ZWÖLFTES KAPITEL

Ich weiß nicht genau, wie lange wir da wortlos unter der Eiche hockten. Als die Sonne sich groß und rot unter den Horizont senkte, sagte er: »Du kannst meinen Wagen nehmen, ich kann sowieso nicht mehr fahren. Ich hole ihn mir morgen an der Kneipe ab. Rede nicht über das, was ich sagte, es ist ja doch alles zu spät. Komm mal wieder, wenn du Zeit hast.« Er wirkte nicht betrunken, er wirkte so, als habe man ihn in einer öligen Lösung erstarren lassen.

»Ich will dir nicht länger was vormachen«, murmelte ich. »Du wirst es irgendwann erfahren, und du wirst dich fragen, warum ich dir so einen Stuß erzählt habe. Ich heiße Baumeister, aber ich bin nicht bei den Panzergrenadieren. Und dein Lorenz ist nicht bei einem Unfall umgekommen, dein Lorenz wurde erschossen.«

Er hockte neben mir und rührte sich nicht. Er saß vornübergebeugt, die Hände auf den Knien, und starrte in einen Grasflecken vor der Bank. »Du redest einen Scheiß«, sagte er endlich ohne Atem.

»Ich sage die Wahrheit. Ich bin Journalist und will nur wissen, was passiert ist. Irgendwie geht es mir unheimlich an die Nerven, dich übers Ohr zu hauen. Lorenz ist erschossen worden, mit einer Schrotflinte. Es hat nie einen Unfall gegeben.«

»Aber der Verteidigungsminister hat uns geschrieben ... ach so, so ist das.« Er stand auf und machte ein paar seltsam lächerliche Trippelschritte. Dann drehte er sich abrupt zu mir herum und brüllte: »Wenn das jetzt auch nicht die Wahrheit ist, bringe ich dich um!« Er setzte sich unvermittelt in einen Sandfleck im Gras, beugte sich weit vornüber, und sein Atem ging immer hastiger. Er flüsterte immer wieder: »Lorenz, ach Gott, Lorenz!«

Er wiegte sich vor und zurück in seinem Schmerz. Dann wurde sein Gesicht dunkel, und er rang nach Atem.

»Leg dich lang«, sagte ich fiebrig, packte ihn an den Schultern und drückte ihn flach in das Gras. Sein Mund stand halb offen, und etwas Speichel lief über sein Kinn. »Bleib ganz ruhig liegen und bewege dich nicht!«

Ich rannte in das Haus. Elsa lag auf dem Ledersofa und schlief fest. Ich rüttelte sie und sagte: »Monning geht es sehr schlecht. Hol einen Arzt ran, aber schnell.« Dann rannte ich wieder hinaus.

Er lag so, wie ich ihn verlassen hatte, und sein Atem ging mühsam und angestrengt, und seine Hände krallten sich in das Gras. Er flüsterte mit geschlossenen Augen: »Ist doch eigentlich scheißegal, oder? Tot ist tot.«

»Er ist tot«, sagte ich. »Hast du Schmerzen?«

Er schüttelte den Kopf. »Du hast keine Ahnung, wie schwer ich mich fühle. Wie Blei. Wieso erschossen?«

»Das weiß ich nicht genau. Ich habe durch Zufall davon erfahren.«

»Aber es gibt doch einen Polizeibericht. Und das Schreiben vom Krankenhaus.«

»Gefälscht, alles gefälscht.«

»Aber der Staat kann doch so was mit mir nicht machen ... doch, er kann, Mann, bin ich schwer, ich kann die Arme nicht bewegen.«

»Bleib ruhig liegen. Ich habe schon gedacht, du hättest ihn erschossen.«

»Ach so ist das. Jetzt verstehe ich das erst.« Er mühte sich zu lächeln. »Jetzt verstehe ich das, ach so.« Er war kaum noch zu verstehen, sein Gesicht war grau, und sein Atem ging mühsam.

Ich hockte da im Sand und spürte mich nicht. Ich dachte trotzig, daß es trotz allem gut gewesen sei, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich mochte ihn.

Der Arzt war ein alter, kleiner, dürrer Mann mit einem sehr unordentlichen gelben Schnurrbart und einem Hut auf dem Kopf, der schon die Bauernkriege überlebt haben mußte.

»Was ist?« fragte er ganz knapp mit schmalen Augen und stellte seine Tasche in das Gras.

»Er hat einen schweren seelischen Schock erlitten.«

»Tja, dann holen Sie mir mal Wasser, junger Mann. Was war in der Flasche da?«

»Schnaps.«

»Na ja, es war wohl alles zuviel. Zuviel Tod, zuviel Kummer, zuviel Schnaps.«

Er begann zielstrebig zu arbeiten, nahm eine Ampulle aus der Tasche, brach die Spitze ab und zog den Inhalt auf eine Spritze.

Ich rannte in das Haus. Elsa hockte mit angezogenen Beinen auf einer Truhe. Erst jetzt fiel mir auf, daß sie nicht aus dem Haus gekommen war.

»Du hast ihm die Wahrheit gesagt, nicht wahr?«

»Ja. Er ist verdammt zu schade für Lügen. Ich brauche Wasser.« Ich rannte mit einem Topf Wasser hinaus und stellte ihn neben den Arzt.

Der Arzt nahm den Topf hoch und goß das Wasser Monning einfach ins Gesicht. »Das wirkt bei Mensch und Tier«, sagte er resolut. »Es muß ein schwerer Schock gewesen sein. Konnten Sie ihm den nicht ersparen?«

»Nein. Wird er wieder?«

»Der wird wieder. Ist eben beste Qualität. Ich habe gehört, Sie waren ein Kollege von Lorenz.«

»Nein. Ich bin Journalist, ich habe Lorenz gar nicht gekannt.«

»Oh!« sagte er erschreckt.

»Der Schock war, daß Lorenz Monning erschossen worden ist. Aber Sie sollten nicht darüber sprechen.«

»Hannes redet nie über Patienten«, murmelte Monning mit geschlossenen Augen.

»Hör mal, du Suffkopp«, sagte der Arzt liebevoll, »bleib noch eine Weile liegen, und hör uns Erwachsenen zu. Du wirst in den nächsten Tagen kommen und dir Vitaminspritzen holen.«

»Scheiß drauf. Lorenz ist tot, und ich gehe sowieso ein.« Das klang sehr wütend, und er hatte die Augen geöffnet, und deren Grund war ein Feuer.

Der Arzt lachte, er lachte überzeugend. »Natürlich wirst du irgendwann eingehen. Ja, ja, du und dein verdammter kleiner Krebs. Ich habe Leute wie dich noch fuffzehn und zwanzig Jahre leben sehen. Ehrlich. Ich kenne deinen Befund, für eine Tragödie reicht das nicht. Du solltest was tun, spuck in die Hände.«

»Und warum haben die mich nicht operiert?« Er blinzelte, weil das Licht wohl immer noch zu grell für ihn war.

Der Arzt warf fluchend die Arme in die Luft. »Weil sie verantwortungsvolle Ärzte sind, weil sie nicht gleich jeden Klacks operieren, weil sie damit rechnen, daß du leben willst, du Hornochse!« Er war richtig böse.

»Alter Gauner«, sagte Monning seufzend. Es war zu spüren, daß es ihm besserging, daß es ihm gutgetan hatte, angepfiffen zu werden.

»Ich will aufstehen«, sagte er und sah mich an. »Ich habe eine Menge mit Ihnen zu bereden, junger Mann. Sieh an, da ist ja auch Madame.«

Elsa kam etwas zerzaust über den Hof und fragte: »Ist es drin denn nicht besser?«

»Sie sind wahrscheinlich auch gar nicht seine Frau, oder?« fragte Monning. Er stand jetzt wieder, er war wieder zwei Meter groß.

Elsa schüttelte den gesenkten Kopf wie ein Schulmädchen, das beim Mogeln ertappt worden ist.

»Ihr seid mir Genossen«, sagte er und ging ganz vorsichtig und langsam auf sein Haus zu.

»Du mußt dich aber schonen«, rief der Arzt im Ton einer Kindergärtnerin. Dann schüttelte er den Kopf und setzte hinzu: »Hat ja doch keinen Zweck.«

»Darf ich mal telefonieren?« fragte ich.

»Nur zu«, sagte Monning. »Ich leg mich auf das Sofa. Bedien dich.«

»Noch eine Frage vorher: Seit wann genau vermißt du die Schrotflinte?«

»Genau seit dem Donnerstag vor Pfingsten.«

»Und du hast keine Ahnung, wo sie ist?«

»Hier kann jeder rein, jeder kann sie nehmen.«

Es war spät, und die Bereitschaft der Kripo in Trier wollte mir die Privatnummer des Rodenstock nicht geben. Erst als ich brüllte: »Ich bin ein Kollege, verdammt noch mal«, ließen sie sich herab.

Rodenstock schien irgend etwas zu essen, wahrscheinlich bittere Schokolade, Kaffee und Kognak.

»Wir sind im Münsterland«, sagte ich. »Wir sind bei Lorenz Monnings Vater. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.«

»Wie reagierte er?«

»Mit schwerem Schock. Haben Sie den Soldaten Lenz verhaftet?«

»Ja, natürlich. Im Krankenhaus. Der Mann ist geständig. Er packt aus. Prügeleien, Nötigungen. Aber es ist nicht zu beweisen, daß Messner ihm das alles befahl.«

»Was ist mit Messner?«

»Der MAD hat ihn kassiert, sie lassen uns nicht an ihn heran. Die haben übrigens angedeutet, daß Sie Messner verbrannt haben. Stimmt das?«

»O ja. Ich habe an alle Geheimdienste geschrieben, ob sie Messner kennen. Und daß er sich Hartkopf nennt. Ein Bild habe ich beigefügt.«

Er kicherte hoch und belustigt, brach dann plötzlich ab und fragte ratlos: »Und was machen wir mit der Spionageaffäre?«

»Es gab gar keine«, murmelte ich.

»Wie bitte? Und der Brummifahrer aus Dresden?«

»Ich verstehe das auch alles noch nicht. Kommen Sie her, ich habe jemand für Sie. Eine Dame mit Gewehr.«

»Wen?«

»Gabriele Monning.«

»Was soll sie getan haben?«

»Sie brachte Messner die Schrotflinte.«

»Beweise?«

»Nun ja, sie hat es beim Schwiegervater geklaut.«

»Aha. Und wer schoß?«

»Messner/Hartkopf, ihr neuer Kronprinz und Kompagnon.«

»Beweisbar?«

»Indirekt, das gehörte zum Plan.«

»Leuchtet ein. Es gab nie Spione in diesem Fall?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Beweise?«

»Der Beweis liegt in der Tatsache, daß ein Lastwagen aus Dresden in Hohbach vor Anker ging. Dann fuhr der Lastwagen über die falsche Straße davon und wurde auf seinem vielstündigen Weg an die Grenze bei Herleshausen nicht angehalten, nicht gestoppt, obwohl Messner und Konsorten von den Geheimdiensten behaupteten, der Fahrer sei der Mörder.«

»Beweis genehmigt.« Er lachte. »Und die Monning?«

»Brachte das Gewehr und verschwand wieder.«

»Also wußte sie, was Messner vorhatte?«

»Sie wußte es, sie kann nicht so ahnungslos sein.«

»Und ich soll jetzt kommen und die Monning kassieren.«

»Wenn Sie so nett sein wollen.«

»Und was war mit den Frauen? Mit der Rebeisen, mit der Kleiber?«

»Das weiß ich nicht, aber vielleicht ist das alles auch sehr einfach.«

Elsa trat zwei Schritte vor, nahm mir den Hörer aus der Hand und sagte: »Ich bin's, die Elsa. Ich weiß, was mit den Frauen war. Also, ich versuche das mal: Es war ein Lesbenpaar, ganz einfach. Wenn die Rebeisen an den Lorenz Monning schrieb, dann nahm der den Brief und gab ihn der Kleiber. Wenn man darüber nachdenkt, ist das alles ganz einfach.«

»Verblüffend«, sagte ich, und Rodenstock muß das gleiche gesagt haben, denn Elsa begann zu lachen und murmelte: »Kommen Sie her, holen Sie sich die Monning, und trinken Sie mit uns einen Kaffee mit bitterer Schokolade und eine Zigarre.« Sie hörte noch eine Weile zu und legte dann auf. »Er bestellt sich einen Hubschrauber, er möchte schnell sein. Wie bist du drauf gekommen?«

»Sag mir erst, wie du auf das Lesbenpaar gekommen bist. Das ist mir zu schrill, das ist mir zu vulgär, das glaubt uns kein Mensch.«

»Es ist aber doch so einfach«, widersprach sie. »Und es ist wie im wirklichen Leben.«

»Und woher kam das Kind in der Rebeisen?«

»Nicht von Monning, so geschmacklos wäre der nie gewesen. Von irgendeinem Freund, vielleicht werden wir es nie erfahren. Sieh mal, wir wissen, daß die Marianne Rebeisen die Susanne Kleiber besuchte. An jedem Wochenende. Nun gut, die Morde geschahen an einem Wochenende. Also war sie in Hohbach bei der Kleiber. Sie ist erschossen worden, weil sie ...«

»Weil sie da war. Sonst gibt es keinen Grund.«

»Ja. Deshalb. Wie bist du darauf gekommen, daß es keine Spionage gab?«

»Das war genauso simpel. Du kriegst nur Licht in den Fall, wenn du bereit bist, abwechselnd entweder die Spionage oder das miese bürgerliche Drama beiseite zu schieben. Dann wird auch klar, was logischer ist. Die Spionage bleibt dabei auf der Strecke, weil ein Punkt gänzlich idiotisch ist. Und wenn ...«

»Welcher Punkt?«

»Na, stell dir vor: Die DDR schickt einen Brummifahrer mit Schrotbüchse in den Westen, um hier drei Leute nachts bei strömendem Regen abzuschießen und ...«

»Du bist mein Held«, flüsterte sie.

»Wir sind überhaupt gut«, murmelte ich.

»Kann mich mal jemand aufklären?« fragte Monning dröhnend.

»Ich verstehe einfach nicht«, murmelte Elsa, »wie Messner diese unglaubliche Spionagegeschichte durchdrücken konnte.«

»Ich muß schlafen, ich erkläre es später.«

»Ich will es wissen.«

»Ich bin müde.«

»Ich will jetzt Aufklärung«, schrie Monning. »Ihr könnt mich doch nicht einfach vergessen.«

»Klär ihn auf«, sagte sie, »er ist so ein netter Kerl.«

Ich hockte mich neben ihn, ich berichtete. Ich versuchte, es einfach zu machen, aber ich konnte ihn nicht schonen. Ich wollte, daß er die Geschichte verstand und daß er anfing, diese Leute zu hassen. Haß kann ein Heilmittel sein, denke ich.

Sein Gesicht zuckte, wurde kantig und hart. Dann begann er zu weinen. Sehr langsam begann er zu begreifen. Endlich schlief er ein.

Die Nacht war gekommen, der Mond dreiviertel voll, Wolken jagten, wir würden Regen kriegen. Dann schrie ein Käuzchen. Elsa zuckte heftig zusammen.

»Früher war das der Todesvogel«, erklärte ich. »Die Leute sagten, wenn ein Käuzchen am Haus schreit, stirbt ein Mensch. Tatsächlich ist das leicht zu erklären. Die Tiere jagen nachts und werden vom Lichtschein angelockt. Und Lichtschein war nachts nur in Häusern, in denen jemand schwer krank war.«

»Trotz deiner wortreichen Erklärung ist es mir unheimlich«, sagte sie und fuhr fort: »Glaubst du, daß du die Unsinnigkeit dieser Spionage-Erfindung klären kannst?«

»Ich bin sicher, daß ich die Lösung im Hirn habe, ich weiß nur nicht, welche Schublade ich öffnen muß.«

Sie hockte sich in eine Decke gewickelt in ihrem Sessel zurecht und starrte auf den schlafenden Monning.

»Der muß unglaublich viel Kraft haben, daß er das alles durchsteht.«

»Ich habe gezittert. Ich dachte, er nimmt ein Schießgewehr und geht rüber und legt seine Schwiegertochter um.«

»Glaubst du, daß er das könnte?«

»Er ist sehr erschöpft.«

Dann herrschte Stille, Elsa schlief ein, und ich starrte in den dunklen Garten. Ich döste ein, wachte aber immer wieder auf. Marita Heims hatte etwas gesagt, das mit Akten zu tun hatte. Die Aktenlage, etwas mit dieser Aktenlage stimmte nicht. Aktenlage, ein Zauberwort in Bonn.

Ich stieg einfach in die oberen Räume und suchte mir ein Schlafzimmer, das so aussah, als würden darin gelegentlich Gäste beherbergt. Ich schlief sofort ein. Ich verpaßte, wie Rodenstock einflog, ich verpaßte, wie Monning wach wurde, ich verpaßte, wie Rodenstock Gabriele Monning verhaftete. Aber tatsächlich verpaßte ich nichts, denn Elsa war dabei und fotografierte. Sie hatte entschieden, mich nicht zu wecken.

Als ich erwachte, schien die Sonne. Ich fühlte mich ausgeruht. Irgendwo im Haus waren Stimmen, aber ich hatte keine Lust auf Menschen. Ich suchte ein Badezimmer, fand eines und badete ausgiebig. Erst dann ging ich hinunter. Es war hoher Mittag, es war drei Uhr.

Im Wohnzimmer hockte Rodenstock mit verkniffener Miene am Tisch, hatte eine Unzahl farbiger Zettel vor sich liegen und schimpfte in das Telefon. Er sah mich an, lächelte und deutete mit dem Kugelschreiber in den Garten. Elsa saß mit Monning an einem Tisch in der Sonne, und Monning sagte gerade: »Ich habe diesen Messner oder wie er heißt nie leiden können. Hallo, der Herr Redakteur.«

»Was hat die Gabriele gesagt, als man sie verhaftete?«

Elsa biß sich auf die Unterlippe. »Ich war zum erstenmal bei einer Verhaftung. Es ging schnell, und eigentlich war es nicht die Spur aufregend. Rodenstock ist ein As. Er verhaftete sie und fragte dann ganz nebenbei: Warum waren Sie eigentlich so dumm, Herrn Hauptmann Hartkopf das Gewehr zu bringen? Da antwortete sie ebenso selbstverständlich: Weil er es haben wollte.«

»Und Messner?«

»Rodenstock hat ihn. Das Ministerium hat ihn zur Vernehmung freigegeben.«

»Und was telefoniert er da drin so wild?«

»Sie haben immer noch irgendwelche Zuständigkeitsfragen zu klären. Willst du Kaffee? Es gibt hier einen phantastischen Streuselkuchen.«

»Wie geht es dir denn, Rittergutsbesitzer?«

»Ein bißchen besser.« Monning lächelte. »Elsa ist streng. Ich darf kein Bier und ich darf keinen Schnaps. Ich habe ihr die falschen Berichte von der Verkehrspolizei und der chirurgischen Unfallstation gegeben.«

»Und wie geht es deinem Bauch und deiner Seele?«

»Na ja, es geht so, es wird sich weisen. Ich leide wie ein Hund, aber was willst du machen?« Sein Gesicht zuckte heftig, als habe er keine Kontrolle mehr. Er stand hastig auf und verschwand an der Hauswand entlang um die Ecke. »Er weint noch oft«, murmelte Elsa. Sie sah blaß aus. »Dann geht er in seinen Schießstand. Er hat so eine kleine Maschine, die Wildschweine aus Blech auf einer Kette transportiert. Auf die schießt er wie verrückt. Er hat mir erzählt, er schießt mit einer Vierundvierziger Winchester, die ihm Lorenz einmal geschenkt hat. Manchmal weint er auch und feuert wie wild in die Gegend.«

Ich ging, um Monning zu suchen. Der Schießstand lag an der Rückseite des alten Schweinestalles. Monning stand an einen senkrechten schweren Holzbalken gestützt und schoß auf die Wildschweine, die in zwanzig Metern Entfernung monoton ihre Runden drehten. Er schoß traumhaft sicher, die Blechtiere kippten der Reihe nach um.

»Versuch's mal.« Er hielt mir das Gewehr hin.

»Ich nicht. Ich schieße nicht mal Blumen auf der Kirmes.«

»Ich muß mich irgendwie abreagieren. Ich denke, du schreibst schon an der Skandalgeschichte.«

»Es ist keine Skandalgeschichte, es ist eine bösartige, verdeckte, brutale Sache. Und ich verstehe sie immer noch nicht.«

»Was verstehst du denn nicht? Lorenz wurde umgebracht, weil es um eine Menge Geld ging ...«

»Und um Macht, viel mehr noch um Macht. Wieso hat sich die Bank bereit erklärt, deiner Schwiegertochter fünf Millionen zur Verfügung zu stellen? Ist sie wirklich so gut?«

»So einfach war das nicht«, brummte er. »Anfangs, als Lorenz noch dachte, er könnte die Familie retten, da hat er auch mit der Bank gesprochen, und es gab keine Schwierigkeiten. Als dann die Gabriele plötzlich allein stand, wollte die Bank nicht mehr. Sie verlangte einen erfahrenen Partner oder sehr starke Mitspracherechte. Na ja, und dann fand sie den Partner und kriegte die Zusage.«

»Messner, genannt Hartkopf.«

»Richtig. Messner wollte irgendwann in den nächsten Jahren beim Bund aufhören und hier fest einsteigen. Bis dahin sollte er gutbezahlter Berater sein.«

»Mithaftend?«

Er schüttelte den Kopf.

»Hast du denn nicht gerochen, daß da etwas faul ist?«

»Nein.« Er lachte trocken. »Ich habe wirklich an so etwas wie Kameradschaft und Hilfsbereitschaft geglaubt. Sie hätte Messner dann geheiratet, nicht?«

»Sicherlich. Aber erst mußte Lorenz weg.«

»Warum denn eigentlich?«

»Weil er für dich zurückkommen wollte, weil ihr alle Felle wegschwimmen würden, wenn ihr ehemaliger Mann auftauchte, um das Schiff flottzumachen.«

»Ja, ja«, sagte er zu sich selbst. Dann feuerte er wieder wahnsinnig schnell.

Ich ging zurück an den Gartentisch und hockte mich in die Sonne. Rodenstock telefonierte noch immer, und Elsa hatte einen Zettel hingelegt, auf dem stand: Ich suche mir ein Bett.

Ich bin nicht der Typ, der vor einem Schachbrett hockt und darüber nachdenken kann, wie der Gegner zu erledigen ist. Mag sein, daß das eindrucksvoll ist, ich kann es nicht. Ich bin gezwungen, etwas zu tun, damit die Sachlage sich bewegt.

Ich erwischte Landauer im Bonner Büro der Deutschen Presse-Agentur. Landauer hatte Spätdienst und war deshalb mürrisch.

»Ich brauche deine Hilfe. Ich recherchiere eine Sache, in der ich nicht weiterkomme. Wie legt ihr bei dpa die Mitteilungen der Ministerien ab?«

»Normal eben, der Reihe nach, dem Datum nach. Und nach Ministerium.«

»Kannst du also leicht herausfinden, wann die Bundeswehr einen Unfall meldete?«

»Nichts leichter als das. Das haben wir zuerst unter dem Ministerium, dann unter dem Datum, dann unter Unfall.«

»Paß auf. Vor sechs Tagen etwa meldete die Bundeswehr einen Fall von Tötung und Selbsttötung in der Eifel. Suchst du mir das bitte heraus?«

»Warte, ich hole es.« Er legte den Hörer ab. Nach einer Weile kam er zurück. »Eine solche Pressenotiz hat es nie gegeben.«

Ich hängte ein, sagte nicht mal danke, ich war so wütend.

»Was ist denn?«, fragte Rodenstock in der Tür. Er sah mich irritiert an.

»Ich weiß es noch nicht«, sagte ich. Dann wählte ich das Verteidigungsministerium und verlangte die Presseabteilung.

»Da ist aber niemand mehr«, sagte die Frau in der Zentrale.

»Dann den Nachtdienst«, sagte ich.

Jemand meldete sich mit einem Räuspern und sagte sanft: »Hauptmann Feller.«

»Baumeister hier, Siggi Baumeister. Ich bin der Journalist, der sich erkundigt hat, wer denn der Hauptmann Hartkopf oder Messner im Depot Hohbach/Eifel ist. Mit Foto. Sind Sie auf dem laufenden?«

»Wie bitte?« fragte er irritiert.

»Kennen Sie den Fall Monning?«

»Ja, ist mir bekannt.«

»Dann kennen Sie mich auch.«

»Baumeister? Sagten Sie Baumeister? Schrieben Sie uns die Anfrage nach Herrn Hauptmann Hartkopf?«

»Richtig.«

»Sie sind hier willkommen. Kommen Sie doch mal in den nächsten Tagen vorbei, wir würden gern mit Ihnen sprechen. Vertraulich, versteht sich.«

»Ich möchte gleich mit Ihnen sprechen.«

»Wann?«

»In zwei, drei Stunden.«

»Ist das nicht ein bißchen eilig?«

»Lieber Herr Feller. Ihr Messner hat ein Massaker angerichtet, und Sie erlauben mir, in den nächsten Tagen mal vorbeizuschauen. In drei Stunden, sagen wir um neun.« Dann hängte ich ein.

»Was wirbeln Sie denn so?« fragte Rodenstock irritiert. In der rechten Hand hielt er eine Tasse Kaffee, in der linken eine schwergewichtige Brasil. Und er kaute auf etwas herum, auf Bitterschokolade, dachte ich.

»Ich fahre mal eben nach Bonn. Ihr Kognak fehlt.«

»Ich habe keinen gefunden.«

»In der Küche auf dem Regal neben dem Herd. Ins Verteidigungsministerium. Ist Messner an Sie überstellt?«

Er schüttelte den Kopf. »Mein Oberstaatsanwalt hatte bisher keinen Erfolg. Das Ministerium behauptet, die Sache sei geheim. Und damit können die machen, was sie wollen – sie behalten immer recht. Was wollen Sie dort? Und Elsa?«

»Elsa soll ausschlafen. Ich habe einen Verdacht und fahre hin. Und wenn ich recht habe, bin ich ein Held und kann mich ausruhen.«

»Sie sind verrückt«, sagte er bekümmert.

»Gott sei Dank«, sagte ich.