ZEHNTES KAPITEL
Willi stieg aus dem Wagen. Sie sah in einem zweiteiligen braun-weiß gestreiften Baumwollkleid fast züchtig aus und sah mich unsicher an. Ich nahm die Filmrolle in meine Linke, ergriff mit der Rechten ihren Ellbogen und schob sie in Richtung des Portico.
»Wir sind sehr früh dran«, sagte sie mit gepreßter Stimme. »Es ist erst sechs Uhr. Du sagtest, Raphael und die Smith seien nicht vor sieben da.«
»Vielleicht sind sie auch zu früh dran«, sagte ich. »Es wäre nicht höflich, sie warten zu lassen.«
»Woher weißt du, ob Victor und das Frauenzimmer, diese Benton, zu Hause sind? Sie können ebensogut auf Urlaub gefahren sein«, sagte sie erwartungsvoll.
»Sie sind zu Hause.« Ich schob sie zum Portico hinauf und drückte auf den Klingelknopf. »Ich habe die beiden heute vormittag angerufen und ihnen mitgeteilt, daß Leola und Emmanuel heute abend einträfen.«
»Warum hat dich das, was Cary über Victor gesagt hat, gestern abend so sehr gefreut?« sagte sie schnell. »Du wirst doch Victor nicht verraten, daß ich es dir weitererzählt habe?«
»Kein Grund zur Unruhe.« Ich grinste. »Du brauchst dir nicht die geringsten Sorgen zu machen.«
»Warum trägst du dann die Pistole unter der Jacke?« wimmerte sie schließlich.
Chloe Benton öffnete die Tür und ersparte mir damit, auf Willis eindringliche Frage eine vernünftige Antwort zu finden. Es sah so aus, als ob Donnerstag für alle weiblichen Wesen der züchtige Tag sei. Chloe trug eine frische weiße Bluse und einen enganliegenden schwarzen Rock. Von Kopf bis Fuß sah sie wie die leibhaftige tüchtige Sekretärin aus — von dem wie eine ordentliche Kappe ihren Kopf umgebenden blauschwarzen Haar bis zu den schwarzen Schuhen mit niedrigen Absätzen an ihren Füßen.
»Wenn ich mir’s genau überlege«, sie sah mich vorwurfsvoll an, »hätte Leola mir wirklich mitteilen können, daß sie heimkommt.«
»Ich habe es von Emmanuel gehört«, sagte ich leichthin. »Vielleicht glaubt Leola noch immer, es sei für Sie eine Überraschung.«
»Ich dachte, die beiden kämen erst um sieben?«
»Sie wissen doch, wie es mit der Fliegerei ist«, sagte ich vage. »Wir hielten es für besser, rechtzeitig da zu sein, als nach ihnen zu kommen.«
»Dann kommen Sie herein.« Sie trat von der Tür zurück. »Es steht Ihnen eine große Überraschung bevor — Victor ist an der Bar.«
Ich gab Willi einen sanften Schubs, der sie in den Flur beförderte, und folgte ihr. Chloe ging voran zum Wohnzimmer, mit steifem Rücken und mit Absätzen, die mit gezügelter Heftigkeit auf den Boden schlugen. Sie hatte recht gehabt. Amory saß an der Bar. Er thronte unbehaglich auf einem Hocker und hielt ein Glas in der Hand. Wäre nicht der angespannte Ausdruck in seinem bleichen Gesicht gewesen, hätte er in seinem bernsteinfarbenen Hemd und den braunroten Hosen ein Bild lässiger Eleganz geboten. Er wandte uns schnell den Kopf zu, als wir eintraten, und zwang sich zu einem Lächeln.
»Nun, die Sippe versammelt sich, wie ich sehe.« Das Lächeln verblaßte, während er mich anstarrte. »Nur weiß ich nicht, inwiefern Sie in die Sippe passen, Holman.«
»Emmanuel hat gesagt, es sei noch ein Platz frei«, antwortete ich. »So habe ich schnellstens meine Bewerbung eingereicht.«
»Es hat mich fünftausend Dollar gekostet, um Sie in mein Leben mit einzubeziehen.« Er blickte mürrisch in sein Glas. »Wenn ich Ihnen nun noch mal fünftausend zahlte, damit Sie wieder daraus verschwinden«, er wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf Willi, »und dieses läppische Fräulein mit sich nehmen, wäre das nicht ein Vorschlag, Holman?«
»Sie machen mich nervös«, sagte ich. »Ich brauche etwas zu trinken.«
»Besorgen Sie sich Ihren verdammten Drink selber«, sagte er trotzig.
Ich ging zur Bar, legte die Filmrolle auf die Platte und griff nach einem Glas.
Amory warf einen Blick auf den Film und grinste verächtlich. »Ein verteufelter Zeitpunkt, um selbstgestrickte Filme vorführen zu wollen.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst«, sagte Chloe leise.
Ich blickte zu ihr hinüber und sah, wie langsam alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. »Warum nicht?«
»Ich habe Ihnen schon mal gesagt, daß Sie ein Widerling sind, Holman.« Ihre Stimme klang unsicher, und sie hielt einen Augenblick inne, um sie wieder unter Kontrolle zu bringen. »Aber ich habe mir selbst im Traum nicht einfallen lassen, daß Sie so tief sinken würden.« Sie schüttelte heftig den Kopf, um die Tränen zurückzuhalten. Dann rannte sie plötzlich aus dem Zimmer.
Willi saß zusammengekauert auf dem Stuhlrand, die Hände zwischen den Knien verkrampft, und starrte wie gebannt auf ihre Füße, wie ein zutiefst verlegenes Kind, das so tut, als hörte es den Streit der Erwachsenen nicht.
»Chloe ist auf einmal so sensibel.« In Amorys Stimme lag ein Unterton von Unsicherheit. »Was haben Sie denn da eigentlich gemacht? Sie mit einer verborgenen Kamera beim Baden aufgenommen?«
»Wissen Sie was?« sagte ich in beiläufigem Ton. »Ich mache mir Sorgen um Sie, Victor. Warum fürchten Sie sich eigentlich fortwährend?«
»Spielen Sie nicht den Psychoanalytiker, Holman.« Er trank sein Glas mit einem schnellen Schluck leer.
»Wann hatten Sie am meisten Angst?« Ich grinste ihn an. »Damals, als Tolver mit einem Messer auf Sie losging, oder damals, als Leola Ihnen erklärte, Ihre Ehe sei im Eimer und sie ginge weg?«
Seine Hand begann zu zittern, während er nach der Flasche griff. »Treiben Sie’s nicht zu weit«, sagte er mit belegter Stimme.
»Ich wette, Sie wären nicht in Hollywood geblieben, Ehe hin, Ehe her, wenn Sie gewußt hätten, daß sich Tolver hier in diesem Land aufhält.« Ich lachte abschätzig. »Sie wären vor Entsetzen tot umgefallen, alter Freund.«
»Da täuschen Sie sich!« Ein kindisches, triumphierendes Funkeln erhellte seine Augen. »Ich wußte es! Damals, als ich vor sechs Monaten in Paris Emmanuel Leola vorstellte, war Cary dabei. Er erzählte mir, daß Tolver von Miami aus operiere. Mike Cary ist mein Freund.« Er nickte schnell zwei-, dreimal. »Ein wirklicher Freund. Er hat mir das Leben gerettet.«
»Dann habe ich mich geirrt«, gab ich zu. »Ich nehme an, Leolas Zuneigung zu Ihnen war stärker als ihre Angst vor Tolver, auch wenn Ihre Ehe zerbrochen war.«
»Sie wird zurückkommen.« Er trank schnell einen Schluck aus seinem frisch eingeschenkten Glas und fuhr sich dann mit dem Handrücken über den Mund. »Zermartern Sie sich deshalb nicht Ihr winziges Gehirn, Holman! Sie wird in aller Kürze auf Händen und Füßen zurückgekrochen kommen. Sie wird bald dahinterkommen, daß sie es allein nicht schafft. Ohne mich ist sie nichts — eine große Null.«
»Sie meinen doch wohl, Sie sind ohne sie eine große Null«, sagte ich verächtlich. »Schauen Sie doch bloß, wie Sie angerannt kamen, um hier in Leolas Haus zu leben, solange sie in Europa ist. Selbst Leolas Haus ohne die Hausbesitzerin war besser als gar nichts.«
»Sind Sie verrückt?« rief er. »Ich bin bloß um Chloes willen hierhergekommen. Sie rief mich ungefähr eine Woche nach Leolas Abreise an und sagte, sie kriege das Gruseln, hier so allein im Haus, selbst am Tag. Sie bat mich, ihr den großen Gefallen zu tun und hierherzuziehen, solange Leola weg sei.« Er trank noch einen Schluck und sprach dann mit normaler Stimme weiter. »Sie ist ein nettes Mädchen, diese Chloe. Sie und ich sind gute Freunde. Das waren wir immer, während meiner ganzen Ehe. Da sie mit Leola so gut stand, dachte ich erst, sie hätte vielleicht etwas dagegen, daß ich ihre Chefin heiratete und hier einzog. Aber das war nicht so, und wir kamen gut miteinander aus.« Er grinste und senkte die Stimme zu einem vertraulichen Halbgeflüster. »Verstehen Sie mich nicht falsch! Es ist, wie ich gesagt habe, wir waren nichts weiter als gute Freunde, und mehr war da nicht.« Er grinste selbstgefällig. »Natürlich wußte ich genau, daß ich bloß mit dem kleinen Finger hätte zu winken brauchen — « Er zuckte ausdrucksvoll die Schultern. »Aber ich war nur auf eine Frau konzentriert, und das war Leola. Unangenehm für Leola, man kann eine Menge zu ihren Gunsten sagen, wenn man sie bloß mal näher ansieht! Wirklich Pech für sie, was?«
»Sie laufen aus wie ein leckes Wasserfaß«, knurrte ich.
»Wer hat, der hat.« Er grinste erneut. »Sie haben’s nicht, Holman, soviel ist sicher.«
Es klingelte an der Haustür, und seine Hand zuckte plötzlich, so daß etwas aus seinem Glas auf die Bar spritzte. Man hörte eilige Schritte, die der Haustür zustrebten, dann trat Stille ein. Ich warf einen Blick auf meine Uhr und stellte fest, daß es zwanzig nach sechs war. Es war mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß Emmanuel sieben Uhr angegeben hatte, um sich innerhalb des Hauses zurechtgefunden zu haben, bevor ich hinkam, und um Zeit zu einer intimen Unterhaltung sowohl mit Victor als auch mit Chloe zu haben. Gleich darauf näherten sich Schritte dem Wohnzimmer. Willi schien noch mehr in sich zusammenzuschrumpfen, während Amory sein Glas austrank und erneut nach der Flasche griff.
Leola Smith betrat als erste das Zimmer. Sie trug einen Robin-Hood-Hut, den sie weit über die dunkle Brille heruntergezogen hatte, einen schimmernden Vinyl-Regenmantel und kniehohe schwarze Stiefel. Sie sah aus wie die Heldin eines dieser alten Spionagefilme aus den dreißiger Jahren, in denen man die Schurken immer sofort erkannte, weil sie gebrochen englisch sprachen und niemals ihre Hüte abnahmen. Chloe umklammerte fest ihren Arm und führte sie zur Couch, als wäre sie eine kleine alte Lady. Victor starrte sie mit dem Ausdruck törichter Bewunderung an, wie man ihn gelegentlich in den Augen eines Schoßhundes sieht, und räusperte sich ein paarmal in dem entschlossenen Bemühen, etwas zu sagen; aber dann verließ ihn der Mut, und er hob statt dessen das Glas an die Lippen.
Emmanuel erschien auf der Schwelle in einem konservativen dunklen Anzug, in dem er aussah wie der Präsident irgendeiner ausländischen Bank eines fernen Erdteils, die lediglich Kriege und Hungersnöte finanziert. Er wartete, bis er jedes einzelne Gesicht eingehend gemustert hatte, dann ging er zur Mitte des Zimmers. Vier Schritte hinter ihm kam Cary in einem noch konservativeren Anzug, in dem er wie ein gutangezogener Strolch aussah.
»Mr. Holman.« Emmanuel neigte eine Spur den Kopf. »Wie Sie sehen, bin ich sofort nach dem Eintreffen Ihres mysteriösen Telegramms gekommen.« Das schrille Kichern kam und ging wie der Punkt nach einem Satz. »Ich nehme doch wohl an, daß Sie mich nicht enttäuschen werden, nachdem wir so schnell so weit geflogen sind?«
»Hoffentlich nicht, Mr. Emmanuel«, sagte ich höflich.
»Victor, mein guter Freund.« Er strahlte Amory an. »Wie geht es Ihnen denn?«
»Immer gleich.« Amory grinste nervös. »Miserabel.«
Emmanuel hatte bereits das Interesse verloren. Er wandte langsam den Kopf und blickte Willi an. »Und wie gefällt es meinem Täubchen in Amerika?«
»Sehr gut, vielen Dank, Raphael«, sagte sie mit klarer, dünner Stimme.
»Dann wären wir also alle beisammen.« Er nickte schnell. »Ich habe Mike mitgebracht, weil er Tolver als seine persönliche Angelegenheit betrachtet.« Er machte eine hilflose Handbewegung und betrachtete Cary mit tolerantem Lächeln. »Ich kann mich nicht mit ihm darüber streiten.«
»Victor«, Cary tat zum erstenmal den Mund auf, »wie wär’s mit was zu trinken?«
»Na klar, alter Freund.« Amory suchte angestrengt nach einem frischen Glas und griff nach der Flasche. »Trinken Sie immer noch Scotch?«
»Auf diese Weise ist Mr. Emmanuel reich geworden.« Cary lachte kurz. »Er hat die ganze Brennerei aufgekauft, die meine Leib- und Magenmarke herstellt.«
»Na, so was!« Amory brach in Gelächter aus.
»Sehr komisch.« Emmanuel nickte schnell, machte eine kleine abwehrende Handbewegung, und die beiden waren plötzlich still. »Die Zeit für Späßchen kommt später — vielleicht. Jetzt muß Ernst gemacht werden.« Er ging zur Couch, setzte sich neben Leola Smith und schlug dann bedächtig die Arme über der Brust übereinander. »Bitte, fangen Sie an, Mr. Holman.«
Ich erzählte ihm die ganze Geschichte von dem Zeitpunkt an, als ich den falschen Mierson in seinem Büro entlarvte, bis zu dem Augenblick, als ich das verfallene Motel fünfundsiebzig Kilometer weiter oben im Norden verlassen hatte. Ich versuchte, mich kurz zu fassen, aber trotzdem dauerte es ziemlich lange, bis ich fertig war. Als ich geendet hatte, betrachteten mich seine graubraunen Augen mit der kaltblütigen Berechnung eines Piranha-Fischs.
»Sie behaupten, der echte Mierson sei von Tolver dahingehend instruiert worden, er solle Sie ein paar Tage hinhalten, während der er sich angeblich mit Tolver in Verbindung setzen wollte? Aber dann erzählen Sie, Tolver sei seit über drei Wochen tot gewesen und in der Scheune vergraben worden?«
»Entweder hat Mierson gelogen oder jemand hat Tolvers Stimme imitiert, als Mierson angerufen wurde«, sagte ich. »Aber Tolver ist wirklich tot. Ich kann es beweisen.«
»Wie wollen Sie das beweisen?«
Ich hob die Filmrolle, so daß er sie sehen konnte. »Lassen Sie das mal durch den Projektionsapparat laufen. Es dauert nicht lange.«
Leola Smith wandte Willi den Kopf zu. »Haben Sie ihm alles erzählt?«
Willi nickte schnell. »Zum richtigen Zeitpunkt, wie Sie gesagt haben.«
Leola legte den verrückten Hut ab, und ihr kurzes blondes Haar, nun befreit, bauschte sich in sanften Wellen. Dann nahm sie die dunkle Brille ab und blickte mich an. Die lebhaften blauen Augen hatten etwas völlig Leeres. Dann trat schnell ein Ausdruck eiskalter Verachtung in sie.
»Ich hätte mein Leben in keine besseren Hände legen können, Mr. Holman. Oder?« fragte sie leise.
Emmanuel zuckte ungeduldig die Schultern, ohne etwas zu verstehen und leicht irritiert dadurch, daß er von wichtigen Fragen abgelenkt wurde. »Na gut, Mr. Holman. Wir werden uns Ihren Film ansehen.« Er stand auf und winkte Cary. »Begleiten Sie die Laches schon hinüber, Mike.«
Er wartete, bis Cary die drei Frauen aus dem Zimmer geschoben hatte, und kicherte dann. »Victor?«
»Ja, natürlich.« Amory stellte zögernd sein Glas hin und schlurfte dann durchs Zimmer, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. »Ich war schon immer scharf auf Privatfilme.«
Emmanuel verschränkte sorgfältig die Finger und sagte kein Wort, bis Amory das Zimmer verlassen hatte.
»Ich bin sehr bestürzt, Mr. Holman.« Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern. »Wenn Sie, wie Sie behaupten, beweisen können, daß Tolver seit mehr als drei Wochen tot ist, dann kann er Miss Smith’ Tochter nicht entführt haben.«
»Ganz recht«, pflichtete ich bei. »Miss Smith’ Tochter ist niemals entführt worden. Ihre eigene Mutter hat sie aus der Schule in der Schweiz weggenommen, sie heimlich hierhergebracht und sie Miss Bentons Obhut übergeben, um sie so in Sicherheit zu bringen.«
»Wollen Sie behaupten, sie hat mich hereingelegt?«
»Vielleicht blieb ihr nichts anderes übrig. Ich würde, was Miss Smith anbelangt, nicht zu voreiligen Schlüssen kommen«, sagte ich.
»Ich würde in diesem Augenblick sehr gern lachen, aber ich schaffe es nicht.« Er strich sich mit der Spitze seines rundlichen Zeigefingers über den Schnurrbart. »Vielleicht sollten wir zu den anderen hinübergehen?«
Alles saß wartend da, als wir den Vorführraum betraten. Emmanuel setzte sich allein in die vorderste Reihe. Ich schaltete den Projektor ein und legte den Film ein. Dann knipste ich das Licht aus und ließ den Film laufen. Es hat mir noch nie Spaß gemacht, einen Film zweimal anzusehen, und so rauchte ich währenddessen gemütlich eine Zigarette und konzentrierte mich lediglich auf den interessantesten Teil — die letzten zehn Sekunden. Die Leinwand wurde leer, ich schaltete den Projektionsapparat aus und das Licht wieder ein. Alle saßen da, wo sie gesessen hatten, und starrten stur auf die leere Leinwand, als hofften sie auf einen lustigen bunten Zeichentrickfilm.
Ungefähr zehn Sekunden später stand Emmanuel auf und drehte sich langsam um, so daß er die anderen ansah.
»Nun wissen wir also, wie Tolver gestorben ist und wer ihn umgebracht hat. Der Mann, der Miss Smith’ Tochter entführt hat, war tot, bevor die Entführung stattfand. Vielleicht spielte das gar keine Rolle.« Er lachte kurz. »Weil es nämlich überhaupt nicht geschehen ist. Es sei denn, Sie bezeichnen es als Entführung, wenn eine Mutter ihr Kind von der Schule nimmt und es der Obhut ihrer Privatsekretärin überläßt.«
Chloe Benton wandte plötzlich den Kopf und zischte: »Wenn es auf der Welt irgendeine Gerechtigkeit gäbe, Holman, lägen Sie jetzt in dieser Scheune neben Tolver!«
»Vielleicht.« Ich zuckte die Schultern. »Nachdem ich jetzt diesen Film zum zweitenmal gesehen habe, fasziniert mich etwas daran. Es handelt sich um einen Stummfilm, also konnten wir den Knall, als Miss Smith die Pistole abgedrückt hat, nicht hören. Wir sahen aber eine Rauchwolke aus dem Lauf kommen. Wir sahen den entsetzten Ausdruck auf Tolvers Gesicht, als er realisierte, daß auf ihn geschossen worden war. Wir sahen, wie seine Beine unter ihm nachgaben, als er halb auf den Toilettentisch fiel, und dann, wie er abglitt und auf den Boden stürzte. Was wir nicht gesehen haben, ist Blut.«
»Mr. Holman«, sagte Emmanuel mit brüchiger Stimme. »Sie machen die Verwirrung nun vollkommen.«
»Angenommen, jemand, der Miss Smith nicht sehr gut leiden kann, hat einem anderen vorgeschlagen — der seinerseits Tolver nicht sehr gut leiden mochte — , es gäbe da eine Möglichkeit, nicht nur alte Rechnungen zu begleichen, sondern auch einen Haufen Geld dabei zu verdienen? Also wurde alles bis ins Detail geplant. Die beiden wußten, daß Tolver in Miami und dazu fast pleite war, weil ihm eine eisenhaltige Ladung nach Cuba verlorengegangen war. Also berichtete ihm jemand von Mr. Emmanuels tiefen Empfindungen für Miss Smith und ebenso von deren Liebe zu ihrer Tochter. Tolver setzte sich mit Miss Smith in Verbindung und erklärte ihr, er wisse, daß Emmanuel vorhabe, ihre Tochter zu entführen, um sie, Miss Smith, seinen Wünschen gefügig zu machen. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, sei, sofort ihre Tochter aus der Schule zu nehmen, sie nach Amerika zu bringen und sie bei jemandem zu verstecken, dem sie vertrauen könne. Dann sollte sie selber für ein paar Wochen verschwinden, denn Emmanuels Leute würden nach ihr suchen, um durch sie einen Hinweis auf den Verbleib ihrer Tochter zu bekommen. Tolver sagte, er könne ihr zu einem gewissen Preis ein Versteck bieten. Entführung sei nicht sein Fall, aber ein paar tausend Dollar für erwiesene Dienste von Miss Smith wären wohl angemessen.
Miss Smith war dankbar, daß er sie wegen der Entführung gewarnt hatte, und sie hatte nach wie vor Angst um ihre Tochter. Also nahm sie sein Angebot an, und er versteckte sie in dem verfallenen Motel, das er aus irgendeinem anderen Grund vor zwei Jahren gekauft hatte. Miss Smith war seine Gefangene, aber das wußte sie nicht — noch nicht. Dann fand Tolvers Freund — der mit den guten Einfällen — , es sei an der Zeit für den nächsten Schritt. Miss Smith mußte klargemacht werden, daß sie Tolvers Gefangene sei, und er sollte sie konstant demütigen, bis sie selber den Boden unter seinen Füßen zu hassen anfangen würde. Die Kamera wurde an dem Guckloch in der Kabine nebenan installiert und alles vorbereitet. Die Kamera läuft, während sich im Nebenraum das kleine Drama abspielt, das wir eben gesehen haben. Zwei von Tolvers Leuten, vielleicht Walsh und Lennie, kommen hereingestürzt und schleppen Tolvers Leiche weg. Tolver steht auf und erzählt seinem >Freund<, daß die Sache ein großartiger Erfolg war. >Stell dir vor, ich bin tot!< Tolver brüllt vor Lachen. >Ganz recht< sagt sein Freund, zieht die Pistole heraus und erschießt ihn.
Dann brachte der >Freund< Miss Smith hinaus in die Scheune, um ihr zu zeigen, wie Tolver dort in der Erde verscharrt wird, und sie ist jetzt völlig überzeugt, ihn umgebracht zu haben. Der nächste Schock befällt sie, als der >Freund< ihr den Film vorführt. Dann läßt er ihr die Wahl: Entweder zieht sie an seinem Strang und gibt vor, ihre Tochter sei entführt worden, oder sie müsse einem Mordprozeß mit dem Film als überwältigendem Beweismaterial entgegensehen. Vielleicht würde sie mit ein paar Jahren Gefängnis wegkommen, sagt der >Freund<, aber ihre Karriere wäre ruiniert. Und was würde das für ihre Tochter bedeuten? Miss Smith sieht keinen Ausweg und stimmt zu. Die Lösegeldforderung kommt angeblich von Tolver. Es muß auf sein vermeintliches Konto einbezahlt werden, auf eine Bank in der Schweiz. Alles ist ganz einfach. Ein Toter ist der Schurke.«
»Ich bin fasziniert von diesem Freund«, sagte Emmanuel mit düsterer Stimme. »Hat er einen Namen?«
Ich sah, wie Carys Augen flackerten, und zog meine Achtunddreißiger aus der Gürtelhalfter. »Sitzen Sie ja still«, sagte ich, mit der Pistole auf ihn zielend. »Keine plötzlichen Handbewegungen, bitte. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, mich nervös zu machen. Jedenfalls solange ich eine Pistole genau auf Sie gerichtet habe.«
»Mike?« Emmanuels Stimme klang aufrichtig verletzt.
»Wer sonst?« knurrte ich. »Wer Walsh den Tip geben konnte, daß ich kommen würde, so daß dieser bei dem Telefongespräch mit Mierson Tolvers Stimme imitieren und Mierson anweisen konnte, mich an der Nase herumzuführen, mußte in Cannes sein. Niemand sonst wußte, daß Sie mich engagiert hatten, um Tolver und Klein Leola zu suchen. Es mußte jemand an Bord der Jacht sein. Miss Smith? Sie? Cary? Viel mehr blieb nicht übrig. Ich vermute, er hoffte, ich würde geradewegs zu dem Motel fahren, aus dem das Mädchen angeblich entführt worden war, und dort würden Walsh und Lennie auf mich warten, um mich neben Tolver in der Scheune zu verscharren. Falls ich aber zuerst zu Mierson ging, sollte dieser mich hinhalten, bis ich ungeduldig wurde. Die Wahrscheinlichkeit war dann groß, daß ich die Zeit damit ausfüllen würde, zum Motel hinauszufahren. Cary fälschte sogar den Scheck in einer so offensichtlichen Weise, daß man mich, wenn ich irgendwo an der falschen Stelle von Waffeneinkäufen quatschen würde, dort für einen Schwindler oder Verrückten halten mußte.«
Leola Smith blickte mich an und lächelte plötzlich. »Wissen Sie was, Mr. Holman? Ich hatte recht! Ich konnte mein Leben in keine besseren Hände legen. Oder?« Das Lächeln schwand, als sie Emmanuel ansah. »Alles, was Mr. Holman gesagt hat, ist im wesentlichen wahr, Raphael, abgesehen von einigen Details natürlich. Es tut mir leid — aber mir blieb keine Freiheit der Entscheidung. Cary hatte mich in der Hand, während ich auf Ihrer Jacht war. Es war von Anfang an seine Idee.«
»Von Anfang an nicht«, sagte ich kalt.
»Was?« Sie starrte mich verblüfft an.
»Cary ist ein gerissener Organisator, der alle Details ausdachte und für ihre Durchführung sorgte«, gab ich zu. »Aber er konnte ursprünglich gar nicht auf den Gedanken gekommen sein.«
»Warum nicht?« fragte Emmanuel plötzlich.
»Weil er Miss Smith gar nicht genügend kannte. Es mußte jemand sein, der ihr wirklich nahestand, bevor das Ganze ins Rollen gebracht werden konnte. Jemand, der nicht nur Ihre Empfindungen für sie kannte, sondern auch jemand, der über die Tochter und die Schweizer Schule ganz genau Bescheid wußte, der auch wußte, wie, wann und wo Tolver sich zum erstenmal mit ihr in Verbindung setzen konnte, lauter solche Details. Danach brauchte man nur noch Cary Bescheid zu sagen und sich hinzusetzen und abzuwarten.«
»Wie könnte jemand, der mir so nahesteht, wünschen...« Leolas Stimme schwankte plötzlich.
»Ich glaube, dazu muß Sie jemand gründlich hassen«, sagte ich in entschuldigendem Ton.
»Jemand, der mich und auch Tolver haßte.« Sie starrte mit aufdämmerndem Entsetzen zu Amory hinüber.
»Nein.« Er schüttelte wie benommen den Kopf. »Ich nicht, Leola, das schwöre ich dir.«
»Er hatte eine Todesangst vor Tolver«, sagte Chloe mit kalter, bitterer Stimme. »Er war sicher, daß Tolver ihn umgebracht haben würde, wenn nicht sein bester Freund, Mike Cary, sich eingemischt hätte. Er konnte einfach nicht glauben, daß nach der Scheidung mit Leola alles aus sei. Was er nicht ertragen kann, ist, abgewiesen zu werden. Deshalb fing er ja auch an zu saufen. Vorsicht vor Schwächlingen, sie verstehen besser zu hassen als irgend jemand sonst!«
Amory sah sich verzweifelt um, seine Augen suchten in jedem Gesicht nach einer Spur von Zweifel. Dann schüttelte er wieder blindlings den Kopf. »Leola weh tun?« murmelte er. »Das könnte ich nicht. Niemals! Ich...« Er verstummte und wischte sich dann unwillkürlich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich brauche was zu trinken.«
»Das Raffinierteste am Ganzen war, daß Amory derjenige war, der mich beauftragt hat, herauszufinden, wo Miss Smith sei, und mir dabei vorschlug, als Ausgangspunkt für die Suche Emmanuels Jacht aufs Korn zu nehmen«, sagte ich leise. »Mit anderen Worten, er selber hat den Stein ins Rollen gebracht.«
»Ich verstehe Sie, glaube ich, nicht recht«, sagte Emmanuel mürrisch.
»Wenn die ganze Idee auf seinem Mist gewachsen wäre«, knurrte ich, »wozu, zum Teufel, hätte er mich dann beigezogen? Wozu sollte er mich geradewegs auf Ihre Jacht schicken, wo ich nicht nur unter Umständen Miss Smith finden, sondern auch noch in Carys Pläne hineinpfuschen konnte? Es gibt außer Amory immerhin noch eine andere Person, die in Frage kommt.«
»Eine andere Person?« Amorys Mund blieb vorübergehend offen. Dann verriet der verblüffte Ausdruck in seinen Augen, daß er begriffen hatte.
»Das Mädchen, das sich in den Mann verliebte, den ihre Chefin geheiratet hatte«, sagte ich müde. »Das Mädchen, daß sie zu hassen begann, weil der Mann, auch nachdem er geschieden war, nach wie vor so an seiner Frau hing, daß er die attraktive Sekretärin nicht einmal beachtete! Sie hat mir selber gesagt, daß sie die Geschichte von dem Kampf an Bord der Jacht tausendmal gehört hatte. Sie wußte, wie sehr er Tolver haßte. Sie hatte davon gehört, daß ihre Chefin und Mr. Emmanuel in Paris nicht gut miteinander zu Rande gekommen waren. Und sie wußte eine Menge über Mr. Emmanuels besten Freund Mike Cary. Es konnte nicht schwer für sie sein...«
»Hören Sie auf, Holman«, sagte Chloe mit harter, kalter Stimme. »Ich habe es satt, mir hier Ihr Gequatsche weiter mit anzuhören.« Sie blickte auf Leola und lachte laut über deren betroffenes Gesicht. »Wie ich Sie gehaßt habe«, flüsterte sie. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich Sie gehaßt habe. Der große Filmstar mit den drei geplatzten Ehen und all das Gewäsch, daß Sie weggehen müßten, um wieder zu sich selber zu finden. Sie sind ein komplett selbstsüchtiges Luder, und außer Ihnen selber hat nie in Ihrem Leben jemand auch nur für fünf Sekunden eine Rolle gespielt. Das gilt auch für Ihre Tochter. Sie ist schon jetzt Ihr Ebenbild.« Sie lachte erneut. »Warten Sie bloß noch fünf Jahre, wenn sie siebzehn ist und Sie neben ihr wie eine alte Vettel aussehen! Dann werden Sie Ihr Bestes tun, sie zu überreden, in ein Kloster einzutreten!«
»Klein Leola!« Leolas Gesicht verzerrte sich. »Wo ist sie?«
»Keine Sorge, es geht ihr ausgezeichnet«, sagte Chloe verächtlich. »Zufällig mag ich das Kind gern, weil es wenigstens äußerlich nach seinem Vater schlägt und nicht nach Ihnen. Sie ist bei Mrs. Copples, Ihrer früheren Haushälterin, untergebracht und genießt dort jede Sekunde ihres Daseins. Sie können sie jederzeit abholen.«
»Ich bin vermutlich entlassen, was?« sagte Cary plötzlich.
Das verblüffte selbst Chloe Benton für einen Augenblick. Sie starrte ihn an, während ihre Augenbrauen fast im Haaransatz verschwanden.
»Das wird Ihre geringste Sorge sein«, sagte Emmanuel und kicherte.
»Warum?« Cary verzog verächtlich den Mund. »Wir haben eben einen Film gesehen, in dem die Smith Tolver erschoß. Für mich war das ein Beweis. Holman hat dann zwar behauptet, ich hätte ihn in Wirklichkeit erschossen, aber dafür scheinen mir keine Beweise vorhanden zu sein.«
»Soviel ich mich erinnere, waren Sie zu dem Zeitpunkt, als es passierte, in Kanada«, sagte Emmanuel. »Sie können ebensogut in Kalifornien gewesen sein.«
»Oder in Saudi-Arabien«, sagte Cary spöttisch. »Eins ist sicher — wenn Sie die Smith auf den Zeugenstand bringen und sie ihre Geschichte erzählen lassen, so bezweifle ich, daß Sie, wenn Sie nichts Besseres zu bieten haben, bei einem Staatsanwalt großen Enthusiasmus erregen werden. Und ganz besonders bezweifle ich, daß der große Filmstar gern seine Karriere in die Pfanne haut, indem er der Welt die schmutzige Geschichte erzählt, die Holman soeben zum besten gegeben hat. Sie können also überhaupt nichts unternehmen, und ich haue jetzt ab.«
»Sie bleiben, wo Sie sind, Cary«, fauchte ich.
Er blickte auf die nach wie vor auf ihn gerichtete Pistole und zuckte die Schultern. »Dann sitze ich eben noch ein paar Minuten rum und warte, was der große Filmstar zu sagen hat.« Er blickte auf Emmanuel und grinste spöttisch. »Und der große Multimillionär, der sich von einem Frauenzimmer, auf das er scharf war, an der Nase hat herumführen lassen. Mann, wenn die Geschichte auf den ersten Seiten der Zeitungen erscheint, wird es ein Gelächter geben, wie es die Welt noch nicht gehört hat.«
Chloe kicherte, als sie den grünlichen Schimmer auf Emmanuels Gesicht sah, und mischte sich dann ein. »Zwei große Filmstars, Mike«, sagte sie schadenfroh. »Vergiß unseren Helden nicht, Victor Amory! Kannst du dir vorstellen, wie seine glühenden Verehrerinnen in seinen nächsten Film rennen werden, nachdem sie gehört haben, was für ein rückgratloser Säufer er im normalen Dasein ist?«
»Ja.« Er nickte zustimmend. »Und vergiß Holman nicht. Er wird erhebliche Scherereien haben, wenn er der Polizei erzählt, daß er vergessen hat, einen Mord zu melden, obwohl er genau weiß, wo Tolver begraben liegt. Ganz zu schweigen von Gil Walsh und Lennie. So viele unerklärbare, ungemeldete Leichen, na!«
»Ich glaube, wir brauchen jetzt nicht länger hierzubleiben«, sagte Chloe vergnügt. »Du kannst mir beim Packen helfen, dann verschwinden wir von hier.« Sie kicherte. »Willst du deinem Boss, dem Fettsack, noch adieu sagen, bevor wir gehen?«
Sie standen beide auf, und Chloe stellte sich schnell vor Cary. »Wenn Sie entschlossen sind, abzudrücken, Holman, müssen Sie zuerst auf mich schießen.«
»Mr. Holman?« Emmanuel blickte mich an, und seine graubraunen Augen waren schmerzerfüllt. »Sie haben recht. Wir alle haben zuviel zu verlieren, wenn diese ganze Geschichte je vor Gericht erzählt wird. Die einzigen, die tot sind, sind die, die es verdient haben — Tolver und die beiden Männer, die Sie zwangen, Ihr eigenes Grab zu schaufeln.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Der Preis ist zu hoch, Mr. Holman. Lassen Sie sie laufen.«
Ich zögerte ein paar Sekunden und steckte dann langsam die Achtunddreißiger in die Gürtelhalfter zurück.
»Gehen Sie beiseite, Holman, Sie stehen uns im Weg!« sagte Chloe boshaft, während sie direkt auf mich zukam.
Ich trat beiseite, um sie vorübergehen zu lassen, und als Cary bei mir angelangt war, holte ich aus und verpaßte ihm mit aller Kraft, die mir zur Verfügung stand, einen Schlag, der ihn gerade oberhalb der linken Niere traf. Er gab einen leisen Wimmerlaut von sich und ging auf ein Knie nieder. Sein Gesicht war schmutziggrau.
»Das war ich Ihnen schuldig«, sagte ich. »Sie haben mir auf der Jacht eins mit der Pistole übergezogen. Erinnern Sie sich?«
Chloe beugte sich zu ihm hinab, mitleidige Laute von sich gebend, und half ihm wieder auf die Beine. Er warf einen Blick in mein Gesicht und kam zu dem Schluß, es sei besser, klein beizugeben. Dann hinkte er, sich auf Chloe stützend, aus dem Zimmer.
»Ich muß Klein Leola holen«, sagte Leola Smith mit gepreßter Stimme.
»Ich fahre dich hin«, erbot sich Amory voller Eifer.
»Gut.« Sie lächelte ihn nachdenklich an. »Du nimmst ein großes Risiko auf dich, Victor, dich so sehr dem Zugriff des Todes zu nähern.«
»Du hast kein Herz, und ich habe keinen Mumm.« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht brauchen wir einander?«
»Laß uns Zeit«, murmelte sie. »Aber fang nicht jetzt damit an.«
Sie verließ das Zimmer, während er beseligt hinter ihr hertrottete, und ich fragte mich verdrossen, ob er es je lernen würde. Einen Schoßhund konnte sie in jeder Tierhandlung erstehen.
Willi trat neben mich, sah mich mit großen runden Augen an und schob dann ihre Hand in die meine. Emmanuel kam auf uns zu, nervös an seinem Schnurrbart herumfingernd.
»Ich muß Ihnen danken, Mr. Holman, daß Sie mir das Lösegeld erspart haben, das ich für Miss Smith bezahlt hätte. Drei Millionen Dollar!«
»Selbst Cary konnte nicht so optimistisch sein.« Ich grinste ihn an. »Wieviel war es denn in Wirklichkeit?«
»Na schön!« Er seufzte leise. »Ich dachte, es könne nicht schaden, wenn ich Miss Smith mit dem großen finanziellen Opfer, das ich für sie zu bringen bereit war, ein bißchen beeindrucken würde. Es waren zweihunderttausend Dollar, wenn Sie’s genau wissen wollen. Ich stehe in Ihrer Schuld, Mr. Holman.«
»Dann stellen Sie mir einen Scheck aus«, sagte ich.
»Das werde ich tun.« Er blickte Willi an und lächelte. »Ich habe das Gefühl, daß Hollywood der richtige Ort für dich ist, mein Täubchen. Du hast alle erforderlichen Eigenschaften. Die physischen sind aufs erfreulichste offensichtlich, aber ich dachte an die sogar noch wichtigeren. Ein reines Raubtiergemüt, Raffinesse und ein erbarmungsloses und ausschließliches Interesse an deinem eigenen Wohlergehen. Du wirst es weit bringen, Willi.«
»Danke, Raphael«, sagte sie schicksalsergeben.
»Ich überlasse dich Mr. Holmans fähigen Händen. Später werde ich ihm einen Scheck für erwiesene Dienste schicken. Und dir auch. Ich habe ein plötzliches Bedürfnis nach neuen Gesichtern und einem Kulissenwechsel. Vielleicht verkaufe ich die Jacht und kaufe statt dessen irgendwo eine kleine Privateisenbahn. Kann ich von hier aus ein dringendes Ferngespräch führen, Mr. Holman?«
»Dort drüben«, sagte ich, führte ihn in den hinteren Teil des Wohnzimmers und überließ ihn seinem Telefongespräch.
Wir warteten auf der vorderen Veranda auf ihn, und er erschien ein paar Minuten später mit strahlendem Lächeln. »Wie reizend von Ihnen, mir auf Wiedersehen sagen zu wollen. Ein Mann, der so reich ist wie ich, weiß kleine Freundlichkeiten immer zu schätzen, weil sie für ihn so selten sind.« Er kniff Willi spielerisch ins Kinn. »Ich werde Privatkopien von all deinen Filmen anfertigen lassen und vor meinen Bekannten damit protzen, daß ich dich einmal gut gekannt habe.« Dann strahlte er mich an. »Ich würde mich über das, was sich jetzt am Ende der Sache ereignet hat, an Ihrer Stelle nicht erregen. Wissen Sie? Ich bin der festen Ansicht, daß die Gerechtigkeit siegen wird, selbst wenn sie dazu Schleichwege benutzt. Ich bin ganz sicher, daß die beiden bekommen werden, was sie verdienen.« Er. kicherte plötzlich. »Ich habe ein überaus erfolgreiches Telefongespräch geführt.«