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Ich beschloss, zum General zu gehen. Auf dem Weg dorthin geriet ich in eine Kontrolle der Marine{7}. Es geschah ein Wunder, und sie ließen das Taxi weiterfahren. Ich erreichte das Bankenviertel, in dem sich sein Büro befand.

General Della Penna war der Großcousin meiner Mutter. Er war im Alter von vier Jahren nach Argentinien gekommen. Sein Vater, ein faschistischer Hauptmann, hatte auf Kreta ein Auge und in Rom einen Finger verloren. Nachdem die Achsenmächte besiegt waren, beehrte er uns mit seinem Besuch. Obwohl mein Großvater Republikaner war, zahlte er dem Jungen des Hauptmanns die Primarschule. Aber als dieser Hauptmann seinen Sohn an der Militärakademie einschrieb, kappte er die Unterstützung. Seit dieser Episode waren die Beziehungen zwischen den beiden Familien angespannt. Der Hauptmann bekam einen Posten bei der Polizei, wo er als Instruktor arbeitete. Mein Onkel, sein Sohn, machte eine steile Karriere, weil er bei mehreren Staatsstreichen für die Ermordung von Gewerkschaftern und Militärs verantwortlich und in Waffen- und wahrscheinlich Drogenhandel verwickelt war, bis eine demokratische Regierung an die Macht kam, die ihn in den Ruhestand schickte. Der Onkel machte sich selbstständig und baute eine private Detektei auf: Gehörnte Ehemänner, Einschleusen von Agenten in Fabriken, um herauszufinden, wer in den Gewerkschaften welche Rolle spielte, Werkspionage, den einen oder anderen Totschlag, Schutz von großen Tieren, die sich von links- oder rechtsextremen Gruppierungen bedroht fühlten. In der Zeit des schmutzigen Krieges schossen diese Art von Geschäften wie Pilze aus dem Boden. Viele Polizisten und Militärs ließen sich in den Ruhestand versetzen, um für solche Agenturen zu arbeiten.

Das Büro befand sich im obersten Stockwerk eines Gebäudes, das randvoll war mit Marmor und riesige Fensterfronten hatte. Als ich aus dem Lift stieg, sah ich mich der neuesten Anschaffung des Generals gegenüber: einem Porträt von Einstein, einem drei auf drei Meter großen Ölgemälde. Ich war sehr locker, als ich den Warteraum betrat, in dem sich mehrere Personen befanden. Mitten zwischen den Industriellen, den großen Tieren und den gehörnten Ehemännern standen zwei Wachen in Zivil und verwehrten mir den Zutritt.

»Wen suchen Sie, mein Herr?«

»Den General.«

»Haben Sie einen Termin?«

»Nein. Es handelt sich um eine Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit.«

Ich glaube, einer der beiden bemerkte, dass ich bewaffnet war.

»Welcher Organisation gehören Sie an?«

»Keiner. Ich bin ein Neffe des Generals.«

Ich stellte mich vor die Fernsehkamera, und einer der beiden klaubte ein klitzekleines Walkie-Talkie aus seiner Tasche, in das er mit einer Totenstimme sprach:

»Siebenundzwanzig, zweiunddreißig.«

Es dauerte einige Sekunden, bis sich eine mächtige Stimme aus dem Apparat vernehmen ließ:

»Er soll reinkommen.«

»Garcia, begleiten Sie den Herrn zum General«, sagte der Typ.

»Ja, mein Herr. Bitte folgen Sie mir, mein Herr.«

Ich folgte ihm zwischen den Tischen hindurch, an denen die Töchter, Frauen, Liebhaberinnen und Freundinnen der Uniformierten arbeiteten. Mein Begleiter öffnete mir die Tür des Büros. Der General saß an seinem Tisch aus Mahagoni, kehrte mir den Rücken zu und schaute zum Fenster hinaus.

»Ihr Neffe, mein General.«

»Ist gut. Sie können gehen.«

Ich nahm in einem äußerst bequemen Ledersessel Platz. Der General drehte sich zu mir um und schaute mich ohne ein Lächeln an.

»Hast du die Bewilligung zum Tragen einer Waffe?«

»Nein. Ich habe ein ausführliches Vorstrafenregister.«

»Spaßig wie immer, Carlitos. Du siehst aus wie ein wandernder Sarg. Verlass das Land und lass die Dummheiten, bitte. Männer des Kleinen sind dem Franzosen auf der Spur.«

»Männer des Kleinen?«

»Spiel nicht den Dummen, Carlitos, ich bitte dich! Und du wirst von Caputo beschattet. Sag deinen Freunden, wenn sie Geld waschen wollen, dann sollen sie es in Montevideo oder Rio tun. Hier haben sie zu viele Feinde. Hier bringt ihr bloß alle gegeneinander auf.«

»Jetzt übertreib mal nicht, Julio César. Der Franzose ist am Ende. Der ist zu nichts mehr zu gebrauchen.«

»Im Moment bringt er Leute von Rosario herein. Wir wissen noch nicht, woher er das Geld dafür hat. Vermutlich von seinen ehemaligen Geschäftspartnern, die hier wieder eine Geschäftsstelle eröffnen möchten. Mir ist es scheißegal, wenn sie dich umlegen, Carlitos, du gehst mir total auf den Sack.«

»Wer sind die aus Rosario?«

»Carlitos, du weißt, ich schulde deinem Vater etwas. Die Leute aus Rosario gehen dich einen Scheißdreck an. Verlass das Land. Sofort.«

Der Gefallen, den er meinem Vater schuldete, rührte von damals her, als er aus der Schule kam und ihn ein paar schräge Typen entführen wollten. Es waren vier Typen in einem großen Wagen. Der spätere General hatte schon damals stets einen Bewacher bei sich, aber sie erschossen ihn aus nächster Nähe. Mein Vater trat mit zwei Freunden auf die Straße, alle drei waren bewaffnet. Sie griffen die vier Schurken an und erschossen sie. Mein Alter wurde am Arm verletzt. Deshalb konnte mir der General keine Bitte abschlagen.

»Ich schwöre dir, das mit dem Franzosen ist mir egal, aber ich muss dich um etwas sehr Wichtiges bitten, Julio César.«

Ich erzählte ihm die Geschichte von Berta und dem kleinen Juden. Er sah mich an, als wäre ich ein Marsmensch.

»Du bist erledigt, Carlitos«, sagte er. »Erst dreißig und schon am Ende. Klar, du dröhnst dich weiterhin mit Drogen zu. Was zum Teufel schert es dich, was mit diesem Scheißjuden passiert ist? Bist du nun vollkommen verrückt geworden? Ist dir klar, mit wem du es da zu tun hast? Verglichen mit diesen Leuten ist Caputo ein Milchgesicht! Nein, nein, nein, du bist ein toter Mann! Verlass das Land, solange du noch kannst, wenn es nicht schon zu spät ist.«

»Aber kann man nicht irgendwas herausfinden?«

»Ja, dass er hin ist!«, schrie er mich an. »Das ist es, was man herausfinden kann! Und wenn du dich nicht schleunigst auf dem Mars versteckst, bist du es auch bald, du Idiot.«

»Ich verlasse das Land, sobald ich weiß, ob sie ihn getötet haben oder nicht, ich schwöre es.«

»Hör mal, Carlitos, verlass das Land und hör auf, verrückt zu spielen. Und nun scher dich zum Teufel. Ich spaße nicht. Oder willst du, dass ich dich mit einem Tritt in den Arsch hinausjagen lasse? Verschwinde!«

»Grüße deine Frau und deinen Sohn von mir«, sagte ich und verschwand.