16.
Es war ein wunderschöner Tag in Kanada, ein hinreißender Sommertag. So kurz, so kurz. Es war das Jahr 1664, es war sonnig, und die Libellen beobachteten mit milder Neugier das Platschen der Paddel, und die Stachelschweine schliefen auf ihren weichen Nasen, und Mädchen mit schwarzen Zöpfen saßen auf der Wiese und flochten wohlriechende Körbe aus Gras. Rehe und Krieger witterten Tannenduft in der leichten Brise und träumten vom Glück, zwei Jungen, in nicht enden wollender Umarmung, kämpften am Palisadenzaun. Die Welt war etwa zwei Milliarden Jahre alt, doch die kanadischen Berge waren sehr jung. Eine unbekannte Taubenart turtelte über Gandaouagué.
– Buu-huu, weinte ein achtjähriges Herz.
Das Herz lauschte, das Herz, es war weder alt noch neu, war noch längst nicht im Kerker der Bezeichnungen gefangen, Thomas sang für alle Kinder. Facienti quod in se est, Deus non denegat gratiam.
– Heute sollt ihr glänzen,
ihr Stachelschweinpfeile;
Wie Regen an einem Sommertag
wie Perlen aus Porzellan,
ein endloser Kranz ist
Dein Halsband aus Zähnen, sangen die Tanten, während sie das Kind für die schlichte Hochzeit ankleideten, denn dies war der Brauch, bei den Irokesen heirateten Kinder.
– Nein, bitte nein, klagte ein Herz einem Dorf.
Eine unbekannte Taubenart turtelte über Gandaouagué.
– Geh zu ihm hin, Catherine, oh, er ist ein starker kleiner Mann!, glucksten die Tanten.
– Haha, lachte der Unverwüstliche.
Doch plötzlich verging ihm das Lachen, der Junge fürchtete sich, es war keine Furcht, die er schon kannte, nicht die Furcht, geschlagen zu werden oder in einem Spiel zu unterliegen, nein, aber damals, als der Medizinmann starb und …
– Was haben die denn?, fragten die Familien der beiden Kinder besorgt, denn ihnen lag viel an der vorteilhaften Verbindung, die man angebahnt hatte.
– Gurr, gurr, riefen die turtelnden Tauben.
Der endlose Kranz, das Halsband aus Zähnen, das Lied der Tante zerriss ihr das Herz. Nein, nein, rief sie unter Tränen, es ist nicht richtig, es ist nicht richtig, dann verdrehte sie die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Mit ihrem verzückten Ausdruck einer nahenden Ohnmacht muss sie dem kleinen Wilden sehr sonderbar vorgekommen sein, denn er rannte gleich fort.
– Nicht schlimm, fanden die Tanten. Sie wird schnell heranwachsen, die Säfte werden zu fließen beginnen, denn auch die Frauen der Algonquin sind Menschen!, riefen die Tanten vergnügt. Es wird uns dann schon gelingen.
Und so kehrte das Kind zu seinem Leben in Gehorsam zurück, zu seiner harten Arbeit, es sank zurück in seine muntere Scheu, alle, die es kannten, hatten ihre Freude an dem Mädchen. Und die Tanten hatten keinen Grund, zu glauben, dass sie sich den hergebrachten Sitten der Irokesen verweigern würde. Kaum war sie aus dem Kindesalter heraus, schmiedeten sie schon wieder neue Pläne.
– Wir werden der Scheuen eine Falle stellen. Wir werden ihr überhaupt nichts sagen!
Es war ein wunderschöner Abend für eine schlichte Zeremonie, die daraus bestand, dass ein junger Mann in die Hütte seiner Braut trat, seinen Platz neben ihr einnahm, wo sie ihm etwas zu Essen reichte. Das war die ganze Zeremonie, deren Teilnehmer von den Familien bestimmt worden waren, ohne dass sie die Brautleute befragt hätten.
– Bleib sitzen, Catherine, es ist alles fertig, sagten die Tanten und zwinkerten sich zu, Liebstes, wir haben Wasser genug.
– Liebe Tanten, wie kalt wird es heute Nacht?
Über dem Kanada der Indianer zog der Herbstmond seine Bahn, die Pirole saßen auf schwarzen Zweigen, ihre Gesänge klangen wie ziellos gen Himmel geschossene Pfeile. Tschu! Tschirio! Tsiuerie! Eine Frau zog einen Holzkamm durch ihr dichtes Haar, und während sie sich so kämmte, summte sie still ihr monotones Klagelied.
– … komm mit mir auf den Berg und lass dich nieder an meiner Seite.
Die Welt rückte an kleinen Lagerfeuern zusammen, sie versammelte sich um die Suppentöpfe. Ein Fisch sprang aus dem Wasser des Mohawk, er blieb in der Luft hängen, bis die Wellen, die er geschlagen hatte, verschwunden waren. Selbst dann tauchte er nicht wieder ein.
– Schaut nur, wer hier ist!
In der Tür stand ein breitschultriger Jäger. Catherine sah von ihrer Muschelkette auf, errötete und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Ein Lächeln umspielte den sinnlichen Mund des hübschen jungen Kriegers. Mit langer, roter Zunge leckte er sich die Lippen, er schmeckte die Spuren des Fleisches, das er zur Strecke gebracht und erst vor Kurzem verschmaust hatte. Was für eine Zunge!, staunten die Tanten und drückten sich die weißen Knöchel in die Schöße, die von Näharbeit bedeckt waren. In die Lenden des Jünglings schoss Blut. Er schob die Hand unter den Lederschurz und bekam etwas Warmes, Dickes zu fassen, etwas, das sich anfühlte wie ein Schwanenhals. Da stand er nun, der Mann, auf den sie gewartet hatten! Wie eine Katze schlich er zu dem zitternden, über seinen winzigen Muscheln hockenden Mädchen, er ließ sich neben ihr nieder und streckte sich, um ihr seine festen Schenkel, sein Hinterteil zu präsentieren.
– Heh, heh, lachte eine der Tanten.
Über den Wassern des Mohawk schwebte ein seltsamer, glimmender Fisch. Ganz plötzlich und zum allerersten Mal begriff Catherine Tekakwitha, dass sie in einem Körper lebte, in einem weiblichen Körper! Sie wurde ihrer Schenkel gewahr, wusste, was sie pressen konnten, sie spürte die Lebendigkeit ihrer Brustwarzen, sie spürte, wie hohl ihr Bauch war, wenn sie scharf einatmete, sie spürte, wie einsam ihr Hintern war und wie schmerzlich eng das Tor ihrer kleinen Fotze, die gedehnt werden wollte, sie wusste um jedes ihrer Schamhaare, von denen sie nur wenige hatte, die zudem so kurz waren, dass sie sich nicht einmal kräuselten! Sie lebte in einem Körper, einem weiblichen Körper, und er funktionierte! Sie saß in ihren Säften.
– Er hat bestimmt Hunger, sagte eine andere Tante.
Wie hell der Fisch war, der über dem Wasser schwebte! Sie malte sich aus, wie der Jäger sie in das Rund seiner kräftigen, braunen Arme schließen, wie er sich zwischen ihre Schamlippen drängen würde, sie spürte, wie flach und rund ihre Brüste liegen würden unter dem Gewicht des Mannes, sie sah die kreisrunde Bissspur, die sie an seiner Schulter hinterlassen würde, und ihre eigenen, runden Lippen, die ihm Küsse hinterherschickten.
– Ich falle um vor Hunger.
Was sie am Ende umschloss, waren Peitschen und geknotete Riemen. Sie wurde gefesselt und gewürgt, bis ihre Haut aufriss, sie legten ihr ein Halsband aus Krallen an und schnürten es immer enger. Ihre Brüste bluteten. Sie saß im Blut. Die Liebe, die sie umschließen sollte, zog sich fest wie eine Schlinge, die ihr ins Fleisch schnitt. Kleine, verknotete Haare, die sich verfingen. Höllenqual! Ihre Fotze wurde von etwas Rundem, Brennendem angegriffen, sie wurde aus ihrem Schoß herausgetrennt wie der Deckel einer Konservendose. Sie lebte in einem weiblichen Körper – der ihr nicht gehörte! Es war nicht an ihr, sich mit diesem Körper hinzugeben. Dann hatte sie einen Gedanken, der so verzweifelt war, dass er ihre Fotze für immer in die schwarze Nacht schleuderte. Es war nicht an ihr, sich dem hübschen jungen Mann hinzugeben, dessen jägerische Fähigkeiten beträchtlich und dessen Arme kräftig waren. Als sie sich nun vom Recht auf den eigenen Körper lossagte, hatte sie ganz kurz den Eindruck, dass er unschuldig war, und sie sah für einen winzigen Augenblick die Schönheit in all den Gesichtern, die im ganzen Dorf um die knisternden Feuer saßen. So ließ der Schmerz etwas nach, das aufgerissene Fleisch, dessen Besitz sie endlich aufgegeben hatte, begann in seiner Freiheit auszuheilen, während ein neues, unter Qualen hervorgebrachtes Selbstbild ihr Herz erfüllte: Sie war die Jungfrau.
– Bring dem Mann etwas zu essen, befahl eine schöne Tante scharf.
Die Zeremonie darf nicht zu Ende geführt werden, dem alten Aberglauben gebührt keine Ehre! Catherine Tekakwitha stand auf. Der Jäger lächelte, die Tanten lächelten, Catherine Tekakwitha lächelte traurig, der Jäger hielt sie für scheu, die Tanten hielten sie für verschlagen, der Jäger fand, dass die Tanten gierig lächelten, die Tanten dachten, dass der Jäger gierig lächelte, der Jäger meinte gar, dass der kleine Schlitz in seiner Eichel lächelte, und Catherine mag gedacht haben, dass ihre Fotze in ihrer neuen, alten Heimat lächelte. Ein seltsamer, glimmender Fisch lächelte.
– Schmatz, Schmatz, lecker, stammelte der Jäger.
Catherine Tekakwitha stand auf und verdrückte sich vor den hockenden, ausgehungerten Menschen. Sie eilte an Lagerfeuern, Knochen, Exkrementen vorbei zum Tor, ließ den Palisadenzaun hinter sich, das rauchende Dorf, bis sie das Gewölbe der Birken erreichte, die bleich im Mondschein standen.
– Ihr nach!
– Lasst sie nicht entkommen!
– Fickt sie im Gebüsch!
– Gebt’s ihr, auch von mir!
– Hahaha!
– Leckt sie im Gebüsch!
– Und wie!
– Nehmt sie von hinten, für mich!
– Deckt ihr Gesicht zu!
– Gebt’s ihr!
– Los, schnell!
– Da fliegt es, das scheue Kind!
– Fick sie in den Arsch!
– Sie wartet nur drauf!
– Tschu! Tschirio! Tsiuerie!
– Immer drauf!
– In die Achseln!
– … komm mit mir auf den Berg und lass dich nieder an meiner Seite.
– Hechel, hechel!
– Tu ihr was Gutes!
– Fick sie, bis ihr die Pickel abfallen!
– Schleck, schleck!
– Deus non denegat gratiam!
– Piss rein!
– Komm zurück!
– Algonquinische Hure!
– Eingebildetes Franzosenflittchen!
– Scheiß ihr ins Ohr!
– Sie soll betteln!
– Da hinten ist sie!
Der Jäger trat in den Wald. Er würde keine Schwierigkeiten haben, es aufzuspüren, das scheue Kind, das humpelnde scheue Kind. Er hatte schon flinkeres Wild zur Strecke gebracht. Er kannte jeden Pfad. Doch wo steckte sie? Er schlug sich durchs Gebüsch. Er kannte hundert weiche Plätze, Tannennadellager, Kissen aus Moos. Er trat auf einen Zweig, der knackte, das war ihm im Leben noch nicht passiert! Das schien ein kostspieliger Fick zu werden. Wo steckst du? Ich tu dir nicht weh! Ein Zweig schlug ihm ins Gesicht.
– Haha, der Wind trug die Stimmen aus dem Dorf herauf.
Über dem Mohawk schwebte ein Fisch, umgeben von einem blonden Nebelschweif, und dieser lächelnde, glimmende Fisch hatte nur den einen Wunsch: ins Netz zu geraten, an die Angel genommen zu werden, die Gäste eines Festmahls zu beglücken.
– Deus non denegat gratiam.
Die Tanten bestraften Catherine Tekakwitha, als sie am Morgen nach Hause kam. Der junge Jäger war schon Stunden vorher fortgegangen, als Gedemütigter. Seine Verwandten waren außer sich.
– Verdammte Algonquin! Nimm das! Und das!
– Paff! Zack!
– Ab jetzt schläfst du neben der Scheiße.
– Du gehörst nicht mehr zur Familie, du bist nur noch Sklavin.
– Deine Mutter war ja nichts wert!
– Wehe, wenn du nicht spurst. Klatsch!
Catherine Tekakwitha lächelte gütig. Es war ja nicht ihr Körper, den sie traten, es war nicht ihr Bauch, auf dem die alten Damen mit den von ihr bestickten Mokassins herumsprangen. Sie ließ sich foltern und blickte hinaus durch den Rauchabzug. Dieu lui avait donné une âme que Tertullien dirait »naturellement chrétienne«, wie Le P. Lecompte einst bemerkt hat.