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»Ehe ich diese Frage beantworte«, erwiderte ich, »hätte ich von Ihnen gern gewußt, ob Sie sich auch wirklich ganz wohl fühlen

»Natürlich.« Die schweren Lider hoben sich ein wenig, als er mich anblickte. »Was soll die Frage

Ich zwang mir ein Grinsen ab.

»Als ich Sie das letztemal sah, sahen Sie ganz anders aus. da hatten Sie allerdings auch noch das Messer im Rücken

»Haben Sie den Verstand verloren erkundigte er sich besorgt.

»Möglich ist es«, meinte ich. »Willie Schultz schickte mir seine Schwester ins Haus. Ich erklärte ihr, daß mein Auftraggeber sich lediglich über den gegenwärtigen Gesundheitszustand von Gloria Klune Gewißheit verschaffen wollte. Daraufhin rief sie ihren Bruder an, und der sagte, sie wollte mich hierher fahren, damit ich selbst mit Gloria Klune sprechen konnte. Er wollte bei diesem Zusammentreffen nur dabei sein, um sicherzustellen, daß ich ihr nicht unzulässige Fragen über Ihr Geheimprojekt stellte

»Und wo ist Gloria jetzt

»Das frage ich mich auch verbissen. Sie war nicht da, als wir ankamen

»Aber Schultz und seine Schwester sind noch hier

»Sie sind vor kurzem gegangen«, antwortete ich.

»Ich verstehe das alles nicht Er sah mich stirnrunzelnd an. »Was haben Sie dann noch hier zu suchen

»Ich dachte mir, Gloria Klune wäre vielleicht irgendwo aufgehalten worden und würde noch kommen«, versetzte ich.

»Sie lügen«, erklärte er entschieden. »Wenn Willie Schultz gesagt hat, sie würde hier sein, dann wäre sie auch hier gewesen. Auf jeden Fall werde ich ihn auf der Stelle anrufen und der Sache auf den Grund gehen

Zielstrebigen Schrittes marschierte er an mir vorbei ins Wohnzimmer. Ich hatte genug. Ich ging aus der Wohnung, stieg die Holztreppe hinunter und gelangte auf die dunkle Straße. Ich mußte gut einen Kilometer marschieren, ehe ich endlich ein Taxi bekam, und mein Genick schmerzte immer noch.

Daheim in meinem Prestigebungalow in Beverly Hills mixte ich mir erst einmal einen Drink. Mit ein wenig logischer Überlegung, dachte ich, würde ich dieses Durcheinander schon entwirren. Also, der Mann mit dem Messer im Rücken war Morris Darrach, weil Wilhelmina Schultz das gesagt hatte; folglich war der zweite Mann, der sich für Morris Darrach ausgegeben hatte, ein Lügner. Oder aber die Brünette hatte gelogen und der zweite Mann sagte die Wahrheit — wer aber war dann der Mann mit dem Messer im Rücken? Und was hatten die Geschwister Schultz mit der Leiche angestellt? Und wer hatte ihn getötet und warum? Und wo, zum Teufel, war Gloria Klune? Und wo, zum Teufel, war die Logik, die ich brauchte, um nicht ganz den Verstand zu verlieren?

Im Kühlschrank lag noch ein Steak. Ich verspeiste es halbroh und blutig und aß einen gemischten Salat dazu. Danach ließen die Schmerzen im Genick nach, dafür brummte mir der Schädel ganz gewaltig von all den fruchtlosen Überlegungen, die ich angestellt hatte. Ich wanderte ins Wohnzimmer zurück und mixte mir noch einen Drink. Ich nahm das Glas mit zum Telefon und wählte.

»Manny Kruger«, sagte die Stimme nach dem vierten Läuten.

»Rick Holman«, meldete ich mich.

Geladenes Schweigen folgte.

»Er ist nicht hier«, erklärte Manny leise.

»Wer?«

»Mr. Kruger. Seine Mutter hatte in Österreich einen Skiunfall. Er wird frühestens in einem Monat zurückkommen

»Und wer sind Sie

»Sein Bruder.« Mannys Stimme wurde sicherer. »Emmanuel Kruger. Komischer Zufall, wie?«

»Sie wollen sagen, daß man Sie ebenfalls Manny nennt, genau wie Ihren Bruder

»Richtig«, erklärte er stolz. »Sie würden sich wundem, wie oft ich mit ihm verwechselt werde. Mit meinem Bruder Manny.«

»Vielleicht können Sie ihm etwas ausrichten«, sagte ich.

»Er bleibt mindestens einen Monat weg

»Aber er wird Sie doch bestimmt anrufen, um Sie über den Zustand Ihrer Mutter zu unterrichten

»Wessen Mutter?«

»Wenn Sie sein Bruder sind, dann ist seine Mutter auch Ihre Mutter

Er stöhnte. »Sind Sie da ganz sicher

»Sagen Sie ihm, daß Morris Darrach mich mit Willie Schultz in Verbindung gebracht hat«, begann ich. »Schultz oder vielmehr seine Schwester — fuhr mich in eine Wohnung, wo ich Gloria Klune treffen sollte

»Er hat keine Schwester

»Bestimmt nicht

»Nach dem, was mein Bruder sagt, nicht«, erklärte er vorsichtig.

»Als wir in der Wohnung ankamen, fanden wir dort einen Mann vor, der ein Messer im Rücken stecken hatte. Er öffnete uns die Tür und verschied. Danach traf Willie ein. Er und das Mädchen, das nicht seine Schwester ist, erklärten, der Tote wäre Morris Darrach. Ich wollte die Polizei anrufen, sie waren dagegen. Deshalb gab Willie mir kurzerhand eins über den Schädel, und als ich wieder zu mir kam, waren alle verschwunden, einschließlich der Leiche. Dann kreuzte ein Fremder auf, der behauptete, er wäre Morris Darrach

»Sie sind entweder betrunken«, stellte Manny fest, »oder wahnsinnig

»Und Sie sind genau wie alle notorischen Lügner«, stellte ich fest. »Sie können es einfach nicht glauben, wenn Ihnen jemand die Wahrheit sagt

»Wie sah dieser Morris Darrach denn aus

»Der lebende oder der tote?«

»Der lebende.«

»Klein, dünn, griesgrämig.«

»Das ist Morris Darrach«, erklärte Manny entschieden. »Es heißt, seine Mutter warf nach seiner Geburt nur einen Blick auf ihn und stürzte sich aus dem Fenster des Krankenhauses

»Dann war also der Tote ein anderer«, stellte ich fest. »Wie sieht Willie Schultz aus

»Ich habe nie jemanden namens Willie Schultz gekannt«, erwiderte Manny. »Vielleicht kennt Darrach jemanden namens Willie Schultz, aber mein Bruder nicht, das ist sicher

»Es wird allmählich kompliziert«, meinte ich. »Mir ging es lediglich darum, mich im Namen meines Auftraggebers nach Gloria Klunes Gesundheitszustand zu erkundigen, und jetzt bin ich genau wieder da, wo ich angefangen habe. Nur daß jetzt irgendwo in der Stadt auch noch eine unbekannte Leiche herumliegt

»Ich weiß nichts«, erklärte Manny etwas schrill. »Mein Bruder Manny weiß noch weniger. Er ist schon auf dem Flug nach Österreich. Reden Sie mit Darrach, Rick Holman, oder wer sonst Sie sein mögen. Auf Wiederhören.«

»Und mit wem noch rief ich wütend.

»Was heißt, mit wem noch? Reden Sie meinetwegen mit diesem Willie Schultz. Die ganze Sache scheint sowieso seine Schuld zu sein

»Und die Stellar-Filmproduktion hat nichts damit zu tun erkundigte ich mich im Unschuldston.

Er gab einige gurgelnde Geräusche von sich.

»Schön, warten Sie einen Moment. Ich glaube, ich empfange eben eine telepathische Nachricht von meinem Bruder Manny, der sich in diesem Moment zehntausend Meter hoch befindet. Augenblick! Ja, jetzt verstehe ich klar und deutlich. Er sagt, wenn es Sie dazu veranlassen kann, endlich Ihren großen Mund zu halten, dann sollen Sie mit Gloria Klune reden. Wer ist das überhaupt

»Das Mädchen, das Willie Schultz glaubte, als er ihr erklärte, er könnte sie zum Film bringen«, erwiderte ich geduldig.

»Richtig, das ist sie«, sagte Manny triumphierend. »Mein Bruder meint, mit ihr sollen Sie sprechen, dann wird sich alles klären

An meiner Haustür läutete es. Ich ließ mich nicht beirren.

»Und wie finde ich Gloria Klune fragte ich eilig.

»Der Kontakt zerreißt«, versetzte Manny. »Vielleicht ist das Flugzeug eben in ein Luftloch gefallen. Mein Bruder sagt, wenn Sie sie nicht finden können, dann sollten Sie vielleicht den Beruf wechseln. Er sagt außerdem, Sie können ihm den — nein, jetzt ist die Verbindung abgebrochen. Auf Wiederhören, Freund meines Bruders.«

Ich legte auf, weil er das Gespräch bereits abgebrochen hatte. Die Türklingel schrillte ununterbrochen. Ich lief hinaus, knipste das Licht auf der Veranda an und öffnete. Es war ein Fehler. Ein doppelter Fehler. Der blaue Lurex sprühte gleißende Funken im Verandalicht, und ich mußte wiederum geblendet die Augen schließen.

»Lassen Sie sich nicht zu Gewalttätigkeiten hinreißen«, sagte die Brünette mit kleiner Stimme. »Es tut uns ehrlich leid. Mein Bruder wäre mitgekommen, um sich persönlich zu entschuldigen, aber er meinte, wenn Sie ihn sähen, würden Sie bestimmt zuschlagen

»Kommen Sie herein«, knurrte ich, »ehe ich für immer mit Lurexblindheit geschlagen werde

Wir gingen ins Wohnzimmer. Sie eilte hastig voraus und hielt erst an, als sie sicher hinter der Bar stand. Dort griff sie nach einem Glas und mixte sich einen Drink, der aus purem Brandy und einem Eiswürfel bestand. Ich sah zu, wie der Eiswürfel vor Einsamkeit dahinschmolz und wartete darauf, daß sie etwas sagte.

»Es war eine Kurzschlußhandlung, wissen Sie Damit trank sie einen tiefen Schluck aus ihrem Glas.

»Willie Schultz hat keine Schwester«, sagte ich.

»Ich habe einen Bruder, aber er heißt nicht Willie Sie nahm einen zweiten Schluck.

»Bitte nicht so schnell«, brummte ich. »Ihr Bruder ist also nicht Willie Schultz

»Ganz recht Sie nickte mehrmals. »Ich bin Sarah Jordan, und mein Bruder heißt Ralph Jordan. Falls das von Bedeutung sein sollte. Und es tut Ralph in der Seele leid, daß er Sie niedergeschlagen hat

»In einer Kurzschlußhandlung

»Wir waren beide in Panik. Und das mit Willie Schultz tut ihm auch ehrlich leid, aber er wußte im Moment einfach nicht, was er sonst mit ihm machen sollte

»Willie Schultz war der Mann mit dem Messer im Rücken

»Richtig.« Der blaue Lurex schimmerte sanft im warmen Licht des Wohnzimmers.

»Nachdem Sie gegangen waren, tauchte Morris Darrach in der Wohnung auf«, sagte ich. »Der wahre Morris Darrach

»Sie haben ihm doch nicht erzählt, was passiert ist Ihre dunklen Augen weiteten sich bei dem Gedanken.

»Doch, einiges«, erwiderte ich. »Aber er glaubte mir kein Wort. Er hielt mich für verrückt. Ich war beinahe geneigt, ihm recht zu geben

»Ja, ich kann mir vorstellen, daß das alles einigermaßen verwirrend war Sie verzog den Mund zu einem Lächeln, sah meine finstere Miene und überlegte es sich anders. »Als ich sah, daß der Mann mit dem Messer im Rücken Willie war, glaubte ich plötzlich aus unerfindlichem Grund, es wäre wichtig, Ihnen seine Identität nicht zu verraten.«

»Warum?«

Sie holte tief Atem.

»Das weiß ich selbst nicht. Aber Willie war derjenige, der zu uns kam und uns den Auftrag gab

»Was für einen Auftrag?«

»Also, tatsächlich hat er nur Ralph engagiert. Ralph sollte sich als Willie ausgeben und Sie in die Wohnung zu Gloria Klune führen. Ralph fand dann, es wäre vielleicht taktisch klüger, wenn ich zuerst an Sie heranträte und Sie mit meinem Charme und der Aussicht auf einen dicken Scheck betörte

»War Willie für Morris Darrach tätig

»Manchmal. In diesem Fall sicher.«

»Das alles ergibt doch keinen Sinn«, knurrte ich.

»Das weiß ich«, pflichtete sie mir eilig bei. »Wir konnten aus der Sache auch nicht klug werden. Aber wir haben schon früher von Willie Aufträge bekommen, und zwei-, dreihundert Dollar so auf die Schnelle sind schließlich auch nicht zu verachten. Wie man sich täuschen kann«, fügte sie mit einem abgrundtiefen Seufzer hinzu.

»Und wo ist Ralph jetzt

»Er hat mir nicht gesagt, wohin er wollte Sie klappte die Augen zu. »Er sagte nur, er müßte jetzt ständig auf Achse sein, und das Ganze täte ihm in der Seele leid

»Was hat er mit dem Toten gemacht

Sie riß die Augen auf.

»Da wissen Sie nicht

»Woher, zum Teufel, soll ich es wissen

»Sie haben nicht einmal nachgesehen

»Wo denn?«

Sie antwortete nicht, spülte statt dessen den Rest ihres Brandys mit einem hastigen Zug hinunter und goß sich neu ein. Ich lauschte dem Klirren der Flasche und des Glases und spürte, wie sich in meinem Magen die Schmetterlinge zu regen begannen.

»Das darf doch nicht wahr sein«, flüsterte ich.

»Er war zu der Zeit immer noch ganz aus den Fugen und wußte einfach nicht, was er sonst mit der Leiche anfangen sollte«, erklärte sie kleinlaut. »Ich meine, es war nervenzerfetzend genug, ihn aus dem Haus zu tragen. Jeden Moment hätte ein neugieriger Nachbar auftauchen können. Und auf seinem Rücksitz im Wagen konnte Ralph den Toten ja auch nicht ewig liegenlassen. Das werden Sie doch verstehen

»Sagen Sie nichts mehr, sonst bringe ich Sie womöglich noch um«, sagte ich ganz ruhig. »Wo ist die Leiche

»In Ihrem Schlafzimmer«, erwiderte sie. »Wir haben ihn auf den Bauch gelegt, damit die Bettdecke nicht blutig wird

Ich raste wie der Blitz die drei Stufen hinunter, die vom Wohnraum in den Schlaftrakt führen. Ich knipste das Licht an und erstarrte. Der Alptraum war wahr geworden. Da lag er bäuchlings auf meinem Bett, das Messer noch im Rücken. Gut fünf Sekunden stand ich da wie gelähmt und starrte auf ihn nieder. Dann schaltete ich das Licht aus und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

»Nur interessehalber«, sagte ich mühsam beherrscht, »was glaubte denn Ihr Bruder, daß ich mit einer Leiche anfangen würde

»Er glaubte gar nichts«, antwortete sie. »Er war froh, die Leiche loszuwerden, daß er sich gar nicht überlegte, in was für einen Schlamassel er Sie da hineinbringen würde

»Wie sind Sie überhaupt ins Haus gekommen

»Sie hatten die Hintertür nicht abgeschlossen. Ralph war ganz verwundert darüber. Er fand es ziemlich nachlässig für jemanden aus Ihrer Branche, das Haus ohne — «, sie schluckte — , »kurz und gut, die Hintertür war nicht abgeschlossen.«

»Wo wohnte Willie

»In einem Apartmenthotel am Hollywood Boulevard.«

»Glänzend. Und wo hatte er sein Büro

»Er hatte keines, soviel ich weiß

»Er muß hier verschwinden«, entschied ich. »Aber wohin mit ihm?«

»Ich fühle mit Ihnen, ehrlich Sie griff nach ihrem Glas und trank. »Und ich möchte Ihnen noch einmal was sagen, wie leid es uns tut, daß wir Ihnen solche Scherereien gemacht haben, Mr. Holman Sie kam um die Bar herum und machte sich auf den Weg zur Diele. »Und ich wünsche Ihnen von Herzen Glück

Ich packte sie beim Arm und riß sie herum.

»Sie bleiben schön hier«, knirschte ich. »Sie werden mir helfen, Willie Schultz von hier wegzubringen

»Sie sind verrückt«, zischte sie.

»Von wegen«, versetzte ich. »Sie sind die einzige Zeugin, die bestätigen kann, daß ich ihn nicht getötet habe. Und solange ich nicht weiß, wer ihn umgebracht hat, werden Sie mir nicht von der Seite weichen

»Na schön«, entgegnete sie eisig. »Dann warten Sie auf den Moment, wenn wir irgendwo auf der Straße sind, unter Menschen — ich werde um Hilfe schreien, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht

»Gut. Ich werde dann den nächsten Polizeibeamten rufen, und Sie können ihm erklären, wieso wir auf dem Rücksitz eine Leiche liegen haben, wo Ihr Bruder Ralph zu finden ist, und so weiter und so fort

In den dunklen Augen sprühte es plötzlich Funken.

»Sie dreckiger Hund zischte sie. »Ich hoffe von ganzem Herzen, daß der Mörder von Willie Schultz als nächstes Ihnen das Licht ausbläst