Wahn und Keks

Der Tee wurde im Freien auf der Terrasse serviert– dahinter erstreckte sich ein Rasen von der Größe eines Fußballfelds, der zu einem Park gehörte, wie ihn Alex noch nie gesehen hatte. Cray hatte sich tatsächlich einen Fantasie-Park in die englische Landschaft bauen lassen, mit Dutzenden von Teichen, Brunnen, Minitempeln und Grotten. Es gab einen Rosen- und einen Statuengarten, einen Garten, in dem einzig und allein weiße Blumen und Blüten wuchsen, und einen Ziergarten, der in der Form einer riesigen, irrwitzig bunten Blumenuhr angelegt war. Und überall dazwischen hatte Cray Nachbildungen von berühmten Gebäuden bauen lassen, von denen Alex viele wiedererkannte: den Eiffelturm, das Kolosseum in Rom, das Taj Mahal, den Tower von London. Alle Gebäude waren im Maßstab 1:100 errichtet worden und standen so wild durcheinander wie achtlos verstreute Ansichtskarten. Das ganze Gelände bewies nur eines: Hier lebte ein Mann, der die Welt hatte beherrschen wollen und dem schließlich nichts anderes übrig geblieben war, als sie auf seine eigene Größe zu schrumpfen.

»Wie gefällt es dir hier?«, fragte Cray stolz, als er sich neben Alex an den Tisch setzte.

»In Gärten hab ich schon ein paarmal irre Statuen gesehen«, sagte Alex, »aber dass jemand so was Verrücktes wie diesen Park hier bauen kann, hätte ich nicht für möglich gehalten.«

Cray fasste es als Lob auf und lächelte geschmeichelt.

Am Tisch saßen fünf Personen– Cray, Alex, Yassen, Sabina und der Mann, der sich Henryk nannte. Yassen hatte Sabina das Klebeband und die Fesseln abgenommen. Kaum befreit, hatte sie Alex die Arme um den Hals geworfen und geflüstert: »Es tut mir so leid, Alex. Ich hätte dir glauben sollen.«

Mehr hatte sie nicht gesagt; danach hatte sie nur noch schweigend und mit blassem Gesicht dagesessen. Alex konnte sich denken, dass sie Angst hatte, aber es war typisch für Sabina, ihre Angst nicht zu zeigen.

»Na also, nun sind wir alle friedlich versammelt. Eine einzige, glückliche Familie.« Cray wies auf den Mann mit dem silbernen Haar und den Pockennarben. Alex sah ihn zum ersten Mal aus der Nähe und stellte fest, dass er wirklich sehr hässlich war. Seine von den Brillengläsern vergrößerten Augen waren gerötet. Er trug ein Jeanshemd, das viel zu eng war, sodass sein dicker Bierbauch deutlich zu sehen war.

»Ich glaube, du hast Henryk noch nicht kennengelernt«, sagte Cray.

»Ich will ihn auch gar nicht kennenlernen«, gab Alex zurück.

»Spiel nicht den schlechten Verlierer, Alex. Henryk ist für mich sehr wertvoll. Er kann nämlich Jumbo-Jets fliegen.«

Jumbo-Jets? Wieder ein Stückchen des großen Puzzles.

»Super. Und wohin fliegt er Sie?«, fragte Alex. »Ich hoffe, sehr weit weg.«

Cray lächelte verträumt vor sich hin. »Darüber sprechen wir nachher. Darf ich euch alle ein wenig bemuttern? Es ist Earl-Grey-Tee; ich hoffe, ihr mögt ihn. Hier sind Kekse, bitte bedient euch selbst.«

Cray goss fünf Tassen voll und stellte die Teekanne wieder auf den Tisch. Yassen hatte noch kein Wort gesagt. Alex hatte allmählich das Gefühl, dass dem Russen die ganze Situation nicht besonders gut gefiel. Und das war sehr seltsam. Er hatte immer angenommen, dass Yassen sein schlimmster Feind sei. Aber hier an diesem Tisch schien der Killer fast unwichtig; hier drehte sich alles um Damian Cray.

»Wir haben noch eine Stunde Zeit, bevor wir gehen müssen«, sagte Cray. »Ich dachte, ich erzähle euch jetzt ein wenig über mich selbst. Damit es euch nicht zu langweilig wird.«

»Dann wird es mir erst recht langweilig«, sagte Alex.

Damian Crays Lächeln wurde dünner. »Das nehme ich dir nicht ab, Alex. Du interessierst dich nämlich schon eine ganze Weile für mich.«

»Sie wollten meinen Vater umbringen!«, unterbrach Sabina Cray.

Cray wandte sich zu ihr, als sei er überrascht, ihre Stimme zu hören. »Ja, stimmt«, gab er zu. »Und wenn ihr beide jetzt brav den Mund haltet, erkläre ich euch auch, warum.«

Eine Pause entstand. Zwei Schmetterlinge tanzten um ein Lavendelbeet.

»Mein Leben war ungewöhnlich interessant«, begann Cray schließlich. »Ich gehörte zu den privilegierten Schichten, meine Eltern waren reich. Superreich, könnte man sagen. Aber sie waren nicht super. Mein Vater war Unternehmer und, ehrlich gesagt, ein totaler Langweiler. Meine Mutter tat eigentlich nicht viel; ich mochte auch sie nicht besonders. Ich war ein Einzelkind und wurde natürlich furchtbar verwöhnt. Manchmal denke ich, dass ich mit acht Jahren reicher war, als die meisten Leute in ihrem ganzen Leben sein werden!«

»Müssen wir uns das wirklich anhören?«, fuhr Alex dazwischen.

»Wenn du mich noch einmal unterbrichst, werde ich Yassen bitten, die Schere zu holen«, antwortete Cray und fuhr dann fort: »Den ersten großen Krach mit meinen Eltern hatte ich, als ich dreizehn Jahre alt war. Ihr müsst wissen, dass sie mich auf die Königliche Musikakademie in London geschickt hatten. Ich war ein außergewöhnlich begabter Sänger. Das Problem war, dass ich die Akademie hasste. Bach. Beethoven. Mozart. Verdi. Ich war doch noch ein Teenager, verdammt noch mal! Ich wollte wie Elvis Presley sein, ich wollte zu einer Popgruppe gehören! Ich wollte berühmt werden!

Mein Vater war sehr verärgert, als ich ihm das sagte. Er verachtete alles, was irgendwie populär war. Deshalb kam er zu dem Schluss, dass ich eine einzige Enttäuschung für ihn sei, und ich fürchte, dass meine Mutter derselben Meinung war. Beide hatten die Vorstellung, dass ich eines Tages im Covent Garden Opernarien schmettern würde oder etwas ähnlich Grauenhaftes. Sie wollten verhindern, dass ich das Studium an der Akademie hinschmiss. Sie haben es mir sogar direkt verboten. Ich weiß wirklich nicht, was aus mir geworden wäre, wenn sie nicht diesen höchst ungewöhnlichen Autounfall gehabt hätten. Der Wagen fiel nämlich auf sie herunter, versteht ihr?«

»Nein«, sagte Alex.

Cray redete einfach weiter. »Ich will nicht behaupten, dass ich besonders verstört gewesen sei, aber natürlich musste ich so tun als ob. Wollt ihr wissen, was mir wirklich durch den Kopf ging? Ich war überzeugt, dass Gott auf meiner Seite stand; es konnte nicht anders sein. Er wollte, dass ich erfolgreich bin, und deshalb hatte Er beschlossen, mir zu helfen.«

Alex warf Sabina einen Blick zu. Was sie wohl von Crays Gerede hielt? Aber sie saß regungslos auf ihrem Stuhl und hatte die Teetasse nicht einmal angerührt. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihr Blick ging in die Ferne, aber sie hatte sich vollkommen unter Kontrolle. Niemals würde sie zeigen, wie ihr wirklich zumute war.

»Das Gute war jedenfalls«, fuhr Cray fort, »dass meine Eltern mir nicht mehr im Weg stehen konnten. Und noch besser war, dass ich ihr ganzes Vermögen geerbt hatte. Mit einundzwanzig kaufte ich mir eine Wohnung in London, eigentlich war es eher ein Penthouse, und gründete meine eigene Band. Wir nannten uns Slam! Ich bin sicher, dass ihr den Rest der Geschichte kennt. Fünf Jahre später trennte ich mich von der Band und trat solo auf, und bald darauf war ich der größte Sänger der Welt. Und das war der Zeitpunkt, als ich anfing, über die Welt nachzudenken, in der ich lebte.«

Cray trank einen Schluck Tee und stellte Tasse und Unterteller völlig geräuschlos auf den Tisch zurück. »Ich wollte den Menschen helfen. Mein ganzes Leben lang habe ich den Menschen helfen wollen. Du schaust mich an, Alex, als sei ich eine Art Monster! Aber das bin ich nicht! Ich habe Millionen Pfund als Spenden für mildtätige Zwecke eingesammelt. Millionen und Abermillionen. Und ich darf dich daran erinnern, falls du es schon vergessen haben solltest, dass ich von der Königin zum Ritter geschlagen wurde. Ich bin eigentlich Sir Damian Cray, auch wenn ich den Titel nicht oft benutze, denn schließlich bin ich kein Snob. Übrigens eine reizende Frau, die Queen! Wisst ihr, wie viel Geld allein meine Weihnachtssingle Something for the Children eingebracht hat? Genug, um ein ganzes Land zu ernähren!«

Cray lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hob den Zeigefinger. »Aber das Problem ist, dass es manchmal nicht genügt, reich und berühmt zu sein. Ich wollte unbedingt eine wirklich bedeutende Tat vollbringen. Doch was konnte ich tun, wenn die Leute mir einfach nicht zuhörten? Ich meine, denkt nur einmal an dieses Milburn-Institut in Bristol. Das war ein Forschungslabor, das für mehrere Kosmetikfirmen arbeitete. Ich fand heraus, dass sie dort viele ihrer Produkte in Tierversuchen testeten. Ich bin sicher, dass du in dieser Sache auf meiner Seite stehen würdest, Alex. Ich versuchte jedenfalls, sie davon abzubringen, und führte eine Kampagne durch, die ein ganzes Jahr lang dauerte. Wir sammelten zwanzigtausend Unterschriften, aber sie wollten nicht auf uns hören. Ich hatte eine Menge Beziehungen und natürlich hatte ich auch jede Menge Geld. Eines Tages wurde mir plötzlich klar, dass es am besten wäre, wenn ich Professor Milburn beseitigen ließe. Und das hab ich dann auch getan. Sechs Monate später ging das Institut pleite und die Sache war gegessen. Von da an wurde kein Tier mehr gequält.«

Crays Hand kreiste über der Keksschale; sorgfältig wählte er einen Keks aus. Ganz offensichtlich war er mit sich selbst sehr zufrieden.

»In den nächsten Jahren ließ ich ziemlich viele Leute umbringen«, fuhr er fort. »Da waren zum Beispiel ein paar ausgesprochen unangenehme Typen, die den Regenwald in Brasilien abholzten. Diese Leute sind heute noch im Regenwald, nur eben zwei Meter unter der Erde. Auch die japanischen Walfänger wollten mir nicht zuhören. Ich habe dafür gesorgt, dass sie in ihrer eigenen Gefrieranlage tiefgefroren wurden. Das wird ihren Freunden eine Lehre sein, nie mehr vom Aussterben bedrohte Wale zu töten! Und das Unternehmen in Yorkshire, das Landminen verkaufte? Diese Leute mochte ich überhaupt nicht! Als die Direktoren zu einem Überlebenstraining ins schottische Hochland reisten, ließ ich sie dort alle einfach verschwinden. Damit war auch die Sache mit den Landminen ein für alle Mal erledigt.«

Er wandte sich an Sabina. »Ich habe in meinem Leben ein paar sehr schlimme Dinge getan. Echt. Es war mir wirklich zuwider, deinen Vater in die Luft blasen zu müssen. Aber wenn er mir nicht nachgeschnüffelt hätte, wäre das gar nicht nötig gewesen. Ich kann nicht einfach zulassen, dass er meine Pläne durchkreuzt! Das musst du doch einsehen!«

Sabina saß wie erstarrt; ihre Hände krallten sich immer fester in die Armlehnen, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Nur mit äußerster Anstrengung konnte sie sich beherrschen, sich nicht auf Cray zu stürzen. Aber Yassen saß direkt neben ihr und sie wusste, dass sie nicht einmal in Crays Nähe kommen würde.

Cray fuhr fort, als habe er nichts bemerkt. »Diese Welt ist grausam, und wenn man daran etwas ändern möchte, muss man eben manchmal zu extrem grausamen Methoden greifen. Und genau darum geht es. Ich bin nämlich ausgesprochen stolz darauf, so vielen Menschen geholfen und in so vielen Angelegenheiten eine Lösung durchgesetzt zu haben. Den Menschen zu helfen– also mildtätig zu sein– ist mein Lebenswerk.«

Die Pause dauerte nur so lang, wie er brauchte, um den Keks zu essen, den er ausgesucht hatte.

Alex zwang sich, an der Tasse Tee zu nippen, obwohl er den parfümierten Earl-Grey-Tee schon immer gehasst hatte. Aber sein Mund war vollkommen ausgetrocknet. »Ich habe ein paar Fragen«, murmelte er.

»Aber natürlich. Bitte.«

»Meine erste Frage richtet sich an Yassen Gregorovich.« Er wandte sich an den Russen. »Warum arbeiten Sie für diesen Wahnsinnigen?«

Alex fragte sich, ob ihn Cray jetzt schlagen würde; er nahm es bewusst in Kauf. Es gab genügend Hinweise, dass der Russe eine andere Einstellung hatte als Cray. Yassen schien sich äußerst unwohl und irgendwie fehl am Platz zu fühlen. Alex glaubte, dass es nicht schaden könne, wenn er ein wenig Zwietracht zwischen den beiden säte.

Cray knurrte wütend, widersprach aber nicht, sondern gab Yassen nur ein Zeichen zu antworten.

»Er bezahlt mich«, sagte Yassen einfach.

»Hoffentlich ist deine zweite Frage interessanter«, zischte Cray.

»Ja, ist sie. Wollen Sie mir wirklich weismachen, dass Sie alles nur für einen guten Zweck tun? Halten Sie es denn für richtig, all diese Leute umbringen zu lassen, damit Sie Ihre Ziele erreichen können? Viele Menschen setzen sich für mildtätige Zwecke ein oder wollen die Welt verändern, aber sie verhalten sich trotzdem nicht so wie Sie!«

»Ich warte immer noch auf…«, sagte Cray scharf.

»Okay. Meine Frage ist: Was ist Eagle Strike? Wollen Sie etwa behaupten, dass auch Eagle Strike ein Plan ist, um die Welt besser zu machen?«

Cray lachte leise. Einen Moment lang sah er wie der Junge aus, der sich teuflisch über den Tod seiner Eltern freute. »Ja«, nickte er, »genau darum geht es. Große Menschen werden manchmal missverstanden. Du verstehst mich nicht und deine Freundin versteht mich auch nicht. Aber ich will wirklich die Welt verändern. Das ist alles, was ich je wollte. Und ich bin in der glücklichen Lage, dass mir das durch meine Musik möglich gemacht wird. Im 21.Jahrhundert sind Unterhaltungskünstler eben viel einflussreicher als Politiker oder Staatsmänner. Ich bin übrigens der Einzige, dem das bereits aufgefallen ist.«

Cray suchte sich wieder einen Keks aus, dieses Mal gönnte er sich einen mit Cremefüllung.

»Ich will dich mal was fragen, Alex. Was ist deiner Meinung nach das größte Übel auf der Welt?«

»Soll ich Menschen wie Sie dazurechnen oder nicht?«

Cray runzelte die Stirn. »Reize mich nicht, Alex«, warnte er.

»Weiß ich nicht«, antwortete Alex. »Sagen Sie es mir.«

»Drogen!« Cray spuckte das Wort aus, als sei die Antwort selbstverständlich. »Drogen erzeugen mehr Unglück und Zerstörung als alles andere auf der Welt. Durch Drogen kommen mehr Menschen ums Leben als durch Kriege oder Terroranschläge. Weißt du eigentlich, dass Drogen die wichtigste Ursache für Kriminalität in den westlichen Gesellschaften sind? Unsere Kids draußen auf der Straße nehmen Heroin und Kokain, und sie müssen stehlen, um ihre Sucht finanzieren zu können. Aber sie sind keine Verbrecher, sondern Opfer. Schuld sind die Drogen!«

»Darüber haben wir in der Schule diskutiert«, sagte Alex. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war eine Lektion.

»Ich habe mein ganzes Leben lang gegen Drogen gekämpft«, fuhr Cray fort. »Ich habe in Anti-Drogen-Kampagnen der Regierung mitgewirkt. Ich habe Millionen für den Bau von Entwöhnungszentren gespendet. Und ich habe Songs darüber geschrieben. Du hast doch bestimmt schon mal mein Lied White Lines gehört…«

Er schloss die Augen und summte leise, dann begann er zu singen:

»The poison’s there. The poison flows

It’s everywhere– in heaven’s name

Why is it that no one knows

How to end this deadly game?«

Er brach ab. »Aber ich weiß, wie man dem Ganzen ein Ende setzen kann«, sagte er. »Ich habe es selbst geplant. Und darum geht es bei Eagle Strike. Um eine Welt ohne Drogen. Sollte man davon nicht träumen, Alex? Ist das nicht ein paar Opfer wert? Denk mal darüber nach! Das Ende des Drogenproblems. Und ich, Damian Cray, werde es wahr machen.«

»Wie?« Alex war nicht sicher, ob er die Antwort überhaupt hören wollte.

»Es ist ganz einfach. Die staatlichen Stellen unternehmen nichts. Die Polizei auch nicht. Niemand kann die Drogenhändler aufhalten. Also muss man bei den Lieferanten anfangen. Man muss darüber nachdenken, woher die Drogen kommen. Und woher kommen sie? Ich sag’s dir

Jedes Jahr kommen Hunderte Tonnen Heroin aus Afghanistan hierher– vor allem aus den Provinzen Nangarhar und Helmand. Weißt du, dass die Produktion dort um 1400Prozent zugenommen hat, seit die Taliban besiegt wurden? Das also hat der Afghanistan-Krieg bewirkt! Außerdem gibt’s noch Burma und das sogenannte Goldene Dreieck, wo Opium und Heroin auf ungefähr 100000Hektar Land angebaut werden. Der Regierung von Burma ist das völlig egal. Allen ist es völlig egal. Und vergessen wir nicht Pakistan, das jährlich etwa 155Tonnen Opium produziert und Raffinerien in der Khyber-Region und an der Grenze entlang unterhält.«

Alex rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Selbst wenn Crays Angaben nur zur Hälfte korrekt waren, war nicht zu leugnen, dass Drogen ein riesiges Problem darstellten.

»Und auf der anderen Seite der Welt liegt Kolumbien. Das Land ist weltweit führend in der Produktion und im Export von Kokain, aber es exportiert auch Heroin und Marihuana. Das Drogengeschäft hat einen Wert von über drei Milliarden Dollar pro Jahr, Alex! Achtzig Tonnen Kokain in zwölf Monaten und sieben Tonnen Heroin. Eine ganze Menge davon landet auf den Straßen unserer Städte und in den Schulen. Es ist eine einzige Flut von Elend und Verbrechen.«

Yassen Gregorovich zeigte keinerlei Regung; er schien Crays Predigt schon öfter gehört zu haben.

»Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem ganzen Bild.« Cray hob die Hand und zählte die Länder nacheinander an den Fingern ab. »Raffinerien in Albanien. Maultiertransporte mit Drogen durch ganz Thailand. Koka-Ernten in Peru. Opiumplantagen in Ägypten. China erzeugt Ephedrin, einen Stoff, der bei der Produktion von Heroin eingesetzt wird. Und einen der größten Drogenmärkte in der Welt gibt es in Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan.

Das sind die wichtigsten Quellen des weltweiten Drogenproblems. Dort fängt alles an. Und deshalb sind das meine Ziele.«

»Ziele?«, fragte Alex leise.

Damian Cray griff in seine Tasche und zog den Flash Drive heraus. Yassen setzte sich auf und wirkte auf einmal hellwach. Alex wusste, dass Yassen eine Pistole hatte und sie auch benutzen würde, wenn sich Alex plötzlich bewegte.

»Obwohl du es natürlich nicht wissen konntest«, erklärte Cray, »ist das hier der Schlüssel für den Zugang zu einem der kompliziertesten Sicherheitssysteme, die jemals entwickelt wurden. Der Originalschlüssel wurde von der National Security Agency angefertigt und der Präsident der Vereinigten Staaten trägt ihn mit sich herum. Mein Freund, der leider so frühzeitig verstorbene Charlie Roper, war in führender Stellung bei der NSA tätig. Seinem fachmännischen Wissen über den Code habe ich es zu verdanken, dass wir dieses Duplikat herstellen konnten. Trotzdem war das eine sehr schwierige Aufgabe. Du hast ja gar keine Ahnung, wie viel Programmierarbeit nötig war, um diesen zweiten Schlüssel zu entwickeln.«

»Der Gameslayer…«, überlegte Alex laut.

»Richtig. Das Computerspiel war die perfekte Deckoperation. Jede Menge Mitarbeiter und jede Menge Technologie. Damit hatte ich eine ganze Softwarefabrik mit gewaltiger Programmierkapazität zur Verfügung, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpfte. Sie entwickelte zwar den Gameslayer, aber in Wirklichkeit ging es immer nur um dieses kleine Ding!«

Er hielt stolz die kleine Metallkapsel in die Höhe.

»Dieser kleine Schlüssel verschafft mir Zugang zu zweieinhalbtausend Atomraketen, Alex. Es sind amerikanische Raketen, und alle befinden sich im Bereitschaftszustand. Das heißt, sie können innerhalb von Minuten abgefeuert werden. Ich habe die Absicht, das NSA-System auszuschalten und 25Raketen auf bestimmte Ziele abzufeuern, die ich auf der ganzen Welt sorgfältig ausgesucht habe.«

Cray lächelte traurig. »Das Ausmaß der Zerstörung kann man sich kaum vorstellen, das 25Hundert-Tonnen-Raketen anrichten, wenn sie gleichzeitig explodieren– in Südamerika, Mittelamerika, Asien, Afrika… Die Atomschläge werden fast jeden Kontinent schmerzhaft treffen. Und es werden sehr, sehr starke Schmerzen sein, die ich damit auslöse, Alex. Das ist mir vollkommen klar.«

Cray steckte den Flash Drive wieder in die Tasche und breitete die Arme aus. »Aber damit werde ich alle Mohnfelder von der Erdoberfläche fegen. Die Farmen und Fabriken. Die Raffinerien. Die Handelswege, die Märkte. Es wird keine Drogenhändler mehr geben, weil es keinen Drogennachschub mehr gibt. Natürlich werden Millionen Menschen sterben müssen. Aber noch viel mehr Millionen werden gerettet.«

Er stand auf und blickte auf Alex hinab. »Darum geht es bei Eagle Strike, Alex. Es ist der Beginn eines neuen, goldenen Zeitalters. Es ist ein Tag größter Freude für die gesamte Menschheit. Und dieser Tag ist heute. Meine Zeit ist endlich gekommen.«