Mehrarbeit

Für die zwei Diebe auf der 200er-Vespa war es das falsche Opfer am falschen Ort am falschen Sonntagmorgen im September.

Man konnte meinen, die halbe Menschheit habe sich auf der Piazza Esmeralda, einige Kilometer außerhalb von Venedig, versammelt. Familien gingen nach der Messe im strahlenden Sonnenschein spazieren: die Erwachsenen in Schwarz, Jungen und Mädchen in ihren Sonntagskleidern und Kommunionsanzügen. Cafés und Eisdielen hatten geöffnet und Gäste strömten unablässig ein und aus.

Von einem gewaltigen Springbrunnen, der von mehreren nackten Göttern und Schlangen geziert wurde, stieg eine kühle Fontäne in die Luft.

An einigen Ständen wurden Kinderdrachen und getrocknete Blumen verkauft sowie alte Postkarten und Tüten mit Futter für die unzähligen Tauben, die überall gurrend umherstolzierten.

Mitten in diesem Gewühl standen ein Dutzend englische Schulkinder.

Pech für die zwei Diebe, dass eines von ihnen ausgerechnet Alex Rider war.

Weniger als ein Monat war inzwischen vergangen seit Alex’ entscheidender Konfrontation mit Damian Cray in der Air Force One, dem Flugzeug des amerikanischen Präsidenten. Es war das dramatische Ende eines Abenteuers gewesen, das Alex Rider nach Paris, Amsterdam und schließlich auf den Londoner Flughafen Heathrow geführt hatte, kurz nachdem fünfundzwanzig Atomraketen auf Ziele in aller Welt abgefeuert worden waren. Alex war es gerade noch rechtzeitig gelungen, diese Raketen zu zerstören. Und er war dabei gewesen, als Cray starb.

Mit unzähligen Schrammen und Kratzern übersät, war er dann endlich müde nach Hause zurückgekehrt,wo allerdings schon Jack Starbright mit grimmigem Gesicht auf ihn wartete. Jack war Alex’ Haushälterin, aber sie war auch seine Freundin, und wie immer hatte sie sich große Sorgen um ihn gemacht.

»So geht das nicht weiter, Alex«, sagte sie. »Nicht nur, dass du dein Leben aufs Spiel setzt, du fehlst außerdem ständig in der Schule. In Skeleton Key hast du das halbe Sommerhalbjahr verpasst und in Cornwall und dann in Point Blanc einen großen Teil des Winterhalbjahrs. Wenn du so weitermachst, rasselst du durch sämtliche Prüfungen. Und dann? Was soll dann werden?«

»Das ist nicht meine Schuld…«, fing Alex an.

»Ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist. Aber ich habe dafür zu sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt, und deshalb wirst du für den Rest der Sommerferien Nachhilfe bekommen.«

»Das ist nicht dein Ernst!«

»Und ob. Du hast immerhin noch mehrere Wochen übrig. Und du kannst sofort anfangen.«

»Ich will aber keine Nachhilfe«, protestierte Alex.

»Ich fürchte, dir wird nichts anderes übrig bleiben. Und komm mir nicht mit irgendwelchen Tricks und Ausreden– diesmal behalte ich das letzte Wort!«

Alex hätte Jack gern widersprochen, aber im Grunde wusste er, dass sie Recht hatte. Der MI6 versorgte ihn zwar mit ärztlichen Attesten, die seine langen Abwesenheiten von der Schule erklären sollten, aber eigentlich hatten ihn die Lehrer schon längst aufgegeben. Sein letztes Zeugnis war deutlich genug gewesen:

Alex verbringt mehr Zeit außerhalb als innerhalb des Schulgebäudes, was sich drastisch in seinen immer schlechter werdenden Noten widerspiegelt. Auch wenn man ihm seine zahlreichen gesundheitlichen Probleme nicht zum Vorwurf machen kann, wird er, wenn seine Leistungen weiterhin abnehmen, die Schule wohl nicht erfolgreich beenden können.

Na super! Alex hatte einen wahnsinnigen, stinkreichen Popstar daran gehindert, die halbe Welt zu zerstören– und was hatte er davon? Mehrarbeit!

Nur widerwillig ließ er sich auf Jacks Vorschlag ein. Zu allem Überfluss stellte sich auch noch heraus, dass der Nachhilfelehrer, den Jack ihm besorgt hatte, an der Brookland-Schule unterrichtete. Alex gehörte zwar nicht zu seinen Schülern, aber auch so war es peinlich, einen Lehrer von der eigenen Schule als Nachhilfelehrer zu haben, und er konnte nur hoffen, dass die anderen nichts davon mitbekamen. Er musste allerdings zugeben, dass MrGrey seine Sache gut machte. Charlie Grey war noch relativ jung– ein lässiger Typ, der mit dem Fahrrad kam und eine mit Büchern vollgestopfte Satteltasche mitbrachte. Er unterrichtete Englisch und Geschichte, schien sich aber in allen Fächern gut auszukennen.

»Wir haben nur ein paar Wochen«, sagte er. »Das mag dir nicht viel erscheinen, aber du wirst staunen, was man alles durch intensiven Einzelunterricht erreichen kann. Ich werde sieben Stunden am Tag mit dir arbeiten, und zusätzlich bekommst du von mir auch noch Hausaufgaben. Am Ende der Sommerferien wirst du mich wahrscheinlich hassen, aber immerhin wirst du dann einigermaßen fit ins neue Schuljahr gehen.«

Alex hasste Charlie Grey nicht. Im Gegenteil. Woche für Woche arbeiteten sie mehrere Stunden täglich– Mathe, Geschichte, Physik… Übers Wochenende gab ihm der Lehrer Prüfungsaufgaben, und nach und nach wurde Alex immer besser, sodass MrGrey eines Tages überrascht sagte: »Das hast du sehr gut gemacht, Alex. Ich wollte dir eigentlich nichts davon erzählen, aber hättest du vielleicht Lust, zum Ferienende mit auf unseren Schulausflug zu kommen?«

»Wo fahren Sie denn hin?«

»Letztes Jahr waren wir in Paris, das Jahr davor in Rom. Wir sehen uns Museen an, Kirchen, Paläste… solche Sachen. Dieses Jahr geht es nach Venedig. Und? Was sagst du?«

Venedig.

Alex hatte immer wieder daran denken müssen– an die letzten Minuten im Flugzeug, nachdem Damian Cray gestorben war. Yassen Gregorovich war da gewesen, der russische Attentäter, der Alex so lange das Leben zur Hölle gemacht hatte. Yassen war von einer tödlichen Kugel getroffen worden, aber kurz bevor er die Augen für immer schloss, hatte er Alex noch ein Geheimnis anvertraut, das er seit vierzehn Jahren mit sich herumgetragen hatte.

Alex’ Eltern waren kurz nach seiner Geburt gestorben. Aufgewachsen war er bei Ian Rider, dem Bruder seines Vaters. Doch vor einigen Monaten war auch sein Onkel durch mysteriöse Umstände ums Leben gekommen– angeblich bei einem Autounfall. Für Alex war es der größte Schock seines Lebens, als er erfuhr, dass sein Onkel in Wirklichkeit ein Spion war und bei einem Einsatz in Cornwall getötet worden war. Und dann war plötzlich der MI6 in sein Leben getreten. Irgendwie war es dem britischen Geheimdienst gelungen, Alex für sich zu gewinnen, und seitdem arbeitete er für diese Leute.

Alex wusste nur wenig über seine Eltern, John und Helen Rider. Auf dem Schreibtisch in seinem Zimmer stand ein Foto von ihnen: ein gut aussehender Mann mit Stoppelhaarschnitt, der eine hübsche Frau im Arm hielt. Sein Vater war früher bei der Armee gewesen und sah Jahre später noch aus wie ein Soldat. Seine Mutter hatte als Krankenschwester in der Röntgenabteilung eines Krankenhauses gearbeitet. Aber für Alex waren die beiden Fremde. Er hatte absolut keine Erinnerung an sie, denn er war noch ein Baby, als sie starben– bei einem Flugzeugabsturz. So hatte man es ihm jedenfalls später erzählt.

Doch der Flugzeugabsturz seiner Eltern war genauso eine Lüge gewesen wie der Autounfall seines Onkels. Das wusste Alex nun. Von Yassen Gregorovich hatte er die Wahrheit erfahren. Alex’ Vater war ein Mörder gewesen, genau wie Yassen selbst. Die zwei hatten zusammengearbeitet und John Rider hatte Yassen einmal das Leben gerettet. Aber dann war sein Vater vom MI6 getötet worden– von genau denselben Leuten, die Alex nun schon dreimal gezwungen hatten, für sie zu arbeiten, die ihn getäuscht und belogen und schließlich, als er nicht mehr gebraucht wurde, fallen gelassen hatten. Und schließlich hatte ihm Yassen sogar verraten, wie er Beweise dafür finden könnte.

Geh nach Venedig. Suche nach Scorpia. Dort findest du dein Schicksal

Alex wollte unbedingt wissen, was vor vierzehn Jahren geschehen war. Die Wahrheit über John Rider, das wäre auch die Wahrheit über ihn selbst. Denn wenn sein Vater wirklich ein bezahlter Killer gewesen war– wozu machte das ihn selbst? Alex war wütend, unglücklich… und durcheinander. Er musste Scorpia finden, ganz egal, wer oder was sich hinter diesem Namen verbarg. Von Scorpia würde er erfahren, was er wissen wollte.

Ein Schulausflug nach Venedig hätte also zu keiner besseren Zeit stattfinden können. Und Jack hatte auch nichts dagegen. Im Gegenteil, sie riet ihm sogar dazu.

»Das ist jetzt genau das Richtige für dich, Alex. Ein wenig Zeit für deine Freunde, damit du endlich mal wieder ein ganz normaler Junge sein kannst. Und Venedig ist wunderschön, es wird dir bestimmt großartig gefallen.«

Alex schwieg. Er belog Jack nicht gern, aber andererseits konnte er ihr unmöglich die Wahrheit sagen. Sie hatte seinen Vater nie kennengelernt; die ganze Geschichte ging sie also nichts an.

Während sie ihm beim Packen half, dachte Alex darüber nach, dass diese Fahrt für ihn wahrscheinlich wenig mit Kirchen und Museen zu tun haben würde. Stattdessen würde er sich in der Stadt umsehen und versuchen, möglichst viel über Scorpia in Erfahrung zu bringen. Fünf Tage waren nicht viel Zeit. Aber es wäre immerhin ein Anfang. Fünf Tage in Venedig. Fünf Tage, um Scorpia zu finden

Und jetzt war er da. Auf einer Piazza mitten in Italien. Drei Tage waren bereits vergangen, aber Alex hatte immer noch nichts herausgefunden.

»Alex, hast du Lust auf ein Eis?«

»Nein, danke.«

»Mir ist total heiß. Ich hol mir eins von diesen Dingern, von denen du mir erzählt hast. Wie hieß das noch? Granada?«

Alex stand neben einem anderen vierzehnjährigen Jungen, seinem besten Freund auf der Brookland-Schule. Es hatte ihn überrascht, dass Tom Harris die Fahrt mitmachte, denn Kunst und Geschichte waren nicht gerade Toms Lieblingsfächer. Genau genommen interessierte sich Tom überhaupt nicht für Schule und er war in allen Fächern ziemlich schlecht. Aber das Gute an ihm war, dass ihm das nichts ausmachte. Er war immer gut gelaunt, und sogar die Lehrer mussten zugeben, dass man sich in seiner Gesellschaft wohlfühlte. Und was Tom im Klassenzimmer fehlte, machte er auf dem Sportplatz locker wieder wett. Er war Kapitän der Schulfußballmannschaft und Alex’ größter Rivale in der Leichtathletik– beim Hürdenlauf, bei den vierhundert Metern und beim Stabhochsprung schlug er ihn jedes Mal um Längen. Tom war etwas klein für sein Alter, hatte stachlige schwarze Haare und hellblaue Augen. Ausgeschlossen, dass er freiwillig ein Museum betreten würde– warum also war er mitgekommen? Alex hatte es schnell herausgefunden. Toms Eltern ließen sich gerade scheiden, und sie hatten ihn auf die Fahrt geschickt, um ihn aus dem Weg zu haben.

»Granita«, sagte Alex. Das kaufte er sich immer, wenn er in Italien war: zerstoßenes Eis mit frischem Zitronensaft. Ein Mittelding zwischen Zitroneneis und Limonade und unglaublich erfrischend.

»Kannst du das nicht für mich bestellen, Alex? Wenn ich die Leute hier was auf Italienisch frage, starren die mich immer bloß an, als ob ich verrückt wäre.«

Alex konnte auch nur ein paar Sätze. Italienisch gehörte nicht zu den Dingen, die ihm Ian Rider beigebracht hatte. Trotzdem ging er mit in die Eisdiele am Markt und bestellte zwei Eis, eines für Tom und eines– Tom bestand darauf– für sich selbst. (Toms Eltern hatten ihm jede Menge Geld mit auf die Reise gegeben.)

»Kommst du nach den Ferien wieder in die Schule?«, fragte er.

Alex zuckte mit den Schultern. »Klar.«

»Letztes Jahr hast du dauernd gefehlt.«

»Ich war krank.«

Tom nickte. Er trug eine Diesel-Sonnenbrille, die er sich im Dutyfreeshop in Heathrow gekauft hatte. Sie war viel zu groß für sein Gesicht und rutschte ihm ständig von der Nase. »Das glaubt dir niemand«, sagte er.

»Warum denn nicht?«

»Weil kein Mensch so krank sein kann. So was gibt’s doch gar nicht.« Tom senkte seine Stimme. »Manche Leute sagen, du bist ein Krimineller.«

»Was?«

»Sie glauben, dass du deswegen so oft fehlst. Weil du Ärger mit der Polizei hast.«

»Glaubst du das etwa auch?«

»Nein. Aber Miss Bedfordshire hat mich nach dir gefragt. Sie weiß, dass wir befreundet sind. Sie sagt, du hattest mal Ärger, weil du einen Kran geklaut hast oder so was. Angeblich hat ihr das ein Psychiater erzählt, bei dem du in Therapie sein sollst, sagt sie.«

»Ein Psychiater?« Alex war baff.

»Ja. Du tust ihr echt leid. Sie meint, deswegen bist du selten da. Weil du zum Psychiater musst.«

Jane Bedfordshire war die Schulsekretärin, eine attraktive Frau in den Zwanzigern. Sie war auch mit auf dem Schulausflug, wie jedes Jahr. Alex sah sie auf der anderen Seite des Platzes mit MrGrey reden. Manche behaupteten, die beiden hätten was miteinander, aber Alex vermutete, dass an diesem Gerücht so wenig dran war wie an den Gerüchten über ihn.

Eine Kirchturmuhr schlug zwölf. In einer halben Stunde gab es Mittagessen in dem Hotel, in dem sie wohnten. Brookland war eine gewöhnliche Gesamtschule im Westen Londons, und um Kosten zu sparen, hatte man ein Hotel außerhalb von Venedig genommen. Grey hatte eines in der Kleinstadt San Lorenzo ausgesucht. Von dort waren es mit dem Zug nur zehn Minuten. Sie kamen morgens am Bahnhof an und fuhren dann gemeinsam mit dem Wasserbus zu irgendeiner Besichtigung ins Stadtzentrum. Heute, am Sonntag, allerdings nicht. Da hatten sie den Vormittag frei.

»Du bist also…« Tom verstummte plötzlich.

Es war alles sehr schnell gegangen, aber die beiden Jungen hatten es dennoch genau gesehen.

Auf der anderen Seite des Platzes war plötzlich ein Motorrad aufgetaucht. Eine 200er-Vespa-Granturismo, noch ganz neu. Darauf zwei Männer in Jeans und weiten langärmligen Hemden. Der hintere trug einen Helm, nicht nur als Kopfschutz, sondern auch, um nicht erkannt zu werden. Der Fahrer– mit dunkler Sonnenbrille– raste auf Miss Bedfordshire zu, als wollte er sie über den Haufen fahren. Erst unmittelbar vor ihr schwenkte er aus, und im selben Moment riss sein Beifahrer ihr die Handtasche weg. So reibungslos, wie das Ganze ablief, erkannte Alex sofort, dass die beiden Profis waren– Scippatori, wie man diese Leute in Italien nannte. Handtaschenräuber.

Einige der anderen Schüler hatten den Vorfall auch gesehen. Ein paar von ihnen schrien aufgeregt durcheinander, konnten aber nichts machen. Das Motorrad sauste schon davon. Der Fahrer bückte sich tief über den Lenker, sein Partner hielt die Handtasche auf dem Schoß umklammert. Sie jagten quer über den Platz, genau auf Tom und Alex zu. Nur Sekunden vorher war alles voller Leute gewesen, aber jetzt war die Piazza plötzlich wie leer gefegt, und niemand stellte sich den Dieben entgegen.

»Alex!«, schrie Tom.

»Bleib«, sagte Alex. Er überlegte kurz, ob er der Vespa den Weg versperren sollte, aber das war aussichtslos. Der Fahrer würde einfach um ihn herumkurven, und wenn nicht, würde Alex das nächste Schuljahr wirklich im Krankenhaus verbringen müssen. Das Motorrad hatte bestimmt schon dreißig Kilometer die Stunde drauf, und sein Einzylinder-Viertakt-Motor trug die beiden Diebe mühelos auf ihn zu.

Alex hatte keine Zeit lange zu überlegen.

Er sah sich nach irgendetwas um, was er nach den beiden werfen könnte. Ein Netz? Ein Eimer Wasser? Aber er konnte nirgendwo etwas Derartiges entdecken.

Die Vespa war keine zwanzig Meter mehr entfernt und wurde immer schneller. Alex sprintete los, schnappte sich einen Eimer von einem Blumenstand, kippte die Blumen darin aufs Pflaster und füllte ihn mit Vogelfutter vom Stand nebenan. Beide Standbesitzer brüllten ihn wütend an, aber Alex ignorierte sie. Noch im Laufen drehte er sich um und schleuderte den Inhalt des Eimers nach der Vespa, die gerade an ihm vorbeisauste.

Tom beobachtete das alles aus der Ferne. Zuerst war er verwundert, dann enttäuscht. Wenn Alex gedacht hatte, er könnte die beiden kräftigen Männer mit einer Dusche Vogelfutter von der Vespa hauen, hatte er sich getäuscht. Sie fuhren unbeeindruckt weiter.

Aber Alex hatte dabei etwas anderes im Sinn gehabt.

Auf dem Platz liefen Hunderte Tauben herum, und sie alle hatten die Ladung Vogelfutter aus dem Eimer fliegen sehen. Die beiden Diebe waren nun von oben bis unten damit eingedeckt. Das Zeug hing in den Falten ihrer Kleider, in Kragen und Schuhen und in den Haaren des Fahrers.

Für die Tauben hatten sich die Handtaschenräuber in ein Essen auf Rädern verwandelt. Wie auf Kommando hob sich der graue Schwarm in die Luft und schoss aus allen Richtungen auf die beiden Männer hinab. Plötzlich hatte der Fahrer einen Vogel an der Wange kleben, der ihm mit seinem Schnabel auf dem Kopf herumpickte. Eine andere Taube krallte sich an seinen Hals, eine dritte stocherte an der empfindlichsten Stelle zwischen seinen Beinen herum. Seinem Partner saßen zwei der Tiere im Nacken, ein weiteres machte sich an seinem Hemd zu schaffen. Eine Taube verschwand sogar mit dem Kopf in der gestohlenen Handtasche. Und es wurden immer mehr. Mindestens zwanzig Tauben flatterten aufgeregt um die beiden herum, bearbeiteten sie mit ihren Klauen und Schnäbeln und deckten sie mit flüssigen weißen Geschossen ein.

Durch die Vögel konnte der Fahrer kaum etwas sehen. Mit einer Hand hielt er den Lenker umklammert, mit der anderen fuchtelte er wild vor seinem Gesicht herum. Plötzlich wendete die Vespa um hundertachtzig Grad und kam jetzt wieder genau auf Alex zu, noch schneller als zuvor. Er blieb stehen, um erst im letzten Moment wegzuspringen. Für einige Sekunden sah es so aus, als würden sie ihn überfahren. Dann aber schwenkte der Roller ein zweites Mal herum und knatterte jetzt auf den Brunnen zu. Die beiden Diebe waren in der flatternden Wolke kaum noch zu erkennen. Sekunden später krachte das Vorderrad gegen die Treppenstufe am Fuße des Brunnens, der Roller ging hinten hoch und schleuderte die Männer in hohem Bogen von der Maschine. Doch kurz bevor der Beifahrer in den Brunnen platschte, ließ er kreischend die Handtasche los, die fast wie in Zeitlupe durch die Luft segelte. Alex trat einen Schritt nach vorn und fing die Tasche auf.

Und plötzlich war alles vorbei. Die Diebe wälzten sich schwer angeschlagen im Wasser und die Vespa lag verbeult am Boden. Zwei Polizisten, die erst jetzt auftauchten, liefen auf die beiden Verbrecher zu. Die Markthändler lachten und applaudierten begeistert, Tom stand da wie vom Blitz getroffen, und Alex ging zu Miss Bedfordshire, um ihr die Tasche zurückzugeben.

»Ich glaube, die gehört Ihnen«, sagte er.

»Alex…« Miss Bedfordshire war sprachlos. »Wie…?«

»Das habe ich bei meinem Psychiater gelernt«, sagte Alex, drehte sich um und ging zu seinem Freund zurück.