ERSTES KAPITEL
Ihr Haar schmiegte sich wie eine Art mitternachtsblaue Kappe um ihren Kopf, und die langen seidenen Ponyfransen bedeckten die Brauen und betonten die Tiefe ihrer großen violetten Augen. Sie trug einen Pyjama im Haremstil aus reiner gepunkteter Seide und — wie ich vermutete — darunter ein Nylontrikot, aber bei der matter werdenden Spätnachmittagssonne war das nicht mit Sicherheit festzustellen. Ihre Beine waren lang und elegant, ihre Brüste voll und elastisch unter der dünnen Seide und ihre Hüften so schwungvoll, daß sie das Entzücken eines Sultans erweckt hätten. Sie blickte mich eine Weile über den Rand ihres großen Martiniglases an und ließ dann ihre Zähne sehen; es war kein Lächeln — lediglich ein Entblößen der Zähne.
»Sie sind also Holman?« Ihre Stimme war kühl und eine Spur träge, wie ein kleiner Wasserfall, der nicht plätschert.
»Rick Holman«, sagte ich, denn ich schätze es, mit sexy aussehenden dunkelhaarigen Ladys von vornherein auf informeller Basis zu verkehren.
»Ich bin Chloe Benton.« Sie wies mit dem Kopf auf einen leeren Korbstuhl neben sich im Patio — ein Gegenstück zu dem, in dem sie selber saß. »Setzen Sie sich.«
Ich setzte mich und starrte ein paar Sekunden lang auf die glatte, aseptisch wirkende Oberfläche des chemisch gereinigten Swimming-pools. Dann sah ich sie wieder an. »Worauf warten wir — aufs Nirwana?«
Diesmal zuckte ein schwaches Lächeln um die entblößten Zähne. »Schon ein bißchen besser«, sagte sie anerkennend. »Ich war auf eine Art Supermann gefaßt; und, offen gestanden, die äußere Erscheinung ist ein bißchen enttäuschend.«
»Ich hin froh, daß ich, was Sie anbelangt, nicht dasselbe behaupten kann«, sagte ich aufrichtig. »Sind Sie das ganz persönlich, was unter dem Pyjama ist?«
»Ich habe noch ein Nylontrikot an, weil ich in der Sonne so leicht verbrenne.« Ein schlanker Zeigefinger mit blutrotem Nagel deutete auf den Rollwagen mit den Drinks. »Nehmen Sie sich selbst, Holman.«
Der Martini war eiskalt, und als Mixtur etwa eins zu neun, schätzte ich. Ich nahm einen weiteren anerkennenden Schluck, ließ mich in den Korbstuhl zurücksinken und kam innerlich zu dem Schluß, daß zwei solcher Drinks ausreichten, um in mir einen Sultankomplex zu erzeugen. Da offenbar keine Unterhaltung gefordert wurde, erschuf ich im Geist einen Harem von fünfzig nackten rothaarigen Mädchen, die hintereinander in das Wasserbecken tauchten. Die fünfzehnte stand eben zum Absprung bereit am Rand des Sprungbretts, als Chloe Benton erneut zu sprechen begann.
»Der diskrete Helfer in allen intimen Notlagen Hollywoods«, sagte sie lässig. »Das sind Sie doch, nicht?«
»Sie haben >hochbezahlt< ausgelassen, aber die übrige Beschreibung trifft zu«, gab ich mit angemessener Bescheidenheit zu. »Sie sind Leola Smith’ Privatsekretärin, und wenn sie — wieder mal — in der Tinte sitzt, dann kann ich nur den Rat geben, sie dort sitzenzulassen. Die Lady steckt immer in Schwierigkeiten, und diese Schwierigkeiten stellen sich immer als publizistisch wirksam heraus, zumal sie regelmäßig dann auftreten, wenn ihr jeweils letzter Film uraufgeführt werden soll.«
»Sie kennen sich aus, was?« In ihren violetten Augen lag ein spöttischer Schimmer, als sie den Kopf wandte und mich geradewegs ansah. »Ich bin seit fünf Jahren ihre Privatsekretärin. Glauben Sie vielleicht, ich kann zwischen ihren für die Publicity erzeugten Schwierigkeiten und den echten nicht unterscheiden?«
»Ich weiß nicht, was Sie können«, sagte ich sachlich. »Aber wenn Sie bereit sind, echtes Geld zu bezahlen, dann werde ich zuhören, während Sie mir von ihren echten Schwierigkeiten erzählen.«
»Sie sind wirklich ein ausgesprochen bescheidenes Mistvieh!« Sie kicherte plötzlich. »Eigentlich sollten Sie und Leola prächtig miteinander auskommen. Wie dem auch sei, das alles ist Victor Amorys Idee, nicht meine, und er bezahlt auch die Rechnung. Er hat als Anzahlung einmal einen Scheck über zweitausend Dollar unterschrieben. Sind Sie jetzt interessiert, Holman?«
»Ich bin interessiert«, sagte ich und nickte. »Die Hypothekenzinsen sind wieder mal fällig. Wieso ist Amory so besorgt um seine Ex-Gattin?«
»Irgendwo höret die Liebe in seiner haarigen Brust nimmer auf.« Sie trank nachdenklich einen Schluck Martini. »Sie wissen, wie Leola ist. Sie macht einen Film fertig, dann beschafft sie sich ein Flugticket in irgendeine unmögliche Gegend, und weg ist sie — manchmal für Monate.«
»Ich weiß, wie sie ist.« Ich seufzte. »Ich habe das Gefühl, daß jedesmal, wenn ich eine Zeitung zur Hand nehme, mich von der ersten Seite ihr Gesicht anstarrt, weil sie gerade mal wieder einen internationalen Zwischenfall in der äußeren Mongolei oder sonstwo Unmögliches provoziert hat.«
»Aber sie hatte es bisher immer geschafft, die Verbindung aufrechtzuerhalten — außer dieses Mal«, sagte Chloe Bent mit plötzlich sachlich klingender Stimme. »Leola ist eine Irre, aber sie ist zugleich auch eine Aktiengesellschaft. Eine Aktiengesellschaft hat ihre Verpflichtungen: Verträge, Grundstückinvestments, dieses Haus hier, ich, ihre anderen Angestellten, und nicht zu vergessen ihre achtjährige Tochter, die in zwei Wochen aus dem Internat nach Hause kommen wird. Wo immer Leola hinging, alles war gut organisiert, mit dieser jetzigen Ausnahme. Diesmal habe ich seit einem Monat nichts von ihr gehört. Niemand hat etwas gehört. Die meisten Sorgen macht sich Cal Reiner von der Dalwood-Reiner-Produktion. Er hat ein Achtmillionenbudget in der Luft hängen, während er darauf wartet, daß Leola für den Film unterschreibt. Er kann die anderen beiden Stars nicht viel länger warten lassen, weil sie noch andere Verpflichtungen haben; und ich weiß, daß Leola an diesem Film mehr liegt als an irgendeinem anderen zuvor.«
»Wo ist sie also?«
Sie starrte mich eine ganze Weile an, während der spöttische Schimmer erneut in ihre Augen trat. »Sie sind wirklich eine Intelligenzbestie, Holman. Wofür, zum Teufel, glauben Sie, brauchen wir Sie eigentlich — um die männliche Hauptrolle in ihrem nächsten Film zu übernehmen? Niemand weiß, wo sie ist, deshalb haben wir Sie ja engagiert — nämlich, um sie zu finden.«
»Nun treten Sie mal ein bißchen kurz, bis ich das verarbeitet habe«, knurrte ich. »Dieses verrückte Frauenzimmer kann von Tibet bis Tasmania überall sein. Unter Umständen halsen Sie mir hier eine Lebensaufgabe auf, ist Ihnen das klar?«
»Ich weiß.« Sie zuckte hilflos die Schultern. »Aber vielleicht können wir das Feld ein bißchen eingrenzen. Sie ist vor etwa fünf Wochen hier weggefahren, machte Zwischenstation in der Schweiz, um Klein Leola, ihre Tochter, zu besuchen, und reiste dann nach Istanbul, um sich dort ein paar Bauchtänze anzusehen. Von dort kam vor etwa einem Monat die letzte Nachricht. Sie schrieb, sie wolle vielleicht in Südfrankreich eine Weile Sonne tanken oder nach Schottland fliegen und dort jemanden umbringen, der Waldhühner schießen wollte. Sie ist gegen jeden Jagdsport. Wissen Sie?«
»Sie trägt also entweder einen Bikini oder einen Kilt. — Wer weiß?« Ich trank schnell den Rest meines Martini und schenkte mir neu ein. »Sind Sie denn bei allem, was Sie sagen, ganz sicher, daß sie nicht einfach aus Schusseligkeit vergessen hat, mit Ihnen in Verbindung zu bleiben? Sonst muß es doch einen Grund dafür geben.«
»Selbstverständlich.« Sie nickte.
»Was für ein Grund? Glauben Sie, sie ist krank, steckt in Schwierigkeiten oder ist verliebt?«
»Wenn ich die Antwort wüßte, würde ich nicht meine Zeit damit vergeuden, mich mit Ihnen zu unterhalten«, sagte sie schroff.
»Reiste sie allein?«
»Natürlich! Wie immer. Während ich zu Hause bleibe und den Laden hüte.«
»Sie haben nicht die leiseste Ahnung, warum sie seit einem Monat nichts von sich hören läßt?« beharrte ich.
»Nicht die geringste.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Vielleicht ist sie auf irgendeiner verrückten Safari in Afrika oder fährt per Anhalter durch die Wüste Gobi. Was weiß ich! Auf keinen Fall darf ich die Sache publik werden lassen, sonst wird sie mich nicht nur hinauswerfen, sondern mir auch noch gleichzeitig die Kehle durchschneiden. Was wir natürlich am meisten befürchten, ist die Möglichkeit, daß ihr etwas zugestoßen ist, irgend etwas Scheußliches.«
»Wie steht es mit der Tochter in der Schweiz? Vielleicht hat Leola ihr erzählt, wohin sie von ihr aus reist?«
»Nein.« Chloe Benton schüttelte erneut den Kopf. »Daran dachte ich auch und führte vor zwei Wochen ein Ferngespräch mit ihr. Ich tat so, als handle es sich um einen Spaß, damit sich das Mädchen nicht aufregt. Aber anscheinend hat ihr Leola nur gesagt, sie sei wieder hier zu Hause, sobald die Schulferien begännen.«
»Es hat keinen Sinn, daß ich irgendwohin gehe, bis ich weiß, wohin ich gehen muß«, wandte ich ein. »Wie steht’s mit ihrem Gefühlsleben? Mit ihren drei Ex-Ehemännern im Hintergrund ist Leola Smith nicht der Typ, der lange Zeit im Zölibat lebt. Mit neunzehn mit dem Nachbarssohn verheiratet, mit einundzwanzig von Hollywood entdeckt und mit zweiundzwanzig geschieden.« Ich begann mich laut zu erinnern. »Dann heiratete sie zwei Jahre später Luigi Polo, den Produzenten, der sie entdeckt hatte, und ließ sich ungefähr drei Jahre später wieder scheiden. Ihr letzter Ehemann war Victor Amory, arrivierter Bühnen- und Filmstar. Und diese Ehe dauerte ganze zehn Monate. Seit wann sind sie geschieden?«
»Seit fünfzehn Monaten«, antwortete sie. »Wie ich schon sagte, bei Victor hat sie immer noch einen Stein im Brett, so groß wie ein Findlingsblock, aber bei Leola ist für ihn nichts mehr zu holen. Keine Ehe ist so erledigt wie ihre letzte, und kein Mann auf der ganzen weiten Welt existiert für sie so wenig wie ein ehemaliger Ehemann.«
»Trotzdem werde ich mit Amory reden. Wo ist er?«
Ein blutroter Nagel wies auf das Haus hinter uns. »Drinnen.«
»Wenn er auf den Gedanken gekommen ist, warum ist er dann jetzt bei unserer Unterhaltung nicht dabei?« fragte ich mit mild überraschter Stimme.
»Vielleicht liegt es an seiner Schüchternheit?« Sie nahm ihr Glas an die Lippen und trank gemächlich, während ihre Augen mich über den Rand hinweg spöttisch betrachteten. »Warum fragen Sie ihn nicht selber, Holman?«
»Ja, warum nicht?« Ich stand von meinem Korbstuhl auf, ging zu dem Rollwagen hinüber und stellte mein leeres Glas neben den Mixer. »Haben Sie zufällig Lust, hinterher bei mir zu Hause zu Abend zu essen? Es ist nur ein Viertel so groß wie das hier, aber es hat einen Swimming-pool, Teppiche auf dem Boden, und aus den Wasserhähnen läuft Martini.«
»Das ist ein verlockendes Angebot, Holman«, sie gähnte unverhohlen, »aber falls ich Papi und Mami mit einem Mann spielen will, dann habe ich hier bereits einen zur Hand — das heißt, wenn es mir je gelingt, seine Gedanken von seiner Ex-Gattin zu lösen. Also reden Sie schon mit ihm und überlassen Sie mich meinen Grübeleien über meine frigide Existenz, ja? Durch die offene Glastür kommen Sie ins Wohnzimmer. Die Bar ist am anderen Ende, eine Weihestätte, an der Victor bestimmt zelebriert.«
»Danke«, sagte ich. »Sie sind für mich der erste einleuchtende Grund dafür, warum ein Mann je den Wunsch hegen könnte, Filmstar zu werden.«
»Also rufen Sie mich an, wenn Sie Ihren ersten Film gedreht haben.« Sie gähnte erneut und widmete sich ihrem Martini.
Ich ging durch den Patio und durch die Lücke zwischen den gläsernen Schiebetüren. Der Raum war in dem teuren, anheimelnden Stil des Büros eines Wall-Street-Maklers eingerichtet, aber nur die wuchtige Bar im Hintergrund wirkte belebt. Victor Amory saß dahinter, eine halbleere Flasche besten Whiskys neben und ein beinahe volles Glas vor sich. Er trug eine Leinensportjacke in der Farbe irischen Mooses, eine lohfarbene Hose und ein Hemd in der Farbe eines wolkigen Sonnenuntergangs. Irgendwie paßten die Farben so zusammen, daß die Zusammenstellung gut wirkte. Aber an ihm sah beinahe alles gut aus, einschließlich eines Sarongs.
Sein Gesicht, Modell Ende der Sechzigerjahre, war kräftig und mager; er hatte melancholische dunkelgraue Augen und dichtes, sorgfältig gepflegtes schwarzes Haar. Er mochte ein wenig über einsfünfundachtzig groß sein und hatte eine athletische, sehnige Figur. Sein Mund war schlaff, aber das lag vielleicht daran, daß er bereits blau war. Ich beschloß, mir das nächste Mal, wenn ich betrunken war, meinen eigenen Mund anzusehen, nur um sicher urteilen zu können. Dann zog ich einen Hocker heraus und setzte mich ihm gegenüber, die Bar zwischen uns.
»Chloe Benton hat mir erzählt, Sie hätten eine Scheu, mit anderen Leuten zusammenzutreffen?« sagte ich zur Eröffnung des Gesprächs.
»Ich dachte, sie könnte Ihnen zuerst einmal die Gesamtsituation erklären. In ihrer Art, Beleidigungen mit Informationen zu kombinieren, ist sie unerreicht.« Seine Aussprache, auf der Leinwand klar und präzise, war jetzt ein bißchen verschwommen. »Ich weiß nicht, ob sie alle Männer haßt, oder nur die, die sie bis jetzt kennengelernt hat.«
»Sie sind der Ex-Ehemann mit dem schmachtenden Herzen, der sich Sorgen macht, weil Leola Smith irgendwo von der Erdoberfläche verschwunden ist«, sagte ich, »Sie machen sich Sorgen in der Preislage von zweitausend Dollar, damit ich mir ebenfalls Sorgen mache. Vermutlich wird mich nichts davon abhalten, das Geld in einer Weltrundflugkarte anzulegen, aber es wird mir dabei nicht viel Zeit übrigbleiben, wenn ich dabei in jeder Stadt Aufenthalt mache, um nach Leola zu suchen.«
»Raphael Emmanuel.« Er blickte vage in Richtung des Patio und grinste gehässig. »Dieses Luder, die Benton, bildet sich ein, sie weiß alles.«
»Raphael Emmanuel?« wiederholte ich. »Ist das nicht zufällig derselbe Emmanuel, der vor einiger Zeit den Geldmarkt durch spekulative Aufkäufe durcheinanderbrachte?«
»Er hat seine Millionen durch Lieferungen von Restbeständen aus dem Zweiten Weltkrieg an die bedürftigen und immer sicheren Abnehmer all der Dinge, die einen Revolutionär glücklich machen, zusammengeschaufelt.« Amory grinste. »Wie zum Beispiel Panzer, Flugzeuge und Granatwerfer. Die meisten davon funktionierten nicht so recht, aber tote Kunden beschweren sich nicht weiter. Irgendwann um neunzehnhundertachtundfünfzig herum stieg er ins Ölgeschäft ein; und als er vor ein paar Jahren wieder ausstieg, hatte er sein Vermögen etwa verdreifacht. Danach entledigte er sich nach zwanzigjähriger Ehe seiner Frau und ließ sich nieder, um das genußreiche Leben des Saufens und Hurens zu führen.«
»Und Sie glauben, Leola sei bei ihm?«
Er trank einen Schluck Bourbon und nickte dann langsam. »Er lernte sie bei ihrem letzten Aufenthalt in Europa kennen und geriet völlig aus dem Häuschen. Er kaufte eine Kopie jedes Films, den sie je gedreht hat; und man behauptet, er ließe jeden Abend einen Film auf seinem privaten Projektionsapparat laufen und sei dabei der einzige Zuschauer.«
»Wenn sie also das genußreiche Leben in Gesellschaft eines Multimillionärs führt, warum dann all diese Probleme?« Ich zuckte die Schultern.
»Wenn sie sich im Augenblick bei ihm aufhält, dann nicht freiwillig und nicht, weil sie es genießt«, sagte er barsch. »Er jagte ihr damals, als sie ihn in Europa kennenlernte, eine Todesangst ein. Sie hielt ihn für einen widerlichen kleinen Wurm, und er hielt sich wegen seines Geldes für unwiderstehlich. Sie würde um die halbe Welt fliehen, um ihm zu entgehen.«
»Glauben Sie, er hat sie entführt?« Ich grinste ihn an. »Jemand, dessen Name so prominent ist wie der Leola Smith’ — und Emmanuel würde ernsthaft versuchen, sie zu seinem eigenen Vergnügen zu entführen?«
»Haben Sie sich je vorgestellt, wie es wäre, wenn Sie fünfzig Millionen Dollar auf der Bank hätten?« fragte er.
»So gierig bin ich gar nicht«, sagte ich. »Meine Träume sind relativ bescheiden. Ein paar Millionen Einkommen aus Investmentpapieren kommen ihnen schon näher.«
»Mit soviel Geld können Sie so ungefähr alles kaufen, was Sie wollen«, fuhr er fort, »einschließlich der meisten Leute. Sie können Ihre eigene Privatarmee halten, die sich um alles und alle kümmert, die Ihnen im Weg stehen. Wenn Sie wollen, können Sie sich einen ganzen Harem schöner Frauen leisten, und das hat Emmanuel innerhalb der letzten paar Jahre bereits getan. Stellen Sie sich also vor, wie ein solcher Bursche reagiert, wenn er der einen Frau begegnet, die er mehr begehrt als irgend sonst etwas, während ihr seine Visage gestohlen bleiben kann. Sein Geld nützt ihm dabei nichts, denn sie hat selber mehr davon, als sie je brauchen wird.« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Ich kenne Emmanuel. Er ist ein fetter kleiner Kerl mit einem Selbstbewußtsein, das größer ist als das Empire State Building. Ich halte es für durchaus möglich — ja sogar wahrscheinlich — , daß er sie entführt hat und sie an Bord seiner Jacht festhält.«
»Jacht?«
»Sultan II. Sie liegt jetzt in Cannes. Er verbringt den Juli und August immer an der Südküste Frankreichs.«
Ich sah zu, wie er sich mit unsicherer Hand erneut Bourbon ins Glas goß, und fragte ihn dann: »Meinen Sie das im Ernst?«
Er hob den Kopf, und seinem Gesicht war Überraschung anzusehen. »Ich habe in meinem ganzen verdammten Leben nie etwas ernster gemeint.«
»Sie wollen also, daß ich nach Cannes fliege, herausfinde, ob Emmanuel sie auf seiner Jacht gefangenhält; und wenn ja, wollen Sie, daß ich sie rette und hierher zurückbringe?«
»Ganz recht.«
»Das wird Emmanuel kaum recht sein, wenn er schon all die Mühe mit ihrer Entführung auf sich genommen und sie an Bord seiner Jacht gebracht hat«, sagte ich. »Das bedeutet also, daß ich mich gegen ihn, seine Mannschaft und vielleicht die halbe Privatarmee stellen muß, von der Sie eben gesprochen haben. Chloe hatte recht, als sie sagte, sie hätte einen Supermann erwartet. Das ist es auch, was Sie brauchen, Amory, einen Supermann — nicht mich.«
»Hören Sie zu, Holman!« Er starrte mich ein paar Sekunden lang finster an und schluckte mühsam seinen Zorn hinunter. »Es ist mir völlig egal, wie Sie das Ganze bewerkstelligen und was es kostet. Heuern Sie Ihre eigene Privatarmee an, wenn Sie glauben, Sie brauchen eine. Aber bringen Sie Leola heil und unversehrt hierher zurück. Ja?«
»Und für all das wollen Sie zweitausend Dollar zahlen?«
Er zog ein Scheckbuch aus der Innentasche seiner Jacke. »Sagen Sie mir wieviel, ich schreibe es hin. Die zweitausend waren dafür, daß Sie den Auftrag übernehmen.«
»Schreiben Sie fünftausend«, sagte ich, »damit sind auch meine Reisekosten nach Cannes gedeckt. Und das ist alles, was Sie für Ihr Geld kriegen. Keinerlei Garantien.«
Er zögerte einen Augenblick und zuckte dann die Schultern. »Ich glaube, Ihr Ruf ist eine ausreichende Garantie für mich, Holman.« Er schrieb den Scheck aus und gab ihn mir. »Wann können Sie losfahren?«
»Morgen«, sagte ich. »Ich werde die direkte Maschine nach Paris nehmen.«
»Gut. Wie wär’s mit einem Drink?«
»Im Augenblick nicht«, sagte ich. »Angenommen, Leola ist auf der Jacht, findet aber jede Sekunde ihrer Liaison mit Emmanuel herrlich?«
»Das ist unmöglich«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Aber da ist noch etwas, was Sie wissen müssen. Nehmen Sie sich vor einem Burschen namens Tolver in acht — Ray Tolver. In den rauhen alten Tagen war Tolver Emmanuels Adjutant. Er erledigte die schmutzige Arbeit, nahm die meisten Risiken auf sich. Er war derjenige, der dafür sorgte, daß all die Waffen geliefert wurden — selbst wenn die legale Regierung des betreffenden Landes Truppen einsetzte, um die Lieferungen zu verhindern. Soviel ich gehört habe, treibt er sich noch immer irgendwo im Hintergrund herum. Vielleicht steht er Emmanuels Privatarmee vor. Sehen Sie sich vor, wenn Sie ihm begegnen, Holman, er ist ein abgebrühter Kunde.«
»Ich werde daran denken«, sagte ich. »Gibt es sonst noch was, was Sie beinahe vergessen hätten?«
»Im Augenblick fällt mir nichts ein.« Er trank einen Schluck Bourbon und schüttelte den Kopf. »Nein, nichts.«
»Woher kommt es, daß Sie soviel über Emmanuel wissen?« fragte ich neugierig.
»Ich war derjenige, der ihn Leola vorgestellt hat.« Er fuhr leicht zusammen und schloß flüchtig die Augen. »Judas Amory — der Mann mit dem großen Herzen und dem Spatzenverstand. «
Ich überließ ihn seinem Bourbon und kehrte in den Patio zurück. Chloe Benton widmete sich nach wie vor ihrem Martini, aber einem frischen, wie ich vermutete. Ihre violetten Augen musterten mich kurz und ohne großes Interesse, bevor sie den Blick wieder abwandte. Es gab keinen Grund, weshalb Judas Holman sich, was Verrat betraf, nicht zu Judas Amory gesellen sollte.
»Sie glauben, Sie wüßten alles, aber Sie täuschen sich«, zitierte ich.
»Er hat Ihnen den Quatsch über Emmanuel erzählt, der das arme Mädchen auf seiner Jacht gefangenhält, während er es vor den Mahlzeiten mit ihr treibt, oder so was?« Sie ließ flüchtig die Zähne blitzen. »Und Sie haben ihm geglaubt?«
»Warum nicht?«
»Einen Augenblick lang«, sagte sie kalt, »kurz nachdem Sie eintrafen, dachte ich, Sie seien beinahe erwachsen.«
»Sie glauben Amory nicht?« Ich drängte auf Klarheit, denn ich bin ein simpler Mensch, der es schätzt, wenn die Dinge deutlich und einfach ausgesprochen werden.
»Leola geht auf Dreißig zu und ist erwachsen. Sie könnte mit Emmanuel fertig werden, während sie mit einer Hand Tee aus einem Samowar einschenkt und die andere auf ihrem Rücken festgebunden ist.« Chloe grinste boshaft. »Aber schließlich verschafft Ihnen das einen Freiflug nach Südfrankreich, nicht wahr?«
»Kennen Sie vielleicht einen Ort, wo ich eine bessere Chance habe, Leola zu finden?« erkundigte ich mich.
»Sie haben ganz recht.« Sie stellte ihr Glas neben das Stuhlbein und stand auf. »Es handelt sich um die Welt der Männer, und durch nichts kann ich euch beide aufhalten, eure kleinen Spiele zu spielen. Ich würde es als Wohltat empfinden, wenn Sie jetzt gingen, Holman. Daß Victor sich im Haus herumtreibt, ist schon übel genug, aber gleichzeitig zwei von eurer Sorte sind einfach zum Erbrechen.«
Sie streifte ohne Eile ihren Haremspyjama ab, bis sie in ihrem fleischfarbenen Trikot dastand, das es beinahe unmöglich machte, festzustellen, wo es anfing und sie aufhörte. Dann ging sie zum Rand des Swimming-pools und blieb dort so lange auf Zehenspitzen aufgerichtet stehen, daß ich jede der schwungvollen Kurven ihres Körpers würdigen konnte, bevor sie ins Wasser tauchte. Sie teilte es ohne jedes Aufklatschen und kraulte mühelos zur anderen Seite des Beckens und zurück. Ihr Kopf erschien über dem Rand, die glatte Kappe mitternachtsblauen Haares fest an die Kopfhaut geschmiegt.
»Sind Sie noch nicht weg?«
»Ich habe es mir gerade überlegt«, sagte ich. »Sie benehmen sich wie die größte Männerhasserin aller Zeiten, aber Sie scheinen von dem Gedanken, Leola wieder hier zu haben, gar nicht besonders begeistert zu sein — wo sie auch sein mag. Vielleicht gefällt es Ihnen, das Haus so zu haben, wie es ist, ganz allein, nur mit Victor zusammen zu sein.«
»Sie haben eine widerwärtige, dreckige Phantasie«, sagte sie wütend. »Hoffentlich macht Emmanuel Hackfleisch aus Ihnen und füttert Sie dann den Fischen!«