hatte das damals seinem Vater erzählt, der den Sohn bestraft hatte. Und Luke hatte einen Monat lang nicht mit ihr gesprochen.
Jetzt hatte Luke ihr die Schuhe von den Füßen gezogen und massierte den Spann. Cat prickelte die Haut. Noch nie hatte sie etwas so Erotisches empfunden. Dann fühlte sie, wie die Bettdecke unter ihr hervorgezogen und sie sanft zugedeckt wurde. Sie kniff die Augen fest zusammen und stellte sich vor, wie seine Hände ihren ganzen Körper liebkosten. Heiße Erregung stieg in ihr auf, und nur mit äußerster Willenskraft gelang es ihr, bewegungslos liegen zu bleiben. Etwas Pelziges streifte ihre Wange. Luke hatte den Teddy neben ihr Gesicht gesetzt.
“Du bist eine richtige Nervensäge, Cat Anne Harris, weißt du das?”, murmelte Luke, “ich wünschte, du wärst in Oregon geblieben, wo du hingehörst.”
Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was er da gesagt hatte. Sofort war jede Erregung verflogen. Sie fühlte ihr Herz schwer wie einen Stein in der Brust und biss die Zähne so fest aufeinander, dass es schmerzte. Sie würde ewig warten können, bis Luke den ersten Schritt tun würde. Er begehrte sie nicht, fertig, aus.
Auch wenn Luke sie aufgefordert hatte zu bleiben, eins war klar. Sie war ihm im Weg wie immer schon. Immer war sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, zumindest, was ihn betraf.
Cats erster Impuls war, nach Hause, ins eigene Bett zurückzukehren, dorthin, wo sie von vertrauten Dingen umgeben war. Aber dann fiel ihr ein, dass sie das Haus wegen des Verkaufs leer geräumt hatte und ihre Sachen untergestellt waren.
Luke strich das Betttuch glatt und berührte dabei kurz ihren Nacken.
Sie zitterte.
Er hielt den Atem an.
Sekundenlang bewegte er sich nicht. Sie konnte geradezu fühlen, dass er neben dem Bett stand und sie betrachtete. Dann hörte sie Schritte und das Klicken der Badezimmertür. Die Dusche wurde angestellt.
Cat starrte in die Dunkelheit, mit schmerzenden, trockenen Augen.
Luke fuhr aus einem unruhigen Schlaf hoch. Er hatte sich kein Laken untergelegt, und jetzt fühlte er sich wie an dem Leder festgeklebt. Er stand vorsichtig auf, zog sich schnell die Jogginghose über und öffnete die Schlafzimmertür, um ins Bad zu gehen.
Das Bett war bereits wieder makellos glatt gezogen. Die Badezimmertür stand offen. Luke blickte auf die Uhr. Na toll, er hatte lediglich drei Stunden geschlafen. Aber wo war Cat um acht Uhr an einem Sonntagmorgen?
Nach einer heißen Dusche entschied er sich für seine geliebte abgeschnittene Jeans und ein rotes Top und ging in die Küche.
Bevor sie gegangen war, hatte Cat noch die Spülmaschine ausgeräumt und alles weggestellt. Er hatte nichts gehört und sah sich jetzt suchend um. Keine Nachricht. Er zuckte mit den Schultern und beschloss, sich Rühreier mit Schinken zu machen, Normalerweise gab es das nur am Morgen danach und wurde im Bett serviert.
Sowie sie in die Küche kam, war Cat klar, dass sie noch etwas länger hätte wegbleiben sollen. War sie nicht an einem 24-Stunden-Kino vorbeigekommen, hier ganz in der Nähe?
“Guten Morgen, du Schlafmütze”, sagte sie betont fröhlich und bemühte sich, an Luke vorbeizusehen, der gebräunt und unglaublich sexy aussah. Er hatte eine wunderbare Haut, ganz ohne Sommersprossen und ohne etwas dafür zu tun. Das war nicht fair. Aber was war schon fair in dieser Welt?
Sie nahm sich einen Becher vom Regal. “Es war eine nette Party. Ich mag deine Freunde.”
“Das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen.” Luke musterte sie in ihren schwarzen engen Radlerhosen und dem weißen Hemdchen, von den langen Beinen bis zu ihrem verschwitzten Haar, das sie in einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
“Bist du gelaufen?”
“Ja, in dem Park auf der anderen Seite der Straße.”
Auch morgens um sieben waren schon eine Menge Leute unterwegs gewesen, Radfahrer, Jogger, Mütter mit kleinen Kindern, junge Leute auf Inlineskates. Aber keiner hatte sie so angesehen wie Luke jetzt. Ihre Haut prickelte. Sie trank erst einmal einen Becher kaltes Leitungswasser, dann goss sie sich Kaffee ein.
In dem hellen Sonnenlicht schien Lukes Haut geradezu zu leuchten. An seinem muskulösen Körper war kein Gramm zu viel, das konnte sie genau sehen, denn die Hose und das weit ausgeschnittene Hemd verbargen kaum etwas.
Sie wandte sich schnell ab und nahm sich Milch und Zucker. Dann öffnete sie die große weiße Tüte, die sie mitgebracht hatte..
“Es gibt auch ein Fitness-Studio im Haus”, erinnerte er sie.
“Ja, ich weiß, da reißt du doch immer die Frauen auf. Ich mag lieber draußen sein, an der frischen Luft. Möchtest du vielleicht einen Donut?”
Luke schüttelte den Kopf. “Danke, nein. Ich habe schon gefrühstückt. Dein Teller steht noch im Ofen.” Er sah sie wieder aufmerksam von oben bis unten an. “Du bist ganz gut in Form.”
“Ganz gut in Form?” Sie spannte den rechten Arm an. “Willst du mal meinen Bizeps fühlen?”
Er griff nach ihrem Handgelenk. “Deine Knochen sind so fein wie die eines Vögelchens. Ich könnte sie leicht zerbrechen.”
Cat entzog ihm die Hand. “Sei vorsichtig, wenn du nicht willst, dass dir der kochend heiße Kaffee über den Rücken läuft.”
“Das meine ich ja. Du wirkst ausgesprochen zerbrechlich, bist aber ausdauernd und unverwüstlich.” Er sah sie mit einem schwer zu deutenden Blick an und fuhr fort: “Bei deiner Zerbrechlichkeit und dem flammend roten Haar muss ein Mann schon blind und taub sein, wenn er dich nicht in seinem Be… ich meine, Leben haben will. Du bist eine sehr verführerische Mischung, Cat, und die Männer werden sich gegenseitig umbringen, um dich zu kriegen. Deshalb muss ich dafür sorgen, dass nur der den Preis gewinnt, der ihn auch verdient. Und deshalb werde ich immer in deiner Nähe sein und dich vor den Raubtieren beschützen, bis du deine Wahl getroffen hast.”
Cat hörte ihm mit weit aufgerissenen Augen zu. Noch nie hatte Luke so ausführlich über ihr Äußeres gesprochen. Sie wusste, dass er eigentlich die zierlichen Blonden und Brünetten lieber mochte als die großen Rothaarigen mit Sommersprossen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, so ganz im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit zu stehen, so allein mit ihm in der Küche.
“Du brauchst mich nicht zu beschützen, Luke, aber danke für das Angebot. Die Vorstellung, dass Dutzende von Männern mit mir schlafen wollen, ist zwar sehr schmeichelhaft, aber”, sie lächelte, “ich möchte doch ausprobieren, ob ich es nicht allein schaffe, sie mir vom Leib zu halten.”
Wieder konnte sie Lukes durchdringenden Blick nicht deuten.
“Dann muss ich wohl eine abendliche Ausgangssperre verhängen”, sagte er leise.
“Du kannst es ja versuchen.” Sie strahlte ihn an. “Obwohl ich schon mal gehört habe, dass man zu jeder Tages- und Nachtzeit Sex haben kann.”
“Das kann man vielleicht, aber nicht du. Du lässt dich nicht einfach von jedem, der dir schöntut, ins Bett zerren.”
“Nein? Warum hast du dann vermutet, ich hätte einen Mann im Bett, gestern Nacht?”
Er blickte düster vor sich hin. “Ich musste einfach fragen. Das bedeutet nicht, dass ich auch davon überzeugt gewesen wäre. Aber schließlich bist du jetzt sechsundzwanzig und hast noch nie mit einem Mann geschlafen. Ich kenn dich doch. Du musst den Mann wirklich lieben. Und das braucht Zeit. Und du solltest nichts überstürzen.”
Er setzte den Becher ab und sah sie jetzt mit einem väterlichen Ausdruck in den Augen an. “Du willst nicht einfach nur das Zusammenkommen, wie es bei Tieren abläuft, nicht nur Sex aus einem blinden Lustgefühl heraus. Du sehnst dich nach Liebe, nach Respekt, Verständnis. Du brauchst jemanden, der dich kennt, der dich als Frau mit all ihren Möglichkeiten akzeptiert.” Er sah so ernst aus, dass sie lächeln musste.
“Und wenn ich nun doch nur mal so …?”
“Aber, Cat!”
“Ich meine, so wie du und Nick. Vielleicht sollte ich erst mal alle möglichen Erfahrungen machen, bevor ich mich für einen bestimmten Mann entscheide.”
“Was? Du willst einfach so in den Tag hineinleben und oberflächliche Beziehungen haben?”
“Warum nicht? Ihr kommt damit doch auch gut zurecht. Warum soll ich nicht erst mal ein bisschen herumspielen, bevor es ernst wird? Ich finde, das ist eine großartige Idee.”
“Aber du bist eine Frau.”
“Na und? Deine kurzfristigen Liebschaften sind doch auch Frauen.”
“Aber du bist vollkommen anders. Du hast mit denen so wenig Ähnlichkeit wie Bambi mit King Kong.”
“Vielleicht gefällt mir so ein Leben. Wild, zügellos. Sex, mit wem ich will, in vielen Variationen.”
“Nur über meine Leiche!”
Sie hob die Hand. “Okay, okay, ich mach doch nur Spaß. Lass uns von was anderem sprechen.” Cat stand auf und machte die Backofentür auf. “Hast du nicht irgendwas von richtigem Frühstück gesagt?”
“Du redest da locker über hemmungslosen Sex, und dann willst du plötzlich was zu essen?”
“Warum nicht? Themenwechsel. Hm, Rühreier mit Schinken.”
Sie nahm den Teller aus dem Ofen und hob vorsichtig den Deckel ab. Es war erstaunlich, wie gut Luke kochen konnte, obgleich er sich nie nach einem Rezept richtete. Sie dagegen hielt sich genau an die Anweisungen und wich kein Gramm davon ab.
Auch ihre Küche würde ganz anders aussehen als seine, nämlich ganz aus Holz und mit einer Unmenge von Pflanzen. Und alles hätte seinen ganz exakten Platz.
Lukes Küche dagegen hätte der Traum eines jeden Gourmet-Kochs sein können, mit matten Chromtüren, Arbeitsplatten aus schwarzem Marmor und einem Regal voller Kupfertöpfe, die offensichtlich auch regelmäßig benutzt wurden. Auf den Arbeitsplatten standen teure Espresso- und Kaffeemaschinen und eine Hightechküchenmaschine. Allerdings lagen dort auch fünf Sonnenbrillen und eine einsame Socke.
Auf dem breiten Fensterbrett hatte Cat bei seinem Einzug einen Blumenkasten bepflanzen dürfen, das war seine einzige Konzession an Mutter Natur. Da die Pflanzen automatisch betropft wurden, blühten sie auch noch, und auch die Küchenkräuter schienen gut zu gedeihen.
“Sehr gut.” Cat schob den Teller von sich und lehnte sich zufrieden zurück. “Übrigens, ich habe Nick unten in der Halle getroffen. Er hat ein Geschenk für dich.”
“Warum?”
“Warum fragst du nicht, was es ist?”
“Ich kenne doch Nick, diesen hinterhältigen Kerl. Wenn ich das Warum kenne, weiß ich auch, was es ist.”
“Diesmal kommst du nicht drauf, das kann ich dir versprechen.”
“Hm.” Luke starrte ihr gedankenverloren auf die Brüste, und sofort spürte Cat, dass die Spitzen hart wurden. Schnell verschränkte sie die Arme vor der Brust. “Luke?”
Er fuhr hoch. Irgendetwas steht zwischen uns, dachte sie befangen, aber das ist meine Schuld. Luke weiß ja nicht, dass ich gestern Nacht wach war und seine Bemerkung gehört habe. Wahrscheinlich sucht er nach einer möglichst schonenden Methode, mich loszuwerden.
“Ja? Ach so, entschuldige, ich habe gerade über etwas nachgedacht, über … das Fundament für das Haus.”
Cat sah ihn überrascht an. “Mit dem Fundament ist etwas nicht in Ordnung, und das fällt dir erst jetzt auf?”
“Nein, alles ist in Ordnung. Solide und zuverlässig.” Er nahm seinen leeren Kaffeebecher und führte ihn zum Mund.
“Vielleicht solltest du anfangen, Vitaminpillen zu nehmen.” Sie nahm ihm den leeren Becher aus der Hand und goss Kaffee ein. “Hier. Ich werde schnell mal unter die Dusche springen.” Sie räumte ihren Teller und das Besteck in die Spülmaschine. “Und dann werde ich meine Sachen packen.”
“Packen?”
“Ja. Ich fürchte, hierherzukommen war keine so gute Idee. Ich werde wieder nach Hause zurückkehren.” Bevor ich mich vollkommen lächerlich mache und du mich rauswirfst, fügte sie in Gedanken hinzu.
“Willst du davonlaufen, Cat?”
“Das ist nicht fair.”
“Und der Ehemann?”
“Den kann ich auch in Beaverton finden.”
“Daran hättest du denken sollen, bevor du das Haus verkauft hast, kleine Schwester.”
Ihr Lachen klang gezwungen. “Ich werde mir eine Wohnung kaufen, großer Bruder.”
“Das ist doch alles Unsinn.” Sein Griff um den Becher wurde fester. “Wir haben doch beschlossen, dass du hierbleibst. Warum willst du dir eine Wohnung kaufen, wenn meine in ein paar Wochen frei wird? Wenn ich abends mal länger arbeite, kann ich doch hier bei dir übernachten.”
“Mein Mann wird wahrscheinlich entzückt sein, wenn du nachts durch unser Schlafzimmer gehen musst, um ins Bad zu kommen.”
“Aber du hast ja gar keinen Mann.” Er sah sie stirnrunzelnd an. “Was ist los mit dir, Cat? Du bist doch sonst nicht so spontan in deinen Entschlüssen.”
“Ich habe eben meine Meinung geändert.” Sie zuckte mit den Schultern. “Ich gebe ja zu, dass ich einen großen Fehler begangen habe. Ich passe nicht hierher, nicht zu deinen Yuppie-Freunden.” Sie streckte die Arme aus. “Sieh mich doch an …”
Luke kniff wie im Schmerz die Augen fest zusammen. “Geh erst mal unter die Dusche. Wir unterhalten uns weiter darüber, wenn du angezogen bist.”
“Sie will wieder nach Hause”, flüsterte Luke und wies mit dem Kopf nachdrücklich auf die Schlafzimmertür. Er kreuzte die nackten Füße auf dem Couchtisch und starrte Nick an. “Was ist denn letzte Nacht hier passiert?”
“Du meinst, außer der Tatsache, dass der Gastgeber wegen einer schnellen Nummer verschwand?” Nick griff nach einem Donut.
“Ich musste Karen nach Hause bringen.”
“Und Cat wurde sauer, als du die ganze Nacht nicht nach Hause kamst.” Nick schüttelte den Kopf. “Warum wohl?”
“Wieso? Muss ich denn nun mein ganzes Privatleben umkrempeln, nur weil Cat hier wohnt?”
“Das habe ich nicht gesagt. Auch wenn ich persönlich gar keine Lust hätte auf andere Frauen, wenn Cat da ist. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, Cat ist eine scharfe …”, er sah den Freund schnell an, der sich unmissverständlich geräuspert hatte. “Ich meine, ich würde sofort mit dir tauschen und sicher auch mindestens die Hälfte unserer Freunde. Hast du nicht gesehen, wie sie Cat belagerten, gestern Abend? Aber vielleicht warst du zu sehr mit Karen beschäftigt.”
“Sie ist sehr hübsch.”
“Cat? Ja, fantastisch.”
“Nein, ich meine Karen. Und natürlich waren alle hinter Cat her, diese Vollidioten, wie die Bären hinter dem Honig.”
“Welche Vollidioten?” Cat trat aus dem Schlafzimmer. Sie trug weiße Shorts, ein kurzes schwarzes Top und dazu passende schwarze Sandalen. Sie hatte sich sogar ein wenig geschminkt, sehr zurückhaltend zwar, aber doch so, dass die Augen noch mehr leuchteten. Das Haar hatte sie in einem dicken Pferdeschwanz zusammengefasst. Ein perfektes Pin-up-Girl aus den Vierzigern. Nick sprang auf und durchquerte mit wenigen Schritten den Raum. “Lassen Sie sich von mir entführen, Prinzessin Catherine.” Er fasste Cat um die nackte Taille und wirbelte sie herum.
Luke beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen und überlegte, wo er Nicks Leiche verstecken könnte. Nick hob Cats Hand an die Lippen, küsste jede Fingerspitze einzeln, liebkoste dann mit den Lippen ihren Arm und zog sie an sich. Cat legte ihm die Arme um die Hüften und sah lachend zu ihm auf.
“Ich habe ein Geschenk für dich mitgebracht”, sagte er.
“Ich dachte, für mich.” Lukes Gesicht blieb unbewegt.
“Nein, du kriegst deins später. Dies ist für Cat.” Er ging schnell in den kleinen Flur und kam mit einem Goldfischglas zurück.
“Oh, Nick, danke!” Cat strahlte den kleinen Goldfisch an. “Das ist einfach toll von dir.”
“Ich bin eben ein toller Mann.”
“Du solltest dir lieber eine Jeans anziehen, Cat”, unterbrach Luke ihn harsch. “Wir fahren mit dem Motorrad.”
“Nein, ich nicht. Allan nimmt mich mit.”
Luke starrte sie verblüfft an. “Zu meinem Haus?”
“Warum nicht?” Sie blickte ihn herausfordernd an und drückte das Glas mit dem Goldfisch an die Brust. “Je eher das Haus fertig ist, desto eher kannst du doch einziehen, oder nicht? Allan hat viel Erfahrung im Anstreichen, das hat er mir gestern Abend erzählt. Ein Freiwilliger mehr, das ist doch prima.”
Nick sah den Freund vielsagend an und griff in die Hemdtasche. Er holte einen Zwanzigdollarschein heraus und gab ihn Luke, der ihn nachlässig einsteckte.
“Ja, wahrscheinlich ist das in Ordnung”, sagte er. Es hört sich nicht so an, als wolle Cat tatsächlich ihre Sachen packen, dachte er aufatmend.
“Ich ruf noch ein paar Leute an, dann können wir eine Menge schaffen.”
Es klingelte, und Cat drückte Luke das Goldfischglas in den Arm. “Das wird Allan sein. Ich mach auf.”