Fertig«, kündigte ich an. »Der Psalter kann gespielt werden.«
»Fertig, sagst du?« Cairpré streckte den struppigen grauen Kopf hinter dem Stamm der großen Eberesche hervor. Er sah entmutigt aus, als könnte er das eine entscheidende Wort nicht finden, das er brauchte, um ein episches Gedicht über Baumwurzeln zu vollenden. Als er die dunklen Augen auf mein kleines Instrument richtete, verfinsterte sich seine Miene noch mehr. »Hmmm. Eine ordentliche Arbeit, Merlin.«
Er zog die wirren Augenbrauen zusammen. »Aber fertig ist es erst, wenn es gespielt wird. Wie ich schon irgendwann gesagt habe: Um die Wahrheit zu verstehen, muss man hören, nicht nur sehen.«
Hinter ihm, am Rande der Kuppe, lachte jemand herzhaft. »In deinem Gedicht ging es zwar um eine Lerche, nicht um eine Harfe, aber das ist nicht so wichtig.«
Cairpré und ich fuhren herum, als meine Mutter mit leichtem Schritt über die Wiese kam. Ihr dunkelblaues Gewand flatterte im Wind, der so kräftig nach Herbst roch, ihr Haar fiel wie ein Mantel aus Sonnenlicht auf ihre Schultern. Doch ihre Augen waren es, die mir am meisten auffielen, Augen, noch blauer als Saphire.
Während sie näher kam, zog der Dichter seine verschmutzte weiße Tunika zurecht. »Elen«, murmelte er. »Ich hätte mir denken können, dass du rechtzeitig zurückkommst, um mich zu verbessern.«
Ihre Augen schienen zu lächeln. »Jemand muss das hin und wieder tun.«
»Unmöglich.« Cairpré gab sich alle Mühe, grimmig auszusehen, doch er konnte ein flüchtiges Lächeln nicht verbergen. »Außerdem ist es keine Harfe, die der Junge gebaut hat. Es ist ein Psalter, allerdings ein kleiner, nach dem griechischen psaltérion. Hat dir nie jemand etwas über die Griechen beigebracht, junge Frau?«
»Doch.« Meine Mutter unterdrückte ein erneutes Lachen. »Du.«
»Dann hast du nicht die geringste Entschuldigung.«
»Hier«, sagte sie zu mir und schüttete ein paar dicke purpurrote Beeren in die Wurzelhöhlung, in der meine Werkzeuge lagen. »Flusstangbeeren, von dem Bächlein drüben am Weg. Ich habe dir eine Hand voll mitgebracht.« Mit einem Seitenblick auf Cairpré warf sie ihm eine einzige Beere zu. »Und eine für dich, damit du mir einen Vortrag über griechische Musik hältst.«
»Falls ich Zeit habe«, brummte der Dichter.
Neugierig hörte ich zu, wie sie sich neckten. Aus irgendeinem Grund nahmen ihre Gespräche neuerdings häufig eine solche Wendung. Und das verwirrte mich, weil es dabei offenbar nicht auf ihre Worte ankam. Nein, bei ihrem Geplänkel ging es eigentlich um etwas anderes, aber ich wusste nicht genau, um was.
Während ich sie beobachtete, steckte ich ein paar Beeren in den Mund und genoss den würzigen Geschmack. Da redeten sie, als würde Cairpré glauben, er wisse alles, mehr vielleicht als selbst der große Geist Dagda. Doch bestimmt war meiner Mutter klar, dass er nie vergaß, wie wenig er in Wirklichkeit wusste. So viel er mir im vergangenen Jahr auch über die Geheimnisse der Magie beigebracht hatte, nie begann er seine Unterweisungen ohne mich auf seine Grenzen hinzuweisen. Er hatte sogar zugegeben, dass er zwar wusste, dass ich beim Bau meines ersten Instruments eine komplizierte Reihenfolge einhalten musste, dass er aber keineswegs sicher war, was die einzelnen Schritte bedeuteten. Während der ganzen Arbeit – von der Wahl des richtigen Instruments über das Holzschneiden bis zum Feuern des Trockenofens – hätte er genauso gut mein Mitschüler wie mein Mentor sein können.
Plötzlich stach mich etwas im Nacken. Ich schrie auf und versuchte das Insekt zu verscheuchen, das an mir genascht hatte. Doch der Missetäter war schon geflohen.
Die blauen Augen meiner Mutter schauten auf mich herunter. »Was ist los?«
Während ich mir immer noch den Nacken rieb, stand ich auf und trat aus den knorrigen Wurzeln heraus. Dabei stolperte ich fast über mein Schwert und die Scheide im Gras. »Ich weiß nicht. Etwas hat mich gebissen, glaube ich.«
Sie hob fragend den Kopf. »Für Stechmücken ist es zu spät. Der erste Frost war schon vor Wochen.«
»Das erinnert mich«, Cairpré blinzelte ihr zu, »an ein altes abessinisches Gedicht über Fliegen.«
Sie fing an zu lachen und wieder stach mich etwas im Nacken. Ich fuhr herum und sah gerade noch, wie eine kleine rote Beere über das Gras der Kuppe hüpfte. Ich kniff die Augen zusammen. »Jetzt habe ich die Stechmücke entdeckt.«
»Wirklich?«, fragte meine Mutter. »Wo?«
Ich fuhr herum und schaute die alte Eberesche an. Mit erhobenem Arm deutete ich in die Zweige über uns. Dort, fast unsichtbar zwischen den Vorhängen aus grünen und braunen Blättern, kauerte eine Gestalt in einem Anzug aus gewobenen Ranken.
»Rhia«, knurrte ich. »Warum kannst du nicht einfach Guten Tag sagen wie andere Leute?«
Die Gestalt rührte sich und streckte die Arme. »Weil es so viel mehr Spaß macht.« Als sie meine Grimasse sah, fügte sie hinzu: »Brüder sind manchmal so humorlos.« Dann rutschte sie geschmeidig wie eine Schlange, die über einen Zweig gleitet, den verdrehten Stamm hinunter und sprang zu uns herüber.
Elen beobachtete sie belustigt. »Wirklich, du bist ganz und gar ein Baummädchen.«
Rhia strahlte. Sie sah die Beeren im Loch und nahm fast alle, die noch da waren. »Mmm, Flusstang. Allerdings ein bisschen bitter.« Dann wandte sie sich mir zu und zeigte auf das kleine Instrument in meiner Hand. »Wann spielst du uns etwas vor?«
»Wenn ich so weit bin. Du hast Glück, dass ich dich aus eigener Kraft vom Baum klettern ließ.«
Überrascht schüttelte sie die braunen Locken. »Meinst du wirklich, dass ich glaube, du hättest mich durch Zauberei vom Baum heben können?«
Obwohl ich versucht war Ja zu sagen, wusste ich, dass es nicht stimmte. Zumindest noch nicht. Außerdem spürte ich Cairprés bohrenden Blick.
»Nein«, gab ich zu. »Aber irgendwann ist es so weit, glaub mir.«
»Na klar. Und irgendwann ist es so weit, dass der Drache Valdearg schließlich aufwacht und uns alle auf einen Bissen verschlingt. Das kann allerdings noch tausend Jahre dauern.«
»Es kann auch heute sein.«
»Bitte, ihr beiden.« Cairpré zog mich am Ärmel. »Hört mit diesen Wortgefechten auf.«
Rhia zuckte die Schultern. »Ich kämpfe nie mit einem Unbewaffneten.« Grinsend setzte sie hinzu: »Es sei denn, er prahlt mit Zauberkräften, die er gar nicht hat.«
Das war zu viel. Ich streckte die leere Hand nach meinem Stock am Baumstamm aus. Ich konzentrierte meine Gedanken auf seinen knorrigen Griff, die geschnitzte Mitte, das duftende Holz, das so viel Macht hatte. Durch die Finger schickte ich den Befehl: Komm zu mir. Spring zu mir.
Der Stab zitterte leicht und rieb gegen die Rinde. Dann stand er plötzlich aufrecht im Gras. Im nächsten Augenblick flog er durch die Luft, direkt in meine wartende Hand.
»Nicht übel.« Rhia in ihrem Blätteranzug machte eine leichte Verbeugung. »Du hast geübt.«
»Ja«, stimmte meine Mutter zu. »Du hast gelernt besser mit deinen Kräften umzugehen.«
Cairpré wiegte den struppigen Kopf. »Aber nicht mit deiner Eitelkeit, fürchte ich.«
Ich schaute scheu zu ihm hinüber, während ich den Stock in meinen Gürtel schob. Doch bevor ich etwas sagen konnte, mischte sich Rhia ein. »Komm jetzt, Merlin. Spiel uns etwas vor auf diesem kleinen Was-es-auch-ist.«
Meine Mutter nickte. »Ja, spiel.«
Cairpré gestattete sich ein Schmunzeln. »Vielleicht singst du dazu, Elen.«
»Singen? Nein, nicht jetzt.«
»Warum nicht?« Er betrachtete mich nachdenklich, besorgt und hoffnungsvoll zugleich. »Wenn er tatsächlich den Psalter zum Klingen bringt, haben wir einen guten Anlass zum Feiern.« Aus irgendeinem Grund verdüsterte sich seine Miene. »Niemand weiß das besser als ich.«
»Bitte«, drängte Rhia. »Wenn etwas gefeiert wird, dann am besten mit einem deiner Lieder.«
Meine Mutter errötete. Sie wandte sich den raschelnden Blättern der Eberesche zu und überlegte einen Augenblick. »Nun … gut.« Sie streckte uns dreien die Handflächen entgegen. »Ich werde singen. Ja, ein fröhliches Lied.« Sie sah den Dichter an. »Für die vielen Freuden des vergangenen Jahres.«
Cairpré strahlte. »Und der kommenden Jahre«, flüsterte er.
Wieder errötete meine Mutter. Ich machte mir keine Gedanken, warum, denn auch ich teilte ihre Freude. Hier stand ich mit meiner Familie, mit Freunden, immer mehr fühlte ich mich auf dieser Insel zu Hause – das alles hätte ich mir vor etwas mehr als einem Jahr nicht träumen lassen. Ich war jetzt vierzehn Jahre alt, lebte im Wald an einem Ort, der so friedlich war wie das Herbstlaub, das ich fallen sah. Nichts wünschte ich mir mehr als hier zu bleiben, bei diesen Menschen. Und eines Tages die Künste eines Zauberers zu beherrschen. Eines echten Magiers – wie mein Großvater es gewesen war.
Meine Finger umklammerten den Rahmen des Psalters. Wenn er mich nur nicht im Stich ließ!
Tief atmete ich die frische Luft ein, die vom Hügel wehte. »Ich bin bereit.«
Meine Mutter hörte die Anspannung heraus und strich mir mit dem Finger über die Wange – dieselbe Wange, die vor langer Zeit von einem Feuer, das ich entzündet hatte, versengt worden war. »Ist alles in Ordnung, mein Sohn?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ich stelle mir nur vor, wie sich mein Geklimper im Vergleich zu deinem Gesang anhören wird, das ist alles.«
Obwohl ich sah, dass sie mir nicht glaubte, schien sie das zu beruhigen. Nach einem Augenblick fragte sie: »Kannst du in der ionischen Tonart spielen? Wenn du nur den Grundakkord anschlägst und eine Zeit lang spielst, kann ich mein Lied deiner Melodie anpassen.«
»Ich kann es versuchen.«
»Gut!« Rhia sprang hoch und fasste den niedrigsten Ast der Eberesche. Sie schaukelte hin und her und lachte glockenhell, als goldene Blätter auf uns herabregneten. »Ich höre so gern eine Harfe, selbst wenn sie so winzig ist wie deine. Sie erinnert mich an den Klang des Regens, der auf einer Sommerwiese tanzt.«
»Nun, der Sommer ist vorbei«, erklärte ich. »Aber wenn etwas ihn zurückbringen kann, dann Mutters Stimme, nicht mein Spiel.« Ich wandte mich an Cairpré. »Ist es jetzt an der Zeit? Für die Beschwörung?«
Noch während der Dichter sich räusperte, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck wieder – diesmal so sehr, als wäre ein sonderbarer, verzerrter Schatten auf seine Gedanken gefallen. »Zuerst muss ich dir noch etwas sagen.« Er zögerte und wählte offenbar sorgsam seine Worte. »Seit der Zeit vor Menschengedenken hat jeder Junge, jedes Mädchen in Fincayra, die großes magisches Talent versprachen, das Zuhause verlassen und eine Lehre gemacht, die deiner ähnlich war. Nach Möglichkeit bei einem richtigen Magier oder einer echten Zauberin, aber wenn keine gefunden werden konnten, bei einem Gelehrten oder einem Barden.«
»Wie du.« Worauf wollte er hinaus? Das alles wusste ich.
»Ja, mein Junge. Wie ich.«
»Aber warum erzählst du mir das?«
Seine Stirn wurde so zerknittert wie seine Tunika. »Weil es noch etwas gibt, das du wissen solltest. Bevor du deinen Psalter spielst. Weißt du, diese Lehre – die Zeit zur Einübung in die Grundlagen der Zauberei, bevor noch mit dem Bau eines Musikinstruments begonnen wird – dauert normalerweise … sehr lange. Länger als die acht oder neun Monate, die du damit verbracht hast.«
»Wie lange dauert sie gewöhnlich?«, fragte meine Mutter.
»Nun«, er suchte nach Worten, »das ist, äh, unterschiedlich. Es kommt auf den Einzelfall an.«
»Wie lange?«, wiederholte sie.
Er betrachtete sie düster. Dann antwortete er leise: »Zwischen fünf und zehn Jahren.«
Wie Elen und Rhia schrak ich zusammen – fast hätte ich den Psalter fallen lassen.
»Selbst Tuatha mit all seinen Gaben brauchte vier volle Jahre, bis er seine Lehre abgeschlossen hatte. Es in weniger als einem Jahr zu schaffen ist, nun, bemerkenswert. Man könnte auch sagen … unerhört.« Er seufzte. »Ich hatte vor, dir das zu sagen, wirklich, aber ich habe auf die richtige Zeit und Gelegenheit gewartet. Der richtige Zeitpunkt am richtigen Ort, so rar wie im Reim das passende Wort.«
Elen schüttelte den Kopf. »Du hattest noch einen anderen Grund.«
Cairpré nickte traurig. »Du kennst mich zu gut.«
Er schaute mich flehend an, während er mit der Hand über eine Wurzel der Eberesche strich. »Verstehst du, Merlin, ich wollte es dir nicht sagen, weil ich mir nicht sicher war, ob dein Tempo, die Schnelligkeit, mit der du jede Lektion gemeistert hast, auf dein eigenes Talent zurückzuführen war – oder auf meine Mängel als Lehrer. Hatte ich etwas vergessen? Irgendwelche Anweisungen missverstanden? Das plagt mich jetzt seit einiger Zeit. Ich habe all die alten Texte nachgelesen – oh ja, viele Male –, nur um sicherzugehen, dass du alles richtig gemacht hast. Und ich glaube wirklich, alles ist, wie es sein soll, sonst hätte ich dich nicht so weit kommen lassen.«
Er richtete sich auf. »Dennoch solltest du gewarnt sein. Denn wenn der Psalter nicht klingt, ist es vielleicht mein Fehler, nicht deiner. So ist es. Und wie du weißt, Merlin, bekommt ein junger Mensch nur eine Gelegenheit, ein magisches Instrument zu bauen. Nur eine. Wenn es dem Instrument nicht gelingt, hohe Magie hervorzurufen, bekommst du nie mehr eine zweite Chance.«
Ich schluckte. »Wenn es mit meiner Ausbildung wirklich so schnell ging, liegt es möglicherweise an etwas ganz anderem. Etwas, das nichts mit deinen Fähigkeiten als Lehrmeister zu tun hat – oder meinen als Lehrling.«
Cairpré zog die Augenbrauen hoch.
»Vielleicht hatte ich Hilfe. Von einer Stelle, mit der keiner von uns gerechnet hat. Von wo, weiß ich nicht.« Nachdenklich fuhr ich mit dem Daumen über den Griff meines Stocks. Plötzlich hatte ich einen Einfall. »Von meinem Stock zum Beispiel. Ja, ja, das muss es sein! Tuathas Zauber.« Ich rollte den zugespitzten Stock unter meinem Gürtel hin und her. »Er war von Anfang an bei mir und er ist jetzt bei mir. Bestimmt hilft er mir auch den Psalter zu spielen.«
»Nein, mein Junge.« Cairpré hielt meinem Blick stand. »Dieser Stock mag dir in der Vergangenheit geholfen haben, das ist wahr – aber jetzt hilft er dir nicht. Was das angeht, sind die Texte so klar wie die Herbstluft. Nur der Psalter und die Fähigkeiten, die du bei seinem Bau genutzt hast, werden entscheiden, ob du diese Prüfung bestehst.«
Ich schwitzte an der Hand, die den kleinen Rahmen hielt. »Was macht der Psalter, wenn ich versage?«
»Nichts. Er macht keine Musik. Und bringt keine Magie.«
»Und wenn ich erfolgreich bin?«
Cairpré strich sich übers Kinn. »Dein Instrument sollte von selbst spielen. Eine Musik, die fremdartig und kraftvoll zugleich ist. So war es jedenfalls in der Vergangenheit. Genau wie du gespürt hast, dass Magie zwischen dir und deinem Stab fließt, solltest du es bei dem Psalter spüren. Aber es müsste eine andere Stufe der Magie sein, anders als alles, was du zuvor erfahren hast.«
Ich bewegte meine Zunge, um sie zu befeuchten. »Das Problem ist … der Psalter wurde von Tuatha nicht berührt. Nur von mir.«
Der Dichter drückte sanft meine Schulter. »Stell dir vor, ein Musiker – kein Zauberer, nur ein wandernder Sänger – spielt virtuos die Harfe. Ist die Musik dann in den Saiten oder in den Händen, die sie zupfen?«
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Was soll das? Hier reden wir über Magie.«
»Ich gebe nicht vor, die Antwort zu kennen, mein Junge. Aber ich könnte dir einen Wälzer nach dem anderen zeigen mit Abhandlungen, manche von sehr weisen Magiern, in denen genau diese Frage erörtert wird.«
»Dann werde ich dir eines Tages, wenn ich je selbst ein Magier sein sollte, die Antwort geben. Jetzt will ich nichts als meine eigenen Saiten zupfen.«
Meine Mutter schaute von mir zu Cairpré und wieder zu mir. »Bist du überzeugt, dass es an der Zeit ist? Bist du wirklich bereit? Mein Lied kann warten.«
»Ja.« Rhia drehte eine der Ranken, die ihre Taille umspannten. »Eigentlich bin ich jetzt nicht in der Stimmung für Musik.«
Ich betrachtete sie prüfend. »Du glaubst, ich schaffe es nicht, stimmt’s?«
»Nein«, antwortete sie ruhig. »Ich bin mir nur nicht sicher.«
Ich zuckte zusammen. »Nun, die Wahrheit ist … ich bin mir auch nicht sicher. Aber das weiß ich: Wenn ich noch länger warte, verliere ich vielleicht den Mut, es zu versuchen.« Ich sah Cairpré an. »Jetzt?«
Der Dichter nickte. »Viel Glück, mein Junge. Und denk daran: In den Schriften heißt es, wenn hohe Magie kommt, dann kann auch anderes kommen – Überraschendes.«
»Und Gesang«, ergänzte meine Mutter sanft. »Ich singe für dich, Merlin, was auch geschieht. Ob Musik in diesen Saiten ist oder nicht.«
Ich hob den Psalter, während ich zugleich in die Äste der alten Eberesche hinaufschaute. Zögernd legte ich das schmale Ende des Instruments mitten an meine Brust. Als ich mit der Hand den äußeren Rand umfasste, konnte ich durch das Holz mein Herz klopfen hören. Die Brise legte sich; die raschelnden Ebereschenblätter wurden still. Selbst der graue Käfer vorn auf meinem Stiefel hörte auf zu kriechen.
Flüsternd sprach ich die alte Beschwörung:
»Bring, Instrument in meiner Hand,
kühnen Zauber
übers Land.
Blüht, Töne, die der Psalter birgt,
wie des Frühlings Seele
wirkt.
Dring, Melodie, von mir gespielt,
tiefer als zuerst
gefühlt.
Schenkt, Mächte, mir anheim gestellt,
neue Frucht
dem dürren Feld.
Erwartungsvoll drehte ich mich nach Cairpré um. Er stand regungslos, nur seine Blicke schweiften umher. Die üppigen Hügel des Drumawalds hinter ihm schienen erstarrt zu sein – so unbeweglich wie die Schnitzereien auf meinem Stab. Kein Licht flirrte über die Zweige. Kein Vogel flatterte oder sang.
»Bitte«, sagte ich laut zu dem Psalter, der Eberesche, zur Luft. »Das ist alles, was ich will. So hoch steigen, wie ich nur kann. Alle Gaben, alle Kräfte, die du mir geben kannst, annehmen und nicht für mich verwenden, sondern für andere. Mit Weisheit. Und, hoffe ich, mit Liebe. Um neue Frucht dem dürren Feld zu schenken.«
Ich spürte nichts und der Mut verließ mich. Ich wartete und hoffte. Immer noch nichts. Zögernd ließ ich den Psalter sinken.
Da fühlte ich eine fast unmerkliche Regung. Nicht in den Blättern über mir. Auch nicht im Gras zu meinen Füßen. Noch nicht einmal in der Luft.
In der kürzesten Saite.
Während ich zusah und mein Herz gegen den Holzrahmen trommelte, fing das entfernte Ende der Saite an sich zu drehen. Langsam, langsam hob es sich wie der Kopf eines Wurms, der aus einem Apfel kriecht. Es stieg höher und zog die Saite mit sich. Auch das andere Ende erwachte und wickelte sich um den Wirbel. Bald regten sich auch die anderen Saiten, ihre Enden rollten sich auf, sie spannten sich.
Sie stimmten sich! Der Psalter stimmte sich selbst.
Allmählich wurden die Saiten ruhig. Ich schaute auf und sah, wie Cairpré lächelte. Er nickte und ich machte mich bereit den Grundakkord zu zupfen. Die Linke legte ich fest um den Rahmen, bog die Finger der Rechten und legte sie zart auf die Saiten.
Sofort stieg mir Wärme in die Fingerspitzen, den Arm hinauf und durch den ganzen Körper. Eine neue Kraft, teils magisch und teils musikalisch, erfüllte mich. Die Haare auf meinen Handrücken hoben und wiegten sich alle zugleich, sie tanzten zu einem Rhythmus, den ich noch nicht hören konnte.
Ein Wind kam auf, wurde mit jeder Sekunde stärker und peitschte die Äste der klingenden Eberesche. Von den bewaldeten Hügeln ringsum stiegen Blätter auf – zuerst Dutzende, dann Hunderte, dann Tausende. Blätter von Eichen und Ulmen, Weißdorn und Buchen glänzten so hell wie Rubine, Smaragde und Brillanten. Sie drehten sich langsam und trieben auf uns zu wie große Schmetterlingsschwärme, die nach Hause zurückkehren.
Dann kamen andere Gebilde, die um die Eberesche wirbelten und mit den Blättern tanzten. Lichtfunken. Regenbogensplitter. Schattenbüschel. Aus der Luft formten sich Nebelschwaden zu weiteren Gestalten – dünne Spiralen, Schlangen, Knoten und Sterne. Immer weitere Formen tauchten auf, von wo, konnte ich nicht ergründen, sie bestanden weder aus Licht noch aus Schatten, auch nicht aus Wolken, sondern aus etwas anderem, etwas dazwischen.
Alle diese Dinge umkreisten den Baum, angezogen von der Musik, der Magie, die kommen sollte. Was, fragte ich mich, würde die Kraft des Psalters als Nächstes bringen? Ich lächelte, weil ich wusste, dass es endlich an der Zeit war, mein Instrument zu spielen.
Ich zupfte die Saiten.