Kapitel 6
TAG SIEBEN
Viktor Alexejewitsch Gordejew verabschiedete Jura Korotkow, den sie in die STADT zu schicken beschlossen hatten, um den Mord an dem Moskauer Kolja Alferow aufzuklären. Der ganze gestrige Tag war draufgegangen, um Informationen über den Toten zu sammeln, sie hatten mit den Jungs aus der Abteilung für Wirtschaftskriminalität zusammengearbeitet, nichts Wichtiges herausbekommen, doch sah es ganz danach aus, als sei es ein Mord ›auf Bestellung‹.
Gordejew rief seinen Bekannten Sergej Michailowitsch in der STADT an, den Chef der dortigen Kripo.
»Wie geht es meiner Mitarbeiterin? Genießt sie die Kur?« fragte er, um mit etwas anzufangen.
Im Hörer blieb es still. Gordejew merkte auf.
»Hast du es etwa vergessen, Sergej Michailowitsch? Du hast versprochen, sie vom Bahnhof abzuholen und ihr mit dem Einzelzimmer zu helfen. Was denn nun?«
»Ich hatte viel zu tun, Viktor, du weißt ja selbst, wie es bei mir hier zugeht. Ich hab’ es einem meiner Jungs gesagt, er sollte sich drum kümmern.«
»Hast du kontrolliert, ob er es gemacht hat? Jag mir keinen Schreck ein. Wenn mit meinem Mädchen irgendwas schiefgelaufen sein sollte, dann kann ich das nie wieder gutmachen. Schließlich war ich derjenige, der sie zur Kur überredet hat.«
»Reg dich nicht auf, Viktor. Der Junge ist zuverlässig, er müßte es eigentlich erledigt haben.. Warte mal, ich prüf’ es gleich nach.«
Gordejew hörte, wie Sergej Michailowitsch von einem anderen Apparat aus telefonierte.
»Wo ist Stepan? Er soll zu mir kommen.«
»Du, solang du deinen Stepan suchst, erzähl mir: Was ist mit diesem Moskauer bei euch in der ›Doline‹?« hakte Gordejew ein.
»Du bist wieder mal längst im Bilde«, meinte Sergej Michailowitsch mißmutig. »Ein Kunde von dir?«
»Nein. Habt ihr schon eine heiße Spur?«
»Bisher noch nicht. Weißt du vielleicht etwas?«
»Es gibt Grund zur Annahme, daß das von Moskau aus ›bestellt‹ wurde. Läßt du einen Beamten von mir mit an den Fall?«
»Schick ihn ruhig her. Warte, da kommt Stepan.«
An der dumpfen Stille erkannte Gordejew, daß der andere die Sprechmuschel zuhielt. Das Gespräch zog sich hin, was nichts Gutes verhieß. Endlich ließ Sergej Michailowitsch sich wieder vernehmen, er klang jetzt ein wenig verlegen.
»Weißt du, das war so, Viktor. . . Also, dein Mädchen ist von niemandem abgeholt worden. Es gab da einen Engpaß. Kein einziger freier Wagen, alle im Einsatz.«
»Und einen Mann mit zwei Händen hast du auch nicht gehabt?« Gordejew wurde ernsthaft böse. In solchen Momenten, in denen sich sein geballter Zorn entlud, schien er wirklich kugelrund zu werden, wie ein Knüppelchen, ein kleines Brötchen, womit er seinem Spitznamen, den er schon als Jugendlicher abbekommen hatte, alle Ehre machte. »Außerdem hatte ich dich nicht um einen Wagen gebeten. Ich bat darum, sie abzuholen und zum Sanatorium zu begleiten. Hatte extra dazugesagt, daß sie keine Taschen schleppen darf, ihr Rücken ist kaputt. Hast du ihr wenigstens das Zimmer besorgt?«
»Haben wir. Allerdings konnten wir ihr nicht mehr vorher Bescheid geben, an wen sie sich wenden sollte, aber sie wird sich wohl schon von selbst auf uns berufen haben.«
»Wie hätte sie sich auf euch berufen können, wenn sie nicht einmal wußte, ob ihr euch überhaupt bequemt habt, im Sanatorium anzurufen? Das hätte ich nicht von dir gedacht, Sergej Michailowitsch, ehrlich, hätte ich wirklich nicht gedacht. Du hast mich schwer enttäuscht. Schluß, Themawechsel. Morgen trifft Major Korotkow bei euch ein. Er braucht nicht abgeholt zu werden, er kommt schon selbst zurecht. Das wärs.«
Viktor Alexejewitsch knallte zornig den Hörer auf die Gabel. Jura Korotkow wartete schweigend den Sturm ab. Als Knüppelchen aufhörte, Rauten auf ein leeres Blatt Papier zu kritzeln, und nach seiner Brille griff, womit er Bereitschaft zur Arbeit signalisierte, wagte Jura, die Unterredung fortzusetzen.
»Was meinen Sie, Viktor Alexejewitsch, ob die im Sanatorium wissen, daß Nastja bei der Kripo arbeitet?«
Gordejew zuckte mit den Achseln.
»Wenn die von der dortigen Kripo wegen ihr angerufen haben, dann dürften sie es wohl wissen. Doch kann es sein, daß es nur die Verwaltung weiß, die Kurgäste aber nicht. Das müssen wir genau klären. Das müssen wir unbedingt ausnutzen, Nastja hat womöglich einiges gesehen und gehört. Wir müssen bloß entscheiden, ob wir sie als unsere offizielle Mitarbeiterin in die Arbeit einbeziehen, oder ob wir ihren inoffiziellen Status beibehalten. Davon wird auch deine Arbeit in der ›Doline‹ abhängen.«
»Ich schlage vor, wir machen es über Leonid Petrowitsch.«
»Gute Idee.« Knüppelchen nickte zustimmend. »Leonid ist ein alter Hase, der weiß, wie man so etwas macht. Wir müssen nur überlegen, wie wir Nastja die Nachricht, daß du fährst, zukommen lassen können, ohne dabei deinen Namen zu erwähnen. Wer weiß, von wessen Telefon aus sie spricht. Von einer Telefonzelle aus wäre es natürlich einfacher. Aber wir können kein Risiko eingehen. Überleg mal kurz, was sie über dich weiß? Irgend etwas Privates, wie Hobby oder Lieblingsspeise.«
Jura dachte nach. Was gab es da bloß? Wenn Name, Vorname, Aussehen, Beruf ausgeschlossen waren, was dann?
»Sie kennt den Namen einer engen Freundin von mir«, meinte er unsicher.
»Einer sehr engen?« fragte Knüppelchen feixend.
»Einer sehr engen.«
»Dann paßt es. Geh und laß dir eine Dienstreise bescheinigen, ich werde Leonid anrufen.«
Nastjas Stiefvater war ein guter Bekannter von Gordejew, er hatte lange Jahre bei der Kripo gearbeitet und die letzte Zeit an einer juristischen Fernuniversität unterrichtet. Auf ihn konnte sich Viktor Alexejewitsch voll und ganz verlassen.
* * *
Kotik, der Masseur, hatte wirklich eine gute Spürnase. Unter dem Vorwand einer Runde Preference versammelte er in einem unbelegten Zimmer Damir, Semjon und den Chemiker, um die Situation zu klären und herauszufinden, welche Gefahren ihnen drohten. Von dem Feuer sowie dem Verschwinden von Swetlana Kolomiez und dem Knirps wußten sie bereits. Es mußte entschieden werden, ob es sich lohnte nach ihnen zu suchen, oder ob man sie angesichts der Probleme ihrem Schicksal überließ. Während sie dies besprachen, beschlich Kotik das ungute Gefühl, daß Semjon irgend etwas verschwieg.
»Marzew ist ein vernünftiger Mensch, er wird nicht darauf bestehen, daß die Bestellung augenblicklich erledigt wird. Seinen Anfall hatte er vor einem Monat, und er hofft, daß er noch zwei, drei Monate aushält. Währenddessen könnten wir ihm die passenden Leute suchen und alles erledigen. Jetzt nehmen wir mal an, die Tusse und der Liliputaner haben sich vor dem Feuer gerettet, sind irgendwohin abgehauen und versuchen nun, uns von der Polizei ausfindig machen zu lassen. Könnten die das?«
»Sollten sie eigentlich nicht«, war Semjons entschiedene Reaktion. »Sie haben weder eine Adresse noch eine Telefonnummer. Nur die Nummer des Postfachs in einer anderen Stadt, doch da stehen so viele Strohmänner dahinter, daß sie auch in hundert Jahren noch nicht bei uns ankommen. Den Kleinen habe ich vom Flugplatz in meinem Wagen mit den falschen Nummernschildern abgeholt, keiner der angestellten Fahrer hat ihn gesehen. Die Tusse ist immer mit mir und Garik gefahren, aber immer abends, als es schon dämmrig war oder ganz dunkel. Sie dürfte sich kaum an etwas erinnern.«
»Außer diesen beiden, haben wir in der STADT sonst noch etwas laufen? Irgend etwas, auf das die Polizei stoßen könnte?«
Semjons Stimme schien noch genauso fest zu sein, aber doch nicht ganz. . . Kotik ging in Hab-Acht-Stellung. Irgendwo hier lauerte Gefahr. Er lenkte sein Augenmerk auf den Chemiker.
»Bist du dir bei deinem Mädchen sicher? Wird sie keine Zicken machen?«
»Wo denkst du hin, Kotik. Das geht doch nicht erst seit gestern. Wenn Vera schon so lange den Mund gehalten hat, wieso sollte sie dann ausgerechnet jetzt anfangen zu plappern?«
»Ich hatte den Eindruck, als ob sie sich letztes Mal irgendein Theater geleistet hätte. Oder täusche ich mich?«
»Nur keine Sorge. Die üblichen Weiberzicken. Wißt ihr, Assanow hat ihr einfach nicht gefallen. Sie steckt so bis über beide Ohren in der Scheiße, daß sie es sogar mit einem Krokodil machen würde.«
»Na gut, wir wollen dir mal glauben. Und was macht deine Liebste, Damir? Wie ist das werte Befinden?«
»Meines Erachtens empfindet sie gar nichts. Kalt wie ein Stein.« Der Regisseur versuchte zu witzeln. »Nicht weich zu kriegen. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: Die interessiert sich nicht für uns. Keinerlei Fragen, keinerlei Anspielungen. Ist nur mit ihrer Gesundheit und ihrer Übersetzung beschäftigt. Ich bin überzeugt, daß sie nichts Verdächtiges bemerkt hat.«
»Kannst du dafür garantieren, daß sie Sarip nicht bemerkt hat?«
»Ich habe so laut geschrien und im Park nach ihr gerufen, daß ich bestimmt jedes Geräusch im Umkreis von einem Kilometer übertönt habe. Sie hat mich sofort bemerkt und sah überhaupt nicht erschrocken aus. Eher nachdenklich. Seit Sarip auf der Suche nach ihr war, habe ich mich bemüht, ständig in ihrer Nähe zu sein. Einerseits, um sie vor diesem Verrückten zu schützen, andererseits um herauszubekommen, ob sie nicht doch was von ihm mitbekommen hat. Nein, sie ist absolut ruhig, sie hat keine Angst im Dunkeln, nicht mal instinktiv, sie fürchtet sich weder allein in unbeleuchteten Fluren noch spät nachts im Park. Wenn sie auch nur irgend etwas beunruhigen würde, und sei es auch nur unbewußt, das hätte ich gemerkt.«
»Klingt ja überzeugend. Ich habe ihr Zimmer durchsucht, nichts, was auf ein Interesse an uns hindeutet. Semjon!«
»Was?« Semjon zuckte zusammen.
»Mir scheint, da ist noch irgend etwas. Na los, rück schon raus damit.«
Kotik machte sanft Druck, doch er war schon leicht gereizt. An Semjons Gesicht sah Kotik, daß er zur rechten Zeit und am rechten Ort angesetzt hatte.
Semjon klappte zusammen und gestand den Mord an Wasilij Gruschin, den er so lange verschwiegen hatte.
»Wie konntest du es wagen, uns nichts davon zu sagen, du Bastard?« Kotik schnurrte jetzt nicht mehr zart, er fauchte. »Schlägst einem Menschen den Schädel ein und sagst vier Monate lang kein Wort. Lynchen wäre noch zu mild für dich!«
»Er ist uns zu nah gekommen. Er hatte von Makarow erfahren . . .«
»Von wem hat er es erfahren? Hast du das wenigstens noch aus ihm herausgekriegt, bevor du ihm eins auf die Rübe gegeben hast? Idiot!«
»Dazu war keine Zeit mehr. Er schlich um den Pavillon herum, ausgerechnet als Vera herauskam, und er fragte sie, ob hier nicht ein Makarow wohne. Ich hatte Glück, weil ich noch hinunterging, um die Tür hinter ihr zuzumachen, und da habe ich das Gespräch mitgehört. Was sollte ich denn machen? Ich sagte, Makarow – das sei ich, dann bat ich ihn herein und . . . Verschwinden lassen konnte ich ihn nirgends, ich mußte ihn einfach draußen liegenlassen.«
»Na, wenigstens hat dein Verstand dazu gereicht, ihn nicht verschwinden zu lassen. Wenn den jemand geschickt hat, und höchstwahrscheinlich waren das die Bullen, dann hätten die alles auf den Kopf gestellt, falls er verschwunden gewesen wäre. Doch so, falls wir Glück haben, haken sie es vielleicht als Schlägerei unter Besoffenen ab. Aber ganz egal, Semjon, so etwas hättest du nicht verheimlichen dürfen. Wenn er geschnüffelt hat, dann heißt das, wir haben Spuren hinterlassen, haben irgendwem Grund zur Beunruhigung gegeben. Wir fühlen uns sicher, doch in Wirklichkeit hat uns schon vier Monate lang jemand auf dem Kieker. So sieht’s aus. Du mußt aus der STADT verduften. Und du auch, Chemiker. Ich selber kann nicht weg, weil ich ein Angestellter des Sanatoriums bin, in dem ein Verbrechen verübt wurde. Ich muß hier bleiben, um keinen Verdacht zu erregen.«
»Und was soll ich machen?« meldete sich Damir zu Wort. »Ich habe eine ganze Woche gebucht und allen erklärt, ich hätte hier genau eine Woche zu tun. Da kann ich doch nicht nach drei Tagen wieder fahren!«
»Was dich angeht, bin ich noch unentschlossen. Heute abend gebe ich dir Bescheid. Und jetzt Abflug.«
Kotik wartete, bis alle gegangen waren, dann setzte er sich zusammengekauert aufs Bett und zerriß gedankenversunken das Blatt Papier, auf dem sorgfältig in Spalten Preference-Punkte eingetragen waren für den Fall, daß jemand hereingekommen wäre. Dann fischte er aus der Brusttasche seiner grellfarbigen weiten Jacke ein Handy.
»Ich muß was besprechen«, sagte er.
»Nicht jetzt. Später«, kam die Antwort.
* * *
Der fünfundzwanzigjährige Alexander Kasakow, mit Spitznamen Chemiker, hatte keine Lust, die STADT zu verlassen. Er befürchtete, Vera könnte ihn suchen, und wer wußte schon, was das für Folgen haben könnte. Das mit dem Mord konnte er ihr schließlich nicht sagen.
Er hatte Vera vor einem Jahr kennengelernt, als er für ein Praktikum an ihre Schule kam, um Chemie und Biologie zu unterrichten. Zuerst war sie ihm gar nicht besonders aufgefallen, geschweige denn hatte er geahnt, welch heißes Interesse am ›erwachsenen‹ Leben sich hinter diesem unschuldigen Engelsgesicht verbarg. Noch bevor es Alexander bewußt wurde, waren die Nachhilfestunden in Chemie nach dem Unterricht zur täglichen Gewohnheit geworden, die Röcke – immer kürzer, der Duft des Parfums – immer betörender. Vera hatte sich als zielstrebiges Mädchen erwiesen, und, nachdem sie sich in Alexander verliebt hatte, die Sache auch knallhart durchgezogen, ohne sich zu scheuen, aufdringlich zu sein oder unzüchtig zu wirken. Kasakow hatte sie einige Wochen beobachtet, ihre äußeren Werte schätzen gelernt, ihre scharfe und unorthodoxe Auffassungsgabe, ihre Bereitschaft zu sexueller Freizügigkeit, und dann hatte er Vabanque gespielt.
»Vera«, hatte er mit leidendem Tonfall gemeint und traurige Augen gemacht, »ich liebe dich. Aber die Welt, in der wir leben, wird uns nicht verstehen. Du bist erst dreizehn, und ich vierundzwanzig. Wenn sie uns erwischen, schicken sie mich ins Gefängnis. Verstehst du das?«
»Blödsinn«, hatte das zauberhafte Geschöpf leichtsinnig erklärt, »ich bin schon lange kein kleines Mädchen mehr. Wir haben schon in der fünften Klasse ›Arztspiele‹ gemacht.«
Damit hatte der Chemiker freie Hand gehabt. Für die Aufnahmen Kategorie ›C‹ immer dasselbe Mädchen parat zu haben, war weitaus ungefährlicher, als jedesmal eine neue aufzutreiben. Unter die Kategorie ›A‹ fielen erwachsene Frauen, bei weitem nicht alle von ihnen waren Prostituierte, aber sie hielten alle den Mund. Mit den Nymphchen war es immer komplizierter und gefährlicher. Vera stellte sich für Kasakow als Glückstreffer heraus, besonders seit er ihr das Märchen von der Flucht ins Ausland aufgetischt hatte, wofür man Geld beschaffen müsse. Er hatte es gar nicht fassen können, wie ein so kluges Mädchen einen derartigen Blödsinn glauben konnte. Eine Zeitlang hatte er sogar geargwöhnt, sie stelle sich nur so gutgläubig. Doch eines Abends, als er und Vera sich bei ihm zu Hause die Zeit vertrieben, hatten sich seine Zweifel endgültig zerstreut.
»Nächstes Mal könnten wir zu uns auf die Datscha fahren, allerdings bin ich da nicht so gern«, hatte Vera an jenem Abend gesagt. »Seit Lilja weg ist, werde ich dort immer traurig.«
»Lilja, wer ist das?« hatte der Chemiker gefragt und es sich auf dem Kissen bequemer gemacht.
»Lilja ist Großvaters Geliebte. Vierzig Jahre jünger als er. Ach, wie hat Großvater sie geliebt!« Sie hatte neidisch geseufzt. »Mehrere Male pro Jahr hat er sie ins Ausland mitgenommen, mal in einen schicken Kurort, mal irgendwelche Museen anschauen. Irgendwie ist ihr wohl herausgerutscht, daß sie immer schon mal einen echten englischen Park sehen wollte, und da ist er mit ihr extra nach England gefahren. Lilja war so fröhlich und so gut. Großvater hat ihr eine Wohnung gekauft, aber auf der Datscha gefiel es ihr viel besser. Tagelang konnte sie vorm Haus sitzen und auf die Bäume schauen. Dann hat Großvater sie mit irgendeinem Ausländer verheiratet, und mit dem ist sie nach Wien gegangen. Vor ihrer Abreise bat sie mich, mit ihr noch mal auf die Datscha zu fahren, sie lief durch den Garten, streichelte jeden Baum. Und heulte fürchterlich. Sie meinte, die Zeit mit meinem Großvater sei die schönste in ihrem ganzen Leben gewesen. Immer wenn ich jetzt auf die Datscha komme, muß ich daran denken, wie sie geweint hat, deshalb werde ich dort immer traurig.«
»Und warum hat dein Großvater sie nicht selber geheiratet?«
»Du hast Nerven!« Vera war vom Kissen hochgefahren und hatte den Chemiker empört angestarrt. »Und Großmutter? Er hat nicht vor, sich von ihr scheiden zu lassen.«
Sie stammt nicht einfach nur aus einer wohlhabenden Familie, hatte der Chemiker damals gedacht. Diese Familie ist so reich, daß sie bereits einen anderen Blick auf das Leben hat. Für die ist eine Reise nach Rom oder Paris das gleiche, wie für mich eine Reise nach Charkow oder Omsk. Nicht verwunderlich, daß sie mir glaubt. Ins Ausland zu fahren ist nur ein Klacks – stell sich das einer vor. Würde mich wirklich interessieren, wer ihr Großvater ist?
Aber Vera auszufragen, das hatte der Chemiker nicht gewagt, um seine Freundin nicht argwöhnisch zu machen. Er brachte es über Umwege heraus. Als er es erfuhr, erschrak er. Doch um alles rückgängig zu machen, dazu war es zu spät gewesen. Vera Denissowa hatte bereits in fünf oder sechs Filmen mitgemacht, sie kannte Semjon und Damir vom Sehen, und sogar die Adresse des Pavillons kannte sie. Man konnte nur noch hoffen, daß alles glücklich ausging. Aber damit es auch wirklich gut ausging, mußte man das Mädchen ganz besonders in ihrem Glauben stärken, daß er, Alexander Kasakow, ganz verrückt nach ihr sei und ohne seine Vera nicht mehr leben könne. Und Alexander gab sich wirklich Mühe. Er tat, was er konnte. Wie konnte er da abhauen? Dann glaubte sie ja womöglich noch, er hätte sie verlassen.
* * *
Am siebten Tag ihres Aufenthalts in der ›Doline‹ änderte sich für Nastja alles. Am Abend zuvor hatte sie sich früh hingelegt in der Hoffnung, einmal richtig ausschlafen zu können, und war dann total verblüfft, als es beim Aufwachen noch dunkel war und sie auch gar nicht weiterschlafen konnte. Eigentlich war sie eine richtige Schlafmütze, für die das Aufstehen morgens immer eine Folter bedeutete. Sie kuschelte sich unter ihre Decke, um noch ein wenig zu dösen, doch bald ließ sie das sein und hörte auf, sich etwas vorzumachen. In Gedanken war sie nämlich längst bei der Arbeit.
Sechs Tage lang war es ihr gelungen, sich selbst an der Nase herumzuführen und sich einzureden, daß sie das alles nichts anginge, daß sie nicht im Dienst sei, sondern auf Kur und im Urlaub. Sechs Tage lang hatte sie es geschafft, die Signale ihres Verstandes zu ignorieren. Ganze sechs Tage lang hatte sie die Kripobeamtin in sich verdrängt und zwar so erfolgreich, daß sie bis in die Niederungen unverzeihlicher Weiberambitionen und albernen Gekränktseins gesunken war. Schluß mit der Verstellung, entschied Nastja, ich werde jetzt so sein, wie ich sein will. Und was sie als erstes wollte, das war nachdenken.
Sie kroch aus dem Bett und ging unter die Dusche. Wie immer vor der Arbeit stellte sie sich einige Denksportaufgaben, um ihr Gehirn in Gang zu bringen. Heute nahm sie sich die Regeln zur Frage nach dem direkten Objekt der finno-ugrischen Sprachgruppe vor. Nachdem sie die Aufgabe gelöst und gleichzeitig die Temperatur des Wassers bis auf eine kaum mehr zu ertragende Eiseskälte heruntergedreht hatte, spürte sie wieder die vertraute freudige Erregung. Das Frühstück beschloß sie ausfallen zu lassen, sie kochte sich einen Kaffee und machte sich an die Arbeit.
Gegen elf Uhr vormittags ging sie in die Halle hinunter und kaufte sich alle Zeitungen, die es gab, bis hin zu den alten Anzeigenblättern von vor einem Monat. Sie klemmte den dicken Packen Zeitungen unter den Arm, verließ das Gebäude und wanderte ungefähr eine Stunde lang im Park umher, wobei sie ihre gewohnte Tour ein wenig abänderte. Für eine Weile setzte sie sich auf eine Bank, vertiefte sich in die Zeitungen, kam wieder zu sich und begann, komplizierte Schnörkel auf einzelne Blätter zu malen.
Bis zum Mittag hatte sie sich ein mehr oder weniger vollständiges Bild gemacht, das zwar noch Lücken aufwies, doch Nastja wußte ungefähr, wie man sie füllen konnte, was man dafür nachprüfen und klären mußte. Die Wut auf den Kripobeamten, der sie gestern vernommen hatte, war verraucht. Ihr war klar, daß man sie als jemanden, der Alferow wahrscheinlich direkt vor seiner Ermordung noch gesehen hatte, bestimmt erneut vernehmen würde. Vielleicht würde es ein anderer Kripobeamter machen, vielleicht auch ein Kommissar. Jedenfalls wäre der nicht so müde und gequält, und so würde es ihr bestimmt gelingen, ihn von all dem in Kenntnis zu setzen, was sie durch Kombinieren herausgefunden hatte.
Es kam tatsächlich ein Kommissar. Man stellte ihm eines der nicht belegten Zimmer zur Verfügung, wohin er der Reihe nach alle Zeugen bestellte. Anastasija Kamenskaja war eine der ersten, mit denen er sprechen wollte. Das schien ihr schon mal ein gutes Zeichen zu sein.
Nastja schwor sich, zurückhaltend zu sein. Sie war schließlich nicht das erste Jahr bei der Kripo und wußte sehr gut, was die örtliche Polizei von angereisten Moskauern hielt. Die Feindseligkeit wurde sorgfältig hinter vorgespielter Freundlichkeit verborgen, doch kaum war so ein Beamter der Moskauer Kripo oder des Ministeriums wieder draußen, ließen sie ihren Gefühlen freien Lauf. Weil sie die örtlichen Gepflogenheiten nicht kannten, machten die Abkommandierten aus der Hauptstadt bei ihrem Vorgehen oft alle sorgsam, mit viel Zeit- und Energieaufwand durchgeführten Ermittlungen zunichte. Man mußte sie in einem Hotel unterbringen, ihnen eine Telefonleitung nach Moskau freischalten, einen Chauffeur beschaffen und sie mit Wodka bewirten, um den guten Gastgeber zu mimen. Doch außer Kopfschmerzen brachten diese Angereisten meist nichts ein. Freilich gab es Ausnahmen. Wenn man ganz ehrlich war, dann gab es sogar mehr Ausnahmen als Regelfälle. Trotzdem ließ das Verhältnis zu den ›Helfern‹ aus Moskau einiges zu wünschen übrig.
Deswegen verordnete sich Nastja größtmögliches Taktgefühl. Nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und ihre Schlußfolgerungen aufdrängen, sondern den passenden Moment abwarten, wenn der Kommissar von sich aus die nötigen Fragen ansprach. Mord war schließlich Mord, dachte Nastja, und es wäre einfach eine Sünde, den Kollegen nicht zu helfen, da sich nun schon mal die Möglichkeit dazu ergab.
Der Kommissar war höflich, sprach sie mit Namen und Vatersnamen an, gestattete ihr freundlicherweise zu rauchen, falls sie es wünsche. Sein hageres Äußeres ließ ihn jugendlich unausgereift aussehen, doch das von Falten durchzogene Gesicht und die spärlichen Haare zeugten deutlich von seinem Alter. Der Anzug war gebügelt, das Hemd frisch, die Krawatte Ton in Ton.
Nastja hatte erwartet, der Kommissar werde die Version von Mord aus Eifersucht verfolgen und damit die gestern eingeschlagene Richtung fortsetzen. Indes begann er ihr Fragen zu stellen, wer wann angereist sei und ob nicht jemand in ihrer Gegenwart oder mit ihrer Hilfe versucht habe, Alferow kennenzulernen. Nastja begriff, daß damit die Möglichkeit eines Auftragsmordes überprüft werden sollte. Golowin hatte ihr gestern gesagt, daß der Ermordete als Fahrer für irgendeine Firma gearbeitet hatte, und zwar als Chauffeur des Generaldirektors. Wahrscheinlich hat sich die hiesige Kripo schon mit Moskau kurzgeschlossen, dachte sie. Warte nur ab bis morgen oder übermorgen, und es kommt sicher einer von Knüppelchens Leuten. Nastja bekam gute Laune.
»Anastasija Pawlowna, können Sie mir den Tag nennen, an dem Alferow im Sanatorium auftauchte?«
»Nein, kann ich nicht. Ich habe ihn erst bemerkt, als er mich im Park ansprach. Ist denn der Ankunftstag nicht in seiner Buchung vermerkt und im Anmeldungsbuch?«
Der Kommissar ignorierte ihre Frage völlig, als hätte er sie gar nicht gehört.
»Und Dobrynin haben Sie vor Alferow kennengelernt oder nach ihm?«
»Nach ihm. Einen Tag später.«
»Hat er Sie nicht gebeten, ihn mit Alferow bekannt zu machen?«
»Wozu?« Nastja war erstaunt. »Sie wohnten doch zusammen in einem Zimmer.«
Wieder reagierte der Kommissar nicht, sondern stellte gleich die nächste Frage.
»Wer von beiden, Alferow oder Dobrynin, hat Ihnen erzählt, daß sie gemeinsam ein Zimmer belegen?«
»Dobrynin. Sie saßen übrigens auch im Speisesaal zusammen.«
»Wieso ›übrigens‹?« fragte der Kommissar müde.
»Weil das bedeutet, daß sie auch gemeinsam angereist sind. Fragen Sie die Frau aus der Diätküche, sie wird es Ihnen erklären.« Nastja war schon kurz davor, ärgerlich zu werden, doch sie konnte sich noch rechtzeitig stoppen. Geduld, sagte sie zu sich selbst.
»Wer hat sich noch an Sie herangemacht während Ihres Aufenthalts im Sanatorium?«
»Damir Lutfirachmanowitsch Ismailow, aus Nowosibirsk, belegt eine ›Deluxe‹-Suite im ersten Stock.«
»Er hat Sie auch nicht gebeten, ihn mit Alferow bekannt zu machen?«
»Nein.«
»Er hat Ihnen keinerlei Fragen gestellt über ihn oder Dobrynin?«
»Nein.«
»Ist er vor Alferow aufgetaucht oder nach ihm?«
»Ich weiß nicht, seit wann Alferow hier war, und ich weiß nicht, wann Ismailow in der STADT angekommen ist, aber nicht nach dem zweiundzwanzigsten Oktober, einem Freitag. Vielleicht früher, aber keinesfalls später, das steht fest. Hat Ihnen Ismailow denn nicht selbst gesagt, wann er angekommen ist?«
»Anastasija Pawlowna, es ist jetzt nicht das erste Mal, daß Sie mir eine Frage stellen. Ich möchte nicht unhöflich sein, darum habe ich zuerst versucht, Ihnen andeutungsweise zu verstehen zu geben, wie unangebracht Ihr Verhalten ist. Wenn Sie Andeutungen nicht verstehen, sehe ich mich gezwungen Sie daran zu erinnern, daß Sie die Zeugin sind, die keine Fragen zu stellen, sondern zu beantworten hat. Wenn Sie entschuldigen.«
Geduld, sagte sich Nastja und biß die Zähne zusammen. Geduld. Arbeit ist Arbeit.
»Sie erwähnten, daß bei der Wette drei mitgemacht hätten. Ist Ihnen bekannt, wer der Dritte war?«
»Er hat sich mir nicht vorgestellt. Dobrynin behauptete, er hieße Shenja und arbeite im Sanatorium als Elektriker. Alferow hat dem nicht widersprochen. Allerdings . . .«
»Sekunde«, unterbrach sie der Kommissar, »wollen Sie damit sagen, Sie hätten nicht einmal gefragt, wie er heißt, als Sie diesen Shenja kennenlernten? Können Sie mir das erklären?«
»Ich kann das nur damit erklären, daß ich nie die leiseste Absicht hatte, ihn kennenzulernen. Er hat zweimal versucht, mich anzusprechen, und zweimal habe ich seinen Versuch unterbunden. Genau deshalb habe ich auch nicht nach seinem Namen gefragt, um ihm nicht die Illusion zu geben, ich wolle die Unterhaltung fortsetzen und eine Bekanntschaft anknüpfen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
»Anastasija Pawlowna, ich rate Ihnen, nicht unverschämt zu werden. Der Umstand, daß Sie eine Mitarbeiterin des GUWD in Moskau sind, macht Sie noch nicht zu einer Spezialistin für Verbrechensaufklärung. Wenn es Ihnen so vorkommt, als wüßten Sie besser als ich, welche Fragen für die Aufklärung eines Mordes zu stellen sind, dann erlaube ich mir, Ihnen zu versichern, daß Sie sich täuschen. Ich versehe meine Tätigkeit seit vielen Jahren, und glauben Sie mir, ich habe einige Erfahrung, und die genügt völlig, um die Aufklärungsrate bei Mordfällen auf einem Niveau von sechsundneunzig Prozent zu halten. In Moskau, wo Sie zu arbeiten belieben, liegt die Aufklärungsrate ähnlich schwerer Verbrechen um einiges niedriger. Hab’ ich recht? Darum wollen wir uns besser an die Spielregeln halten: Ich werde die Fragen stellen, die ich für nötig halte, und erwarte von Ihnen wahrheitsgemäße Antworten. Sie Ihrerseits werden nur auf diese Fragen antworten und sonst nichts. Emotionen bleiben draußen, erst recht die negativen. Lassen Sie uns also weitermachen. Hat Shenja nach dem ersten Mal noch einmal versucht, Ihre Bekanntschaft zu machen?«
»Nein. Er hat mich danach nicht weiter belästigt.«
Natürlich hat er. Zuerst hat er mir diesen Tölpel von Alferow geschickt, wobei er ihm verheimlicht hat, daß er selbst schon eine Niederlage eingesteckt hatte. Kolja konnte man das nicht vorher sagen, sonst hätte er von Anfang an nicht mitgemacht. Danach hat er diesen unglaublichen Pawel Dobry-nin auf mich losgelassen. Da ich nicht im entferntesten eine Marylin Monroe bin, mußte er für Pawel einen Anreiz schaffen. Eben deshalb hat sich der geniale Shenja den Trick mit dem erhöhten Einsatz ausgedacht. Er war sich sicher, daß bei Alferow nichts herauskommt, und dann würde sich der Einsatz auf mich so erhöhen, daß es für Dobrynin interessant war. Und damit Pawel den Köder ganz schluckt und sich mit Enthusiasmus daran macht, eine graue Maus wie mich anzubaggern, hat Shenja ihm nun wiederum gesagt, er selbst sei bereits abgeblitzt. Shenja ist jung, sieht nicht übel aus, gegen den anzutreten ist keine Schande. Außerdem ist er, wie sich gezeigt hat, schlau und berechnend. Aber Sie, verehrter Herr Kommissar, wollen meine Kommentare ja nicht hören. Sie haben gefragt – ich habe geantwortet.
»Sagen Sie, Anastasija Pawlowna, wie erklärt sich der Umstand, daß Sie nacheinander Shenja Schachnowitsch, Kolja Alferow und Pawel Dobrynin abweisen und dann plötzlich selbst abends auf Alferow zugehen und auf eigene Initiative ein Gespräch mit ihm anfangen?«
»Er schien mir ein offener und aufrichtiger Mensch zu sein. Mag er auch bei der ersten Begegnung den Eindruck eines geistig Beschränkten hinterlassen haben, so hat sich dafür später im Gespräch mit Dobrynin eine Erklärung gefunden und ein bestimmtes Licht auf Koljas Charakter geworfen. Darum fand ich nichts dabei, während eines Spaziergangs ein paar Minuten mit ihm zu plaudern.«
Als ich Kolja auf der Bank im Park sah, wurde mir innerlich ganz kalt, und ich bin es gewohnt, auf meinen Körper zu hören. Wenn er sagt: Achtung! – dann muß ich ihm folgen. Leider habe ich während der letzten Woche diese Regel mehrmals nicht befolgt. Ich habe mich mit ihm unterhalten und dabei versucht, diesen Punkt wiederzufinden, bei dem mein Gehirn immer ein Warnsignal aussendet. Und ich fand ihn, als sich herausstellte, daß Schachnowitsch ihm das verheimlicht hatte, was er Dobrynin nicht verheimlicht hat. In jenem Moment wußte ich genau, daß Schachnowitsch aus irgendeinem Grund Zugang zu mir suchte, und ich bin auf mein Zimmer gerannt, um darüber nachzudenken. Leider kam mir Damir in die Quere. Aber auch das werde ich Ihnen nicht erzählen, denn Sie haben mich ja gewarnt, ich sei eine dumme Gans, und meine Gedankengänge seien nicht würdig, Ihr Gehör zu finden.
»Wie lange haben Sie sich im Park mit Alferow unterhalten?«
»Ungefähr zehn Minuten.«
»Sie grenzen die Zeit so genau ein, haben Sie auf die Uhr gesehen?«
»Ich habe eine Zigarette geraucht. Das dauert ungefähr zehn Minuten.«
»Was war dann?«
»Dann bin ich aufgestanden und durch die Allee in Richtung Wohntrakt gelaufen, ich wollte zurück auf mein Zimmer.«
»Sind Sie unterwegs jemandem begegnet?«
»Ja, Ismailow. Er rief nach mir, ich bin zu ihm hin, und gemeinsam sind wir zurück ins Haus.«
»Außer Ismailow haben Sie niemanden gesehen?«
»Nein.«
»Als Sie ins Gebäude kamen, haben Sie da jemanden in der Halle bemerkt?«
»Selbstverständlich. Es saß jemand an der Rezeption, einige andere unterhielten sich in der Ecke, wo die Sessel stehen.«
»Können Sie mir sagen, wer?«
»Nein, ich kenne sie nicht.«
»Würden Sie sie eventuell wiedererkennen?«
»Nein. Ich habe nicht genauer hingesehen. Außerdem standen sie ziemlich weit weg.«
»Als Sie zurück im Gebäude waren, sind Sie dann auf Ihr Zimmer gegangen?«
»Nein.«
»Wohin gingen Sie?«
»Auf das Zimmer von Ismailow.«
»Warum?«
»Darum.«
Ein ungutes Schweigen hing in der Luft. Endlich begann der Kommissar zu lächeln.
»Anastasija Pawlowna, wie soll ich Ihre Antwort verstehen? Als Information oder als Frechheit?«
»Als Information. Nehmen Sie einfach an, ich hätte einen sehr beschränkten Wortschatz.«
»Na gut, nehmen wir an, Sie sind mit zu Ismailow zu einer intimen Begegnung, über die Sie nicht sprechen möchten. Wie lange blieben Sie auf seinem Zimmer?«
»Ziemlich lange. Während dieser Zeit konnte ich fast die Hälfte eines abendfüllenden Kinofilms sehen, einen Kaffee trinken und sogar eine Unterhaltung mit Ismailow führen. Alles in allem rund zwei Stunden.«
»War Ismailow die ganze Zeit im Raum?«
»Ja.«
»Er ist nirgendwohin verschwunden?«
»Nein.«
»Sind Sie absolut sicher?«
»Ja.«
»Sind Sie sich darüber im klaren, daß Ihre Aussage die einzige Bestätigung eines Alibis Ismailows für die Tatzeit ist? Ungenauigkeiten bei Ihren Angaben könnten unangenehmste Folgen haben.«
Sie brauchen mir keine angst zu machen, auch nicht auf so intelligente Art und Weise. Es hätte Ihnen auffallen müssen, daß sich alle meine Aussagen durch außergewöhnliche Genauigkeit auszeichnen. Mit diesem primitiven Mittel versuche ich Sie davon zu überzeugen, daß ich sehr wohl weiß, was Sie da tun, und daß auch ich das eine oder andere von Verbrechensaufklärung verstehe. Erst recht bei Mord, nicht umsonst arbeite ich in der Abteilung für schwere Gewaltverbrechen.
»Das ist mir vollkommen bewußt. Ich habe nicht die Absicht, Ismailow zu decken. Ich sage nur, was der Wahrheit entspricht.«
»Ja, aber wieso, Anastasija Pawlowna? Wenn Sie auf das Werben eines Mannes eingehen und nachts mit auf sein Zimmer gehen, zu einer intimen Begegnung, dann dürfte bei Ihnen völlig natürlicherweise der Wunsch aufkommen, ihn vor Unannehmlichkeiten zu schützen. Wieso also kommt bei Ihnen dieser Wunsch nicht auf?«
»Weil ich ein Mensch mit normalem Intellekt und gesunder Psyche bin. Noch bin ich in der Lage, die Annehmlichkeiten eines Flirts nicht mit meinem Verständnis von Bürgerpflicht durcheinanderzubringen, das mich dazu anhält, offenkundige Falschaussagen zu unterlassen.«
In Wirklichkeit bin ich gar nicht mit zu ihm aufs Zimmer wegen einer, wie Sie es ausdrücken, intimen Begegnung. Es war für uns beide ein Spiel, das wir spielten, Damir aus Notwendigkeit und ich – aus Interesse. Er spielte mir Gefühl vor, weil er mich aus irgendeinem Grunde brauchte, und ich tat, als glaubte ich ihm, weil mich interessierte, wozu er das alles anstellt. Und jetzt interessiert es mich ganz besonders, weil er mich plötzlich so gar nicht mehr braucht. Wie schade, daß Sie darüber nicht mit mir reden möchten.
Präzise und gewissenhaft beantwortete Nastja die Fragen des Kommissars und führte innerlich ein ausführliches Gespräch mit ihm. Sie hatte sich so intensiv auf diese Unterhaltung vorbereitet, daß sie sich nicht damit abfinden wollte, daß der Kommissar sie auf Distanz hielt. Dann eben nicht laut, dann eben nur für sich, aber was sie zu sagen hatte, das würde sie auch sagen.
»Als Sie von Ismailow zurück auf Ihr Zimmer gingen, sind Sie da an Zimmer Nummer 240 vorbeigekommen?«
»Ich weiß nicht, wo Zimmer 240 liegt. Wenn es in demselben Flügel liegt wie die ›Deluxe‹-Suite, dann bin ich daran vorbeigekommen. Wenn es in einem anderen Flügel liegt, dann nicht.«
»Haben Sie denn nicht auf die Nummern an den Zimmern geachtet, während Sie durch den Flur gingen?«
»Nein. Außerdem war es im Flur dunkel.«
»Hat Ismailow Sie begleitet?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Es bestand keine Notwendigkeit. Ich habe keine Angst im Dunkeln und verirre mich auch nicht gleich wegen drei Tannen.«
Angesichts dessen, was mir Damir tagsüber gesagt hat, kam es mir doch seltsam vor, daß er mich nicht begleitet hat. Heißt das, am Abend zuvor und sogar am nächsten Vormittag hätte noch irgendeine Gefahr existiert, und Damirs Nähe hatte ausgereicht, um sie zu verhindern? Aber auch an dem Abend war die Gefahr anfangs noch da, nicht umsonst hat er im Park nach mir gesucht. Dann hatte sie sich plötzlich in Luft aufgelöst, als wäre nichts gewesen, und Damir hielt es selbst um zwei Uhr nachts nicht mehr für nötig, mich vom ersten Stock bis hinauf in den fünften zu begleiten.
»Vielen Dank, Anastasija Pawlowna. Ich bin sicher, es war nicht unser letztes Gespräch, ich werde Sie noch einmal vernehmen müssen.«
»Entschuldigung, darf ich dennoch eine einzige Frage stellen?«
»Bitte sehr. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, daß ich sie beantworten werde.«
Geduld, meine Liebe, Geduld, es fehlt nur noch ein bißchen, dann klärt sich alles und bekommt seine rechte Ordnung.
»Haben Sie in den Taschen der Oberbekleidung von Alferow oder in seinem Zimmer vielleicht eine Zigarettenschachtel Marke ›Askor‹ gefunden? Eine schwarze Hardbox mit goldener Schrift.«
»Nein. Haben Sie noch weitere Fragen, Anastasija Pawlowna? Dann bedanke ich mich noch einmal, auf Wiedersehen.«
Nastja wußte nicht mehr, wie sie in ihr Zimmer zurückgekommen war. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Na gut, er war ein Flegel, der es für unter seiner Würde hielt, mit einer Frau berufliche Fragen zu besprechen. Aber schließlich war er doch kein Dummkopf! Warum bloß hatte er nicht auf ihre letzte Frage reagiert? Er hätte es müssen, er wäre einfach verpflichtet gewesen zu fragen, was mit der Schachtel sei, warum sie sich bei Alferow finden sollte. Dann hätte sie ihm erklärt, daß sie die Schachtel auf der Parkbank vergessen hatte. Falls Kolja sie nicht gefunden hatte, war das eine Sache. Doch falls er sie in der Hand gehabt oder eingesteckt hatte, dann hätte man sie auch bei ihm finden müssen. Hatte man? Nein. Wo war sie dann? Herausgefallen, als man ihn ermordete? Das bedeutete, er war nicht auf seinem Zimmer ermordet worden. Welche Überlegungen und Folgerungen sich daran anschließen mußten, war ihr völlig klar. Aber vollkommen unverständlich war ihr, wieso dies nicht auch für den Kommissar klar war, der sie vernommen hatte.
Sie verriegelte die Tür von innen und fing an, sich ganz langsam einen Kaffee zu machen. Ihre Hände zitterten, die Finger waren wie taub und wollten kaum gehorchen, ihre Beine fühlten sich an wie fremd. Vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte, als ob ein ganzer Schwarm Fliegen im Zimmer hin und her schwirrte. Innerlich, ganz tief drinnen, breitete sich nach und nach eine tödliche Kälte aus, die sogar Finger und Zehen erstarren ließ, wie ihr schien. Die Freude an der Arbeit war dahin. Dafür war das Gekränktsein wieder da und hatte Überdruß und Schwermut mit sich gebracht.
* * *
Die Menschheit teilt sich in MÄNNER und FRAUEN. Diese banale Wahrheit hatte sich, statt einfach nur die biologische Tatsache festzuhalten, in ein Gesetz verwandelt, in eine Anleitung zum Handeln, an der sich die Menschheit orientierte, um ihr wackliges Verhaltensgerüst aufzubauen. Beim Voranschreiten dieses ›Baus‹ war die Regel erweitert worden. So waren neben den Grundkategorien MANN und FRAU die ergänzenden, sozusagen fakultativen Kategorien FRAUÄHNLICHE MÄNNER und MANNÄHNLICHE FRAUEN aufgetaucht. Diese fakultativen Kategorien wurden aber für Unfug gehalten, der einen Eintrag im ROTEN BUCH verdient.
Sich an die Grundkategorien haltend, begann die weise Menschheit, sich verschiedene Schwierigkeitsgrade des Spiels auszudenken: speziell für Männer, speziell für Frauen, speziell für gemischte Mannschaften. Und vor lauter Begeisterung über den voranschreitenden Prozeß der sozio-sexuellen Aufteilung merkte sie nicht, wie die Grenzen, welche anfangs gar nicht real, sondern mehr rituell und Teil eines Spiels waren, sich plötzlich von spielerischen in mehr als ernste Grenzen aus Stahlbeton verwandelt hatten, die weder der fortschrittlichste Verstand noch die allerbeste Waffe mehr zu durchbrechen vermochte.
Eine Näherin muß immer eine Frau sein. Um die Aufklärung von Verbrechen muß sich ein Mann kümmern. Schluß, aus, basta. Interessant ist, daß ein Mann durchaus Schneider oder Modeschöpfer sein kann. Yves Saint-Laurent, Wjatscheslaw Sajzew sowie der berühmte Haarstylist Vidal Sassoon sind ein Beispiel dafür. Und nicht weniger interessant ist, daß eine Frau sich mit Verbrechensbekämpfung beschäftigen kann.
Zwar gibt es fast mehr weibliche Polizeibeamte als männliche. Aber die Kriminalpolizei ist Männerdomäne, da hat ein dummes Weib nichts zu suchen. Denn was versteht man denn traditionell unter der Arbeit der Kripo? Fahndung unter persönlichem Einsatz, Hinterhalt, Verfolgungsjagden, Schußwechsel, Verhaftungen und ähnliches Schellengerassel, mit dem sich eine Bubenromantik Befriedigung verschafft. Mit solchem Schellengerassel locken auch literarische und journalistische Ergüsse sowie Balladen und Märchenerzählungen. Niemand spricht gern aus, daß die Aufdeckung von Verbrechen Kopfarbeit ist, die nicht viel Aufhebens von sich macht. Daß man, bevor man hinausgeht, um die Wundertricks der persönlichen Fahndung aus der Kiste zu lassen, erst mal stundenlang am Schreibtisch sitzen und konzentriert alle Orte und Adressen durchgehen muß, Biographien, Spitznamen, äußere Kennzeichen, besondere Rede- und Verhaltensweisen, und erst danach losgehen kann, ohne zu wissen wohin, und suchen, ohne zu wissen, wen. Daß man, bevor man in drei Autos mit Blaulicht losrast, um den bewaffneten Banditen mittels Revolver und aufgepumpten Muskeln zu schnappen, erst einmal mühselig und zeitraubend Informationen sammeln muß, um alle Bewegungen des Banditen nachzeichnen und in einer Art Synopse seinen morgigen Aufenthaltsort Vorhersagen zu können.
Ich finde es höchst aufschlußreich festzustellen, daß Menschen gern spielen. Das Leben jedoch enthält sich solcher Albernheiten und verläuft nach eigenen Regeln. Und zu diesen Regeln, denen das Leben folgt, gehört auch die Kriminalität. Deshalb ist es zwingend erforderlich, sich nicht von seinem kindischen Spieltrieb leiten zu lassen, sondern den normalen Gesetzen der Realität zu folgen. Und wenn es für die Verbrechensaufklärung notwendig ist, Informationen zu analysieren, sie zu sortieren und zu kombinieren, sie zu überprüfen und zu systematisieren, dann sollten wir das auch tun. Und nicht die analytische Arbeit auf denselben Haufen werfen wie alle anderen Tätigkeiten der Kriminalpolizei. Jeder sollte sich auf das konzentrieren, was er am besten kann, und nicht darauf, was ihm die GROSSE REGEL vorschreibt. Es darf dabei keinen Unterschied machen, mit welchem Buchstaben dein Geschlecht anfängt, mit ›m‹ oder mit ›w‹.
Viktor Alexe jewitsch Gordejew hatte schon vor langer Zeit eingesehen, daß die Gesetze des Lebens und die Regeln eines Spiels unvereinbar sind, und wo es die Umstände erlaubten, hatte er begonnen, seine neue Erkenntnis umzusetzen. Mittlerweile war er schon recht weit gekommen. Er hatte in seine Abteilung Leute geholt, von denen jeder einzelne irgend etwas sehr gut konnte. Wolodja Larzew, zum Beispiel, war ein hervorragender Psychologe und konnte Ratschläge geben, wie sie mit diesem oder jenem reden sollten, um aus ihm das Gewünschte herauszubekommen. Der immer zu Scherzen aufgelegte Kolja Selujanow kannte Moskau wie seine Westentasche, samt aller Hinterhöfe, versteckter Winkel und Sackgassen, und es gab keinen Besseren im Ausarbeiten von Routen, zu Fuß wie mit dem Auto. Der junge Mischa Dozenko mit den schwarzen Augen war unersetzlich in der Arbeit mit Augenzeugen, er ging so geduldig und akribisch mit den Aussagen um, daß er noch die kleinste Kleinigkeit herauskitzelte, die einer gesehen, gehört oder sich gemerkt hatte. Und Nastja Kamenskaja war die Analytikerin. Wenn man ihr gegenüber zu Anfang auch mehr als skeptisch war – denn alle außer Knüppelchen hatten noch lange an den althergebrachten Spielregeln festgehalten – so war Nastja inzwischen von allen nicht nur geliebt und geschätzt, man ließ jetzt überhaupt nichts mehr auf sie kommen.
Hier aber war Nastja auf fremdem Terrain, wo man das alte Spiel nach den üblichen Regeln spielte: Eine Frau war kein Mensch, und bei der Kripo hatte sie schon gar nichts zu suchen. Niemals und unter gar keinen Umständen konnte eine Frau klüger sein als ein Mann, deshalb würde sie den geistigen Teil der Kripoarbeit niemals besser machen als der Herr Kriminalkommissar, von der physischen Arbeit ganz zu schweigen. Die Menschheit, darunter auch einzelne Vertreter der Gattung Kriminalbeamter, hatte längst erkannt, wie unsinnig die vor Urzeiten ausgedachten Spielregeln waren, doch selber die einst aufgerichteten Schranken zu durchbrechen, dazu fehlte ihnen bisher die moralische Kraft.
Was sollte Nastja Kamenskaja machen, wenn sie bereits zweimal von den Repräsentanten des fremden Terrains zurückgewiesen worden war, erst von dem Kripobeamten Andrej Golowin, dann von dem Kommissar (er hatte seinen Namen genannt, doch so undeutlich, daß Nastja ihn nicht genau verstanden hatte)? Konnte sie vielleicht zu einem der beiden sagen: Hör mal, überprüf das doch . . . weißt du was, mach mal. . . hör auf mich, ich meine es ernst. . . Nein, solche Töne konnte sich nur der erlauben, der mit der hiesigen Polizei alle möglichen und unmöglichen Spiele schon mal durchgespielt hatte, die nicht ganz legalen inbegriffen. Doch wenn du eine Frau warst, die noch dazu Anspruch anmeldete auf eine seit altersher von Männern ausgeführte Arbeit und die dann auch noch versuchte, den Männern Ratschläge zu erteilen, wie man diese Arbeit besser machen könnte, dann, meine Liebe, standen deine Chancen minus null Komma acht. Wovon sich Nastja nicht erst in diesem Moment hatte überzeugen können. Von Anfang an war sie in der STADT nicht ganz ernst genommen worden, man hatte keinen Hehl aus der allgemeinen Auffassung gemacht, daß eine Frau bei der Kripo ein Ding der Unmöglichkeit sei. Und als der Mord passiert war, und Nastja offen ihre Dienste angeboten hatte, war ihr sehr deutlich zu verstehen gegeben worden, daß eine Frau wissen sollte, wo sie hingehört.
Nastja hatte sich große Mühe gegeben, das alles zu überhören. Sie wollte wirklich behilflich sein und war dafür sogar bereit, gegen ihr eigenes Ehrgefühl zu arbeiten. Doch schließlich hatte alles seine Grenzen. Auch die Kaltblütigkeit, auch die besonnene Vernunft. Die erste Welle des Zorns hatte sie überstanden, sie hatte es sogar fertiggebracht, auf dem Wellenkamm reitend, ein Stück voranzukommen, doch jetzt war die zweite Welle über sie hereingebrochen, und Nastja schluckte Wasser.
* * *
Es klopfte schon zum zweiten Mal an der Tür. Das erste Mal, vor etwa einer Stunde, war sie auf dem Bett liegengeblieben und hatte nicht reagiert. Jetzt saß sie an ihrer Übersetzung, das Klappern der Schreibmaschine war weithin hörbar, und es gab keine andere Möglichkeit, als zu öffnen.
»Anastasija, was geht hier vor? Zeigen Sie mir Ihren Kurpaß«, forderte der behandelnde Arzt Michail Petrowitsch sie auf. »Das habe ich mir gedacht. Sie haben schon seit zwei Tagen keine Behandlungen mehr bekommen und machen keine Übungen im Schwimmbad. Fühlen Sie sich nicht wohl? Warum gehen Sie nicht in den Speisesaal?«
»Ich. . . Ich fühle mich nicht ganz gesund«, murmelte Nastja unsicher.
»Warum kommen Sie dann nicht zu mir? Hier ist ein Sanatorium und kein Zeltlager, ich bitte das zu berücksichtigen. Bei den geringsten Gesundheitsproblemen gehen Sie sofort zum Arzt. Verstanden?«
»Verstanden. Es geht mir schon wieder besser. Ab morgen gehe ich wieder in den Speisesaal und zu den Behandlungen. Ehrenwort, Michail Petrowitsch.«
»Das will ich hoffen. Aber ich möchte wissen, worin Ihr Unwohlsein besteht. Haben Sie keinen Appetit? Habe ich Ihnen vielleicht die falsche Behandlung verschrieben?«
»Wohl kaum. Eine leichte Depression.« Nastja lächelte.
»Hat Sie dieses traurige Ereignis sehr getroffen?«
»Das auch. Achten Sie nicht weiter darauf, Michail Petrowitsch. Eine gewöhnliche Laune. Heute werde ich, mit Ihrer Erlaubnis, noch ein wenig melancholisch sein, aber morgen früh ist alles wieder in Ordnung.«
Der Arzt ging unzufrieden weg, aber gegen Nastjas Sturheit kam er nicht an. Auf das Abendessen hatte sie verzichtet.
Und Damir war immer noch nicht da . . .
Etwa um zehn Uhr abends klopfte es wieder. Vor der Tür stand Regina Arkadjewna.
»Ein Telegramm für Sie, Nastja. Ich bin beim Empfang vorbeigekommen, ich soll es Ihnen geben.«
Die Nachbarin hielt ihr das geöffnete Telegramm hin. Wer ist denn hier so neugierig, schoß es Nastja durch den Kopf, daß er es nicht aushält und das Telegramm öffnen muß? ›Bitte rufe dringend zu hause an küsse papa.‹ Ihr wurde mulmig zumute. Wenn zu Hause etwas Schlimmes passiert war, dann hätte in dem Telegramm nicht das beruhigende Wort ›bitte‹ gestanden. Wenn man ›bitte‹ sagt, dann ist das eine Bitte und kein Befehl, und einer Bitte muß man nicht unbedingt nachkommen. Andererseits: ›dringend‹. Was ist das für eine Dringlichkeit? Sie hatte ihn doch erst gestern angerufen, als sie die Geldüberweisung erhalten hatte.
»Was soll ich tun?« fragte sie verwirrt. »Mein Vater bittet mich dringend, ihn zu Hause anzurufen. Es ist aber schon zu spät, um in die STADT zu gehen, das Fernmeldeamt schließt um einundzwanzig Uhr.«
Regina Arkadjewna nahm Nastja entschlossen an der Hand.
»Gehen wir. In so einem Notfall kann man sicher etwas tun. Vielleicht haben wir Glück, und wir können aus dem Büro des Direktors telefonieren.«
Nastja schleppte sich hinter der Nachbarin her, sie fühlte sich wie ein Lamm, das man zur Opferbank führt. Ihr Stiefvater wollte ihr offenbar etwas von Gordejew ausrichten. Daß ihr Chef nicht versucht hatte, über die örtlichen Polizeiorgane mit ihr Verbindung aufzunehmen, sagte eine Menge. Zum Beispiel, daß er vorfühlen will, ob er eventuell dienstlich mit ihr rechnen kann. Offenbar will er jemanden herschicken und sich erkundigen, wie derjenige sich am besten verhalten soll, je nachdem, für wen die Gäste des Sanatoriums Nastja Kamenskaja halten: für eine Übersetzerin oder eine Mitarbeiterin der Kriminalpolizei.
Vor der Direktion muß es ein Vorzimmer geben, dachte Nastja, und dort könnte eine Telefonanlage mit mehreren Apparaten stehen. Dann ist ein Anruf vom Zimmer des Direktors aus eine unverzeihliche Dummheit. Das Gespräch könnte mitgehört werden. Sollte sie die Sache abblasen? Und unter welchem Vorwand? Du hast ein Telegramm von zu Hause mit der Bitte, dringend anzurufen, man führt dich augenblicklich zum Telefon, und was machst du? Willst du dir unterwegs das Bein brechen? Es gab keinen Ausweg, sie mußte von dem Apparat aus anrufen, der ihr angeboten wurde. Schließlich ist es ja möglich, daß überhaupt nichts passiert, beruhigte sich Nastja. Wem bringt es etwas, meine Gespräche abzuhören? Eine kleine Übersetzerin ruft zu Hause beim geliebten Papachen an. Was ist daran schon Besonderes? Es wird alles gutgehen, es wird alles gutgehen, bestärkte sich Nastja.
Inzwischen waren die beiden Frauen beim Zimmer der diensthabenden Schwester angelangt.
»Olja«, wandte sich Regina mit süßer Stimme an sie, »kannst du uns nicht das Zimmer von Georgij Wassiljewitsch aufschließen? Meine Nachbarin hat ein Telegramm von zu Hause bekommen, sie muß dringend ein Ferngespräch führen.«
Olja nickte schweigend und holte einen Schlüsselbund aus der Tischschublade. Als Nastja das Vorzimmer betrat, warf sie sofort einen Blick auf den Schreibtisch der Sekretärin: Wie erwartet gab es mehrere Telefone. Vielleicht sollte sie von hier aus anrufen? Dann konnte sie wenigstens sicher sein, daß im Zimmer des Direktors niemand mithörte. Aber hier würden ihr Olja und Regina keine Ruhe lassen . . .
Die Krankenschwester hatte inzwischen das Zimmer des Direktors aufgeschlossen und das Licht angemacht. Nastja trat ein und die Krankenschwester schloß diskret die Tür zwischen dem Direktionszimmer und dem Vorzimmer, obwohl sich Nastja nur mit Mühe zurückhalten konnte, um nicht loszuschreien: »Machen Sie die Tür nicht zu, damit ich den Tisch der Sekretärin und die Telefonanlage im Auge behalten kann.«
Es wird gutgehen, es wird nichts passieren, alles wird gutgehen, bestärkte sie sich und wählte die Moskauer Vorwahl und die Nummer ihres Stiefvaters.
»Hallo!« ertönte im Hörer die Stimme von Leonid Petrowitsch, und in dieser Sekunde registrierte Nastjas feines Ohr ein kaum hörbares Klicken, ja nicht einmal ein Klicken, eher ein Surren. Das bedeutete, es war nicht gutgegangen. »Papachen, ich bin’s. Sprich deutlich, du bist sehr schlecht zu verstehen, hier ist irgendein Hintergrundgeräusch. Was ist los?«
»Nastja«, sagte Leonid Petrowitsch mit erhobener Stimme, obwohl er ausgezeichnet zu hören war. Der Hinweis auf ›irgendein Hintergrundgeräusch‹ war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. »Hast du jemandem deine Wohnungsschlüssel gegeben?«
»Margarita Josifowna vom 7. Stock. Ich hab’ dir doch einen Zettel geschrieben, damit du es nicht vergißt.«
»Ich erinnere mich.« Die Stimme des Stiefvaters klang verärgert. »Ich erinnere mich, wie du den Zettel geschrieben und ihn auf den Kühlschrank gelegt hast, aber als ich ihn suchte, fand ich ihn nicht.«
»Wozu brauchst du die Schlüssel?« fragte Nastja mißtrauisch.
»Verstehst du, der Freund von Ljuda Semjonowa kommt auf Dienstreise hierher, Ljuda fragt, ob sie ihn nicht bei dir unterbringen kann. Sie weiß ja, daß du im Sanatorium bist.«
»Warum gerade bei mir?« Nastja bemühte sich, soviel Unzufriedenheit wie möglich in die Stimme zu legen. »Ljuda hat doch Beziehungen zum Hotel, soll sie ihn doch dort einquartieren.«
»Sei nicht so gemein, mein Kind. Sie lieben sich doch, und du weißt ja selbst, welche Vorschriften im Hotel herrschen. Hast du etwa Angst um die Wohnung?«
Nastjas Gedanken drehten sich in ihrem Kopf so schnell, daß sie sie kaum fassen konnte. Das war der entscheidende Moment des Gesprächs. Von ihm würde es abhängen, wie sich Jura Korotkow, der schon seit mehr als einem Jahr ein ernsthaftes Verhältnis mit Ljuda Semjonowa hatte, einer ehemaligen Zeugin in einer Mordsache, nach seiner Ankunft in der STADT verhalten würde. Was sollte sie antworten? Einfach sagen, daß es ihr nichts ausmache, und dabei auch den geheimnisvollen Besucher vergessen, der etwas in ihrem Zimmer gesucht hatte, ganz zu schweigen von den anderen kleinen Vorfällen?
»Ach, diese Ljuda«, sagte sie seufzend in den Hörer, »sie nützt es einfach aus, daß ich sie niemals im Stich lasse. Aber wenn es ihre bessere Hälfte erfährt, habe ich keine Schuld daran. Sie benimmt sich äußerst leichtsinnig, das solltest du wissen. Gut, gib ihr den Schlüssel. Ich habe nur daheim nicht aufgeräumt, ich bin so überstürzt weggefahren, daß vermutlich meine Unterwäsche in der ganzen Wohnung verstreut ist.«
»Was soll’s, das sind ja keine Fremden. In welcher Wohnung wohnt Margarita Josifowna?«
»Siebter Stock, Wohnung dreiundvierzig. Hat Mama für mich angerufen?«
»Nein. Erhol dich gut, meine Liebe. Danke dir. Ich küß dich!«
Nastja legte den Hörer auf und öffnete schnell die Tür zum Vorzimmer. Es war leer, das Licht war aus. Im Gang stand die Krankenschwester und rauchte. Die Zigarette war, wie Nastja feststellte, fast bis zum Filter geraucht, also war sie nicht frisch angezündet. Geruch von Rauch hatte sie im Vorzimmer nicht bemerkt. Wenn jemand das Gespräch abgehört hatte, dann sicher nicht Olja. Aber wer dann?
Nastja wandte sich zum Schreibtisch der Sekretärin, leicht strich sie mit der Hand über die einzelnen Telefonhörer. Keiner war leicht erwärmt, keiner rief den Verdacht hervor, daß er einige Minuten lang gehalten und erst vor zehn Sekunden aufgelegt worden war. Nastja konnte ihren Verdacht nicht überprüfen, deshalb beschloß sie, auf die Ankunft Korotkows zu warten.
* * *
»Die Person, die wir suchen, befindet sich derzeit im Sanatorium ›Doline‹. Alle Spuren weisen darauf hin. Erstens haben sie das Mädchen in das Schwimmbad des Sanatoriums gebracht, daran gibt es keinen Zweifel: die hohen Eisentore, die Wandfliesen, die eine Landschaft vortäuschen. In der STADT gibt es nur vier Schwimmbäder, von denen wiederum nur eines diese Kennzeichen aufweist. Zweitens verliert Schachnowitsch um die Zeit herum, als Swetlana ins Schwimmbad gebracht wird, die Möglichkeit, ganze Etagen zu kontrollieren. Er kann keine Informationen über die Bewohner der Zimmer 344 bis 358, 401 bis 412 und 509 bis 519 sammeln. Früher hatte er damit keine Schwierigkeiten. Das läßt auf organisierte kriminelle Handlungen schließen. Drittens benimmt sich die auf Zimmer 513 wohnende Frau Kamenskaja aus Moskau äußerst auffällig für jemanden, der sich im Sanatorium nur erholen will, gleichzeitig gibt es Gerüchte, daß sie im Innenministerium arbeite. Sie muß von diesen Gerüchten wissen, seltsamerweise tritt sie ihnen nicht entgegen. Es gibt Grund zur Annahme, daß es ihr angenehm ist, sich dahinter zu verstecken, und das macht ihr Verhalten noch verdächtiger. Viertens wurde im Sanatorium ein Mord verübt, in dessen Zusammenhang die Kamenskaja selbst und ihr Geliebter Ismailow verhört werden. Sie waren angeblich die letzten, die den Ermordeten vor seinem Tod gesehen haben.«
»Haben Sie Swetlana und Wlad das Foto von Ismailow gezeigt?«
»Ja. Sie haben ihn niemals gesehen.«
»Eigenartig. Aber insgesamt sieht es so aus, Tolja, als ob du recht hast. Dieser Makarow, dem wir schon so lange auf der Spur sind, hält sich derzeit im Sanatorium auf. Vieles paßt nicht zusammen, es gibt viele Ungereimtheiten, es gibt sogar ausgesprochene Widersprüche, aber das zeigt auch, daß etwas passiert ist. Denn früher hat es das nicht gegeben, oder?«
»Nein, das hat es nicht gegeben, Eduard Petrowitsch.«
»Bitte unseren Freund von der Polizeidirektion hierher, sei so gut.«
Als Starkow gegangen war, kehrte Eduard Petrowitsch Denissow in sein Zimmer zurück und dachte nach. Das Mädchen und der Liliputaner waren ein phantastischer Glücksfall, zumindest wurde klar, daß es eine fremde Organisation auf seinem – Denissows – Terrain gab. Etwas weniger klar war, was sie hier machten. Und völlig unklar war, wer sie waren.
Und wer war Ismailows Geliebte Kamenskaja? Schachnowitsch hatte nichts über sie herauskriegen können. Das machte ihn stutzig. Shenja und unfähig, sich das Vertrauen einer Frau zu erschleichen! Sie hatte offenbar etwas zu verbergen, deshalb war sie so verschlossen. Da mußte man dranbleiben.
Aber in der jetzigen Situation gab es noch einen anderen Aspekt, der nicht weniger kompliziert war. Der Mord in der ›Doline‹ mußte aufgeklärt werden, koste es, was es wolle. Einerseits war es ihm, Denissow, wichtig, mit dieser Bande von Eindringlingen fertig zu werden. Andererseits waren ihm zumindest bis zum Jahresende die Hände gebunden, wenn das Verbrechen nicht aufgeklärt wurde. Von den im Juli besprochenen zwei Möglichkeiten, einer) perfekten Mord zu organisieren, hatte er bereits eine angewandt, um einen Erpresser aus dem Nachbarbezirk auszuschalten. Die zweite Variante plante Eduard Petrowitsch gegen einen seiner Schützlinge anzuwenden, falls sich die Informationen seines Aufklärungsdienstes bestätigen sollten und sich herausstellte, daß er sich tatsächlich mit der Drogenmafia zusammengetan und ihr gestattet hatte, über seine Bank Geld zu waschen. Die Überprüfung der Informationen würde bald abgeschlossen sein. Wenn es nötig sein sollte, den Schützling zu bestrafen, durfte er keinesfalls bis Anfang nächsten Jahres warten: In den verbleibenden zwei Monaten würde er soviel Mist machen, daß ein Ansturm der Drogenfahnder auf die STADT unvermeidlich sein würde. Das durfte auf keinen Fall passieren. Der Schuldige mußte beseitigt werden, damit er nicht noch mehr Schaden anrichten konnte. Wenn das Verbrechen im Sanatorium nicht aufgedeckt werden konnte, wollte Eduard Petrowitsch das mit der örtlichen Polizei geschlossene Abkommen jedoch nicht brechen, um nicht eine Überprüfung durch das Ministerium zu provozieren, nur weil die Aufklärungsrate von Morden so deutlich abgesunken war. Er, Denissow, mußte alles versuchen, damit das Verbrechen in der ›Doline‹ aufgedeckt wurde. Er konnte mit Geld, mit Leuten, mit Technik nachhelfen, all das stand in seiner Macht. Das würde ihm ermöglichen, nötigenfalls mit dem unloyalen Zögling abzurechnen.
Der Mann von der Polizeidirektion ließ nicht lange auf sich warten. Ernsthaft, elegant, beinahe schön, wenn man die zu kleinen, tiefsitzenden Augen außer acht ließ, die er hinter seiner getönten Brille versteckte. Denissow kam ohne Umschweife zur Sache.
»Erstens: Ich möchte klären, was für eine Gesellschaft sich da in der ›Doline‹ eingenistet hat. Zweitens: Ich will, daß der Mord im Sanatorium aufgeklärt wird. Wie Sie das machen werden, auf ehrliche Weise oder nicht, interessiert mich nicht. Die Sache muß mit einer Anklage enden und dem Gericht übergeben werden. Und zwar so schnell wie möglich. Morgen berichten Sie mir, welche Unterstützung Sie dabei brauchen. Wenn Sie den wirklichen Mörder finden können –um so besser. Wenn nicht – so wichtig ist das auch wieder nicht. Ich brauche meine Reserve, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich verstehe.« Der Mann mit der Brille nickte. »Und drittens?«
»Drittens möchte ich wissen, wer diese Kamenskaja ist. Sie macht eine Kur in der ›Doline‹ und belegt das Zimmer fünfhundertdreizehn. Schachnowitsch hat sich an ihr die Zähne ausgebissen. Ich will wissen, warum.«
»Wann möchten Sie die Informationen über die Kamenskaja?«
»Ich dränge Sie nicht. Sagen wir bis morgen. Sie kommen zu mir wegen der Aufklärung des Mordes, und gleichzeitig sprechen wir über die Kamenskaja.«
»Also bis morgen, Eduard Petrowitsch.«
»Bis morgen, mein Lieber. Kommen Sie abends, gegen sieben – da können wir zusammen zu Abend essen.«
* * *
Spätabends fand ein Treffen des Masseurs Kotik mit seinem Chef statt.
Kotik saß in seiner Wohnung, er hatte sich im Lehnstuhl breitgemacht, streckte bequem die Beine aus und nippte an einer Flasche dunklem Bier.
»Ich habe Semjon und den Chemiker aus der Stadt geschickt.«
»Das ist recht so. Semjon beginnt, die Kontrolle über sich zu verlieren, er wird gefährlich. Und Damir?«
»Damir muß bleiben. Sie werden ihn noch verhören. Ich glaube, man verdächtigt ihn des Mordes.«
»Wie interessant. Und was ist mit unserer Übersetzerin?«
»Die haben sie auch verhört. Mir scheint, wir haben uns bei ihr geirrt. Sie ist nicht von der Polizei.«
»Das wäre gut. Und wenn sie von der Polizei ist, was macht sie dann hier? Kann das mit dem zusammenhängen, was Semjon im Sommer ausgefressen hat?«
»Wenig wahrscheinlich. Es ist so viel Zeit vergangen seither . . . Worauf hätten die so lange gewartet?«
»Du hast recht, Kotik. Denkbar ist auch eine dritte Variante: Sie ist von der Polizei, aber sie ist hier nicht zur Arbeit, sondern zur Erholung. Was meinst du, ist sie in diesem Fall für uns gefährlich?«
»Ich glaube nicht.«
»Damir soll sie beobachten. Treffen sich die beiden?«
»Damir hat sie schon seit zwei Tagen nicht mehr gesehen.«
»Interessant. Wo steckt sie jetzt?«
»Sitzt in ihrem Zimmer und arbeitet. Im ganzen Stock kann man hören, wie die Schreibmaschine klappert. Nur –Damir interessiert sich nicht für sie. Wozu sollte er sie brauchen?«
»Falsch, Kotik. Das gibt einen Tadel für dich. Damir muß man den Kopf zurechtrücken. Übernimm du das.«
»Und was soll ich Damir sagen? Sie haben selbst gesagt, er darf nicht wissen, daß sie von der Polizei ist.«
»Sag, was du willst. Berufe dich auf mich. Erkläre diesem Bohemien, daß man nicht einer Frau den Hof machen und ihr seine grenzenlose Liebe versprechen kann, um dann plötzlich grundlos zu verschwinden. Erkläre ihm, daß sie sich gekränkt fühlen kann, schließlich kann sie als einzige sein Alibi für den Zeitpunkt des Mordes bestätigen. Er darf sich nicht mit ihr zerstreiten. Es gibt nichts Schrecklicheres als die Rache einer im Stich gelassenen Frau. Das wird er verstehen.«
»Vermutlich schon«, räumte Kotik ein, nahm einen großen Schluck und stellte die Flasche ab.
»Tu dein bestes, Freund. Sorge dafür, daß Damir ihre Nähe sucht. Der soll ruhig etwas aufmerksamer sein.«
»Ich versuch’s.«