Auge in Auge

oder

Zwei gegen einen

Auf dem Weg zum „Küferturm“, wie das moderne Bauwerk im Volksmund hieß, erledigte ich auch das versprochene Telefongespräch mit Inspektor Schulz.

Es war später Nachmittag, als Pinsel und ich das wenig anheimelnde Hochhaus erreichten.

Wie mit Schulz ausgemacht, wartete ich noch eine Viertelstunde, bevor ich den Fahrstuhl zur neunten Etage betrat. Gemeinsam mit einer vornehmen, Zigarre rauchenden (Ehrenwort!) alten Dame rumpelten wir im Fahrstuhl, der eigentlich Ratterstuhl hätte heißen müssen, nach oben. Die Kringel blasende Lady stieg bereits im dritten Stock aus. Sie tat es, ohne Pinsel und mich eines Blickes zu würdigen. Bei Plaps und Straps, ich war richtig beleidigt.

An der zweiten Tür, linker Gang, fand ich den gesuchten Namen.

Eines muß ich zugeben: der Student Klappmann war ein Mann mit Phantasie. Das Namensschild bestand aus einem ehemaligen Kfz-Nummernschild. Weiß überpinselt und mit kunstvoll gemalten Buchstaben versehen, kündete es allen, die es wissen wollten, daß hinter dieser Tür ein gewisser Erwin Klappmann residierte.

Die Klingel dagegen krächzte mehr, als daß sie klingelte.

Pinsel hob plötzlich die Nase und begann laut zu schnüffeln. Und da roch auch ich es. Aus irgendeiner Ritze der insgesamt vier Türen schlich sich der himmlisch-intensive Geruch von gebackenen Heringen ins Freie. Bei Wally mit den Hängeohren, ich spürte sie förmlich auf der Zunge, und wenn ich jetzt noch die Augen zumachte, sah ich im Geist den sahnig geschlagenen Kartoffelbrei, der zu den Heringen gehörte.

Ein Tropfen Öl dagegen fehlte der Tür, die sich in diesem Moment leise quietschend vor uns öffnete und Heringe samt Zubehör vergessen machte.

Das Alter des blonden Burschen siedelte ich nach dem ersten Blick zwischen 25 und 28 Jahren an.

Er war schlank, fast schmal, und wirkte trotzdem durchtrainiert. Er trug die Haare gescheitelt und die Brille auf der Stirn. Die Jeanskombination, in der er steckte, schien noch ziemlich neu.

Mit mißtrauischen Blicken musterte er mich von oben bis unten und über Pinsel wieder zurück bis oben. Er schien dabei zu dem Schluß gekommen zu sein, daß von mir keine Gefahr drohte.

„Jaaa?“

Ich strahlte ihn an und fragte laut und poltrig:

„Na, erkennen Sie uns wieder?“

Es dauerte ein paar Sekunden, in denen er mich wie einen anstarrte, der das Gulasch mit zwei Schraubenziehern aß.

„Wiedererkennen? Sie???“

„Mich!“

„Aber ich hab’ Sie doch noch nie gesehen!“

„Stimmt!“ nickte ich. „Da habe ich mich eben ein bißchen komisch ausgedrückt, was?“

Wieder ließ ich mein freundliches Gesicht strahlen, während mein Gegenüber gegen aufkommende Nervosität kämpfte.

„Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.“

Ich senkte die Stimme: „Wir müßten dringend was Vertrauliches mit Ihnen besprechen.“

„Wiiiiir???“

Ich ließ meinen Zeigefinger zuerst gegen meine Brust prallen und dann nach unten deuten.

„Wir zwei!“

„Aber ich wüßte nicht, was es zu besprechen gäbe. Ich kaufe sowieso nichts.“

„Ich sagte doch, daß es sich um etwas Vertrauliches handelt. Und ich glaube kaum, daß es Ihnen recht wäre, wenn ich hier in aller Öffentlichkeit über ein Geheimnis laut reden würde.“

Wieder traf mich sein abschätzender Blick. Sicher rechnete er sich aus, nach wie vielen Schlägen ich k. o. ginge.

„Meinetwegen, kommen Sie rein!“ Er sagte nicht „bitte“, er sagte auch nicht „treten“, er sagte „Kommen Sie rein!“

So wahr ich ein Kinderfreund bin, nichts gegen schlafende Zahnärzte habe und Elefanten aus Marzipan liebe, so wahr ist es, daß ich ab diesem Augenblick für Klappmann noch weniger Sympathie empfand.

„Geradeaus!“

„Fast wie bei mir!“ sagte ich und ging geradeaus. Wenn das seine gute Stube darstellte, dann war der Student Klappmann zu bedauern. Kein Sofa, keine Couch, keine Sessel, und selbst die Stühle waren reine Naturprodukte. Holz, wo man hinsah. Nirgends was Weiches.

„Bitte!“ knurrte er und zog einen der Stühle unter dem Tisch hervor. Er selbst lehnte sich gegen die Wand.

„Also???“

„Sieh mal an, hier studieren Sie nun“, sagte ich süßlich wie ein Zentner Zucker.

„Wieso studieren?“

„Ich denke, Sie sind Student?“

Er winkte heftig ab. „Kommen Sie endlich zur Sache! Um was geht’s?“

„Das ist ganz einfach“, begann ich, „mein Freund Blaumichel ist in Schwierigkeiten, deshalb bin ich hier.“

Jetzt tat er etwas, das mich noch mehr gegen ihn einnahm, er tippte sich nämlich gegen die Schläfe und fragte mich voller Gift und Galle:

„Sagen Sie mal, haben Sie hier oben vielleicht ein paar Löcher im Gewebe? Was, zum Teufel, geht mich Ihr Freund an?“

„Aber mein Freund ist Taxifahrer, lieber Herr Klappmann, Taxifahrer. Sie wissen doch, was ein Taxi ist, wenn Sie selbst auch lieber Motorrad fahren, oder?“

„Halten Sie mich für dämlich?“ schnauzte er mich an. Er war ein typischer Angstschnauzer, dafür sprach deutlich der flinke Blick zur Tür neben dem Schrank. Entweder ging’s dort zum Balkon, wo er (hehehe!) eine Strickleiter versteckte, oder es handelte sich um einen Umweg zur Wohnungstür.

„Ich weiß nicht genau, wofür ich Sie alles halten soll. Jedenfalls für undankbar!“

„Wieso undankbar?“

„Na, finden Sie es vielleicht dankbar, einen freundlichen Taxifahrer ohne Warnung mit einem Seesack voll Falschgeld sitzenzulassen, wenn es nach Polizei riecht?“

„Ich verstehe kein Wort!“ versicherte Klappmann eine Spur zu laut.

„Dann will ich Ihnen die Geschichte übersetzen. Da kam heute mein Freund Blaumichel zu mir und sagte: ,Pfiffi’, sagte er, ,da stehe ich doch am Bahnhof, und da steigt so ein vollbärtiger Typ mit Seesack in mein Schiff. Und dann, ,Pfiffi’, sagte mein Freund, ,kurz vor der Verkehrskontrolle läßt mich der Seesacktyp halten, drückt mir einen Hunderter in die Hand und verschwindet im Postamt. Und bei Blasius dem Frommen, Pfiffi1, sagte mein Freund, ,kommt der doch nie wieder. Läßt mich sozusagen allein mit dem Hunderter und dem Seesack. ‘ Und ich sagte: ,Blaumichel’, sagte ich, ,da bleibt uns weiter nichts übrig, als einmal in den Seesack zu gucken. Wenn’s der liebe Gott will, finden wir darin einen Hinweis auf den Verlierer beziehungsweise auf den Fahrgast, der den Weg zum Taxi nicht mehr fand.’ Jaaa, und dabei, ei der Daus und heiliges Kanonenröhrchen, stießen wir auf das falsche Vermögen!“

Friedlich musterte ich den akkurat gescheitelten Motorradfahrer und wartete auf seine Reaktion.

Und sie kam drohend und zischend:

„Vielleicht verraten Sie mir mal in aller Eile, warum Sie ausgerechnet mir die Geschichte erzählen? Was habe ich mit Ihrem blöden Seesack zu tun? Was geht mich Ihr Falschgeld an?“

„Chrrrrrrrrrr“, knurrte Pinsel leise. Ihm schien der Ton, mit dem Klappmann mit seinem Herrn sprach, überhaupt nicht zu gefallen.

„Was Sie das Falschgeld angeht, fragen Sie? Alles, schließlich sind Sie der Besitzer!“

„Da muß ich ja lachen!“

„Lachen Sie!“ lud ich ihn zum Gelächter ein.

„Hahahaha...“ machte er gequält. Und wütend pfiff er: „Es ist wirklich zum Lachen. Das müssen Sie sich aus dem Handschuh gelutscht haben!“

Hoppla, beim spinnebeinigen Bonifatius, das sah ja fast aus wie Konkurrenz.

„Aus dem Handschuh gelutscht!“ Das hatte ich noch nie gehört. Aber das gefiel mir.

„Danke!!“ sagte ich und strahlte.

„Wofür?“

„Das würden Sie sowieso nicht verstehen. Aber sehen Sie mal abwärts...“ Er folgte meinem Finger. „Dieser griechischdalmatinische Kuckuckshund hat am Seesack Ihre Spur aufgenommen. Er führte mich über das Postamt bis hin in eine Expreßreinigung, und von der Expreßreinigung hierher an diese Tür. Was sagen Sie jetzt?“

Er sagte gar nichts. Dafür starrte er den griechisch-dalmatinischen Kuckuckshund an, als habe er noch nie einen solchen gesehen.

„Und wissen Sie, was meinen Freund Blaumichel am meisten geärgert hat? Daß Sie ihm für seinen freundlichen Transport eine Blüte angedreht haben! Sie sollten vorsichtig sein und ihm immer aus dem Weg gehen, wenn Sie wieder entlassen werden.“

„Entlassen?“

„Ja, aus dem Gefängnis...“

Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn und spielte den Erwachenden: „Oh, jetzt verstehe ich. Sie glauben, Sie könnten mich erpressen?“

Zu einer Antwort kam ich vorläufig nicht.

Die Tür, die weder zum Balkon (oder doch?) noch zur Wohnungstür führte, öffnete sich. Langsam...

Langsam wie in einem Film. Und wie im Film tauchte darunter ein Mann auf, der eher einem elegant gekleideten, Geschichte lehrenden Oberlehrer ähnelte als einem Gauner. Aber heutzutage konnte man sich ja nicht einmal mehr aufs Aussehen verlassen. Da gab es Oberlehrer, die sahen nach Handtaschenräubern aus, die Handtaschenräuber wie Minister und die Minister wie dick gewordene ehemalige Taschendiebe.

Der Herr im teuren nadelgestreiften Anzug, er mußte um die Fünfzig sein, blieb in der Tür stehen.

Wie ein richtig vornehmer Gentleman kreuzte er die Arme über der Brust und sah mich mit einem unendlich nachsichtigen Blick an.

Ein Goldzahn blitzte, als er sagte: „Idiot!“

Ich zog das rechte Bein an und die linke Augenbraue hoch. Er dagegen machte eine Verbeugung und ergänzte:

..Ich meine natürlich nicht Sie, mein Herr. Ich meine diesen Idioten zu meiner Linken.“

Der „Idiot“ schluckte und schwieg. Aber wie er schwieg! Richtig böse und auf mich mit den Augen eindreschend.

„Wäre er kein Idiot, hätte er eine Menge Fehler weniger begangen. Geben Sie mir recht?“

Ich nickte. „Der Herr haben unbedingt recht.“

„Und jetzt wundert sich der Idiot auch noch, wenn man ihn erpressen will.“

„Verdammt noch mal, mir blieb gar nichts anderes übrig, als die Kurve ohne den Seesack zu kratzen“, versuchte sich der Motorradfahrer zu rechtfertigen.

„Zugegeben!“ gab der Elegante mit der leisen, vornehmen Stimme ebenfalls zu. „Nur hättest du deine Flucht ohne Spur bewerkstelligen müssen. Der zweite Fehler war, daß du dem Taxifahrer... wie hieß er doch gleich?“

„Blaumichel, Euer Ehren!“ kam ich zu Hilfe.

.....daß du dem Taxifahrer einen falschen Hunderter

gabst. So was tun nur Idioten!“

„Woher sollte ich wissen, daß dieser Hund...“ brauste Klappmann auf und zeigte auf Pinsel.

Der Gentleman winkte ab. Und zwar mit Zeichen äußerster Ungläubigkeit.

„Willst du damit sagen, daß du diesen ausgemachten Blödsinn vom Spurenlesen glaubst? Wenn ja, bist du noch dümmer, als ich annahm.“

„Aber er hat’s ja gesagt!“

„Dieser niedliche kleine Hund mag alles mögliche können, Klappmann, Spuren aufnehmen kann er bestimmt nicht, stimmt’s, der Herr?“

Ich tat unschuldig, legte meine Hand auf die Brust und beteuerte: „So ehrlich gefragt, kann ich natürlich nicht unehrlich antworten. Nein, Spurenlesen kann er nicht. Aber er hat zum Beispiel heute meine zwölf Tongolesischen Fleischklößchen gefressen... auf einen Schlag. Und er kann Ochsenmaulsalat vertilgen, ohne daß er sich dabei bekleckert.“

„Wie also haben Sie die Spur hierher gefunden?“

„Sie wollen es wirklich wissen?“

Der Gentleman hatte gar nichts Freundliches mehr im Gesicht, als er zwölf Grad kühler antwortete: „Ich warte auf Ihre Antwort. Und merken Sie sich eines: Ich stelle niemals Fragen, wenn mich die Antwort nicht interessiert. Also?“

„Ihr junger Freund“, lächelte ich voll geheuchelter Zuneigung, „hat im Auto die Quittung aus einer Expreßreinigung verloren. Der Weg von dort hierher war nicht schwierig zu finden.“

So, wie der Elegante den Motorradfahrer jetzt ansah, wollte ich nicht angesehen werden. Bei Jussuv, dem Bartzupfer, in diesen Blicken lagen so viele böse Versprechungen, daß ich direkt in Versuchung kommen konnte, Furcht zu verspüren.

Die Temperatur seiner Stimme sank noch um einige Grade, als er mich jetzt fixierte und leise feststellte:

„Okay, wir sind zusammengekommen, um über Geschäfte zu reden. Wo befindet sich der Fund Ihres Freundes im Augenblick: Ich nehme doch an, daß Sie das wissen!?“

„Natürlich weiß ich das. Im Kofferraum seines Wagens, wo sonst?“

„Warum verschnüren wir den Fettsack nicht einfach und nehmen ihn mit?“ zischte Klappmann und hatte sich damit bei mir auch noch um den letzten Rest von Nachsicht gebracht. „Gutes Benehmen wirst du wohl nie lernen...“

„Aber merkst du nicht, daß der nur zum Schmarotzen gekommen ist? Wir sollten ihn aus dem Verkehr ziehen!“

„Daß es einen Taxifahrer gibt, der ebensoviel weiß, hast du wohl vergessen? Der Grad deiner Dummheit wird mir von Sekunde zu Sekunde gegenwärtiger, Klappmann. Es war ein großer Fehler, dich aufzunehmen.“

Und das alles sagte der Elegante, ohne dabei seine Stellung auch nur um einen Zentimeter zu verändern. Die gekreuzten Arme lagen wie festgeschraubt vor seiner Brust.

„Wieviel wollen Sie?“

„Hm“, brummte ich und tat, als müsse ich überlegen.

„Tun Sie nicht so, als hätten Sie sich noch nie mit dieser Frage befaßt. Also, wieviel?“

„Andersherum: Wieviel bieten Sie für Ware und Stillschweigen?“

Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Fünftausend für Sie und fünftausend für Ihren Freund, den Taxifahrer.“

Ich hörte die Zähne des Motorradfahrers bis zu meinem Platz knirschen.

„Wieviel sind das eigentlich in der Kiste?“ erkundigte ich mich mit dem harmlosesten Gesicht der Welt.

„Vierhundertfünfzigtausend!“ gab der Vornehme Bescheid.

Ich stieß einen überraschten Pfiff aus.

„Sieh mal einer an. Da ist zweimal fünftausend ein bißchen wenig, Euer Ehren, was? Finden Sie nicht?“

Von rechts knirschte es noch lauter, der Vornehme dagegen hatte was in den Mundwinkeln, was mir gar nicht gefiel. Er nickte. „Einverstanden. Sie haben einen anständigen Finderlohn verdient. Lieben Sie Ihren Hund?“

„Über alle Maßen!“ erwiderte ich wahrheitsgemäß (trotz Fleischklößchen).

„Dann biete ich Ihnen zu den Fünftausend noch Ihren Hund! Klappmann, nimm den Hund!“

Klappmann sah den Mann in der Tür an, sah Pinsel an, sah mich an... Er schien noch nicht begriffen zu haben, was dieser Befehl bedeutete. Seine Ratlosigkeit war so offensichtlich, daß ich ihm am liebsten zu Hilfe gekommen wäre.

„Was wollen wir mit dem Hund?“

„Klappmann, nimm den Hund!!“ Man hörte förmlich das Eis zwischen den Worten des Mannes klirren.

Der „Student“ dehnte seinen Körper, warf mir einen noch immer ratlosen Blick zu und setzte sich in Bewegung.

„Chrrrrrrrrrr... Chrrrrrrrrrr... Chrrrrrrrrrr...“notierte Pinsel die Annäherung mit einem tief aus dem Magen kommenden Knurren. O ja, knurren konnte mein Knorpelfresser wie eine ausgewachsene Dogge. Hehehe, der Motorradfahrer hielt mitten im Schritt inne.

„Und wenn er beißt?“

„Dann wirf ihn aus dem Fenster!“

Ich war jetzt in der richtigen Stimmung. Das Stichwort für das Ende des ersten Kapitels hatte der Kreuzarmier selbst gegeben. Pinsel aus dem Fenster werfen! Aus dem neunten Stock! Was bildete sich dieses blasenkranke Hühnchen eigentlich ein? Für wen hielt er sich? Für AI Capone? Für Napoleon oder sonstwas Größeres? Wenn er mich einschüchtern wollte, dann mußte er sich, ei der Daus und heiliges Kanonenröhrchen, erst einmal lange, gemusterte Unterhosen anziehen und auf den Stuhl steigen! Dieser Geldfälscher und Blütendrucker! Es wurde allerhöchste Zeit, daß ich ihn auf Streichholzschachtelgröße zusammendrückte!

Als der Motorradfahrer Klappmann die Ferse für den nächsten Schritt hob, startete ich Trick neunundzwanzig. Und ich war wirklich wieder gut. Nicht mal eine Sekunde brauchte ich diesmal. Aufstehen und Kunigunde ziehen zwischen zwei Atemzügen!

Klappmann machte seinem Namen alle Ehre. Ihm klappte die Kinnlade nach unten wie die Schreibplatte eines Biedermeiersekretärs. Bei seinem Chef allerdings konnte ich im Augenblick noch keine Veränderung feststellen.

„Mein Beruf ist Privatdetektiv, mein Name Pfiff!“

„Das ist natürlich etwas anderes“, sagte der Hunde-aus-dem-Fenster-Werfer.

„Zwanzigtausend für Sie und zehn für den Taxifahrer!“

„Und meinen Hund darf ich auch behalten?“ höhnte ich.

Der andere schwieg. War er wirklich ein so guter Verlierer, wie er sich darstellte?

„Wissen Sie, was ich mir gerade überlege, Euer Ehren? Wie Ihr vornehmes Gesicht aussehen wird, wenn ich Ihnen gleich den Goldzahn herausschieße.“

Dem Klappmann schien schlecht zu werden, ein leises Stöhnen traf mein Ohr. „Hören Sie“, begann er mit heiserer Stimme, „man muß sich doch...“

„Halt’s Maul, Klappmann!“ fauchte der Elegante gar nicht mehr vornehm.

Noch bevor ich was zum Thema „Benimm“ sagen konnte, geschah es. Und ich gestehe: Diesmal war ich der Überraschte.

Wo eben noch der Nadelgestreifte stand, knallte jetzt eine Tür ins Schloß. Ich hörte Poltern, Stimmen, Poltern, Wehgeschrei, Poltern und dann Triumphgeheul.

Rechts von mir ein wimmerndes Stöhnen. Den Motorradfahrer befiel die Reue zu spät...

Fettsack hatte er mich genannt. Mich, einen Menschen, bei dem jedes einzelne Kilo aus christlicher Nächstenliebe bestand.

„Wenn Sie mich schön bitten“, bot ich ihm an, „schicke ich Ihnen Königlich-Sächsische-Quarkkeulchen ins Gefängnis...“

Die Tür flog auf, und seit langer Zeit wieder sah ich meinen Freund Schulz lachen. Ein lachender Inspektor Schulz war so selten wie eine Flunder im Rhein. Das letztemal hatte er gelacht, als mir, bei einem gemeinsamen Urlaub am Plattensee, der Gummizug in meiner Badehose gerissen war...

„Ein riesiger Fang!“ rief er jubilierend und klopfte mir auf die Schulter. Sein Kinn deutete auf Klappmann: „Klappmann?“

„Ja, das ist er. Gehen Sie ein bißchen freundlich mit ihm um, er kann es brauchen. Sein Chef behandelt ihn wie den letzten Fliegenfänger.“

„Ich werde mein möglichstes tun!“ strahlte Schulz, und das Strahlen vertiefte sich, als einer seiner Leute Klappmann mit Handschellen versah.

„Wissen Sie eigentlich, wen Sie uns da präsentiert haben?“

„Keine Ahnung.“

„Es handelt sich um Berthold Masseritz. Gesucht in vier Ländern und von neun Staatsanwaltschaften allein bei uns. Auf seinen edlen Kopf ist ein Sack Geld ausgesetzt.“

„Ich hoffe kein Falschgeld!“

„Echtes, nur echtes, mein Lieber. Damit können Sie mindestens fünf Jahre Urlaub am Plattensee machen.“

Mußte er darauf anspielen, dieser alte miesepetrige Beamte?

„Die Belohnung gehört Blaumichel. Er hat sie verdient. Und er kann sie auch brauchen. Sein Taxi sehnt sich schon lange nach dem Ruhestand. Haben Sie ihn schon mal gehört, wenn er wimmert?“

„Wer, Blaumichel?“

„Nein, der Motor in seinem Taxi. Klingt wie ein modernes Musikstück... Serenade für vier Zylinder... Wo steckt er eigentlich?“

„Im Präsidium. Er wollte warten, ob Ihnen Erfolg beschieden ist.“

„Ein Zweifler! Na ja, soll er zweifeln. Ich jedenfalls werde mir zur Feier des Tages einen Wiener Rostbraten bei ,Annabell’ leisten!“

„Gute Idee“, nickte Schulz. „Vielen Dank für die Einladung!“