Arschloch

 

Afro-Lockenmähne-Qualm-Gabi Fleischmann. Richards längste Beziehung in seinen bisher neunundzwanzig klimaschädigenden Jahren. Das Ende lag nun ein Jahr und drei Monate zurück. Nach Gabi Fleischmann wollte Richard von Frauen erstmal nichts mehr wissen.

»Was war ich froh, wieder alleine zu sein«, sagte er zu Sandra, die sich mittlerweile schon wieder Sorgen machte, weil er immer noch nicht bereit war für eine neue Beziehung. Oder wenigstens einen One-Night-Stand. Das war aber nicht Richards Art.

Auch wenn Gabi eine Frau war, die nur mit Stress verbunden war, hauptsächlich seelischen Stress, so genoss Richard seinen Liebeskummer doch ausführlich.

Eine Minute.

Für Richard war es wie eine Erlösung, Gabi Fleischmann und ihre Eltern nie wieder im Leben sehen zu müssen.

Im letzten Jahr blieb auch wieder mehr Zeit für seinen besten Kumpel Max. Sie spielten oft auf dem Computer Fußball, gingen alle zwei Monate mal ins Kino (meist Actionfilme, weil sich Max für kein weiteres Genre erwärmen konnte) und samstags trafen sie sich wie immer regelmäßig in ihrem Stammlokal, der Blau-Weiß-Bar.

Heute war Samstag. Beide saßen auf ihren gewohnten Barhockern an der Theke der Blau-Weiß-Bar. Fast jedes Detail in der Bar war in den bayerischen Landesfarben gestaltet. Max trank bereits sein zweites Bier, Richard seine erste Cola light.

Max sah fast wie immer aus. Er war dünner als ein Handtuch und nicht immer pfleglich rasiert. Seine Haare sahen oft so aus, als ob er gerade aufgestanden wäre. Nicht mit dem stylischen Look zu verwechseln. Max war da nicht der Typ dafür. Er trug einen Karopulli und eine ausgewaschene Jeans und abgelaufene Schuhe. Max fand sich begehrenswert.

Richard wusste, dass Max etwas Selbstkritik fehlte, sagte es ihm aber nie direkt.

Richard trug ein frisch gebügeltes Hemd und eine dunkle Jeans. Heute sah er nicht scheiße aus.

Max war schon ganz aufgeregt. Er hatte vor ein paar Tagen während der Arbeit (Max arbeitete in der IT-Branche, verdiente nicht zu knapp) bei einem exklusiven Kunden den Supermann, der jedes Frauenherz erlegt, kennen gelernt. Supermann hatte schon mit über zweihundert Traumfrauen geschlafen.

»Supermann ist ein Held«, sagte Max.

Und Max hatte Supermann dann auch gleich freundlich gefragt, ob er am Samstagabend in ihr Stammlokal kommen könnte, um seinen Freund Richard auch an seinem unheimlichen Wissen teilhaben zu lassen.

Richard war gespannt, wer da kommen würde. Diese Gurutypen Ich-schlepp-alle-Frauen-ab-musst-nur-sagen-welche-es-sein-soll fand er so intelligent und charmant wie ein Butterbrot.

»Hallo, Max«, sagte eine einseifende Stimme hinter seinem Rücken.

Max und Richard drehten sich um.

»Hallo«, sagte Max.

Richard schwieg.

Max stellte Richard ihr Gegenüber vor. Uwe von Meier-Lechberg, auch Supermann genannt. Dunkelblauer, taillierter Hugo Boss Anzug, weißes Hemd, zwei Knöpfe offen, Goldkette, gezupfte Augenbrauen, Gelfrisur, Waschbrettbauch, blitzblanke 400-Euro-Italientreter.

Richard gab ihm die Hand und ließ sich auch zu einen Hallo hinreißen.

»Das ist mein Freund Richard«, sagte Max.

»Richard, ich grüße dich. Max hat mir von deinem Problem erzählt. Du lernst keine Frauen kennen.«

Richard sah Max finster an, bevor er sich an Supermann wandte. »So würde ich das nicht sagen.«

»Das ist schon eine erste Ausrede. Halbherzig formuliert. So wirst du bei Frauen nie einen Volltreffer landen«, sagte Supermann.

»Aha.«

»Ich werde dir erklären, wie du charmant und zugleich fordernd deine Traumfrauen kennen lernst. Auch ist der Stil ein ungemein wichtiger Aspekt bei der Frauenjagd.«

Richard dachte, er wolle keine Frauen jagen, sondern nur die Liebe seines Lebens finden.

»Und ich muss leider sagen, Richard, nimm es mir nicht übel, aber bei dir fehlt Stil. Und das nicht zu wenig.«

Ja genau, dachte Richard. Ich habe keinen Stil. Uwe von Meier-Lechberg alias Supermann war gar nicht Supermann, sondern Supermann war in Wirklichkeit Arschloch.

»Ich weiß, diese Erkenntnis trifft die meisten sehr hart«, sagte Arschloch.

Richard musste unweigerlich wieder an Ally McBeal denken. Dort tat Ally im Gedanken immer das mit Menschen, was man in der Realität nicht tun konnte. Und es wurde in der Serie gezeigt. Die Hohlköpfe mit einem Hammer verprügeln, ihnen mit voller Wucht gegen die Kniescheibe schlagen, weil sie mit ihren Aussagen keine bessere Behandlung verdient hatten. Und noch vieles andere. Das war so ein Moment. Richard kombinierte im Gedanken gerade die Variante Hammer und Kniescheibe.

»Wie definierst du Stil?«, fragte Richard.

»Ich bin Stil«, sagte Arschloch.

»Aha.«

»Sieh mich an, hör mir zu, dann erfährst du in jeder Sekunde deines irdischen Lebens, was Stil ist.«

Arschloch hat gesprochen, Amen, dachte Richard.

»Klingt sehr aufschlussreich«, sagte Richard.

Arschloch zog spielend seine Brauen nach oben.

»Und, was brauche ich außer deinem Stil noch, um bei Frauen einen Volltreffer zu landen?«, fragte Richard.

Arschloch erklärte Richard seine Masche. Die Masche lag darin, dass Arschloch schauspielerte. Einmal machte er einen auf Schwuler, auf Charmeur, auf Macho, auf Gentleman, auf Arschloch.

Das Letztere kann er ganz gut, dachte Richard.

Die Masche war so gut, dass er darüber nun endlich auch ein Buch schrieb.

»Es gibt wohl schon einige auf dem Markt, aber meines wird alle anderen weit übertrumpfen. Alle Frauen gehören Ihnen. Der perfekte Verführer-Guide von Uwe Meier-Lechberg«, sagte Arschloch stolz. »Seine ganzen Kursteilnehmer, auch Jünger genannt, trieben ihn förmlich dazu. Und ein großer Verlag hier aus München hat auch schon die Rechte für eine hohe fünfstellige Summe erworben.«

»Wahnsinn«, sagte Richard.

Was für ein Aufschneider, dachte Richard. Arschloch war ein Doppel-A. Ein Aufschneider-Arschloch. Passt perfekt.

»Irre, was für eine Masche! Ich muss mich also immer verstellen, nie ich selbst sein und die Frauen dauernd anlügen, damit ich, wie du es nennst, einen Volltreffer lande?«

»Wenn du eine Frau bezirzt, so wie sie es wünscht, dann bekommst du sie ins Bett. Immer!«

»Aha. Nochmals, ich muss praktisch immer lügen?«, fragte Richard.

»Ich würde das Wort Lüge nie in den Mund nehmen. Es ist meine Masche, die perfekte Masche, um jede, und ich meine jede Frau ins Bett zu kriegen.«

Arschloch erzählte, kaum dass seine Matratze vom Sexschweiß einer Errungenschaft getrocknet wäre, bereits die nächste seine Matratze zunässte.

Arschloch schwang mit den Hüften, als er das erzählte.

Richard dachte dabei an die großen Mengen Ungeziefer, die sich mittlerweile in Arschlochs Matratze angesiedelt haben müssten. Ein leckeres Bild. Ungeziefer verschlingen Arschloch und gegebenenfalls gerade aktive Sexpartnerin. Diese Vorstellung heiterte Richard ungemein auf. So konnte er Arschlochs Ausführungen noch etwas ertragen.

Richard lächelte ihn an und nickte immerzu immens interessiert, fragte sich aber andauernd, welche Art von Frauen mit Arschloch überhaupt mehr als zwei Worte wechselten. Geschweige denn mit ihm Sexschweiß austauschen wollten. Igitt! Waren die alle weich in der Birne?

Ich bin ein sehr objektiver Mensch, dachte Richard. Wenn Männer gut aussehen, gute Manieren haben und zudem intelligent sind, okay, dann nehme ich das hin und sage, gut, dann ist das so. Aber Arschloch war so was von aalglatt, dass darauf sogar ein Panzer ins Rutschen gekommen wäre. Hoffentlich begegne ich nie solchen gnadenlos geil (OT Arschloch) aussehenden Frauen. Das würde mein Bild der Frau in ein düsteres Licht rücken, düsterer als alle Aussichten und Prognosen wegen des eingeläuteten Klimawandels.

Max war wohl Richards bester Kumpel, mit dem er gut über Sport und Politik reden und streiten konnte, aber ansonsten war er ein schräger Vogel und definitiv schwanzgesteuert. Er fand Arschloch ganz toll und wollte so bald als möglich alles ausprobieren. Am Objekt sozusagen.

Dann viel Spaß dabei, dachte Richard.

»Ich werde mein Jagdrevier jetzt erweitern«, sagte Arschloch.

»Verlässt du München?«, fragte Richard.

Das würde München sehr erfreuen, dachte er.

»Nein, wo denkst du hin. Und wenn du meinst, dass ich Frauen nur in München für mich eingenommen habe, dann irrst du. Mein Betätigungsfeld ist und war Bayern und hat sich mittlerweile auf ganz Deutschland ausgeweitet.«

»Aha. Und wohin willst du dich dann noch erweitern?«

»Im Internet. Da war ich bisher noch überhaupt nicht aktiv. Da gibt es unendlich viele schöne Ladys, die mit mir Sex haben werden.«

Das wird seiner Matratze sicher noch mehr Sexschweiß bescheren, dachte Richard. Die Ungeziefer würden Zuwachs bekommen.

»Ich habe mich in dieser Woche bei liebeloveamore.de angemeldet. Dort sind fast sieben Millionen Singles registriert. Und knapp die Hälfte sind Frauen«, schwärmte Arschloch.

Ich muss das Internet vor Arschloch warnen, dachte Richard.

Kurzes Schweigen.

»Internet also. Da kann man wirklich Frauen kennen lernen und nicht nur Vogelscheuchen und umgedrehte Kerle?«, fragte Richard.

»Natürlich. Und es werden täglich mehr, die sich bei liebeloveamore anmelden. Ein traumhaftes Jagdrevier«, sagte Arschloch.

Richard schwieg.

»Viel Erfolg, Uwe«, sagte Max.

»Tut mir leid, ihr beiden, aber ich muss jetzt. Wenn ihr Lust habt, besucht eines meiner Seminare hier in München oder geht mit mir selbst auf die Jagd. Das kostet natürlich mehr, wenn ihr live dabei sein dürft, wie eine Frau – was sage ich – jede Frau auf mich abfährt.«

»Aha. Und wie sind deine Preise so?«, fragte Richard.

»Das Seminar läuft über fünf Abende. Kostet vierhundertneunundneunzig Euro. Wenn ihr live dabei sein wollt, dann kostet das an jedem Abend dreihundertfünfzig pro Nase.«

Arschloch reichte Richard und Max jeweils eine seiner Visitenkarten.

»Da steht alles drauf. Würde mich freuen, wenn wir uns im Kurs oder beim Liveevent wiedersehen.«

Die Frau seines Lebens zu finden als Liveevent zu bezeichnen, darüber dachte Richard mit Abneigung. Wie viel von Arschlochs Schwanz hatte wohl schon sein Gehirn befallen?

»Ja, klar«, sagte Richard.

Das reihte sich in die Liste Familie Fleischmann ein. Richard würde Arschloch nie wieder sehen wollen und mit ihm am Objekt Frau experimentieren schon gar nicht.

»Vielen, vielen Dank«, sagte Max. »Ich werde auf jeden Fall in dein Seminar kommen.«

Arschloch lächelte schmierig wie ein ausgelaufener Öltanker und verabschiedete sich.

Richard eliminierte Arschloch sofort aus seinen Gedanken und machte Platz für liebeloveamore.de. Damit würde er sich ab sofort beschäftigen.