Kapitel 4
Willkommen im Klub!
Wen wundert es, dass ich nach positivem Feedback japse wie ein Fisch auf Landurlaub nach Wasser? Ich brauche dringend Frauen, die schon Erfahrungen mit Kindern haben und mich unterstützen können, die mich ermutigen und bestätigen. Handfeste, selbstbewusste, fröhliche Vorbilder, keine Papierleichen aus überdrehten Ratgebern. Frauen, die mir ganz praktisch zeigen, wie man mit Kindern umgeht und dabei ein schönes Leben hat, und die mir vielleicht auch mal sagen, was ich vielleicht schon ganz gut mache.
 
»Schließlich ist die Mutterschaft eine Art Handwerk, und alle jungen Mütter brauchen in ihrer Lehrzeit eine Art Rollenmodell oder Vorbild - eine Art Meisterin -, die all das Neue schon einmal erlebt hat. Die Rolle des Vorbildes besteht nicht nur darin, Ratschläge zu geben und Informationen zu vermitteln. Es soll vielmehr ein psychologisches Umfeld schaffen, in dem Sie sich sicher und vertrauenswürdig fühlen können, und in dem Sie den Mut finden, Ihre Fähigkeiten als Mutter zu erkunden.«
 
So beschreiben es Bruschweiler und Stern in ihrem Buch Geburt einer Mutter. Und das kling äußerst logisch. Wer liegt da für mich theoretisch näher als meine eigene Mutter? Schließlich verstehen wir uns prima und sie hat immer behauptet, die Zeit mit ihren Kindern aus vollen Zügen genossen zu haben.
Aber so einfach ist das mit dem Vorbild gar nicht.

Im Perfektionsrausch

»Kind, was siehst du blass aus!« Meine Mutter schaut mich besorgt an. »Meinst du nicht, du solltest mal etwas ausruhen?«
»Mutti, wie soll ich mich ausruhen! Ich habe ein Baby!« Aufgebracht blitze ich sie an.
»Ja, aber ich meine ja nur. Es muss doch nicht immer alles so perfekt sein. Vielleicht solltest du mal etwas locker lassen.« Freundlich lächelt sie mir zu.
»Mutti«, seufze ich genervt. »Das ist nicht mehr so wie früher bei euch. Das ist nicht mehr so locker. Man muss da ständig aufpassen!«
»Vielleicht solltest du das nicht alles so ernst nehmen«, sagt sie vorsichtig.
»Du hast gut reden«, antworte ich wütend.
 
Düster beiße ich auf meine Unterlippe. Ganz klar, meine Mutter geht völlig anders an die Mutterschaft heran als ich. Sie hält mich für übervorsichtig, überängstlich und verbissen. Denn es ist keineswegs die gestrenge Großmutter, die die junge Mutter zu Vorsicht und Sorgfalt im Umgang mit dem Kleinkind mahnt. Nein, es ist die junge, gut informierte Tochter - also ich -, die die Großmutter laufend vor Risiken und Gefahren warnt. In allen Kinderfragen ist meine Mutter viel unbekümmerter und spontaner als ich. Gegen mich alte Oberglucke wirkt meine Mutter geradezu jugendlich leichtsinnig, ob es um Aufsicht, Ernährung, Pflege, Unterhaltung, Transport oder die Sicherung der Umgebung geht. Ich habe laufend das ermüdende Gefühl, meine Mutter in das Handwerk der Mutterschaft einweihen zu müssen, und nicht umgekehrt. Sie hat uns Kinder früher unbekümmert zu Großtanten gegeben, die zwar nett waren, aber selbst nie Kinder hatten. Ich traue mich nicht mal, mein Kind meiner erfahrenen Mutter für zwei Stunden zu geben, ohne ihr vorher ellenlange Vorträge über Sicherheitsvorkehrungen zu halten.
Das kommt meiner Mutter merkwürdig vor. Sie will einfach nicht sehen, dass nicht ich verbissen bin, sondern die Situation. Sie kann nicht glauben, dass man heutzutage von uns jungen Müttern erwartet, jegliche Gefahr, Krankheit und Risiko von den Kindern fernzuhalten, um deren lebenslanges Glück, deren Erfolg und Gesundheit zu verursachen. Sie hält diese Erwartungen für reichlich weltfremd und schüttelt insgeheim den Kopf über meinen Eifer.
Sie kann gut reden. Sie hatte sie ja nicht - die pränatale Diagnostik, die dauernden Warnungen vor Risiko, Krankheit und Gefahr, die mahnenden Broschüren, Bücher und Instruktionen, die Kinderuntersuchungshefte und hochgesteckten Ziele. Zu ihrer Zeit gab es zwar Ratgeberliteratur zur Pflege und Erziehung von Kindern, aber sie war noch nicht sehr verbreitet. Meine Mutter las keine Bücher zur Erziehung von Kindern und fand die Frauen auch immer etwas seltsam, die in Büchern nach dem richtigen Umgang mit ihren Kindern suchten. Sie war der Meinung, dass das eigene Gefühl und der eigene Instinkt die besten Ratgeber seien. Das konnte sie auch so locker denken, weil es sie ja für sie noch nicht gab, die »Mutterschuld«.
Oder - schießt es mir schmerzhaft durch den Kopf - hat sie recht? Bin ich vielleicht zu perfektionistisch?
Wieder einmal zweifle ich, ob ich zur Mutterschaft überhaupt geeignet bin …
 
Aber wer versteht meine Lage? Wer bestärkt mich in meinen Nöten? Wo finde ich Seelenverwandte, die den Druck genauso spüren wie ich? Keine Frage, unter anderen Müttern mit Kindern. Es ist eine Tatsache, dass junge Mütter nahezu ausschließlich die Nähe von jungen Müttern suchen. Ja, es scheint eine Art biologischer Zwang von Müttern zu sein, andere Mütter aufzuspüren und sich paarweise oder in Gruppen zu sammeln. Alte Freundinnen mit Kindern - vorher oft instinktiv gemieden, weil deren Leben wenig kompatibel mit dem eigenen kinderlosen Leben schien - sind schlagartig unglaublich interessant. Auf einmal könnte ich stundenlang mit ihnen plaudern und einen Malzkaffee trinken. Es gibt ein unendlich weites Gesprächsthemenfeld: das Kind. Endlich kann ich jemanden fragen, der die neuesten Trends der Kindererziehung genauso verinnerlicht hat wie ich.
 
»Wie oft bist du denn nachts aufgestanden?«
»Wie habt ihr eure Wohnung sicher gemacht?
»Wie lange hast du gestillt?«
 
Und die andere nickt wissend, erzählt aus ihrem Erfahrungsschatz und gemeinsam gehen wir die wichtigen Dinge des Lebens durch.
Kinderlose Freundinnen finden mich jetzt meist wenig amüsant. Junge Mütter können mit erstaunlicher Akribie über Windelinhalte, Schlafgewohnheiten, Babygarderobe und Stillpläne reden, ohne sich um aufkeimende Unruhe beim Gegenüber zu kümmern.
Bald ist die eine Freundin gelangweilt (»Ich muss jetzt leider weg!«), die andere ist eifersüchtig (»Mein Gott, muss sich denn wirklich immer alles um das Kind drehen?«), die dritte hat kein Faible für Babys (»Sei mir nicht böse, Schätzchen, aber ich mag Kinder nicht besonders.«) und die vierte ist neidisch (»Hast du dir das mit einem Kind wirklich gut überlegt?«). Alle zusammen haben zwar keine Kinder, wissen aber immer alles besser.
Und ich, ich grolle manchmal und bin zickig, wenn ich mitansehen muss, wie beneidenswert frei sich meine kinderlosen Freundinnen bewegen, wie sie ausschlafen und ausgehen und erfolgreich im Beruf sind. Ich habe lange so gelebt wie sie und ehrgeizig auf eine berufliche Karriere hingearbeitet. Mutterschaft heißt nicht, sämtliche Allüren fahren zu lassen.
Das alles sind Gründe, dass Treffen mit meinen alten Freundinnen immer weniger werden, bis sie schließlich ganz aufhören.

Es lebe die Mutter-Kind-Bewegung!

Glücklicherweise habe ich gute Aussichten, neue Freundinnen zu finden. Es gibt eine Vielzahl von Kursen, die sich gezielt an Mütter mit Baby wenden: Gruppenangebote zum Stillen, zur Babymassage, zur Ernährung, zum Tragetuchbinden, zum PEKiP, zum Babyturnen und vielen anderen interessanten Dingen, die eine Mutter lernen sollte, um ihrem Kind von Anfang an optimale Startbedingungen verschaffen zu können. Unter professioneller Anleitung treffen Frauen mit Kindern andere Frauen mit Kindern.
Früher, ab den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts, soll es Frauengruppen gegeben haben, in denen Mütter über Frauenbewegung, Frauenpower, Feminismus und das eigene Selbstverständnis als Frau und Mutter diskutierten. Das hatte den unschönen Nebeneffekt, dass Frauen miteinander stritten. Heute machen wir Mütter in Gruppen so etwas nicht mehr. Wir geben uns unpolitisch. Die Wörter »Feminismus« oder »Emanzipation« kommen in Gruppengesprächen nie vor und würden auch deplatziert wirken, ja, sogar geschmacklos und beleidigend. Schließlich halten wir uns alle für gleichberechtigt und jede, die uns eines anderen belehren möchte, nur weil wir jetzt Kinder haben, macht sich sofort unbeliebt. Wir reden nicht gerne von Emanzipation, wir reden von uns als »moderne Mütter«.
Die Grundidee unter modernen Müttern ist nicht, sich auseinanderzusetzen, sondern sich hinzusetzen, um den Nachwuchs in professionell geführten Gruppen zu fördern und sich zu informieren, wie man ihn darüber hinaus effizient fördern kann. Deshalb heißen wir Frauen in Gruppen auch nicht mehr »Frauengruppen«, sondern »Mutter-Kind-Gruppen«, »Stillgruppen«, »PEKiP-Gruppen«, »Babymassagegruppen«, »Babyschwimmgruppen«, »Krabbelgruppen« oder »Spielgruppen«. Die Frauenbewegung ist tot, es lebe die Mutter-Kind-Bewegung! Das Kind bewegt sich, die Mutter begleitet es wohlwollend. Es soll spielerisch lernen, es soll unter Gleichaltrige kommen und Sozialverhalten einüben. Im Prinzip sind diese Versammlungen nichts anderes als gut organisierte Arbeitstreffen, in denen Mütter sich wie Kolleginnen über ihre Projekte austauschen und sich gegenseitig auf dem neuesten Stand der Forschung halten. Wir wollen die erste Zeit mit unserem Kind genießen. Diese Arbeitstreffen erleichtern das Handwerk und geben uns die Möglichkeit, ein gutes Netzwerk aufzubauen.
Aber welchen Kurs soll ich als Einstieg nehmen? Private Frühförderung boomt. Was vor Jahren mit den Klassikern PEKiP und Babyschwimmen begann, nimmt heute weite Dimensionen an. In den politischen Diskussionen, in Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren, im Internet, in Arztpraxen und Institutionen - immer und überall ist das Thema: Wie können unsere Kinder und wir besser werden? Was können wir tun, um die Entwicklung der Kinder zu fördern? Wie können wir von Anfang an das Beste für unseren Nachwuchs tun? Der Hype ist überall und ansteckend. Nahezu alle Mütter, die ich kenne, sind äußerst lernwillig und eifrig. Merke: Ein erfolgreiches Leben beginnt in den Windeln.
Bald macht beeindruckendes Halbwissen die Runde: Von der modernen Hirnforschung und dem sagenhaften Aufnahmevermögen eines Kleinkindes, von neuronalen Netzwerken und Synapsen, die sich schließen und verbinden, von den vielfältigen Anregungen, die ein Kleinkindhirn braucht, um sich zu ungeahnten Höchstleistungen aufzuschwingen, von der erstaunlichen Mühelosigkeit, mit der Zwei- bis Vierjährige Fremdsprachen erlernen können - und von der bitteren Erkenntnis, dass wir alle nur in den ersten zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben oder auch zehn Jahren (die Angaben variieren je nach Anbieter und Interessenlage) spielend lernen und dann zunehmend dem geistigen Verfall anheimfallen. Hochmoderne Wissenschaft paart sich mit alten Weisheiten: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Da drängt natürlich die Zeit, da hat man keine Muße mehr, mal in Ruhe nachzudenken, ob denn alles Gold ist, was glänzt. Dass Zwei- bis Vierjährige Fremdsprachen genauso schnell wieder vergessen, wie sie sie freudig aufgenommen haben, wenn sie nicht kontinuierlich Tag für Tag weiterlernen und üben, das beeindruckt uns in keiner Weise. Im Zweifelsfalle ist so eine Frühförderung für die Katz, das weiß man ja, aber man weiß ja auch nie, ob es nicht doch zu etwas gut ist. Die Zeit und das Geld - wir investieren es mit gutem Gewissen. Wir geben uns gerne fortschrittlich und es ist angenehm, neue Menschen kennenzulernen und Termine zu haben, die den Alltag mit Kind etwas strukturieren. Das hat etwas von Zielstrebigkeit. Das Klima für Experimente ist exzellent.
Und so brauchen sich findige Geschäftsleute nicht einmal zu schämen, wenn sie uns eifrigen Eltern Englisch-Kurse für Babys im Alter von drei bis 18 Monaten anbieten.
 
»Babys und Eltern lernen gemeinsam Lieder, Aktivitäten, Reime, Rhythmen und jede Menge über die kindlichen Entwicklungsstadien.«
 
Was sich wie ein guter Witz anhört, ist gar keiner. »Baby’s Best Start« heißt es vielversprechend auf der Website des Helen-Doron-Sprachzentrums und wird auch gern mit Broschüren in Kindergärten beworben. Wie praktisch, dass die Kinder noch nicht sprechen können und die Liedertexte nicht auswendig lallen müssen. Da ist der Leistungsdruck nicht ganz so hoch.
Ich hätte da eine kleine Anregung: Wie wäre es denn mit Latein für Babys? Dann fällt das mit der Aussprache gar nicht mehr auf. Ich sehe schon direkt vor mir, wie mancher Leser, manche Leserin überlegt, ob das nicht tatsächlich eine gute Idee wäre. Schließlich liegen Babys den lieben langen Tag nur rum. Da kann ein bisschen Bildung nicht schaden, nicht wahr?
Ich verfüge inzwischen über ein ansehnliches Archiv unterschiedlicher Informationsbroschüren und Ratgeber und täglich kommen neue hinzu. Nicht nur beim Kinderarzt, in Apotheken und Drogerie-Beilagen und in den gängigen Elternzeitschriften und Internetforen gibt es stets interessante Artikel und Flyer über die Möglichkeiten der frühen Förderung meines Säuglings. Nein, auch die Stadt versieht uns in regelmäßigen Abständen gerne und unaufgefordert mit den Kursangeboten der Familienbildung und Erziehungsberatung und lässt nützliche Elternbriefe aus Berlin zu Entwicklungsphasen unseres Kindes jahrelang ins Haus flattern. Der Oberbürgermeister erinnert uns in Broschüren seit der Geburt unseres Kindes in freundlichen Grußworten immer mal wieder daran, wie wichtig die körperliche und geistige Entwicklung unserer Kinder sei und wie viel leichter unsere Kinder neue Bewegungen lernten, wenn sie über gut trainierte, koordinatorische Fähigkeiten verfügten. Anbei finden wir das Kursprogramm.
Eines ist klar: Wir Mütter - denn wir sind es nun mal, die sich immer noch hauptsächlich um die Kinder kümmern - sind nicht nur zum Vergnügen hier. Wir müssen uns da gar nichts vormachen. Natürlich geht es dem Staat bei dem Aufruf zur Förderung unserer Kinder auch um Chancengleichheit unabhängig von Geschlecht, sozialer und ethnischer Herkunft und um den Ausgleich von individuellen und sozialen Benachteiligungen. Aber der künftige Bürger, den wir hier heranziehen, ist für den Staat existenziell wichtig. Kinder sind unsere Zukunft, Kinder sind unser Kapital. Die Gesellschaft braucht frische Talente. Und da die Geburtenrate sinkt, liegt die Verantwortung umso schwerer auf den Schultern der wenigen künftigen Staatsbürger. Die alte Maxime engagierter Pädagogen »Kein Kind darf verloren gehen« bekommt da eine ganz neue Bedeutung, eben nicht mehr nur nächstenliebend, sondern auch profitorientiert, und daraus wird auch gar kein Hehl gemacht. Gesund, intelligent, innovativ und geschickt sollen die lieben Kleinen nämlich nicht nur später den Steuerzahlern keinesfalls auf der Tasche liegen, sondern sie sollen einmal die Rente und die Zukunft unseres Landes retten, die wir gerade in den Sand setzen.
Das ist nicht wenig, und ja, ich gebe es offen zu, wenn sie das schaffen sollen, was man von ihnen erwartet, brauchen wir ständig guten Rat. Wir brauchen exzellente Schulen für alle Kinder, um diese Mammutaufgabe zu stemmen. Aber unsere Nation investiert ungern in Bildung. Deutschland gibt im Vergleich mit anderen Industrieländern recht wenig Geld für Bildung aus. Nur die Türkei, die Slowakei, Spanien und Irland sind noch sparsamer als wir. Unser Staat flickschustert lieber und hofft auf das Beste. Wir nehmen lernwillige Mütter, die nicht streiken, wenn sie zwar von Anfang an von allen Tipps, Belehrungen und Ratschläge erhalten, aber kaum praktische Unterstützung bekommen. Meistens nicht mal von ihren Männern und auch nicht vom Staat. Keine Haushaltshilfe, wenig Kinderbetreuung, kaum Geld, nicht mal Aussicht auf Erfolg, von Ruhm und Ehre gar nicht zu sprechen. Dafür bekommen sie Sprüche zu hören wie »Ein Kind gehört zu seiner Mutter« und viele gute Wünsche an die Mutter, wie sie denn zu sein hat, damit das Kind wird, wie es denn zu sein hat. Und Schuldzuweisungen, wenn das alles nicht klappt.
Da ich nicht auswandern möchte und die Zeit knapp ist - bevor ich als verantwortliche Bürgerin irgendeine politische Veränderung anstoßen könnte, wäre meine Tochter aus ihrer Hoch-Hirn-Phase entwachsen -, muss ich mich mit den Vorgaben meines Landes arrangieren. Ich muss für mein Kind nehmen, was ich kriegen kann, und das sind die Kurse. Außerdem möchte ich meine Mutterschuld ein bisschen abarbeiten und ich brauche Freundschaften. Die Kurse kommen mir gar nicht ungelegen. Ich entscheide mich unter den Angeboten, die uns Müttern so warm ans Herz gelegt werden, für einen Klassiker, den PEKiP-Kurs, weil er Raum für Plauschereien gibt. Die sind beim Babyschwimmen schlecht möglich. Man ist zu sehr bemüht, das Kind über Wasser zu halten, während es seine Intelligenz entwickelt und die motorischen und sensorischen Fähigkeiten schult.

Glück in der Gruppe

PEKiP steht für »Prager-Eltern-Kind-Programm«. Ab der vierten bis sechsten Lebenswoche treffen sich junge Eltern mit ihren Babys in kleinen Gruppen und bleiben für das erste Lebensjahr zusammen. In Gruppenarbeit sollen die Säuglinge in ihrer Entwicklung wahrgenommen, begleitet und gefördert werden. Das Programm vermittelt Bewegungs-und Sinnesanregungen und soll Kontakte zu Gleichaltrigen ermöglichen. Letzteres ist meiner Tochter meiner Meinung nach in den ersten Monaten herzlich egal, sie ist noch sehr mit sich selbst beschäftigt, das junge Ding, aber ich freue mich sehr, neue Gesichter kennenzulernen und Frauen zu treffen, die in den kommenden Monaten ganz offensichtlich genau die gleichen Interessen und den gleichen Tagesrhythmus haben wie ich.
In diesen PEKiP-Gruppen ist es vollkommen egal, wer die Mütter sind, woher sie kommen und was sie früher getan haben. Egal, ob vorher Arzthelferin, Hausfrau, Wissenschaftlerin, Staatsanwältin, Lehrerin, oder Postangestellte - in diesen Gruppen sind wir alle nur Mutter.
»Hallo«, sagt die Frau neben mir.«Ich bin Kathrin und das ist Charlotte. Sie ist am 3. März geboren und sie ist unser erstes Kind. Das ist unser erster PEKiP-Kurs.«
Alle stellen sich ganz unkompliziert vor. Wir machen die Runde. Alle tragen mehr oder minder Einheitslook (meist Shirts und leicht zu reinigende Hosen) und Haare werden schmucklos mit Gummis zusammengehalten. Konversationen über Politik und Wirtschaft, beeindruckende Urlaubsreisen, Hobbys, Autos und Freunde sind tabu. Hier geht es schlicht um das Kind. Mütter - und selten auch mal Väter - streben zueinander, um miteinander etwas Luft zu holen, um sich ein bisschen fallen zu lassen, sich auszutauschen und zu lernen. Wir sitzen alle im Kreis, die Babys liegen nackt und frei auf Gummimatten vor uns und wir spielen mit ihnen und lernen sie zu verstehen.
Ich genieße es, mit meinem Kind einen festen Anlaufpunkt zu haben. Endlich finde ich Frauen und Männer, die in derselben Situation sind wie ich. Wo finde ich sonst Menschen, die sich so bereitwillig anhören, wie ganz außergewöhnlich das Leben mit Kindern ist? Wo kann ich so intensiv über beunruhigende Verdauung diskutieren, ohne fortan gemieden zu werden? Und wo könnte ich theoretisch besser neue Freundschaften finden? Die Gruppe fängt mich auf, beglückt mich und gibt mir endlich das Gefühl, normal zu sein. Viele meiner Probleme entpuppen sich auf einmal als Scheinprobleme:
»Was, dein Kind spuckt auch so wild?«
Oder:
»Schläft euer Kind auch noch nicht durch?«
 
Die Erfahrung, dass es anderen ähnlich geht, lässt mich tief aufatmen und das Leben in rosigeren Farben sehen. Ich fördere spielend mein Kind und spreche mit anderen Müttern über Kinderernährung, Stillprobleme, Schlafgewohnheiten und kindliche Entwicklungsphasen und fühle mich geborgen. Wir tauschen uns aus über Panikattacken im Straßenverkehr, über Supermarkt-Theater, aufdringliche Passanten und rüstige Rentner und sind ein Stück getröstet. Es tut gut zu wissen, dass man nicht schuld ist an diesem Aufruhr, sondern dass es in Deutschland eine Art Volkssport ist, Müttern die Leviten zu lesen.
Und es gibt keine bessere Informationsbörse. Möchte ich wissen, welche Windeln, Strampler, Fläschchen, Schnuller oder sonstiges Babyutensil von Stiftung Warentest mit »gut« bewertet wurden, wo ich sie am günstigsten erstehen kann und ob es dazu Gutscheine gibt? Kein Problem. Eine von ihnen weiß es bestimmt. Brauche ich einen guten Kinderarzt, einen Osteopathen, Logopäden oder Ergotherapeuten? Hätte ich gerne einen guten Ratgeber über gesunde Babynahrung oder effektives Schlaftraining? Bin ich neugierig, welche anderen Fördergruppen für uns interessant wären und wo ich die besten Anbieter finde? Ich frage die Gruppe. Es gibt keine bessere Informationszentrale als zehn Mütter, die über die Stadt verteilt wohnen, Internetanschluss besitzen und die Augen offen halten.

Wer kann am besten sein Fäustchen drehen? - Baby-Wettbewerb

Nun ist es mit der menschlichen Natur so eine Sache. Wir sind zwiespältig. Einerseits wollen wir Menschen uns in einer Gruppe als Gleiche unter Gleichen aufgehoben fühlen. Vor allem wir Frauen sehnen uns oft danach, harmonisch mit anderen im Einklang zu leben, das zu tun, was alle machen, und uns mit den Wellen zu wiegen. Wir möchten in dem beruhigenden Gefühl leben, das Richtige zu tun, weil es eben alle tun.
Andererseits möchten wir Menschen aber gerne auch etwas Besonderes sein, einzigartig unter Gleichen. Wir möchten in unserem individuellen Wesen erkannt und anerkannt werden. Und wie kann ich feststellen, was gerade mich ausmacht? Wie finde ich meine Identität? Ganz einfach: indem ich mich abgrenze von den anderen. Indem ich mich vergleiche. Was habe ich, was andere nicht haben? Was haben die anderen, was mir fehlt? Erfolg, bestimmte Fähigkeiten, Bildung, Schönheit, Klugheit, Geld, Aufmerksamkeit, Autos, Häuser, Freunde, Männer, Glück? Die Liste lässt sich endlos ausdehnen. Es gibt nichts, was sich nicht vergleichen ließe. Und eben auch die Kinder.
Zunächst finde ich es schön, mit meinem Baby in der Gruppe aufzugehen. Aber bald möchte ich auch wissen, was mein Kind von den anderen unterscheidet. Was kann das Baby da zum Beispiel, was meines nicht kann? Was zeigt meines, was anders ist? Es ist interessant, das eigene Kind mit anderen zu vergleichen. Man lernt es viel besser verstehen. Was ich in den Somatogrammen im Kinderuntersuchungsheft oder in den zahlreichen Büchern nicht nachvollziehen konnte - hier kann ich ganz praktisch sehen, was die meisten Kinder in bestimmten Phasen können und wie sie sich verhalten, und ich kann ganz leicht erkennen, ob mein Kind sich im Bereich des Normalen bewegt oder auf den Normkurven gefährlich hin- und herschwankt.
 
»Dein Kind ist aber ruhig«, sagt eine Mutter neben mir und schaut prüfend auf meine Tochter. Ich habe mein Baby auf meinen Knien liegen. Die Kleine schaut gebannt dem Schattenspiel auf meinem Pullover zu.
»Ja«, antworte ich. »Sie schreit jetzt wirklich selten.«
Die Mutter schweigt. Und nach einer Weile:
»Bist du sicher, dass das normal ist? Vielleicht solltest du sie mal vom Arzt untersuchen lassen. Ist doch merkwürdig.«
Ich schlucke.
»Nö, wir waren erst neulich da. Sie ist einfach nur sehr zufrieden.«
Die Mutter schweigt.
»Na«, sagt sie plötzlich, »dafür sitzt meines stundenlang im Tragetuch ohne zu mucken.« Und wendet sich brüsk ihrer anderen Nachbarin zu.
 
Müttern ist es oft peinlich, dass sie vergleichen, weil wir die Einzigartigkeit unserer Babys anerkennen wollen. Wir leugnen es ab. Aber wir können uns noch so oft darüber lustig machen, wie blöd es wäre, Kinder miteinander zu vergleichen, »weil doch jedes Kind einzigartig« ist und jedes Kind »sein eigenes Tempo hat« und wir können noch so sehr beteuern, dass wir das niemals tun würden, weil es unwürdig wäre: Wir tun es doch. Wir schauen mit gesenktem Blick auf das Nachbarkind auf der Gummimatte und klopfen im Kopf wichtige Fragen ab. Ist mein Kind genauso weit? Kann es schon, was das da kann? Was kann meines besser? Wo muss ich aufpassen und wo kann ich beruhigt sein? Dieses Verhalten ist nicht nur natürlich, sondern bei uns modernen Müttern auch überaus hochgezüchtet. Denn wir haben ja nicht nur alle unsere Normkurven und Kinderuntersuchungshefte, sondern auch alle mehr oder weniger gewissenhaft gelernt, dass Risiko, Gefahr und Krankheit für unsere Kinder von uns selbst gar nicht früh genug erkannt werden können. Dazu haben wir ja vor und nach der Geburt die regelmäßigen Kontrollen beim Arzt. Und wenn die eine Untersuchung gerade vorbei und die andere noch in weiter Ferne weilt - was gibt es Nützlicheres als solche vergleichenden Wissenschaften in Babygruppen? Wenn sich genau jetzt, genau hier und heute im Vergleich mit anderen Babys ein eklatantes Nachzüglertum bemerkbar macht, ein Problem, eine Gefahr, ein Risiko, vielleicht sogar eine Krankheit - dann kann ich es schön erkennen und flugs einen Arzttermin außer der Reihe anberaumen.
Die Kinderarztpraxen und Notaufnahmen sind stets voll mit besorgten Eltern und schlecht gelaunten Babys, und manch eine Mutter, manch ein Vater ist so verunsichert, dass ein nett gemeintes »Das wächst sich aus« des Arztes als unterlassene Hilfeleistung gewertet wird. Wir trauen dem Frieden nicht so leicht. Wir sind durch eine gründliche Schwangerschaftsschulung gegangen. Da ist man nicht mehr so naiv und hofft auf das Beste.
Je mehr Wochen und Monate ins Land ziehen, je älter die Babys werden, desto deutlicher werden die Unterschiede.
 
»Schaut mal«, ruft die Gruppenleiterin erfreut. »Niklas kann schon den Kopf heben.
Wir alle gucken auf Niklas. Da liegt er fröhlich krähend auf dem Bauch, den Kopf hoch erhoben. Sein ganzer kleiner Körper ist ein einziges Kraftwerk. Er trommelt mit den Händchen begeistert auf die Matte.
Wir schauen auf unsere Babys. Da liegen sie, auf dem Rücken, nuckeln versonnen an Fäustchen, Füßchen und Tüchern und schauen gemütlich dem strahlenden Siegertypen zu.
»Ist das schlimm, dass die Emma das noch nicht kann?«, fragt die Mutter neben mir ängstlich.
»Nein, gar nicht«, sagt die Gruppenleiterin. »Das kommt schon noch.«
Aber die eine oder andere von uns hat auf einmal nachdenkliche Falten auf der Stirn.
 
Wer kann schon das Fäustchen drehen? Wer kann alsbald das Köpfchen heben? Wer liegt als Erste oder Erster auf der Seite? Wer spricht deutliche Laute? Wer reagiert geschickt am schnellsten und am besten auf das angebotene Programm, sprich Luftballons, Rasseln, Federn, Stöcke und so weiter? Und wer liegt dröge auf der Matte, schreit vielleicht sogar noch wie am Spieß und zeigt so gar kein Interesse für die Potenziale, die in ihr oder ihm schlummern? Mit anderen Worten: Wer macht seine Mutter strahlend stolz und wer gibt Anlass zu grauen Haaren?
Allmählich baut sich Druck auf. Je deutlicher die Unterschiede werden, desto unruhiger werden wir Mütter. Wir stupsen unsere Babys ein bisschen in die Seite, schubsen sie auf den Bauch, halten ihre Köpfchen hoch, damit sie kapieren, wo es hinführen soll, und treiben sie mütterlich liebevoll an, mal etwas schneller zu machen, weil die anderen sie sonst überholen.
Wir glauben an Normkurven. Wir glauben, dass unpopuläre Abweichungen von der Norm therapiert werden sollten. Wir glauben, dass wir unser Kind antreiben müssen, weil das Leben ein Wettrennen um die besten Plätze ist.
Und dann machen wir uns auf die Suche nach weiteren Förderkursen und geeigneten Therapien. Babyschwimmen, Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Osteopathen …
Natürlich sind Vergleiche im zarten Babyalter nicht nur in Bezug auf körperliche, sondern auch auf gesellschaftliche Normen genauso simpel wie später im Leben. Wenn ich wissen möchte, ob mein Kind in der Gesellschaft von Anfang an gut ankommt, ist das ganz einfach. Da gibt es klare Regeln: Als angenehm gilt ein Kind, das in sauberer Kleidung steckt, wenig Mühe und Aufmerksamkeit erfordert und sich leicht anpasst. Ruhige, saubere, freundliche und aufgeweckte Kinder sind beliebt. Solche Kinder sehen kleine und große Gesellschaften gerne.
Ist das Kind aber laut, dreckig, aggressiv, uninteressiert und zeigt vielleicht noch, dass es bestimmte Erwachsene nicht mag, erntet es schnell Befremden.
Natürlich gibt es bei den Wesensvergleichen unterschiedliche Wertungen für Mädchen und Jungen. Ein lautstarker dominanter Junge gilt im Windelalter noch als »echter Junge«, ein ähnlich gestricktes Mädchen wird dagegen schon alsbald als »Zicke« bezeichnet. Ein schüchternes Mädchen ist süß, ein schüchterner Junge ein Weichei und so weiter und so fort.

Welche Mutter ist die beste?

Und wenn wir schon einmal dabei sind - warum sollten wir nur die Kinder vergleichen? Ob ein Kind nun einen besonders guten Eindruck macht oder aber einen ausnehmend schlechten - die Frage ist doch: Was macht die Mutter, dass das Kind ist, wie es ist? Wer ist wirklich eine gute Mutter und wer ist es eher nicht?
Diese Frage zu beantworten, ist nicht so einfach, will ich korrekt und objektiv sein und mich nicht auf reine Sympathie oder Antipathie berufen. Es gibt einige pseudowissenschaftliche Kriterien. Eine Mutter etwa, die alles im Griff hat, ein gepflegtes, sauberes Aussehen, Fröhlichkeit und souveränes Auftreten zur Schau trägt (eben so wie in den Hochglanzbroschüren) und vor allem über beeindruckendes Wissen über Kinderpflege, -ernährung, -ratgeber und optimale Fördermöglichkeiten verfügt und sich auch noch konsequent an die Richtlinien an die gute Mutter hält -, diese Frau genießt stillen Respekt.
Mütter, die von oben bis unten wie ihre Kinder bekleckert sind, fettige Haare haben, keine Ahnung von Kinderpsychologie und optimalen Förderangeboten besitzen und dafür auch noch demonstrativ Desinteresse zeigen, vielleicht noch frech behaupten, es reiche, mit gesundem Menschenverstand, mütterlicher Liebe und Intuition den richtigen Weg zu finden, ja, vielleicht sogar mit dem Kind den lieben langen Tag zu kuscheln und wertvolle Zeit ungenutzt vorüberstreichen zu lassen, ernten stummes Kopfschütteln, auch wenn das Kind noch so goldig ist. Diese Mütter haben einfach nicht verstanden, dass die Welt kein Kuschelpfad ist.
Natürlich muss ich mich im Endeffekt bei meiner Wertung bei diesen oberflächlichen Kontakten im geschützten Raum eines PEKiP-Kurses darauf verlassen, wie die anderen sich präsentieren und was sie von ihrem Alltag erzählen. Sie müssen ja nicht mal lügen. Schweigen ist so einfach und beschönigen ist nicht verboten. Kein Mensch sieht hier, wie dieselbe Frau, die hier souverän ihr Baby behandelt und kundig neueste Forschungsergebnisse über Frühförderung von sich gibt, unter Extrembedingungen reagiert, sprich bei schreiendem Kind im Supermarkt oder in der völlig verdreckten Wohnung und Schwiegermutterbesuch.
Auch kann ich schlecht kontrollieren, ob die Dame mir gegenüber tatsächlich kontinuierlich eine halbe Stunde pro Tag mit ihrem Baby motorische Übungseinheiten durchzieht. Ein konsequentens Verhalten, das mir vor Neid die Mundwinkel fallen lässt. Schon bei dem Gedanken, derartige Trainingseinheiten zu leiten, fühle ich meine Füße einschlafen und Anflüge von Depression über mich schwappen. Ich habe zwar den Verdacht, dass einige Mütter gekonnte Selbstdarstellerinnen sind, kann es aber nicht beweisen, und bald ertappe ich mich dabei, wie ich meinen Profi-Mutter-Alltag etwas aufpeppe. Es müssen ja nicht alle wissen, wie oft ich mich als komplette Versagerin fühle.
 
»War das heute ein schöner Tag!«, strahle ich die anderen an.
»Mmh«, sagen die anderen. Sie sehen etwas müde aus.
»Wir waren heute den ganzen Tag an der frischen Luft«, sage ich und zupfe behaglich die Windel meiner Kleinen zurecht. Ich verschweige geflissentlich, dass ich den Rest der Woche sehr häuslich war.
»Es hat ihr so gut gefallen. Sie haben immer so viel Spaß draußen, nicht?«
Und schon habe ich mein Image etwas aufpoliert.
 
Dummerweise ist die Mutter-Kind-Welt eine, wie sie ungerechter nicht sein könnte: Das eine Kind schreit sieben Stunden am Tag, das andere sieben Minuten in der Woche. Jenes Baby schläft bald durch, das andere niemals. Das eine Kind ist krank oder behindert, das andere ist kerngesund. Das Kind dort erntet überall Wohlwollen, das andere da meistens Missfallen. Das da ist bildschön, das andere eher nicht. Das da reagiert schnell, das andere gar nicht. Dort hat eine Mutter rund um die Uhr Hilfe vom Vater, von Verwandten und Freunden, eine andere muss alles alleine machen. Da hat eine Mutter genügend Geld, um sich Babysitter, Designermode und exklusive Frühförderung zu leisten, die andere weiß kaum, wie sie die Windeln bezahlen soll. Die eine sieht blühend aus, die andere verwelkt. Jene hat abgenommen, die andere hat Speck angesetzt. Die eine Mutter ist glücklich, die andere verzweifelt. Ach, du schöne Gruppenharmonie! Du kannst einem schon zum Halse raushängen, wenn ich mich in puncto Zufriedenheit am unteren Ende der Skala befinde.
 
Meine Nachbarin ist glücklich. Ihr Baby ist zwei Wochen alt. Meines ist fast fünf Monate auf der Welt.
»Stell dir vor«, sagt sie, »die Kleine schläft durch! Ich habe die ganze Woche geschlafen wie ein Murmeltier!«
Ich merke, wie meine Gesichtszüge entgleiten. Ich werde gallenbittergrün. Nie in meinem Leben war ich so hässlich neidisch.
»Aha«, sage ich tonlos. »Wie schön.« Tiefe Schatten liegen um meine Augen.
»Ich muss dann mal los«, sage ich. Und lasse sie einfach sitzen.

Neid und Gruppenharmonie

Es ist ohne Zweifel eine der größten Herausforderungen, andere Eltern glücklich und zufrieden zu sehen, ohne es selbst gerade zu sein. Da kann ein Mensch schon mal schnell neidisch werden.
Nun ist Neid an sich nicht nur eine schlechte Eigenschaft. Im Gegenteil - er kann Menschen positiv motivieren. Nehmen wir folgenden Witz vom Neid-Forscher Rolf Haubl aus seinem Buch Neidisch sind immer nur die anderen:
 
»Geht ein US-Amerikaner mit seinem Freund spazieren. Kommt ein großer Cadillac vorbei. Sagt der Amerikaner zu seinem Freund: ›So einen Wagen fahre ich auch noch mal!‹ - Geht ein Deutscher mit seinem Freund die Straße entlang, fährt ein BMW vorbei. Sagt der Deutsche zu seinem Freund: ›Der Typ geht auch noch mal zu Fuß!‹«
 
Wie der Witz durchblicken lässt, gelten wir Deutsche im interkulturellen Vergleich nicht gerade als besonders großzügig. Uns Deutschen wird eher nachgesagt, ordentlich missgünstig neidisch zu sein. Wir sehen es nicht gerne, wenn Einzelne sich allzu deutlich von der Gruppe entfernen, ob nach unten oder nach oben. Nur wenige fühlen sich durch die Güter anderer angespornt. Im Allgemeinen frustriert den Deutschen das offensichtliche Glück anderer eher, als dass es ihn zum Nacheifern veranlasst.
Und Mütter sind da nicht anders. Ja, um ehrlich zu sein, bin ich besonders anfällig für missgünstigen Neid. Ich bin todmüde und erschöpft. Ich habe keine Hilfe von Verwandten und mein Mann arbeitet viel. Die pränatale Diagnostik sitzt mir immer noch in den Knochen, die Angst im Alltag macht mich fertig, die Anforderungen der Ratgeber schnüren mir den Hals zu und die Mutterschuld sitzt mir im Nacken. Ich habe ständig Angst zu versagen und nage an gewaltigen Schuldgefühlen. In einer Zeit, in der Medien rund um die Uhr verkünden, dass alles machbar sei - »man muss es nur wollen« -, finde ich es sehr beschämend, wenn mein Baby oder ich eben nicht »alles« machen. Mir fällt gar nicht auf, dass es den meisten anderen Müttern auch so geht. Sie wirken so viel selbstsicherer, zielstrebiger und entschlossener als ich.
Manchmal reicht es in einer miesen Stimmung, eine andere Mutter zufrieden mit ihrem Kind auf dem Spielplatz sitzen zu sehen, um mich schlecht zu fühlen. Ich schätze es nicht besonders, wenn eine andere Mutter es anders macht als ich, vor allem nicht, wenn sie es irgendwie besser zu machen scheint. Das hat einerseits mit dem Wunsch zu tun, Gleiche unter Gleichen zu sein, andererseits mit meinem Bestreben, einzigartig sein zu wollen. Einzigartig schlecht zu sein, war eigentlich nicht meine Absicht. Geht es mir gerade schlecht und einer anderen Mutter so richtig gut, fühle ich mich ganz schnell ganz klein. Und da können harmlos gemeinte Bemerkungen anderer Mütter in meinem frustrierten Mutterohr überraschend heftig zu bösen Vorwürfen mutieren:
 
»Na, sie SCHREIT aber VIEL!«
»Was? Du bringst dein Kind um 10 Uhr ins Bett? Ist dir das nicht ZU SPÄT?«,
»Ich KOCHE unseren Brei immer SELBST. Man weiß ja nie, was in den Gläsern ist.«
Es ist wirklich schwer zu sagen, wie Sticheleien zwischen Müttern beginnen - ist die eine unbefangen in ihren Bemerkungen und die andere einfach überempfindlich? Oder will mich da tatsächlich eine ärgern? Es ist Vorsicht geboten vor voreiligen Schlüssen und ausgeprägtem Selbstmitleid, denn die Deutschen sind an sich kein Volk, das zu Lob und positivem Denken neigt. In Deutschland ist es die Kritik, die weiterbringen soll, der Fokus auf den Mangel - und nicht das ausufernde Lob. Das Glas ist halb leer und nicht halb voll, und jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein armer Optimist. Manche Mutter fühlt sich ganz zu Unrecht bestraft. Vielleicht ist die Dame gar nicht missgünstig, sondern nur einfach typisch deutsch zurückhaltend, besserwisserisch oder freut sich auch nicht an ihrem eigenen Kind. Wie soll sie sich dann mit anderen freuen?
Das ist vielleicht das wahrhaft Aufregende unter deutschen Müttern. Die verkannte Würze im Kinder-Mütter-Alltag: Man weiß nie, woran man ist. Es bleibt immer etwas aufregend. Ressentiments zwischen Müttern laufen meist sehr subtil ab. Es sind Nadelspitzen, kleine, feine Pfeile, die verschossen werden, und damit ist es wohl auch wie in vielen Arbeitstreffen: Antipathien, Neid und Konkurrenzgefühle werden unter der Oberfläche, indirekt ausgetragen. Es gilt, sich keine Blöße zu geben und sich nicht angreifbar zu machen. Wichtig ist, die Gegnerin im Unklaren zu lassen. Hat sie mich nun ärgern wollen oder bin ich einfach nur verweichlicht? Dazu eignen sich sehr schön bedeutsames Schweigen oder unerbetene Informationen, zum Beispiel »Mein Harry kann schon laufen«, wohl wissend, dass es Lisbeth noch nicht kann, oder intensives Nachfragen zum Entwicklungszustand des Kindes, als Sorge getarnt:
 
»Kann er immer noch nicht laufen? Mach dir keine Sorgen, das wächst sich bestimmt irgendwann aus. Hat er denn andere Talente?«
 
Die Informationen und Bemerkungen müssen so geschickt platziert werden, dass frau im Notfall alles treuherzig abstreiten kann. Das ist wichtig, da sie sonst Gefahr läuft, für ihr ungebührliches Verhalten von der Gruppe ausgegrenzt zu werden. Und wo sollte sie dann noch hin?
Dabei wäre es so einfach, sich gegenseitig zu bestärken. Hey, ihr Gruppenleiterinnen! Wie wäre es denn mit Lobrunden, die wir in deutschen Mutter-Kind-Gruppen einführen? Vielleicht können wir so etwas üben. Wir richten das Augenmerk auf das Gelungene und das Gute unter uns und bauen uns gegenseitig auf. Damit wir das psychologische Umfeld bekommen, in dem wir uns als Mütter ausprobieren und unsere Fähigkeiten erkunden können, anstatt irgendwelchen weltfremden Richtlinien nachzueifern. Vielleicht merken wir dann, wie stark wir sind und dass nicht nur ein besonnener Mutter-Coach das Gelbe vom Ei ist. Vielleicht entsteht dann so etwas wie Vertrauen, Gruppengefühl und Toleranz unter Müttern. Es geht ja nicht darum, uns schönzureden. Es geht darum, die Ansprüche mal etwas herunterzuschrauben. Und nebenbei wird unser Nachwuchs auf gelungene Motivation eingeschworen für Arbeitstreffen jeder Art künftiger Generationen. Das wäre doch mal was.
Leider ist es noch nicht so weit und ich will bald keine Hilfsnetzwerke mit anderen Müttern mehr gründen und mich mit ihnen austauschen, so wie ich es vor der Schwangerschaft geplant hatte, denn mir schwant dunkel, dass wir uns herzlich wenig bestärken würden, sondern uns eher gegenseitig runterziehen würden. Wir haben ja alle kaum Kraft, uns selbst über Wasser zu halten.
Die Stärkung des Selbstbewusstseins scheint eher anders herum zu funktionieren: Wir Mütter werden guter Dinge, wenn wir andere Mütter bekritteln können. Es tut doch gut, nicht immer die Erste in der Nahrungskette zu sein, die gefressen wird, sondern ein paar andere hübsch vor mir über die Klinge springen zu lassen.
Wir beherrschen sie alle, diese Taktik zur Rettung unseres Rest Seelenfriedens: Wir treffen uns mit Müttern, die ihr Kind ähnlich pflegen und erziehen wie wir (dann fühlen wir uns wenigstens in der Wahl unserer Herangehensweise bestärkt, wenn schon nicht in der Ausführung derselben), und dann tun wir so, als wüssten wir am besten, was gut für Kinder ist. Und dann wundern wir uns gemeinsam über die Pflege und Erziehung der anderen. Und dann fühlen wir uns gut.
 
»Hast du gesehen, wie sie mit ihrem Kind umgeht? Das würde ich nie machen. Das ist doch wirklich seltsam!«
 
Es spielt keine Rolle, ob uns Frauen in diesen Momenten irgendetwas anderes verbindet als ein kleines gemeinsames Stück Kindererziehung. Was zählt, ist dieses bisschen Sicherheit und Entspannung. Wir wollen auch mal das Gefühl haben, es richtig zu machen. Der Druck ist so hoch. Und je höher der Druck, desto unerbittlicher sind wir mit anderen.
Es ist immer wieder verblüffend, wie wir bei aller Verunsicherung, die uns bei unseren eigenen Kindern von Zeit zu Zeit überfällt, für Kinder anderer Mütter immer ganz genau sagen können, was richtig für sie wäre. Damit wir uns recht verstehen - es geht nicht nur um große grundsätzliche Belange, die diskutiert werden - ob Kinder gedemütigt, vernachlässigt, missbraucht oder geschlagen werden -, sondern es geht um die vielen kleinen Details, die den Alltag von Mutter und Kind ausmachen. Es geht um die kleinen Mosaiksteine, die das Bild der perfekten Mutter zusammensetzen.
Da ist zum Beispiel die ausländische Mitbürgerin, die ihr Kind zweisprachig erzieht, und das in einer Gruppe, in der ansonsten nur Deutsch gesprochen wird. Sie hat es nicht einfach. Ihr werden gerne mal diverse Theorien aus Ratgeberbüchern unterbreitet, was das Beste für ihr Kind sei, und das, was sie mache, wäre es ganz sicher nicht.
Da ist die Mutter, die ihr Kind um Mitternacht zu Bett legt. Sie kann sich freuen: Auch das wird diskutiert. Ein deutsches Baby schläft am besten von 20 Uhr bis 6 Uhr morgens. Punktum!
Da ist die Frau, die ihrem Baby frühzeitig harte Brötchen zum Lutschen gibt. Aufregung in der Gruppe. Ob das denn schon gut für das Kind ist? Sie kann doch nicht einfach machen, was sie will. Wo kämen wir da hin?
Ja, du schöne Gruppenharmonie.
Das erklärt doch gut, warum die eine oder andere Mutter einfach dem Herdentrieb folgt, anstatt überhaupt erst in Versuchung zu geraten, eine eigene Meinung zu entwickeln.
Was für Außenstehende wie der übliche harmlose Zickenkrieg aussieht, ist Müttern von Babys und Kleinkindern todernst. In kaum einer anderen Gruppe wird so gnadenlos selektiert wie unter Müttern. Sehen Sie die Geburt als bewegendes Naturerlebnis und wollen auf keinen Fall Schmerzmittel? Vermutlich werden Sie erst einmal keine Anhängerin von Vollnarkose und Kaiserschnitten zur Freundin haben. Gebären Sie im Geburtshaus und legen Sie Wert auf Stoffwindeln? Es ist unwahrscheinlich, dass Sie Freundinnen im Krankenhaus-Pampers-Lager finden. Stillen Sie oder geben Sie die Flasche? Eine wichtige Entscheidung für Ihren Freundeskreis. Kaufen Sie Gläschen oder kochen Sie selbst Öko-Brei? Favorisieren Sie das Familienbett? Beschäftigen Sie Babysitter? All diese für Außenstehende nichtig erscheinenden Aspekte haben das Potenzial, ganze Riegen unerfahrener Mütter zu trennen. War die Suche nach Freundinnen in einem früheren Leben oft ein langes Auseinandertüfteln von »so bist du und so bin ich und wir schauen, ob wir zusammenpassen«, ist sie jetzt ein Ruck-zuck-Verfahren. Frei nach dem Motto: »Zeige mir dein Kind und wie du es behandelst, und dann schaue ich, ob ich dich treffen will.«

Die Impfdebatte: Mehr als eine persönliche Entscheidung

Das Thema »Impfen: ja oder nein?« ist hierbei regelrecht zum Glaubenskrieg mutiert, nicht nur unter Müttern. Denn hier geht es ja nicht mehr allein darum, dass Eltern für ihr eigenes Kind entscheiden, sondern es geht auch um die Frage, ob Impfverweigerung anderen Kindern schaden könnte, eine These, die von vielen Ärzten und Eltern vehement vertreten wird, von anderen Ärzten und Eltern genauso heftig bestritten wird. Zu dem Thema gibt es unzählige Texte, Argumente, Gespräche und Studien. Forscher X behauptet dies, Forscherin Y proklamiert das, und im Freundes- und Bekanntenkreis kursieren haarsträubende Geschichten und Bücher über Impfungen genauso wie über Impfverweigerer. Letztendlich gibt es keine absolut richtige oder absolut falsche Entscheidung. Es gibt nur eine Wahl zwischen beiden. Wir müssen ins kalte Wasser springen, ob es uns gefällt oder nicht. Viele drehen sich im Kreis auf der Suche nach der perfekten Lösung, andere folgen den Empfehlungen ihres Kinderarztes, aber wie wir uns auch entscheiden - so oder so könnte ein Kind Schaden nehmen.
Und deshalb sind Diskussionen um dieses Thema immer besonders sensibel. Hier prallen nicht nur Welten aufeinander, vergleichbar den Diskussionen zwischen eingefleischten Schulmedizinern und überzeugten Homöopathen, sondern hier sitzen Mütter, die echte und begründete Angst haben, mit ihrer Entscheidung ihrem Kind zu schaden, und nur gutgläubige Anfängerinnen in der Mutterwelt wie ich beginnen arglos Gespräche über Impfungen und wissen dann gar nicht, wie ihnen geschieht. Mutter-Kind-Gruppen werden ja meist nach dem Alter der Kinder zusammengestellt, nicht nach den Interessen und Weltbildern ihrer Mütter. Da können sich schon mal spannende Konstellationen in der Gruppendynamik ergeben. Wer einmal erlebt hat, wie Mütter sich über dieses Thema von jetzt auf gleich bitterböse in die Haare geraten, ist fassungslos, wie tief die Ängste schwelen und wie hoch die Aggressionen kochen können - und macht sich keine Illusionen mehr über die Toleranz unter Müttern.
Zehn nette Mütter, die sich immer gut verstanden haben, sitzen im PEKiP-Kreis auf dem Boden. Die Sonne lacht, wir sind gut gelaunt, unsere Babys liegen ruhig auf den Gummimatten und machen Pause. Wir haben Zeit zum Plauschen.
 
»Habt ihr eure Kinder schon geimpft?«, frage ich.
»Ja, letzte Woche«, sagt Sabine.
»Ich weiß nicht, ob ich impfen lasse«, sagt Katrin.
Kurzes Schweigen.
»Wieso weißt du das nicht?«, fragt Sabine.
»Weil ich gelesen habe, dass Impfschäden auftreten können. Ich finde das gefährlich«, antwortet Katrin.
Kurzes Schweigen.
»Also, wir haben die Fünffachimpfung gemacht und sie hat alles gut vertragen«, sagt Sabine plötzlich mit hochrotem Kopf. »Ich glaube nicht, dass wir unser Kind in Gefahr gebracht haben.« Sie holt Luft. »Ich finde es eher kriminell, sein Kind nicht zu impfen. Damit gefährdet man alle anderen Kinder.«
Wieder Schweigen.
Die Mütter nesteln nervös an ihren Kindern rum.
Katrin betont ruhig:
»Willst du damit sagen, dass ich eine Verbrecherin bin, wenn ich nicht impfen lasse?«
»In gewissem Sinne ja, schon«, sagt Sabine.
Katrin zeigt rote Flecken am Hals.
»Das ist doch absurd. Schließlich haben wir immer noch die Impffreiheit.« Kurze Pause. Dann fügt sie hinzu: »Ich finde die Fünffachimpfung kriminell. Das würde ich schon mal gar nicht machen. Damit spritzt man doch etliche Krankheitserreger auf einmal. Weißt du, wie viele Kinder davon behindert wurden nach dieser Impfung?«
»Weißt du, wie viele Kinder durch Leute wie du schon gestorben sind?«, ruft Brigitte auf einmal hitzig von hinten in den Raum. »Das ist total egoistisch. Dein Kind kann Krankheiten übertragen und unsere sterben daran.«
»Wenn das Kind geimpft ist und die Impfung nicht anschlägt, kann man ja wohl nicht denen die Schuld geben, die nicht geimpft sind. Dann war die Impfdosis wohl Schrott«, wirft Katrin erbost zurück.
»Ja, klar! So einfach kann man sich das machen. Wir lassen unsere Kinder alle impfen, damit ihr schön ohne Krankheit und Impfung leben könnt«, zischt Sabine.
»Die Krankheiten, gegen die man impft, sind so gut wie ausgerottet, und übrigens nicht wegen der Impfungen, sondern wegen der gestiegenen Hygiene. Ich bringe mein Kind nicht in Gefahr, nur weil ihr glaubt, dass ich das machen muss. Impfung ist doch nichts anderes als Körperverletzung!«
»Nicht-Impfung ist kriminell!«, ruft Brigitte.
Aufgebracht starren sich die Frauen an.
»Ich muss jetzt weg«, sage ich mit vor Schreck geweiteten Augen und laut klopfendem Herzen, und im Nu rennen wir alle auseinander.
 
Die Impfdebatte zu aller Zufriedenheit aufzulösen ist unmöglich, und daher ist sie ein hervorragendes Beispiel, wie die moderne Mutter-Kind-Welt im Grunde funktioniert: Wenn ich es anders mache als die anderen, kann ich nicht mit Toleranz und schon gar nicht mit aufrichtigem Interesse oder Respekt rechnen. Ganz im Gegenteil: Ich kann mich auf Schuldzuweisungen freuen. Wenn ich es anders mache als andere Mütter, bin ich per se die Doofe. Wohl der, die eine Gruppe von Müttern findet, zu der sie passt. Und bedauernswert die, die keine Verbündeten findet. Es kann ganz schön einsam werden. Und der ganze Spaß unter Müttern geht erst richtig los, wenn es nicht mehr allein um die Frage geht, ob denn eine Spritze gesetzt werden soll oder ein Brötchen geknabbert werden darf. Die wahren Brüche unter Müttern finden ganz woanders statt. Die echte Trennung vollzieht sich zwischen Hausfrauen und Berufstätigen.

Wer ist der bessere Coach: Hausfrau oder Erwerbstätige?

Interessanterweise wird im Gegensatz zum Thema Impfung dieser Punkt »Zu Hause bleiben oder arbeiten gehen« kaum noch im Alltag zwischen Müttern entgegengesetzter Positionen diskutiert. Da sind wir inzwischen alle vorgewarnt. Aber unter Gleichgesinnten und auch in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und im Internet können wir, auch gerne anonym, ungezwungen die Meinung sagen. Und es ist nicht übertrieben zu sagen: Die gegenseitigen Vorwürfe von einer Mutter zur anderen schwingen sich zu einer Gehässigkeit und Aggression auf, die man sich so im Alltag besser nicht erlauben sollte, wenn man gedenkt, noch einmal unbehelligt auf die Straße zu gehen. In diesen uns allen wohlbekannten Statements, welche Mutter denn nun die beste Kinderbetreuung leistet, herrschen eine Intoleranz und eine Angriffslust, die ihresgleichen suchen. »Du vernachlässigst dein Kind« kontra »Du klammerst« ist da noch freundlich.
Es ist übrigens in diesen Beiträgen zur gelungenen Kinderbetreuung für alle Mütter immer ganz wichtig zu signalisieren, dass es ihnen als Mutter natürlich nicht darauf ankommt, was sie als Frau im Leben wollen, wie sie ihre Tage verbringen möchten oder sich für ihr Leben zu rechtfertigen. Sondern es ist natürlich immer nur wichtig, was ich als Mutter und gute Bürgerin darf. Wo leiste ich am meisten für die Gesellschaft? Wie kann mein Kind durch meine Arbeit optimal aufwachsen?
Im Prinzip ist damit in unserer modernen Zeit an die Stelle des Patriarchen, der die Frau jahrhundertelang zur Leistung antrieb, das Kind getreten, dem wir unter Anleitung von Experten dienen und opfern. Und das Kind muss nicht mal selbst die Peitsche schwingen. Was für selbstlose, göttliche Kreaturen wir Mütter doch sind!
Zurück zur Schuldfrage: In den letzten Jahren haben sich die Positionen in Deutschland verschoben. Während es vor gar nicht allzu langer Zeit in diesen wunderbaren Kleinkriegen zwischen Berufstätigen und Hausfrauen im Prinzip darum ging, dass das Kind zu seiner Mutter gehört, weil es nur bei ihr die echte Liebe erfahre, die es brauche, um Urvertrauen zu bilden, steht heute zunehmend die Frage im Fokus, welcher Muttertyp dem Kind eine bessere Karriere ermöglicht. Wie kann man beim Kind mehr Synapsen im Hirn zum Wachsen anreizen und seine soziale Kompetenz schulen? Welches Kind ist hier begünstigt? Das, welches gemütlich an Mamis Rock hängt, oder jenes, welches in Kindergruppen von Anfang an gefordert wird? Welche Mutter ist das bessere Vorbild für kleine Töchter, für die späteren erfolgreichen Geschäftsleute, Ingenieurinnen und Projektentwicklerinnen, die jetzt noch in den Windeln stecken? Das Heimchen am Herd oder die berufstätige Frau? Na eben.
Mit anderen Worten: Hausfrauen haben heutzutage ein denkbar schlechtes Image. Sie gelten bei Nicht-Hausfrauen als langweilig, dumm und unterdrückt und als karrierehemmend für ihren Nachwuchs. Also würde ich mir eher die Zunge abbeißen als von mir zu sagen, ich wäre Hausfrau. Je nach Stimmung variiere ich meine Antworten, wenn es Fragen nach meiner beruflichen Situation gibt. Ich nuschele durch die Zähne solche Sachen wie »bin zurzeit zu Hause«, »Erziehungszeit« oder »momentan Vollzeitmutter«. Hausfrau sein ist völlig out, und ich möchte mich nicht mitleidig belächeln lassen, zumal ich gar kein Haus bewohne, sondern nur eine Wohnung. Der Begriff »Hausfrau« kommt mir da doppelt albern vor. Ich bin eine moderne junge Mutter, ich will auch als solche gelten.
Das Dumme ist nur, dass ich nicht erwerbstätig bin und auch keinen Arbeitsplatz vorweisen kann, an den ich eines Tages zurückkehren könnte. Wenn man es genau nimmt, bin ich eine Hausfrau, nur habe ich noch keinen Namen gefunden, der diesen Fakt für andere als das Erstrebenswerte darstellt, was es trotz aller Schwierigkeiten als Mutter für mich ist. Wohin ich auch schaue - der Begriff »Hausfrau« weckte düstere Vorstellungen.
Denn ich bin als Hausfrau kein Opfer mehr, und so paradox es klingen mag: Das genau ist mein Problem. Ich werde nicht mehr durch Ehegesetze gezwungen, zu Hause zu bleiben, die Kinder zu erziehen, zu waschen, zu kochen, zu putzen und zu trösten. Heute dürfen Frauen lernen, studieren, arbeiten, Geld verdienen. Sie können theoretisch selbst entscheiden, ob sie schwanger werden wollen oder nicht. Sie müssen nicht mehr heiraten und Kinder kriegen, um akzeptiert zu werden. Sie heißen nicht mehr »Fräulein« oder »alte Juffer« (auch: »alte Jungfer«), wenn sie ledig bleiben. Seit 1977 dürfen Männer ihren Ehefrauen nicht mehr verbieten, berufstätig zu sein, seit 1994 dürfen Frauen ihren Namen bei einer Eheschließung behalten und seit 1997 darf der Gatte sie auch tatsächlich nicht mehr straffrei in der Ehe vergewaltigen. Frauen sind in Deutschland per Gesetz keine Untergebenen mehr - zwar noch nicht lange, aber immerhin - und daher kann ich nicht wie meine Kolleginnen in den 70er-Jahren mit dem Mitleidsbonus rechnen. Ganz im Gegenteil. Ich muss mich für meine Lebensweise rechtfertigen.
Interessanterweise bedeutet für viele Menschen »Emanzipation der Frau« nicht die Freiheit einer Frau, über ihr Leben selbst entscheiden zu können und gemäß ihren Neigungen und Anschauungen zu leben, solange sie mit dem Grundgesetz und der Verfassung einhergehen. Sondern »Emanzipation der Frau« heißt hier vielmehr, sich richtig entscheiden zu müssen, einem höheren Ganzen zuliebe. Sprich: sich so zu entscheiden, wie es diese oder jene Gruppierung für richtig hält, um unsere Gesellschaft im Ganzen zu verbessern. In diesem Zusammenhang wird häufig nicht der Zwang zur Hausarbeit als Unterdrückung gesehen, sondern die Hausarbeit an sich, die Arbeit einer Hausfrau zum Wohle anderer, auch wenn sie freiwillig geleistet wird.
Mir ist das alles sehr peinlich. Ich habe mich immer als Feministin verstanden und bin aufrichtig betrübt, nicht mehr dazuzugehören. Ich will den Fortschritt der Frauen nicht aufhalten. Ich fühle mich schuldig und unwohl bei dem Gedanken, patriarchalen Strukturen zum Auftrieb zu verhelfen, auch wenn mir nicht ganz klar wird - so denke ich ketzerisch -, was ich früher im Büro zur Rettung der Frauen beitrug, so fremdbestimmt und ausgeliefert ich mich damals oft fühlte.
Aber wie dem auch sein - ich bin wild entschlossen, jeden Verdacht einer unterdrückten Mutti und Hausfrau im Keime zu ersticken. Ich möchte zeigen, dass auch ich mich mündig in die Gesellschaft einbringe. Ich möchte zeigen, dass auch ich als Hausfrau im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, Rechte und Pflichten bin. Schließlich bin ich immer noch dieselbe wie früher, nur jetzt mit Kind und ohne Lohn.
Allerdings scheint meine Überzeugungskraft mäßig zu sein. Während ich früher mein stressiges Arbeitsleben in Partygesprächen zu eindrucksvollen Projekten einer Powerfrau aufpeppen konnte, hängt mir heute keiner mehr an den Lippen. Meine Versuche, mein Leben als Mutter und Hausfrau als erfüllend und anspruchsvoll darzustellen, werden höchstens belächelt. Ja, ich werde sogar gefragt, wann ich wieder richtig arbeiten werde, ob ich mich nicht langweilen würde und nicht intellektuell unterfordert sei. Anfangs habe ich auf diese Fragen noch fröhlich und ehrlich geantwortet, dass ich es liebe, keinen Chef zu haben und gute Zeitungen und Bücher zu lesen, aber eines musste ich schnell lernen: langweilige Hausfrauen sind schlecht. Hausfrauen, die sich ein schönes Leben zu machen versuchen, sind noch viel schlechter. Wo doch alle anderen so selbstlos schuften. Pfui!
Mit einiger Verblüffung sehe ich, dass es meiner berufstätigen Freundin auch nicht besser geht. Zwar erfüllt sie formal alle Kriterien einer emanzipierten Frau und Mutter, und ihr Kind wird von Anfang an gefordert, aber man will ihr doch nicht so recht verzeihen, dass sie auch noch zufrieden ist. Wenn schon Karriere als Mutter, dann doch bitte als Verzicht! Wenn sie sagt, dass sie gerne arbeitet und es nicht anders haben möchte, schnappen viele Menschen hörbar nach Luft. Beim kleinsten Fehlverhalten ihres Kindes wird sie scheel angesehen und das Wort »Rabenmutter« schwebt laufend unausgesprochen im Raum. Sie muss sich immer mal wieder fragen lassen, warum sie denn überhaupt Kinder hat, wenn sie Karriere möchte, und im Büro schwingen sie gerne die »Dein Kind ist immer krank«-Keule, die sie schmerzhaft trifft, weil ihr Unternehmen alles andere als familienfreundliche Arbeitszeiten hat und gute flexible Kinderbetreuung, die sich der Arbeitswelt anpasst, eigentlich gar nicht existiert. Einige interessante Projekte gehen ihr durch die Lappen, weil sie wegen ihrer Kinder nicht uneingeschränkt einsetzbar ist. Wenn sie aber gnädigerweise ein wichtiges Projekt ergattert, muss sie sich wieder von anderer Stelle vorhalten lassen, eine schlechte Mutter zu sein.
Da kann man schon mal sauer werden, auch aufeinander, die Hausfrauen und die Berufstätigen. Denn eines ist doch wohl klar: Wäre die Mutter nicht, die es anders macht, müsste ich mich nicht rechtfertigen für das, was ich mache. Wenn wir alle dasselbe machen würden, gäbe es keine Diskussionen, keine Angriffe, keine Rechtfertigungen, keine Schuldgefühle, keine Versagensängste, keine vernichtenden Urteile.
Gäbe es keine Hausfrauen, hätten die Berufstätigen ein leichteres Leben, weil die Unternehmen sich darauf einstellten und die Gesellschaft sie nicht mehr als Rabenmutter beschimpfte und lückenlose professionelle Kinderbetreuung anbieten müsste.
Wären die Berufstätigen nicht, müssten sich die Hausfrauen nicht vorwerfen lassen, langweilige Frauen und Heimchen am Herd zu sein und ihre Kinder nicht genügend zu fordern, sondern im Gegenteil maßlos zu behüten.
Wir würden alle besser leben.
Dieser Gedanke einer uniformen Mutterbeschäftigung für alle ist in unserer vielfältigen Gesellschaft heutzutage so simpel wie absurd, ist aber nichtsdestotrotz ein kleiner, kräftiger Motor für unzählige Mütter-Fehden. Zahllose Mütter versuchen grimmig andere Mütter in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und im Internet zu überzeugen, dass sie sich genauso - oh Verzeihung - anders verhalten sollen, damit die Schwierigkeiten endlich aufhören. Solche Feldzüge finden auch gerne mal pseudowissenschaftlich in Fernseh-Talkshows statt. Hausfrauen schimpfen über Berufstätige und Berufstätige über Hausfrauen und zwischendrin flackert die eine oder andere psychologische, feministische, ökonomische, soziologische oder sonst eine Theorie auf sowie viele schöne Vorurteile und Schubladendenken.
Natürlich schneiden wir Mütter uns ins eigene Fleisch, wenn wir uns gegenseitig immerzu angreifen. Es rächt sich, dass wir nicht miteinander diskutieren und unsere unterschiedlichen Lebensentwürfe anerkennen, sondern lieber aufeinander draufhauen.
Wenn zum Beispiel Berufstätige behaupten, dass Lohnarbeit viel mehr wert sei als die Arbeit zu Hause, machen sie sich blind für ihre eigene alltägliche Leistung, die sie selbst Tag für Tag zu Hause erbringen, und das führt zu solch merkwürdigen Wahrnehmungen wie die einer teilzeitarbeitenden Mutter, die nicht versteht, warum sie sich so ausgebrannt fühlt.
»Ich arbeite doch nur zwei Vormittage in der Woche. Den Rest der Woche bin ich doch zu Hause.«
Oder es kommt zu solch rührenden Bekenntnissen von beruflich erfolgreichen Frauen, wie sie immer mal wieder durch Interviews in Frauenzeitschriften geistern:
»Im Büro mache ich Urlaub von den Kindern und wenn ich bei den Kindern bin, mache ich Urlaub vom Büro.«
Man möchte ihnen am liebsten zurufen: Wie wäre es denn mal mit Urlaub auf dem Tennisplatz?
Und wenn Hausfrauen berufstätige Mütter als schlechte Mütter verurteilen und Sätze verbreiten wie: »Wenn eine Frau nicht zu Hause bleiben will, soll sie doch gar keine Kinder kriegen!«, manövrieren sie sich selbst ganz schnell in eine Sackgasse.
Eine Mutter, die denkt, eine Mutter sei eine schlechte Mutter, wenn sie nicht stets in erster Linie an ihre Kinder denkt und immerzu bei ihnen ist, verbaut sich schlicht selbst alle Wege, nicht nur Mutter, sondern auch Mensch zu sein. Sie sieht dann nicht, dass das Leben auch für Frauen mit Kindern heutzutage tatsächlich sehr viel mehr zu bieten hat als aufopfernde Selbstaufgabe und dass es Kindern auf viele verschiedene Arten gut gehen kann. Das kann dazu führen, dass eine Hausfrau tatsächlich lebt wie ein Klischee der frustrierten Hausfrau, die sich Tag und Nacht abrackert und Undankbarkeit von allen beklagt, aber nicht weiß, wie sie dem Hamsterrad entkommen soll.
Es ist schade, aber wir Frauen mit Kindern sind eine heillos zerstrittene Mannschaft, in der jede die Position der anderen auf dem Spielfeld beäugt und beschimpft. Willkommen im Klub der ewigen Verliererinnen. So kann man keine Siege einfahren und kein gutes Gefühl unter Müttern verbreiten.
Inzwischen bin ich auf der Hut. Wann immer ich das Wort »Mutter« in einer Schlagzeile lese oder im Fernsehen höre, blättere ich schnell weiter oder schalte um. Ich will mir nicht schon wieder die Laune verderben lassen.

Das andere Geschlecht: die Väter

Väter können sich übrigens inzwischen entspannt zurücklehnen und die Hände reiben. Die Frauen halten sich so angestrengt in Schach und werfen sich gegenseitig so vehement vor, ihren Pflichten als Frau oder Mutter nicht zu genügen, dass sie völlig vergessen, auch die Väter stärker in die Pflicht zu nehmen. Ja, es geht sogar so weit, dass - hurra, wir sind modern! - der Nutzen der Frau für den Mann zum ernst gemeinten Diskussionsargument wird: »Eine Hausfrau ist für den Mann langweilig« kontra »Karrierefrauen geben dem Mann nicht die Aufmerksamkeit, die er braucht«. Wenn er sie verlässt, ist immer sie schuld. Darüber herrscht Einigkeit. Da ist man doch gerne Mann.
Sehen wir es positiv - ist es nicht schön, dass wir so gut zu unseren Männern sind, wenn wir es schon nicht zu uns selbst sind? Es sei ihnen doch gegönnt, den neuen Vätern, auch wenn es sehr viel weniger sind, als man gemeinhin annimmt.
Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, als würde ich die vielen guten Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten bei den Männern nicht sehen. Natürlich gibt es den neuen Vater, der sich liebevoll und verantwortungsbewusst um sein Kind kümmert. Natürlich gibt es Männer, die echte Partner sind. Und es gibt immer mehr von ihnen. Schön! Ich hätte kein Kind, wenn es nicht so wäre. Dank an den Trüffel! Aber all denen, die deswegen die rosa Papi-Brille tragen, sei gesagt: Es gibt immer noch nicht genug von ihnen. Wir sollten uns nicht davon täuschen lassen, dass Männer in Kreißsälen zu sehen sind, Elterngeld beantragen, geschickt windeln und füttern und mit Kinderwagen das Straßenbild bevölkern. In Deutschland hält sich nach wie vor hartnäckig die Auffassung, dass ein Kind zu seiner Mutter gehört und der Haushalt Frauensache ist. Nach einer Familienstudie von Vorwerk 2008 wünscht sich fast jede zweite Frau (42 Prozent) vom Partner mehr Hilfe im Haushalt - wobei das Wort »Hilfe« schon alles über das Rollenverständnis sagt. 90 Prozent der Männer aber sind überzeugt: »Mehr Hilfe ist nicht nötig!« Und während 64 Prozent der 16- bis 29-jährigen Frauen es für »ganz besonders wichtig halten«, dass berufstätige Mütter ihre Freizeit nicht nur mit Hausarbeit und Kinderpflege verbringen, findet nur jeder Dritte der gleichaltrigen Männer, dass Frauen sich nicht für die Familie aufopfern, sondern selbstbewusst auch eigene Interessen und Wünsche durchsetzen sollten.
Man muss es diesen Männern lassen: In ihrem Kosmos sind sie logisch. Sie wollen doch auch nur das Beste für ihr Kind, und dafür sind sie bereit, das Beste ihrer Frauen zu opfern. Wie sollen Mütter auch Zeit haben für ihre Interessen, wenn sie »Haushalt und Kinder« sorgfältig »erledigen«? Denn »Haushalt und Kinder« ist großzügig definiert: Es ist nicht nur Waschen, Putzen, Bügeln, Staubsaugen, Einkaufen und Kochen, Kinderpflege, -einkleidung, -transport, -erziehung, Babysitten und Betreuung der Hausaufgaben, nicht nur die Erforschung und Begleitung zu sämtlichen Förderkursen, Therapien und Elternabenden, sondern auch die Planung und Organisation aller Familien- und Gesellschaftsfeste und gemeinsamen Unternehmungen in der Familie. Ob Geburtstage für Groß und Klein, Karneval, Ostern, Sankt Martin, Halloween oder Weihnachten, ob Taufe, Kommunion, Konfirmation oder Feste anderer Religionen, denen man angehört, ob Verwandtenbesuche, Wochenendausflüge oder Jahresurlaube: Es sind meist Frauen, berufstätig oder nicht, die sich hier den Kopf zerbrechen, planen, basteln, nähen, kaufen, einladen und buchen und sich die Hacken ablaufen, während die Männer, wenn es hochkommt, an besagten Tagen selbst gerne mal kräftig mit anfassen, ansonsten aber ihre Hirne und Alltage gerne unbelastet von derlei Tamtam lassen.
Ach, für Mütter und unter Müttern könnte es heute so schön sein. Ist es aber oft nicht. Wirklich dumm, dass auch wir Frauen uns gegenseitig so wenig Respekt zollen. Es ist ein Bumerang, der uns schmerzhaft trifft. Es ist die letzte Bastion, die fällt. Denn wenn selbst wir Mütter uns nicht das gute Gefühl geben, genug zu leisten, wer soll es denn dann noch tun?
 
Nein, Ihr Herren und Damen Ratgeber! Ich weiß nicht, in welch glücklicher Gesellschaft die Autoren Bruschweiler und Stern unter Müttern ein »psychologisches Umfeld« finden, »in dem Sie sich sicher und vertrauenswürdig fühlen können und in dem Sie den Mut finden, Ihre Fähigkeiten als Mutter zu erkunden«, aber in meinem Umfeld ganz sicher nicht. In der Gesellschaft, in der ich mich bewege, sind selbstständige Erkundungen einer Mutter gar nicht gefragt. Falls ich jemals die Erwartung hatte, dass ich, wenn ich als Mutter zu anderen Müttern stoße, einer Welt aus mütterlicher Güte, Freude, Toleranz, liebender Aufmerksamkeit und unerschütterlicher Sicherheit im Umgang mit Kindern begegne, war das leider recht kindlich und falsch. Mütter sind entgegen allen hartnäckigen Gerüchten auch nur Menschen, und zwar häufig sehr müde, überforderte, ängstliche, erschöpfte, verunsicherte, geschmähte und aggressionsgeladene Exemplare, die von allen Seiten massiv unter Druck gesetzt werden, ein perfektes Kind in einem perfekten Heim zu einem perfekten Menschen heranziehen zu müssen und nach allen Seiten dabei versuchen, ein bisschen Sicherheit zu ergattern. Und das bisschen Sicherheit finden sie oft nur noch unter Gleichgesinnten, nicht aber bei Andersdenkenden.
 
Sagt die eine Mutter zur anderen: »Mein Gott, was ist mein Kind frech. Was habe ich nur falsch gemacht?«
Sagt die andere: »Das kann ich dir genau sagen!«