KAPITEL 16
WAS IST EIN NAME?
Muhammad Ali gegen Floyd Patterson, 1965.
Am 23. Juni, einen Monat nach dem Kampf, erstattete Ali beim Bezirksgericht von Dade County, Florida, Anzeige und bat um Annullierung seiner Ehe mit Sonji Clay. Die Muslims hatten ihm gesagt, er solle sich entscheiden: entweder die Nation of Islam oder die Ehe mit einer Heidin. Es spielte keine Rolle mehr, daß Herbert Muhammad sie ihm überhaupt erst vorgestellt hatte. Als Ali und Sonji ein Paar waren und zu einer Muslim-Versammlung nach Arizona fuhren, traute Captain Sam sie auf »islamisch«, indem er sich auf seinem Vordersitz im Auto zu den jungen Leuten nach hinten drehte und »ich traue euch, ich traue euch, ich traue euch« sagte. Später erhielten sie noch den Segen des Staates Indiana in Gestalt eines Friedensrichters in Gary.
In seiner Anzeige nannte Ali Sonjis Versprechen, den Glaubenssätzen der Nation of Islam zu folgen, sowie dessen Nichteinhaltung. Seine Anzeige führte detailliert ihre Weigerung auf, den Bekleidungsvorschriften der Muslims Folge zu leisten. Als Beweis nannte er ihren Streit wegen der Sachen, die sie vor dem Kampf auf einer Pressekonferenz im Trainingscamp in Lewiston getragen hatte.
»Man konnte alles sehen! Die Säume ihrer Unterwäsche!« sagte Ali vor Gericht. »Enge Hosen vor all den Männern, das war falsch!«
Sonjis Anwälte brachten die Sachen sogar mit zum Gericht und fragten den Richter: »Gäbe es Einwendungen seitens des Gerichts, wenn sie das Kleid gleich in der Pause anzöge?«
»Ich glaube, das ist nicht nötig«, sagte der Richter. »Das Gericht hat eine lebhafte Phantasie.«
Sonji hatte zu der Verhandlung ein knielanges rotes Kleid angezogen, und ihr Anwalt fragte Ali: »Ist das Kleid, das Mrs. Clay heute trägt, für Muslims akzeptabel?«
»Nein, es ist zu eng«, sagte Ali. »Man sieht ihre Knie und auch ihre Gliedmaßen. Sie trägt falsche Wimpern und Lippenstift. Das bereitet dem Auge Lust, und mir ist es peinlich.«
Es stellte sich heraus, daß Sonji Ali mit ihrer Unbotmäßigkeit ärgerte. Als er ihr die Kosmologie der Black Muslims erklärte, so auch, daß das große fliegende Rad Bomben auf die Welt werfen werde, stichelte sie ihn etwa mit der Frage, warum Elijah Muhammads Haus in Chicago die Apokalypse überstehen werde, wo doch die ganze übrige South Side brennen werde. Und ebenso wie Cassius Clay senior hatte sie wenig übrig für die Muslims mit den schroffen Gesichtern und fragte sich laut, ob sie bei ihrer ganzen puritanischen Ethik nicht doch auch hinter Frauen her seien und den Weltmeister im Schwergewicht um sein Geld brächten.
Sonji war nach dem Kampf wütend aus Lewiston abgereist und sah Ali erst am 11. Juni in Chicago wieder. An dem Tag wollte Ali mit ihr zu einem Schneider fahren, um dort ein paar »einfache und schlichte« knöchellange Kleider zu kaufen. Sonji explodierte und verlangte, daß er sofort anhielt und sie aussteigen ließ. Von da an lebten sie nicht mehr zusammen.
In seiner Anzeige sagte Ali, das Thema Unschicklichkeit sei in ihrer einjährigen Ehe ein Dauerthema gewesen. Einmal habe er ihr mit dem Waschlappen den Lippenstift abgewischt, worauf Sonji das Haus verlassen habe. »Baby, ich halte es nicht mehr aus«, stand auf ihrem Zettel. »Ich bin nicht glücklich. Ich war nie richtig glücklich.«
»Ich liebe meinen Mann einfach und möchte mit ihm zusammen sein«, sagte Sonji Reportern gegenüber. »Es ist bloß seine Religion. Ich habe versucht, sie anzunehmen, und das habe ich ihm auch gesagt, aber ich begreife sie einfach nicht. Es fällt mir sehr schwer, mich so zu ändern, wie er mich haben will … Wir hatten immer unsere kleinen Reibereien wegen der Kleider. Ich habe ihm gesagt, wenn ich ihn in Verlegenheit bringe, halte ich mich eben im Hintergrund. Ich will einfach nur seine Frau sein, und ich lasse nicht zu, daß sie ihn mir einfach wegnehmen … Cassius hat gesagt, Elijah Muhammad habe ihm gesagt, ich brächte die gesamte Muslim-Nation in Verlegenheit, weil ich keine langen weißen Kleider trage, wie sie die Muslim-Frauen tragen sollen. Ich trinke nicht, ich rauche nicht. Ich gehe zu den Versammlungen und in den Gottesdienst und halte mich an die Essensvorschriften. Ich habe mich in seiner Religion taufen lassen. Alles, nur nicht die Kleider. Das habe ich nie mitgemacht. Ich bin es nicht gewohnt, so Zeug zu tragen. Ich bin normal, wie andere Frauen auch. Ich trag das Zeug nicht gern.«
In seiner Klage erklärte Ali, daß die Ehe gleich, schon am Tag, nachdem sie einander das Eheversprechen gegeben hatten, schiefgelaufen sei. Es hieß darin, daß Sonjis Versprechen, den Glauben zu praktizieren, »pure Heuchelei« gewesen sei, eine Täuschung, die ihr zu all dem materiellen Reichtum verhelfen sollte, den ein Champion erwarten ließ. »Jedes Mädchen träumt davon, einen Märchenprinzen zu finden, der sich die Dinge, die sie will, leisten kann«, hatte sie einmal gesagt. »Eines Tages habe ich aufgeblickt, und da war meiner.« Und dennoch schienen Ali und Sonji, allen Nicht-Muslims um sie herum zufolge, eine Liebesehe geführt zu haben, die erst dann in die Brüche ging, als die Führer der Nation anfingen, Druck auf Ali auszuüben. Sie gingen liebevoll miteinander um; Sonji kam sogar mit Alis Eltern aus. Später wurde Ali ein weltmeisterlicher Casanova – der »Beckenmissionar« –, doch solange er mit Sonji zusammen war, war er treu.
Als das Scheidungsurteil schließlich gefällt wurde, hatte Sonji ein gebrochenes Herz und ein nur bescheidenes Vermögen. Das Gericht verfügte, daß Ali ihr zehn Jahre lang jeweils 15 000 Dollar zu zahlen hatte sowie eine einmalige Zahlung über 22 500 Dollar, die ihre Gerichtskosten decken sollten. Als es vorbei war, ließ Ali Sonji eine bittere Notiz zukommen. »Du hast den Himmel gegen die Hölle eingetauscht, Baby«, stand darin. Doch auch sein Herz war gebrochen. Er wurde überschwemmt von sexuellen Angeboten – Lakaien wollten ihm Frauen besorgen, Frauen drängten sich ihm selbst auf. Doch monatelang hielt Ali sich zurück. Einmal sagte er, er bleibe in seinem Zimmer und rieche noch immer Sonjis Parfüm. Erst als sich ihr Geruch verflüchtigt hatte, kehrte Ali in die Welt der Frauen zurück.
»Als Muhammad zu den Frauen zurückging, hatte er natürlich Weltrekorde im Sinn«, sagte Pacheco. Doch anders als Jack Johnson hielt er sich von weißen Frauen immer fern. Eine strenge Befolgung der islamischen Gesetze hätte jeglichen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe ausgeschlossen, doch Ali machte sich wie immer seine eigenen Regeln. Für ihn war das Meiden weißer Frauen eine moralische und politische Notwendigkeit, eine Form von Stärke und Reinheit. Selten wurde er so leidenschaftlich wie beim Thema gemischtrassischer Sex und gemischtrassische Ehe.
»Mann, vor ein paar Monaten war ich in Chicago und habe gesehen, wie ein weißer Typ mit einer schwarzen Frau in ein Motelzimmer gegangen ist«, sagte er in einem Interview mit dem Playboy. »Er blieb mit ihr zwei, drei Stunden drin und kam dann wieder raus – das haben ein paar Brüder gesehen, und die haben kein Wort gesagt. Die hätten seinen Wagen mit Steinen bewerfen oder die Tür eintreten sollen, während er sie da drin gebumst hat – irgend etwas, damit der weiß, daß einem das nicht gefällt. Wie kann man ein Mann sein, wenn ein anderer Mann deine Frau oder deine Tochter oder deine Schwester nehmen kann – mit ihr auf ein Zimmer gehen und sie bumsen kann –, und du, Nigger, protestierst nicht mal? Aber unsere Frauen faßt keiner an, ob weiß oder schwarz. Faß eine Muslim-Schwester an, und du mußt sterben. Bist du als Weißer oder Schwarzer in einem Aufzug mit einer Muslim-Schwester und du tatschst ihr auf den Hintern, dann sollst du auf der Stelle sterben.«
»Allmählich klingen Sie wie die Kopie eines weißen Rassisten«, sagte der Interviewer. »Stellen wir das doch mal klar: Glauben Sie, daß Lynchen die Antwort auf gemischtrassischen Sex ist?«
»Ein Schwarzer sollte getötet werden, wenn er sich mit einer weißen Frau einläßt«, sagte Ali. »Und das haben die Weißen ja immer getan. Die haben Nigger schon gelyncht, wenn sie eine weiße Frau nur angesehen haben; das haben sie dann dreistes Glotzen genannt und das Seil hervorgeholt. Anquatschen, Betatschen, Unfug, Beschimpfen, unseren Frauen Mißachtung entgegenbringen – dafür sollte ein Mann sterben. Und nicht nur Weiße – auch Schwarze. Wir werden euch umbringen, und die Brüder, die euch nicht umbringen, die kriegen den Hintern versohlt und werden möglicherweise selber umgebracht, wenn sie das zulassen und nichts dagegen unternehmen. Sagt das dem Präsidenten – der wird nichts dagegen unternehmen. Sagt es dem FBI: Wir bringen jeden um, der versucht, sich an unsere Frauen ranzumachen. Keiner wird sie belästigen.«
»Und wenn eine Muslim-Frau mit einem Schwarzen ausgehen will, der kein Muslim ist – oder auch mit einem Weißen?« fragte der Mann vom Playboy.
»Dann stirbt auch sie«, antwortete Ali. »Die bringen wir auch um.«
Als Kämpfer war Ali plötzlich allein. Die Schwergewichtsklasse war zwar nicht ganz verödet, aber ziemlich nahe dran. Liston war gründlich entmystifiziert. Es gab keine Aufforderungen zu einem dritten Kampf. Wer konnte den schon ertragen? Und wer sonst sollte Ali herausfordern? Cleveland Williams? Eddie Machen? Die hatte Liston schon verprügelt. Ali witzelte, er sehne sich danach, gegen eine Große Weiße Hoffnung anzutreten; ein starker weißer Herausforderer, sagte er, werde die Börse in die Höhe treiben wie kein anderer schwarzer Gegner. Tatsächlich boxte er 1966 auch gegen vier weiße Möchtegerne und schlug sie: George Chuvalo (er war der härteste), Henry Cooper, Brian London und Karl Mildenberger.
Doch Ali mußte sich zunächst mit einem gewichtigeren Herausforderer beschäftigen, einen, der ihn wirklich geärgert hatte – Floyd Patterson. Nach seinen demütigenden Niederlagen gegen Liston und den darauffolgenden Siegen Alis hatte Patterson sich zum Rächer aufgeschwungen, und zwar des guten Rufs des Boxens und des Christentums wegen. Dieser Antagonismus hatte über ein Jahr geköchelt. Bei seinem ersten Interview mit Alex Haley für den Playboy nur wenige Tage nach seinem ersten Kampf gegen Liston verlor Ali nur einmal die gute Laune. »Zum ersten Mal werde ich nun so trainieren, daß ich einen brutalen Killerinstinkt entwickle«, sagte er. »Bisher habe ich das noch keinem gegenüber so empfunden. Boxen ist für mich nur ein Sport, ein Spiel. Patterson jedoch würde ich zu Boden schlagen wollen, so wie der nach seiner letzten Tracht Prügel wieder auftauchte und verkündete, er wolle gegen mich antreten, weil kein Muslim es verdiene, Champion zu sein. Ich habe nie etwas dagegen gehabt, daß er Katholik ist. Aber er wollte unbedingt gegen mich kämpfen, um der Champion der Weißen zu sein.«
Für Ali, der bei Malcolm X gelernt hatte, repräsentierte Patterson die kriecherische Haltung der Negerpolitik alten Stils. Patterson war der Integrationist, der Anpasser, das Symbol der Sit-ins und der gemischtrassischen Ehe. Es war Ende 1965, nicht lange nach den Unruhen in Watts, dem Ghetto von Los Angeles – ein Ereignis, das die tiefe Unzufriedenheit mit der Integrationspolitik offenbarte, ein Ereignis, das Malcolms Aufruf, die Macht »mit allen nötigen Mitteln« zu ergreifen, zu bestätigen schien. Besonders für viele junge Schwarze war das Patterson-Modell ein Gegenstand des Mitleids. Ali machte sich über ihn lustig, weil er sich ein Haus in einem weißen Viertel gekauft hatte, nur um dann festzustellen, daß die weiße Nachbarschaft ihn nicht wollte, und wieder wegzuziehen. »Ich habe nie was Erbärmlicheres gelesen als Pattersons Erklärung in der Zeitung: ›Ich habe es mit der Integration versucht – es hat einfach nicht funktioniert‹, sagte er.«
Während Ali sich von seiner Leistenbruchoperation erholte und auf den zweiten Kampf gegen Liston wartete, stattete er Pattersons Trainingscamp im Staat New York mit einem Haufen Salat und Möhren einen Besuch ab und schrie, er wolle nichts weiter, als »das Kaninchen« in seinen Bau zurückzutreiben. »Du bist nichts als ein Onkel Tom-Neger, ein Neger der Weißen, ein gelber Neger«, höhnte Ali. »Du bist zweimal gegen Liston ausgestiegen. Geh in den Ring, dann mach ich dich gleich fertig.«
Wie immer verhinderte Alis unterschwelliger Humor, daß sein Hohn bösartig klang. Ali wiederholte diese Auftritte viele Male. Um einen Kampf zu promoten und sich darauf einzustimmen, baute er eine Art halbernste Feindschaft gegen seinen Gegner auf und stellte ihn als den Trottel des weißen Establishments hin. Diese Auftritte wurden zum Ritual: der »Überraschungsbesuch« im Lager des Gegners, die Spitznamen, die Verhöhnungen, das »Haltet mich zurück, tragen wir’s jetzt gleich aus«-Getue, die eingebildete Vendetta. Manche, Joe Frazier etwa, nahmen ihm diese Auftritte noch jahrelang übel; besonders Frazier ging es sehr nahe, daß Ali ihn einen dummen Tom nannte und ihn als den Kämpfer der »weißen Machtstruktur« brandmarkte. Andere, die selbstbewußter waren oder es einfach toll fanden, mit dem berühmtesten Sportler der Welt in einem Atemzug genannt zu werden, machten gute Miene; sie waren glücklich und wurden gut dafür bezahlt, die Folie abgegeben zu haben.
Doch Alis Wut auf Patterson war echt, sie steckte tief in ihm drin, auch wenn sie in humoriger Form daherkam. Patterson sah sich nach und nach tatsächlich als der christliche Retter des Boxens. Ali hatte einen Kampf gegen Patterson für den 22. November 1965 in Las Vegas vorgesehen, doch schon lange vorher hatte Patterson gezeigt, wie gern er die Rolle des Erlösers spielen wollte. In der Sports Illustrated vom 19. Oktober 1964 verfaßte er, zusammen mit seinem engen Freund Milton Gross von der New York Post, den ersten von drei Artikeln, in denen er seine Position darlegte. Er schrieb:
Ich bin ein Neger und stolz darauf, aber ich bin auch Amerikaner. Ich bin nicht so dumm, um nicht zu wissen, daß die Neger nicht alle Rechte und Privilegien haben, die alle Amerikaner haben sollten. Ich weiß, daß wir sie eines Tages bekommen werden. Gott hat uns alle erschaffen, und was Er getan hat, ist gut. Alle Menschen – weiße, schwarze und gelbe – sind Brüder und Schwestern. Das wird Anerkennung finden. Es wird nur Zeit brauchen, aber es wird nie kommen, wenn wir so denken wie die Black Muslims. Statt Liebe und Integration predigen sie Haß und Separation. Sie predigen Mißtrauen, wo es doch um Verstehen geht. Clay ist so jung und wurde von den falschen Leuten so in die Irre geleitet, daß er nicht erkennt, wie weit wir schon gekommen sind und wieviel Schaden er angerichtet hat, indem er den Black Muslims beigetreten ist. Ebensogut hätte er dem Ku-Klux-Klan beitreten können …
Einen Brief werde ich immer in Erinnerung behalten, weil er mir gezeigt hat, wie Böse zu Gut werden und Mißverständnis zu Verständnis werden kann, indem man anständig lebt. Er war von einem Mann, der im Süden ein Restaurant besitzt. Er schrieb mir, daß er Neger nie habe leiden können, aber nachdem er gelesen habe, wie ich mich als Champion benahm, habe er seine Haltung geändert. Er sagte, ich könne mit jedem, wie ich wollte, zu ihm in sein Restaurant kommen und mich auf eine Tasse Kaffee hinsetzen, und er würde sich zu uns setzen. Von nun an, sagte er, wolle er jedermann bedienen. Gewiß, eine Kleinigkeit, und es mag von ihm auch herablassend klingen, aber ich finde es dennoch wichtig … Würde dieser Mann Clay als Angehörigem der Black Muslims schreiben? Ich glaube nicht.
Pattersons Sehnsucht, von Leuten aus einer niedrigeren Schicht anerkannt zu werden, fand Ali erbärmlich. Für ihn war es so, als wäre Patterson dankbar für die herablassendste Behandlung, die man sich nur denken konnte. Patterson war der gequälte Junge aus Bedford-Stuyvesant, der von freundlichen Weißen gerettet und angenommen worden war: von Eleanor Roosevelts Wiltwyck-Schule, von Cus D’Amato, von Präsident Kennedy. Alis Weigerung, um Akzeptanz zu betteln, reflektierte die neue, von Malcolm X verbreitete Einstellung. Dabei wäre es aber mehr als herablassend, Patterson einfach abzutun. Ebenso wie Bundini in dem Restaurant in Yulee wollte er nur wie ein Mensch behandelt werden, bedient werden und, wenn ihm dies verweigert wurde, seinem Groll Ausdruck verleihen. Patterson lediglich als Jammerlappen abzutun würde bedeuten, die gesamte Bürgerrechtsbewegung, wie sie von Martin Luther King verstanden wurde, abzuqualifizieren. Letzten Endes war der gewaltlose Widerstand viel effektiver als alles, was die Nation of Islam und andere nationalistische Gruppen versuchten – und nicht weniger gefährlich. James Baldwins 1962 erschienenes Buch The Fire Next Time (Hundert Jahre Freiheit ohne Gleichberechtigung) war auch deshalb so brillant, weil es die »Nation« nicht als besonders effektive politische Gruppierung bezeichnete, sondern als ein Symptom anhaltender Unterdrückung und als Warnung, daß beschränkte gesellschaftliche Veränderungen zu einem Großbrand führen würden – der dann auch schon bald kommen sollte.
Dennoch war das Bemerkenswerte an Patterson, wie sehr er sich berufen fühlte, Ali zu schlagen, nicht einfach nur, um einer zweifelnden Öffentlichkeit seine Überlegenheit als Boxer zu beweisen, sondern auch die Überlegenheit einer Religion und des liberalen Vokabulars der Chancengleichheit. Natürlich wollte Patterson sich unbedingt von dem Makel reinigen, in weniger als fünf Minuten zweimal gegen Liston verloren zu haben. Das konnte er nur dadurch schaffen, daß er sich den Titel zurückholte oder bei diesem Unterfangen wenigstens tapfer kämpfte. Gemeinhin versuchen Boxjournalisten, aus einem sportlichen Wettkampf eine tiefere Bedeutung herauszupressen, wenn auch nur, um mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Patterson hatte ihnen diese Aufgabe erleichtert und realistisch gemacht. Er erklärte sich sogar bereit, gegen Ali kostenfrei anzutreten und seine Börse der NAACP zu spenden. Man hatte den Eindruck, daß sein Angebot nur halb im Scherz gemeint war. Patterson sagte sogar, daß ein Sieg über Ali – über Clay, wie er ihn beharrlich nannte – »mein Beitrag zu den Bürgerrechten« sei.
Patterson hatte nie einen Zweifel, daß Liston in Lewiston hart getroffen worden war; hingegen konnte er nicht begreifen, daß dieser gewaltige Kämpfer in Miami aufgegeben hatte – und das auch noch gegen einen Nicht-Christen! »Es traf mich fast so sehr, als wäre ich selbst k. o. geschlagen worden«, schrieb Patterson. »Ausgerechnet er! Der Unschlagbare, wie die Presse ihn nannte, gab auf seinem Hocker auf … Wenn Liston nicht mit einem Arm schlagen konnte, was war dann mit dem anderen? … Ich kann das nicht so stehenlassen. Ich kann nicht zulassen, daß die Leute sich nur daran erinnern, daß ich gegen einen Mann verloren habe, der gegen einen anderen einfach so aufgegeben hat, noch dazu gegen einen, der sich die Weltmeisterschaft, die ja doch der ganzen Welt gehört, geschnappt und den Black Muslims geschenkt hat, die zu unserer Welt gar nicht gehören wollen.«
Sechs Wochen vor dem Kampf ritt Patterson in der Sports Illustrated vom 11. Oktober eine Attacke, mit der er sich noch mehr stilisierte. Dem Artikel vorangestellt war die Kopie einer Art Absichtserklärung, handschriftlich und unterschrieben von Patterson:
»Ich boxe gern. Das Bild eines Black Muslim als Weltmeister im Schwergewicht ist eine Schande für den Sport und die Nation. Deshalb: CASSIUS CLAY MUSS GESCHLAGEN WERDEN von Floyd Patterson.«
Patterson begann moderat, wurde aber bald schrill:
Man könnte auf die Idee kommen, daß der gesamte Sport von mir abhängt und daß der Boxsport ganz sicher stirbt, wenn ich, gewissermaßen als hausgemachter Sir Galahad, den Schurken nicht besiege. Das ist Unsinn. Andererseits, und das ist mir sehr wichtig, könnte der Boxsport jetzt wirklich ein neues Ansehen gebrauchen. Ich sage, und ich sage es klipp und klar, daß die Vorstellung eines Black Muslim als Weltmeister im Schwergewicht eine Schande für den Sport und die Nation ist. Cassius Clay muß geschlagen werden, die Geißel der Black Muslims muß aus dem Boxsport entfernt werden.
Indem er mich eine »schwarze weiße Hoffnung« genannt und mehrere andere schlecht beratene und maßlose Bemerkungen gemacht hat, hat er das Bild der amerikanischen Neger und der Bürgerrechtsgruppen, die für sie arbeiten, fortwährend beschädigt. Kein anständiger Mensch kann zu einem Champion aufblicken, dessen Kredo ist: »Haßt die Weißen«. Ich habe für die Black Muslims und das, wofür sie stehen, nur Verachtung übrig … Ich bin Katholik. Ich glaube nicht, daß Gott uns hierher gebracht hat, um einander zu hassen. Ich glaube, daß es falsch ist, wenn die Muslims Segregation, Haß, Rebellion und Gewalt predigen. Welche Religion lehrt so etwas? Indem Cassius Clay eine solche Propaganda predigt und den Mord an Malcolm X, der den Muslims den Rücken gekehrt hat, nicht rundheraus verurteilt, bringt er Schande über sich und die Negerrasse.
Pattersons Tugendhaftigkeit kannte keine Grenzen. Doch anders als Ali, der seinen Spott stets mit einem Lächeln und einem Scherz entschärfte, ließ Patterson nie durchblicken, daß er in einer Art politischen »dozens« steckte, einer rituellen rhetorischen Kraftprobe. Er meinte jedes Wort ernst, seine durchaus vernünftige Kritik an Alis Verhalten gegenüber Malcolm X ebenso wie seine bizarre Vision dessen, was im Ring geschehen könnte.
»Um es ganz offen zu sagen«, fuhr Patterson fort, »ich habe sogar an einen Attentatsversuch auf Clay während unseres Kampfs gedacht. Wenn Präsident Kennedy ermordet werden konnte, dann sollte dies auch bei Clay nicht allzu schwierig sein, denn er ist nicht annähernd so wichtig wie unser ermordeter Präsident. Angenommen, jemand versucht tatsächlich, Clay zu ermorden, während wir kämpfen. Das ist jetzt kein Witz. Zwei Boxer bewegen sich schnell durch den Ring, und wenn eine Kugel abgefeuert wird, könnte ich in die Schußlinie geraten und statt Clays getötet werden. Wenn ich an die Möglichkeit eines Attentats gedacht habe, dann ja wohl auch Clay.«
Patterson räumte sich hervorragende Chancen auf den Sieg ein, weil er Ali für unerfahren und einen schlechten Infighter hielt, der einen schwachen Punch hat (»Ich schlage bestimmt härter als er«).
»Dies ist ein persönliches Ziel ebenso wie ein moralischer Kreuzzug«, erklärte Patterson. »Ich bin überzeugt davon, daß Clay, da er nun seine Frau loswerden will, weil sie den Glauben der Muslims nicht annehmen will, ein treuer Black Muslim ist und nicht die Absicht hat, sich von ihnen abzuwenden.« Doch während Ali das Recht habe, sich seine Religion selbst auszusuchen, »habe auch ich Rechte. Ich habe das Recht, die Black Muslims als eine Bedrohung der Vereinigten Staaten und eine Bedrohung der Negerrasse zu bezeichnen. Ich habe das Recht zu sagen, daß die Muslims schlecht sind. Würde ich die Muslims unterstützen, könnte ich ebensogut auch den Ku-Klux-Klan unterstützen.«
Ali las diese Geschichten in Sports Illustrated und antwortete wütend. »Ich will, daß er übel zugerichtet wird, daß seine Rippen eingedrückt werden, und dann schlage ich ihn k. o.«, sagte er. »Ich bin Amerikaner, er aber ist ein tauber, stummer und blinder sogenannter Neger, der eine ordentliche Tracht Prügel braucht. Sie können davon ausgehen, das wird ein guter Kampf. Ich habe vor, an ihm vor aller Welt ein Exempel zu statuieren. Ich werde ihn für alles bestrafen, was er über mich in den Zeitschriften gesagt hat.«
Spielte Ali die Rolle des aufsässigen Jack Johnson, so weckte Patterson die Erinnerung an Peter Jackson. Als John L. Sullivan Champion war, weigerte er sich, gegen den Farbigen Jackson anzutreten, der als einer der größten Boxer seiner Zeit galt. Jackson wurde in Westindien geboren und zog dann mit seiner Familie nach Australien, wo er 1880 Schwergewichtsmeister wurde. Damalige Beobachter meinten, er wäre bestimmt auch Weltmeister geworden, wäre ihm nur die Gelegenheit, darum zu kämpfen, gewährt worden. Einer seiner tapfersten Versuche fand 1891 statt, als er, dreißigjährig, gegen »Gentleman Jim« Corbett kämpfte und nach einundsechzig Runden ein Unentschieden erreichte. Um Geld zu verdienen, spielte Jackson sogar in einer Theateraufführung von Harriet Beecher Stowes Roman den Onkel Tom; nach Ende der Vorstellung machte Jackson den Oberkörper frei und absolvierte als »zusätzliche Attraktion« einen Schaukampf über drei Runden.
Frederick Douglass und später auch der Schriftsteller James Weldon Johnson gehörten zu den schwarzen Führern, die Peter Jackson wegen seiner Geduld und der Würde, mit der er den Rassismus seiner Zeit ertrug, bewunderten. »Peter Jackson war in den Vereinigten Staaten das erste Beispiel eines Mannes, der in dem Glauben handelte, Preisboxer und kultivierter Gentleman zugleich sein zu können«, schrieb Johnson in seinem Buch Black Manhattan. »Seine Ritterlichkeit im Ring war so groß, daß Sportjournalisten ihm bis heute das zweifelhafte Kompliment eines ›weißen Farbigen‹ anhängen. Er war sehr beliebt in New York. Hätte Jack Johnson eine Haltung ähnlich der Peter Jacksons gehabt, wäre die nachfolgende Geschichte des Negers im Ring wohl etwas anders verlaufen.«
1965 jedoch waren schwarze Intellektuelle weit entfernt davon, den kultivierten Gentleman als Vorbild zu akzeptieren. »Es sollte keine Peter Jacksons mehr geben, keine tragischen schwarzen Gentlemen mehr, die bei den Weißen als geistige Mulatten (›schwarze Haut, weißes Herz‹) galten«, schrieb Gerald Early. »Letztlich verurteilen (Eldridge) Cleaver und (Amiri) Baraka Floyd Patterson deshalb so vehement, weil er sich offenbar danach sehnte, endlich der moderne Peter Jackson zu sein. In den sechziger Jahren erlangte Jack Johnson wieder Anerkennung in Gestalt Muhammad Alis, der natürlich die unvermeidliche historische Neuausgabe Johnsons war.« Patterson sehnte sich danach, sich der Integration als würdig zu erweisen; in Alis Rhetorik dagegen hatten die Weißen die Integration nach allem, was sie den Schwarzen angetan hatten, nicht verdient. Mit der Begegnung Patterson gegen Ali mochte das Schema des guten Negers gegen den bösen für einen Großteil des weißen Publikums wieder klar gewesen sein, für die Schwarzen jedoch sah das ganz anders aus.
Was Ali vielleicht am meisten aufbrachte, war Pattersons Unterstellung, als Muslim sei er irgendwie kein Amerikaner. Es war zwar durchaus richtig, daß Ali von seiner Afrikareise inspiriert worden war, auch, daß er, während er dort war, die Afrikaner als »mein Volk« bezeichnete und von der Freude sprach, »nach Hause« zu kommen, dennoch war er durch und durch Amerikaner und auf dem besten Weg, ein amerikanischer Volksheld zu werden. Ali hatte vielleicht nicht W. E. B. Du Bois gelesen, doch er war ein lebendiges Beispiel der »Zweiheit«, des »Doppelbewußtseins«, wie dieser es in The Souls of Black Folk beschrieben hatte.
»Patterson sagt, er wird den Titel nach Amerika zurückholen«, sagte Ali dem Journalisten und Biographen John Cottrell. »Wenn Sie nicht glauben, daß der Titel schon in Amerika ist, dann sehen Sie mal, wem ich meine Steuern zahle. Ich bin Amerikaner. Er aber ist ein taubstummer sogenannter Neger, der eine ordentliche Tracht Prügel braucht. Ich habe vor, ihn für das, was er gesagt hat, zu bestrafen, ihm Schmerzen zu bereiten. Der Mann hat zur falschen Zeit angefangen, mit dem falschen Mann zu reden. Wenn Floyd über mich redet, bringt er sich in eine ganz allgemeine Verlegenheit. Wir finden ebensowenig, daß die Muslims den Titel haben, wie die Baptisten ihn zu haben glaubten, als Joe Louis Champion war. Glaubt er denn, ich werde so dumm sein, seine Religion anzugreifen? Ich habe so viele katholische Freunde aller Rassen. Und wer bin ich denn, daß ich mich zu einer Autorität über die katholische Religion mache? Warum sollte ich mich denn zum Idioten machen? Er sagt, er will den Titel nach Amerika zurückholen. So wie ich mich verhalte, gehöre ich mehr nach Amerika als er. Warum soll ich mich denn von einem alten Neger zum Idioten machen lassen?«
Ali war äußerst zuversichtlich, daß er mit Patterson im Ring fertig würde. Er war jünger als Patterson, kräftiger als Patterson. Er hatte einen enormen Vorteil bei der Reichweite – achtundzwanzig Zentimeter. In allen Bereichen, in denen Patterson stark war – Schnelligkeit, Beinarbeit –, war Ali bei weitem stärker.
Zur Vorbereitung auf den Kampf wohnte Ali im El Morocco Hotel in Las Vegas, und er trainierte härter, als nötig war. Er hatte noch nicht jenes Stadium seiner Karriere erreicht, in dem er sich seine Zeit und Energie sorgfältig einteilte; zudem wollte er Patterson eine echte Abreibung zukommen lassen. Einer seiner Sparringspartner, Cody Jones, mußte Pattersons typische Bewegungen nachahmen: die »peekaboo«-Verteidigung, den Känguruhschlag. Manchmal verkehrte Ali aus Spaß die Rollen, imitierte Pattersons Haltung und seinen gesprungenen Haken. Alis Bruder Rahaman kam auch noch dazu und drosch auf Alis Körper ein, obwohl Patterson dies wahrscheinlich gar nicht tun würde.
Unterdessen hatten Bundini und Ali wieder eine ihrer Streitereien. Die Muslims im Camp fanden es nicht so gut, daß Bundini trank und weißen Frauen nachstellte, und als Bundini zugab, Alis Meisterschaftsgürtel verpfändet zu haben, wurde der Rausschmiß unausweichlich. Erst als Ali selbst aus dem Exil zurückkam, kehrte Bundini wieder in dessen Ecke zurück. Und so war Ali seinen wichtigsten Cheerleader los. Diesmal brauchte er ihn wohl auch nicht. Fünf Tage vor dem Kampf nahm Ali sich frei und besuchte Elijah Muhammad in Arizona, wo dieser sich wegen seines Bronchienleidens ein Haus gekauft hatte.
Seit seinen Niederlagen gegen Liston hatte Patterson einen italienischen Kaffeehändler namens Sante Amonti, Machen, Charlie Powell, George Chuvalo und Tod Herring geschlagen. Besonders der Sieg über Chuvalo, einen Mann aus Toronto mit einem harten Punch, hatte ihm Mut gemacht. Er fand, daß er seinen Stil und auch seinen Kopf wieder auf die Reihe bekommen hatte. Er fühlte sich bereit. »Für Liston war ich eigentlich nicht bereit«, sagte Patterson. »Für Clay dagegen war ich bereit.«
In der Regel war Patterson für Reporter sehr zugänglich, doch je näher die Kampfwoche rückte, desto mehr schottete er sich ab, wurde unnahbar. In der Stadt kursierten Gerüchte, Patterson habe wieder seine alte Verkleidung in die Arena mitgebracht. Patterson bestritt das.
»Ich setzte so große Hoffnungen auf den Kampf, so viel stand für mich auf dem Spiel, so viele feuerten mich an«, sagte Patterson später zu Gay Talese. »Ich weiß noch, wie mich am Morgen des Kampfs Frank Sinatra sehen wollte, und Al Silvani, ein Freund von Sinatra und einer meiner Trainer, begleitete mich in seine Suite im Sands Hotel. Vor dem Kampf kannte ich Silvani nicht besonders gut, aber Sinatra hatte mich Anfang des Jahres nach dem Tod meines Trainers Dan Florio angerufen und gesagt, wenn ich Silvanis Hilfe gebrauchen könnte, könnte ich ihn haben. Ich sagte nicht gleich ja. Ich überlegte es mir und wollte lieber noch warten. Dann rief Sinatra wieder an und sagte, ich könnte Silvani haben, der arbeitete zu der Zeit in Sinatras Filmgesellschaft, und schließlich sagte ich okay, und zwei Tage vor dem Kampf traf Silvani in Las Vegas ein, um mir gegen Cassius Clay zu helfen, und am Morgen des Kampfs begleitete er mich in Sinatras Suite, und an dem Morgen war Sinatra sehr nett, sehr aufmunternd. Er sagte mir, ich könne siegen, und wie viele Leute in Amerika darauf zählten, daß ich die Weltmeisterschaft von Clay zurückhole.«
Erneut betrat Patterson unter der Last prominenter Unterstützung den Ring.
Am Abend des Kampfs, das Attentat auf Kennedy jährte sich zum zweiten Mal, regnete es in der Wüste, wahre Sturzbäche dezimierten die Zuschauerzahl im Convention Center. Es kamen ungefähr 8000, was eine Einnahme von einer Viertelmillion Dollar ergab, immerhin konnten sich die Promoter über die Kartenverkäufe in den Kinos freuen, besonders in Europa. Auf Wunsch Alis sollte ein schwarzer Sänger die Nationalhymne singen; die Promoter bestimmten Eddie Fisher. Patterson stieg in einem aufwendigen roten Samtmantel in den Ring, Ali dagegen trug einen weißen Frotteemantel, wie ihn die alten Männer in der Collins Avenue in Florida am Strand trugen. Ali schien die Sache weniger als Spektakel oder besonderen Anlaß, sondern eher als unerbittliche Pflicht anzugehen. Er war entschlossen, Patterson zu beweisen, wie sehr er sich verrechnet hatte, was für einen großen Fehler er begangen hatte zu glauben, der Weg in die Herzen der Öffentlichkeit im Jahr 1965 sei es, sich zum Champion der Anpassung zu erklären.
»Ali war ein schöner Krieger, und er reflektierte eine neue Haltung für einen Schwarzen«, sagte Toni Morrison. »Ich mag Boxen nicht, aber er war etwas ganz Besonderes. Seine Grazie war beinahe erschreckend.« Patterson dagegen deutete Ali falsch. Dafür sollte er nun bezahlen.
Der Kampf wurde eine einzige Qual, und die erste Runde war die allerschlimmste. Ali huschte durch den Ring wie ein exzellenter Fliegengewichtler, ein Wasserläufer, der über die Matte und an den Seilen entlang glitt. Während der gesamten drei Minuten setzte er keinen einzigen ernsthaften Schlag an. Sein Ziel war Demütigung, sportliche, psychologische, politische und religiöse. Was hätte für Patterson demoralisierender sein können? In seinem Tanz entzog Ali sich mit Leichtigkeit Pattersons kümmerlichen Angriffsbemühungen; der Champion verhöhnte den Herausforderer: »Komm schon, Amerikaner! Komm schon, weißer Amerikaner!«
Ali war so schnell und wollte Patterson so sehr reizen, daß er Schläge nur antäuschte, fintierte, hüpfte, mit den Schultern ruckte, alles nur, damit Patterson reagierte und seine reflexive Furcht offenbarte.
Dann, in der zweiten Runde, fügte Ali diesem demütigenden Rezept den Jab hinzu, setzte ihn Patterson jedesmal, wenn dieser sich heranwagte, ins Gesicht.
»Ich habe zu einem Schwinger angesetzt und ihn verfehlt, und davon bekam ich einen Muskelkrampf, und danach konnte ich nur noch unter großen Schmerzen schlagen«, sagte Patterson später. »Ich konnte nicht einmal mehr gerade stehen, der Schmerz war wie kein anderer zuvor, und ich hoffte nur noch, Clay würde mich k. o. schlagen. Es ist nicht schön, das zuzugeben, aber es ist die Wahrheit.«
Patterson schwindelte nicht. Sein Rücken machte ihm tatsächlich Schwierigkeiten, und in den Kampfpausen versuchten seine Betreuer Buster Watson und Al Silvani, die Schmerzen zu lindern, indem sie ihn hochhoben und ihm die Muskeln im Nacken und im unteren Rückenbereich massierten. Patterson bewegte sich ganz gut, vielleicht drei Viertel so gut wie sonst, doch das genügte nicht annähernd, um an Ali heranzukommen.
Runde um Runde umkreiste Ali Patterson, jabbte, schlug linke Haken aus der Hüfte, brachte die rechte Gerade an, machte, was er gerade wollte, und gleichzeitig redete er auf Patterson ein, forderte ihn höhnisch auf, sich noch mehr anzustrengen, noch härter zu schlagen.
»Schluß mit dem Gerede!« sagte ihm der Ringrichter Harry Krause, doch Ali dachte nicht daran.
Ali brachte Patterson schlimme Treffer bei, ließ Haken gegen seinen Kopf regnen, und dennoch schien er sich damit zu begnügen, Patterson auf den Beinen und das Spektakel am Laufen zu halten. Er wollte – oder konnte – es nicht beenden. In der sechsten Runde war Patterson so erschöpft und zerschlagen, daß er sich nach einem linken Haken auf ein Knie fallen und sich einfach ein paar Sekunden anzählen ließ. Doch aufgeben wollte er nicht, und Ali wollte dem Spiel kein Ende machen. Am Ende jeder Runde winkte Ali Patterson verächtlich zu. Im Clinch nannte er ihn Onkel Tom, Onkel Tom, Nigger der Weißen.
»Überlegenheit!« brüllte er Patterson an. »Bringt mir einen Herausforderer!«
»Ali, schlag ihn um Gottes willen k. o.!« schrie Dundee durch die Seile.
Robert Lipsyte von der Times, der vorn am Ring saß, meinte, Ali gehe mit Patterson um wie ein grausames Kind mit einem Schmetterling, dem es die Flügel herausreißt. Mit diesem Vergleich begann er seinen Bericht in der Ausgabe am nächsten Morgen.
Harry Krause wollte den Kampf nach der elften Runde beenden, doch Patterson ließ das nicht zu. Er war nach wie vor der einzige, der den Schwergewichtstitel zweimal gewonnen hatte, und nun kämpfte er ein drittes Mal darum. Krause war nicht derjenige, der ihm das verwehren wollte. Erst in der zwölften Runde wurde klar, daß eine Fortsetzung des Kampfs zuzulassen bedeuten würde, an bleibenden Schäden Pattersons mitschuldig zu werden.
»Ich wollte von einem Treffer fallen, der eines Knockouts auch würdig war«, gab Patterson später gegenüber Talese zu. »Aber in der zehnten und elften Runde landete Cassius Clay nichts Gescheites. Er jabbte nur. Dann, in der zwölften, schlug Clay plötzlich wie ein Wilder. Er ging noch immer kein Risiko ein, aber er kam und landete Treffer um Treffer, hier, hier, hier, hier – ich bekam Treffer überall am Kopf, und dann geschah etwas ganz, ganz Seltsames. Ein Glücksgefühl überkam mich. Ich wußte, daß das Ende bevorstand. Der Schmerz, mich im Ring aufrecht zu halten, das scharfe Messer in meinem Rücken, das jede Bewegung mitmachte, damit würde es bald vorbei sein, und ich würde bald weg sein. Und während Clay Punch um Punch landete, war ich groggy und glücklich. Vielleicht erinnern Sie sich, wenn Sie den Film von diesem Kampf gesehen haben, wie ich mich zum Ringrichter hindrehte und den Kopf schüttelte: ›Nein, nein!‹ Viele glaubten, ich protestierte gegen seine Entscheidung, den Kampf zu beenden. Aber in Wirklichkeit protestierte ich dagegen, daß er die Punchs beenden wollte. Ich wollte von einem richtig guten getroffen werden. Ich wollte von einem richtig guten Punch umgehauen werden, nur so k. o. gehen.«
Krause beendete den Kampf nach zwei Minuten und achtzehn Sekunden in der zwölften Runde. Pattersons Betreuer trugen ihn praktisch aus dem Ring. Wie immer nach einer Niederlage meinte er, sich entschuldigen zu müssen. »Ich kann es viel, viel besser, das weiß ich«, sagte er.
Den Zuschauern hatte der Kampf überhaupt nicht gefallen. Als Ali durch die Seile stieg und die Treppe hinunterging, erschollen wieder Buhrufe. Wie viele der Journalisten am Ring, hatten die Fans an dem Abend bei Ali wohl Grausamkeit entdeckt. Sie glaubten, er habe Patterson durch die Runden geschleppt. Ali bestritt das, wenn auch etwas lahm, wenn er sagte: »Ich habe ihn so regelmäßig und so hart getroffen, daß ich mich zurückhalten mußte, um mich nicht selbst kaputt zu machen.«
Ali ging zur Siegesparty im Sands Hotel in Begleitung von zwanzig Mitgliedern der Nation of Islam und drei Muslim-Frauen aus Pakistan. Seine rechte Hand war so wund, daß er die Glückwünsche nur mit der linken entgegennahm.
Abseits, in einer Ecke, saß Sonji und beobachtete Ali. Sie weinte, und es oblag Bundini, ihrem Mitverbannten, sie zu trösten.
»Geh in den Salon und reiß dich zusammen«, sagte er zu ihr. »Du willst doch nicht, daß die ganzen Leute hier sehen, wie du weinst. Davon geht die Welt nicht unter.«
Als Sonji ging, folgten ihr Alis Blicke durch den Raum.
»Sie liebt ihn, und er liebt sie«, sagte Bundini einem Freund aus Louisville. »Es ist jammerschade, daß die Muslims sie trennen mußten. Sie klammert sich an die Hoffnung, daß Cassius sich irgendwann einmal von ihnen lossagt und sie zu sich zurückholt. Wenn er das täte, wäre sie die glücklichste Frau der Welt, und auch er wäre glücklicher. Ich kenne ihn besser als jeder andere.«
Sonji fing sich gut. Harold Conrads Frau bat sie, sie solle doch einmal ihr verführerisches rotes Kleid vorführen, worauf sie aufstand und darin umherging. Ali sah zu ihr hin, aber nicht lange. Später, als Ali mit den Muslims und den pakistanischen Mädchen am Tisch saß, saß Sonji bei Cassius Clay senior auf dem Schoß. Schließlich ging Ali schlafen, und Sonji ging mit Bundini zu einem Konzert Dean Martins in einem der Hotels. »Er sang ›Agita‹«, sagte Bundini. »Das perfekte Lied.«
Patterson besuchte Frank Sinatra in seiner Suite und entschuldigte sich für seine Leistung. Kein Weltmeister im Schwergewicht hat sich je mehr entschuldigt. Der Sänger wollte nichts davon hören. »Sinatra war nach meiner Niederlage ein völlig anderer Mensch«, sagte Patterson damals. »Ich unterhielt mich mit ihm in seiner Suite, und dann machte er etwas Seltsames. Er stand auf, ging auf die andere Seite des Raums und setzte sich dort hin, so weit weg, daß ich kaum mehr mit ihm reden konnte. Ich verstand. Dann ging ich.«
Schließlich mußte Ali noch den Verlierer trösten. Da er seine Überlegenheit im Ring nun bewiesen hatte, konnte Ali auch Großmut zeigen. Bei einem Fototermin für die Aprilausgabe von Esquire fragte er Patterson, wie es seinem Rücken gehe und ob er auf die Behandlungen anspreche.
Patterson sagte gegenüber Reportern, sie sollten den Champion anerkennen. »Er ist erst zweiundzwanzig«, sagte er, »ein Entertainer, ein sehr individualistischer junger Mann, dessen Leben alles andere als einfach ist. Das sollten sie ihm zugute halten.«
»Floyd, dafür, was du durchgestanden hast, müßtest du Ehrungen und Auszeichnungen kriegen, du bist ein guter, anständiger amerikanischer Junge, der für Amerika gekämpft hat«, sagte Ali. »Die ganzen Filmstars, die hinter dir stehen, die sollten zusehen, daß du keinen einzigen Tag in deinem Leben mehr arbeiten mußt. Es wäre eine Schande für die Regierung, wenn du dich irgendwo mal durchs Leben schlagen müßtest.«
Dann machte Patterson dem Champion das größte Kompliment, zu dem er fähig war. Er nannte ihn bei seinem richtigen Namen.