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»Holman«, sagte ich ins Telefon.

»Sie hören mich klar und deutlich fragte eine Männerstimme.

»Gewiß«, erwiderte ich.

»Möchten Sie wissen, wie spät es jetzt in Sydney, Australien, ist

»Nein.«

»Bleiben Sie am Apparat

Es folgte eine Reihe durchdringender Piepsignale, dann teilte mir eine auf Band aufgenommene Stimme auf die Sekunde genau mit, welche Zeit man in Sydney, Australien, hatte.

»Möchten Sie wissen, wie das Wetter in Paris ist fragte der Anrufer. »Oder interessiert es Sie, welcher Schlager in London bei der Wähl-eine-Platte-Hitparade an erster Stelle steht

»Nein«, sagte ich, »und nochmals nein. Für Spinner, die per Telefon ihre Mitmenschen belästigen, habe ich nichts übrig. Das ist grober Unfug

»Aber, aber!« Seine Stimme klang erfreut. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen, Holman. Was würden Sie dazu sagen, wenn Sie Ihr eigenes, kleines, schwarzes Kästchen haben könnten und nie mehr für Ferngespräche zu zahlen brauchten

»Legen Sie auf, Sie Spinner

»Warten Sie! Ist Ihnen klar, was wir beide, Sie und ich, in diesem Moment tun? Wir quasseln über eine gebührenfreie Strippe in Maine. Nur Sie und ich, mein Freund, und wir könnten bis in alle Ewigkeit quaken, ohne daß es uns einen Cent kostet. Ist das nicht toll

»Klar«, versetzte ich. »Man nennt so etwas Betrug

»Hören Sie mal erwiderte er entrüstet. »Kann ich vielleicht was dafür, daß das Ding erfunden worden ist

»Die Geschichte ist uralt«, sagte ich. »Es war einmal ein blinder Junge, der das absolute Gehör besaß. Eines Tages entdeckte er, daß er die richtigen Töne ins Telefon pfeifen und auf diese Weise gratis in der ganzen Welt herumtelefonieren konnte. Dann erfand jemand so ein elektronisches Dingsda, welches das gleiche fertigbringt; man nennt es das kleine, schwarze Kästchen. Suchen Sie sich jemanden, der die Geschichte noch nicht kennt. Da können Sie vielleicht mehr Eindruck schinden

Ich legte auf und hatte genau drei Schritte zur Bar gemacht, als das Telefon wieder läutete.

»Das darf doch nicht wahr sein«, stellte dieselbe Stimme fest. »Sie wollen allen Ernstes nicht so ein schwarzes Kästchen haben, das es Ihnen ermöglichen würde, Abend für Abend gebührenfrei in der Weltgeschichte herumzutelefonieren

»Nein«, fuhr ich den Anrufer an.

»Und ich wollte Sie als Gegenleistung nur um einen winzigen Gefallen bitten«, erklärte er gekränkt.

»Und der wäre fragte ich und sah im selben Moment ein, daß es ein schwerer Fehler gewesen war, diese Frage zu stellen.

»Sie sind doch dieser Detektiv, der den Bonzen in Hollywood aus der Patsche hilft, wenn etwas schiefgegangen ist«, sagte er. »Ich habe da ein Problem, und Sie sind der einzige, der mir vielleicht helfen kann, aber ich habe nicht die Kohlen, um Sie zu bezahlen Sein Ton wurde beredsam. »Selbst wenn Sie so einen kleinen, schwarzen Kasten nicht für sich selbst haben wollen, haben Sie doch bestimmt einen Freund, der gern fünfzehnhundert Dollar für so ein Ding bezahlen würde. Die Sache würde sich also für Sie lohnen, Holman

»Scheren Sie sich zum Teufel mit Ihrem schwarzen Kasten«, schimpfte ich. »Und Ihr Problem können Sie auch für sich behalten

Ich legte auf, steuerte wieder auf die Bar zu, und wieder geschah das Unausweichliche.

»Gloria«, sagte die jetzt verhaßte Stimme. »Sie heißt Gloria Klune. Ein großartiges Mädchen — «

»Dann heiraten Sie sie doch«, fuhr ich dazwischen.

»Das würde ich gern tun. Sie sieht phantastisch aus und ist ein nettes Ding. Aber sie hat einen Fehler. Sie ist unheimlich ehrgeizig. Und naiv dazu. Gloria dürfte so ziemlich das einzige Mädchen in Südkalifornien sein, das es noch für bare Münze nimmt, wenn ein Mann zu ihr sagt: >Ich kann dich zum Film bringen, Mädchen.< Richtig naiv.«

»Wie entsetzlich«, knurrte ich. »Das Mädchen ist wirklich naiv

»Ja«, erwiderte er, »und damit sind wir schon bei meinem Problem. Ich habe sie nämlich seit fast einem Monat nicht mehr gesehen. Ich habe das ungute Gefühl, daß ihr etwas zugestoßen ist, Holman

»Sie wollen sagen, das Mädchen ist verschwunden, und ich soll es suchen

»Vielleicht«, erwiderte er.

»Was, zum Teufel, soll das heißen

»Vielleicht ist sie verschwunden, vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht. Sie sollen es für mich feststellen. Da war so ein gewisser Willie Schultz, der ihr weismachte, er könnte sie zum Film bringen. Vielleicht hat er ihr wirklich eine Rolle verschafft, und sie ist zu Außenaufnahmen in Spanien oder sonstwo

Ich unterdrückte mit Mühe einen Impuls, ihm zu sagen, er solle doch mit seinem kleinen, schwarzen Kasten so lange in der Welt herumtelefonieren, bis er sie gefunden hatte.

»Welche Beziehungen haben Sie zu dieser Gloria Klune fragte ich. »Ist sie Ihre Freundin

»Nicht direkt.« Er war zurückhaltend. »Sagen wir, daß ihr Wohlergehen mir am Herzen liegt

»Und sagen wir, daß Sie wirklich ein Spinner erster Güte sind«, schnarrte ich. »Hat dieser Schultz ein Büro

»Das müßten Sie eigentlich wissen«, versetzte er. »Ich meine. Sie sind doch der Tausendkünstler von Hollywood. Da müßten Sie eigentlich die Leute aus der Filmbranche kennen

»Alle bis auf Willie Schultz«, gab ich zurück.

»Ach, den werden Sie schon aufstöbern können«, meinte er ungerührt. »Für einen Mann Ihres Kalibers dürfte das kein Problem sein. Und wenn Sie ihn finden, dann fragen Sie ihn nach Gloria und stellen Sie fest, ob es ihr gutgeht, ja

»Ich muß wirklich von allen guten Geistern verlassen sein«, erwiderte ich, »aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich suche Schultz, informiere mich über Glorias gegenwärtigen Gesundheitszustand und fertig. Dafür müssen Sie mir eines versprechen

»Was denn?«

»Daß Sie mich nie wieder anrufen

»Einverstanden«, sagte er. »Ehrlich, Holman, ich bin enttäuscht von Ihnen. Wo doch ein Telefongespräch mit mir so interessant ist! Kennen Sie vielleicht jemanden, der Ihnen beim Telefonieren so viel Abwechslung bieten kann? Haben Sie Freunde in Tokio, mit denen Sie schnell noch sprechen wollen

»Auf Wiedersehen«, sagte ich.

»Ich rufe Sie morgen abend an«, sagte er hastig, bevor ich auflegte.

Es war gegen vier Uhr nachmittags. Ich hatte im Augenblick nichts Besseres zu tun, und es war zu erwarten, daß Manny Kruger noch in seinem Büro saß. Manny ist seit zwölf Jahren Leiter der Publicity-Abteilung der Stellar-Filmproduktion, und, wie er zu sagen pflegt, die Leute, die er nicht kennt, lohnt es nicht zu kennen. Ich rief ihn also an. Das ist beileibe keine einfache Sache. Erst muß man sich von der Zentrale mit seiner Vorzimmerdame verbinden lassen, die einen dann, wenn man Glück hat, an die Privatsekretärin von Manny weiterreicht. Es soll schon vorgekommen sein, daß Leute, die darauf warteten, mit Manny verbunden zu werden, dabei alt und grau wurden.

»Ja, Rick meldete er sich schließlich.

»Ich kann Sie zum Film bringen«, sagte ich.

»Ach, wie zauberhaft zirpte er im Falsett. »Ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben. Jahrelang sitze ich nun hier schon in meiner Reizwäsche herum und warte — «

»Ob Sie es glauben oder nicht«, unterbrach ich ihn, »es gibt noch ein Mädchen, das die Phrase glaubt. Und nach diesem Mädchen suche ich »Sie kennen mich, Rick Es war eine Erleichterung, den gewohnten heiseren Tenor zu hören. »Für einen Freund bin ich zu jeder Schandtat bereit. Wie kann ich Ihnen helfen

»Ich möchte den Knaben ausfindig machen, der ihr diese unsterblichen Worte ins Ohr geflüstert hat

»Wenn der Mann hier in der Stadt auch nur soviel wie eine Briefmarke gilt«, meinte Manny, »dann kenne ich ihn. Vorausgesetzt natürlich, er hat einen Namen

»Willie Schultz«, sagte ich.

Darauf erfolgte am anderen Ende der Leitung ominöses Schweigen. Ich wartete ungefähr zehn Sekunden und erkundigte mich dann, ob er noch da wäre.

»Mieser Schweinehund sagte Manny mit Leidenschaft.

»Willie Schultz?«

»Nein, Sie.« Eine Weile drangen unartikulierte Laute an mein Ohr. Dann sagte Manny Kruger: »Okay, Rick, ich will es Ihnen nicht übelnehmen. Schließlich müssen Sie genauso Ihre Arbeit erledigen wie ich die meine. Wir haben in der Vergangenheit oft Informationen ausgetauscht, und es gibt keinen Grund, weshalb das jetzt anders werden sollte. Ich meine, wozu ist man schließlich befreundet Ich hörte, wie er krampfhaft schluckte. »Sagen Sie mir nur eines, alter Junge. Wer hat Sie auf Willie Schultz gehetzt? Dieser gemeine Verräter Morris Darrach, wie?«

Ich hielt den Hörer ein Stück vom Ohr ab und wartete, bis er sich ausgetobt hatte. Dann sagte ich: »Mir geht es allein darum, diesen Schultz ausfindig zu machen

»Eines will ich Ihnen sagen, und es ist die lautere Wahrheit«, erklärte er verzweifelt. »Das Studio hat wirklich nichts damit zu tun

»Womit?«

»Spielen Sie doch nicht mit mir Katz und Maus, alter Junge«, flehte er gekränkt. »Glauben Sie mir, das Studio hat nichts damit zu tun

»Okay«, versetzte ich gelassen, »das Studio hat nichts damit zu tun

»Ich bin froh, daß Sie das endlich akzeptieren«, sagte Manny heiser. »Auf Sie kann man sich verlassen, Rick. Erst gestern abend, als ich unter der Dusche stand, fragte ich mich, ob es auf der ganzen weiten Welt einen Menschen gäbe, dem ich rückhaltlos vertrauen könnte. Und die Antwort darauf kam mir wie aus der Pistole geschossen: Rick Holman

»Das freut mich, Manny«, sagte ich vorsichtig.

»Der einzige Mensch, auf den man sich wirklich verlassen kann, Rick, das sind Sie Er legte eine dramatische Pause ein, und ich wartete darauf, daß er in Tränen ausbrechen würde. »Weiter so, Rick«, sagte er leise. »Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen schrie ich. »Was, zum Teufel, soll das heißen? Erst sagen Sie mir, wo ich diesen Willie Schultz finde

»Da fragen Sie am besten Ihren Freund Morris Darrach«, knurrte er. »Sie gemeiner, verlogener Halunke.«

Er knallte den Hörer auf die Gabel, daß mein Trommelfell erzitterte. Morris Darrach war, wenn ich mich recht erinnerte, das, was man im Branchenjargon einen »packager« nannte. Er schnappte sich ein Drehbuch, einen Regisseur, einen Schauspieler, brachte das alles unter einen Hut und hielt dann nach einem Geldgeber Umschau, der bereit war, die Sache zu finanzieren. Manchmal klappte es, manchmal klappte es nicht, aber gleich, wie es lief, einer wurde dabei immer übers Ohr gehauen; nur Morris Darrach war das nie.

Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, hatten meine Füße automatisch Kurs auf die Bar genommen. Ich mixte mir also einen Drink. Zehn Minuten später läutete das Telefon schon wieder.

»Holman«, meldete ich mich verdrossen.

»Was haben Sie gegen mich schrillte eine erboste Stimme. »Warum wollen Sie mich kaputtmachen, Holman? Ich kenne Sie nicht einmal

»Morris Darrach erkundigte ich mich.

»Wer sonst schnarrte er. »Und Sie haben meine Fragen noch nicht beantwortet

»Das einzige, was mich interessiert, ist der gegenwärtige Aufenthaltsort eines gewissen Willie Schultz«, erklärte ich wahrheitsgemäß.

»Warum?«

»Das ist meine Sache

»Von wegen! Ich habe mir eben fünf Minuten lang Manny Krugers Schimpftiraden anhören müssen. Ich stecke mitten in den Vorbereitungen für das größte Geschäft meines Lebens, und da taucht so ein hergelaufener Kerl auf, den ich nicht mal kenne, und macht mir alles kaputt

»Mir blutet das Herz«, versetzte ich, »und ich wiederhole, ich möchte lediglich wissen, wo Willie Schultz zu finden ist

»Sie wissen doch, was für ein vertrauensseliger Mensch Manny Kruger ist«, fuhr er fort. »Wenn seine eigene Mutter ihm einen Kuchen backen würde, würde er ihn erst von einem anderen vorkosten lassen. Sie müssen ihn davon überzeugen, daß es reiner Zufall war, Holman, sonst bin ich fertig

»Ich werde es versuchen«, sagte ich. »Wenn Sie mir verraten, wo ich Willie Schultz finden kann

»Das weiß ich im Moment selbst nicht«, erwiderte Darrach. »Ich könnte höchstens ein paar Leute anrufen. Vielleicht habe ich Glück. Wenn ja, dann werde ich ihm sagen, er soll Sie anrufen. Okay?«

»Meinetwegen.«

»Sie sind heute abend zu Hause

»Ja, wenn nicht unverhofft Raquel Welch auftaucht und mich zum Abendessen einlädt«, entgegnete ich.

»Vielleicht gelingt es mir, Willie aufzustöbern«, sagte er. »Und vergessen Sie nicht, ich verlasse mich darauf, daß Sie Manny Kruger wieder ins Lot bringen, Holman

Die folgenden zwei Stunden vergingen ohne Anruf, und nach einer Weile hörte ich auf, mich zu fragen, warum ich mich von einem unbekannten Spinner in eine Situation hatte hineinmanövrieren lassen, die ich nicht verstand, die mir aber bereits zwei erbitterte Feinde geschaffen hatte. Dann läutete es an der Tür, und das war wenigstens eine Abwechslung.

Ich öffnete und kniff vor dem bläulich glitzernden Glanz, der mit entgegensprühte, geblendet die Augen zu. Als ich sie wieder aufmachte, war der blaue Schimmer immer noch da. Er ging von einem leuchtend blauen Lurexpullover aus, in dem eine üppige Brünette steckte.

»Ist Ihnen nicht wohl erkundigte sie sich mit warmer Altstimme. »Ein Fieberanfall vielleicht?«

»Kein Fieberanfall«, entgegnete ich wahrheitsgemäß. »Ihr Lurexpulli blendet mich

»Ich würde ihn ja ausziehen«, versetzte sie, »aber ich habe nichts darunter an und möchte mir keine Erkältung holen

Der Pulli steckte in verwaschenen, blauen Jeans, stellte ich fest. Sie hatte sich wahrscheinlich in der Hose unter die heiße Dusche gestellt, bis sie so eingegangen war, daß sie wie eine zweite Haut an ihrem Körper klebte. Das dunkle Haar war in der Mitte gescheitelt, glatt zurückgekämmt und im Nacken zu einem Mozartzopf gebunden. Sie hatte große, dunkle leuchtende Augen, eine gerade Nase und einen Mund, der so sinnlich war, daß er einen Vampir rasend gemacht hätte vor Lust.

»Sie sehen mich jetzt deutlicher«, bemerkte sie, »das erkenne ich an Ihrem wohlgefälligen Grinsen. Und Sie sind Rick Holman? Nicht vielleicht der Butler oder der Fensterputzer?«

»Ich bin Rick Holman«, bestätigte ich.

»Willie Schultz«, sagte sie. »Kann ich hereinkommen