Fünf
Das alte, nahezu baufällige Haus stand im Handumdrehen in Flammen. Als Feuerwehr und Polizei eintrafen, war es schon beinahe niedergebrannt. Die Feuerwehr war in Alarmbereitschaft, denn das Haus stand mitten im dicht besiedelten Þingholt-Viertel zwischen anderen Holzhäusern. Es war aber windstill an diesem Abend, sodass die alles verzehrenden Flammen senkrecht zum Himmel schlugen.
Erst am nächsten Tag fand man die Leiche in der verkohlten Ruine. Erlendur Sveinsson von der Kriminalpolizei, der sich bereits mehrmals mit Bränden hatte befassen müssen, sah gleich, als er aus dem Auto gestiegen war, dass es sich um Brandstiftung handeln musste. Das war nicht schwierig, und es bedurfte kaum seiner viel gerühmten Kombinationsgabe, um diese Feststellung zu treffen. Es hatte vielmehr ganz den Anschein, als hätte der Brandstifter eine Nachricht hinterlassen wollen. Ein Benzinkanister, der zehn Liter fasste, lag auf dem gefrorenen Gras im Hinterhof. Es fing gerade an, hell zu werden, und Rauch stieg aus der Ruine auf. Das gelbe Absperrband der Polizei war rings um das Grundstück gespannt, und einige Polizisten stapften in den Trümmern umher.
Erlendur verscheuchte sie, indem er sie barsch anwies, zur Seite zu treten. Nach kurzer Zeit fand er das Skelett und beugte sich über es. Kein Fetzen Fleisch war mehr daran, und es lag ausgestreckt auf dem Boden. Die Kiefer standen klaffend auseinander, die leeren Augenhöhlen starrten zu den dunklen Wolken hinauf. Er bemerkte sofort die Reste von Fesseln an Knöcheln und Handgelenken.
»Weiß man schon, wer in diesem Haus gewohnt hat?«, fragte Erlendur seinen Kollegen Sigurður Óli, der ihm gefolgt war.
»Ein Mann namens Halldór. Er hat allein hier gelebt, war unverheiratet und hatte keine Kinder. Er hat in diesem Haus gewohnt, seit er in die Stadt gezogen ist. Hat früher in der Volksschule in Víðigerði unterrichtet, ist aber vor kurzem in Pension gegangen. Geboren 1928, im Árnes-Bezirk.«
»Womöglich hast du auch schon in Erfahrung gebracht, wer ihn angezündet hat?«, fragte Erlendur. Morgens war er meist schlecht aufgelegt.
»Ich habe den ganzen Morgen herumtelefoniert«, anwortete Sigurður Óli. »Ist er wirklich ermordet worden?«
»Gegrillt, meinst du wohl. Falls er hier wirklich dieser Halldór ist.«
Er beugte sich wieder über das Skelett.
»Viele ansehnliche Plomben. Du hast nicht zufällig schon herausgefunden, wer sein Zahnarzt ist?«
»Ich werde dem nachgehen.«
»Weißt du, ob er Verwandte hat?«
»Eine Schwester, wenn ich den Schulleiter richtig verstanden habe. Sie ist älter als er und lebt in einem Altersheim in Hafnarfjörður.«
»Hast du sie schon benachrichtigt?«
»Ich wollte anschließend hinfahren. Der Schulleiter sagte, das Halldór noch ein Jahr länger hätte unterrichten können. Da er schon ziemlich alt war, hatte man ihn zuletzt nur noch Vertretungsstunden oder so was machen lassen. Das muss immer ziemlich schlimm für ihn gewesen sein, denn die Kinder haben ihn tyrannisiert, wenn ich es richtig verstanden habe. Einmal sollen sie ihn umzingelt und angespuckt haben, sodass er von oben bis unten besudelt war. Vielleicht sind diese Kinder ja gestern Abend aufs Ganze gegangen.«
»Wohl kaum, wenn er in der Schule aufgehört hatte. Aber ausschließen kann man es wohl auch nicht. Manchmal hat man ja den Eindruck, dass die Jugendlichen heutzutage vor fast gar nichts mehr zurückschrecken.«
Erlendur untersuchte die Lage und die Umgebung der Leiche und überlegte, wie der Grundriss des Hauses wohl ausgesehen hatte.
»Da sind sogar noch Reste von einer Fessel«, sagte Sigurður Óli.
»Die muss aus einem besonders hitzebeständigen Material bestanden haben. Besorg dir die Zeichnungen vom Haus beim Grundbuchamt.«
»Ist bereits geschehen«, sagte Sigurður Óli und konnte ein selbstgefälliges Lächeln kaum unterdrücken. Er war ziemlich neu bei der Kriminalpolizei und war Erlendur zugeteilt worden, der schon seit Jahrzehnten dort arbeitete. Er ging Erlendur ziemlich auf die Nerven. Was allerdings nicht viel besagte, denn es gab nur wenig, was ihm nicht auf die Nerven ging. Sigurður Óli ließ sich dadurch offenbar nicht beirren. Er war auch in der Nacht am Tatort erschienen, aber anschließend nicht wie Erlendur nach Hause gefahren. Erlendur ärgerte es, wie gepflegt und frisch er aussah.
»Und warum hast du sie dann nicht dabei?«, fragte er.
»Sekunde, sie sind im Auto«, sagte Sigurður Óli und rannte los.
Der verdammte Kerl nimmt bestimmt Anabolika, überlegte Erlendur und fuhr fort, die Umgebung des Skeletts zu untersuchen. Der untere Teil lag auf verkohlten Holzresten, die ein Stuhl gewesen sein mochten. Er hatte den Eindruck, dass rings um die Leiche das Feuer am heftigsten gewütet hatte, aber auch sonst deutete alles darauf hin, dass das Haus im Nu lichterloh gebrannt hatte. An Benzin war offenbar nicht gespart worden.
Der Fotograf traf ein, um Aufnahmen zu machen. Erlendur wies ihn an, sich noch etwas zu gedulden.
Der Vergleich mit den Zeichnungen ergab, dass das Skelett im Türrahmen zwischen einem Zimmer am Ende des Hauses und dem Wohnzimmer lag. Erlendur schloss daraus, dass der Mann versucht hatte, irgendwie aus dem Haus zu gelangen. Vor dem Wohnzimmer war eine kleine Diele gewesen, aus der man auch in die Küche kommen konnte. Küche und Wohnzimmer waren nur durch eine dünne Wand getrennt gewesen. Der Fußboden war übersät mit Glasscherben, viel mehr, als von den beiden Scheiben im Wohnzimmer stammen konnten, die durch den Hitzedruck von innen geplatzt und wahrscheinlich nach außen gedrückt worden waren. Auf den Scherben im Wohnzimmer lag etwas, das Erlendur für verkohlte Bilderrahmen hielt, einige aus Metall, einige aus verkohltem Holz. Die Beamten der Spurensicherung waren am Tatort eingetroffen, wagten sich aber nicht an die Trümmer heran, bevor Erlendur seine Erlaubnis gab. Er wies sie auf den Benzinkanister hin, den sie vorsichtig aufhoben und in eine Tüte packten.
»Hier wurden keine großen Umstände gemacht«, sagte Erlendur wie zu sich selbst und beugte sich noch einmal über das Skelett. Sigurður Óli wurde hellhörig. »Dieser Mann hatte nicht die geringste Chance«, fuhr Erlendur fort. »Aber wenn es Mord war, warum wurde das so schlampig arrangiert, warum ist man nicht etwas geschickter vorgegangen und hat wenigstens versucht, die Tat zu verschleiern? Es hätte kaum großer Anstrengungen bedurft. Ich habe es schon oft mit Brandstiftung zu tun gehabt, aber so ein Szenario ist mir noch nicht untergekommen. Ein leerer Benzinkanister auf dem Grundstück!«
»Was schließt du daraus?«, fragte Sigurður Óli und blickte seinen Kollegen an.
Erlendur ließ die Leute von der Spurensicherung wissen, dass sie jetzt anfangen konnten. Drei Männer, bewaffnet mit großen Taschen und Geräten, betraten vorsichtig die immer noch rauchende Ruine.
»Überheblichkeit«, sagte Erlendur. Er trat wieder an das Skelett heran und betrachtete intensiv die Position. Sein Blick blieb an den Knochen hängen, die einmal die Hände gewesen waren. Sie waren offenbar zu Fäusten geballt gewesen, wie um den grauenvollen Tod herauszufordern. Halldór – falls das hier tatsächlich seine Überreste waren – hatte einen zarten Knochenbau und feingliedrige Hände gehabt.
»Warten wir ab, bis wir ihn mit Hilfe der Zahnarztkartei identifiziert haben, bevor wir der Schwester auf die Bude rücken«, sagte Erlendur wohl wissend, dass Sigurður Óli über seine flapsige Wortwahl schockiert sein würde.