20
Weltuntergang
Goddard, der Atomminister, war aufgesprungen und starrte abwechselnd das Gehirn und Haze-Gaunt aus weitaufgerissenen Augen an. „Das Gehirn – Kennicot Muir? Unmöglich!“
Phelps von der Zivilluftfahrt umklammerte die Sessellehnen mit weißen, zittrigen Händen, und seine Fingernägel bogen sich unter dem Druck krachend nach hinten. „Woher wollen Sie wissen, daß es unmöglich ist?“ schrie er. „Das Gehirn muß diese Frage beantworten!“
Keiris schluckte in einer Ekstase des Schmerzes. Sie hatte etwas ausgelöst, worauf das Gehirn nicht vorbereitet gewesen sein mochte. Beim Zurückdenken fiel ihr kein vernünftiger Grund für die Frage ein, es sei denn die weibliche Intuition. Aber Haze-Gaunt mußte sich irren. Offensichtlich konnte das Gehirn nicht ihr Mann sein. Sie hatten ungefähr den gleichen Körperbau, aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Wahrlich, das Gehirn war – häßlich. Dann warf sie Haze-Gaunt einen verstohlenen Blick zu und büßte etwas von ihrer Gewißheit ein.
Von den Versammelten schien nur der Kanzler nicht aufgeregt zu sein. Er lag noch immer ruhig im Plüschsessel, die langen Beine lässig gekreuzt. Seine absolute Zuversicht verkündete deutlich: „Ich bin mir der Antwort gewiß und habe außerordentliche Vorkehrungen getroffen.“
Für Eldridge wurde die Situation unerträglich. „Antworten Sie, verdammt noch mal!“ rief er und zog die Pistole.
Haze-Gaunt winkte ihn verärgert zurück. „Wenn es Muir ist, dann ist er auch ein gepanzerter Dieb. Stecken Sie das Spielzeug weg und setzen Sie sich.“ Er wandte sich wieder dem Gehirn zu. „Allein die Tatsache Ihrer Hinhaltetaktik verrät eine ganze Menge, aber was erhoffen Sie sich davon? Die Verlängerung Ihres Lebens um ein paar Augenblicke?“ Sein Mund verzog sich in der Andeutung eines höhnischen Lächelns. „Oder weiß der bestinformierte Mensch im Sonnensystem nicht, wer er ist?“
Haze-Gaunts Tarsioid spähte zitternd über die Epauletten seines Herrn auf das Gehirn, das die ganze Zeit über nicht die Stellung geändert hatte. Seine Arme lagen auf den Sessellehnen, wie sie immer dort gelegen hatten. Keiris kam er beinahe so gelassen wie immer vor. Aber Haze-Gaunt, der seinen Sieg in der lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Mann, den er am meisten haßte, beinahe sinnlich genoß, bemerkte anscheinend mehr.
„Vor uns, meine Herren“, bemerkte er grimmig, „befindet sich, ungeachtet seiner Aura der Weisheit, ein verschrecktes Tier.“
„Ja, ich fürchte mich“, sagte das Gehirn mit fester klarer Stimme. „Während wir hier abgedroschene Redensarten über Identitäten wechseln, taumelt Toynbee einundzwanzig unter dem Todesstoß. Wenn Sie nicht alle Unterbrechungen dieser Konferenz verboten hätten, würden Sie wissen, daß der Ostbund vor achtzig Sekunden dem Kaiserreich Amerika den Krieg erklärt hat!“
Welch großartiger Bluff, dachte Keiris in verzweifelter Bewunderung.
„Meine Herren“, sagte Haze-Gaunt und blickte sich um. „Ich bin mir sicher, daß Sie alle die Feinheiten der neuesten Raffinesse des Gehirns zu würdigen wissen. Das Rätsel seiner Identität verliert sich plötzlich in der Aufregung um gigantische, aber fiktive Vermutungen. Ich glaube, wir können jetzt auf meine Frage zurückkommen.“
„Fragen Sie Phelps, was mit seinem geheimen Ohrhörer los ist“, sagte das Gehirn kalt.
Phelps blickte sich betreten um. Dann murmelte er: „Das Gehirn hat recht – wer auch immer er ist. Ich habe einen Hörapparat, der zugleich Radioempfänger ist. Der Ostbund hat uns wirklich den Krieg erklärt, wie er behauptet.“
Das Schweigen wurde schließlich von Haze-Gaunt gebrochen.
„Das ändert die Lage ganz offensichtlich. Das Gehirn wird streng bewacht, bis wir Gelegenheit haben, uns weiter mit ihm zu befassen. Inzwischen verschwendet der Rat hier seine Zeit. Sie alle habe für den Notfall Ihre Befehle. Führen Sie sie bis zum letzten Buchstaben aus. Die Sitzung ist geschlossen.“
Er erhob sich. Keiris zwang sich, beim Entspannen nicht zusammenzubrechen.
Die Minister eilten einer nach dem anderen hinaus, und ihre Schritte und ihr nervöses Rüstern erstarben im Säulengang.
Haze-Gaunt wandte sich plötzlich um und setzte sich anders hin. Sein harter Blick richtete sich neuerlich auf das entstellte, aber gelassene Gesicht des Mannes in der überkuppelten Grube.
Keiris’ Atem beschleunigte sich. Es war noch nicht vorbei – es begann erst.
Das Gehirn schien in stiller Andacht versunken, völlig unberührt von der Wahrscheinlichkeit seines bevorstehenden Todes.
Haze-Gaunt zog einen nach einer Pistole aussehenden Gegenstand aus der Jackentasche. „Das ist ein Giftpfeilwerfer“, erklärte er leise. „Die Nadel durchdringt Ihre Plastikeinhüllung mit Leichtigkeit. Ein Kratzer genügt. Ich möchte, daß Sie über sich selbst reden und mir eine ganze Menge erzählen. Sie können jetzt anfangen.“
Die Finger des Gehirns trommelten unschlüssig auf die Sessellehne. Als er schließlich aufblickte, tat er dies nicht zu seinem Scharfrichter, sondern zu Keiris. Sie war es, die er ansprach.
„Als Ihr Mann vor zehn Jahren verschwand, teilte er Ihnen mit, er würde durch mich mit Ihnen Kontakt aufnehmen. Zu dieser Zeit war ich eine unbekannte Tingeltangelattraktion. Erst in den letzten Jahren hatte ich Zugang zu der ungeheuren Literatur, der ich meine gegenwärtige vorherrschende Stellung verdanke.“
„Darf ich unterbrechen?“ murmelte Haze-Gaunt. „Das ursprüngliche Mikrofilmgehirn, ein obskurer Unterhaltungskünstler, hatte mit Ihnen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit. Er kam jedoch vor zehn Jahren bei einem Zirkusbrand um. Oh, ich gebe zu, daß Ihre Brandwunden im Gesicht und an den Händen echt sind. In Wahrheit haben Sie Ihre Züge absichtlich verbrannt. Nach dieser Berichtigung fahren Sie bitte fort.“
Keiris sah voll fasziniertem Grauen zu, wie sich das Gehirn über die trockenen Lippen fuhr.
Das Gehirn sagte: „Meine Verkleidung hat also schließlich versagt. Aber bis jetzt hat, wie ich glaube, niemand erraten, wer ich bin. Es ist ein Wunder, daß ich nicht schon vor Jahren entlarvt wurde. Aber weiter – durch Keiris habe ich der Gesellschaft der Diebe wertvolle Informationen zukommen lassen, die, wie ich hoffte, Ihre morsche Regierung stürzen und unsere Kultur retten würden. Die furchtlosesten Anstrengungen der Gesellschaft werden aber jetzt vereitelt. Selbst die brillanteste Minderheit kann eine verfallende Gesellschaft nicht in einem bloßen Jahrzehnt retten.“
„Dann geben Sie also zu, daß wir Sie und Ihre vielgerühmte Gesellschaft besiegt haben?“ wollte Haze-Gaunt kalt wissen.
Das Gehirn blickte ihn an. „Vor einer halben Stunde habe ich angedeutet, daß Alar beinahe gottgleich geworden wäre. Ob Sie mich und meine ‚vielgerühmte Gesellschaft’ geschlagen haben oder nicht, hängt von der Identität des Intelligenzwesens ab, das wir Alar genannt haben.“
„Verstecken Sie sich nicht hinter Worten“, fuhr ihn Haze-Gaunt an.
„Sie sind vielleicht imstande, mich zu verstehen, wenn ich es so ausdrücke. Im Zentralhangar der Luftfahrtlaboratorien liegt die kürzlich fertiggestellte T-zweiundzwanzig zum Jungfernflug bereit. Vor fünf Jahren stürzte, wie Sie sehr gut wissen, ein weißglühendes Raumschiff in den Ohio, und die Flußpolizei fand allerlei Bemerkenswertes. Die Metallteile des Schiffes hatten dieselbe Zusammensetzung wie die Legierungen, die Gaines und ich für die T-zweiundzwanzig ausarbeiteten.
Versuchte die Rasse eines Nachbarsternes unsere Sonne zu erreichen? Wir warteten auf weiteres Beweismaterial. Es zeigte sich am nächsten Tag, als ein Mann entdeckt wurde, der am Flußufer im Schock und beinahe nackt umherirrte und der ein in Leder eingebundenes Buch bei sich trug. Das Buch trug in Goldlettern die Aufschrift ‚Logbuch der T-zweiundzwanzig’. Genau solch ein Buch gibt es im Pilotenraum unserer eigenen T-zweiundzwanzig.“
„Sie spinnen sich eine feine Geschichte zusammen“, sagte Haze-Gaunt, „aber ich fürchte, wir müssen den Wildwuchs beschneiden. Was ich wollte, waren echte Informationen, kein wirres Märchen.“ Er hob die Nadelpistole. Der Tarsioid verschwand schreiend seinen Rücken hinunter.
„Der Mann war der Dieb Alar“, sagte das Gehirn. „Soll ich fortfahren, oder wollen Sie mich jetzt zu töten versuchen?“
Haze-Gaunt zögerte, dann senkte er die Pistole. „Weiter“, erwiderte er.
„Wir hielten Alar in den Wohnungen von zwei Dieben, die inzwischen tot sind, unter Beobachtung. Wir hielten uns immer die Möglichkeit vor Augen, daß er einer Ihrer Spione sei. Seine wahre Identität dämmerte mir erst allmählich, als keine andere Erklärung mehr möglich war.
Betrachten wir die Tatsachen. Ein mit der T-zweiundzwanzig identisches Schiff landete vor fünf Jahren auf der Erde. Dennoch wird die T-zweiundzwanzig erst in einer Viertelstunde zu ihrem Jungfernflug starten. Ungeachtet aller anderen hineinspielenden Tatsachen oder Theorien bewegt sich das Raumschiff gleich nach dem Abschuß in die Zeit zurück und bewegt sich weiter zurück, bis es vor fünf Jahren abstürzt – oder sollte ich sagen ‚abgestürzt ist’?
Der Mann, der durch eine geotropische Reaktion oder etwas anderes in Alar verwandelt werden wird und den wir Herrn X nennen können, wird in ein paar Minuten die T-zweiundzwanzig mit einem unbekannten Gefährten besteigen, und sie beide werden mit Überlichtgeschwindigkeit in dem Schiff davongetragen. Derartige Geschwindigkeiten erfordern eine Bewegung zurück in die Zeit, so daß Herr X, wenn er die T-zweiundzwanzig schließlich zur Erde zurücklenkt, fünf Jahre früher landet, als er aufgebrochen ist. Er taucht als Alar auf und ist fortan nicht mehr als Herr X zu erkennen.“
Haze-Gaunt blickte mit grimmigem Mund auf das Gehirn. „Verstehe ich Sie richtig, daß Sie mir einreden wollen, jemand breche heute nacht in der T-zweiundzwanzig auf, fliege in der Zeit zurück, stürze vor fünf Jahren in den Ohio und schwimme als Alar ans Ufer?“
Das Gehirn nickte.
„Phantastisch – doch hat es die Elemente des Möglichen an sich“, überlegte sich der Kanzler. „Wenn wir vorläufig annehmen, daß ich Ihnen glaube – wer ist dann die Person, die die T-zweiundzwanzig betritt und zu Alar wird?“
„Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte das Gehirn kühl. „Unzweifelhaft handelt es sich um jemanden aus der Hauptstadt, denn die T-zweiundzwanzig fliegt in zehn Minuten. Es könnten … Sie … sein.“
Haze-Gaunt warf ihm einen harten, berechnenden Blick zu.
Keiris fühlte sich beschwingt und schwindlig. Haze-Gaunt mochte zu Alar werden? Erklärte das ihr Scheinerkennen des Diebes? Instinktiv verwarf sie diesen Einfall.
Jedoch …
„Diese Hypothese wird wirklich hochinteressant, wenn wir Ihr bisheriges Verhältnis zu Alar betrachten“, sagte Haze-Gaunt. „Erst vor ein paar Wochen haben Sie uns selbst mit übertriebener Bescheidenheit gewarnt, daß Alar der für die kaiserliche Regierung gefährlichste Mensch sei. Nachdem er mehrmals entwischt war, teilten Sie uns auf der Stelle mit, wo wir ihn finden könnten, und es gelang uns mehrmals beinahe, ihn mit Hilfe der von Ihnen gelieferten Informationen zu töten.
Die Schlußfolgerung ist vielleicht nicht unangebracht, daß Sie Alar als bitteren persönlichen Feind betrachten, eine Kategorie, die leicht auch mich einschließen könnte – als Alar natürlich. Doch steht dem eine sehr ernste Schwierigkeit entgegen. Ich habe nicht die leiseste Absicht, die T-zweiundzwanzig zu betreten. Daher bin ich nicht Ihr Herr X, und es gibt keine Erklärung, aus welchem Motiv Sie Alar verfolgen sollten. Ich muß Sie auffordern, deutlicher zu werden.“ Er hob neuerlich die Nadelpistole.
„Eine alte Methode, um Kindern das Schwimmen beizubringen, bestand darin, sie ins Wasser zu werfen“, erklärte das Gehirn.
Haze-Gaunt blickte scharf auf ihn herab. „Sie wollen sagen, daß es Ihre Absicht war, Alar dazu zu bringen, seine bemerkenswerten Fähigkeiten – welcher Art auch immer sie sein mögen – zu entwickeln, indem es sich für ihn als notwendig erwies, sie zu entdecken, wenn er nicht umkommen wollte. Das ist eine bemerkenswerte Erziehungsmethode. Aber wie kamen Sie überhaupt auf den Gedanken, daß er solche Möglichkeiten besäße?“
„Lange Zeit waren wir uns nicht sicher. Alar schien ein ganz gewöhnlicher Mensch zu sein, bis auf eines – den Herzschlag. Dr. Haven berichtete, daß Alars Herzschlag in Zeiten der Gefahr auf die medizinisch unerhörte Frequenz von 150 Schlägen und mehr pro Minute anwuchs. Ich kam daher zu dem Schluß, daß, wenn Alar ein Homo superior sei, seine Überlegenheit latenter Art sei. Er glich einem Kind, das von einem Rudel wilder Tiere aufgezogen wurde.
Wenn man ihn nicht dazu zwang, seine überlegene Abkunft zu erkennen, wäre er dazu verurteilt, das ganze Leben auf den metaphorischen vieren herumzulaufen – mit uns anderen Tieren zusammen. Wenn ich ihn jedoch dazu zwang, sich auf die Füße zu stellen, mochte er uns den Weg aus dem Untergang zeigen, der eben jetzt über uns hereinbricht.
Als Sie also vor etwa sechs Wochen darangingen, den Zeitpunkt der Operation Finis festzulegen, mußte ich, möglicherweise verfrüht, handeln. Mittels einer ungewöhnlich gewaltsamen Verfolgung zwang ich Alar, eine außergewöhnliche Lichtgabe zu entwickeln, mittels der er ähnlich einem Diaprojektor ein Bild projizieren konnte.
Später wurde er durch die Reizwirkung von ekstatischen Schmerzen, wie sie ihm von Shey mit Begeisterung zugefügt wurden, mit der Zeitachse seines vierdimensionalen Körpers vertraut. Unglücklicherweise war er ohne diese Reizwirkung nicht imstande, in der Zeit zu reisen, und ich kann nicht behaupten, daß ich ihm Vorwürfe machte, daß er sich derartigen Erlebnissen nicht willig aussetzte. Nichtsdestoweniger war es eine Errungenschaft, die er meistern mußte, wie wir das Reden erlernen – durch Übung. Ich bin überzeugt davon, daß er diese Fähigkeit schließlich im Solarion Neun beim Sterben selbst anwandte.
Ich führte dann Alar zunächst auf den Mond, wo er gezwungen wurde, etwas über sich selbst und den Rückwärtsflug der T-zweiundzwanzig zu erfahren, dann zur Sonnenstation, Shey und Thurmond ihm dicht auf den Fersen. Er mußte daraus als Sieger hervorgehen – und in vollem Wissen um seine Überlegenheit und seine Mission. Die Alternative war nur der Tod. Ich ließ ihm keine Wahl.“
Haze-Gaunt erhob sich und ging auf den Steinfliesen auf und ab. Sein Schoßtier lief vor Furcht schnatternd von einer Schulter zur anderen. Schließlich blieb er stehen und sagte: „Ich glaube Ihnen. Kein Wunder also, daß es uns nicht gelang, Alar zu töten. Andererseits müssen auch Sie die Niederlage eingestehen, denn Ihr Protege scheint sowohl Sie wie Ihre Sache im Stich gelassen zu haben.“
„Sie haben mich nicht verstanden“, sagte das Gehirn kurz und bündig. „Alar ist tot.“
Im Raum herrschte ein schockiertes Schweigen, das rasch von zwei gleichzeitigen Geräuschen gebrochen wurde. Kanzler Haze-Gaunt stieß „Gut!“ hervor, während Frau Haze-Gaunt „Nein!“ schrie.
Keiris sank langsam gegen die Sessellehne gelehnt zusammen. Ihre Haut war so bleich geworden, daß sich zwei entsetzliche schwarze Kreise unter den Augen abzeichneten. Das Gehirn hatte Alars Schicksal vorausgesagt, doch hatte sie sich nie damit abgefunden, daß es wirklich so kommen würde. In ihrem Geist gab es nicht den geringsten Zweifel daran, daß das Gehirn nicht irren konnte. Nein, es war wahr. Und wenn sie auch die schreckliche Erkenntnis niederdrückte, so konnte sie dennoch die nackte, unwiderlegliche Tatsache, daß er tot war, nicht fassen. Alar konnte nicht für immer aus ihrem Leben dahingegangen sein. Nein, er konnte nicht vergangen sein, würde nie fort sein. Das mußte wahr sein. Was war es, was das Gehirn gesagt hatte? „Alar ist gottgleich geworden.“ Dann gab es also keinen Widerspruch. Alar war tot und lebte. Noch beim Verlust des Lebens hatte er triumphiert.
Keiris verstand es nicht völlig, aber die Farbe kroch langsam in ihr Gesicht zurück.
Haze-Gaunt hatte Keiris’ Aufschrei keine Beachtung geschenkt. Er ließ sich zu einem breiten Grinsen hinreißen und schlug sich mit der geballten Faust auf die offene Handfläche. Dann wurde er innerhalb von Minuten ernüchtert und fauchte das Gehirn an, das völlig ungerührt dasaß und ihn beobachtete.
„Dann hat Sie Ihr Protege“, sagte er, und eine Spitze von Verärgerung kroch in seine Stimme, „nicht im Stich gelassen. Er ist lediglich gestorben. Kaum eine Lage, die Sie mit Erfolgszuversicht erfüllen sollte.“
Irgendwo hinter ihm ging eine Aufzugstür auf und zu – und dann war das Geräusch laufender und stolpernder Füße zu vernehmen.
Es war Eldridge, der Kriegsminister. Seine Uniform war in Unordnung, und am Hals und unter den Achseln war sie dunkler gefärbt. Blutunterlaufene Augen blickten aus einem aschfahlen Gesicht.
Haze-Gaunt fing den zusammenbrechenden Mann auf. „Reden Sie, verdammt noch mal!“ rief er, hielt das zitternde Wesen unter den Armen gefaßt und schüttelte es.
Aber Eldridge rollte bloß irre mit den Augen, und der Unterkiefer sank noch etwas weiter herab. Haze-Gaunt ließ den Mann zu Boden fallen. Der Kriegsminister stöhnte leise, als ihn Haze-Gaunt in den Magen trat.
„Er wollte Ihnen mitteilen“, bemerkte das Gehirn, „daß das Küstenradar ungeheure Schwärme westwärts fliegender Raketen ausgemacht hat. Innerhalb von fünf Minuten wird dieses ganze Gebiet bis zu einer Tiefe von mehreren Meilen völlig zerstört werden.“
In dem langen darauffolgenden Schweigen zuckte kein Muskel im Gesicht des Kanzlers. Selbst der Tarsioid auf seiner Schulter schien wie gelähmt.
Sie sahen wie Zwillinge aus, dachte Keiris.