Kapitel 20
Elizabeth dachte eigentlich, dass sie diese Nacht beruhigt schlafen würde, denn schließlich hatte sie dem Lügen und Täuschen ein Ende bereitet. Und bis ihr Bruder zurückkehrte, wollte sie gründlich reinen Tisch gemacht haben.
Die Auflösung der Verlobung war der erste Schritt, und offensichtlich hatte ihr Streit glaubwürdig geklungen. Selbst Abigail erkundigte sich, ob irgendetwas nicht stimmte. Bloß ein Missverständnis, wehrte sie ab und flüchtete sich in ihr Zimmer.
Obwohl ihr Gewissen jetzt weniger belastet war, fand sie keine Ruhe. Überall meinte sie Peter zu sehen: wie er sich über ihr Badewasser beugte, wie seine Lippen ihren Mund suchten. Zarte Küsse, leidenschaftliche Küsse.
Wünschte er sich wirklich eine echte Verlobung? Warum schlug er dann vor, sich zunächst zu trennen? Sie fürchtete, es könnte ihn zurückziehen zu seinem sorglosen, lockeren Junggesellendasein. Zurück zu raffinierten, erfahrenen Frauen. Vielleicht hatte er ja genug von einer naiven Unschuld wie ihr.
Nein, irgendwie glaubte sie nicht daran, denn sobald von William die Rede war, blitzte in seinen Augen so etwas wie Eifersucht auf – ein deutliches Zeichen, dass ihm eine Menge an ihr lag. Es musste einen anderen Grund geben, warum er sich erst einmal trennen wollte, und irgendwie schien alles auch mit dem Geheimnis zu tun zu haben, das er ihr nicht verraten wollte, und mit der verräterischen Schussverletzung.
Warum aber beschäftigte und verwirrte sie die ganze Sache so über Gebühr? Weil sie vielleicht nicht wollte, dass die Verlobung gelöst wurde? Weil sie womöglich dabei war, sich in Peter zu verlieben? Eifersüchtig war sie ohnehin bereits. Wenn sie bloß an die Frauen dachte, die er schon alle hatte, erfüllte sie das mit Abscheu.
Obwohl es vor ihrer Zeit gewesen war.
Sie betrachtete ihr Spiegelbild. Wenn sie den Ansatz ihres Busens und das dunkle Dreieck zwischen ihren Schenkeln ansah, fiel ihr gleich wieder Peter ein, der von alldem Besitz ergriffen hatte. Sie dachte an die ekstatischen Gefühle, die er mit seinen Berührungen bei ihr auslöste. Empfindungen, die sie nur mit ihm in Zusammenhang brachte, mit keinem anderen. Es war wirklich ganz und gar unvorstellbar für sie, sich William anstatt Peter vorzustellen.
Sie ging auf und ab und dachte über die überraschenden Erkenntnisse der letzten paar Wochen nach, in denen sie einen ganz neuen Peter entdeckte. In ihm steckte viel mehr als nur der freundliche, stets hilfsbereite Kumpel ihrer Mädchentage. Er war ein Mann mit überragenden Fähigkeiten, geschäftlicher Fortüne und von überwältigendem Charme.
Und sie war ihm verfallen. Und er ihr. Trotzdem hielten sie beide etwas voreinander zurück, fälschlicherweise. Denn bedeutete Liebe nicht zugleich unbedingtes Vertrauen? Sie hoffte so sehr, den richtigen Weg zu finden.
Es war eine Qual für Peter, sich die nächsten zwei Tage von Elizabeth fernzuhalten, doch immerhin hatte er etwas, womit er sich beschäftigen konnte: Lord Thomas Wythorne. Er spürte seinem alltäglichen Rhythmus und seinen Gewohnheiten nach und fand heraus, wann er zum Fechten ging.
Also besuchte Peter ebenfalls den Fechtclub und legte gerade einen Brustpanzer an, als Wythorne, nur mit Hemd und Hose bekleidet, aus dem Umkleideraum kam.
Er blieb stehen, als er ihn erblickte. »Derby, welch eine Überraschung. Verbringen Sie den Tag etwa nicht in Gesellschaft der reizenden Lady Elizabeth?«
Peter warf ihm einen Brustpanzer zu, setzte eine Fechtmaske mit Drahtgitter auf und hob sein Schwert. Die Lederspitze hatte er nicht abgenommen, weil es Elizabeth Kummer bereiten würde, wenn Blut floss.
Langsam legte Wythorne den Schutzpanzer an. »Kämpfen wir heute miteinander, Derby?«
»Außer Sie wünschen einen anderen Gegner – einen, der Ihnen den Sieg lässt. Sie scheinen gerne zu gewinnen, vor allem wenn Sie es mit schutzlosen Frauen zu tun haben.«
Wythornes Lächeln sah plötzlich wie eingefroren aus. Rasch setzte er seine Maske auf und nahm einem Bediensteten des Clubs, der nervös neben ihm stand, sein Schwert ab. Im Fechtsaal wurde es still, denn alle schienen zu spüren, dass es sich hier um einen Schlagabtausch der besonderen Art handelte.
Sie salutierten mit ihren Schwertern, und dann griff Peter, ein guter und passionierter Fechter, als Erster an, indem er diagonal zuschlug. Wythorne taumelte einen Schritt nach hinten und parierte den Schlag im letzten Moment.
»Gut gemacht«, sagte er, während er das Schwert mit der rechten Hand in Stellung brachte und den linken Arm nach hinten streckte, um eine bessere Balance zu haben.
Peter machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern griff erneut an und wich schnell zur Seite aus, um nicht von der zwar ebenfalls mit Leder geschützten Spitze an der Brust getroffen zu werden, während er Wythorne immer weiter Richtung Wand drängte, um ihn mit einem letzten mächtigen Hieb zu Fall zu bringen. Schnell kniete er sich neben seinen am Boden liegenden Gegner und hielt ihm die lange Klinge an den Hals.
Aus Wythornes Lächeln war die übliche Selbstsicherheit verschwunden, auch wenn er sich noch spöttisch gab. »Die Spitze ist der schärfste Teil des Schwertes.«
»Nun, die Klinge ist zumindest scharf genug, um Schaden anzurichten.« Peter beugte sich tiefer über ihn. »Halten Sie sich von ihr fern.«
»Von wem soll ich mich fernhalten?«, fragte Wythorne nonchalant.
»Sprechen Sie sie nicht an, drohen Sie ihr nie wieder. Sie ist meine Verlobte.«
»Nicht mehr lange, habe ich zumindest gehört.«
»Sie steht unter meinem Schutz, und das ist das Einzige, was Sie zu interessieren hat. Geben Sie ihr keinen Grund, Sie wieder abzuweisen, denn andernfalls werden Sie hernach ziemlich erbärmlich aussehen.« Peter richtete sich auf, warf Schwert und Schutzkleidung an Ort und Stelle auf den Boden und marschierte mit festem Schritt aus dem Saal.
Es dauerte zwei Tage, ehe Elizabeth Peter wiedersah – Tage, die sich endlos in die Länge zu ziehen schienen. Sie musste die Fragen ihrer Mutter ertragen und erklärte ihr verabredungsgemäß, dass es zwischen ihr und Peter zu einem dummen Streit wegen ihrer Mitgift gekommen sei, dass alles aber wieder ins Lot kommen werde.
Es klang falsch, weil es falsch war. Die Herzoginwitwe schien enttäuscht von ihr. Zumindest empfand die Tochter es so, doch es konnte sich ebenso gut um eine Projektion ihrer eigenen Empfindungen auf die der Mutter handeln.
Sie erzählte Lucy, dass sie mit der Auflösung der Verlobung begonnen hätten, wobei die Freundin unsicher wirkte, ob sie darüber nun glücklich oder traurig sein sollte. Elizabeth selbst ging es genauso, und als Lucy zaghaft ihren Bruder ins Gespräch bringen wollte, lenkte Elizabeth ab. Dieses Thema hatte sich für sie erübrigt, und es gab im Moment wahrlich Wichtigeres als William Gibson.
Und dann traf sie Peter bei einer Dinnerparty. Er kam spät, und sie sah nur noch, wie er eine Dame in den Speisesaal begleitete. Während des ganzen Essens plauderte er mit seiner Tischpartnerin, lachte und gab sich völlig locker und entspannt. Elizabeth musste die Eifersucht, die sie spürte, nicht einmal vortäuschen.
Als die Männer sich später am Abend wieder zu den Damen im Salon gesellten, schauten sie beide einander quer durch den ganzen Raum an, sie sichtlich verwirrt und befangen. Er kam zu ihr und küsste ihre behandschuhten Finger, ehe er sich vorbeugte, um ihr etwas zuzuflüstern. »Sehe ich angemessen bekümmert darüber aus, dass ich dich verliere?«
Das Lächeln, das er aus seinem Gesicht verbannt hatte, schwang in seinen Worten mit, und am liebsten würde sie entsprechend darauf antworten. Oder ihn noch lieber berühren.
Sie atmete seinen Duft ein und wusste, dass sie eigentlich nicht so dicht beieinanderstehen sollten, denn schließlich galten sie bereits als zerstrittene Verlobte.
»Ich glaube, du siehst ärgerlich aus«, murmelte sie.
»Noch besser. Ich sollte dich nach draußen zerren, um mich mit dir zu unterhalten.«
»Tu, was du tun musst.«
Befriedigt stellte sie fest, dass ihnen viele fragende Blicke folgten, als sie den Salon verließen.
Peter suchte die Bibliothek auf. Was sonst? Es war nicht sehr hell in dem großen Raum, und als er die Tür schloss und sich mit dem Rücken dagegenlehnte, fand sie ihn im schwachen Lichtschein umwerfend geheimnisvoll und verführerisch.
»Ich habe dich vermisst«, flüsterte er.
Seine Worte versetzten sie in freudige Erregung, und als er sie wie zur Bestätigung in seine Arme riss, erhob sie keine Einwände – konnte es nicht und wollte es nicht. Ihre Lippen trafen sich zu einem zärtlichen Kuss, der jedoch schnell alle Unschuld verlor und immer drängender und fordernder wurde. Sie mochte nicht aufhören, ihn zu berühren – sein Haar, seinen Nacken, die breiten Schultern, den athletischen Körper.
Es war ein berauschendes Gefühl, seine Hände zu spüren. Sie fühlte sich wie eine Katze, die wohlig schnurrt, wenn sie gestreichelt wird. Er umfasste ihre Hüften und zog sie fest an sich, damit keinerlei Zweifel an der Dringlichkeit seines Verlangens aufkam. Und damit sie erkannte, dass er die Verlobung nicht löste, weil er keine Lust mehr an ihrem Spiel empfand.
Sie schwankte, als er sie plötzlich von sich schob. »Elizabeth, es lag nicht in meiner Absicht, dieses Treffen so intim werden zu lassen.«
»In meiner auch nicht«, hauchte sie und berührte mit den Fingerspitzen ihre feuchten Lippen. »Trotzdem …«
»Ich habe mich an deine Küsse so sehr gewöhnt«, murmelte er heiser.
Sie schloss die Augen, während sie um ihre Selbstbeherrschung kämpfte, denn es schien ihr wichtig, dass er sich, nachdem die Scheinverlobung ihre Idee gewesen war, jetzt aus freien Stücken für sie entschied.
»Diesmal gehst du zuerst«, sagte er schließlich mit diesem rauen Ton in der Stimme, der sie stets innerlich erbeben ließ. »Liefere ihnen die Darbietung, nach der es sie dürstet.«
»Das werde ich.« Sie nickte ihm zu, schob sich an ihm vorbei und öffnete die Tür, um sie geräuschvoll hinter sich zuzuknallen.
Im Salon richteten sich die Blicke einiger Anwesenden mitfühlend auf sie, doch andere schauten irgendwie triumphierend. Hatten sie es nicht gleich gesagt? Diese ungleiche Beziehung konnte nicht gut gehen. Die Schwester des Duke of Madingley und ein bürgerlicher Parvenü!
Am nächsten Morgen wurde Elizabeth von Mary Annes Besuch überrascht. Peters Schwester fragte sie, ob sie nicht gemeinsam im Park ausreiten wollten. Elizabeth beschlich indes der Verdacht, dass bloß Neugier im Spiel war wegen der Gerüchte, die bereits zu kursieren begonnen hatten.
Wie dem auch sei, sie freute sich über Mary Annes Annäherung, zog ihre Reitkleidung an und ließ ein Pferd satteln, um anschließend gemächlich an Mary Annes Seite, mit einem Stallburschen im Schlepptau, durch die Straßen von Mayfair zu reiten. Als sie im Hyde Park ankamen, galoppierte ihre Begleiterin sofort los, und Elizabeth musste sich alle Mühe geben, sie einzuholen. Sie schaffte es bis zum Ende des Ladies Mile genannten Reitwegs, um dann neben Peters Schwester in ein gemäßigtes Tempo zu fallen.
Mary Anne, die konzentriert nach vorne schaute, wirkte nachdenklich. Elizabeth wartete schweigend und machte sich bereits auf Vorwürfe gefasst.
»Haben Sie die Einladung zum Dinner von Lord Thomas’ Mutter erhalten?«, fragte die junge Frau und atmete tief durch.
Überrascht runzelte Elizabeth die Stirn. »Das schon, aber ich habe abgelehnt.«
»Das überrascht mich nicht. Er erzählte mir neulich, dass er vor einiger Zeit um Ihre Hand angehalten habe, von Ihnen allerdings abgewiesen worden sei.«
»Interessant, das zu hören. Normalerweise erzählt er anderen nämlich nicht von seinen Niederlagen«, merkte Elizabeth vorsichtig an.
»Den Eindruck teile ich.« Mary Anne drehte den Kopf zu ihr um. »Was mich betrifft, ich werde hingehen.«
Elizabeth wusste nicht recht, welche Antwort von ihr erwartet wurde, und tastete sich vor. »Ich denke, dass Ihre Mutter das gutheißt, oder?«
»Es geht hier nicht um sie.«
»Um was geht es dann? Wollen Sie sich selbst etwas beweisen? Mit so etwas kenne ich mich aus. Es kann einen in ziemliche Schwierigkeiten bringen.«
Elizabeth fühlte sich in ihren eigenen Lügen gefangen. Wie konnte sie Mary Anne erzählen, welche Mittel Thomas einzusetzen bereit war, um ans Ziel zu kommen, wenn sie selbst sich ähnlich verhalten und zudem noch Peter für ihre Zwecke eingespannt und ausgenutzt hatte?
»Ich will überhaupt nichts beweisen«, erwiderte Mary Anne, während sie Elizabeth musterte und gleichzeitig ihr Pferd mit leichter Hand unter Kontrolle brachte. »Er ist anders als alle Männer, die ich bisher kennengelernt habe. So selbstsicher und amüsant. Das gefällt mir an ihm.«
»Selbstsicher ist er zweifellos.«
»Ich war nur selbstsicher, wenn es um Billard ging.«
»Warum Billard, Mary Anne?«
Die junge Frau zuckte die Achseln und wich Elizabeths Blick und einer direkten Antwort aus.
»Ich wollte klarstellen, dass es nichts mit Ihnen zu tun hat, wenn ich mich mit ihm unterhalte. Sie sind mit Peters Bewunderung dermaßen ausgelastet, dass es Ihnen nichts ausmachen dürfte, wenn ich mich ein wenig mit Lord Thomas Wythorne anfreunde.«
»Peters Bewunderung?«, wiederholte Elizabeth und spürte, wie ihr eine leichte Röte in die Wangen steigen wollte.
»Keine Sorge. Euer kleiner Streit ist kein Geheimnis. Er überrascht mich nicht einmal.«
»Ach nein?« Elizabeth meinte, einen Tadel aus den Worten herauszuhören, der schmerzte. Mary Anne schien nach wie vor wenig von ihr zu halten.
»Er ist nicht die Sorte Mann, der buckelt, nur weil er die Hand einer reichen Erbin errungen hat und die feine Gesellschaft nun meint, er müsse auf Schritt und Tritt seine Dankbarkeit bekunden.«
»Oh.«
»Nicht dass Sie das von ihm erwarten. Nein, es ist das, was alle anderen denken. Aber ich weiß auch, was er für Sie empfindet. Und dass er eine Lösung für jeden Streit finden wird, weil er entschlossen ist, dass diese Beziehung klappt.«
»Was genau empfindet er denn für mich?«, fragte Elizabeth leise und etwas bänglich.
Mary Anne sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Er hat Sie gefragt, ob Sie ihn heiraten wollen, oder nicht?«
»Nun ja, schon …«
»Er benimmt sich in Ihrer Gegenwart wie ein absoluter Volltrottel – so als seien Sie die einzige Frau im Raum. Er will Sie schon lange, Elizabeth. Sie wissen, dass er alles für Sie tun würde.«
Elizabeth spürte plötzlich einen Kloß im Hals, der ihr das Schlucken erschwerte. Was wollte sie damit sagen? James Derby hatte eine ähnliche Andeutung gemacht, doch damals wusste sie nicht, ob der ältere Bruder nicht einfach auf das perfekte Täuschungsmanöver hereingefallen war. Jetzt allerdings sehnte sie sich verzweifelt danach, Mary Annes Worte glauben zu können.
An diesem Abend machte Peter sich nicht einmal die Mühe, den Blick auf das kleine Streichquartett zu richten, das in der Gemäldegalerie von Sydney House seine Künste zum Besten gab. Er beobachtete Elizabeth und ließ alle Welt erkennen, dass er völlig besessen von ihr war. Wie abgesprochen schaute sie nicht zu ihm hin – es war Teil ihrer Scharade, steigerte jedoch seine Erregung nur noch mehr.
Sie saß auf der anderen Seite eines schmalen Ganges und gab sich rein und unberührt, tat, als würde sie dem Spiel der vier Töchter ihrer Gastgeberin lauschen. Sie trug ein züchtiges gelbes Kleid, das einen aufregenden Gegensatz zu ihrem kohlschwarzen Haar bildete. Auf ihren Wangen lag ein rosiger Glanz. Sie spielte mit dem Programm, das auf ihrem Schoß lag, und riss den Rand in kleine Streifen.
Endlich war es ihnen gestattet, sich vor der Musik zu den Erfrischungen zu flüchten. Sie standen Seite an Seite wie ein perfektes Paar, ohne sich indes zu unterhalten. Er hätte gerne einen Scherz über die Musik gemacht oder sie gefragt, ob er seine Rolle gut spielte.
Am liebsten allerdings hätte er sie gepackt, seine Hände um ihre Brüste gelegt, ihren nackten Körper von oben bis unten berührt und geküsst.
Bestimmt wollte sie das Gleiche. Aber ihn zu begehren und die Wahrheit über ihre gemeinsame Zukunft zu akzeptieren, waren zwei verschiedene Dinge. Er musste geduldig sein und sie selbst zu dieser Erkenntnis kommen lassen.
Als sie anschließend über die lange Galerie promenierten, strebten sie unwillkürlich einem wenig belebten Bereich zu, und verborgen von den riesigen Wedeln eingetopfter, mannshoher Farne zog er sie an seinen Körper.
»Peter«, wisperte sie. Ihre Hände lagen auf seiner Brust, und sie atmete schneller. »Wenn uns nun jemand sieht? Wir wollen schließlich, dass alle denken …«
Er küsste sie, bis sie ganz außer sich geriet, sich an ihn drückte und ihre Arme um seinen Nacken warf. Er hätte schwören können, dass sie versuchte, auch seine Beine mit ihren zu umschlingen, wären da nicht ihre bauschigen Röcke im Weg gewesen.
Sie küsste sein Gesicht, seinen Hals immer und immer wieder, bedauerte nur, dass der hohe Kragen ihr eine Grenze setzte.
»Hast du mich vermisst?«, flüsterte er an ihrem Mund.
Sie legte den Kopf zurück und schloss die Augen, während sie deutlich sichtbar um Atem rang. »Warum muss ich immerzu nur daran denken?«
»Weil du verrückt nach mir bist, genauso wie ich verrückt nach dir bin.«
Einen Moment lang sah sie ihn nachdenklich an, dann zogen sich ihre Mundwinkel zu einem Grinsen nach oben. »Keiner würde je etwas Derartiges bei uns vermuten.«
»Man kennt uns nicht.«
Sie seufzte. »Falls plötzlich jemand auftauchen sollte, werde ich mich von dir losreißen, als hättest du mich gegen meinen Willen hinter diesen Farn gezogen.«
»Als könnte ich dich je gegen deinen Willen zu etwas bringen.«
Ihr Lächeln verblasste, während sie ihm in die Augen sah und schließlich nickte.
»Ich werde heute Nacht zu dir kommen.«
»Peter …«
Er grinste. »Ich bin mit meiner Suche nach der Kette schließlich noch nicht fertig. Und wenn ich beweisen will, dass du für dieses Gemälde Modell gesessen hast, dann … Na, du weißt schon.«
Sie ließ sich nicht anmerken, dass sie sein Spielchen durchschaute. Natürlich suchte er nur einen Vorwand, um mit ihr zusammen zu sein. »Ich könnte dich aussperren.«
»Versuch’s doch.«
Ihre Körper lösten sich voneinander, aber ihre Hände hielten sich weiter fest. Als müssten sie die Berührung bis zum letzten Moment auskosten. Dann gab sie sich einen Ruck und schuf einen gebührenden Abstand zwischen ihnen, warf ihm vorsichtshalber einen finsteren Blick zu und ging mit hoch erhobenem Kopf davon.
Als Peter kurz nach Mitternacht über den Balkon in ihr Zimmer kam, wartete Elizabeth bereits auf ihn in Nachthemd und Morgenmantel. Im schwachen Schein der einzelnen Kerze, die auf ihrem Nachttisch brannte, erkannte sie, dass nicht das gewohnte Lächeln auf seinem Gesicht lag und sein ganzer Körper angespannt wirkte, während er sie über das Bett hinweg betrachtete.
»Ich habe nach der Kette gesucht«, sagte sie, und ihre Stimme klang viel zu atemlos. »Ich kann sie nicht finden. Susanna oder Rebecca, eine von ihnen muss sie mitgenommen haben.«
Er sagte nichts, kam einfach um das Bett herum auf sie zu.
»Peter …« Und dann wusste auch sie nicht, was sie noch sagen sollte.
»Ich kann nicht einmal schlafen, ohne ständig an dich zu denken, Elizabeth«, murmelte er endlich. Seine Stimme klang ganz tief und heiser, und unter seinem lodernden Blick gaben ihre Knie nach.
»Ich kann dich spüren, selbst wenn du dich in einer anderen Ecke des Zimmers befindest und ich dich nicht sehen kann. Und trotz unserer kleinen Inszenierung ist es keine Wut, die mich dann überwältigt. Ganz im Gegenteil.«
Hoffnung stieg schmerzhaft in ihr auf und schwang in ihrer Stimme mit, die ihr fast zu versagen drohte. »James hat gesagt, dass du ständig von mir geredet hättest, bereits vor der Verlobung. Und Mary Anne sagte, du hättest immer schon mich gewollt. Wenn das stimmt, warum hast du es mir dann nicht gesagt?«
»Weil ich in deinen Augen nur ein lieber Freund war – bis zu der Sache mit dem Gemälde, bis zu der Wette. Von da an änderte sich alles.«
Und dann stand er vor ihr und zog sie zu sich hoch. »Lass mich dir zeigen, was ich empfinde«, murmelte er.
»Ich habe dich verletzt, Peter«, flüsterte sie.
»Das ist Vergangenheit.«
Sie wollte, dass alles endlich Vergangenheit wäre – ihre Unsicherheit und Eifersucht, ihre Befürchtungen, sie könnte nur ein Zeitvertreib für ihn sein. Sie spürte, dass er ihr nichts vormachte, dass er sie wollte. Bedingungslos. Und sie wünschte sich ebenfalls nichts sehnlicher, als ihm schonungslos ihre Gefühle zu offenbaren. All ihre Hoffnungen und Träume, die sie mit ihm teilen würde. In diesem Moment tat sie den mutigsten Schritt ihres Lebens und streckte die Hände nach ihm aus.
Sie flüchtete in seine Arme, die Geborgenheit und Schutz versprachen.
Benommen vor Glück und voller Verlangen stöhnte sie, als er sie auf den Hals küsste, an ihrer Haut knabberte und dann sanft mit der Zunge darüberfuhr, als wolle er den ihr zugefügten Schmerz lindern.
Sein Atem strich über ihre jetzt feuchte Haut, und sie zitterte. Als er sie kurz losließ, schwankte sie, doch er hielt sie gleich wieder, nachdem er Rock und Weste ausgezogen hatte.
»Dein Hemd auch«, sagte sie, und ihr fiel ein, dass sie seine Brust in der Kutsche zwar berührt, aber nicht nackt gesehen hatte.
Seine Augen wurden ganz dunkel und ganz ernst. Ohne den Blick von ihr zu wenden, nahm er sein Halstuch ab, öffnete den Kragen und die obersten Knöpfe seines Hemdes, ehe er es sich über den Kopf zog.
Er sah wirklich aus wie eine der antiken Statuen, die in Madingley Hall herumstanden. Sie hielt den Atem an und verschlang ihn mit ihren Blicken: die langen Muskelstränge, die hervortretenden Bauchmuskeln, sein Brusthaar, das sich zur Taille hin verjüngte, ehe es unterm Hosenbund verschwand. Und darunter konnte sie sehen, wie sich seine Erregung fordernd vorwölbte.
Sie hatten bereits so viele Dinge miteinander geteilt – und auch das wollte sie jetzt mit ihm tun.
Und dann schlang er seine Arme um sie, küsste sie voller Leidenschaft und vertrieb ihre letzten Hemmungen.
Ihr Morgenmantel glitt zu Boden, ihr Nachthemd wurde nach oben geschoben, und entgegen ihren heimlichen Befürchtungen empfand sie keinerlei Scham, sich nackt vor ihm zu zeigen.
Es blieb ihr außerdem kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn schon zog er sie mit einem Stöhnen an sich, um sie mit betörenden Küssen zu überhäufen. Ihre Haut glühte, und die Spitzen ihrer Brüste rieben hart wie kleine Kieselsteine über seine Brust. Seine Hände glitten über ihren Rücken, bevor sie nach vorne wanderten und ihren Busen in Besitz nahmen.
»O ja«, hauchte sie mit geschlossenen Augen und gab sich ganz dem Gefühl der Lust hin, die er ihr schenkte. Er hob ihre Brüste an, knetete sie und zog sanft an den Spitzen, während sie sich an seiner Taille festklammerte, um nicht zu Boden zu sinken.
Und dann hob er sie hoch und legte sie aufs Bett. Sie stützte sich mit den Ellbogen ab und presste die Knie fest zusammen, während sie ihn beobachtete, wie er Stiefel und Strümpfe auszog, um sich dann zu ihr zu legen.
Als er sich über sie beugte, ließ sie sich nach hinten in die Kissen fallen und zog ihn mit sich. Sein Gewicht auf ihrem Körper zu spüren war wie eine Offenbarung und erregend bis an die Grenzen des Erträglichen.
Er verteilte Küsse auf ihrem Gesicht und auf ihrem Körper, ehe er ihre Brüste in die Hände nahm und sie abwechselnd mit der Zunge umkreiste. Er zog die Spitze tief in seinen Mund, genoss stöhnend dieses besitzergreifende Gefühl und raunte Worte, die sie nicht verstand, nicht zu verstehen brauchte. Er gab ihr alles und vor allem sich selbst.
Während er weiter ihre Brüste liebkoste, glitt eine Hand über ihren Bauch nach unten und strich über die Löckchen zwischen ihren Schenkeln. Verwirrt von der Intensität dieser neuen Empfindungen verkrampfte sie sich, hinderte ihn jedoch nicht daran weiterzumachen, spreizte sogar bereitwillig die Beine.
Er schob seine Finger in die feuchte Höhlung und steigerte dadurch ihre Erregung. Unkontrolliert wand sie sich unter seinen Zärtlichkeiten. Er massierte und rieb das Zentrum ihrer Lust, während er ihre Brüste mit seinem Mund erregte. Die Flammen der Leidenschaft schlugen immer höher, bis sie meinte, es nicht länger ertragen zu können.
Plötzlich hörte er einfach auf und glitt aus dem Bett. Sie stieß einen kleinen Protestschrei aus und griff nach ihm, um ihn wieder zu sich zu holen, bis sie merkte, dass er sich nur seiner restlichen Kleidungsstücke entledigte.
Dann kam er wieder auf sie zu, diesmal völlig nackt. Sie warf einen kurzen Blick auf sein beachtliches Glied, als er sich zwischen ihre Schenkel legte und sich in Position brachte. Ein Beben ging durch ihren Körper. Sie wusste zwar in etwa, was sie jetzt erwartete, aber eben nicht ganz genau.
»Es wird nur dieses eine Mal wehtun«, sagte er, während seine Erregung sich schon hart und fordernd gegen ihre weiche Weiblichkeit drängte.
Sein Gesicht war vor Anspannung ganz verzerrt, und sie spürte den beginnenden Schmerz, bemühte sich, sich nicht zu verkrampfen, als er auch schon mit einem einzigen mächtigen Stoß in sie eindrang.
Schwer atmend sah er ihr ins Gesicht. »Bist du in Ordnung?«
»Ich … ich glaube ja. Ist es vorbei?«
Bei diesen Worten schenkte er ihr das schamloseste Grinsen überhaupt – ein Grinsen, wie sie es bei ihm noch nie gesehen hatte. »Was denkst du«, sagte er. »Das ist erst der Anfang.«
Dann bedeckte er ihren Mund mit seinen Lippen, während er sich in ihr zu bewegen begann. Ihr Unbehagen schwand zunehmend, und immer stärker wurde sie von dem Rhythmus, den sein Körper vorgab, mitgerissen. Bei jedem Stoß, wenn er sich ganz tief in sie hineindrückte, empfand sie ein unbeschreibliches Gefühl, das sie nicht zu benennen wusste.
»Meine Süße«, flüsterte er an ihrem Mund, »es ist so schön, endlich in dir zu sein.«
Endlich, wiederholte sie im Stillen und musste an die Jahre denken, die sie verschwendet hatte, weil sie den wahren Peter nicht kannte. Das war ihr letzter zusammenhängender Gedanke, ehe sie sich voll und ganz ihm und ihren Gefühlen überließ.
Bis schließlich in ihrem Innern alle Dämme zu brechen schienen und sie überwältigt von ihren Empfindungen auf einer Welle von Lust und Leidenschaft davongetragen wurde und schließlich erzitternd Erlösung fand.