Kapitel 16
Das Besucherzimmer war ein schlichter Raum, in dem es keinen Ofen gab und dessen schmales Fenster nicht verglast war. Cathryn fröstelte und zog ihren Umhang enger um sich,
Dann setzte sie sich auf das schmale Brett, das man von der Wand klappen konnte und das übernachtungsgästen wohl als Schlafstatt diente. Die Minuten zogen sich in die Länge. Cathryn stand wieder auf, lief wie ein eingesperrtes Tier im Raum hin und her, verfolgt von der Angst, dass Cassian nicht kommen würde, und gleichzeitig getragen von der Hoffnung, dass sich im nächsten Moment die Tür öffnen und er vor ihr stehen würde.
Drauβen stand die Sonne bereits tief am Horizont. In den Häusern wurden die ersten Lichter angezündet und der kleine, karge Raum füllte sich mit Schatten.
Cathryn wusste nicht, wie lange sie nun schon auf Cassian wartete, doch die Zeit kam ihr endlos vor.
Sie wollte gerade nach dem Mönch rufen und sich von ihm zum Ausgang geleiten lassen, als sie endlich vertraute Schritte hörte.
Die Tür ging auf und Cathryn flog auf Cassian zu, flog direkt an seine Brust.
»Cassian«, flüsterte sie. »Mein Gott, wie ich dich vermisst habe.«
Cassian nahm sie leicht bei den Schultern und schob sie von sich weg. Dann reichte er ihr sehr förmlich die Hand und sagte mit sperriger Stimme: »Guten Abend, Cathryn. Ich hatte nicht gehofft, dich noch einmal wiederzusehen.«
Cathryn taumelte bei diesen Worten zurück, als hätte sie einen Schlag in den Magen erhalten.
»Cassian, warum bist du so kalt? Was habe ich dir getan? Sag es mir, Cassian! Liebst du mich denn gar nicht mehr?«
»Du fragst, was du mir getan hast? Willst du mich verhöhnen? Du hast mich im Stich gelassen, hast mich und unsere Liebe verraten. Krank und elend hast du mich in London zurückgelassen, ins Armenspital hast du mich gesteckt und bist mit meinem ärgsten Feind auf und davon gegangen. Oh, nein, Cathryn, sprich du mir nicht von der Liebe! Für dich war unsere Beziehung ein Abenteuer, deine Liebesbeteuerungen nur Worte. Nicht an mich hast du dein Herz gehängt, sondern an ein bequemes Leben in schönen Kleidern. Ich verachte dich dafür, Lady Cathryn von Jourdan. Du trägst den Titel der Lady zu Unrecht, denn Seelenadel besitzt du nicht.«
»Bist du nur gekommen, um mir das zu sagen?«, fragte sie mit gebrochener Stimme. Sie sah den Mann, den sie mehr als alles auf der Welt liebte an, sah die Kälte in seinen Augen, sah die verschränkten Arme vor seiner Brust, sah den Mund, der zu einem schmalen Strich verzogen war. Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihre Knie wurden weich, sodass sie beinahe auf das Klappbett fiel. Dann konnte sie nicht mehr an sich halten, sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und weinte erbärmlich.
»Wie kommt es, dass du so von mir denkst, Cassian? Warum meinst du, ich hätte dir nur etwas vorgemacht. Oh, Cassian, warum fragst du mich nicht, wie es wirklich wahr?«
»Was gibt es zu fragen? Die Tatsachen sprechen für sich. Dazu der Brief, in dem alles stand, was du mir noch mitzuteilen hattest.«
»Sir Baldwin hat mich gezwungen, dir diesen Brief zu schreiben. Oh, Cassian, wenn du wüsstest, wie es mir geht. Ich muss ihn heiraten, verstehst du? Tue ich es nicht, muss mein kleiner Bruder Jonathan sterben. Hätte ich London nicht verlassen und wäre mit ihm gegangen, wärest du bereits tot und ich als Diebin verurteilt. Ich konnte nicht anders, Cassian. Es gab keinen anderen Weg.«
Cassian stand wie betäubt mitten im Raum und starrte auf die Frau, die er noch immer liebte, die ihm aber doch mehr Schmerzen zugefügt hatte als jemals ein Mensch zuvor. Ihre Tränen, ihre Verzweiflung taten ihm weh. Langsam und zögerlich ging er auf sie zu, betrachtete ihre zuckenden Schultern, hörte ihr verzweifeltes Weinen. Schlieβlich setzte er sich neben sie, legte seine groβe warme Hand auf ihre, sodass sie ganz bedeckt war.
»Erzähle mir, was geschehen ist«, bat er leise. »Erzähle mir die Wahrheit. Ich möchte alles wissen. Lass nichts aus.«
Und Cathryn erzählte. Sie schilderte, wie Sir Baldwin sie beim Diebstahl der Lebensmittel für Cassian ertappt hatte, wie er sie gezwungen hatte, den Brief zu schreiben und ihr vorgelogen hatte, dass für Cassian gut gesorgt werden würde. Sie erzählte die Geschichte von Jonathan, dem geliebten kleinen Bruder, berichtete über die bevorstehende Verlobung und auch darüber, wie David Cassian in London gesucht hatte. Selbst über ihre Sehnsucht und Verzweiflung sprach sie, lieβ nichts aus.
»Und jetzt bin ich gekommen, um dir Lebewohl zu sagen, Cassian, Liebe meines Lebens. Ein einziges Mal noch wollte ich mit dir sprechen, dir in die Augen sehen. Lass uns ohne Bitterkeit auseinander gehen. Wünsch mir Glück, so wie ich dir von Herzen alles Glück dieser Welt wünsche. Ich werde dich für immer lieben, das weiβ ich so sicher wie, dass auf den Tag die Nacht folgt.«
Sie hob ihr tränennasses Gesicht und sah ihn an. Und Cassian konnte nicht anders, als ihr die Tränen vom Gesicht zu küssen.
»Verzeih, meine Liebste. Verzeih, was ich dir angetan habe. Ich bereue jedes Wort, jeden Gedanken. Statt bei dir zu sein, statt dich zu schützen und für dich zu sorgen, habe ich mich nur um mein Wohlergehen gekümmert. Verzeih mir, Liebste, dass ich nicht dawar, als du mich so nötig gebraucht hast.«
»Nein, Cassian, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es ist nicht deine Schuld, dass du krank geworden bist.«
»Aber wie konnte ich nur jemals an dir zweifeln? An deiner Liebe? Ich hätte meinem Herzen und nicht meinem Kopf folgen sollen. Ich habe dich verraten.«
»Pscht, pscht, Cassian. Sei still. Wir sollten dankbar sein, dass wir uns noch einmal gefunden haben. Es ist alles gut. Nimm mich noch einmal in den Arm, bevor ich gehen muss.«
Und Cassian nahm sie in den Arm, hielt sie fest, als wolle er sie niemals wieder loslassen. Er presste sie an sich, wiegte sie hin und her, sein Mund bedeckte ihr Haar mit Küssen, in das seine Tränen fielen.
»Cathryn, oh, meine Cathryn, mein Leben, meine Liebe, mein Licht.«
Und sie schmiegte sich an ihn, presste ihr Gesicht ganz fest gegen den rauen Stoff der Kutte, sog seinen Geruch ein, um ihn für immer im Gedächtnis zu behalten. Dann hob sie den Kopf, ihre Lippen boten sich ihm dar und Cassian presste seinen Mund auf ihren, seine Zunge drängte sich zwischen ihre Lippen und er küsste sie so wild und leidenschaftlich wie nie zuvor.
Sie hielten sich umklammert wie zwei Ertrinkende.
Dann waren Schritte im Gang zu hören, jemand lief drauβen an der Tür vorbei. Cassian lieβ Cathryn los, beinahe wirkte er verlegen, doch dann nahm er ihre Hand und sagte: »Komm!«
Er führte sie durch die dunklen Gänge des Klosters bis hinaus in den Garten. Dort, am Rande der Kräuterbeete, deren Geruch die Nacht mit ihrem würzigem Duft erfüllte, befand sich ein kleines Gartenhäuschen. Die Mönche benutzten es, um Kräuter zu trocknen, aus denen sie Arzneien und Salben herstellten.
Zu dieser Tageszeit lag es verlassen und still.
Leise öffnete Cassian die knarrende Tür und verschloss sie von innen mit einem Riegel, nachdem er Cathryn hineingezogen hatte.
Er suchte und hatte schon bald ein paar Lichter gefunden, die er anzündete, sodass der Raum in ein diffuses, warmes Licht getaucht wurde.
»Ist dir kalt?«, fragte er, als er sah, dass Cathryn die Arme schützend um den Körper geschlungen hatte.
»Nein, mir ist nicht kalt. Oder doch. Kalt und heiβ zugleich. Ich weiβ nicht, was mit mir los ist. Ich bin unglaublich aufgeregt. Mein Herz, mein Körper – alles schreit nach dir. Und doch habe ich Angst.«
Er kam zu ihr, schlang seine Arme um sie und zog sie an sich. »Pscht, pscht«, machte er. »Du zitterst ja. Hab keine Angst. Ich bin bei dir. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch, Cassian«, erwiderte sie und begann plötzlich heftig zu weinen.
»Was ist?«
»Es ist alles so furchtbar. Ich liebe dich mehr, als ich sagen kann. Liebende sollten beieinander sein. Aber wir nehmen nur immerzu Abschied voneinander. Ich weiβ, dass es in meinem Leben niemals mehr einen Mann geben wird, den ich so sehr liebe wie dich. Ich bin gerade 18 Jahre alt, aber das Glück liegt bereits hinter mir.«
Er wiegte sie hin und her, pustete seinen warmen Atem in ihr Haar.
»Ich dachte immer, wir wären füreinander bestimmt«, schluchzte sie und presste ihr Gesicht an seine Brust.
»Ja, Cathryn. Wir sind füreinander bestimmt. Das weiβ ich ganz sicher. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, man sei füreinander bestimmt, um miteinander glücklich zu sein. Es gibt keinen Glücksanspruch des Menschen. Wahrscheinlich sind wir füreinander bestimmt, um aneinander zu leiden. Bestimmt, ohne den anderen unglücklich zu sein.«
»Ist Gott so grausam?«
Cassian schüttelte den Kopf. »Nein, Cathryn. Nicht Gott ist grausam. Wir Menschen sind es.«
»Ich will dich nicht verlieren. Ich will nicht ohne dich sein.«
Cassian lachte leise. »Du bist in meinem Herzen, Cathryn. Und was immer auch passiert, du wirst darin leben, so lange ich lebe.«
Obwohl Cathryn noch immer zitterte, spürte sie, wie sich die von Cassian ausgehende Wärme und Ruhe allmählich auf sie übertrug. Das Zittern Heβ nach, sie entspannte sich, wurde weich und warm in seinen Armen, fühlte sich geschützt und geborgen und wusste doch gleichzeitig, dass dieser Augenblick nur von allzu kurzer Dauer und unwiederbringlich sein würde. Es würde das letzte Mal in ihrem Leben sein, dass sie seine Nähe spürte. Der Moment mit Cassian war so kostbar, dass es ihr fast den Atem raubte. Sie wollte diesen Mann noch einmal besitzen. Mit Haut und Haaren. Wollte sich ihm ganz hingeben und die Erinnerung daran für immer in ihr Gedächtnis brennen.
Noch immer liefen ihr die Tränen über die Wangen, doch ihre Hände hatten sich einen Weg unter seine Kutte gesucht. Es war, als würde sie ein Blitz durchfahren, als sie endlich seine nackte Haut unter ihren Händen spürte. Der Blitz setzte ihren Körper in Brand. Ihre Haut kribbelte, als würden Tausende von Ameisen über sie laufen. Heiβe Wellen durchfluteten ihren Körper. Cathryn schloss die Augen und gab sich vollkommen ihrem leidenschaftlichen Begehren hin. Ihr Atem ging hastig. Ihre Augen suchten seinen Mund. Als sich seine Lippen fordernd auf ihre legten, seine Zunge suchend zwischen ihre Lippen drang, spürte sie den nahenden Abschied plötzlich mit der ganzen Heftigkeit ihres Seins. Ihre Hände klammerten sich an Cassians Schultern, ihre Nägel gruben sich in sein Fleisch, ihr Mund suchte gierig nach seinem.
Und noch während sie seinen Atem einsog, als wäre dieser ihr Lebenselixier, zogen ihre Hände schon am Stoff der Kutte, legten zuerst seine Schultern, dann seinen Oberkörper frei, flogen über seine Haut, sanft streichelnd und liebkosend, kurz darauf fordernd und drängend.
Auch in Cassian war das Begehren erwacht. Auch in ihm brannte der Schmerz des Abschieds in ungeahnter Heftigkeit. Und auch seine Hände rissen an ihrem Kleid.
Nein, es war kein Akt der Zärtlichkeit, dem sie sich hingaben. Begierde und Schmerz bestimmte ihr Verlangen nacheinander. Kaum waren sie nackt, sanken sie auch schon auf das am Boden liegende Bündel ihrer Kleider. Mit festem Griff drückte Cassian Cathryns Schenkel auseinander, drang tief in sie ein und nahm sie mit festen, harten Stöβen. Sie erreichten den Gipfel der Lust schnell, kamen beinahe gleichzeitig, entluden ihre qualvolle Lust in einem Schrei, hielten sich die ganze Zeit fest umklammert, während sie gleichzeitig lachten und weinten.
Es dauerte lange, bis sie wieder zu Atem kamen, bis der Aufruhr ihrer Gefühle sich beruhigt hatte.
Dann kam die Zeit der Zärtlichkeit.
»Du bist wunderschön«, flüsterte Cassian und der Anblick ihrer schutzlosen Nacktheit rührte ihn bis tief in das Innerste seiner Seele.
Sie lag neben ihm, sah ihm mit einem glücklichen Lächeln in die Augen, hatte den Abschiedsschmerz verdrängt. Sie hob ihre Hand, zeichnete mit dem Finger die Linien seines Gesichtes nach, während seine Hände tröstlich und mit unglaublicher Sanftheit über ihren Leib strichen.
Seine Finger glitten von ihren Schultern über die Innenseite des Armes, verweilten kurz in dessen Beuge, fuhren hinunter zum Puls. Er nahm ihre Hand, küsste jeden einzelnen Finger, lieβ seine Zunge über ihren pochenden Puls spazieren.
Und schon wieder drängten sich ihre Körper aneinander.
Wieder lagen sie Haut an Haut, Herz an Herz. Das Mondlicht malte einen Schatten an die Wand, einen Schatten der beiden Körper, die in diesem diffusen Licht zu einem einzigen verschmolzen. Diesmal liebten sie sich sanft, glitten auf den Wogen der Lust allmählich in das Meer der Erfüllung.
»Was wird geschehen, Cassian?«, fragte Cathryn etwas später. »Stimmt es, dass du nach Amerika gehen wirst? Hast du wirklich die Kutte genommen? Für immer?«
»So viele Fragen auf einmal«, erwiderte Cassian und fuhr mit dem Finger die Linie ihres Mundes nach.
»Ich bin Laienprediger, kein Mönch. Es steht mir frei, zu tun und zu lassen, was ich möchte. Ich könnte sogar in den Stand der Ehe treten, aber die einzige Frau auf der Welt, mit der ich mein Leben teilen möchte, wird bald schon eine verheiratete Frau sein. Also …«, er lachte leise, obwohl ihm eher zum Weinen zumute war, »… werde ich wohl für den Rest meines Lebens allein bleiben.«
»Wirst du nach Amerika gehen?«
Cassian zuckte mit den Achseln. »Ja, das kann gut sein. Sir William Penn bemüht sich um ein groβes Stück Land an der Küste der neuen Welt. Wir könnten es besiedeln, könnten ein Leben nach unseren Vorstellungen führen. Ein reizvoller Gedanke, doch er führt mich sehr weit weg von dir. Ach, Cathryn, wenn ich nur wüsste, was richtig ist! Im Augenblick sieht es nicht so aus, als käme König Karl IL zurück nach England und plane, den enteigneten Lords ihre Güter und Manors wieder zu geben. Ich habe keine Zukunft in England. Was soll ich also tun?«
»Mein Herz schreit auf bei dem Gedanken, dich so weit weg von mir zu wissen und dich niemals wieder sehen zu können. Aber ich verstehe dich. Es wäre gut, wenn es einen Ort gäbe, an dem die Welt neu erschaffen werden könnte. Einen Ort, an dem Gerechtigkeit und Gleichheit, Gottesfurcht und Freundlichkeit herrschen. Ich wäre stolz, wenn du diesen Ort miterschaffen würdest, Cassian. Aber trotz allem wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass es eine Möglichkeit gäbe -und sei sie noch so winzig – eines Tages mit dir leben zu können.«
»Wir haben es versucht, Cathryn. Und es ist nicht gelungen. Wir leben einfach in der falschen Zeit. Das Jahr 1659 ist kein Jahr für die Liebe.«
»Wann wirst du aufbrechen?«
»Ich weiβ es nicht. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht schon vorher, vielleicht später. Es ist noch nichts entschieden, William Penn kann bis jetzt noch nicht über das Land verfügen.«
»Dann haben wir noch eine kleine Chance, dass am Ende doch noch alles gut wird?«
Ihre Frage klang so flehentlich, ihre grünen Augen blickten ihn so voller Hoffnung an, dass Cassian es nicht über das Herz brachte, sie mit einer ehrlichen Antwort zu enttäuschen. Er strich ihr über das Haar wie einem verängstigtem Kind, unterdrückte ein Seufzen und sagte mit aller überzeugung, die er zu spielen im Stande war: »Ja, Cathryn. Eine kleine Chance gibt es immer. Wer nicht mehr hofft, der lebt nicht mehr.«
Sie hatten nicht bemerkt, dass die Nachtstunden schon beinahe hinter ihnen lagen und ein neuer Tag angebrochen war. Doch als die Schatten im Gartenhäuschen heller wurden, die ersten Hähne zu krähen begannen, sagte Cassian: »Du musst gehen, Cathryn. Es wäre nicht gut, wenn man uns hier zusammen sehen würde.«
Sie nickte stumm, biss sich dabei aber auf die Lippe.
Mit vor Traurigkeit bleischweren Armen hoben sie ihre Kleider vom Boden auf und zogen sich an. Dann verlieβen sie das Gartenhäuschen so heimlich, wie sie gekommen waren. Sie hielten sich dabei fest an den Händen, kosteten jede der letzten Sekunden ihres Zusammenseins aus. An der Pforte umarmten sie sich noch ein letztes Mal und noch einmal fanden sich ihre Münder in einem nicht enden wollendem Kuss. Doch dann öffnete Cassian die schwere Tür und schob Cathryn hinaus. Sie klammerte sich an seine Hand, wollte ihn nicht loslassen, ihn nicht verlassen. Ihr Körper bog sich ihm entgegen, aus ihren Augen stürzten schon wieder die Tränen. Sie stand bereits in der Gasse, in der die ersten Fuhrwerke rumpelten, und konnte ihn nicht lassen. Und auch Cassian hielt sie fest, der Druck seiner Hand lieβ ihre zarten Fingerknochen knacken. Und noch einmal umarmten sie sich, hielten sich aneinander fest, bis Cassian sich schlieβlich losriss, mit rauer Stimme: »Gott segne und beschütze dich«, murmelte und beinahe rannte, als er sich wieder hinter die schützenden Mauern des Klosters begab. Sie sah ihm nach, starrte noch auf die Tür, als diese längst zugefallen war, fühlte sich reich beschenkt und doch ärmer als die ärmste Bettlerin.
Noch immer rannen die Tränen über ihre Wangen, als sie sich endlich umdrehte und wie betäubt von der Müdigkeit, dem Schmerz und der erlebten Lust die Gasse entlanglief. Sie blickte weder nach rechts noch nach links – und sah auch Sir Baldwin Humbert nicht, der im Schatten eines Hauserkers schon seit Stunden auf sie gewartet hatte.
Seine Glieder waren noch steif von der Kälte der Nacht. Die Müdigkeit, die seit Stunden wie ein groβer schwarzer Vogel hinter seiner Stirn gehockt hatte, war plötzlich wie weggeblasen.
»Na, endlich«, murmelte er und schüttelte sich ein wenig. »Ich habe doch gewusst, dass ich dich hier treffe, Cathryn von Jourdan. Und ich hatte dich gewarnt. Jetzt wirst du die Folgen dafür tragen, dass du mir nicht gehorcht hast.«
Er nickte zufrieden, als er ihr hinterher schaute, rieb sich die Hände, zog den Umhang fester um sich und ging eiligen Schrittes in Richtung Marktplatz zum Sitz des Stadtparlaments. In dessen unmittelbarer Nähe betrat eine kleine Wirtschaft, in der man ihn schon erwartete.