6

 

Ferrell mußte Anfang Vierzig sein, versuchte aber krampfhaft, wie ein junger Dreißiger zu wirken. Er trug sein dunkles Haar modisch lang und zerzaust, aber der Schnurrbart hing depressiv nach unten. Die trüb-dunklen Augen saßen tief in ihren Höhlen, und sein Mund erinnerte mich mit seinen dünnen Lippen an eine Stahlfalle. Er trug einen blauen, glänzenden Anzug mit einem Ton-in-Ton-Hemd und abstrakt gemusterter Krawatte. Schuhe mit Plattformsohlen vervollständigten das Bild.

»Warum sollte irgend jemand Lessinger umbringen wollen?« Seine Stimme klang verärgert, und er kaute ständig an seinem Daumen herum. »Ich meine, warum gerade wegen des Iris-Merivale-Films? Das verdammte Projekt ist so gut wie gestorben!«

»Ich hatte die Hoffnung, daß Sie mir bei der Aufklärung dieser Frage helfen könnten«, sagte ich. »Vielleicht steht Lessinger kurz vor dem Erfolg, ohne es selbst zu wissen. Jemand anderer ist sich darüber klar und will ihn stoppen.«

»Total verrückt!« Heftig schüttelte Ferrell den Kopf. »Niemand kann das Geschäft ohne meine Zustimmung abschließen. Ich beabsichtige nicht, den Film zu vollenden, jedenfalls nicht in Zusammenarbeit mit Lessinger und seinen Partnern. Das wäre ja, als würde man ein Geschäft mit der Mafia machen und auf glückliche Heimkehr hoffen.«

»Meinen Sie Blair?« half ich nach.

»Sie liegen gottverdammt richtig, ich meine Blair«, fauchte er. »Wissen Sie, wie er zu seinem Geld gekommen ist?«

»Nein.«

»Das weiß auch sonst niemand. Jedenfalls ist es dreckiges Geld, das steht fest. Kennen Sie den Gorilla, den er immer mit sich herumschleppt?«

»Jake?«

»Jawohl, den!« sagte er verbittert. »Dieser Kerl jagt mir eine Gänsehaut ein, wissen Sie das?«

»Ich glaub’s Ihnen ja«, antwortete ich. »Haben Sie jemals einen Mann namens Mike Rawlins kennengelernt?«

»Glaube ich nicht.« Er musterte mich mißtrauisch. »Warum? Ist er wichtig?«

»Er ist der Mann, der versehentlich an Hal Lessingers Stelle erschossen wurde«, sagte ich bedächtig. »Oder vielleicht war es auch gar kein Versehen. Lessinger hatte ihn angestellt in der Absicht, über die Beteiligten Schmutz auszugraben. Damit er ein Druckmittel in der Hand hatte, um diesen Film fertigstellen zu können. Vielleicht hatte Rawlins solchen Schmutz gefunden.«

Ferrell ließ den Blick durch sein kleines Wohnzimmer schweifen, während er darüber nachdachte. Viel gab es da nicht zu sehen: Möbel, die reif für den Müllplatz waren, und eine Aussicht auf den abblätternden Putz des gegenüberstehenden Hauses.

»Schmutz«, überlegte Ferrell. »Jedenfalls Informationen für Lessinger, die er zur Erpressung benutzen konnte.«

»Etwas in dieser Richtung, jawohl«, nickte ich.

»Aber nicht über mich!« Er straffte die Schultern. »Glauben Sie, daß ich es war, Holman? Daß ich diesen Mann umgebracht habe?« Seine Augen wurden noch dunkler und trüber. »Sind Sie etwa deshalb gekommen?«

»Lessinger hat mich engagiert, damit er am Leben bleibt«, sagte ich. »Und diesen Auftrag kann ich nur erfüllen, wenn ich feststelle, wer ihn tot sehen will. Aber es gibt noch eine Alternative, stimmt’s? Vielleicht hatte es Rawlins’ Mörder tatsächlich auf Rawlins abgesehen.«

»Ich kann Ihnen da jedenfalls nicht weiterhelfen«, sagte er trocken. »Ich habe genug eigene Probleme. Offengestanden, wenn jemand Lessinger umbringen will — meinen Segen hat er.«

»Also gut«, fuhr ich fort. »Mir will noch etwas nicht aus dem Kopf. Sie haben sich zehntausend Dollar von Jamison geliehen und ihm das Negativ des halbfertigen Films als Sicherheit überlassen. Dabei besaßen Sie das Negativ doch gar nicht, es gehört Sanford. Stimmt das?«

Er musterte mich wie einen begriffsstutzigen Erstkläßler. »Sanford gehört es nur zur Hälfte«, sagte er. »Die andere Hälfte besitze ich. So war es von Anfang an vereinbart. Ich sollte den Film produzieren und inszenieren, und er stellte das Kapital. Er zog seine finanzielle Unterstützung zurück, als der Film zur Hälfte fertig war. Deshalb—«, er grinste mit schadhaften Zähnen — »deshalb besitzt Sanford nur die Hälfte eines halbfertigen Films. Ich gab meine Hälfte an Jamison als Pfand weiter. Wenn Sanford seine Hälfte haben will, dann holen wir einfach eine Schere und schneiden den Streifen der Länge nach durch. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Glasklar«, bestätigte ich. »Sanford hat sich ausgerechnet, daß er nur warten muß, bis alle anderen das Interesse verlieren, dann kann er den Film vollenden.«

»Ich bin jedenfalls abgesichert«, sagte Ferrell. »Niemand kann den Film mit einem anderen Produzenten oder Regisseur vollenden. Und ich habe nicht die Absicht, ihn für geifernde Idioten zu machen, die sich am Körper eines toten Stars aufgeilen wollen!«

»Das klingt edel«, nickte ich. »Aber was tun Sie in der Zwischenzeit? Schnürsenkel verkaufen?«

»Was erlauben Sie sich!« Er erstickte fast an seinen Worten. »Ich...«

»Jetzt hören Sie mir mal zu«, fuhr ich ihn an. »Sie sitzen hier in diesem billigen Loch und haben keinerlei Zukunftsaussichten. Bei Jamison stehen Sie mit zehntausend Dollar in der Kreide, dabei halte ich jede Wette, daß Sie im Augenblick nicht mal hundert Dollar zusammenkratzen könnten. Ihre einzige Chance ist es, diesen Film fertigzudrehen. Aber das können Sie nicht, ehe Sanford nicht einverstanden ist. Stellt er sich deshalb taub? Er wartet wohl, bis Sie so pleite und verzweifelt sind, daß Sie ihm jedes Zugeständnis machen, nur um wieder arbeiten zu können.«

»Warum scheren Sie sich nicht endlich zum Teufel?« fragte er.

»Wo finde ich Alec Jamison?«

»Versuchen Sie’s mal am Strip«, sagte er. »Dort gehört ihm eine Bar. Sie heißt Happy Alice. Die Mädchen gehen entweder unten oder oben ohne und heißen alle Alice.« Spöttisch verzog er den Mund. »Jamison hält das für genial!«

Ich ging die Treppe hinunter und zu meinem Wagen hinaus. Es war schon später Nachmittag, und die Freiübungen mit Paula begannen ihren Tribut zu fordern. Vielleicht, so dachte ich, sollte ich nach Hause fahren und mich mit einem Buch im Bett ausstrecken. Etwa mit einem Ratgeber für neue Positionen, damit ich Sanford das nächstemal nicht enttäuschte. Bei dem Gedanken bekam ich Sodbrennen.

Die Happy Alice bestand von oben bis unten aus Chrom, Plüsch und Plastik, das entdeckte ich eine halbe Stunde später. Ich glitt in eine Ecknische, und eine Blondine mit hartem Gesicht schlenderte zu mir herüber. Sie trug eine Transparentbluse, einen Stetson und Wildledershorts mit Fransen. Die kniehohen Stiefel hatten schiefgetretene Absätze, und auch ihr Lächeln wirkte abgenutzt.

»Hallo, Partner«, krächzte sie. »Was für’n Gift darf’s denn sein?«

Ich sah durch ihre Transparentbluse, aber das war ein Fehler. Ihre Brüste wirkten einsam und verloren.

»Zwei Wünsche habe ich«, sagte ich. »Ich möchte...«

»Der Schnaps ist kein Problem«, unterbrach sie mich. »Aber das andere?«

»Ich bin neu hier in der Stadt«, feixte ich. »In der einen Tasche habe ich meine Ölquelle, in der anderen die Ranch. Und daß mir gleich als erstes so was Hübsches wie Sie vors Visier kommt, verschlägt mir direkt die Sprache. Yessir! Ich war nicht mehr so aufgeregt, seit ich meinen ersten Büffel geschossen habe!«

Müde zuckte sie die Schultern. »Wir sollen in Stimmung machen, sagt er. Also mache ich in Stimmung. Was dagegen?«

»Nicht direkt«, antwortete ich. »Ich möchte erstens einen Bourbon mit Eis und zweitens Alec Jamison sprechen.«

»Der Schnaps ist kein Problem.« Sie lächelte über die Wiederholung, aber diesmal wirkte es echt. »Ihr zweiter Wunsch ist schon schwieriger zu erfüllen. Vielleicht haben Sie einen Namen?«

»Rick Holman«, sagte ich. »Sagen Sie ihm, es betrifft dieses halbe Negativ, das er als Pfand bekommen hat.«

»Das klingt verrückt.« Sie bedachte es, dann hob sie die Schultern. »Aber ich will’s ausrichten.«

Sie ging und kehrte nach ein paar Minuten mit meinem Drink zurück. »Er kommt gleich, hat er gesagt. Aber der Drink geht auf Ihre Kosten.«

»Nehmen Sie Schecks?«

Sie verschwand, und ich hatte mein Glas fast ausgetrunken, ehe Jamison erschien. Er war ein kleiner Kerl, penibel gekleidet und kurz angebunden. Mit seinem glänzend schwarzen Haar und den braungefleckten Augen wirkte er eher wie ein Buchhalter, der in der großen Konferenz hinter seinem Präsidenten sitzt und ihm die Unterlagen zuschiebt.

»Ich bin Jamison«, sagte er knapp und glitt neben mich in die Nische. »Und wie ich höre, sind Sie Holman. Der Name sagt mir nichts, wohl aber das Stichwort Negativ. Was wollen Sie von mir, Mr. Holman

Ich erzählte ihm die Story von Hal Lessinger und Mike Rawlins, und er hörte mir aufmerksam bis zum Ende zu.

»Da werde ich Ihnen schwerlich helfen können«, sagte er dann mit ehrlichem Bedauern. »Das Geld habe ich Tony Ferrell sowieso gegen bessere Einsicht geliehen. Aber zufällig ist er ein alter Freund, und ich schuldete ihm einen Gefallen. Er schien so überzeugt davon, daß der Film letztlich doch noch fertiggestellt werden würde, daß ich ihm glaubte. Natürlich trat Hal Lessinger an mich heran, und ich informierte ihn selbstverständlich, daß er mir einen Gewinnanteil an dem Film zusichern mußte, ehe ich das Negativ freigab — um genau zu sein«, er lächelte schwach, »ehe ich auf meinen halben Besitzanteil an dem halbfertigen Negativ verzichtete.«

»Den halben?« fragte ich. »Gehört es denn nicht Ferrell, wenn die Anleihe zurückgezahlt ist?«

»Es war keine Anleihe«, sagte er glatt, »es war eine Option. Ich helfe einem Freund in Not gern, Mr. Holman, aber ich bin kein Wohltätigkeitsinstitut. Das einzige halbwegs Wertvolle, das Tony besaß, als er zu mir kam, war sein halber Anteil an dem Negativ. Also zahlte ich ihm dafür zehntausend Dollar und gab ihm neunzig Tage Frist, das Negativ für elftausend Dollar von mir zurückzukaufen. Diese Option verfällt am Freitag. Und ich bezweifle stark, daß Tony innerhalb der nächsten 48 Stunden so viel Geld auftreiben kann.«

»Wenn man Freunde wie Sie hat, braucht man keine Feinde«, stellte ich fest.

Wieder lächelte er. »Er hat noch einige Rechte, wissen Sie. Wenn der Film jemals fertig wird, dann mit ihm als Regisseur und Produzent.«

»Möglich. Wenn also das Projekt steigen soll, dann nur mit Ihrer und Gerry Sanfords Einwilligung, stimmt das?«

»Stimmt genau.«

»Lessinger spielt bei dem Handel überhaupt keine Rolle?«

»Lessinger ist ein Geschäftemacher«, sagte Jamison. »Der versucht nur, eine Situation für sich auszunutzen, bei der er sich Profit erhofft.«

»Warum sollte ihn dann jemand umbringen wollen?«

Jamison zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Aber ich tippe darauf, daß es nichts mit dem Iris-Merivale-Film zu tun hat. Der potentielle Mörder hat wahrscheinlich ein völlig anderes Motiv. Lessinger besitzt hier in der Stadt mehr als genug Feinde.«

»Oder Mike Rawlins hatte über einen der an dem Filmprojekt Beteiligten genug Nachteiliges ausgegraben, daß er umgebracht werden mußte, ehe er seine Informationen an Lessinger weitergeben konnte.«

»Auch das wäre möglich.«

»Aber es gibt nur drei Beteiligte«, überlegte ich. »Ferrell, Sanford und Sie.«

»Also fällt ein Drittel des Verdachts auf mich«, grinste er. »Aber ich habe nichts so Schwerwiegendes zu verbergen, Mr. Holman, daß ich dafür einen Menschen ermorden müßte.«

»Wer weiß?« Ich erwiderte sein kaltes Lächeln. »Vielleicht höre ich mich selbst ein bißchen um.«

»Wenn es Ihnen Spaß macht?« meinte er. »Gibt es sonst noch etwas zu besprechen, Mr. Holman

»Nicht daß ich mich erinnern könnte.«

Er schnalzte mit den Fingern, und meine Spezial-Alice erschien neben dem Tisch.

»Mr. Holmans Drink geht auf meine Rechnung«, teilte er ihr mit. »Und danach wird nichts mehr an ihn ausgeschenkt. Wenn er wiederkommen sollte, rufst du Benny und läßt ihn hinauswerfen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Gewiß, Mr. Jamison«, sagte Alice.

Er glitt aus der Nische. »Benny ist ein altmodischer Rausschmeißer, Mr. Holman, aber tüchtig. Ich würde an Ihrer Stelle nicht die Probe aufs Exempel machen.«

Dann verschwand er mit kurzen schnellen Schritten.

»Da haben Sie sich ja wirklich in die Tinte gesetzt«, sagte Alice mitleidig.

»Wie ist er denn so als Chef?« fragte ich.

»Er betatscht einen gern. Mir macht’s ja nicht viel aus, weil das alle hier tun; mir stinkt nur, daß man bei ihm auch noch so tun muß, als sei man weiß Gott wie entzückt davon, bloß weil er der Boss ist.« Sie lächelte plötzlich. »Sie müssen ihm ja tüchtig eingeheizt haben, wenn er so sauer auf Sie ist. Wollen Sie doch noch was trinken? Ich kann es schon einrichten.«

»Nein, danke. Aber Sie sind sehr nett.«

»Und Benny ist gar nicht so stark«, fuhr sie fort. »Er hält sich nur dafür.«

»Das glaube ich Ihnen unbesehen«, antwortete ich.

»Müssen Sie gar nicht.« Sie verzog die Lippen. »Hier kommt er schon. Also, dann sage ich Ihnen lieber adieu. Und viel Glück!«

Hastig zog sie sich zurück. Ich sah dem breiten Kerl entgegen, der mit entschlossenem Gesicht auf meinen Tisch zukam. Er war groß und schwer, hatte das rote Haar quer über die hohe Stirn gekämmt und tiefliegende, blutunterlaufene Augen. Schnell stand ich auf, trat aus der Nische und mit weit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

»Hallo, Benny!« rief ich begeistert. »Wie schön, daß wir uns mal wiedersehen. Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?«

»Hä?«

Das hatte ihn einen Moment aus dem Konzept gebracht, er stand nur da und starrte mich an. Während er noch mit den Augen blinkerte, trat ich ihm mit aller Gewalt gegen beide Schienbeine, und das schaffte ihn endgültig. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er mich zuerst zusammenschlagen oder vorher seine schmerzenden Knochen reiben sollte. Während er noch überlegte, setzte ich ihm eine Gerade in den Solarplexus, und als sein Kopf etwa auf meiner Gürtelhöhe war, schlug ich ihn scharf zwischen die Augen. Auf dem Weg nach unten nahm er den Tisch und das Glas mit. Als Dreingabe traf ihn die Tischkante quer übers Nasenbein, als er schon am Boden lag.

»Kann jedem passieren«, sagte ich achselzuckend ins Lokal hinein. »Es muß an dem lausigen Schnaps liegen, der hier ausgeschenkt wird.«