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Ich holte den .38er mit seinem Geschirr aus der untersten Kommodenschublade und schnallte mir den Gürtel um. Ich überprüfte die Waffe und ließ sie ins Halfter gleiten, zog mir dann die Jacke über. Alles sprach dafür, daß ich Blair und Jake ziemlich bald wieder über den Weg laufen würde, und diesmal wollte ich gewappnet sein.

Die Happy Alice war nicht das ideale Lokal für eine Verabredung zum Mittagessen, aber wenn ich das Geschäftliche schon nicht mit dem Vergnügen vereinbaren konnte, dann wenigstens mit einem Steak-Sandwich. Als ich eintrat, saßen vielleicht sechs Gäste im Raum, also schien das Geschäft nicht gerade zu florieren. Ich suchte mir meine alte Nische aus und nahm Platz. Eine neue Alice eilte zur Bedienung herbei, eine Dunkelhaarige mit eleganten langen Beinen unter den kurzen Ledershorts.

»Wie geht’s Benny?« fragte ich.

»Benny?« Sie stutzte. »Oh, Sie meinen den Rausschmeißer«, sagte sie dann. »Keine Ahnung. Er ist heute nicht zur Arbeit gekommen.«

»Ich möchte einen Bourbon mit Eis und ein Steak-Sandwich«, bestellte ich. »Und sagen Sie Mr. Jamison Bescheid, daß Rick Holman gekommen ist.«

»Holman?« Sie riß die Augen auf. »Sind Sie etwa der Holman, der...«

»Eben dieser, Alice«, antwortete ich. »Wenn Jamison noch vor meinem Sandwich auftaucht, bedienen Sie mich trotzdem, okay?«

Ihre Lippen zuckten. »Oder ich kriege dieselbe Behandlung wie Benny, stimmt’s?«

»Nur mit mehr Begeisterung«, nickte ich.

Sie musterte mich wohlwollend. »Wissen Sie genau, daß Sie Jamison sprechen wollen? Ich habe in einer Stunde dienstfrei.«

»Führen Sie mich nicht in Versuchung, liebe Alice«, bat ich. »Ich will nicht, ich muß Jamison sprechen. Donnerstag ist mein fleißiger Tag. Vielleicht ein andermal, okay?«

»Ich bin nur donnerstags frei«, sagte sie kühl. »Zu schade, Mr. Holman

Sie wandte sich ab und ging mit schnellen Schritten davon; mit fühlbarem Bedauern sah ich ihrem in strammes Leder gepackten Hinterteil nach. Mir blieb noch Zeit, eine Zigarette anzuzünden und ein paar Züge zu nehmen, dann stand auch schon Jamison vor meinem Tisch.

»Machen Sie, daß Sie wegkommen, Holman«, sagte er gepreßt. »Sonst...«

»Was denn?« grinste ich. »Sonst rufen Sie ein Taxi und holen Benny aus dem Krankenhaus?«

Seine braungefleckten Augen glühten einen Moment hinter ihren Gläsern auf, dann beherrschte er sich und ließ sich auf die Bank nieder.

»Also gut«, sagte er knapp, »was wollen Sie denn nun schon wieder?«

»Blair hätte Sie gern an Ferrells Stelle ausbezahlt, stimmt’s?« fragte ich. »Aber Sie wollten das Geld nicht annehmen.«

»Sehr richtig.«

»Dann wäre es doch nur logisch gewesen, wenn Blair das Geld an Ferrell weitergegeben hätte, damit dieser seine Option selbst wahrnehmen konnte.«

»Vielleicht ist Blair niemals auf diesen Gedanken gekommen.«

»Und vielleicht haben die Schweine das Fliegen gelernt«, grunzte ich. »Nein, Sie haben Ferrell im Schraubstock.«

»Gestern habe ich Ihre Aggressivität unterschätzt, als ich Benny auf Sie losschickte«, sagte er kalt. »Ich werde den gleichen Fehler nicht zweimal machen. Aber ich sehe absolut keinen Sinn darin, daß wir dieses Gespräch fortsetzen, Holman

»Blair hat es sich in den Kopf gesetzt, das Geschäft durchzuziehen«, sagte ich unbeirrt. »Soeben habe ich Lessinger geraten, Los Angeles zu verlassen und sich eine Weile unsichtbar zu machen, aus Gesundheitsgründen. Blair beschäftigt sich augenblicklich mit Sanford, und ich setze darauf, daß er seine Zustimmung erreichen wird, wahrscheinlich mit Gewalt. Aber danach hat Blair es auf Sie abgesehen.«

»Mit dieser Gefahr werde ich mich auseinandersetzen, falls und sobald sie eintritt«, sagte er. »Warum erzählen Sie mir das alles?«

»Weil ich wissen will, wer Rawlins ermordet hat. Ich bin fast sicher, daß er nicht aus Versehen an Lessingers statt erschossen wurde. Er mußte sterben, weil er Schlechtes über einen der am Filmprojekt Beteiligten ausgegraben hatte. Wenn Sie Ferrell so einschüchtern konnten, daß er sein Filmnegativ nicht zurückzukaufen wagt, dann bedeutet das doch, daß Sie ein Druckmittel gegen ihn haben. Stimmt’s? Sie können ihn erpressen, und vielleicht erfuhr Rawlins, womit. Vielleicht haben Sie Rawlins umgebracht, bevor er seine Information an Lessinger weitergeben konnte.«

»Sie liegen in jeder Beziehung falsch«, antwortete Jamison gelassen. »Ferrell will seine Option gar nicht ausüben, weil er weiß, daß er Blairs Schikanen nicht standhalten könnte. Er weiß aber, daß ich es kann. Letztlich kommt doch eine Einigung zustande, und Ferrell wird den Film als Produzent und Regisseur vollenden. Auf jeden Fall würde er lieber für mich und Sanford als für Blair und seinen bulligen Sadisten arbeiten.«

»Wenn Blair Sanfords Negativhälfte in die Finger bekommt, haben Sie gar keine andere Wahl, als nach seiner Pfeife zu tanzen«, gab ich zu bedenken.

»Schon wieder falsch, Holman.« Mitleidig schüttelte er den Kopf. »Es wäre mir sehr viel lieber, wenn Blair den Anteil am Negativ besäße. Sanford ist ein alter Quertreiber, aber Blair hört auf Vernunftgründe. Es würde für uns beide ein sehr einträgliches Geschäft.« Er lächelte mich an. »Hoffentlich habe ich Ihnen jetzt alles erklärt.«

Alice erschien und stellte mir einen Drink hin. Mit einem verlegenen Lächeln zog sie sich wieder zurück.

»Steak-Sandwich gibt es nicht«, sagte Jamison. »Schließlich ist das hier kein Restaurant.«

»Nein, eher ein Bordell, aber ohne das Parfüm«, nickte ich. »Wissen Sie was? Sie jagen mir allmählich Respekt ein, Jamison. Ich bin sicher, daß Sie ein Druckmittel gegen Ferrell haben, und nach dem, was Sie mir soeben erzählt haben, besitzen Sie wahrscheinlich auch eines gegen Blair.«

»Sie können denken, was Sie wollen«, sagte er knapp. »Aber trinken Sie endlich aus und verschwinden Sie.«

»Haben Sie mir wirklich nichts mehr zu sagen, ehe ich gehe?«

Er saß und überlegte. »Wer ist Ihr Klient, Holman

»Lessinger. Er ist seines Lebens erst sicher, wenn wir wissen, wer Rawlins ermordet hat.«

»Ganz gegen bessere Einsicht beginne ich zu glauben, daß Sie ein ehrlicher Mensch sind, Holman«, sagte er langsam. »Zwar grobschlächtig, brutal und gewalttätig, aber doch ehrlich. Hoffentlich irre ich mich nicht.«

»Hoffe ich auch.«

»Blair lebt mit einem Mädchen zusammen«, fuhr Jamison fort. »Mit Lotti.«

»Ich weiß.«

»Lotti ist noch nicht achtzehn«, sagte er leise, »und wird von ihrem Vater vergöttert. Blair hatte in San Diego mit dem Alten geschäftlich zu tun. Er ist sehr viel mächtiger als Blair und hat auch mehr Einfluß in den Kreisen, zu denen beide gehören. Er glaubt, seine Tochter ist mit einem Studienfreund durchgebrannt. Es käme ihm nicht im Traum in den Sinn, daß es Blair gewesen ist. Wenn er das wüßte, würde er vor nichts zurückschrecken, um Lotti nach Hause zu holen; er würde auch dafür sorgen, daß Blair so etwas niemals wieder tun kann. Verstehen Sie?«

»Woher wissen Sie das alles?«

»Ich würde es gern meiner Intelligenz zuschreiben«, antwortete er. »Aber es war ein Zufall. Vor etwa einem Jahr lernte ich den Vater in San Diego kennen, bei einem kleinen, unbedeutenden Geschäft. Ich war in sein Haus eingeladen worden und traf dabei seine Tochter. Als ich sie dann hier bei Blair wiedersah, wurde ich neugierig und zog ein paar Auskünfte ein.«

»Also deshalb machen Sie sich wegen Blair keine Sorgen«, begriff ich.

»Genau«, nickte er. »Diese Information kann ich zu meinem Vorteil verwerten. Ich frage mich, ob auch Rawlins darauf gestoßen ist. Wie ich höre, hatte er in Santa Barbara einen schlechten Ruf. Vielleicht beschloß er, aus seinem Wissen Nutzen zu schlagen, und erpreßte Blair damit.«

»Worauf Blair ihn umbrachte?«

Nachlässig zuckte er die Schultern. »Ich sage nicht, daß es so war. Ich sage nur, es wäre möglich.«

»Und warum erzählen Sie es mir?«

»Weil ich Sie mir vom Hals schaffen will, Holman«, knurrte er. »Für mich bedeuten Sie momentan nur Ärger. Mir wär’s lieber, Sie würden verschwinden und jemand anderen belästigen, egal, wer’s ist. Am liebsten natürlich Blair, weil der Sie noch am ehesten endgültig beiseiteschafft. Oder Sie drehen den Spieß um und schalten ihn aus, aber bitte nicht zu bald. Erst muß er sich Sanfords Negativhälfte beschafft haben. Wenn das in Blairs Händen ist, habe ich keine Probleme mehr.«

»Sie sind ein hinterlistiger Gauner, Jamison«, sagte ich ihm, »aber ich glaube Ihnen jedes Wort.«

»Wie mich das freut«, antwortete er kühl.

»Aber jetzt sagen Sie mir auch den Namen von Lottis Vater.«

Er musterte mich stirnrunzelnd, dann begann er zu grinsen. »Henderson«, sagte er, »Rod Henderson. Informieren Sie sich über ihn bei einem Insider in San Diego.«

»Worauf Sie sich verlassen können.«

Jamison erhob sich. »Sie könnten mit dieser Information auch zu Sanford gehen, das ist mir klar. Aber ich glaube, so dumm sind Sie nicht. Es wäre das Todesurteil für Sanford.« Wieder grinste er. »Und natürlich auch für Sie!«

Damit eilte er davon, wahrscheinlich wieder an seine Kontobücher.

 

Ich fuhr nach Hause und machte mir Rührei zum Mittagessen. Alices Steak-Sandwich wäre wahrscheinlich ohnedies zäh gewesen. In San Diego hatte ich einen alten Freund namens Dan Carson. Den rief ich nach dem Essen an, und er bestätigte Hendersons Einfluß, wie Jamison ihn mir geschildert hatte. Ob er eine Tochter besaß, wußte Carson nicht, aber er kannte die Telefonnummer. Das reichte mir schon. Ich bedankte mich, legte auf, wählte wieder und fragte nach Rod Henderson.

»Mr. Henderson hat augenblicklich eine Besprechung«, informierte mich eine reservierte Stimme am anderen Ende. »Vielleicht kann er Sie zurückrufen?«

»Sagen Sie ihm, ich rufe wegen seiner Tochter an.«

Eine Pause von etwa drei Sekunden, dann: »Bleiben Sie bitte am Apparat.«

Ich blieb, es klickte, und dann sagte eine Stimme: »Henderson.«

»Sie haben eine Tochter, Mr. Henderson?« fragte ich. »Beschreiben Sie sie bitte.«

»Was erlauben Sie sich, Sie unverschämter Lümmel!« brüllte Henderson. »Ich...«

»Klappe!« sagte ich unhöflich. »Ich muß mich vergewissern, daß die Details stimmen. Also beschreiben Sie Ihre Tochter endlich!«

Eine Weile hörte ich ihn nur schwer atmen. »Ihr Name ist Charlotte«, sagte er schließlich. »Sie ist noch nicht achtzehn Jahre alt, schwarzhaarig, hat grüne Augen und...«

»Das genügt«, unterbrach ich ihn. »Wollen Sie Ihre Tochter wiedersehen, Mr. Henderson?«

»Fragen Sie nicht so blöd, natürlich will ich sie wiedersehen«, knirschte er. »Wenn’s um Lösegeld geht...«

»Kein Lösegeld«, sagte ich. »Erinnern Sie sich an Russ Blair?«

»Russ?« überlegte er, aber dann explodierte seine Lautstärke. »Russ

»Ihre Tochter lebt mit ihm zusammen. In Los Angeles.«

»Wer spricht da eigentlich?« fragte er erstickt.

»Mein Name ist Holman«, antwortete ich. »Blair hintertreibt ein Projekt, das ich hier laufen habe. Erst heute nachmittag habe ich erfahren, daß seine Freundin Ihre Tochter ist.«

»Wo finde ich ihn?«

»Ich weiß zwar nicht, wo er wohnt«, meinte ich, »aber ich kann Ihnen sagen, wo er heute abend sein wird.«

»Das reicht mir völlig«, sagte er kalt.

»Aber er wird seinen alten Kumpel Jake dabei haben«, warnte ich.

»Macht nichts. Jake ist kein Problem.«

Also nannte ich ihm Namen, Adresse und Uhrzeit.

»Werden Sie selbst auch dort sein, Holman?« erkundigte er sich.

»Das habe ich vor, ja.«

»Ich werde Sie überprüfen lassen«, warnte er. »In Los Angeles besitze ich gute Verbindungen.«

»Bei Ihnen in San Diego lebt ein gewisser Dan Carson«, informierte ich ihn. »Wenn Sie sich an den wenden, sparen Sie Telefonspesen.«

»Das werde ich auch tun«, versprach er. »Ich hoffe nur in Ihrem Interesse, daß Sie sich nicht geirrt haben, Holman. Wenn das ein Witz war, dann...«

»Ja, natürlich, Mr. Henderson«, unterbrach ich und legte auf.

Als nächstes wählte ich Sanfords Nummer. Es dauerte lange, ehe sich jemand meldete.

»Ja?« fragte eine lustlose Stimme.

»Hier spricht Rick Holman«, teilte ich mit.

»Und? Soll ich deshalb in Freudentränen ausbrechen?« blaffte Paula.

»Es gibt einen Weg, wie ihr Blair loswerden könnt«, sagte ich. »Aber dazu mußt du mir vertrauen.«

»Ha!« machte sie nur.

»Sag deinem Vater, er soll Blair anrufen«, fuhr ich fort. »Er hätte es sich überlegt, sie könnten doch noch ins Geschäft kommen. Er soll Blair für heute abend acht Uhr zu sich in sein Haus einladen. Außerdem soll er sagen, er hätte gehört, daß Blair mit einem sehr attraktiven Mädchen zusammenlebt, das sich vielleicht für die Rolle der Iris Merivale in dem neuen Film eignet; Blair soll sie deshalb zur Besprechung mitbringen.«

»Was für ein verrücktes Spiel treibst du jetzt wieder?« fragte sie verbittert.

»Es ist ein Ausweg«, antwortete ich. »Eine Chance, Blair für immer auszuschalten. Aber wenn du nicht interessiert bist, soll’s mir auch recht sein. Du wirst bestimmt viel Freude daran haben, vor dem Trickspiegel Vorstellungen zu geben, während Blair und dein Vater dahinter zusehen.«

»Deine Alternativen sind immer so erfreulich«, sagte sie deprimiert. »Ich werde es Gerry jedenfalls ausrichten. Ob er es tut, ist eine andere Frage.«

»Sag ihm, er hat eine ebenso erfreuliche Alternative«, riet ich. »Nämlich die, daß Jake, wenn er ihn das nächstemal über den Canyon hält, losläßt