Kapitel 14

 

Mit seinem Mitsubishi nahm Donner den kürzesten Weg zur Polizeidirektion. Auf dem Beifahrersitz saß Nina Richter und plapperte. Nach fast zwei Stunden Vernehmung hatte man beide gehen lassen. Während der zwanzigminütigen Fahrzeit beschloss Donner, der Praktikantin einfach nicht mehr zuzuhören. Das klappte nur bedingt. Niemand konnte sich taub stellen, wenn neben ihm eine Sirene heulte. Missgestimmt, weil der Vormittag katastrophal verlaufen war und obendrein sein Magen knurrte, parkte er den Wagen in einer freien Lücke auf dem Hof. Die von der Soko wussten, dass Zornitz in der Entführungsgeschichte irgendwie drinhing, und sie ahnten, dass er Kontakt zu Donner gesucht hatte. Donner hatte dennoch alles abgestritten.

Er riss die Fahrertür auf und stieg aus dem Fahrzeug. Auf der Beifahrerseite folgte Nina Richter und ihre Klappe stand einfach nicht still.

»Da bin ich gerade mal einen halben Tag in Ihrer Abteilung und schon fühle ich mich wie eine Schwerverbrecherin«, lamentierte sie. »Krass, wie Ihre beiden Kollegen bei dem Verhör drauf waren. Erinnern Sie mich später daran, die Kripomarke abzulehnen, wenn man dafür zum Arschloch werden muss. Der eine hat mich doch glatt gefragt, mit wem ich gevögelt habe, um den Einstellungstest zu bestehen, und der andere hat mir ununterbrochen auf die Brüste geglotzt.«

Und da besteht nicht zufällig ein Zusammenhang zu deiner Kleiderwahl?

»Wo wollen wir eigentlich hin?«

Donner stoppte abrupt, wodurch Nina Richter ihm in die Hacken trat. Während er das Dröhnen in den Ohren verdrängte, drehte er sich zu ihr um. Bevor er anfing, vergewisserte er sich, dass niemand zuhörte.

»Warum läufst du mir hinterher?«

»Ich bin Ihre Praktikantin, man verlangt das von mir.«

»Stopp, ich will die Wahrheit wissen. Hat dich die Präsidentin auf mich angesetzt?«

Sie biss sich auf die Lippen, eine Geste, die er bis zum Erbrechen nicht mehr sehen konnte. »Wieso? Weil ich etwas von Ihnen lernen will?«

Das war entwaffnend. Und verstörend für ihn, denn er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Er versuchte einzuschätzen, was er von ihrem Benehmen halten sollte. Ergebnislos ließ er es bleiben. In Sachen Menschenkenntnis fehlte ihm irgendein wichtiges Gen. Manchmal glaubte er, besser mit Fliegen kommunizieren zu können als mit seinesgleichen.

»Was stimmt nicht mit dir, Mädchen?«

»Was mit mir nicht stimmt?« Von einer Sekunde zur anderen ging sie zum Angriff über. »Das sollte ich Sie wohl eher fragen. Sie trampeln durch die Welt, als wären Sie der ungeliebte Bruder von Chuck Norris. Dabei dachte ich ernsthaft, dass ich bei Ihnen gut aufgehoben wäre. Die Wahrheit ist, ich habe mich freiwillig für Ihre Abteilung gemeldet.«

»Erzähl keinen Blödsinn! Sieht mein Büro vielleicht wie eine richtige Abteilung aus? Das ist eine beschissene Abstellkammer, in der man den Unrat entsorgt hat.« Er tippte mehrmals auf sich selbst. »Du hast keine Vorstellung, wie unbeliebt ich bin.«

»Das muss ich mir inzwischen auch eingestehen. Ich hatte ein völlig falsches Bild von Ihnen. Und damit meine ich nicht das hier.« Sie fuhr sich quer über das Gesicht, spielte auf seine Narbe an. »Erinnern Sie sich an den Schraubendrehervergewaltiger?«

Donner brauchte nicht lange zu überlegen. »Versuchter Mord an zwei Prostituierten.«

»Eine davon war meine Schwester.«

Verstört stierte er für einen Moment zu den Garagentoren, hinter denen die Einsatzfahrzeuge der geschlossenen Einheiten standen. Wie unheilvolle Boten saßen die Saatkrähen auf den Dächern und blickten ihn an, als wollten sie sagen: »Na, du Unglücksrabe?«

Schließlich verspürte er das Verlangen davonzueilen. Er schleppte genug traurige Vergangenheit mit sich herum, er musste sich nicht die von anderen aufbürden. »Okay, Schluss, hör auf! Ich will nichts davon wissen. Und schon gar nicht will ich mit dir über diesen alten Fall sprechen. Es ist mir völlig egal, weshalb du hier bist. Mein Arsenal an Dämonen ist exorbitant. Deine brauche ich nicht noch obendrein.«

Sie hielt ihn zurück. Ihr Griff war erstaunlich fest. »Der Kerl hat damals versucht, meine Schwester zu vergewaltigen! Und weil er ein Schlappschwanz war, wollte er sie daraufhin mit einem Schraubendreher abstechen.«

»Ich weiß, dass beide Angriffe scheiterten. Dennoch ging die Sache für eine der Frauen unglücklich aus.«

»Ja, der Kerl hat meine Schwester mit Hepatitis B infiziert. Seitdem führt sie ein Leben unter ständiger Angst.«

Depressionen. Er hatte vom Schicksal der Frau gehört und er kannte die Auswirkungen der Krankheit. Seine Mutter kämpfte den gleichen verzweifelten Kampf.

»Das tut mir leid für deine Schwester. Ehrlich. Doch du kannst es nicht ungeschehen machen, nur weil du jetzt einen Dienstausweis besitzt. Verbitterung ist keine ausreichende Motivation für diesen Beruf. Ich gebe dir einen Tipp: Schmeiß hin und fang eine anständige Ausbildung an.«

»Danke für den Rat, aber ich habe mich bereits entschieden. Haben Sie jemals aufgegeben? Komisch, den Eindruck machen Sie nämlich ganz und gar nicht. Zugegeben, Ihr Auftreten ist gewöhnungsbedürftig, aber Sie haben den Mistkerl damals anhand einer Bohnendose überführt. Sie haben meine Schwester nicht aufgegeben.«

»Ich habe meine Arbeit getan.« Das stimmte nur halb. Beim K11 hatte er nie einfach nur seine Arbeit getan, er hatte sich in jeden einzelnen Fall verbissen. »Und ich wäre froh, der Kerl hätte mehr als acht Jahre Freiheitsstrafe bekommen.«

»Ja, damit wäre jeder glücklicher gewesen. Trotzdem bin ich Ihnen dankbar, was Sie für meine Schwester getan haben. Vielleicht kann ich einmal etwas Ähnliches leisten wie Sie.«

Die Tür zum Hauptgebäude schwang auf und zwei Beamte vom Polizeirevier Nordost liefen zu ihrem Streifenwagen. Die Unterbrechung kam sehr zur Erleichterung von Donner. Sie grüßten ihn. Er fasste Nina Richter auf den Rücken und schob sie mit sich ins Gebäude. Dort eilte er zielstrebig zum Zimmer von Bernd Haufner, Zornitz’ Partner. Der hatte den gesamten Tag Anzeigendienst im Haus, wie Donner durch vorherige telefonische Erkundigung wusste.

»Werden wir wieder Ärger bekommen?«, fragte Nina Richter.

»Keine Sorge. Ich will nur reden.«

Als Donner das Zimmer betrat und die Tür hinter der Praktikantin zuknallte, schaute Haufner erstaunt hoch. Auf seinem Arbeitsplatz lag nur eine Zeitschrift neben einem geleerten Joghurtbecher.

»Was treibt dich hierher, Erik?«

»Ärger.«

Donner wusste, dass er ab sofort unter Beobachtung stand. Dennoch sah er nicht ein, sich untätig in die Erstkontaktstelle zurückzuziehen, um darauf zu warten, bis er aus der Zeitung von Zornitz’ Unglück erfuhr. Seine Neugier war unheilbar, zudem seine Ehre angegriffen. Er wollte helfen. Auf seine Weise. Trotzdem musste er das folgende Gespräch bedachtsam angehen. Lieber einen Gang runterschrauben, die Emotionen zügeln. »Wann hast du Zornitz zum letzten Mal gesehen?«

»Das war gestern. Jetzt hat er zwei Tage frei.«

»Und in was für eine Sache hat er sich reingeritten?«

»Wie meinst du das?«

»Du weißt ganz genau, wie ich das meine! Hatte Zornitz Nebeneinkünfte?«

»Warum fährst du nicht zu ihm nach Hause und fragst ihn einfach?«

»Wenn er zu Hause wäre, würde ich deine Zeit nicht stehlen.« Donners Blick fiel auf die aufgeschlagene Zeitschrift voller Katzenbilder. »Immerhin hast du jede Menge zu tun.«

»Vielleicht ist er verreist.«

»Urlaub kann er bestimmt gebrauchen, doch ich fürchte, er ist verschwunden. Und mit verschwunden meine ich verschwunden.«

Schlagartig sackte Haufner auf seinem Stuhl zusammen. Endlich schien er zu begreifen, dass Donner es bitterernst meinte. »Hat er Scheiße gebaut?«

»Sag du es mir.«

»Hat er bestimmt. Ich weiß, dass er in irgendeiner brenzligen Sache drinhängt. Gut, das ist ein offenes Geheimnis, deshalb wollte ich ja auch nicht mehr mit ihm zusammen auf Streife fahren. Ständig musste ich irgendwelche dubiosen Adressen ansteuern. Was er dort trieb, habe ich zum Glück nie erfahren. Bereits damals, als …«

Donner klopfte auf die Tischplatte, um ihn zu unterbrechen. »Vergiss mal, was früher war. Was hast du zuletzt mitbekommen?«

Haufner schlug die Lektüre zu und legte sie zur Seite, als bemerkte er erst jetzt, welchen Eindruck die Katzenzeitschrift auf Fremde machte. »Keine Ahnung, Stefan hat immer ein Geheimnis draus gemacht.«

»Lüg mich nicht an!«

»Versteh doch, Erik, das ist mir eine Spur zu heiß. Wenn Stefan in Schwierigkeiten steckt, hat er sich das selber eingebrockt.«

»Er ist dein Partner.«

»Mein Gott, ja, er war da an irgendeinem Russen dran. Igor oder so ähnlich … Er nannte ihn den Nagel. Bei einem Telefonat mit irgendjemandem erwähnte er außerdem die Abkürzung AF. Zumindest denke ich, dass die Buchstaben für eine Abkürzung stehen. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, bei seinen Gesprächen niemals zu lauschen. Vergiss einfach, dass wir über Stefan geredet haben. Tust du das? Bitte, Erik!«

»AF? Was soll das bedeuten?«

»Vielleicht sind es die Anfangsbuchen eines Namen. Wie gesagt, das ging mich nichts an. Vermutlich habe ich mich da auch verhört.« Mit gesenktem Kopf stand Haufner auf, schnappte sich den Joghurtbecher und warf ihn samt Löffel in den Mülleimer. Als er sich umdrehte, sah er kreidebleich aus.

Nina Richter räusperte sich und nach einiger Zeit bemerkte Donner ihr fast lautloses Fingerschnippen. Auf seine Erlaubnis hin begann sie zu sprechen.

»Ich glaube, ich weiß, was AF bedeutet.«

Blut und böser Mann
titlepage.xhtml
index_split_000.html
index_split_001.html
index_split_002.html
index_split_003.html
index_split_004.html
index_split_005.html
index_split_006.html
index_split_007.html
index_split_008.html
index_split_009.html
index_split_010.html
index_split_011.html
index_split_012.html
index_split_013.html
index_split_014.html
index_split_015.html
index_split_016.html
index_split_017.html
index_split_018.html
index_split_019.html
index_split_020.html
index_split_021.html
index_split_022.html
index_split_023.html
index_split_024.html
index_split_025.html
index_split_026.html
index_split_027.html
index_split_028.html
index_split_029.html
index_split_030.html
index_split_031.html
index_split_032.html
index_split_033.html
index_split_034.html
index_split_035.html
index_split_036.html
index_split_037.html
index_split_038.html
index_split_039.html
index_split_040.html
index_split_041.html
index_split_042.html
index_split_043.html
index_split_044.html
index_split_045.html
index_split_046.html
index_split_047.html
index_split_048.html
index_split_049.html
index_split_050.html
index_split_051.html
index_split_052.html
index_split_053.html
index_split_054.html
index_split_055.html
index_split_056.html
index_split_057.html
index_split_058.html
index_split_059.html
index_split_060.html
index_split_061.html
index_split_062.html
index_split_063.html
index_split_064.html
index_split_065.html
index_split_066.html
index_split_067.html
index_split_068.html
index_split_069.html
index_split_070.html
index_split_071.html
index_split_072.html
index_split_073.html