Kapitel 9
Oliver Cromwell hatte sich vorgenommen, dem Namen Englands einen solchen Ruhm zu verleihen, wie Rom ihn einst besessen hatte, und er war kurz davor, sein Vorhaben zu verwirklichen. Die Herrschaft über die Meere lag bereits in Englands Hand; es war deshalb nur eine Frage der Zeit, dass England die Herrschaft über Nordamerika gewinnen und seine Macht auch in Asien ausdehnen würde. Ganz Europa sah angsterfüllt auf den Puritaner Cromwell, der Gottes Lob sang und währenddessen eine Kriegsflotte baute, der Predigten hielt und gleichzeitig jede Schlacht gewann, der mit Kriegsgewalt, Folter und Unterdrückung das Britische Weltreich gründete und dabei den Namen Christi im Munde führte. Besteuerung ohne Zustimmung des Parlaments, Verhaftungen ohne Rechtsverfahren, Verhöre ohne Geschworene: Alles war so schlimm wie nie für diejenigen, die nicht zu den Puritanern gehörten. Und diese Katholiken, Anglikaner, das Militär und der Adel waren es, die ungeduldig auf den Tod des Protektors Cromwell warteten. Unzählige planten Mordanschläge und scheiterten. Denn noch lebte Cromwell, noch hielt er die Macht fest in seinen Händen, noch gab es für Leute wie Cassian von Arden oder den Lord Jourdan keine Hoffnung, ihre Güter wieder in Besitz zu nehmen.
Doch der Mittelstand gedieh unter Cromwell, vor allem, weil die Kaufleute sich dem Auβenhandel widmeten.
Sir Baldwin war Puritaner, gehörte zum Mittelstand, auch wenn er kein Kaufmann war. Er lobte Oliver Cromwell, betete jeden Tag gleichermaβen inbrünstig zu Gott und zu ihm.
Als seine Lieblingstochter Elizabeth bedauerlicherweise an einer schweren, schmerzhaften Krankheit verstarb, legte auch der Cromwell selbst sich aufs Krankenbett. Wechselfieber hätte er, so erzählten sich die Leute. Chinin, wussten die Apotheker, ärzte und Heiler, würde ihm helfen. Aber Cromwells Arzt wollte von einer Kur mit diesem neumodischen Mittel nichts wissen. Es gab viele in England, die aufatmeten, als sie davon hörten.
Sein Staatsrat bat ihn schon, einen Nachfolger zu ernennen, doch noch einmal konnte sich Cromwell vom Krankenlager erheben. Aber er erlitt einen Rückschlag und schloss am 2. September 1658 für immer die Augen.
Schon zwei Tage später aber übernahm sein Sohn Richard das Lordprotektorat über England.
Cathryn nahm diese Nachrichten unbewegt zur Kenntnis. Sie lebte nun schon sechs Wochen wieder auf dem Schloss ihrer Eltern, doch noch immer war sie nicht aus der Starre erwacht, in die sie seit ihrer Rückkehr aus London verfallen war.
»Jetzt iss doch endlich etwas, Kind.«
Lady Elizabeth stand am hellen Morgen im Gemach ihrer Tochter und hielt ihr höchstpersönlich ein Stück frisch gebackenen Mandelkuchen unter die Nase.
Cathryn schloss die Augen und drehte den Kopf zur Seite.
»Verhungern wirst du, wenn du nichts zu dir nimmst.«
»Und wenn schon«, erwiderte Cathryn müde. »Wozu soll ich denn noch leben? Ich habe Cassian verloren. Er war mein Leben. Ohne ihn bedeutet jeder neue Tag nur eine neue Qual für mich.«
Hilflos blickte Elizabeth auf ihre Tochter. Eigensinnig war Cathryn schon immer gewesen, doch das Verhalten, das sie jetzt an den Tag legte, war mehr als Eigensinn. Lady Jourdan befürchtete das Schlimmste.
»Wir müssen etwas unternehmen«, teilte sie ihrem Mann mit. »So kann es nicht weitergehen. Cathryn geht uns vor die Hunde.«
Auch Lord Arthur stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. »Sir Baldwin drängt auf eine Verlobung. Doch eine Frau, die dem Tod näher ist als dem Leben, will auch er nicht. Wir müssen Cathryn wieder zum Leben erwecken, sonst sind wir alle verloren.«
Er runzelte die Stirn, sodass diese von Falten zerfurcht war. In seinen hellen Augen, die denen Cathryns so ähnlich waren, glimmte ärger. »Sie muss doch auch an uns denken, Himmel noch eins!«
Lady Elizabeth neigte den Kopf. »Sie ist jung, Arthur. Und die Jugend denkt nur an sich. Doch ich muss ihr in einer Sache Recht geben: Irgendwer muss Sir Baldwin Humbert stoppen.«
Sie seufzte und fuhr fort: »Ich bete jedoch jeden Tag, dass der Herr nicht gerade unsere Cathryn für diese Aufgabe vorgesehen hat.«
»Hmm«, machte Lord Arthur und zupfte mit den Fingern an seinem gepflegten, grauen Bart. »Wir werden nach einem Arzt schicken. Oder nach dem Priester. Einem von beiden muss es doch gelingen, ihren Lebensmut wieder zu entfachen.«
Lady Elizabeth sah ihren Mann voller Zuneigung und Nachsicht an. »Oh, gewiss. Ein guter Einfall. Doch bevor wir nach Arzt oder Priester schicken lassen, möchte ich noch eines probieren.«
»Und, meine Liebe, was ist das?«
Lady Elizabeth gab ihrem Mann einen Kuss auf die eine Wange und strich ihm dabei mit der Hand liebevoll über die andere.
»Lass mich nur machen. Du wirst sehen, es wird auf keinen Fall zu unserer Schande sein.«
Fragend hob der Lord die Augenbrauen. »Was, in Gottes Namen, hast du vor?«
»Nun, Dinge, die Frauen betreffen, sollten von Frauen erledigt werden, meine ich. Und Männer, mein lieber Arthur, verstehen sich nun einmal nicht auf diese Dinge. Wenn ich jedoch versage, so werde ich unwidersprochen alles tun, was du empfiehlst.«
Noch einmal strich Lady Elizabeth ihrem Mann über die Wange, dann eilte sie hinaus und lieβ sich von der Magd einen Umhang bringen, der sie vor der morgendlichen Kühle schützen würde.
Wenig später eilte sie schon die Freitreppe hinab, durch den Schlosshof und verschwand durch ein kleines Gartenpförtchen.
»Ich bin keine Betrügerin, Mylady!«
Jane, eine junge Frau mit hüftlangem Haar, die einen Säugling auf dem Arm hielt, sah Lady Elizabeth missmutig an.
»Aber Jane, natürlich bist du keine Betrügerin. Gott bewahre ! Du bist eine Heilerin, eine Wahrsagerin und eine Kräuterkundige. Nun, ich spreche die Heilerin in dir an und bitte dich nur, deine Fähigkeiten auf diesem Gebiet über die in der Wahrsagerei zu stellen und meiner Tochter, um deren Leben ich fürchte, ein wenig Freude und Mut einzuhauchen. Es kann doch keine Sünde sein, Jane, wenn du einem beladenen Menschenkind zur Besserung verhilfst!«
»Aber es ist unredlich, Mylady, wenn ich Eurer Tochter Dinge sage, die nicht in ihrer Hand geschrieben stehen. Es wäre eine Lüge und somit eine Sünde.«
Seufzend kramte Lady Elizabeth in ihrer bestickten Geldbörse und holte ein Pfundstück heraus. »Und wenn du von diesem Geld eine Wachskerze kaufst und sie der Heiligen Muttergottes in aufrichtiger Reue stiftest, so bin ich sicher, vergibt dir unser Herrgott deine Schuld.«
Jane seufzte. »Na gut, weil Ihr es seid. Gute Herrschaften waren die Jourdans uns immer und auch Cathryn ist frei von Hochmut und Dünkel, hat immer ein nettes Wort für jeden von uns.«
Lady Elizabeth nickte zufrieden und strich dem Säugling, der leise schmatzend an der prallen Brust der jungen Frau lag, behutsam über das zarte Köpfchen.
»Was genau soll ich aus der Hand der jungen Lady lesen?«, fragte Jane.
Lady Elizabeth überlegte nur einen winzigen Augenblick lang. »Nun, ich könnte mir gut vorstellen, in Cathryns Hand steht geschrieben, dass die groβe Liebe auf sie wartet.«
Elizabeth blickte Jane bei diesen Worten fest in die Augen, doch die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Eine barmherzige Lüge auszusprechen ist eine Sache, eine junge Frau aber, die stets freundlich zu mir war, in ihrem Unglück noch zu verhöhnen, das, Mylady, könnt Ihr nicht von mir verlangen.«
»Wieso Unglück?«
»Nun, das ganze Manor weiβ, dass Sir Baldwin Humbert Lady Cathryn zur Frau haben will. Und wir alle bedauern sie deshalb. Sie hat es nicht verdient, einem solchen Menschen ausgeliefert zu werden.«
Jane guckte Lady Elizabeth noch immer fest an, ehe sie hinzufügte: »Ich bin arm, Mylady, weiβ so manchen Tag nicht, wie ich meinen kleinen Sohn satt kriegen soll. Aber auch ich würde in Schwermut verfallen, müsste ich mit Sir Baldwin vor den Altar treten.«
Elizabeth seufzte und lächelte zugleich. »Du bist eine loyale und gute Frau, Jane, die meiner Tochter aufrichtig zugetan ist. Deshalb werde ich dir jetzt verraten, was im Innersten meines Herzens als Wunsch und groβe Hoffnung geschrieben steht. Seit Cromwells Tod besteht die gute Aussicht, dass die Monarchie wiederhergestellt wird. Man munkelt, König Karl IL, der sich zurzeit in Frankreich aufhält, würde bereits Anstalten treffen, sich den Thron zurückzuerobern.«
»Was hat das alles mit Cathryn zu tun?«, fragte Jane.
»Mehr als du glaubst. Sie liebt Cassian Arden von ganzem Herzen. Doch er ist arm, bitterarm, und wenn Cathryn Sir Baldwin nicht heiratet, werden auch wir schon sehr bald sehr arm sein. Kommt aber der König zurück, nun, dann besteht die Hoffnung, dass Cassian Arden recht bald seine Güter zurückerhält und Sir Baldwins Macht schwindet.«
In Janes Augen zeichnete sich langsam Verstehen ab, als Elizabeth auch schon weitersprach: »Es geht jetzt in allererster Linie darum, die Hochzeit hinauszuzögern. Wir müssen Zeit gewinnen. Cathryn aber braucht für alles, was kommen mag, Mut und Kraft. Du allein, Jane, kannst sie ihr geben, wenn du aus ihrer Hand liest, dass Cassian von Arden für sie nicht verloren ist.«
Lady Elizabeth beugte sich nach vorne und griff nach der Hand der jungen Heilerin. »Glaube mir, Jane, auch ich will nicht, dass Cathryn mit Sir Baldwin vor den Altar tritt. Deshalb bitte ich dich noch einmal, bitte dich von Mutter zu Mutter, dass du meinem Kind hilfst.«
Jane lächelte nun. »Ich verstehe jetzt, was Ihr meint. Noch heute werde ich in das Schloss kommen und in Cathryns Hand all das lesen, was Ihr und ich Eurer Tochter von ganzem Herzen wünschen.«
Elizabeth lächelte. »Ich danke dir, Jane. Und wegen der Milch für dein Kind musst du dich nicht sorgen. Schon immer war es Brauch der Jourdans, ihren Leuten in der Not zu helfen. Komm und lass dir von der Köchin geben, was immer du benötigst. So lange wir noch genug zu essen haben, muss niemand in unseren Manors Hunger leiden.«
Es war noch kein halber Tag seit dem Gespräch der Lady Jourdan mit der Heilerin Jane vergangen, als Cathryns wundersame Genesung ihren Anfang nahm.
»Er lebt noch?«, hatte sie Jane gefragt. »Und er liebt mich noch?«
Die Freude hatte ihre Wangen rosig gefärbt. Sie hatte sogar die Kraft gefunden, sich im Bett aufzusetzen.
»So steht es in Eurer Hand«, hatte Jane erwidert und der jungen Lady dabei fest in die Augen geblickt.
»Und wir werden eines Tages glücklich miteinander leben?«
»Ja, auch das steht in Eurer Hand geschrieben.«
»Oh, Jane«, hatte Cathryn gejubelt und war der jungen Frau um den Hals gefallen. »Du weiβt gar nicht, welche Freude du mir mit deinen Worten machst. Ich dachte schon,ich müsste sterben. Doch nun habe ich neuen Mut. Ich danke dir von Herzen.«
Und jetzt saβ sie nicht nur im Speisezimmer des groβen Schlosses, sondern Lady Elizabeth konnte nur staunen, mit welch groβem Appetit Cathryn plötzlich wieder aβ.
Margarete, die Kinderfrau, eilte zwischen der Küche und der Tafel hin und her, um der Köchin neue Anweisungen zu geben. Cathryn verputzte derweil gebratenes Hühnerfleisch in einer Soβe, die mit Salbei, Raute und Pfeffer gewürzt war, Reisbrei mit gedörrten Kirschen und zum Schluss eine Schüssel mit Apfelmus. Als sie ihr Mahl beendet hatte, lieβ sie sich in dem gepolsterten Lehnstuhl zurücksinken, wischte sich mit einer Leinenserviette den Mund ab und strich sich lächelnd über ihren Bauch.
»Ich hatte ganz vergessen, wie gut es tut, richtig zu essen«, sagte sie, griff nach dem Tonkrug und goss ihr Glas mit frischem Apfelmost voll.
Lord Arthur war aus dem Staunen nicht herausgekommen. »Wie hast du diese Wandlung bewirkt, meine Liebe?«, flüsterte er jetzt leise seiner Frau ins Ohr.
Lady Elizabeth lächelte. »Nun, das ist ein Frauengeheimnis, mein Lieber. Ihr Männer glaubt nicht an gewisse Dinge, also helfen sie euch auch nicht. Wir Weibsbilder jedoch wissen, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als das, was wir sehen.«
»Es ist also ein Wunder geschehen?«, fragte Lord Arthur mit leisem Spott.
Lady Elizabeth nickte und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Ganz recht, mein Lieber, ein Wunder.«
Im selben Moment hörte man, wie jemand den schweren Türklopfer aus Messing betätigte.
Lord Arthur hob die Augenbrauen. »Erwarten wir Besuch?«, fragte er in die Runde.
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte seine Frau und schickte Margarete, dem Besucher zu öffnen.
Wenig später meldete Margarete Sir Baldwin Humbert.
Lord Arthur seufzte und warf einen fragenden Blick auf Cathryn. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich dazu entschlieβen konnte, seinen zukünftigen Schwiegersohn hereinzubitten.
Gewichtig und in schlichter schwarzer Kleidung, das Gesicht ernst und feierlich, schritt Sir Baldwin herein. Er warf einen missbilligenden Blick auf die Reste der Tafel und verkündete, nachdem man ihn begrüβt hatte: »Nun, wie ich sehe, speist Ihr nicht schlecht von der Tafel des Herrn. Gebratenes und Gebackenes, Honigwein und Kuchen gibt es in meinem Hause nur an den höchsten Feiertagen.«
Lord Arthur nickte. »Ich weiβ, Sir Baldwin, ich weiβ. Doch wir haben heute etwas zu feiern. Unsere Tochter Cathryn konnte sich von ihrem Krankenlager erheben. Aber bitte setzt Euch doch und trinkt mit uns auf ihre Genesung.«
Sir Baldwin schaute zu Cathryn. Zu seinem Erstaunen ruhte ihr Blick an diesem Tag nicht lodernd vor Wut und Hass auf ihm, ihre Miene drückte vielmehr eine ungeheuerliche Gleichgültigkeit aus.
»Nun, wenn das so ist«, erwiderte Sir Baldwin, lieβ sich das Glas mit Honigwein füllen und lehnte auch den Reisbrei und den Kuchen nicht ab.
Er lieβ sich so viele Speisen auf den Teller geben, dass drei Schnitter davon satt geworden wären, kaute mit prallen Backen und trank ein Glas nach dem nächsten. Zum Schluss wischte er sich mit dem ärmel seines Wamses über seine ständig feuchten Lippen und lächelte Cathryn an.
»Es freut mich sehr, meine Liebe, dass es Euch besser geht. Nun, dann ist es wohl endlich an der Zeit, einen Termin für die Verlobung festzusetzen. Ich wünsche Euch bald auf meinem Schloss zu begrüβen.«
»Auf dem Schloss derer von Arden, meint Ihr«, erwiderte Cathryn. Noch immer war ihre Gesichtszüge ausdruckslos, noch loderten keine flammenden Blicke aus ihren Augen. Sie erschien fast ein wenig verächtlich. Und Verachtung konnte Sir Baldwin überhaupt nicht ertragen.
Zornesröte schoss ihm ins Gesicht. »Die Lordschaft Arden gibt es nicht mehr. Das Schloss gehört nun mir. Ich habe es redlich erworben. Jetzt, da die Ardens nicht mehr existieren, gibt es auch niemanden mehr, der mir gegenüber irgendwelche Ansprüche geltend machen könnte. Ihr, meine liebe Cathryn, gewöhnt Euch besser gleich daran, dass das Schloss nun und für immer die Residenz der von Humberts ist.«
»Was soll das heiβen?«, fragte Cathryn und richtete sich kerzengerade auf. Lady Elizabeth legte sofort ihre Hand beruhigend auf Cathryns und Lord Arthur zog erneut die Augenbrauen nach oben.
»Was soll das heiβen: Die Ardens gibt es nicht mehr? Habt Ihr Cassian vergessen?«
»Ach, der!« Sir Baldwin winkte ab und goss sich noch einmal groβzügig vom Honigwein ein. »Ich glaube nicht, dass man ihn noch zählen muss. Die Pest wütet noch immer in London. Schon mehr als 10.000 Tote hat es gegeben. Und die meisten davon kamen aus den Armenhospitalen und Feldsiechenhäusern. Er wird wohl längst vor den Toren der Stadt in Gesellschaft mit den Geköpften, Gehenkten, Geteerten und an der Pest Verstorbenen in einer Grube liegen, von einer dicken Kalkschicht bedeckt.«
Sir Baldwin trank genieβerisch einen Schluck und tat, als träfen ihn die Dolche, die nun aus Cathryns Augen schössen, nicht. Auch Lady Elizabeth sog hörbar den Atem ein. Lord Arthur aber sagte: »Ihr, Sir Baldwin, werdet in diesem Hause empfangen, weil Ihr meine Tochter zu ehelichen gedenkt. Ich dulde aber nicht, dass an meinem Tisch schlecht über andere Menschen gesprochen wird. Und ich dulde schon gar nicht, dass hier irgendjemand gekränkt wird. überlegt Euch also Eure Worte genau.«
»Oh, warum ereifert Ihr Euch so, Mylord?«, tat Baldwin unschuldig. »Ist es in Euren Kreisen nicht üblich, unter Verwandten kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen? Ich rede niemandem etwas übles nach, doch die Tatsachen müssen genannt werden: Die Lords von Arden waren Vaterlandsverräter, haben sich des Hochverrats an England schuldig gemacht. Und es ist nur recht und billig, dass ihr Geschlecht nun ausgestorben ist.«
Lord Arthur, der einen neuen Rückfall Cathryns befürchtete, hielt die äuβerungen, die ihm in den Sinn kamen, mit aller Mühe zurück. Seine Hand tastete aber instinktiv nach dem Dolch an seinem Gürtel, als er fragte: »Habt Ihr die Leiche Cassians mit eigenen Augen gesehen? Habt Ihr den Totenschein in den eigenen Händen gehalten? Woher nehmt Ihr die Sicherheit, dass der junge Lord Arden ein Opfer der Pest geworden ist?«
Lord Arthurs Stimme klang kalt und schneidend. Jeder, der ihn kannte, wusste, dass dieser Tonfall nichts Gutes verhieβ.
Nur Sir Baldwin lieβ sich davon nicht im Geringsten beeindrucken. Er lächelte dünn und mit unübersehbarer Häme. »Wer braucht schon Beweise ? Niemand, der in einer solchen Zeit ins Armenspital kommt, geht auf den eigenen Füβen wieder heraus. Doch ich bin nicht gekommen, um über diesen Verräter zu reden, sondern um die Verlobung zu besprechen und einen Termin für sie zu vereinbaren.«
Er rieb sich die Hände und sah derartig zufrieden aus, dass Cathryn ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre, um ihm die Häme aus den Augen zu kratzen.
»Nichts wisst Ihr«, fauchte sie nur, doch Elizabeth legte ihr den Arm um die Schulter und bedeutete ihr zu schweigen.
»Ich befürchte«, wandte sie sich dann an Sir Baldwin, »dass Cathryn noch einige Zeit brauchen wird, bis sie vollständig genesen ist. überdies hat sie in den letzten Monaten so viel an Gewicht verloren, dass es wohl notwendig wird, beim Schneider in Nottingham neue Kleider anfertigen zu lassen. Nun, Sir Baldwin, eine Verlobung ist ein groβes Ereignis im Leben einer jeden jungen Frau. Die Vorbereitungen benötigen Zeit.«
»Hmm«, machte Baldwin und legte seine Unterarme so auf den Tisch, als säβe er jeden Tag an dieser Tafel. Nein, diese Geste hatte ganz und gar nichts mit den Manieren zu tun, die ein Gast seinem Gastgeber gegenüber an den Tag legen sollte.
»Soweit ich weiβ, ist Eurer Tochter Cathryn die Jungfernschaft – wie soll ich sagen – bereits abhanden gekommen, nicht wahr? Nun, in einem solchen Falle, denke ich, ziemt es sich nicht, im weiβen Kleid der Unschuld die Verlobung oder am Ende gar die Hochzeit zu feiern. Ich bin, wie Ihr wisst, ein groβzügiger und groβmütiger Mann. Nein, ich bestehe nicht darauf, dass Cathryn mit dem Strohkranz der Ehebrecherin auf dem Haupt zur Kirche gehen soll. Ich bin sogar so groβmütig, auf einen mit Asche bestäubten Sack zu verzichten. Doch ich denke, ein schlichtes graues Kleid aus einfachem Tuch, ohne Gürtel, Zierrat, Stickerei und Schmuck wäre für diesen Tag die passende Kleidung. Auch eine Haube sollte sie tragen, die ihr sündiges Haupt bedeckt. Für solch ein Kleid muss man nicht nach Nottingham zum Schneider fahren. Ich bin sicher, Mylady, dass sich in Eurem Haus eine Magd findet, die es versteht, mit Nadel und Faden umzugehen.«
Cathryn war aufgesprungen. Ihre Augen funkelten, die kleinen Hände hielt sie zu Fäusten geballt: »Ich habe keine Angst vor ärmlicher Kleidung«, zischte sie. »Ihr wisst das besser als jeder andere hier. Doch ich lasse mich nicht demütigen. Und von Euch, Sir Baldwin, schon gar nicht. In welchem Kleid ich zu meiner eigenen, wenn auch unerwünschten Verlobung gehe, ist meine Sache. Wenn Euch das nicht passt, dann sucht Euch eine andere.«
»Still! Sei still, Kind, und setz dich hin!«
Die Worte Lord Arthurs klangen streng. Doch die, die er wenig später an Sir Baldwin richtete, waren es nicht weniger.
»Bis zum Tage ihrer Hochzeit untersteht Cathryn mir. Ich bin es also, der bestimmt, wie sie zur Verlobung erscheint. Und ich überlasse ihr diese Entscheidung. Cathryn wird ein Kleid finden, welches dem Anlass angemessen ist. Wenn Euch das nicht passt, Sir Baldwin, so schreibt einen Brief an Richard Cromwell, dem neuen Lordprotektor von England, und beschwert Euch bei ihm. Hier, in diesem Haus aber, bestimme noch immer ich, was geschieht.«
Das hämische Lächeln lag noch immer auf Sir Baldwins Gesicht. Er wiegte den Kopf hin und her, bevor er antwor tete: »Als Euer Freund und zukünftiger Schwiegersohn empfehle ich Euch, Mylord, die Worte der Heiligen Schrift etwas ernster zu nehmen. Nicht umsonst steht dort geschrieben: Das Weib sei dem Manne Untertan. Ich fürchte, Ihr kennt diese Stelle nicht allzu gut. So mancher Kummer wäre Euch erspart gebheben, hättet Ihr auf dieses Wort geachtet.«
»Tatsächlich?«, fragte Lord Arthur, doch Baldwin winkte ab:
»Lasst uns nun zum eigentlichen Grund meines Besuches kommen: Ich denke, die Verlobung sollte zusammen mit dem Erntedank gefeiert werden. Vier Wochen bleiben Euch, um Cathryn vollends zur Genesung zu bringen und Vorbereitungen zu treffen. Dem Brauch gemäβ findet die Feierlichkeit in Eurem Haus statt. Die Messe aber sollte auf meinem Schloss abgehalten werden.«
»Ich soll in Cassians eigenem Haus mit einem anderen vor den Altar treten?«, schrie Cathryn und ihr Gesicht wurde aschfahl dabei. »Wie sehr wollt Ihr mich noch quälen, Sir Baldwin?«
Lord Arthur waren seine Gedanken im Gesicht abzulesen, doch er beherrschte sich, langte über den Tisch, tätschelte Cathryns Hand und erwiderte: »Wir werden uns selbstverständlich darum bemühen, den Termin einzuhalten. Doch die Gesundheit Cathryns hat bei all dem den Vorrang.«
Sir Baldwin stand auf. Er hatte gemerkt, dass er hier nicht länger gelitten war. Mit einer Verbeugung verabschiedete er sich, dann wandte er sich zur Tür und ging.
Kaum war er drauβen, lieβ Lord Arthur seinen Gedanken freien Lauf: »Wenn ich nur wüsste, warum dieser Widerling ausgerechnet meine Tochter heiraten will«, brummte er.
»Sie ist eine Lady«, erwiderte seine Frau. »Sir Humbert mag wohl mehr Geld haben als alle Lords der Umgebung zusammen, doch seine Abstammung bleibt die alte. Er ist ein kleiner Bürger, der es nur mit seinem Geld zum Sir gebracht hat. Seine Eltern haben eine Flickschneiderei in Nottingham betrieben, hast du das vergessen? Und der Staub dieser Schneiderei hängt ihm noch in den Kleidern. Er braucht im Grunde nicht unsere Tochter. Ihr Titel allein würde ausreichen. Aber Titel und Tochter lassen sich nun einmal nicht trennen. Mag er den weltlichen Vergnügungen auch abgeschworen haben und Gottes Wort zu jeder Tages- und Nachtzeit im Munde führen, so ist er doch nichts anderes als ein Parvenue. Ein eitler Emporkömmling, der es nur Cromwell zu verdanken hat, dass er Zutritt zu unserem Haus gefunden hat. Mag er auch nach dem Adel streben, den Seelenadel aber, der den Ardens eigen war, wird er niemals erlangen.«
»Ich hasse ihn!«, rief Cathryn aus und die Anspannung der letzten Stunde machte sich nun Luft. »Ich hasse ihn mit der ganzen Kraft meines Herzens ! Und ich verfluche den Tag, an dem ich mit ihm vor den Altar treten muss.«
»Kind, versündigt Euch nicht!«
Es war Margarete, die Cathryn zur Ordnung rief. Auf einem Stuhl neben der Tür sitzend, hatte sie den Auftritt Sir Baldwins miterlebt, während sie daraufwartete, dass die Tafel aufgehoben wurde oder der Hausherr noch einen Wunsch äuβerte. Jetzt sah sie ihr Ziehkind tadelnd an.
»Lass nur, Margarete«, beschwichtigte Lady Elizabeth die alte Kinderfrau.
Cathryn aber, die gerade noch mit geballten Fäusten, vorgerecktem Kinn und sprühenden Augen Sir Baldwin am liebsten eigenhändig erwürgt hätte, sackte nun zusammen. Klein und mit unnatürlich bleich saβ sie in ihrem Lehnstuhl. »Und wenn er Recht hat?«, fragte sie mit dünner Stimme. »Wenn Sir Baldwin wirklich Recht hat und Cassian im Armenspital gestorben ist?«
Sie schluchzte auf und hielt sich die Hände vor das Gesicht.
Lady Elizabeth warf ihrem Mann einen fragenden Blick zu, ehe sie leise, aber mit Zuversicht erwiderte. »Du würdest es fühlen, wäre er tot«, sagte sie.
»Ich habe Angst«, erwiderte Cathryn. »Vielleicht habe ich meine Gefühle alle in London gelassen.«