VIERTES KAPITEL

AMOR UND PSYCHE

(Apuleius, ca. 170)

»Ach, besser wär ich tot, ich Armer,
Als meine Seelenqual zu längen
Und bittre Zähren ohn Erbarmen
ln diesem Flammenmeer zu sengen«,

brummelte der ungekämmte Herr in dem speckigen Gehrock vor sich hin, schnitt dabei verzweifelt Grimassen und fuchtelte mit der Faust in der Luft herum.

Ein Dichter, der seiner Muse Ruf vernimmt, dachte Mitja ehrfürchtig, trat aber vorsichtshalber einen Schritt zurück aus Angst, der Diener Apollons könnte ihn in seiner lyrischen Ekstase umwerfen; er hatte Riesenpranken und roch auch ungut, nach etwas Saurem und Schweiß.

Unter den zu dieser späten Morgenstunde bei Seiner Durchlaucht dem Fürsten Surow Versammelten war nur der Diener Apollons nachlässig gekleidet und ungepudert, alle anderen waren in Festkleidung erschienen und verströmten Blumenduft und das Aroma deutschen Toilettenwassers.

Wieder mussten sie warten, genauso wie gestern, aber durch Erfahrung klug geworden, verstand Mitja schon, dass das Hofleben größtenteils aus Warten bestand. Allerdings langweilten sich heute nicht nur die Karpows, sondern alle, die gekommen waren, um dem großen Mann ihre Ehrerbietung zu bekunden. Damen gab es kaum, es waren sehr viel mehr Herren gekommen, darunter auch äußerst imposante, einige trugen eine Generalsuniform, andere hatten solche Brillantknöpfe an ihren Westen, dass man für einen jeden von ihnen zwei Dörfer von der Größe Trosts hätte kaufen können. Sie standen stramm, keiner sprach laut, und, wie Mitja bemerkte, verhielten sie sich hier sehr viel steifer als in Gegenwart Ihrer Majestät. Und er erklärte sich dieses seltsame Phänomen auch gleich: Bei dem Donnerstagstreffen der Kaiserin kam es nur darauf an, eingeladen zu sein, das war alles; hier dagegen entschieden sich ganze Schicksale. Das war die wahre Wohnstatt der Macht, diese Zimmer aus weißem Marmor, die an die inneren Zarengemächer stießen.

Es hatten sich ungefähr fünfzig Mann versammelt, nicht weniger; und alle starrten ununterbrochen auf die hohe goldweiße Tür, durch die Platon Alexandrowitsch Surow eintreten würde. Jeden Tag um zehn Uhr ließ sich Seine Durchlaucht die Locken legen und empfing dabei Bittsteller und bedeutende Persönlichkeiten, die nach Petersburg gekommen waren beziehungsweise es verlassen wollten. Jeder Gesandte, selbst der einer der ersten europäischen Mächte, wusste: Bevor er vor der Kaiserin erschien, musste er ihrem Favoriten seine Ehrerbietung bezeugen, andernfalls konnte er nicht mit einem gnädigen Empfang rechnen. So wartete auch heute, genauso wie die anderen, ein orientalischer Würdenträger in Brokatturban und mit einem roten Bart. Er hatte die Finger anständig auf seinem Bauch gefaltet und die Lider gesenkt, obwohl unter ihnen manchmal ein Funken hervorschoss, wenn er um sich blickte und beobachtete. Wer das wohl war, ein Perser oder einer aus Buchara? Statt sinnlos die Zeit totzuschlagen, sollte man mit dem reden und ihm Fragen stellen.

Mitja und sein Vater waren vor langer Zeit gekommen, kurz nach neun; jetzt war es schon nach elf. Der Fürst hatte verschlafen, aber die Besucher murrten nicht, noch nicht einmal die ranghöchsten. Nur ein rundlicher General mit einer schwarzen Augenbinde jammerte die ganze Zeit, der Kaffee werde kalt. Neben Karpow stand ein geschwätziger Alter mit einem Stern; er flüsterte, dieser Held von Ismail habe von den Türken gelernt, wie man einen trefflichen Kaffee koche. Platon Alexandrowitsch habe einmal dieses berühmte Getränk probiert und es zu loben geruht, und seitdem halte es Michail Ilarionowitsch (so hieß dieser Held) für seine Pflicht, Seine Durchlaucht jeden Morgen zu besuchen und ihm eigenhändig Kaffee zu kochen. »Ganz schön schlau«, sagte der Alte neidisch. »Der schafft es mit seinem Kaffee glatt unter die Ersten.«

Sollte das etwa das wunderbare höfische Leben sein, von dem Vater geträumt hatte?, fragte sich Mitja seufzend. Wie viele Bücher er gestern und heute hätte lesen, wie viele interessante Gedanken er hätte wälzen können . . .

»Zappel nicht herum«, flüsterte Alexej Woinowitsch. Er beugte sich herab, brachte das Toupet des Sohns in Ordnung und sagte leise, dass es der Nebenmann nicht hörte: »Macht nichts, mon ange, halt nur durch. Die anderen sind alle Bittsteller, wir dagegen sind geladen. Das ist ein großer Unterschied.«

Vaters Hände zitterten noch mehr als gestern. Das war ja schließlich keine Kleinigkeit, Surow hatte sie höchstpersönlich eingeladen! Die Kaiserin hatte ihm hundert Tscherwonzen geschenkt und ihm aufgetragen, morgen Abend zum Schachspielen ins Brillantzimmer zu kommen; aber sie hatte dabei gegähnt. Seine Durchlaucht dagegen hatte kurz und keinen Widerspruch duldend gesagt, bevor er Ihrer Majestät ins Schlafzimmer gefolgt war: »Morgen beim Lockenwickeln bei mir antreten. Beide.«

Vater hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, er war im Zimmer auf und ab gegangen. Mal überwog die Angst vor der Eifersucht des Favoriten, mal versprach er sich unerhörte Gunstbeweise, mal wandte er sich der Ikone zu und betete inbrünstig. Mitja wurde selber neugierig: Was wollte der Fürst von ihnen? Vielleicht will er Schachspielen lernen, um die Kaiserin schlagen zu können? Das war ein Kinderspiel.

Endlich! Der Griff der besagten Tür machte einen Ruck, das Flüstern verstummte schlagartig. Alle waren bereit und lächelten zuckersüß.

Aber den Saal betrat nicht Seine Durchlaucht, sondern ein ausgemergelter Offizier des Preobrashenzen Regiments mit einem finsteren, zerknitterten Gesicht. Ohne die Versammelten anzusehen, ging er auf den goldenen Tisch zu, wo das Frühstück für eine Person serviert war, schenkte ein ganzes Glas Wein aus der Karaffe ein und trank es aus. Der Adamsapfel des Offiziers zuckte, und man hörte durch die Stille, wie der Wein in der Kehle gluckerte.

Der Alte flüsterte:

»Das ist der Hauptmann Andrjuscha Pikin, der Adjutant des Fürsten. Ein Spitzbube, der im Gefängnis sitzen müsste. Sie lassen diesem Räuber alles durchgehen.«

Nachdem er ausgetrunken und sich zufrieden geräuspert hatte, wurde der Hauptmann fröhlicher. Er strich seinen kecken Schnurrbart glatt, leckte sich die roten Lippen und ging sporenklirrend auf die an der Wand stehenden Stühle zu, auf die sich bisher niemand zu setzen gewagt hatte. Dieser Kerl aber ließ sich auf den Sitz plumpsen, schlug ein Bein über das andere und zündete sich auch noch eine Pfeife an.

Wieder quietschte die Tür, wieder wurde es still, aber auch diesmal war es nicht der Fürst, sondern ein hocheleganter Herr, dessen Gesicht dem Sterlett, mit dem der Vater und Mitja gestern nach dem Sieg in der Kleinen Eremitage bewirtet worden waren, erstaunlich ähnlich sah: genauso eine nach oben ragende spitze Nase, ein breiter dünnlippiger Mund, und sogar mit seinem Hintern wackelte der neu Hinzugekommene richtig wie mit einem Fischschwanz.

»Metastasio, Jeremej Umbertowitsch«, meldete der nützliche Alte. »Der Sekretär Seiner Durchlaucht. Man sollte hingehen und sich verneigen. Gleich kommt Seine Durchlaucht höchstpersönlich. . .«

Und Karpows Nebenmann stürzte zu dem Sekretär, nur wie sollte der Alte es schaffen, sich an den anderen Bittstellern vorbei einen Weg zu bahnen? Herr Metastasio war umringt von Leuten, die ihm irgendwelche Zettel zustecken und ihm etwas ins Ohr flüstern wollten. Dabei blieb er noch nicht einmal an einem Fleck stehen, sondern durchquerte leicht und schwebend den Saal, und die ganze Menge folgte ihm, sich gegenseitig anrempelnd.

»Ist er Italiener?«, fragte Mitja den erfolglos zurückgekehrten Alten.

»Ein Hochstapler ist er«, antwortete der Alte wütend und rieb sich den aufgeschürften Ellenbogen. »Man hat ihn in Mailand wegen Betrügerei an den Schandpfahl gestellt. Er hat den Signorinas für einen Rubel pro Stunde das Tanzen beigebracht und ist jetzt Kavalier und Staatsrat.« Er spuckte aus. »Der Zar hat einen Diener, der Diener einen Schlawiner. Das ist derjenige, der in Wirklichkeit über das Reich herrscht. Ohne diesen windigen Kerl geht nichts.«

Er war selber erschreckt über das, was er gesagt hatte, hielt sich den Mund zu und sah sich nach allen Seiten um.

Egal, ob er nun ein Hochstapler war oder nicht, es war interessant, dem Italiener zuzusehen. Er war so fix, dass er alles gleichzeitig schaffte: er nickte den Würdenträgern zu, hörte gleich mehrere Bittsteller auf einmal an und küsste einer Dame die Hand. Plötzlich blieb er stehen und sagte fast akzentfrei:

»Ihr, Herr General, seid der Erste. Ihr, Herr Graf, der Zweite. Dann Ihr, mein Herr, und danach sage ich noch Bescheid . . .«

Er redete nicht zu Ende und legte den Kopf schief, wie es ein Hund tut, wenn er die Ohren spitzt, um ein kaum vernehmliches Geräusch zu hören. Dann hob er wie ein vor dem Orchester stehender Dirigent mit einem Ruck die Hand und verkündete:

»Seine Durchlaucht Platon Alexandrowitsch Surow!«

Man hörte laute, langsam näher kommende Schritte hinter der Tür.

Die strahlenden Türflügel quietschten zum dritten Mal, und die vorn Stehenden verbeugten sich so tief, dass Mitja über die Rücken und die weißen Nacken hinweg alles sehr gut sehen konnte.

Wahnsinn!

In die Mitte des Saales kam eine Meerkatze in kurzem Rock und Spitzenhosen gewatschelt. Sie sah die gesenkten Toupets, klatschte in die Hände und zeigte lachend ihre gelben Zähne.

Erst danach trat Platon Alexandrowitsch durch die Tür und kugelte sich vor Lachen.

»Höchst löblich, dass ihr eure Ehrerbietung zeigt!«

Ihm traten vor Lachen die Tränen in die Augen. Der Preobrashenze Pikin sprang von seinem Sessel auf und lachte noch lauter als der Fürst, während Metastasio sich mit einem fröhlichen Lächeln begnügte.

»Schön. Sie befinden sich in guter Gemütsverfassung«, sagte der Alte erfreut.

Und der Empfang begann.

Seine Durchlaucht, der in einem chinesischen Morgenmantel vor die Besucher getreten war, nahm zuerst einen Imbiss zu sich: kostete Oliven, gefüllt mit Nachtigallenzungen, und aß Weintrauben aus Schemacha. Dann pulte er sich in den Zähnen. Nach den Zähnen nahm er sich die Nase vor, ohne sich in irgendeiner Weise vor den vielen Leuten zu schämen. Platon Alexandrowitschs Haut funkelte am Morgen nicht mehr golden, aber die Gesichtsfarbe Seiner Durchlaucht war frisch, und seine Wangen glänzten rosig. Der Mehrheit der Bittsteller lauschte er gelangweilt oder hörte ihnen vielleicht überhaupt nicht zu – die Gedanken des Lieblings der Fortuna waren in die Ferne geschweift. Manchmal musste er auf Geheiß des Coiffeurs einem sich tief verbeugenden Bittsteller seinen Hinterkopf zuwenden. Worum sie baten, hörte Mitja nicht, zumal jeder seine Angelegenheit möglichst leise vorbrachte und dem Fürsten fast ins Ohr flüsterte.

Einigen antwortete er überhaupt nicht, was hieß, dass sie verabschiedetwaren; Begriffsstutzige packte Metastasio mit zwei Fingern am Ellenbogen oder am Rockschoß und zog sie nach hinten, wobei er ihnen bedeutete: Geht, so geht doch. Mitja beobachtete, dass der Italiener seinem Herrn bei mehreren Bittstellern etwas zuflüsterte; Surow hörte sie dann aufmerksamer an und ließ zwei, drei Worte fallen, die der Sekretär sofort in ein kleines Büchlein eintrug.

Vater startete ein taktisches Manöver. Er packte Mitja am Ärmel und ging ganz vorsichtig nach links. Die Absicht, die dahinter stand, war: Wenn sie Seiner Durchlaucht das Haar auf der rechten Seite des Kopfes aufgedreht haben würden, musste er ihnen die andere Seite zuwenden, und sein Auge würde auf Vater und Sohn Karpow fallen.

So kam es auch. Als er Mithridates und dessen Vater sah, kam in Seine Durchlaucht auf einmal Leben; seine Langeweile verflüchtigte sich, der Blick bekam ein Ziel.

»Ach, da seid ihr also!«, rief der Fürst, machte einen Ruck mit dem Kopf und schrie auf – er hatte die glühend heiße Brennschere vergessen.

»Ich lass dir die Hände abreißen, du Hampelmann!«, brüllte er den Coiffeur an. »Geh weg. Ihr beide, kommt her!«

Vater preschte zuerst vor. Wie ein Falke schoss er zu Seiner Durchlaucht, verbeugte sich und blieb wie angewurzelt stehen. Mitja folgte ihm und stellte sich daneben. Was würde nun kommen?

»Wie heißt Ihr . . . Peskarew?«, fragte Surow, während er das schöne Gesicht von Alexej Woinowitsch betrachtete, und runzelte die Stirn.

»Nein. Karpow, Seconderittmeister a. D., aus demselben Kavallerie-Garderegiment wie Durchlaucht persönlich.«

»Karpow? Gut, das ist nicht weiter wichtig. Karpow, wisst Ihr was, Euren Sohn nehme ich als Pagen. Er wird bei mir leben.«

»Oh, was für eine Ehre«, jubelte Vater. »Davon habe ich nicht zu träumen gewagt. Wir ziehen sofort in die Wohnung um, die Eure Durchlaucht uns zuzuweisen beliebt.«

»Was?«, fragte Surow verwundert. »Nein, Karpow, Ihr braucht nicht umzuziehen. Ihr macht Folgendes.« Wieder runzelte er die Stirn. »Ihr reist ab . . . Nun, dahin, wo Ihr hergekommen seid. Sofort, auf der Stelle. Jeremej!«

»Ja, Durchlaucht?«, fragte Metastasio und stellte sich auf die Zehenspitzen.

»Gib ihm tausend oder zweitausend für seine Bemühungen, und dann in einen Schlitten mit ihm und ab die Post. Sieh dich vor, Karpow«, sagte Platon Alexandrowitsch streng und duzte den zu Tode erschrockenen Vater auf einmal, »lass es dir nicht einfallen, nach Petersburg zurückzukehren, du hast hier nichts zu suchen. Um deinen Sohn brauchst du dir keine Sorgen zu machen, er wird bei mir keine Not leiden.«

»Aber . . . aber . . . Ich bin doch der Vater . . . Er ist ja noch ein Kind . . . Und dann, die Einladung Ihrer Majestät ins Brillantzimmer«, stotterte Alexej Woinowitsch unzusammenhängend.

Aber der Fürst hörte ihm nicht zu, und Metastasio zog ihn schon am Rockschoß fort.

»Vater!«, schrie Mitja und stürzte zu ihm. »Ich komme mit Euch! Ich will nicht bei dem hier bleiben!«

»Nicht doch, nicht doch«, flüsterte Vater, ängstlich lächelnd. »Lass nur, macht nichts, schon gut. . . Du gewöhnst dich schon an sie, gefällst ihnen und denkst dann auch an uns. Mach es, wie Seine Durchlaucht will, dann wird alles gut. Gott beschütze dich!«

Er segnete den Sohn schnell mit einem Kreuzzeichen, wagte aber nicht, sich weiter aufzuhalten, und ging rückwärts zur Tür, wobei er sich vor Platon Alexandrowitsch verbeugte.

»Habt Ihr Euch verabschiedet?«, fragte der. »Hervorragend. Und nun komm her, mein Fröschlein.«

Mitja war allein, mutterseelenallein unter all diesen fremden, unnützen Menschen. Und wie schnell alles gegangen war! Gerade eben noch war er mit seinem Vater zusammen gewesen und hatte nichts auf der Welt gefürchtet, und nun war er ein Waisenkind, ein winziger Halm unter riesigen Bäumen.

»Jeremej, wie gefällt er dir?« Surow kniff Mitja leicht in die Backe.

»Das hängt davon ab, für welchen Zweck Eure Durchlaucht diesen Knaben gebrauchen will«, antwortete der Italiener und betrachtete den Jungen.

Mitja war mehr tot als lebendig. Was hieß »gebrauchen«? Doch nicht etwa essen? Ihm fiel eine chinesische Geschichte ein – über einen bösen Kaiser, der seiner Haut durch das Blut von Säuglingen ein jugendliches Aussehen gab. Das war hoffentlich nicht gemeint!

»Wie, für welchen?«, antwortete der Fürst zornig. »Weißt du denn etwa nicht, wieso ich Schlaf und Magenverdauung misse? Was meinst du, taugt er als Postillon d’ Amour?«

Über den Köpfen der Bittsteller tauchte der zottelige Kopf des Poeten auf.

»Haben der ehrwürdige Fürst von Liebe gesprochen?«, schrie der Dichter und schwenkte ein Blatt. »Hier ist die versprochene Ode, die ich Eurer Durchlaucht zu Füßen legen möchte, ohne auf meine Rechte als Autor dieser inspirierten Zeilen zu pochen! Erlaubt Ihr, sie vorzulesen?«

Surow erlaubte es nicht:

»Dazu ist jetzt keine Zeit.«

Der Sekretär nahm dem Dichter das Blatt ab, drückte ihm einen Goldtaler in seine dreckige Pranke und bedeutete der Menge: Haut ab, haut ab, das ist nicht für eure Ohren bestimmt.

Er trippelte an den Tisch zurück, strich Mitja unterwegs über den Kopf und fragte:

»Ist er nicht zu klein?«

»Wie dumm du doch bist, Jeremej, obwohl man dich für klug hält. Er ist klein, aber fein. Das war mir sofort klar, schon gestern.« Und Surow holte listig lächelnd einen dicht beschriebenen Zettel aus der Tasche und wies Mitja an: »Hör zu und merk es dir.«

Er las leise und mit Pathos:

Pawlina Anikitischna, mon âme, mon tout ce que j’aime! Ihr flieht mich umsonst, ich bin nicht mehr der, der ich einmal war. Ich bin nicht mehr der lose Leichtfuß und Liebhaber greiser Wollust, für den du mich wohl hältst, sondern ein wahrer Werther; dem durch die unglücklich ungestillte Leidenschaft das Leben nicht mehr lieb ist, so dass er sich eine Kugel in den Kopf jagen oder kopfüber in einen Strudel stürzen möchte. Und am meisten tut mir weh, dass du mich nicht ansehen willst und dass du, wenn ich an deinem Haus vorbeireite, absichtlich die Fensterläden schließen lässt. Grausame! Warum gehst du weder auf die Bälle noch zu den Donnerstagen? Auch sie hat es gemerkt. Neulich sagte sie, wo ist meine Schwägerin? Und da zuckte mein Herz in der Brust wie die Flügel des Liebesgottes Amor. Und ich kann Euch wahrlich sagen, mein Täubchen Pawlina Anikitischna: Ich bin nicht ich, wenn ich nicht mit dir zusammen sein werde wie Amor mit Psyche, denn ebendiese Psyche, nichts anderes seid Ihr für mich. Erinnert Ihr Euch an diese Verse? »Tollend wollte Amor Psyche fangen, Blumen um sie beide winden und zum Knoten binden.« Wisse darum, o Psyche meiner Seele, der Knoten zwischen uns ist durch den Willen des Himmels geknüpft und keine Macht der Welt kann diesen Knoten lösen. Ton Amour.

Während er las, kamen ihm vor Rührung die Tränen, er fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen.

»Nun, du weiser Mithridates, wiederhole! Und wehe, du lässt ein Wort weg! Na, kannst du das?«

Was gab es denn da zu können? Mitja wiederholte, das kostete ihn ja nichts. Seine Durchlaucht guckte auf den Zettel.

»Jawohl! Da fehlt kein einziges Wort! Als hätte er es aufgeschrieben!«, jubelte er. »Siehst du, Jeremej? Ich werde ihr schreiben, meiner Liebsten, und keiner wird den Brief abfangen, keine Angst. Wenn es hart auf hart kommt, hat der Junge es sich selber ausgedacht, darauf kann man sich immer herausreden. Die Alte wird mir schon glauben. Und sieh mal.« Surow packte Mitja an den Schultern und drehte ihn hin und her. »Wenn man ihm die Haare aufdreht, einen Chiton näht und hinten Flügelchen aus Mull anbringt, dann ist er ein richtiger Cupido. Man kann ihm auch noch einen kleinen goldenen Bogen mit Pfeilen geben.«

Metastasio wurde nervös und flüsterte dem Favoriten etwas ins Ohr. Mitja entfernte sich – sollten sie doch ruhig ihre Geheimnisse haben, das war ihm herzlich egal.

Er hatte sich immer noch nicht von der plötzlichen Wendung erholt, die sein Leben genommen hatte. An wen sollte er sich halten? Wen konnte er um Rat fragen?

Er streifte durch den Saal, seufzte und stellte sich dann neben den bekannten Alten – der war wenigstens kein völlig Fremder, immerhin hatten sie mehr als eine Stunde nebeneinander gestanden.

»Herzlichen Glückwunsch zu Eurer Einstellung«, sagte der und hockte sich hin, um auf einer Höhe mit Mitjas Gesicht zu sein. »Früh übt sich, was ein Meister werden will. Vielleicht ergibt sich irgendwann die Gelegenheit, und Ihr könnt ein Wort für mich einlegen? Seit über zwei Wochen will ich vorsprechen und komme nicht ans Ziel. Ich habe Folgendes auf dem Herzen . . .«

Und er erzählte etwas von seinem jüngsten Sohn, einem Taugenichts, aber so langatmig und in allen Details, dass Mitja es vorzog, die Meerkatze zu beobachten. Das Tierchen war allerdings auch wirklich zu witzig und durchtrieben. Irgendwie mochte es den Kaffeegeneral und baute sich vor ihm auf, starrte ihn mit seinen glänzenden Äuglein vom Scheitel bis zur Sohle an und steckte den runzeligen Finger in den Mund – alles richtig wie ein Mensch.

»Vorsicht, Michail!«, warnte der Favorit fröhlich, »Zephirka verliebt sich leicht. Hüte dich, ihre weibliche Schwäche auszunutzen. Wenn du sie schwängerst, musst du sie heiraten.«

Der General fand den Scherz des Fürsten lustig und antwortete im selben Ton:

»Das hängt doch von der Mitgift ab, die sie von Euch bekommt, Platon Alexandrowitsch. Ja, warum denn nicht, warum sollte ich sie denn eigentlich nicht heiraten?«

Und er beugte sich zu dem Viech und tätschelte es. Zephirka wurde verlegen, schubste die Hand des Generals mit ihrer Pfote weg, drehte den Kopf zur Seite und blinzelte ihn kokett an. Und sie lachte mit all dem Charme, dessen eine Meerkatze fähig ist. Dann wurde sie noch verlegener, ließ sich auf alle viere herab, wich zurück und versteckte sich, hast du‘s nicht gesehen, unter dem prachtvollen Rock der nächstbesten Dame.

Na, da war vielleicht was los! Mehr tot als lebendig, ging die Dame in die Knie und kreischte. Das Publikum krümmte sich vor Lachen, am lautesten krähte der Favorit.

Mitja aber tat die Dame Leid. Er fragte sich: Was geht wohl in ihr vor? Sie kann ja nicht den Rock heben und das Tier verjagen. Und mit der Hand kommt sie durch die starren Fischbeinstäbchen auch nicht durch.

»Eijeijei«, jammerte die Arme. »Lass das! Bitte, liebe Zephirka! Ach, lass das doch!«

Sie wollte nach draußen rennen und wäre dabei beinahe hingefallen. Die Meerkatze hatte sich offenbar an ihre Beine geklammert, und sie konnte nicht vor und nicht zurück.

Mitja sah, dass der armen Gefangenen die Tränen über das Gesicht rannen; sogar das Schönheitspflästerchen hatte sich gelöst und war ihr von der Wange gerutscht. Gab es denn keinen, der ihr half, der sie in Schutz nahm? Dann musste ihr eben der Ritter Mithridates zu Hilfe eilen!

Er lief zu ihr, kniete sich hin, hob den Rand des Brokatkleides und kroch unter das Drahtgestell. Dort war es dunkel, eng und roch nach Tier – das kam wohl von Zephirka.

Das vielkehlige Lachen der Leute, deren Gesichter nicht zu sehen waren, klang unheimlich, wie eine Hundemeute, die vom wilden Gebell heiser geworden ist. Lass sie doch!

Die Meerkatze hatte sich in ihr weißes pralles Weiberbein verkeilt. Ob sie ihn kratzen würde? Nein, sie freute sich über den Retter und schlang ihm die Arme um den Hals; er kroch zurück, wobei er sich Mühe gab, den Rock nicht zu hoch zu heben.

Als Mitja auftauchte, erklang Applaus, und es wurden Witze gemacht. Die Witze waren für Erwachsene bestimmt, sie waren also absolut nicht komisch. Mitja erkannte sie an dem besonderen Ton, mit dem diese Bonmots vorgebracht wurden; der Sinn interessierte ihn nicht.

»So jung und schon so verdorben. Er war überall und weiß, das Leben ist prall.«

»Nicht schlecht: zwei Nymphen auf einen Schlag!«

»Herzlichen Glückwunsch zu Eurem neuen Kavalier, Marja Prokofjewna!«

Wirklich, wie kleine Kinder!

Zephirka ließ ihn los, glitt zu Boden und erstarrte, hingerissen von der Schnalle an Mitjas Schuh. Die bunten Steinchen glitzerten und funkelten – es war wirklich eine Lust.

Sie fasste sie an, zog daran und zack, schon war sie abgerissen!

»Gib sie zurück!«

Von wegen. Das hinterlistige Geschöpf steckte sich die Beute hinter die Zähne und machte sich, geschickt balancierend, auf allen vieren aus dem Staub.

»Die kannst du abschreiben«, sagte der Alte neben ihm. »Du kannst von Glück sagen, dass es nur eine Schnalle ist! Vor drei Tagen hat dieses Biest mir den Stern vom Alexander-Newski-Orden von der Brust gerissen! Sie mag alles, was glitzert. Ich wollte Seine Durchlaucht bitten, danach zu suchen, habe mich aber nicht getraut. Schade, so ein Unglück! Und dabei war der Stern mit Diamanten übersät. . .«

Mitja sah auf den verwaisten Schuh, der gerade eben noch so elegant und schön gewesen war, und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Dieser verfluchte Cercopithecus aus der Familie der Primaten! Adeligen Kindern Schnallen zu klauen, das war nun wirklich eine Unverschämtheit. Und um ihn besser beobachten zu können, nahm er – ebenfalls auf allen vieren – die Verfolgung auf.

Aha, da bist du, da hinter den Lackstiefeln!

Zephirka gefiel das Versteckspiel offenbar. Sie drehte sich um, schnitt Grimassen und entwischte wieder.

Von den Stiefeln zu den gelben Strümpfen; dann zu den altmodischen Schuhen mit den hohen roten Absätzen; dann unter den Sessel. Fast hätte er sie am Rockzipfel zu fassen gekriegt, da entwischte sie wieder. Aber dann hatte Zephirka keine Möglichkeit mehr, sich zu verstecken: vor ihr lag das nackte Parkett, die Wand, die Seitentür. Er hatte sie!

Mitja stand auf und breitete die Arme aus.

»Rück sie raus!«

Die Meerkatze nahm die Schnalle aus dem Mund, klemmte sie sich unter die Achsel und schlug ihm ein Schnippchen: sie hüpfte hoch, hängte sich an die Türklinke, und die Tür öffnete sich einen Spalt weit. Die gemeine Diebin huschte doch tatsächlich in die dunkle Öffnung, und weg war sie.

Aber da hast du dich verrechnet! Wenn sich Mithridates Karpow ein Ziel gesetzt hat, gibt er nicht so schnell auf.

Mitja blickte sich um – alle kehrten ihm den Rücken zu, keiner achtete auf ihn. Also nichts wie vorwärts, ihr nach!

Zephirka wartete in dem großen Zimmer mit den zugezogenen Vorhängen. Sie hatte den Rock hochgezogen, wedelte mit dem Schwanz, für den es eine besondere Öffnung in der Hose gab, und rannte weiter – aber nicht zu schnell, als wolle sie verhindern, dass der Verfolger zu weit zurückblieb.

So rannten sie durch fünf oder sechs leere Zimmer. Mitja konnte sie sich nicht ansehen, dazu hatte er keine Zeit. In der kleinen, aufs Angenehmste geheizten Kammer (in der Ecke glänzte ein riesiger Kachelofen mit seinen weißblauen Kacheln) sprang die Diebin dann auf die Bank, von der Bank auf den Vorhang, vom Vorhang an die Decke, und weg war sie.

War denn das die Möglichkeit?

Mitja sah genauer hin – ach so! Der Ofen ging nicht bis zur Decke, sondern dazwischen war ein Zwischenraum von einem halben Arschin: vermutlich, damit die erhitzte Luft zirkulieren konnte.

Da er den Vorhang nicht hochklettern konnte, stieg er von der Bank auf das Fensterbrett, stützte sich mit dem Fuß am Kupfergriff der Ofenklappe ab, trat mit dem anderen Fuß auf einen Vorsprung, hielt sich am Fenster fest, und von da aus konnte er sich bis zum Ofen hochziehen.

Da haben wir Euch also, Mademoiselle Zephirka!

In dem engen, dunklen Zwischenraum über dem Ofen konnte man sich nur geduckt fortbewegen. In seiner Nase kitzelte der Staub, Uniform und Hose wurden wahrscheinlich schmutzig, aber der Besitzer bekam endlich den verlorenen Gegenstand zurück – die Meerkatze händigte ihm die Schnalle kampflos aus, sie hielt sie ihm in der ausgestreckten Hand hin.

Sie war also weder ein Schuft noch ein Geizkragen. Auf dem Ofen angekommen, hatte sie sich beruhigt und hörte auf, ihn zum Narren zu halten. Vielleicht war sie in Wirklichkeit gar nicht vor Mitja weggelaufen, sondern hatte ihn zu sich nach Hause einladen wollen?

Denn hier, auf dem Ofen, befand sich, nach einigen Anzeichen zu schließen, Zephirkas Wohnstatt, genauer gesagt, ihre Einsiedelei, zu der Unbefugte keinen Zutritt hatten. Als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte Mitja auf verschiedene Haufen gelegte Schätze: auf der einen Seite einen halben Apfel, ein paar Fladen, eine Hand voll Nüsse; auf der anderen reizvollere Dinge: ein goldener Löffel, ein großes Kristallfläschchen und noch etwas blau Glitzerndes. Er nahm es in die Hand: ein mit Diamanten besetzter Stern. Offenbar der, den sie dem unglücklichen Alten gestohlen hatte. Was würde der sich freuen, wenn er ihn zurückbekäme! In dem Fläschchen schimmerte eine Flüssigkeit. Ob das Parfum war?

»Das finde ich aber nicht in Ordnung«, sagte Mitja der Besitzerin. »Und wenn sich nun jeder nimmt, was ihm gefällt? Dann bekommmen wir hier möglicherweise Zustände wie in Frankreich – eine Revolution!«

Zephirka streichelte ihm mit ihrem trockenen Pfötchen die Wange und hielt ihm ein Stück Keks hin: na, iss.

»Merci. Komm, wir hauen besser von hier ab, sonst. . .«

Auf einmal hörte man Schritte in dem Zimmer – es kamen zwei oder drei Leute. Mitja verstummte. Das war schlecht. Man würde sie auf dem Ofen finden und das auch noch mit Diebesgut. Er konnte Zephirka, dieses nicht mit Sprache begabte und, wie sich herausgestellt hatte, herzensgute Wesen doch nicht verpetzen!

». . . Als ob es zu wenig Mädchen gäbe! Ich habe nie verstehen können, warum man sich unbedingt auf eine Einzige festlegen muss!«, sagte eine Männerstimme, die ihm bekannt vorkam. »Es geht doch immer nur um das Eine und sonst nichts!« Man hörte ein leises Klatschen, als ob eine Hand gegen die andere schlage, oder, genauer, gegen die geballte Faust, wonach der Sprechende fortfuhr. »Was Ihr Euch so einfallen lasst! Eine Staatsdame wollt Ihr also haben! Die Schwägerin der Zarin! Habt Ihr den Verstand verloren, Fürst? Das ist eine Schnapsidee und zwar eine sehr gefährliche! Die Vorsichtsmaßnahme mit dem Knaben wird Euch nicht retten, Fürst. Ihr denkt weder an Euch selbst noch an die Leute, die Euch zugetan sind!«

Das war Metastasio, wie Mitja verstand.

»Ich bin es leid, hör auf«, erwiderte der andere (wer, war ja klar). »Ich schwöre, sie wird mein Besitz; egal, was mich das kosten wird.«

»Egal, was Euch das kosten wird?«, fragte der Italiener unheilschwer nach. »Auch Eure Position zum Beispiel, Eure Macht, ja

Euer Leben? Denkt doch an das Testament. Ihr seid nur noch zwei Schritte von der strahlenden Höhe entfernt, und da wollt Ihr Euch in den Abgrund stürzen?! Habt Ihr bedacht, was Euch erwartet, wenn die Plattnase an die Macht kommt?!«

»Das kratzt ihn nicht«, schaltete sich ein Dritter mit Bassstimme in das Gespräch ein. »Man wird ihn auf ein Gut verbannen; wenn alle Stricke reißen, setzt er sich ins Ausland ab. Ausbaden müssen wir das, Jeremej Umbertowitsch! Ma foi, Platon, lass doch die Finger von dieser manierierten dummen Gans! Meinst du, ich verstünde nicht, wie schwer es dir fällt, mit dieser Alten herumzuknutschen? Ich schleppe dir auf der Stelle eine Göttin an, da leckst du dir die Finger nach! Und alles so, dass kein Mensch etwas erfährt!«

»Halt den Mund, Pikin. Du bist ein Idiot, du rennst nur den Nutten nach! Haltet alle beide den Mund! Mein Wunsch hat euch heilig zu sein! Wenn ihr widersprecht, jage ich euch davon. Nein, ich jage euch lieber nicht weg, damit ihr nicht plaudern könnt. Ich werfe euch den Bären zum Fraß vor, ist das klar?«

Man hörte zornige Schritte – einer ging, die anderen beiden blieben. Sk mussten also noch warten. Zephirka legte ihren Kopf auf Mitjas Schulter und hielt still.

Unten wurde geschwiegen.

»Und was nun, Pikin?«, fragte der Sekretär Seiner Durchlaucht langsam. »Ihr seht ja selber, unser Hahnrei hat völlig den Verstand verloren. Das Weitere ist klar. Man wird ihn in flagranti schnappen – Jäger werden sich schon finden – und zum Teufel jagen. Die Alte wird das nie verzeihen. Wir verlieren nur Zeit, Pikin. Habt Ihr nicht morgen Dienst im Palast?«

»Ja.«

»Dann schiebt ihr das Fläschchen unter, wie abgesprochen. Die Alte wird daraus trinken und krepieren, aber nicht sofort, sondern etwa zwei Tage später. Sie wird also Zeit haben, ihr Testament zu machen und ihrem Enkel das Szepter zu übergeben. Dann brauchen wir nichts zu befürchten, sondern werden noch mehr Macht haben. Was zuckt Ihr mit dem Schnurrbart? Habt Ihr etwa Angst, mein berühmter Held?«

Mit der »Alten« war die Kaiserin gemeint, erriet Mitja, und bekam einen ordentlichen Schreck. »Sie wird krepieren.« Wollten sie sie vergiften? Wie Maria Medici es mit der Königin von Navarra getan hat? Diese unsäglichen Schurken!

»Warum schaut Ihr mir nicht in die Augen, Pikin? Habt Ihr Eure Unterschrift vergessen? Und was wir ausgeheckt haben? Darauf steht lebenslange Zwangsarbeit.«

»Hört auf, mir Angst einzujagen, das funktioniert bei mir nicht«, murrte der Preobrashenze. »Als ob Ihr mir mit der Zwangsarbeit Angst einjagen könntet. Es ist ja kein Problem, ihr die Flasche unterzuschieben, das Problem ist. . . Die Flasche ist weg.«

»Wie bitte? Was heißt, ist weg?!«

»Ich kann mir das auch nicht erklären. Sie war in meinem Schlafzimmer, in meinem Stiefel. Ich habe gedacht, da geht niemand dran. Und heute Morgen gucke ich nach – da ist sie spurlos verschwunden.«

»Das kann nur Maslow gewesen sein«, sagte der Italiener ächzend. »Er, dieser Rabe, wer sonst? Nur eins ist dann unklar. Warum lauft Ihr noch frei herum? Oder sollte er es nicht rausgekriegt haben? Unwahrscheinlich. Er ist jeden Tag bei der Alten, er kann doch nicht übersehen haben, dass das Fläschchen ganz genauso aussieht. Und wenn . . . Sch-sch-sch! Was ist denn das da? Da oben, auf dem Ofen?«

Ach, was für ein Unglück! In ihrer Naivität hatte Zephirka Mitja verraten. Sie hatte nicht mehr still sitzen können, raschelte, rutschte herum und klimperte mit einem ihrer Schätze.

»Eine Maus.«

»Eine Maus, die klimpert? Ruft jemand vom Personal.«

»Warum? Ich gucke selber nach. Ich bin entsetzlich neugierig, Jeremej Umbertowitsch.«

Unten, ganz in der Nähe, polterte etwas; das war Pikin, der nachsah. Er hatte es nicht eilig, dieser Unhold, er sang sich eins mit heiserer Stimme:

»Der Flügel Amors streift sie nicht
Noch Bogen oder Pfeil
Und Psyche flieht und schreiet nicht –
Als bände sie ein Seil«

Eine Pranke, an deren Manschette ein Goldknopf blitzte, langte in die Ritze.

Mitja presste sich an die Wand und hielt den Atem an. Wo sollst du dich da verstecken können, der Hauptmann tastete alles seelenruhig ab.

Papampapam papampariet Im Einklang ohne Schmerz:

Die Kette hält, die Kette schmied Die Liebe an ein Herz.