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Martin setzte sich in seinem Zimmer auf den Stuhl vor dem kleinen Schreibtisch und überschlug noch einmal in Ruhe, was er alles zu tun haben würde. Am Ende kam er zu dem Ergebnis, dass er entgegen seiner ursprünglichen Schätzung, aufgrund Zurbriggens telefonischer Angaben, mindestens eine Woche brauchen würde, um das alles zu schaffen. Paul hatte er jedoch versprochen, dass er in drei Tagen wieder zurück sein würde. Er hatte nicht vor, das Versprechen, das er seinem Sohn gegeben hatte, zu brechen. Er würde auch in der Nacht arbeiten müssen, um rechtzeitig fertig zu werden.
Es war jetzt 18.00 Uhr. Er hatte noch eine Stunde Zeit bis zum Abendessen. Als er nach ein paar Minuten mit dem Auspacken seiner Reisetasche fertig war, stellte er seinen Notebook auf den kleinen Schreibtisch und schloss ihn mit dem mitgebrachten Netzwerkkabel an die dafür vorgesehene Steckdose unter dem Schreibtisch an. Dann griff er nach dem Telefon, das auf dem Schreibtisch stand, und rief seinen Vater Karl an, um ihm mitzuteilen, dass er wohlbehalten angekommen sei. Paul kam kurz ans Telefon und wimmerte, dass Martin wieder zurückkommen solle. Martin hätte am liebsten die Tasche wieder gepackt und wäre dem Wunsch seines Sohnes nachgekommen, aber es ging nicht. Er hatte hier einen Auftrag zu erledigen und wollte nicht wortbrüchig werden. Nachdem er Paul noch einmal gesagt hatte, wie sehr er ihn liebte, hatte Karl Waller das Gespräch wieder übernommen und Martin versichert, dass alles in bester Ordnung sei. Dann hatten sie sich verabschiedet und Martin hatte den Hörer beunruhigt aufgelegt. Er konnte es nicht ertragen, wenn Paul litt und das tat er in diesem Moment, weil er nicht bei ihm war. Um sich abzulenken, surfte Martin danach missmutig ein wenig im Internet herum. Dann rief er seine E-Mails ab.
Wie so oft handelte es sich ausschließlich um Werbung. Er überflog die Überschriften und löschte eine nach der anderen. Bei der letzten Nachricht handelte es sich offensichtlich, um eine Spammail, denn nur so konnte er sich den anstößigen Absendernamen, Dein Schatz, und den fehlenden Betreff erklären. Doch sein Zeigefinger war schneller als sein Kopf und so geschah es, dass er einem Reflex folgend einen Doppelklick auf den Eintrag machte, anstatt ihn zu löschen. Die Nachricht öffnete sich und der Text baute sich auf dem Bildschirm auf. Er brauchte ein paar Sekunden um zu erfassen, was er da las. Es war ganz und gar unglaublich. Dann überkam ihn die blanke Panik. Er schnellte von seinem Stuhl auf, schnappte nach Luft und trat hastig ein paar Schritte zurück, bis er an den Rand des Bettes stieß. Er schaute aus dieser Entfernung auf den Bildschirm, ängstlich, als ob auf dem Tisch eine zum Angriff bereite Vogelspinne säße, die er im Auge behalten musste. Aber es war kein Tier, das dort auf ihn lauerte. Es war der Text einer an sich ganz normalen E-Mail, der seinen Körper mit Adrenalin vollpumpte und in Alarmbereitschaft versetzte.
Schließlich schluckte er den Kloß in seinem Hals hinunter und näherte sich vorsichtig wieder dem Bildschirm wie ein Steinzeitmensch, der zum ersten Mal ein Feuer sieht.
Fassungslos stand er schließlich vor dem Display. Was hatte das zu bedeuten?
Die E-Mail kam von einer Person, die er sehr gut kannte. Aber diese Person war auf den Tag genau seit drei Jahren tot.