13
Vergebens
In dieser Gegend von L.A. waren die Häuser nicht
mehr als einfache Holzschuppen, deren Veranden den Eindruck
erweckten, sofort zusammenzubrechen, wenn jemand kräftig mit dem
Fuß auftrat. Die Grundstücke waren nicht sauber aneinandergereiht,
sondern wirkten wie zufällig abgesteckt, dazwischen lag Brachland.
Für diese Ecke hatte sich die Baubehörde allem Anschein nach wenig
interessiert, alles hatte einen leicht anarchischen Anstrich, wenn
es nicht schlicht verwahrlost war. Perfekt zum Wildern, dachte
Adam. Er hatte den Wagen ein Stück abseits von dem verlassenen Haus
geparkt, auf dessen Hinterhof - laut Rischkas Instinkt - eine
Opferung durchgeführt worden war. Nun gab er schon seit geraumer
Zeit vor, es anzustarren. Das Gebäude auf der rechten Seite stand
ebenfalls leer, und links lebte ein alter Mann, der beim Radiohören
am Küchenfenster eingenickt war. Ja, das war tatsächlich kein
schlechter Ort für eine Opferung, hier hatte man eindeutig seine
Ruhe.
Um zu dieser Feststellung zu gelangen, brauchte
Adam nur wenige Sekunden. Nichtsdestotrotz konnte er sich nicht
dazu durchringen, den Hinterhof in Augenschein zu nehmen, denn es
gingen ihm ganz andere Dinge durch den Kopf: Als er unter
fadenscheinigen Gründen darauf bestanden hatte, dass Esther ihn
begleitete, hatte er sich nicht nur lächerlich gemacht, sondern
auch eine Grenze überschritten. Sie war nicht freiwillig
bei ihm, auch wenn Adam nach dem kurzen Schlagabtausch in ihrem
Apartment klargeworden war, dass sie sich von ihm angezogen fühlte.
Das war jedoch keine Ausrede dafür, wie erschreckend wenig Hemmung
er an den Tag gelegt hatte, seinen Willen durchzusetzen. Er konnte
einfach nicht anders. Alles an ihr reizte ihn, rief eine Sehnsucht
wach, von der er nie gedacht hätte, sie je zu verspüren.
Unauffällig betrachtete er Esther aus den
Augenwinkeln. Die Anspannung, unter der sie stand, ließ ihre Lider
flackern, und sie hielt die Handtasche viel zu fest umschlossen.
Lauter Zeichen, dass sie nicht bei ihm sein wollte.
Mit Not unterdrückte Adam ein frustriertes
Aufstöhnen.Was hatte er da nur angerichtet? Nicht, dass sie jemals
einer Einladung zum Essen zugestimmt hätte, aber jetzt betrachtete
sie sich als seine genötigte Dienerin, und er hatte nicht die
geringste Ahnung, wie er diese Struktur aufbrechen sollte.
»Meinen Sie nicht, wir haben diese Bretterbude nun
lange genug angestarrt? Oder verbirgt sich hinter dieser
Observierung vielleicht eine spezielle Technik, die sich mir nicht
erschließen will?«
Zu Adams Verwunderung klang Esther mehr als
gefestigt. Sie war wirklich gut darin, ihren inneren Aufruhr zu
überspielen. Trotzdem würde er sich langsam etwas einfallen lassen
müssen, wenn er es sich mit ihr nicht ganz verscherzen wollte. Doch
was konnte er ihr schon bieten? Warum nicht einfach das, wonach
sich die meisten Frauen, denen er im Lauf der Jahrzehnte begegnet
war, verzehrt hatten: sein gutes Aussehen. Die Idee behagte ihm
nicht, aber etwas Besseres wollte ihm nicht einfallen.
»Ach, Esther. Nun seien Sie doch nicht so gnadenlos
mit mir.« Adam strahlte sie an in der Hoffnung, ihr damit
wenigstens ein kleines Lächeln zu entlocken. Stattdessen bekam er
nur einen missbilligenden Blick.
»Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Sie
brauchen nicht so charmant zu lächeln. Im Übrigen bin ich
ausgesprochen unempfindlich für schöne Männer. Ohne Sie beleidigen
zu wollen, aber ich muss gestehen, dass mir ein aufsehenerregendes
Gesicht bei einem Mann suspekt ist. Ich weiß, Sie können nichts
dafür, aber Sie sollten es mir gegenüber auch nicht unbedingt als
Köder einsetzen. Damit erreichen Sie nur das Gegenteil der
gewünschten Wirkung.«
Großartig!
Der Dämon brach in schallendes Gelächter aus, als
wäre er ein Theaterbesucher, der sich das gesamte Stück über halb
zu Tode gelangweilt hatte und nun dank dieses Witzes wieder zum
Leben erwacht war.
Adam gönnte dem Dämon sein Vergnügen. Über seinen
albernen Versuch, ausgerechnet die kühle Esther zu bezirzen, konnte
man wirklich nur spotten. Noch nie hatte er versucht, sein Aussehen
zu seinem Vorteil zu gebrauchen, denn es war ihm immer suspekt
geblieben. Eigentlich hatte er nichts anderes als eine solche
Abfuhr verdient, gestand er sich ein, über sich selbst den Kopf
schüttelnd.
»Es tut mir leid, dass ich Sie brüskiert habe.«
Esther sah ihn voller Ernsthaftigkeit an. »Aber da wir nun einige
Zeit miteinander verbringen werden, dachte ich, es wäre besser, die
Fronten zu klären. Ich bin verlobt. Und selbst wenn ich es nicht
wäre und Sie keinen Dämon in sich tragen würden, könnte ich mir
keinen Flirt zwischen uns beiden vorstellen. Einfach, weil ich
nicht der Typ dafür bin.«
Adam schenkte ihr ein schmales Lächeln und
untersagte es sich, ihr zu erklären, dass er auf mehr als auf einen
Flirt aus war. Dann öffnete er die Autotür. »Ich werde nicht lange
brauchen, um mir den Hinterhof anzuschauen.«
»Moment!« Esther griff nach seinem Unterarm. »Sie
erwarten doch wohl nicht ernsthaft, dass ich im Wagen sitzen
bleibe,
während Sie Sherlock Holmes spielen? Damit würden Sie endgültig
beweisen, wie unsinnig meine Begleitung ist. Entweder brauchen Sie
meine Hilfe wirklich, dann komme ich auch mit, oder Sie führen
diese ganze Unternehmung ad absurdum.«
»Im Moment brauche ich Sie wirklich nicht. Passen
Sie auf den Wagen auf, dann haben Sie etwas zu tun, auch wenn es
Ihre Eitelkeit als Dienerin vermutlich verletzt.« Selbst in Adams
Ohren klang seine Entgegnung lahm. Er wartete, bis sie ihre Hand
zurückzog, dann erst konnte er ihren Blick erwidern. »Eine Sache
sollten wir allerdings noch klären: Ich habe keine Lust, mich vor
Ihnen verteidigen zu müssen. Oder schuldet Ihnen Anders etwa
Rechenschaft, wenn er etwas von Ihnen einfordert? Nein? Habe ich
mir gedacht.«
Adam sah noch, wie sich die Schamesröte ob seiner
Zurechtweisung auf Esthers Wangen ausbreitete, dann schlug er die
Wagentür zu. Er ekelte sich vor sich selbst, aber er hatte einfach
keine andere Möglichkeit gesehen, als sie derart anzugreifen.
Mit langen Schritten durchquerte er den Vorgarten,
der nicht mehr als eine gelbe Rasenfläche war, und verpasste der
Lattentür, die den Hinterhof abschirmte, einen Tritt, dass sie
krachend zur Seite flog. Der Hof war quadratisch. Früher mochte man
hier Wäsche getrocknet und gegrillt haben, aber jetzt zeugten nur
noch ein paar verlassene Dinge davon, die sich in den Ecken
stapelten. In der Mitte ließ sich ein dunkler Fleck auf dem
Erdboden erahnen, ausgewaschen vom Regen. Für Adams empfindsame
Sinne reichte es allerdings noch aus: Den Gestank von geronnenem
Blut erkannte er überall. Darüber hinaus verriet es, dass es sich
keineswegs um eine schlichte Schnittwunde gehandelt hatte. Die
braunen Reste, die sich mit dem Erdreich verbunden hatten, waren
aus einer Arterie geflossen, dem Sinnbild eines Lebensbrunnens, wie
ihn der Dämon bevorzugte. Unweigerlich spürte er eine feine Regung
seines Dämons, mehr jedoch nicht.
Adam blieb vor dem Flecken stehen und sah sich um.
Einerseits leuchtete es ihm ein, dass der Opferungsmeister sich
diesen Ort ausgesucht hatte, andererseits kam ihm alles ein wenig
karg vor. Nichts als schmutziger Grund hatte hier als Altar
gedient. Dagegen waren die anderen Opfer geradezu theatralisch
ausgeblutet worden, stets in passender Umgebung wie etwa einer
alten Kirche. Und er hatte nicht geaast, bis der Boden mit Blut
getränkt war. So eine sinnlose Verschwendung. Nein, so richtig
passte das alles nicht zu Esthers Liste, da hatte Anders Recht.
Trotzdem ging Adam davon aus, es mit einer Opferung zu tun zu
haben. Es mochte nicht mehr als eine Erinnerung sein, aber es hing
eine Spur von Muskat in der Luft.
Adam ging dazu über, den mannshohen Zaun zu
inspizieren. An einer Stelle auf der Rückseite des Hofs waren
Latten herausgebrochen und gegen die Querverstrebung gelehnt
worden. Mit der Hand schob Adam sie beiseite und scherte sich nicht
darum, dass einige Splitter ins Fleisch eindrangen. Doch der kurze
Schmerz erinnerte ihn an die Male auf seinem Oberarm, wo Rischka
ihre Fingernägel in sein Fleisch gegraben hatte. Sie leuchteten
scharlachrot und hatten sich immer noch nicht wieder ganz
geschlossen, obwohl der Dämon sich nach Kräften bemühte und er sie
zusätzlich unter Wasser ausgewaschen hatte. Er hatte fast
vergessen, wie es war, wenn Wunden nicht sofort wieder verheilten.
Bei der nächsten Gelegenheit musste er ein ernstes Gespräch mit
Rischka unter vier Augen führen. Irgendetwas stimmte bei ihr ganz
und gar nicht.
Hinter dem Grundstück fiel das unbebaute Gelände
steil ab, nur von Gestrüpp und Unkraut bedeckt. Direkt hinter der
Zaunlücke war es niedergedrückt, weil die Polizeibeamten sich hier
ebenfalls umgesehen hatten. Allerdings hatten sie es unterlassen,
den Abhang herunterzusteigen. Vermutlich weil die nächste Straße
nur zu erreichen war, wenn man einen Fluss
überquerte, und sie zu der Überzeugung gekommen waren, dass
niemand diese Richtung einschlagen würde. Adam war da anderer
Meinung, auch wenn seine Sinne ihm lediglich eine kaum noch
wahrnehmbare Fährte offerierten. Aber die Mischung aus Blut und
Muskat verlor sich nicht so leicht.
Gerade als er sich an den Abstieg machen wollte,
hörte er Schritte auf dem Hof. Während Esther durch die Lücke
glitt, stand er mit verschränkten Armen da - was ein Glück für sie
war, denn im ersten Moment hatte er den Wunsch verspürt, sie beim
Nacken zu packen, sobald sie sich zeigte. Stattdessen begnügte er
sich damit, sie wütend anzufunkeln, was sie jedoch nicht weiter zu
beeindrucken schien.
»Ich dachte, ich hätte unmissverständlich
klargemacht, dass Sie beim Wagen bleiben sollen«, sagte er deshalb
gereizt.
»Stellen Sie sich vor: Der Wagen lässt sich
abschließen. Der brauchte mich also gar nicht als Aufpasserin. Da
dachte ich mir, ich schaue mal vorbei und überzeuge mich davon,
dass Sie meine Hilfe wirklich nicht brauchen. Außerdem bin ich
neugierig, ob die Fährte eine Sackgasse ist oder nicht.«
»Kann es sein, dass Anders Ihnen die erste Tugend
einer Dienerin - strikten Gehorsam - nicht ausreichend erläutert
hat?«
Esther zupfte an ihrem Mantelsaum, der sich an
einer Holzlatte verhakt hatte. »Gehorsam ist sicherlich eine schöne
Sache, aber Anders ist es eigentlich wichtiger, dass ich meinen Job
gut mache. Das bedeutet manchmal, dass ich es einfach besser weiß
als er.«
»Und gerade wissen Sie auch besser als ich, wie man
diesen Job richtig macht?«
»Natürlich nicht.« Esther sah ihn an, als hätte sie
es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun. »Aber ich muss doch zur
Stelle sein, wenn Sie eine helfende Hand brauchen. Dafür hat Anders
mich Ihnen schließlich überlassen, und Sie werden sehen, wie ernst
ich meine Aufgabe nehme. Solange Sie darauf bestehen,
meine Hilfe zu benötigen, werde ich wie ein zweiter Schatten sein.
Außerdem ist es ja auch meine Spur, der wir folgen. Ich habe Sie
darauf hingewiesen, also sollte ich daran beteiligt sein, wenn Sie
ihr nachgehen.«
Dem Lächeln auf ihren Lippen nach zu urteilen,
hatte sie sich vorgenommen, ihm so sehr auf die Nerven zu gehen,
bis er irgendwann schreiend die Flucht antreten würde. Das schien
zumindest ihr Plan zu sein. Einen Moment lang konnte Adam nicht
sagen, ob er sie vielleicht unterschätzt hatte … Der Gedanke gefiel
ihm. Er hatte schon immer eine Schwäche für eigensinnige Frauen
gehabt.
»Sie wollen mir also nicht mehr von der Seite
weichen?«
»Genau«, sagte sie mit diesem herausfordernden
Lächeln.
»Nun, was soll ich sagen - wie Sie den Abstieg in
diesen Schuhen meistern werden, dürfte zweifellos interessant
werden.«
Das Wort Abstieg wischte Esther das Lächeln vom
Gesicht. Die Verblüffung, die an seine Stelle trat, fand Adam
allerdings auch sehr anziehend. »Da hinunter?«, fragte Esther nach,
während ihr Blick über Geröll und dorniges Gebüsch schweifte.
»Genau die passende Herausforderung für Ihren
Ehrgeiz.« Adam gab sich nicht die geringste Mühe, die Genugtuung
aus seiner Stimme zu tilgen.
»Aber da ist doch gar nichts zu sehen!«
»Nun, für mich zeichnet sich die Spur, die zum
Wasserlauf führt, erkennbar ab.Wenn es in der letzten Nacht nicht
geregnet hätte, wäre es noch einfacher. Jemand hat sich umsichtig
einen Weg durch dieses Gestrüpp gesucht, und dabei trug er das
Gefäß, das er in diesem Innenhof zerbrochen hat.«
»Gefäß, so nennen Sie die Opfer?« Esther war
aschfahl geworden. Vielleicht hatte seine Wortwahl ihr in
Erinnerung gebracht, dass er kein gewöhnlicher Mann war. »Als
würden wir Menschen nur Behälter für jenen Trank sein, nach dem der
Dämon verlangt.«
»Die meisten meiner Art sehen in den Menschen wohl
kaum mehr als ein Gefäß voller Blut.«
»Aber Sie nicht, Sie sehen mehr in uns
Menschen?«
Der Zynismus, der bei ihren Worten mitschwang, traf
ihn unerwartet hart. Er öffnete schon die Lippen, um ihr zu
erklären, dass er in ihr unendlich viel mehr sah, als der Dämon
sich mit einem Schlag zurückmeldete.
Es reicht! Du bist mein, du wirst dich mir nicht
entziehen. Ich erwarte, dass du augenblicklich aufhörst, dich auf
diese Frau einzulassen, denn sie hat Recht: Auch für dich sind
Menschen lediglich Gefäße voller Blut. Wenn du dir einbildest, das
wegen dieser Dienerin ändern zu können, dann werde ich dir jetzt
deine Grenze aufweisen.
Sogleich jagte ein glühender Stich durch Adams
Brust. Er schwankte und bekam gerade noch rechtzeitig den
Lattenzaun zu fassen.
»Was haben Sie?«
Esther umrundete ihn, und als er nicht reagierte,
legte sie ihm eine Hand auf die Wange. Da ihm die Kraft fehlte, sie
wegzuschlagen, wollte er ihr einen beredten Blick zuwerfen.
Erschüttert sah er, wie sich jede einzelne noch so feine Ader unter
ihrer Haut abzeichnete, ein rot leuchtendes Muster, die einzige
Kunst, für die sich der Dämon interessierte.
Unvermittelt setzte das Rauschen hinter seiner
Stirn ein, drohte jeden klaren Gedanken beiseitezuwischen, bis
schließlich nur noch ungeschöntes Verlangen bleiben würde. Er
konnte regelrecht spüren, wie seine Hände sich auf diese von
pulsierendem Leben durchflutete Haut legten, wie er sie einer
reifen Feige gleich aufbrach, um an ihr in den vitalsten Rottönen
schimmerndes Inneres zu gelangen, in dem er sich versenken würde.
Er würde von Esther kosten, ungeachtet des Preises, den er dafür
zahlen musste. Ihr Blut auf seinen Lippen würde alles
reinwaschen.
So plötzlich, wie das Rauschen eingesetzt hatte,
verschwand es auch wieder und ließ Adam atemlos zurück.
Hast du begriffen, wozu ich dich benutzen werde,
wenn du weiterhin die Nähe dieser Frau suchst und mich dadurch
abdrängst? Das war meine einzige Warnung. Solltest du versuchen,
dich mir zu entziehen, werde ich dieses nutzlose Gefäß von einer
Dienerin zerschlagen. Du weißt, dass ich das kann. Ich habe es dir
bereits in Paris bewiesen.
»Adam, was hast du?«
Angesichts seines erbärmlichen Zustands hatte
Esther ihre aufgesetzte Distanziertheit abgestreift und offenbarte
ihre Sorge. Unter anderen Umständen hätte Adam sich über ihr
Mitgefühl genau wie über die zärtliche Berührung gefreut, aber
jetzt entzog er sich und machte sich, ohne ein weiteres Wort zu
verlieren, an den Abstieg.
Etwas anderes, das war ihm gerade klargeworden,
blieb ihm gar nicht übrig. Das Machtwort des Dämons war zu
eindrucksvoll gewesen. Ab jetzt käme jede Annäherung an Esther
ihrem Todesurteil gleich.