9
Percy Tring war ein kleiner, dicker Mann mit einer spitzen Nase, er praktizierte bereits seit fünfunddreißig Jahren als Rechtsanwalt. In all der Zeit hatte er nur zweimal Urlaub genommen, und beidemal nur, weil seine Frau sich fortgesetzt beklagte. Nach dem zweiten Urlaub hatte sie ihn verlassen.
Im kahlen Besuchsraum des Frindhurster Gefängnisses saß jetzt Haggard Tring an dem kleinen Tisch gegenüber.
«Wie steht es?» fragte Haggard.
Tring wartete, bis der Wärter die Tür hinter sich geschlossen hatte. «Sie haben den Fall abgeschlossen», sagte er mit seiner fast tonlosen Stimme.
«Ich weiß das verdammt gut. Sonst hätten sie mich ja kaum verhaften und hierherschleppen können.»
Tring ließ sich durch den aggressiven Ton von Haggard nicht beeindrucken. «Das Material des Staatsanwaltes ist ziemlich hieb- und stichfest.»
«Na schön. Soll es so sicher sein wie die Bank von England. Zerschlagen Sie die Anklage. Holen Sie mich hier ’raus.»
«Ich kann alles tun, was in meiner Macht steht, aber auch nicht mehr.»
«Sie sind mir vielleicht ein Optimist. Was ist los? Kalte Füße bekommen? Wenn Sie meinen, Sie können nichts machen, dann sagen Sie das klipp und klar, und ich werde mir jemand anderen nehmen.»
«Das steht Ihnen frei», sagte Tring und suchte seine Papiere zusammen.
Haggard sah ihn ungläubig an. «Sie können doch jetzt nicht einfach gehen.»
«Warum nicht?»
«Aber ich … ich brauche doch einen Verteidiger.»
«Aber Sie haben mir doch soeben eindeutig erklärt, daß Sie einen anderen Anwalt bemühen wollen.»
Endlich einmal erkannte Haggard die Notwendigkeit, sich zu beherrschen.
«Verstehen Sie doch, ich bin völlig mit den Nerven ’runter. In meinem Kopf dreht sich alles wie ein Mühlrad. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich sage. Lassen Sie mich nicht im Stich, Mr. Tring.»
Tring setzte sich wieder und breitete die Papiere vor sich aus. Er stützte die Ellenbogen auf und legte die Fingerspitzen gegeneinander. Er wartete.
«Ich muß hier ’rauskommen», sagte Haggard.
«Die Anklage ist recht massiv.»
«Ich weiß das verdammt gut. Sehen Sie, ich bin vorbestraft, Sie wissen das. Letztesmal haben sie gesagt, ich kann froh sein, daß sie mich nicht für sieben Jahre einbuchten.»
«Ich würde auch sagen, Sie hatten ausgesprochenes Glück.»
«Diesmal werden sie es mir aber nicht leicht machen, nicht?»
«Kann gut und gerne zehn Jahre geben.»
«O Gott! Das halte ich nicht aus. Zehn Jahre!»
«Der Posten ist ziemlich schwer verletzt, und die ärztliche Prognose verspricht wenig Hoffnung.»
«Aber der Idiot schlug wie ein Wilder um sich.»
«Es war sein Beruf, sich zu wehren.»
«Na schön, das war sein Job. Mein Job war, an das Geld zu kommen. Und bloß dafür soll ich zehn Jahre kriegen?»
«Fragen der Moral haben immer zwei Seiten.»
«Und ich stehe immer am äußersten Ende.» Er hämmerte mit der Faust auf den Tisch und schrie: «Sie müssen mich hier ’rausholen!»
Tring hob die Hände. «Wenn ich ehrlich sein soll, ich kann nicht viel versprechen.»
«Aber es gibt doch immer eine Hoffnung.»
«Das ist ein törichter Gedanke jener, die der Wahrheit nicht ins Auge sehen wollen.»
Haggard beugte sich vor, bis sich die Tischkante fast schmerzhaft gegen seinen Brustkorb bohrte: «Wie sieht das Beweismaterial wirklich aus?» fragte er eindringlich.
«Mit einem Wort?»
«Ja.»
«Erdrückend.»
«Ihr Vorname ist nicht zufällig Hiob?»
«Nein, ich heiße Percival. Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollten Sie die Wahrheit wissen.»
«Schon gut, schon gut. Bleiben wir bei der Wahrheit. Wie stehen die Chancen, um diese Beweise zu erschüttern? Ich meine, ein bißchen zu verdrehen?»
«Tut mir leid, aber solche Fragen kann ich nicht diskutieren.»
«Und warum nicht?»
«Haben Sie schon einmal etwas von Berufsethos gehört?»
«Ja, ja, ja, verdammt noch mal, ja … aber verstehen wir uns recht, auch Ethos hat seinen Preis.»
«Selbst wenn ich zu pessimistisch über die menschliche Natur dächte, der Preis wäre exzessiv.»
«Was ist der Preis? Nennen Sie die Zahl! Was wird es kosten, das Beweismaterial gegenstandslos zu machen?»
«Ich habe Ihnen doch bereits gesagt …»
«Fünfhundert Pfund?»
«Wie bitte?»
«Fünfhundert Pfund in bar. Sie gehören Ihnen, wenn Sie mich hier ’raushauen.»
Tring hob nur lässig die Augenbrauen. «Ist es ein Zufall, daß die Polizei sagt, Sie hätten ihr die gleiche Summe geboten, um sie zu bestechen?»
«Was soll das?»
«Diese Frage fiel mir nur ein.»
«Machen Sie es für fünfhundert?»
«Ich fürchte, Haggard, Sie haben keinen blassen Schimmer, wie schlimm Ihre Situation ist.»
«Also, lieber Freund, das weiß ich besser als Sie.»
«Das freut mich zu hören.»
«Also gut. Ich sitze in der Tinte, und Sie lachen sich ins Fäustchen. Wieviel verlangen Sie, um mich herauszuboxen?»
«Ich finde, Sie behandeln diese delikaten Dinge nicht mit dem gebührenden Takt.»
«Takt! Takt! Haben Sie mal Takt, wenn Ihnen zehn Jahre Knast ins Gesicht grinsen.»
Tring begann in den Akten zu lesen.
Haggard fluchte ungezogen, als Tring alle seine Fragen ignorierte und zu lesen fortfuhr. Hin und wieder machte er sich eine Bleistiftnotiz. Endlich sah er auf.
«Um der Wahrheit die Ehre zu geben, so ist das Beweismaterial nur in einem einzigen Punkt gefährlich.»
«Und was soll mir diese Neuigkeit sagen?»
«Der Rest der Beweise stützt sich vornehmlich auf Vermutungen. Aber dergleichen kann vor Gericht nicht aufrechterhalten werden, wenn sie nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Dieses ganze restliche Material reicht zur Verurteilung nicht aus.»
Haggard starrte ihn mit neuerwachter Hoffnung an. «Sie meinen, Sie könnten es schaffen?»
«Dreitausend Pfund, Mr. Haggard.»
Haggard sah ihn verständnislos an.
«Die entstehenden Unkosten müssen selbstverständlich von Ihnen direkt übernommen werden.»
«Dreitausend?» fragte Haggard leicht benommen.
«Dreitausend Pfund.»
«Das ist doch ein Scherz.»
«Ich scherze selten.»
«Soviel Geld gibt es doch gar nicht auf einem Haufen.»
«Im Gegenteil. Die Beute bei dem Überfall betrug mehr als dreißigtausend Pfund, das ist doch eine ganz ansehnliche Menge. Und wie können Sie das Geld sinnvoller anlegen?»
«Sie verdammter Blutsauger», murmelte Haggard in ohnmächtigem Zorn.
Das Schwurgericht in Frindhurst war klein. Es war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in einem gespenstischen, gotischen Stil errichtet worden. Junge Richter mußten sich hier gewöhnlich ihre ersten Sporen verdienen.
Die Verhandlung gegen Haggard und Grant kam gut voran. Es lag genügend Beweismaterial vor, und der Staatsanwalt hatte ausreichende Erfahrung, um zu wissen, wie er vorgehen mußte.
Nachdem Miller seine Aussage gemacht hatte, zweifelte kein Mensch mehr am Ausgang des Verfahrens. Bis auf zwei Ausnahmen: Tring und Haggard.
Rechtsanwalt Engels in der Robe des Verteidigers eröffnete das Kreuzverhör. «Sergeant Miller, Sie haben Ihre Aussage kurz und sachlich gemacht, wir sind Ihnen dafür dankbar.»
Engels war ein kleiner, dicker Mann mit einem gewaltigen Bauch, den er häufig beklopfte, als sei er stolz darauf. Er trug eine Brille, doch meistens hielt er sie weit von sich weg und fuhrwerkte mit ihr in der Luft herum, um einen wichtigen Punkt seiner Ausführungen zu unterstreichen.
Miller antwortete nicht auf das Lob.
«Wie Sie ehrlicherweise zugaben, hatten Sie keinen Haussuchungsbefehl, als Sie die Wohnung des Angeklagten durchsuchten?»
«Ich hatte keinen Haussuchungsbefehl, doch Miss Jones hat uns aufgefordert hineinzukommen.»
«Glauben Sie wirklich, daß das Wort ‹aufgefordert› korrekt ist? Mißverstehen Sie mich nicht, ich bin überzeugt, Sie haben sich den Weg in die Wohnung nicht mit Gewalt erkämpft.»
«Sie hat uns nicht gehindert einzutreten, Sir.»
«Ihr Eintritt war also friedlich und verlief in jeder Hinsicht ohne Widerspruch?»
«Jawohl, Sir.»
«Sie sind mit der Absicht gekommen, eine Untersuchung vorzunehmen?»
«Das war nicht meine Absicht, Sir. Erst als wir in der Wohnung waren, erschien es mir vernünftig, mich ein wenig umzusehen.»
«Ich bin überzeugt, daß Sie diesen Gedanken doch schon früher hatten, stimmt es?»
«Ich glaube nicht, Sir.»
«Nein? Nun, das tut nichts zur Sache.» Engels setzte seine Brille wieder auf, nahm ein Blatt Papier und überflog es, dann beugte er sich vor und sprach mit seinem Assistenten.
Einer der Geschworenen erlag einem plötzlichen Hustenreiz und mußte das Taschentuch zu Hilfe nehmen. Miller rieb sich die Nase mit dem Zeigefinger.
«Ja, bitte, Mr. Engels», sagte der Vorsitzende ungeduldig.
«Verzeihen Sie, Mylord.» Er baute sich wieder vor Miller auf und steckte seine Daumen in die Westentaschen. «Sergeant, ich habe ein oder zwei wichtige Fragen an Sie. Haben Sie den verletzten Fahrer des Geldtransporters gesprochen?»
«Jawohl, Sir.»
«Waren Sie in der Lage zu ermessen, wie schwer er verletzt war?»
«Nur als Laie, Sir.»
«Seien Sie sicher, daß ich hier nicht Ihre medizinischen Kenntnisse prüfen will. Als Laie haben Sie feststellen müssen, daß dieser Mann ziemlich schwer zusammengeschlagen war?»
«Jawohl.»
«Diese Gewalttätigkeit ist eine schlimme Sache, nicht wahr? Eine Art sozialer Krebsgeschwulst?»
«Jawohl, Sir.»
«Ich bin sicher, jeder Mensch hier im Gerichtssaal wird mir zustimmen. Haben Sie auch den verletzten Posten McQueen gesehen?»
«Ja, Sir.»
«Sie müssen ihn im Krankenhaus aufgesucht haben?»
«Das habe ich.»
«Öfter als einmal?»
«Zweimal.»
«Er muß mitleiderregend aussehen.»
«Ja, Sir.»
Der Vorsitzende unterbrach. «Mr. Engels, ist diese Aussage wirklich von Bedeutung?»
«Ich wage es zu behaupten, Mylord.»
«Wie, wenn ich fragen darf?»
«Ich werde es in Kürze begreiflich machen.»
«Bitte, fahren Sie fort.»
Engels wandte sich wieder an Miller. «Wie war der Zustand von McQueen bei Ihrem ersten Besuch?»
«Er war bewußtlos und sollte operiert werden.»
«Haben Sie den Eindruck gehabt, daß die Operation Erfolg haben könnte?»
«Mir wurde gesagt, daß wenig Hoffnung besteht.»
«Wußten Sie bereits vor Ihrem zweiten Besuch vom Ausgang der Operation?»
«Ja, es wurde mir mitgeteilt.»
«Was hat man Ihnen mitgeteilt?»
«Daß keine Besserung eingetreten war.»
«Als Sie zum Krankenhaus kamen, haben Sie da mit jemandem gesprochen?»
«Ja.»
«Mit wem haben Sie gesprochen?»
«Mit einer Krankenschwester.»
«War es zufällig Schwester Frame?»
«Ja, Sir.»
«War das, bevor oder nachdem Sie McQueen gesehen hatten?»
«Vorher.»
«Was hat Sie Ihnen gesagt?»
«Sie sagte, daß er noch immer ohne Bewußtsein ist.»
«Sie wußten also, daß McQueen bewußtlos war, ehe Sie ins Krankenhaus gingen, und ehe Sie das Krankenzimmer betraten, sagte Ihnen die Schwester, daß er daliegt wie ein lebender Leichnam?»
«Ja.»
«Dann erzählen Sie mir doch bitte, warum sind Sie überhaupt mit Detektiv Craig zum Krankenhaus gegangen und haben auch noch Mr. McQueens Zimmer betreten?»
«Warum?»
«Das gerade frage ich Sie.»
«Ich verstehe nicht.»
«Dann werde ich Ihnen helfen. Sie selber sagen, Sie wußten, daß McQueen ohne Bewußtsein war und deshalb völlig unbrauchbar für Ihre Ermittlungen. Obgleich Sie das wußten, sind Sie hingegangen. Warum?»
«Ich … ich habe es eben getan.»
«Haben Sie gedacht, wenn Sie diesen unglücklichen Mann sehen, dann würde Sie das anstacheln, den Schuldigen zu finden?»
«Natürlich nicht.»
«Sergeant, gehörten Sie zu den Anhängern der sogenannten ‹verschärften Verhöre›, ehe sie aufgehoben wurden?»
Jetzt erhob sich der Staatsanwalt: «Wirklich, Mylord, diese Fragen gehören doch wohl wirklich nicht hierher.»
«Mr. Engels?» fragte der Vorsitzende.
«Mylord, Sie werden bald selbst erkennen, daß dies nicht nur eine berechtigte, sondern eine notwendige Frage ist.»
«Zugelassen.»
Der Staatsanwalt setzte sich wieder, und Engels wiederholte seine Frage.
«Ich bin immer noch der Meinung, daß sie nicht hätten abgeschafft werden sollen», sagte Miller rauh.
«Das ist eine ehrliche Meinung, und wir sollten sie als solche respektieren. Ihre Meinung ist also, daß Prügeln bei Verhören unerläßlich ist?»
«Jawohl.»
«Sergeant, hatten Sie bereits ausreichendes Beweismaterial gegen den Angeklagten, als Sie Ihren zweiten Krankenhausbesuch machten?»
«Eine ganze Menge.»
«Genügte es, die beiden Angeklagten zu überführen?»
«Nein.»
«Obgleich Sie sagen, es war eine Menge Beweismaterial, war es doch nicht ausreichend?»
«Ja.»
«Das Beweismaterial reichte also nicht aus.» Der Anwalt stemmte die Hände in seine runden Hüften und hob die Stimme: «Erklärt dies also die Tatsache, daß Sie beschlossen, die Gerechtigkeit in die eigene Hand zu nehmen?»
«Was – was meinen Sie damit?» Miller sah ihn verständnislos an.
«Ich meine, Sie sind genau der Mann, der, besessen vom Wunsch nach Gerechtigkeit, die Täter des brutalen Raubüberfalls überführen wollte. Sie, Sergeant, haben die Indizien gefälscht.»
«Ich – was habe ich?» Miller umklammerte die Lehne der Zeugenbank, so daß die Knöchel weiß hervortraten.
«Sie haben ein Paar Handschuhe gekauft von der gleichen Art, wie einer bei dem abgestellten Jaguar gefunden wurde. Sie beschmierten einen der Handschuhe mit Schmutz von dem bleigefüllten Rohr, das bei dem Überfall benutzt wurde und das in der Polizeizentrale aufbewahrt wird, in der Sie arbeiten und zu der Sie Zutritt haben.»
«Das ist eine Lüge! Das ist eine ganz gemeine Lüge!» schrie Miller.
Doch der Anwalt sprach weiter, als wäre er nicht unterbrochen worden. «Sie besuchten den bewußtlosen McQueen zum zweitenmal im Krankenhaus, um sich gefühlsmäßig auf Ihre Tat vorzubereiten. Und dann gingen Sie in Haggards Wohnung, obwohl Sie wußten, daß Haggard nicht daheim war. Sie erzwangen sich Zutritt in die Wohnung und gingen, selbstverständlich allein und ohne Zeugen, in das Schlafzimmer. Als Sie zurückkamen, zogen Sie den Handschuh hervor und behaupteten, ihn eben gefunden zu haben. Sie haben dieses entscheidende Beweisstück gefälscht. Sie haben sich selbst zum Richter aufgeworfen in diesem Fall.»
Als Zeugen rief die Verteidigung Carpenter auf, den Besitzer eines Bekleidungsgeschäftes in Süd-Frindhurst. Ein Mann mit dem Gesicht eines Frettchens und ständig zuckender Nase.
«Ich habe ihn selbst bedient. Er kam und fragte nach Gartenhandschuhen. Ich zeigte ihm eine Auswahl ausgezeichneter Handschuhe, doch er bestand darauf, daß sie von Keelers sein müßten. Ich habe versucht, ihn zu überzeugen, daß die nicht annähernd so gut seien wie die anderen, obwohl kaum ein Preisunterschied bestand, aber er wollte nicht auf mich hören. Also fragte ich ihn nach der Handschuhnummer, und er sagte groß. Ich hab’ mir seine Hände angeguckt und hab’ ihm gesagt, daß er keine großen braucht, oder er könnte beide Hände in einen Handschuh stecken. Wieder hörte er nicht auf mich und sagte, er wolle große. Er war schon ganz böse. So hab’ ich sie ihm verkauft. Nicht mein Bier, dachte ich. Dann sah ich das Foto in der Zeitung und erkannte ihn wieder als den Mann, der den Handschuh in der Hosentasche des anderen gefunden haben wollte. Da erst habe ich mir den Kopf zerbrochen, warum ein Mensch Handschuhe kauft, die ihm nicht passen. Na, und da habe ich dann mit dem Anwalt gesprochen.»
«Würden Sie sich das hier bitte anschauen?»
Man reichte ihm den Handschuh.
«Können Sie uns sagen, ob das der Handschuh ist, den Sie an Sergeant Miller verkauft haben?» fragte der Verteidiger und wandte sich zum Richtertisch. «Beweisstück Nummer siebzehn, Mylord. Es ist bereits bewiesen, daß dies der Handschuh ist, den Sergeant Miller in der Hosentasche des Angeklagten gefunden haben will.»
Der Richter nickte. Der Verteidiger wandte sich wieder dem Zeugen zu.
Carpenter sah sich in aller Ruhe den Handschuh an, betrachtete ihn von außen und von innen. «Innen ist eine Bleistiftmarkierung», sagte er.
«Ist es nicht üblich, daß die Händler ihre Ware markieren?»
«Meistens wird es gemacht. Man schiebt den Preis auf besondere Weise ’rein, wie so eine Art Code, oder zeichnet ihn irgendwie. Wenn mal jemand klaut, kann man ihm das immer beweisen.»
«Welcher Art ist das Zeichen in diesem Handschuh?»
«Nur ein kleines Kreuz.»
«Können Sie uns bei Ausschluß jeden Zweifels versichern, daß dieses Zeichen von Ihnen stammt? Können Sie beschwören, daß Sie dieses Zeichen machten und sonst niemand?»
«Sehen Sie, das ist so. Ich bin sicher, daß ich diesen Handschuh gezeichnet habe und daß es der ist, den ich an den Detektiv verkauft habe. Aber da es nur ein kleines Kreuz ist, ist es durchaus möglich, daß noch jemand so zeichnet.»
«Doch trotz aller dieser Möglichkeiten sind Sie sicher, dieses Kreuz gemacht zu haben?»
«Ja.»
«Ich danke Ihnen, Mr. Carpenter.»
Der Richter blätterte eine Seite in seinem Notizbuch um und wandte sich dann an die Geschworenen. «Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nun zu entscheiden, ob das Auffinden dieses Handschuhs als Indiz zulässig ist. Sie müssen beurteilen, ob die Behauptung der Verteidigung richtig ist, daß Detektivsergeant Miller diesen Handschuh absichtlich in die Hosentasche des Angeklagten placiert hat. Sollten Sie zu dem Schluß kommen, diese Behauptung sei falsch, dann können wir ohne Einschränkung fortfahren. Sind Sie jedoch überzeugt, diese Behauptung sei wahr, dann bitte ich Sie, sorgfältig alle Indizien, den Handschuh betreffend, zu ignorieren und Ihre Entscheidung lediglich von den anderen Beweisstücken abhängig zu machen. Wenn Sie damit zu keiner eindeutigen Schlußfolgerung gelangen, muß ich Sie an den Grundsatz erinnern: Im Zweifelsfall für den Angeklagten.»
Die Geschworenen rutschten unruhig auf ihren Sitzen hin und her. Sie waren verwirrt, daß die so eindeutig klare Sachlage eine derartige Wendung genommen hatte und Entscheidungen von ihnen erforderte, mit denen sie nicht gerechnet hatten.
Der Richter setzte seine Belehrung fort: «Sie haben den Zeugen Carpenter gehört, der aussagt, daß Sergeant Miller in seinem Geschäft nach Handschuhen der Firma Keeler gefragt hat, obwohl der Zeuge ihm eine bessere Qualität für den gleichen Preis anbieten konnte. Desgleichen riet der Zeuge zu einer kleineren, Miller besser passenden Größe. Sie werden sich erinnern, daß der Handschuh, der bei dem Jaguar gefunden wurde, besonders groß war. Dem Staatsanwalt ist es nicht gelungen, die Aussage des Zeugen Carpenter auch nur in einem Punkte zu erschüttern. Sergeant Miller bestreitet, das Geschäft von Carpenter jemals betreten, geschweige denn Handschuhe gekauft zu haben. Jetzt müssen Sie, meine Herren Geschworenen, entscheiden, wem der beiden Männer Sie Glauben schenken wollen. Einer von beiden sagt die Wahrheit, der andere lügt. Um Ihnen zu helfen, möchte ich Ihnen zu bedenken geben, welche Einstellung Sergeant Miller zu diesem brutalen Verbrechen an den Tag legte. Sie werden sich selbst seiner Aussage erinnern, daß er Mr. McQueen im Krankenhaus aufsuchte, obwohl er wußte, daß der Patient bewußtlos war und insofern völlig nutzlos für seine Ermittlungen. Sie werden sich fragen, welchen Grund es für diesen Besuch gegeben hat, außer dem, den der Verteidiger bereits erwähnte. Sie haben selbst gehört, wie Miller seinem Haß den Menschen gegenüber Ausdruck gab, die ohne Rücksicht auf das Leben anderer die Gesetze brechen. Sie mögen mit dem Verteidiger übereinstimmen, daß Millers persönliche Gefühle in diesem Falle stärker zum Ausdruck kamen, als es gut ist und korrekt.»
Der Sprecher der Geschworenen, ein Mann mittleren Alters mit blühendem Aussehen und geschwungenem Schnurrbart, erhob sich.
«Haben Sie Ihr Urteil gefällt?» fragte der Gerichtsdiener. «Und ist das Urteil einstimmig?»
«Jawohl», sagte der Sprecher, sich seiner Wichtigkeit bewußt. «Nicht schuldig.»