Zwischen den Zeilen
Die Wochen vergingen so schnell, dass Robert es vor lauter Arbeit kaum mitbekam. Jeden Morgen setzte er neuerdings mit einem Schlepper über in den Kriegshafen, wurde zu seiner Halle chauffiert, wo bereits die Arbeiter auf ihn warteten. Mittlerweile hatte auch das verstohlene Glotzen nachgelassen, doch der ein oder andere schien noch immer fasziniert und gleichzeitig abgestoßen von seinem metallischen Arm. Robert ließ sich nichts anmerken.
Endlich ging es voran. Das, was sich dort ganz allmählich auf dem Boden zusammensetze, schien für einige plötzlich Sinn zu machen. Einmal hörte der junge Lord gar das geflüsterte Gespräch zweier Mechaniker: »Ich habs dir gesacht, der Kerl soll ein Genie sein und nu sieh dir das an! Das haut hin, sach ich dir. Im Leben wär ich nicht drauf gekommen!«
Robert unterdrückte ein Schmunzeln, doch dann wurde er hellhörig, als der andere antwortete: »Und ich sach dir, der Kerl macht mir Angst. Verdammte Zauberer, sach ich dir. Was meinste, wofür das hier is, hm? Krieg sach ich dir, das kommt dabei raus.«
Robert bekam seinen Verbindungsoffizier Coldlake kaum noch zu Gesicht. Zuerst vermutete er, dass dieser sich wegen der Odinstochter nicht mehr blicken ließ, doch selbst, wenn der Schotte keine Lösung dafür finden konnte, Famke aus Roberts Bereich verschwinden zu lassen, so war dies dennoch kein hinreichender Grund, sich derart rar zu machen.
Eines Morgens jedoch trat Coldlake an Roberts Frühstückstisch und ließ sich wie ein nasser Sack auf die Sitzbank plumpsen, mit kleinen Augen, die auf durchmachte Nächte schließen ließen, und einer geschwollenen Unterlippe. Der Mann hatte sich mindestens eine Woche lang nicht rasiert.
»Guten Morgen, Lord Humberstone«, nuschelte der Offizier, und beäugte misstrauisch die Tasse Tee, die vor Robert stand. Anscheinend überlegte er, ob er das seinem Magen antun sollte oder besser nicht.
»Coldlake, Sie sehen aus wie ein missglücktes medizinisches Experiment. Wo haben Sie gesteckt? Dem Geruch nach zu urteilen muss der Ort eine Mischung aus Rinnstein und Hafenkneipe gewesen sein.« Robert ließ den Ton absichtlich wie den eines versnobten Adligen klingen. Der Schotte musste grinsen.
»Entschuldigen Sie Sir, aber das ist ziemlich dicht an der Wahrheit.« Er hustete schrecklich. »Tut mir leid, Sir.« Robert winkte ab und biss in sein Marmeladenbrötchen. Coldlake schluckte und sah aus dem Fenster.
»Ich war viel im Regierungsviertel, Sir. Ein sehr schweigsamer Haufen, sag ich Ihnen. Dennoch entging meinen Ohren nicht das ein oder andere Gerücht. Doch wenn Sie wissen wollen, ob derlei Geflüster auch einen wahren Kern hat, dann müssen Sie dorthin gehen, wo das Bier billig und die Lieder laut sind.«
Robert verstand.
»Ich habe noch etwas Zeit«, Robert kippte den Rest Tee hinunter, »lassen Sie uns ein kleines Stück gehen, Mr Coldlake.«
Sie verließen das Restaurant durch die Terrassentür zum Garten. Die knorrigen Bäume wirkten noch mürrischer als sonst. Der Atem dampfte vor ihren Mündern, es war über Nacht merklich kälter geworden.
Durch eine Seitengasse traten sie auf die Straße vor dem Atlantik, überquerten sie und waren nur wenige Schritte später an der Uferpromenade der Alster. Das schwarze Wasser war kabbelig. Rotes, gelbes und selbst noch schwächlich grünes Laub rauschte von den mächtigen, alten Eichen, die den See säumten. Die Außenalster, vom Volk Freyjas Träne genannt, lag mitten in der Stadt wie ein Stück Meer, das vor langer Zeit gefangen genommen worden war. Der See war entstanden, als vor über 800 Jahren der heute berühmte Graf Adolf III durch die Anstauung des Flusses mittels eines Damms einen Mühlenteich anlegen wollte, um damit eine große Kornmühle anzutreiben. Durch einen Fehler wurden dabei die unbewohnten Alsterwiesen großflächig überflutet. Doch der Graf wäre kein Graf gewesen, wenn er das nicht ohnehin von Anfang an vorgehabt hätte. So hatte die Stadt eben einen See, auch nicht schlecht.
Robert setzte seinen Zylinder fester auf den Schädel und zog sich einen Handschuh über die rechte Hand. Er bemerkte Coldlakes fragenden Blick.
»Das Metall wird nicht kalt«, erklärte er kurz angebunden und der Schotte schwieg.
Sie schlenderten durch den Park am Seeufer entlang. Nur wenige Segler waren auf dem Wasser, der Wind war böig, schien ständig die Richtung zu wechseln. Wenn ihnen jemand entgegen kam, dann grüßten sie höflich, so wie es Sitte war. Alsbald verließen sie den gepflasterten Weg und schlugen sich durch die Bäume direkt an den See. Robert steckte sich einen Zigarillo an, der Qualm wurde vom Wind fortgerissen. Wenn Zauberer in der Nähe gewesen wären, so hätte Taris, der oben über den Wellen langsame Kreise zog, ihn gewarnt.
»Dann erzählen Sie mal, Coldlake. Was munkelt man denn nun in den Kaschemmen Hammaburgs?«
»Sir, da ich davon ausgehe, dass Sie auch nicht ganz unwissend sind, verzeihen Sie es mir, wenn ich über Dinge spreche, die Ihnen bereits bekannt sind.«
Robert ließ ihn fortfahren.
»Schon lange weiß man, dass es zwischen dem Kronprinzen und seinem Vater, dem Kaiser, nicht sonderlich ... wie soll ich sagen ... familiär zugeht.«
»Die beiden hassen sich.«
»Ja, Sir. Aber wussten Sie auch, dass Prinz Ludwig zwei ältere Brüder hatte?« Nein, das hatte er nicht gewusst, aus einem einfachen Grund, es interessierte ihn nicht.
»Beide Brüder sind schon lange tot. Der eine, Gunter, ging bei einem Seemanöver in einem Sturm über Bord. Man fand ihn vier Tage später mit dem kaiserlichen Gesicht nach unten im Meer treibend. Der andere, Valgard, trat eine Reise an und kehrte nicht mehr zurück. Niemand weiß, was geschehen ist. Wollte angeblich seine Geliebte auf der Insel Sylt treffen, doch kam er dort niemals an. Seither gilt er als verschollen, beziehungsweise seit etwa drei Monaten offiziell als tot. Am Kaiserhof munkelt man, Ludwig stecke dahinter, doch beweisen ließe sich das natürlich nicht. Nicht nur, weil kein Beamter so lebensmüde wäre, diesbezüglich eine Untersuchung anzustreben.«
Robert bekam eine Gänsehaut. Selbst wenn der Kaiser seinen eigenen Sohn in Verdacht gehabt haben sollte, er hätte es nicht zugelassen, dass dieser Hauch eines Schattens das Ansehen der kaiserlichen Familie auch nur berührte. Gegen Gerüchte war man machtlos, aber die Fassade blieb dennoch makellos. Er wies Coldlake an fortzufahren.
»Der Kummer hält seitdem den alten Mann in seinen Klauen. Hat sich Karten legen lassen, Tieropfer verbrannt, lag angeblich tagelang im Tempel der Hel auf den Knien und flehte um seine verlorenen Söhne. Nun, zurückbekommen hat er sie jedenfalls nicht.«
Robert tadelte diesen Satz mit einem mürrischen Blick.
»Verzeihung, Sir.« Der Schotte schnäuzte sich, bevor er fortfuhr. »Dann soll der Kaiser einen Brief erhalten haben, aber der Inhalt ist reine Spekulation. Dennoch schien der Brief eine Wirkung zu haben, denn Kaiser Ferdinand erholte sich langsam, aber beständig. Seitdem ist er nicht ein einziges Mal mehr im Tempel des Odin gesehen worden, oder in sonst irgendeinem Tempel. Ich musste vier Runden Bullenschluck schmeißen, bis endlich das Wort Christentum fiel.«
Robert wirbelte herum. Hatte er sich gerade verhört? Das wäre Hochverrat, Landesverrat, Verrat am Feuerbund - wenn nicht gar Verrat an allem! Verfluchter Mist, verdammter. Das war gar nicht gut.
Das mit den Christen war eine ganz andere Sache. Seit Jahrhunderten ignorierte man sich gegenseitig recht erfolgreich, doch seit zwei Jahren gab es einen neuen Papst. Urban V. Dieser hatte es sich offenbar zum Lebensinhalt gemacht, die Götter des Nordens zu schmähen, wo er nur konnte. So krakeelte er zuweilen im fernen Rom oder Madrid - wo auch immer er gerade residierte - herum, während der Feuerbund so tat, als wäre er plötzlich taub geworden. Niemand wollte einen Krieg des Glaubens. Das war ungefähr so schlau, wie die Hand in einen Dachsbau zu stecken.
Doch Urban V bediente sich eines Kniffs, den Robert schon seit Kindertagen kannte, wenn er mit seiner Schwester gestritten hatte: Soll Odin doch kommen, wenn ich im Unrecht bin. Und was tat Odin? Er kam nicht.
Warum also ritt der Allvater diesen Kreetkopp - wie man in Hammaburg einen Unruhestifter rief - im Süden nicht einfach mit seinem sechsbeinigen Rappen Sleipnir über den Haufen? Nun, offensichtlich stellte sich diese kleine Frage mittlerweile auch Kaiser Ferdinand. Das Dumme daran war nur, dass aus diesem unscheinbaren Flämmchen ein verdammt großes Feuer werden konnte.
Robert trat den Zigarillo aus, zog die Taschenuhr heraus und gestand Coldlake noch ein paar Minuten zu.
»Sir, Sie wissen ja, dass die 6. und 7. Flotte in Australien den Abbau der Steine absichert. Nun, vor einigen Tagen hörte ich üble Geschichten von dort. Massaker sollen an den Eingeborenen verübt worden sein, so grauslich, dass mir die Worte darüber noch immer in meinen Ohren kleben. Es sollen sogar Kopfjäger unterwegs sein, viele Adlige darunter. Ich treffe mich demnächst mit einem Mann, der mehr über all das weiß, Jakob Rothmann der werte Name, Sir.«
»Jetzt übertreiben Sie aber, Coldlake.« Robert wandte sich zum Gehen.
»Ich möchte Sie nur warnen, Lord Humberstone. Die Geschichten sind zu zahlreich, zu nah beieinander, als dass sie bloßes Seemannsgarn sein könnten. Und ein Name tauchte bei den Gräueltaten immer wieder auf: Leopold von Graubergen. Halten Sie diesen Mann auf Abstand, Sir.«
Robert schwieg zu dieser Warnung. Er war zutiefst verstört über all diese Informationen. Er fischte seine Brieftasche aus dem Mantel und gab dem zitternden Schotten zweihundert Pfund in die Hand. Genug Geld, um damit ein ganzes Jahr lang in sämtlichen Hafenkneipen Runden von Bullenschluck zu schmeißen, was immer das auch sein mochte. Coldlake war so erstaunt, dass er fast vergaß sich zu bedanken, wobei es dann mehr ein gemurmeltes Husten wurde.
»Ich nehme an, dieser Jakob Rothmann will Geld für seine Geschichten. Versuchen Sie also nicht, allzu großzügig mit meinem Erbe zu sein, Coldlake.«
»Ähm ja, Sir.« Der Schotte kratzte sich grinsend am Kinn.
»Sehr schön.«
Robert stand auf dem Schlepper unter einer provisorischen, dreckigen Plane, weil es wie aus Kübeln goss. Er hatte kein Auge für den Hafen heute, bemerkte selbst das Schlingern des Schiffes kaum. Er stand da und grübelte missmutig vor sich hin. ›Ob er all das glauben sollte?‹
Ein Teil zumindest würde perfekt in dieses wirre Puzzle passen: Der Läufer. Kronprinz Ludwig schien ein Vorausdenker zu sein, was nicht oft vorkam bei Monarchen. Entweder wusste er bereits, wohin die Reise gehen sollte, oder aber er wollte darauf vorbereitet sein, falls jemand anderes den ersten Schritt machte.
Doch vielleicht war dieses Spiel schon sehr viel früher in Gang gesetzt worden und jetzt begannen, die vielen kleinen Rädchen langsam Fahrt aufzunehmen. Wann war die 6. und 7. Flotte nach Australien aufgebrochen? Wann war der Entschluss gefallen, die Minen dort mit dermaßen vielen Kriegsschiffen so gut zu schützen?
Rationierte man womöglich deshalb jetzt schon das Pulver oder waren die Sparmaßnahmen einfach nur die vernünftige Reaktion auf einen kommenden Maschinenwinter im Norden?
Dem jungen Lord brummte der Schädel.
Aber eines wusste Robert so klar, wie sein Name Humberstone war. Die Macht der Imperien beruhte auf den Steinen und dem daraus gewonnenen Pulver. Sollte tatsächlich ein Krieg hinter der Kellertür lauern, und schon einen widerlichen Fuß auf der Treppe haben, dann würden sich die Großmächte um diesen wertvollen Rohstoff mehr als nur prügeln. Nein, sie würden sich gegenseitig an die verdammte Kehle springen!
Als er vor der Halle ausstieg, den Kragen gegen den Wind hochschlug, kam ihm schon der junge Kalden durch die Pfützen des Vorplatzes entgegen gelaufen, riss die Mütze vom Kopf und salutierte linkisch. Seine rechte Wange war tiefrot, als hätte ihn dort eine heftige Ohrfeige getroffen.
»Sir, jemand ist da und wühlt in Ihren Sachen, Sir.« Der Junge war völlig aufgelöst.
Robert kramte umständlich das Zigarilloetui aus seiner Tasche und gab es dem Jungen. Der wusste, was zu tun war. Er wischte sich die Finger an der Hose trocken, zog eine hervor, zündete sie an, paffte zwei Mal und reichte sie dann dem Lord zurück, Stolz in den verweinten Augen.
»Du läufst gleich mal rüber zur Messe und sagst denen, sie sollen heißen Tee aufsetzen und zwar sofort! Zuvor aber gehst du wieder rein und verkündest eine einstündige Pause, verstanden Kalden?«
Der Junge sah ihn ungläubig an, dann nickte er tapfer, bevor er begriff.
»Aber Sir, das ... » Robert lächelte. Aus Ungläubigkeit wurde unvermutet ein kleiner Sieg.
»Ja, Sir, wie Sie meinen, Sir.« Mit einem Grinsen in den Mundwinkeln lief er zurück. Alle würden ihm für diese gute Nachricht auf die schmalen Schultern klopfen. Eine Sprosse höher, eine kurze Sprosse zwar, aber immerhin.
Dann kehrte Kalden nochmals um, als hätte er etwas Wichtiges vergessen, die Mütze noch immer in den Händen. Dicke Tropfen fielen auf sein Gesicht.
»Es ist der Herzog von Graubergen, Sir. Das wollte ich Ihnen unbedingt noch sagen, Sir.«
Robert inhalierte den Rauch, stieß ihn in den Regen wie einen grauen Speer.
»Sehr schön. Danke Kalden.« Dann nahm der Junge die Beine in die Hand.
Als Robert in die Halle trat, kamen ihm die meisten Arbeiter schon entgegen, lupften die Mützen oder grüßten, wie man es vor Schiffskapitänen machte, indem man die Finger kurz, aber deutlich sichtbar, zum Kopf führte.
Robert hob wohlwollend die intakte Hand, dennoch blieb er am Eingang stehen, bis auch der letzte Mechaniker ihn passiert hatte, erst dann ging er auf den Turm zu. Er holte tief Luft, bevor er die aus groben Brettern zusammengezimmerte Treppe hinaufstieg, die den Turm umrundete und bei jedem Schritt das noch feuchte Holz knarren ließ.
Seine gesunde Hand ballte unaufhörlich eine Faust, dann war er oben und fühlte sich ganz plötzlich nicht mehr zugehörig. Angst überkam ihn, genau jene Angst, die er in Kaldens Augen an seinem ersten Tag gesehen hatte: ›Ihr alle seid so viel mehr als ich. Ihr seid ein Adliger, ein Zauberer! ‹
Doch allein das war es nicht, oder? Er streckte die Hand aus. Hinter dieser Mission war ein ganzes Meer voller Unsinnigkeit.
Robert drehte den Knauf und trat endlich ein.
Herzog Leopold stocherte mit einem Dolch und einem Lächeln auf dem Kartentisch herum, der in der Mitte des Raumes platziert worden war, bevor er gelangweilt aufsah.
»Das hier ist doch sicher ein Scherz, oder, Lord Humberstone?« Er war ganz in Schwarz gekleidet, vom Zylinder, den er auf dem Tisch abgelegt hatte, bis zu den polierten Reitstiefeln samt silbernen Ziersporen. Seine blonde Mähne bildete einen schon fast grellen Kontrast zu seiner Garderobe. Mit dem Kinngrübchen schien er auf Robert zielen zu wollen, so reckte er es bei seinen Worten vor.
Robert nahm den Hut ab, hing ihn vorschriftsmäßig an den dafür vorgesehenen Haken, streifte seinen einärmeligen Mantel ab, um ihn in aller Ruhe neben den Hut zu hängen. So hatte es den Anschein, dass der eine zum Arbeiten hier war und der andere nur, um dumme Sprüche zu klopfen.
»Nun, ich würde zu gerne Ihre Meinung hören. Wenn Sie mir einen guten Tipp geben könnten, wie ich das Problem der Ausrichtung verbessern kann, dann wäre ich hocherfreut, Herzog.« Von Graubergen ließ den Dolch in seinem Mantel verschwinden, küsste dabei fast ritualistisch einen Siegelring, der an seinem kleinen Finger prangte, bevor er sich der Falle bewusst wurde. Robert hatte geahnt, dass dieser Schmierlappen so viel Ahnung von Mechanik hatte wie eine Kartoffel von gutem Wein.
»Sie haben fast sämtliche Komponenten neu angeordnet, Lord. Mir scheint nur, dass Sie dadurch den Zeitplan des Kronprinzen nicht werden einhalten können. Das wollte ich damit sagen.«
›Gut gerettet, du dummer Mann.‹ Immerhin hatte der Herzog Grundwissen. Vermutlich hatte er selbst einmal in einem Läufer gesessen und auch damit geschossen.
Robert trat ebenfalls an den Tisch, zog die Zeichnungen zu sich, rollte sie seelenruhig zusammen und warf sie in den Ofen, der an der Wand stand. Von Graubergen wirkte für einen Moment völlig perplex, allein das war es wert gewesen.
»Keine Sorge, Herzog, es waren nur Skizzen, nicht wirklich von Bedeutung.« Jetzt fühlte sich Leopold dann doch verarscht. Sein Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an. Drohend streckte er den Körper zu ganzer adliger Größe.
»Ich bin vom Kronprinzen persönlich damit beauftragt worden, die Fortschritte in dieser Angelegenheit zu inspizieren. Ludwig wünscht Berichte über die ... ähm, Fortschritte dieses Projekts. Außerordentlich!«
Also waren der Herzog und Ludwig per Du, so sollte es wohl erscheinen. Busenfreunde. Außerordentlich! Robert lachte innerlich, holte zum finalen Schlag aus.
»Nun, die Königin von Britannien hat jetzt eine Brücke, vor der die Wellen zurückweichen. Und genau so wird der Kronprinz Ludwig einen Läufer bekommen, der Angst und Schrecken verbreiten wird.« Robert setzte sich. »Um nicht zu sagen, außerordentlichen Schrecken.« Versenkt.
Der Herzog presste die Zähne aufeinander, er war kurz davor, nach seinem Dolch zu greifen. Seine perfekt rasierten Wangenmuskeln zuckten, dann entspannten sie sich, und er setzte erneut ein überlegenes Lächeln auf. ›Jetzt, Robert, hast du einen Feind für gleich mehrere Leben, du Idiot.‹ Robert lächelte zurück. Von Graubergen nahm seinen Zylinder, setzte ihn betont langsam auf. Kälte ging von dieser Bewegung aus wie ein einsamer Schuss im Nebel.
»Genau so werde ich es dem Kronprinzen berichten, verehrter Lord. Danke, für Ihre ... Kooperation.« Der Herzog ging zur Tür, seine silbernen Sporen klirrten dabei. Robert blieb sitzen, er wollte keine Höflichkeit walten lassen. Doch dann konnte er nicht länger an sich halten.
»Haben Sie dem kleinen Kalden eine Ohrfeige verpasst?« ›Wieso wummerte ihm sein Herz bis in die Kehle?‹ Er schwenkte auf dem Sessel herum, zur Tür.
Der Herzog verharrte auf der Schwelle, Regengeräusche und nasse Luft drangen herein.
»Und wenn schon?« Die Stimme des Herzogs klang amüsiert, aber plötzlich eine Oktave tiefer. Nun tappte Robert in die Falle.
»Das hier ist nicht Australien, Sir!« Nun wusste Graubergen, dass Robert etwas wusste.
Von Graubergen drehte sich nicht einmal um, damit die Feindschaft auch mit den Augen besiegelt werden konnte, er seufzte nur behaglich, als habe er soeben einen besonders feinen Hirsch im Dickicht entdeckt. Dann lachte er gar, als er die Tür einfach offen ließ und die Treppen hinunter stolzierte.
»Wie Sie meinen, Lord Humberstone!«
›So ein verdammter Scheißdreck‹, dachte Robert, zählte innerlich bis hundert und rammte dann erst seinen Stiefel gegen die blöde Tür. Das Donnern lief durch die gesamte Halle.
›Verflucht und verdammt nocheins!‹