DRITTES KAPITEL
Anfangs schlief ich, oder genauer gesagt, ich döste. Dann wurden die Schmerzen stärker, und ich mußte einige dieser Pillen nehmen, die schlimmer sein sollen als Alkohol und deren Liste an Nebenwirkungen endlos ist. Ich machte den Fernseher an, aber die Pillen wirkten sehr rasch, und nach kurzer Zeit starrte ich in das platte bunte Bild und sah und hörte nichts.
Mir fiel undeutlich ein, daß der Chef nicht wissen würde, was er mit den Filmen anfangen sollte. Er würde sie in das Labor geben, und mit Sicherheit würden sofort zwanzig oder dreißig Leute über diese grausamen Fotos tuscheln. Ich mußte telefonieren, aber ich riskierte es nicht. Ich machte mir einen Zettel, um das nicht zu vergessen, weil es immer Kleinigkeiten sind, an denen Geschichten scheitern.
Dann geriet ich an Messner, aber dabei kam nichts heraus außer einem wilden, heißen, vollkommen unvernünftigen Zorn. Ich hatte Mühe, ihn in den Hintergrund zu schieben. Ich sprach zu ihm, drohte und fluchte, versprach ihm einen eiskalten Tod. Es war kindisch, aber es war notwendig. Krümel kam herein, sah mich an und maunzte vorwurfsvoll. Ich vermutete, daß Elsa ihr nichts zu fressen gegeben hatte, Elsa hatte keine Katze. »Hau ab, ich bin ein Invalide«, gab ich Anweisung. »Töte uns eine Maus.«
Ich schlief ein und jagte durch den Alptraum, in dem Messner mich mit großen, silbernen Nägeln an eine Holzwand nagelte, wobei das Durchtreiben der Nägel nicht die geringsten Schmerzen verursachte. Dann sagte er zischend irgend etwas, das ich nicht verstand, und schlug zu. Dabei lachte er freundlich. Ich wurde sofort wieder wach und versuchte mich auf den Fernseher zu konzentrieren. Krümel hockte auf dem Teppich, hielt den Kopf sehr tief und starrte mich aus hellen Augen an. Vielleicht hatte ich wieder geschrien.
Ich nahm zwei Schlafpillen und wurde erst wieder wach, als Elsa hereinkam und brummelte: »Ich möchte nie wieder solche Fotos entwickeln.« Es war vier Uhr morgens, durch das schräg gestellte Fenster kam das sanfte Rauschen eines Sommerregens.
»War irgend etwas Besonderes?«
»Nein. Es ging alles glatt. Auf der Rückfahrt war die Autobahn gesperrt. Da war eine Kontrolle, aber ich wurde nicht angehalten.«
»Was für eine Kontrolle?«
»Na ja, irgendeine Routinekontrolle der Polizei. Das Übliche: ob Alkohol mitfährt, ob die Scheinwerfer funktionieren und die Bremsleuchten und so etwas, denke ich. Das war auf dem letzten Parkplatz vor dem Ende der Autobahn. Aber ich hatte ja Alfreds Wagen.«
»Sie haben dich nicht kontrolliert?«
»Nein. Vor mir haben sie zwei Laster eingewinkt und hinter mir alle PKWs. Alle, nur mich nicht.« Sie starrte mich an. »Oh, meinst du etwa ...« Sie biß sich auf den rechten Zeigefinger und war erschrocken.
»Sie machen es immer so. Sie halten alle an, sie lassen nur dich durch. So können keine Verwechslungen entstehen, die Kontrolle wird perfekt, verstehst du?«
»Die sind ziemlich raffiniert, was?«
»Oh, nein, nur gründlich. Wie kommen die Bilder?«
»Grausam gut. Ich habe zwei Sätze gemacht, einen für dich und einen für mich ...«
»Du wirst keine Bilder haben.«
»O doch, Baumeister. Ich will sie ansehen, wenn es mir gut genug geht, das auszuhalten. Und ich will darüber nachdenken.«
»Es reicht, wenn wir einen Satz hier haben. Wieviel Polaroids hat Naumann eigentlich gemacht?«
»Rund dreißig. Davon sind sechs verwischt. In der Nähe der Frau, die im Farnkraut lag, ist ein Gewehr zu sehen. Ich habe das herausvergrößert, so gut es ging. Schau her.«
Es war deutlich eine zweiläufige Schrotflinte. Ich fragte mich, ob der Arzt sie überhaupt entdeckt hatte. Unterhalb des Schlosses waren Metallziselierungen zu sehen. Es war eine schöne Waffe, wenn eine Waffe schön sein kann. »Den zweiten Satz kannst du in einen Kunstband stecken. In den Ägyptenband.«
Sie zog den Agyptenband aus dem Regal und legte die Bilder hinein. Sie sagte sehr nachdenklich: »Hilf mir ein bißchen, Baumeister, du hast mehr Erfahrung in diesen schrecklichen Dingen. Diese Geschichte ist so neblig, irgendwie unwirklich. Da werden drei Leute erschossen, und du wirst halb totgeprügelt und offiziell ist das alles nicht passiert. Haben wir denn überhaupt eine Chance?«
»Vielleicht haben wir keine Chance auf eine richtige Lösung, aber wir haben die Chance, zu beschreiben, wie verdeckt diese Brutalität abläuft. Das ist unsere Geschichte. Und wir werden kaum Helfer haben, der Arzt wird eine Ausnahme bleiben. Der Gastwirt in Hohbach mußte dulden, daß ich verprügelt wurde. Duldet er es nicht, genügt ein Wink von Messner, und kein Soldat wird mehr die Kneipe betreten. Wir könnten im Notfall nicht einmal die Polizei rufen.«
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte sie empört.
»Doch, doch«, sagte ich. »Kennst du den berühmten Hitchcock-Film Notorious} Der läuft bei uns im Fernsehen unter dem Titel Berüchtigt. Cary Grant und Ingrid Bergman, ah, meine geliebte Bergman. Da gibt es ganz zu Anfang eine Szene über die Macht von Geheimdiensten: Die Bergman fährt total betrunken Auto. Cary Grant neben ihr als Geheimagent. Ein Polizist stoppt sie. Normalerweise müßte er sie verhaften, statt dessen zeigt Grant seinen Ausweis, und der Polizist läßt die total besoffene Bergman weiterfahren. Das beschreibt unsere Realität sehr gut, wir können nicht hoffen, daß irgendwer hilft.«
»Wir brauchen aber trotzdem Hilfe, oder? Die Redaktion muß her, oder? Wozu ist die da?« Sie war aufgeregt. »Du im Bett, ich in solchen Dingen nicht erfahren. Oder willst du aussteigen?«
Sie hockte da, blaß und müde nach all den Aufregungen, und starrte auf den Teppich. Krümel schnürte sich seitlich heran und rieb ihren Kopf an Elsas Beinen. Elsa zuckte hoch und lächelte, und ich sagte: »Du hast jetzt eine neue Freundin. Nein, ich steige nicht aus, ich kann gar nicht aussteigen. Selbst wenn die Geschichte irgendwo bei der Konkurrenz erscheint, werden Messner und seine Kumpane denken, ich stecke dahinter. So ist das bei diesen Leuten. Aber die Redaktion bleibt draußen. Das sind mir zu viele Leute, die dauernd über die eigene Bedeutung nachdenken. Und dann reden sie drüber. Ich stehe bald auf, kein Widerwort. Du mußt den Chef anrufen, oder hast du ihm Instruktionen geschickt?«
»Nur die Filme, ohne Informationen.«
»Dann ruf ihn an.«
»Aber doch nicht jetzt.«
»Jetzt.«
»Es ist mitten in der Nacht. Er wird mich totschlagen und mich entlassen und in mein Zeugnis schreiben, ich hätte seine Kugelschreiber geklaut.«
»Das wird er nicht. Sag ihm nur, er soll den Film von einer Vertrauensperson entwickeln lassen, und er soll daneben stehenbleiben. Los, mach schon.«
»Warum sagst du ihm das nicht selbst? Dich kann er nicht entlassen.«
»Weil ich krank bin. Quatsch, er soll wissen, daß du dabei bist. Dein Urlaub läuft, und die Verwaltung muß den Urlaub streichen.«
»Und wenn sie dich wieder verprügeln?«
»Das war Messners Fehler, ein gewaltiger Fehler. Etwas Dümmeres hätte er nicht machen können. So dumm werden sie nicht mehr sein.«
»Aber sie müssen doch etwas unternehmen«, sagte sie müde.
»Telefonier jetzt«, sagte ich.
Was sie dem Chef berichtete, verstand ich nicht, weil ich überlegte, was Messner und Konsorten jetzt unternehmen könnten. Es war eine sehr nutzlose Überlegung, denn ich wußte nicht genau, wie Messner und Leute wie er denken.
Dann passierte es, es war wohl sehr unvermeidlich. Elsa hockte am Schreibtisch und sagte grinsend: »Der Chef ist sehr aufgeregt, aber ich habe ihm nichts gesagt. Er klang so, als würde er gern herkommen.«
»Nur das nicht«, sagte ich. »Kannst du mal rausgehen?«
»Wieso?« Sie sah mich beunruhigt an.
»Es ist... O Gott. Ich muß auf den Topf.«
»Macht doch nix. Ich hol die Bettpfanne.«
»O nein, ich gehe ins Bad.«
Sie stand auf und lachte und kicherte und war die Inkarnation aller Schadenfreude seit Christi Geburt. Sie sah mir lachend zu, wie ich versuchte, vom Sofa herunterzukommen, was damit endete, daß ich auf dem Teppich saß, mich scheußlich fühlte, überall Schmerzen hatte und mich nur noch entschließen konnte, alles um mich herum scheißegal zu finden.
Sie lief hinaus, trug die Bettpfanne herein wie ein Oberkellner einen geschmückten, flambierten Kapaun. Sie kicherte und sagte zufrieden: »Muß mein Pämpermännchen auf den Topf? Hat er schöne Verdauung? Das freut die Mami aber. Im Ernst, wenn dein Darm funktioniert, bist du auf dem Weg der Besserung.«
»Gib mir das Ding und geh raus.«
Sie ging hinaus, während ich mich in dieser Kleinkinderübung versuchte und dabei samt Pfanne umkippte. Es war sehr entwürdigend.
Später kam sie in einem sehr eleganten dunkelblauen Morgenmantel herunter, ließ ihn wie ein Küchentuch zu Boden fallen und sagte: »Mach Platz, ich will dich wärmen.«
»Aber es ist doch nicht kalt.«
»Du bist still und gehorchst und bekämpfst deine Furcht. Hast du eine Ahnung, was kommen wird?«
»Nein. Verdammt, meine Hüfte ist nicht Teil des Sofas. Und du bist nackt.«
»Ich wurde so geboren«, sagte sie zufrieden.
Exakt um zehn Uhr schreckten wir hoch, weil einige Tornados und Phantom, F-IS und F-16 der Amerikaner und Deutschen, der Holländer, Engländer und Belgier über uns Krieg spielten. Es waren nicht viele, höchstens dreißig oder vierzig Maschinen. Jeder Pilot hatte offensichtlich den Ehrgeiz, meine Fernsehantenne zu untersuchen. Krümel stieg steil an der Tür hoch, drückte die Klinke im Fallen auf und verschwand panisch.
»Sie versteckt sich unter der Treppe.«
Elsa sagte: »Diese Fliegerei ist wahnsinnig. Krümel hat auf meinem Bauch geschlafen, das war ein gutes Gefühl. Ist das hier immer so? Hast du Schmerzen?«
»Die Sonne scheint, da üben sie besonders gern. Ich habe keine Schmerzen, aber ich bin auch noch nicht wach. Der Minister hat gesagt, er habe die Tieffliegerei drastisch eingeschränkt, um die Zivilbevölkerung zu schonen. Er hat nicht ganz die Wahrheit gesagt, weil der Spritverbrauch der Jetstaffeln ständig steigt und weil der Minister allen Freunden aus der NATO erlaubt hat, über der Eifel zu üben. Es ist herrlich und beruhigend, wie niedrig unsere Jungens fliegen können. Neulich soll einer vom Himmel gefallen sein, weil er versucht hat, der Frau seines Geschwaderkommodores Blumen vor die Badewanne zu werfen. Nur die Lerchen schaffen sie nicht, die Lerchen jubilieren weiter.«
»Warten die im Krieg auch immer auf Sonnenschein? Ich mache uns einen Kaffee. Ach du lieber Gott, da kommt der Arzt.« Sie rannte nackt hinaus, die Treppe hoch. Naumann stiefelte herein, grüßte verschlossen, sagte nichts weiter, nahm meinen Puls, horchte mich ab, war schweigsam und abwesend.
»Sind Sie schlecht gelaunt?« fragte ich.
»Etwas. Ich habe meiner Frau alles sagen müssen. Jetzt hat sie Angst, daß ich uns um Kopf und Kragen rede. Wir haben Kinder, ein Haus gekauft, Sparverträge und so weiter. Das wird aber vorbeigehen. Sie machen einen guten Eindruck, Sie sollten aufstehen.«
»Jetzt? Ich kann mich kaum rühren.«
»Sie müssen hoch«, sagte er. Er machte die Tür auf. »Können Sie da oben Wasser in die Wanne laufen lassen? Lauwarm.«
»Mach ich«, schrie Elsa.
»Langsam. Stellen Sie sich mal hin und versuchen Sie, gleichmäßig zu atmen. Nicht so verkrampft. Haben Sie jetzt das Gefühl unbegrenzter Freiheit?« Er grinste.
»Sie haben übrigens die Tatwaffe fotografiert«, sagte ich zwischen den Zähnen hindurch. »Eine Schrotflinte. Wußten Sie das?«
»Nein. Das kann doch nicht wahr sein, so etwas kann ich doch nicht übersehen. Auf welchem Foto?«
»Elsa hat die Flinte herausvergrößert. Sie lag neben der Leiche Nummer drei, der zweiten Frau. Rund zwei Meter weg. Übrigens, wurden alle drei erschossen?«
»Ja«, sagte er. »In dieser Beziehung lassen die Untersuchungen keinen Zweifel. Die beiden ersten im Jeep wurden von hinten erschossen. Die zweite Frau, also Leiche Nummer drei, allerdings von vorn. Und auch aus kürzester Distanz. Machen Sie kleine Schritte mit Pausen. Schmerzt es sehr?«
»Es geht schon. Es beißt ungefähr so, als läge ich mit nacktem Arsch in einem Haufen großer roter Waldameisen. Glauben Sie, daß man auf der Waffe Fingerabdrücke festgestellt hat?«
Er schüttelte den Kopf. »Vorsicht, jetzt die erste Stufe. Halten Sie sich an meiner Schulter fest. Das Fett von Fingerabdrücken ist zwar sehr hartnäckig, aber wir hatten zuviel Regen. Der liebe Gott hat die Deutschen bestraft, er hat die erste Hälfte des Sommers versaut. Nein, da werden keine Fingerabdrücke mehr gewesen sein.«
»Und im Jeep?«
»Der Jeep war offen. Er stand voll Wasser. Das hat mich übrigens nachdenklich gemacht. So, jetzt Stufe Nummer zwei.«
»Das sind elf Stufen, das halte ich nicht durch.«
»Wir haben Zeit«, sagte er.
»Aber mir ist schwindlig.«
»Dann setzen Sie sich. Langsam.«
Wir saßen da auf der Treppe in der Kühle des Hauses, und er stopfte sich eine Pfeife. Krümel saß vor uns auf den Fliesen und war mißtrauisch.
»Haben Sie überhaupt eine Erklärung für den offenen Jeep?«
»Doch, habe ich. Aber ich tauge nicht viel als Kriminalist, und als Amateurspion bin ich eine Niete. Geheimdienstleute haben für mich eine pathologische Struktur. Na ja, aber das Fernsehen und die Boulevardblätter leben davon. Nehmen wir einmal an, der Lastwagenfahrer aus Dresden war nicht nur Lastwagenfahrer, sondern ein sehr agiler Spion mit Schrotflinte. Nehmen wir ferner an, er hatte den Auftrag Ostberlins, den Leutnant im Jeep, die Frau daneben und die Frau im Farnkraut zu erschießen. Nehmen wir an, die drei haben für Ostberlin gearbeitet, sind von unseren Geheimdiensten entdeckt worden, wollten aussagen, mußten also aus der Welt geschafft werden. Was liegt also näher, als sie zu erschießen, in den Jeep zu setzen und das Verdeck hochzuschlagen?«
»Aber warum das Ganze?«
»Weil der Täter damit den Tatort einfach verändert, weil er den Regen systematisch nutzt, um alle Spuren zu verwischen, weil nicht rekonstruierbar ist, wie der Tatort zur Tatzeit tatsächlich aussah.«
»Hatte dieser Leutnant eigentlich Dienst im Depot?« »Nein. Und dieser Punkt ist sehr komisch. Er hat keinen Dienst, müßte eigentlich in seiner Wohnung sein. Sitzt aber mit zerschossenem Schädel in einem Bundeswehrjeep im Wald.«
»Und wie kam er an den Jeep?«
»Das weiß ich nicht«, sagte er, »mir sagt niemand etwas. Die dritte Leiche übrigens, die Frau Nummer zwei, wies leichten Tierfraß auf. Das ist ein Indiz dafür, daß sie nicht transportiert wurde und starb, wo sie lag.«
»Es wird immer unappetitlicher. Könnten Sie mir eine Pfeife stopfen? Mit Pipemakers. Alfred hat den besorgt.«
»Tabak für Softies«, sagte er gutmütig, aber er stopfte mir meine geliebte Royal Rouge von Stanwell.
»Denken Sie daran, Alfred nicht reinzuziehen?«
»Ich verrate nie einen Informanten«, sagte ich wütend. »Ich möchte jetzt weiterklettern.«
»Tut mir leid«, murmelte er betreten.
Wir brauchten für die Treppe ungefähr zwanzig Minuten, dann noch einmal fünf Minuten, bis ich in der Wanne saß. Anfangs hatte ich starke Schmerzen, aber dann war es gut.
Naumann ging, und Elsa hielt mir ihren Kosmetikspiegel vor das Gesicht. Das war nicht mein Gesicht, das war eine vollkommen grün und blau geschlagene Fläche, durchsetzt mit blutigen Rissen.
»Reg dich nicht auf«, sagte sie schnell. »Ich zieh dir die Pflaster ab, wenn sie aufgeweicht sind.«
»Dieses Schwein«, sagte ich, »dieses unglaubliche Schwein.«
»Ich bin gespannt, was die sich jetzt einfallen lassen«, quirlte sie munter. »Die müssen sich doch irgend etwas ausdenken.«
»Sie müssen gar nicht, aber das wissen sie nicht. Neulich hat es bei Trier zwei tote amerikanische Soldaten und einen schwerverletzten Bundeswehrhauptmann gegeben. Die Leute da waren clever, sie haben sich nichts einfallen lassen, einfach den Mund gehalten. Jetzt mischen sehr viele mit, der MAD, der Verfassungsschutz. Vielleicht werden sie im Übereifer nicht clever sein.«
»Kannst du aufstehen? Ich trockne dich ab.«
Sie verpflasterte mich neu, und ich trat die Expedition zurück in das Wohnzimmer an. Das Fernsehen beglückte sein Publikum mit der Wiederholung einer Sendung. Irgendeine Sauberfrau erklärte einem hocherfreuten Publikum, sie werde in kurzen, ja knappen Lederhosen auftreten, wenn irgend etwas in der Sendung nicht klappe, wie sie sich das vorgestellt habe. Das Publikum gröhlte, als habe sie versprochen, vor den Deutschen zu masturbieren. Als sie schließlich, wie geplant, in kurzen Lederhosen auftrat, schaltete ich ab. Es war so die Art Unterhaltung, die wir zu verdienen scheinen.
»Laß uns Bilanz ziehen«, sagte ich. »Zuerst die Opfer. Da haben wir Lorenz Monning, 26 Jahre alt, Beruf Soldat, Leutnant der Bundeswehr, verheiratet, zwei Kinder, Heimatdorf Kalkdorf im Münsterland, hier stationiert seit 1986. Dann Susanne Kleiber, 29 Jahre alt, gemeldet am Ort der Tat in Hohbach seit einem Jahr. Geboren in Ostberlin, von Beruf Hausfrau, Serviererin in der Hohbacher Kneipe. Nicht verheiratet, nicht geschieden, Angehörige keine feststellbar. Dann die zweite Frau: Marianne Rebeisen, 25 Jahre alt, zu Hause in Köln in der Bruderstraße 23. Von Beruf Verkäuferin, ledig, nicht geschieden. Angehörige keine feststellbar. Merkwürdig. Die Frage ist, was die drei miteinander verbindet, ob sie überhaupt in Verbindung standen. Man kann annehmen, daß der Leutnant einer der vielen Soldaten war, die von der Susanne Kleiber in der Kneipe in Hohbach bedient wurden. Möglicherweise hat sich die Kleiber durch freischaffendes Bumsen ein Zubrot verdient. Das liegt nahe, aber wir wissen es nicht. Die Soldaten werden es wissen. Da nicht einmal gerüchteweise bekannt ist, wer die Rebeisen war, können wir an sie nur durch den Leutnant oder die Kleiber herankommen. Und an die kommen wir nur durch Soldaten heran. Die Hohbacher werden nicht reden.«
»Einspruch«, sagte sie sanft, und es klang ein bißchen so, als zerbreche Glas. »Es geht um zwei Frauen. Und die erste Frau, Susanne Kleiber, bediente in der Dorfkneipe. Also werden die Dorffrauen etwas wissen. Und sie werden es mir sagen, wenn ich durchblicken lasse, daß die Kleiber kein Engel war.«
»Einverstanden, aber wie willst du an diese Frauen herankommen?«
»Jemanden aufs Korn nehmen und warten, bis er Hohbach verläßt. Werden denn die Soldaten reden?«
»Im Rudel sicher nicht, einzeln vielleicht.«
»Soldaten sind in der Regel pleite«, sagte sie, »vielleicht können wir kaufen, was wir nicht wissen.«
»Auf keinen Fall«, sagte ich heftig. »Brieftaschenjournalismus irritiert mich. Geld macht die besten Geschichten kaputt.«
»Soll ich zuerst nach Köln fahren und herausfinden, wer die Marianne Rebeisen war?«
»Das ist gut. Tu das. Die Recherchen müssen anlaufen, und ich kann noch nicht aufstehen. Und bitte, bring bei den Fragen die Rebeisen nicht mit der Eifel in Verbindung.«
»Bin ich bei BILD?«
»Nimm meinen Wagen, der ist etwas schneller. Keine klugen Ratschläge, aber trotzdem ein Hinweis. Fahr in Köln nicht dorthin, wo die Rebeisen wohnte. Fahr in die Innenstadt, parke in einem Hochhaus und streune herum. Dann springst du in ein Taxi und fährst hin.«
»Das ist gut, das mache ich. Und ich rufe dich alle zwei Stunden an. Sag mal, glaubst du wirklich, daß dieses Telefon abgehört wird?«
»Aber sicher. Die wären verrückt, wenn sie es nicht täten.«
»Die müssen aber doch nach den Vorschriften gehen. Die brauchen doch eine richterliche Genehmigung.«
»Brauchen sie nicht. Es gibt amerikanische Geheimdienste, die sich einen Dreck um unsere Gesetze kümmern. Es ist bewiesen, daß Leute aus der Friedensbewegung laufend abgehört wurden, ohne daß ein deutscher Richter es erlaubt hatte. In Bremen zum Beispiel. Die Amerikaner haben auch personenbezogene Akten angelegt. Die deutschen Dienste bitten die amerikanischen Freunde, doch mal kurz in meine Leitung hineinzuhorchen, mit wem ich telefoniere und was ich so sage. So einfach ist das, technisch kein Problem. Kannst du mir die Pflaster am Mund abnehmen? Das ist ekelhaft.«
Sie nahm mir die Pflaster ab und verschwand trällernd im Badezimmer, um sich für die Fahrt nach Köln zurechtzumachen. Ich glaube, sie war glücklich.
Sie war kaum vom Hof herunter, als Alfred kam und sich auf mein Sofa setzte. Er war rot im Gesicht und verschwitzt und außer Atem. »Wenn das Wetter hält, kriege ich die Silos voll. Hast du ein Bier?«
»Im Eisschrank muß eins sein.«
Er ging in die Küche, und ich hörte ihn herumklappern. »Irgend etwas Neues?«
»Ich könnte dir die Namen der Opfer geben, aber das tue ich nicht. Ich könnte dir auch Fotos von den Toten zeigen und vom Tatort, aber das tue ich auch nicht.«
»Du bist ein Angeber. Alle Pressemenschen sind Angeber.«
»Gieß dir ein und lang mal da in das Bücherregal. Die Fotos sind in dem Bildband über Ägypten.«
Er hockte da im Sessel, trank bedächtig einen Schluck, sah das erste Foto an, dann das zweite, dann, schnell hintereinander, die nächsten fünf. »Das darf nicht wahr sein, Baumeister. Wer hat die gemacht?«
»Ein Soldat. Er hat sie mir verkauft.«
»Es gibt doch überall Schweine«, sagte er heftig. »Aber das kannst du doch nicht drucken, oder?« Er sah weiter die Bilder durch. »Da ist eine Knarre, eine Mauser. Ein uraltes Modell, aber beliebt. Mein Vater hatte auch so eins.«
»Tu die Fotos zurück und vergiß sie«, sagte ich. »Sag mir bitte, was die Leute über diese Spionagegeschichte erzählen.«
»Och«, murmelte er, um klarzumachen, daß er von Spionagegeschichten nichts hielt. »Ab und zu fährt hier ein DDR-Laster durch die Gegend. Ist ja klar, weil die wirtschaftlichen Beziehungen zur DDR enger werden. Glaubst du, daß alle die Brummifahrer aus dem Osten Spione sind?«
»Weiß ich nicht, ist mir auch egal. Todsicher werden sie von Zeit zu Zeit vom Staatssicherheitsdienst ausgequetscht, was sie so sehen und erleben. Und als Kuriere werden sie sicher auch benutzt. Spione sind Idioten, ob sie aus Ost oder West sind.«
»Etwas ist schon komisch an diesem Brummi aus Dresden, der in Hohbach war. Die Straße von Hohbach zum Depot und weiter zur Bundesstraße war ja nur ein Feldweg. Die wurde vom Verteidigungsministerium extra ausgebaut, ist aber gesperrt für Durchgangsverkehr und Lastwagen. Die fahren die andere Straße aus Hohbach raus zur Bundesstraße. Der LKW aus Dresden ist am Sonntagabend, als die Schweinerei passierte, über die gesperrte Straße zum Depot gefahren.«
»Ist das ganz sicher?«
»Ja. Da sind zwei Leute von der Freiwilligen Feuerwehr Hohbach aus der Kneipe gekommen und sahen, wie er die Straße zum Depot hochzog.«
Er trank sein Bier, und wir sprachen über Belanglosigkeiten, und hinterher war mir ein wenig elend, weil ich ihn belogen hatte. Er war jemand, der Lügen eigentlich nicht verdient, gleichgültig, aus welchem Grund.
In der Tür drehte er sich um. »Hat Naumann gesagt, wann du aufstehen darfst?«
»Ich darf aufstehen, aber ich kann nur kriechen und kann doch so nicht unter Leute.«
Er grinste. »Du siehst wirklich aus wie Dracula. Ich hab da was gehört, weiß aber nicht, ob was dran ist. Dieser Leutnant, der Tote, der soll was gehabt haben mit einer Frau aus einer Boutique in Blankenheim. Ich weiß nicht, wie die heißt, ich weiß nur, die ist groß und blond und war angeblich mal Mannequin. Mit der soll er schon lange was gehabt haben, sagen die Leute.«
»Die Leute sagen viel.«
»Ich sag's dir doch nur.« Er war beleidigt.
»Danke, ich werde es nicht vergessen. Weiß deine Mutter eine Heilsalbe für Schwellungen?«
»Die weiß alles und hat alles. Ich bringe es dir. Was hast du dem Soldaten für die Bilder bezahlt?«
»Für welche Bilder?«
»Schon gut.« Er wedelte mit den Armen, stapfte hinaus, warf den Trecker an und tuckerte vom Hof.
Die Schmerzen meldeten sich wieder, aber ich wollte keine Pillen mehr schlucken. Ich schluckte welche, als mir die Tränen in die Augen traten.
Dann läutete das Telefon, und der Chef trompetete mit geradezu widerwärtiger Munterkeit: »Ich bin in Bonn auf dem Flughafen, wie komme ich denn zu Ihnen?«
Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen, es hatte noch viel weniger Sinn, ihm zu sagen, er solle hingehen, wo der Pfeffer wächst.
Ich beschrieb ihm den Weg.
Alfred kam erneut und brachte einem Topf mit Salbe, die nach ranziger Butter aussah und auch so roch. Ich solle sie sehr dick auftragen, ließ seine Mutter ausrichten. Anschließend fühlte ich mich wie ein Indianer beim Kriegstanz, genauso wütend.
Als das Telefon klingelte, war ich eingeschlafen, warf den Apparat vom Hocker und angelte verzweifelt nach dem Hörer.
»Ja, bitte?«
»Sie werden es nicht glauben – Messner.«
»Aha.«
»Ich hoffe, es geht Ihnen einigermaßen.«
»Danke, ganz gut.«
»Sie verstehen, daß ich überrascht war, als Sie hier eintrudelten. Ich weiß nicht mehr genau, wie das alles kam und was wir geredet haben und ...«
»Wir haben nicht geredet, Sie haben nur geprügelt.«
Er schwieg, er schwieg sehr lange. Wahrscheinlich versuchte er, meinen Worten nachzulauschen und herauszubekommen, was ich dachte. Dann sagte er: »Der Fall ist gelöst. Ich rufe Sie nur an, um Ihnen fairerweise zu sagen, daß nachmittags in Bonn eine Presseverlautbarung herauskommt. Vom Verteidigungsministerium. Ehrlich gestanden, haben wir zunächst gedacht, so etwas wie einen Spionagefall zu haben. Aber das war es nicht. Es war nix als eine miese Eifersuchtstragödie. Hören Sie noch?«
»Ja.«
»Also, ich schicke Ihnen einen Kurier mit der Pressenotiz. Da kommt ein Leutnant Wannenmacher zu Ihnen, jetzt sofort.«
»Haben Sie denn die Waffe und den Täter?«
»Haben wir. Der Täter ist die dritte Leiche. Diese Frau, die später gefunden wurde. Sie hat Selbstmord begangen. Die Waffe ist eine Schrotflinte. Sie gehörte dem toten Leutnant. Peinlich der Fall, aber ganz simpel und zivil.«
»Wie heißen Sie eigentlich wirklich?«
»Wieso?«
»Ich brauche Ihren echten Namen, um Ihnen die Arzt- und Krankenhausrechnungen zuschicken zu können.«
»Dr. Messner heiße ich. Das mit den Rechnungen ist doch wohl nicht Ihr Ernst.«
»Ich werde noch viel ernster, Sie mieses kleines Schwein!« Ich hängte ein und wartete auf den Leutnant namens Wannenmacher. Als er kam, schrie ich: »Hereinspaziert, die Tür ist offen.«
Es gibt Leute, die gibt es nicht. Er war jung und dunkelhaarig, sah blendend und braungebrannt aus, zeigte eine Reihe schneeweißer Zähne, trug seine Ausgehuniform und lächelte strahlend wie ein windschlüpfriger Werbegag für ein Herrenparfüm. Er roch auch so.
Er war sehr zackig, er sagte: »Wenn Sie Herr Baumeister sind, habe ich etwas für Sie. Oh, Pardon, hatten Sie einen Unfall?«
»Nein. Das ist nur die Grundlage für mein Abend-Make-up. Geben Sie her!«
»Nein, Pardon. Ich brauche erst Ihren Ausweis, damit ich sehen kann, ob Sie wirklich der genannte Herr Baumeister sind.«
»Geben Sie her, Sie Pfeife!« schrie ich. »Das ist doch nicht zu fassen. Da wird man halb totgeschlagen, dann kommt so ein Pimpf daher und fragt ...«
Er warf den großen braunen Umschlag mit einer hastigen Handbewegung auf die Wolldecke, unter der ich lag, schlug die Hacken zusammen und quirlte: »Alles klar! Keine Aufregung! Wiedersehen!«
»Grüßen Sie Herrn Doktor Messner von mir«, schrie ich.
»Messner? Verzeihung, ein Herr dieses Namens ist mir nicht bekannt.« Sein Gesicht geriet ihm außer Kontrolle, und er stürmte davon, als sei die große Mobilmachung ausgerufen.
»Hah!« sagte ich zu Krümel. »Dieses Gesicht werden wir nicht vergessen. Dieses Gesicht gehört Wannenmacher.«
Dann riß ich den Umschlag auf.
TÖTUNG UND SELBSTTÖTUNG
Der Bundesminister für Verteidigung teilt mit, daß es im Gebiet der
Eifel zu einem bedauerlichen Vorfall gekommen ist. Offensichtlich
unter starkem Alkoholeinfluß hat die 25jährige Verkäuferin Marianne
R. aus dem Raum Köln den in der Eifel stationierten Leutnant der
Bundeswehr Lorenz M. (26) aus dem Münsterland mit einem
Schrotgewehr erschossen. Marianne R. tötete auch Susanne K. (29),
die Lorenz M. auf einem morgendlichen Spaziergang begleitete. Wie
die zuständige Behörde ermittelte, richtete sich Marianne R. nach
der Tat selbst. Sie galt in ihrem Freundeskreis als krankhaft
eifersüchtig und war mehrere Male Patientin in psychiatrischen
Landeskrankenhäusern. Mit Lorenz M. verliert die Bundeswehr einen
sehr couragierten, sehr befähigten jungen Offizier, dem eine
aussichtsreiche Karriere sicher war. Der Minister dankt allen
Beteiligten für die schnelle und präzise Aufklärung des
Vorfalls.
Später habe ich diesen Tag den Tag der tausend Zungen genannt, obwohl ich keinen Indianer kenne und auch keiner zu Besuch kam.
Ich rief Naumann an und sagte, ich hätte sehr massive Schmerzen. Auf seine Frage, wo, antwortete ich, das sei nicht genau auszumachen: am Kopf, aber streckenweise auch wohl an den Füßen. Das verstand er und murmelte: »Ich muß sowieso in die Gegend, ich komme vorbei. Ist Ihre Freundin im Haus? Sie sollte Ihnen noch einmal lauwarmes Wasser einlassen. Die Muskeln müssen gelockert werden.«
»Sie ist nicht da, und sie ist nicht meine Freundin.«
»Aber sie ist doch sehr nett. Warum werden Sie so wütend?«
Ich antwortete nicht, ich vergewisserte mich meines Körpers, ich fühlte nach, ob alles funktionierte, alles am Platz war. Dann schlug ich die Wolldecke zurück. Die Naht hinter meinem Ohr begann ekelhaft zu pochen, die gesamte Bauchmuskulatur streikte. Aber ich war gelassen. Ich ließ die Beine baumeln und hatte zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, daß es sehr gut ist, die Beine baumeln lassen zu können.
Die Salbenschicht auf meinem Gesicht war hart geworden. Ich blätterte sie geduldig ab und stand vorsichtig auf. Dann beugte ich sanft die Knie, die Beine trugen mich. Ich teilte Krümel mit, daß der vom Schicksal schwer geprüfte Held wieder zum Leben erwache, und sie strich liebevoll um meine Beine, obwohl ich weiß, daß sie auf nichts anderes aus war als auf einen gefüllten Freßnapf.
Das Hänflingspaar kam zu Besuch. Wie grün-gelbe Striche schoß das Pärchen aus der Hecke auf den mit Wasser gefüllten Aschenbecher zu, den ich auf die Fensterbank gestellt hatte.
»Guten Tag, geliebte Schnabbeldönse!« brüllte ich. Dann ging es glatt, aber zittrig zur Tür.
Als das Telefon schellte, war ich gut drei Meter von dem verdammten Ding entfernt, aber immerhin erreichte ich es. Es war Jan, mein Patenkind, fünf Jahre alt, strohblond, mit einem glucksenden Lachen gesegnet.
»Ich war mit Mami in einem Kaufbaus, Siggi. Da gab es einen ferngelenkten Jeep. Da muß man mit einem Kasten lenken. Der Jeep fährt, wie ich will. Linksrum, rechtsrum und rückwärts. Und abends kann man die Batterie rausnehmen, in einen Stecker stecken, und morgens fährt das Auto wieder.«
»Wie geht es dir denn?«
»Gut. Und der Jeep kann sich selbst an einem Seil über Felsen ziehen, und ...«
»Wie geht es denn Mami und Papi?«
»Gut. Und der Jeep kann auch umkippen. Der hat so ein Drahtding obendrauf. Und wenn er umkippt, macht das Drahtding, daß er wieder richtig fährt. Und er kann langsam fahren und ...«
»Und dann hat Mami den gekauft.«
»Nein. Sie hat gesagt, der wäre zu teuer.«
»Was kostet der denn?«
»Oh, hundert Mark, oder viele hundert Mark.«
»Dann ziehe ich Krümel etwas Putenragout ab.«
»Häh?«
»Du willst doch den Jeep, oder?«
Dann kam es leise und besorgt und berechnend und abgewogen und scheu: »Ich wünsch mir den so arg.«
In das Badezimmer brauchte ich nur zehn Minuten, nachdem ich Jans zögerlicher Mutter behutsam beigebracht hatte, daß von hunderttausend Träumen doch einer wahr werden muß. Schwieriger war es, ohne Hilfe in die Wanne zu steigen, aber es gelang.
»Hallo?« hörte ich den Arzt unten rufen. Er kam die Treppe herauf und schimpfte wie ein Rohrspatz. »Wie können Sie so einen Blödsinn ohne Hilfe machen? Ich habe keine Zeit für Helden. Was, glauben Sie, passiert, wenn Ihnen der Kreislauf durchsackt!«
»Ich habe zwei Fragen. Erstens: Stimmt es, daß die dritte Leiche, also die junge Frau aus Köln, betrunken war? Und zweitens: Stimmt es, daß sie sich selbst mit der Schrotflinte erschossen hat?«
»Also darauf wollen die hinaus.«
»Ja. Unten auf dem Sofa liegt eine Verlautbarung des Verteidigungsministers. Grimms Märchen.«
»Ich habe keinen Alkohol entdeckt. Und ich müßte ihn entdeckt haben. Die Frau war stocknüchtern. Auch keine Spur von Tabletten oder ähnlichen Chemikalien. Selbstmord? Ausgeschlossen. Ich habe forensische Medizin gemacht. Da lernt man sehr einfache Dinge. Sie ist zwar aus kürzester Entfernung erschossen worden und von vorn. Aber ich habe keinen Pulverschmauch entdeckt, keine Streuung der Schrotkörner in der Weise, daß sie zum Beispiel das Gewehr mit dem Kolben auf den Boden gestellt, den Lauf gegen das Gesicht gehalten und abgedrückt hätte, was allen Erfahrungen nach bei einer Frau fast undenkbar ist. Der Nachweis der Entfernung vom Täter zum Opfer ist wegen der Partikel beim Verschuß von Schrotmunition sehr leicht zu berechnen. Der Täter stand rund drei Meter bis drei Meter fünfzig entfernt. Soso! Aha! Jetzt muß ich aber. Steigen Sie aus dem Pool.«
»Das kann ich selbst.«
»Das können Sie selbst, aber wenn Sie umfallen, ist niemand da, der Ihnen hilft.«
Er bugsierte mich aus der Wanne und geleitete mich hinunter ins Wohnzimmer. Er las die Mitteilung des Ministeriums und schüttelte den Kopf. »Die sind wirklich frech.«
»Die können es sich erlauben. Hat sich Ihre Frau beruhigt?«
Er lächelte. »Ich habe ihr gesagt, daß Sie absolut verschwiegen sind. Und sie glaubt es jetzt jedenfalls ein bißchen. Ich habe übrigens auch so eine Steinmauer wie Sie. Heute morgen war eine Kröte da.«
»Grüßen Sie sie von mir.«
Als er gegangen war, sang ich das selbstgefertigte Volkslied Ein Suppenhuhn, ein Suppenhuhn, das soll man in die Suppe tun nach der Melodie Der Theodor im Fußballtor.
Dann rief Elsa an und sprudelte los: »Hallo, mein Lieber. Ich bin fertig mit den Einkäufen. Ich habe eine traumhafte Bluse gekauft und eine schneeweiße Hose. Schneeweiß wie meine Seele. Und eine alte Freundin habe ich getroffen, oder ich habe vielmehr gehört, daß sie ... Na ja, sie war mal eine richtig nette Verkäuferin, aber dann ist sie Nutte geworden. Das liegt schwer auf meiner Seele. Ich mache mich jetzt auf den Heimweg. Weißt du, es ist schlimm, wenn man plötzlich an alten Freunden zweifelt. Ich glaube, die war nie eine Verkäuferin. Ich glaube, die war immer Nutte.«
»Der werfe den ersten Stein.«
»Du mit deiner Halbbildung.«
Ich schmierte mir wieder ein Viertelpfund von der Bauernsalbe ins Gesicht, weil zu sehen und zu spüren war, daß die Heilkunde von Alfreds Mutter besser funktionierte als die Medizin des Doktor Naumann.
Der Chef rollte auf den Hof, ich hörte ihn lärmen. Er kann nicht, ohne zu lärmen. »Das ist ja am Arsch der Welt, ist das hier.«