Unsere undankbaren Kinder

 

»Sie haben es gesagt, sie haben es sogar versprochen: Es war nur für die Ferien. Hast du eine Ahnung, was passiert sein könnte?«

»Keinen Schimmer.«

»Durch solche Unannehmlichkeiten können wir schlagartig altern.«

»Schlagartig, du sagst es.«

»Geht es deinem Herzen gut?«

»Sehr gut, mein Herz.«

»Es stört sie, dass wir noch rüstig sind. Es ist nicht sehr nett, dass sie uns das Alter vermiesen.«

»In sechsundvierzig Jahren Ehe haben wir uns nie gestritten und wenn, haben wir uns schnell wieder vertragen. Wenn es Probleme gibt, sind immer sie schuld. Ist dir das auch aufgefallen?«

»Sie erzeugen Spannungen.«

»Sie säen Zwietracht.«

»Genau. Zwischen uns lief alles gut. Du hast gearbeitet, ich habe sie großgezogen …«

»… ohne dich jemals zu beklagen oder zu bedauern, dass du deinen Beruf aufgegeben hast.«

»Ganz genau. Wie du immer so schön sagtest: Reue ist Zeitverschwendung.«

»Und ich hatte recht.«

»Wir hatten vier Kinder, trotzdem hatten wir es doch schön. Wir zwei haben unser Leben genossen.«

»Zum Glück! Denk nur an Quétel. Nie war sie zufrieden. Immer hatte sie Komplexe!«

»Und nicht, weil man ihr die Brust abgenommen hat …«

»Sie wollte es so. Wir haben unser Bestes getan, damit sie sich damit abfindet.«

»Wir konnten ja nicht wissen, dass der Arzt ein Scharlatan ist. Damals gab es ja noch nicht so viele Schönheitschirurgen.«

»Jeder kann mal einen Fehler machen. Ohne Brust kann man auch leben.«

»Jedenfalls ist das nicht der einzige Vorwurf gewesen. Scheinbar habe ich sie nicht nach ihrem eigenen Rhythmus groß werden lassen. Mit zwölf Wochen feste Nahrung, mit zehn Monaten aufs Töpfchen, Einschulung ein Jahr früher, all das hat mich Zeit und Kraft gekostet, und dennoch ist es nicht okay! Wenn man die Entwicklung eines Kindes beschleunigt, bremst und blockiert man es fürs ganze Leben!«

»Diese dumme Kuh mit ihren Theorien! Dabei war sie doch froh, dass sie nicht mehr zum Schwimmtraining musste.«

»Ja. Ihre Inkontinenz hatte auch ihr Gutes. An unserer Brasilienreise meckert sie auch herum – daher hätte sie das steife Bein.«

»Stimmt doch gar nicht! Dann kann sie ja auch gleich behaupten, dass sie wegen der vergessenen Schluckimpfung schiefe Zähne hat!«

»Ich habe alles versucht, damit sie nicht am Daumen lutscht. Meint sie, es hätte uns Spaß gemacht, ihre Hände zu fesseln?«

»Was tun wir, wenn sie nicht kommen?«

»Sie haben sich nur verspätet, das ist alles, mach dir keine Sorgen.«

»Sie könnten wenigstens anrufen.«

»Wenn sie alles täten, was sie tun könnten …«

»Jemand muss es ihnen sagen.«

»Und wer? Ist es denn nicht komisch, dass keiner von ihnen verheiratet ist? Doch, Apôtre, aber er hat so eine schlechte Partie gemacht, dass es nicht zählt.«

»Ich hätte von Clitorine und Endémence mehr Feingefühl erwartet. Ich bin ziemlich erstaunt.«

»Dass ich nicht lache! Endémence ist noch schlimmer als Clitorine. Schon immer! Denk doch nur an Clitorines Diät – Endémence hat alles getan, damit sie ihre Fatburner nicht mehr schluckt.«

»Und dabei waren diese Dinger alles andere als billig; doch du hast sie ihr immer wieder gekauft.«

»Wir hatten wirklich kein Glück. Es war die Hölle, sie im Haus zu haben.«

»Nach dem Fettabsaugen war es besser. Damit war sie sehr zufrieden. Auch wenn sie es niemals zugeben wird, denn danach hat sie schnell wieder alles zugenommen, was man ihr abgesaugt hatte. Dennoch war es für eine Weile leichter, mit ihr aus dem Haus zu gehen.«

»Aber bitte red nicht wieder von dem, was danach kam!«

»Sie aß für vier! Gut, dass wir sie eingesperrt haben. Du hattest doch kein schlechtes Gewissen, oder?«

»Überhaupt nicht. Erinnerst du dich, wie sie die Tür angenagt hat? Und erst all die Möbel, die sie kaputt gemacht hat! Hätte Apôtre sich nicht geweigert, eine Zimmermannslehre zu machen, hätte uns das sehr geholfen.«

»Und Clitorine – ein Strich in der Landschaft – hat alles erbrochen, was sie gegessen hat.«

»Das war ein Theater!«

»Das kann man wohl sagen! Ein Drama in fünf Akten! Kehlkopfkrebs mit zwanzig! Und was weiß ich noch was!«

»Das hat sie nur getan, um mich zu nerven. Je mehr Mühe ich mir beim Kochen gemacht habe, desto nötiger fand sie es, sich zu erbrechen. Das war der Dank!«

»Wie wahr – der Dank des Bauchs!«

»Ach, Chéri, du bist dumm … Sieh doch, da kommt ein Auto!«

»Ja, aber es ist nicht ihres. Um uns mit so einem Wagen zu beehren, haben sie nicht die Mittel.«

»Vor dem Sommer ist Apôtre wieder durch die Führerscheinprüfung gefallen.«

»Ja, das hattest du gesagt.«

»Er sollte es nicht mehr versuchen. Das war noch nie sein Ding. Er hat ja sogar im Autoscooter geflennt! Mit elf oder zwölf Jahren! Der Älteste von allen und der Einzige, der geschrien hat: Maman, ich habe Angst, ich will nicht! So ein Esel.«

»Memme!«

»Das war lustig, ich habe ihm drei Runden bezahlt, damit er lernt, sich ein bisschen am Riemen zu reißen, und musste ihn auf dem Sitz festhalten, bis es vorbei war. Er war rot, klatschnass und hat gezittert.«

»So ein Waschlappen! Wundert mich nicht, dass er diese Frau angeschleppt hat. Eine Stumme! Wie konnte er uns das nur antun? Eine Stumme zu heiraten!«

»Ja, bei ihr dürfen wir wahrlich nicht damit rechnen, dass sie uns aufheitert.«

»Ach, ich liebe dich! Du bringst mich zum Lachen. Hör auf!«

»Nicht lächeln!«

»Du hast recht. Wenn sie kommen, müssen wir zerknirscht aussehen.«

»Stell dir vor, wenn sie einen Unfall hatten …«

»Alle vier auf einmal? So etwas kommt nicht vor.«

»Und wenn doch, dann erben wir.«

»Nicht viel.«

»Schrecklich!«

»Wir müssen uns eingestehen, dass wir Faulenzer in die Welt gesetzt haben. Zähl doch nur die Arbeitslosen – zwei von vier! Die Dritte ist die Hälfte des Jahres krankgeschrieben, und der Vierte hat es weder geschafft, Feuerwehrmann zu werden noch Tierarzt noch Fußballer noch Staatspräsident.«

»Nicht mal Zimmermann.«

»Buchhalter ist er, das ist nicht gerade ein Knaller! Und auch noch Buchhalter bei gemeinnützigen Einrichtungen!«

»Für Stumme gar!«

»Man weiß doch, was da läuft. In solchen Vereinen wird nur Geld gewaschen; das kennt man ja, darauf kann man nicht stolz sein. Ich wäre froh, wenn ich die Koffer nicht umsonst heruntergetragen hätte.«

»Wir bitten an der Pforte darum, dass man sie uns wieder hinaufträgt. Das machen sie sicherlich.«

»Hoffentlich haben die Kinder deine Pflanzen gegossen. Bei der Hitze in diesem Sommer sind alle verwelkt, wenn sie es vergessen haben.«

»Ich mache mir da keine Illusionen. Man konnte sie noch nie um etwas bitten. Endémence hat sicher mal wieder ihren Senf dazugeben müssen, und Clitorine hat sich nach ihr gerichtet. Sie wird mit dem Alter auch nicht klüger! Offenbar ist sie auch böse auf uns. Das hat sich ja neulich gezeigt.«

»Na, wenn sie böse ist, ist sie wenigstens etwas.«

»Ich bin mir sicher, dass wir in dieser Sache recht haben. Dieser Mann war nichts für sie. Außerdem ist er heute glücklicher als damals. Sie soll mal nicht übertreiben. Niemand hat ihn gezwungen, sie zu verlassen, wir haben ihm nur ganz ehrlich alle ihre körperlichen und seelischen Probleme geschildert. Wir haben ihm die Augen geöffnet.«

»Das war mutig von uns, und es war auch sehr viel schwieriger, als die Gelegenheit zu nutzen und sie uns vom Hals zu schaffen.«

»Wir hätten sie ziehen lassen sollen, aber wir haben es vorgezogen, für Klarheit zu sorgen. Das ist eben unsere Art. Aus Aufrichtigkeit.«

»Aus Ehrgefühl.«

»Und nicht aus Lust und Laune.«

»Diese neuen Programme sind gut. Ich habe mir das Foto vor dem Urlaub noch mal angesehen, man sieht die Berge überhaupt nicht. Man glaubt wirklich, unsere Clitorine würde nackt auf dem Parkplatz posieren.«

»Ja, unglaublich, was man heutzutage alles machen kann. Auch die Männer hinter Clito wirken absolut real. Man würde nie darauf kommen, dass es eine Fotomontage ist.«

»Und dieses eine Bild aus der Illustrierten, das mit ihren gefesselten Schwestern im Graben und Clitorine, die die beiden mit Benzin übergießt – das sieht vollkommen echt aus! Vielleicht hätten wir die Bilder mitnehmen sollen. Wenn Clitorine sie sieht, können wir uns auf etwas gefasst machen!«

»Denkst du wohl! Ich habe sie gut versteckt. Sie wird sie nicht in die Finger bekommen. Ihr ganzes Leben lang wird sie denken, dieser Mann hätte sie wegen einer anderen verlassen, und sie wird nie erfahren, dass wir diese Frau für ihn ausgesucht haben. Alles ist zusammen mit Quétels Medaille und Endémences Silberbesteck verstaut.«

»Für immer verloren!«

»Idiot! Sie sollen ruhig für alles bezahlen, was wir ihnen gegeben haben.«

»Übrigens, ich weiß gar nicht mehr, ob ich es dir gesagt habe – als Apôtre das letzte Mal hier war und seine Stumme auf die Toilette führen musste, als wäre sie blind, habe ich seine Brieftasche an mich genommen. Vielleicht können wir etwas damit anfangen.«

»Da wird wohl nicht viel drin sein.«

»Wo bleiben sie denn nur? Bald wird es dunkel, wir sollten wieder nach oben gehen. Wenn sie kommen, wird man uns holen.«

»Jedenfalls bezahlen wir seit zwei Monaten. Bald müssen wir auch noch den ganzen Herbst zusätzlich zum Sommer begleichen.«

»Sieh doch, es fängt an zu schneien.«

»Sie kommen bestimmt morgen. Komm, gehen wir hinauf.«

»Im Grunde genommen weiß ich gar nicht, wieso wir jeden Abend auf sie warten. Es geht uns doch gut hier, uns beiden allein, wie früher …«

»Wir hätten nie Kinder bekommen dürfen. Selbst wenn wir weit weg von ihnen sind und unsere Ruhe haben, denken wir an sie.«

»Das ist eben so, wir sind gute Eltern. Wir blicken zurück, ziehen Bilanz und können Quétel, Apôtre, Clitorine und Endémence nicht hinter uns lassen.«

»Und dennoch werden sie uns sicherlich überleben.«

»Das ist fürchterlich.«