„Bekannte Ihres Vaters. Sie kennen sich aus mit Benehmen, Manieren, Kleidung - eben allem, was ein Gentleman wissen muss.“

„Verdammt, ich soll also ein Gimpel werden und mich von einem Trupp lallender Schwachköpfe begutachten lassen?“ Dunstead schob die Brille am Nasenrücken nach oben und trat beunruhigt von einem Fuß auf den anderen. „Ah. Nun ja, wenn Sie es unbedingt in diesem Licht betrachten müssen ...“

„Kommt überhaupt nicht infrage!“ Es war undenkbar. Selbst noch aus dem Grab versuchte sein Vater, Tristan zu demütigen. Er biss die Zähne zusammen. „Nein, fällt mir nicht ein. Niemals. Und jetzt fort mit Ihnen, alle beide.“ Dunstead äußerte sich überrascht und empört und begann seine Papiere zusammenzusuchen, doch Reeves regte sich nicht. Er seufzte nur. „Wie traurig. Dann werden wir wohl Lord Westerville aufsuchen müssen.“

„Wer ist das denn?“

„Ihr Bruder Christian.“

Tristan hielt inne. Sein Blick klebte am Butler. „Christian?“

„Wenn Sie die an das Vermögen geknüpften Bedingungen nicht erfüllen können, geht alles an Ihren Bruder, Viscount Westerville.“

Dunstead schloss seine Mappe. „Das Testament liegt auf Ihrem Tisch, falls Sie es lesen möchten.“

„Sie können meinen Bruder auch nicht finden“, erklärte Tristan, der den Anwalt vollkommen ignorierte. „Ich habe es jahrelang versucht und konnte nicht einmal eine Spur von ihm entdecken.“

„Vielleicht haben Sie nicht an den richtigen Lokalitäten gesucht?“

Hastig trat Tristan einen Schritt vor, wobei er sich schwer auf seinen Stock stützen musste. „Wissen Sie etwa, wo er ist?“

Reeves lächelte. „Sie haben wir ja auch gefunden, nicht wahr?“

Dunstead schob seine Brille nach oben. „Wir müssen uns auf den Weg machen, Mr. Reeves. Es wird schon dunkel, und vor uns liegt noch ein weiter Weg. “

Reeves blickte zu den Terrassentüren. „Es ist bereits zu spät, um diese gefährliche Straße mit unseren Kutschen und Wagen zu riskieren. Außerdem sind die Pferde erschöpft, und ..." Er warf Tristan einen abschätzenden Blick zu. „Ich frage mich ... Mylord, würden Sie uns gestatten, ein, zwei Tage zu bleiben? Wir haben schon eine weite Strecke zurückgelegt und sind ein bisschen müde. Unsere Pferde brauchen Ruhe, vor allem nach der Schwerstarbeit, die sie heute auf der steilen Küstenstraße geleistet haben. “

Wenn Reeves wusste, wie er Christian finden konnte, wäre es dumm von Tristan, den Mann aus den Augen zu verlieren. „Bleiben Sie nur. Ich fürchte allerdings, dass ich hier nicht viel Platz habe ... “

„Ach, wir geben uns mit der Scheune zufrieden“, erklärte Reeves, als hätte er mit nichts anderem gerechnet.

„Der Scheune?“ Mr. Dunstead blinzelte. „Aber ... wie ...“ „Wir werden dort sehr gut zurechtkommen“, ergänzte Reeves gelassen. Er verbeugte sich vor Tristan. „Danke für Ihre Rücksichtnahme. Sobald die Pferde sich ausgeruht haben, werden wir uns natürlich auf den Weg machen.“

„Aber begann Dunstead.

Reeves nahm den Anwalt bei den Schultern und drehte ihn in Richtung Tür. „Vielen Dank, Lord Rochester! Ich hoffe, dass ich Gelegenheit bekomme, mich mit Ihnen zu unterhalten, sobald Sie erst einmal Zeit gefunden haben, die Neuigkeiten zu verdauen.“ Damit schob der Butler den Anwalt in den Flur und schloss leise die Tür hinter sich.

Tristan stand lange da und starrte auf die Tür. Er war zu keinem klaren Gedanken fähig. Sein Vater - tot. Sein Bruder - vielleicht schon gefunden. Ein Vermögen, das es zu erringen galt. Und ein Titel. Alles sollte ihm gehören. Lord Tristan Llevanth, Earl of Rochester.

Was für ein schrecklicher, entsetzlicher Witz.

Wenn er das alles verkraften wollte, brauchte er eine ganze Flasche Brandy. Oder auch zehn. Kopfschüttelnd ließ er sich wieder auf seinen Sessel sinken, ergriff sein Glas und nahm einen großen Schluck. Er war ein Earl. Aus irgendeinem Grund fragte er sich, was seine steifröckige Nachbarin davon halten würde. Ob sie wohl beeindruckt wäre? Oder würde sie einfach nur wieder verlangen, dass er sein Schaf aus ihrem Garten heraushielt?

Er hob das Glas in ihre Richtung und brachte ihr im Stillen einen Trinkspruch dar. Sie war nicht nur reizvoll, sondern auch ausnehmend vernünftig - das konnte er fast riechen. Sie gehörte zu den Frauen, um die man einen weiten Bogen machte - nämlich den Frauen, die man heiratete.

Seufzend lehnte er sich zurück. Wenn er ehrlich war, würde er seinen neuen Titel sofort gegen eine Nacht im Bett der Dame eintauschen. Eine lange, leidenschaftliche Nacht, erfüllt von ihrem Parfüm und ihrem seidenweichen Haar ...

Bei der Vorstellung begann er unruhig hin und her zu rutschen. Verdammt. Was, zum Teufel, sollte er jetzt tun? Er war ein Earl. Ein verdammter Earl. Ein Earl mit einem schlimmen Bein und einem Cottage voller Seeleute, die alle zusammen nicht einen Penny besaßen. Was half ihm der Titel ohne das Vermögen?

Selbst aus dem Grab heraus hatte sein Vater noch die Macht, ihn zu schikanieren. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte Tristan, sich auf Christian zu konzentrieren. Auf die Hoffnung. Die Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, während Tristan langsam, aber stetig die Flasche leerte. Stunden verstrichen. Die Sonne würde über dem Horizont auftauchen, bevor er sich so weit beruhigt hätte, dass er zu Bett gehen konnte. Doch ein Bild hielt sich auch dann noch hinter seinen alkoholschweren Lidern: der Anblick seiner Nachbarin, wie sie tief vor ihm knickste und ihm ihr Dekollete zu seiner adeligen Begutachtung hinhielt.

Vielleicht wäre es doch nicht so schlimm, Earl zu sein, dachte er, bevor er in tiefen Schlaf sank ...

5. KAPITEL

Ein guter Butler oder Kammerherr mischt sich niemals in die persönlichen Belange seines Dienstherrn ein, es sei denn, seine Anstrengungen könnten das Leben seines Dienstherrn um ein Beträchtliches verbessern. Dieser Gedanke kann manchmal eine ziemlich gewaltige Einmischung rechtfertigen.

Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves

„Sie, Sir, holen sofort Ihre Schafe aus meinem Garten“, forderte Prudence. Ihre Stimme zitterte, als wäre ihr kalt. Sie fand das merkwürdig, gleichzeitig zu frieren und zu träumen.

Der Captain drehte sich um. Anscheinend war ihm nicht bewusst, dass er nur ein Traumgebilde aus Prudences Schlummer war. Wie neulich stand er auf dem Kliff. Der Wind fuhr unter seinen Mantel und offenbarte das dünne weiße Hemd, das am Hals offen stand und seine breite Brust betonte und die schwarzen Breeches, die sich an seine muskulösen Beine schmiegten.

Prudence musste um Atem ringen. Das war der beste Traum, den sie je gehabt hatte. Das offene Hemd war schon skandalös genug, aber der enge Schnitt seiner Breeches war wirklich beunruhigend. Überaus beunruhigend. So beunruhigend, dass ...

Plötzlich stand er vor ihr, und seine Hände lagen warm auf ihren Schultern. Er sah ihr tief in die Augen. „Ich will alles tun, was du möchtest, meine Süße. Solange du mir einen Kuss gewährst.“

„Einen Kuss? Aber ich kann doch nicht ..." Nun ja, vermutlich konnte sie schon. Im Traum waren Dinge erlaubt, an die man im wirklichen Leben nicht einmal denken durfte. „Also schön. Einen Kuss. Aber nur einen, also Er schloss sie in die Arme, bog ihren Oberkörper nach hinten und bedeckte ihre Lippen mit den seinen. Selbst im Traum war er ungeduldig, maskulin, drängend. Prudence erschauerte und zitterte, und dann stöhnte sie, weil ihr unter seinen Berührungen so heiß wurde, weil sich seine Lippen so warm anfühlten, weil seine Zunge gierig in ihren Mund eindrang ...

Wie konnte ein einfacher Traum derartige Gefühle in ihr wecken? Wie konnte sie seine Haut spüren, den Duft seiner frisch gewaschenen Wäsche riechen, das Salz auf seinen Lippen schmecken? Wie konnte sie ...

Ein hartes Klopfen riss sie aus ihren wirren Träumen. Prudence kniff die Augen noch fester zusammen und zog sich das Kissen über den Kopf. Verzweifelt hielt sie am Bild des Captains fest, wie sich sein attraktives Gesicht über sie beugte, sein Mund nur noch wenige Zoll von dem ihren entfernt ...

Wieder klopfte es fordernd, doch diesmal ging die Tür auf, und Mrs. Fieldings sagte auf ihre übliche ausdruckslose Art: „Aufstehen, Madam. Der Hahn hat gekräht.“

Prudence stöhnte, während sich das Bildnis des Captains in Luft auflöste. Sie rollte sich auf den Bauch und zog das Kissen noch fester an sich heran.

Mrs. Fieldings riss die Vorhänge auf. Das Sonnenlicht strömte in den Raum.

„Ich wollte, Sie ließen das bleiben“, erklärte Prudence und zog sich die Decke über den Kopf. Die Luft war morgendlich frisch und kühl.

In aller Seelenruhe griff Mrs. Fieldings nach der Decke. „Morgenstund hat Gold im Mund.“

Prudence hasste diese moralisierenden Sprüche, vor allem vor dem Frühstück. Sie öffnete die Augen zu kleinen Schlitzen. „Ja, schon, aber ohne ausreichend Schlaf wird selbst ein, ähm, Fisch grantig.“

Das hatte gesessen. Vielleicht nicht ganz so gut wie Mrs. Fieldings markige Bemerkung, aber ihr reichte es aus.

Die Haushälterin schnaubte. „Das haben Sie doch gerade erfunden.“

„Natürlich nicht“, erklärte Prudence so hochmütig, wie es ihr nur möglich war. Sie versteckte sich immer noch unter der Decke. „Ich habe es, äh, von den Männern des Captains.“

„Diese Nichtsnutze. Zeit zum Aufstehen, junge Dame. Der frühe Vogel fängt den Wurm.“

Verflixt und zugenäht. Das hieß Krieg. Prudence verscheuchte die letzten Reste Schlaf und setzte sich kerzengerade auf. „Die Letzten werden die Ersten sein.“

Mrs. Fieldings sparsame Miene verdüsterte sich. „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“

„Der Spatz in der Hand ... ach, verflixt!“ Prudence schwang die Beine aus dem Bett und reckte sich ausgiebig. Sie murrte: „Ich weiß gar nicht, warum ich mir überhaupt Mühe gebe, Sie schlagen mich ja doch jedes Mal.“

Ein selbstgefälliges Lächeln spielte um die Lippen der Haushälterin. „Das Frühstück ist fertig. Ihre Mutter ist bereits im Speisezimmer. “ Sie goss frisches Wasser in die Porzellanschüssel auf dem Waschstand, legte ein frisches Handtuch daneben und verließ das Zimmer.

Prudence schob die Füße in die Pantoffeln und trat zum Waschstand. Sie wusch sich Gesicht und Hände, rieb sich vor allem die Lippen sauber, die immer noch prickelten, als wäre der Kuss echt gewesen. Beim Blick in den Spiegel entdeckte sie ein Lächeln in ihrem Gesicht. Es war lange her, dass sie von jemand anderem als Phillip geträumt hatte. „Wird ja auch Zeit“, sagte sie sich.

Nicht, dass der Captain der richtige Mann für eine Romanze gewesen wäre, natürlich nicht. Er war dunkel, ungebärdig und gefährlich. Doch es war angenehm, von ihm zu träumen. Manche Männer eigneten sich zu nichts anderem.

Während sie über ihren eigenen Unsinn schmunzelte, entledigte sie sich ihres Nachthemds, entflocht ihr Haar, kämmte sich und steckte die langen Locken auf dem Kopf auf. Ihr Haar war altmodisch lang: Die dichten Flechten reichten ihr bis zu den Hüften. Vermutlich hätte sie es längst schneiden sollen, doch aus irgendeinem Grund tat sie es nicht.

Die Sonne lachte ins Zimmer und täuschte über den kalten Wind hinweg, der an den Fensterläden rüttelte. Prudence stand im warmen Sonnenschein und zog sich ein Tageskleid aus rosa Musselin über den Kopf.

Seltsam, dass sie vom Captain geträumt hatte. Sie hatte nicht nur an ihn gedacht, sondern richtig von ihm geträumt ... seinen Augen, so merkwürdig grün und durchdringend. Seinen Lippen, als er ihr ein Lächeln geschenkt hatte, bei dem ihr ganz schwindelig geworden war. Wie diese Lippen die ihren bedeckten und ihr den leidenschaftlichsten Kuss gaben, den sie je ...

Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und erschauerte. Bisher hatte sie Phillips Küsse immer wunderbar gefunden, sanft und zart, genau wie er. Wenn sie daran dachte, wurde ihr die Brust eng. Wie konnte sie einen geträumten Kuss von einem Mann wie dem Captain - einen Kuss, der weniger bedeutete als ein Papierschnipsel - mit Phillips Küssen vergleichen, Phillip, der ihr Ehemann und bester Freund gewesen war?

Trotzdem ... jetzt, wo sie darüber nachdachte: Phillip hatte ihr nie so einen Kuss gegeben wie in ihrem Traum, so voller Leidenschaft und Intensität. Vermutlich lag es einfach daran, dass der Captain ein ganz anderer Typ Mann war. In seiner Gegenwart hatte sie das Gefühl, dass seine gesamte Energie auf sie gerichtet war und auf nichts sonst. Als gäbe es in diesem Augenblick nur sie und ihn auf der Welt, selbst wenn er sich über ihre Klagen über sein Schaf ärgerte. Bei Phillip hatte sie nie so empfunden, und doch hatte sie Phillip geliebt. Von Herzen.

Das bedeutete, dass sie für den Captain bloße Lust empfand.

Lieber Himmel! Sie verlor den Verstand. Offensichtlich war es nicht ratsam, vor dem Frühstück allzu viel nachzudenken. Der Hunger störte ihre sonst so besonnene Logik. Bevor sie sich mit gewichtigen Gedanken - oder zumindest Gedanken, die irgendwie in Zusammenhang standen mit diesem sehr männlichen, irritierenden Kapitän und seinem ungezogenen Schaf - befasste, wollte sie erst einmal schön frühstücken und Tee trinken. Ja, genau das brauchte sie jetzt.

Und danach ... nun, danach würde sie darauf achten, überhaupt nicht mehr an ihn zu denken. Kein einziges Mal. Ja, genau das würde sie tun. Außerdem hatte sie an diesem Tag ohnehin Dutzende von Dingen zu erledigen. Sie ging aus dem Zimmer und lief leichtfüßig die Treppe hinunter, die Hand auf dem glatten hölzernen Treppengeländer.

Unten war es wärmer. Ihre Mutter saß am Kopfende des Esstisches und zupfte teilnahmslos an ihrer Serviette herum, als Prudence das Zimmer betrat.

„Guten Morgen!“ Prudence beugte sich vor, küsste ihre Mutter auf die Wange und nahm dann neben ihr Platz. „Tut mir leid, dass ich so spät komme. Ich bin heute Morgen gar nicht wach geworden.“

Mrs. Fieldings kam ins Zimmer, trat zur Anrichte und hob von zwei Tellern die Servierhauben. „Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss nehmen, was übrig bleibt.“

Prudence seufzte. „Ich glaube, für heute haben wir genug Sprüche gehört.“

Mrs. Fieldings schnaubte. Sie brachte die Teller an den Tisch und stellte sie mit lautem Klirren vor Prudence und ihrer Mutter ab. Dann marschierte sie aus dem Zimmer.

„Herrje!“, erklärte ihre Mutter und sah der Haushälterin hinterher. „Die ist heute aber auch nicht bester Stimmung.“

Prudence bestrich ihren Toast mit Butter und gab eine ordentliche Portion Orangenmarmelade darauf. „Wir haben heute viel vor. Wir müssen die Vorhänge für die zwei hinteren Schlafzimmer fertigstellen, damit die Zimmer bereit sind für die Schülerinnen.“

„Das wird ein Weilchen in Anspruch nehmen.“

„Wenn wir uns zu zweit daran setzen, können wir die eine Garnitur heute fertig bekommen. Danach müssen wir die Ställe ein bisschen herrichten. Irgendwann werden wir uns neben Elmira noch ein anderes Pferd besorgen müssen. “

„Hoffentlich können wir uns das leisten. Ich sehe es gar nicht gern, wenn wir die arme Elmira vor die Kutsche spannen müssen. Sie wird so schnell müde.“

„Wir werden uns das schon leisten können, da bin ich mir ganz sicher. Mutter, ich habe nachgedacht. Vielleicht sollte sich unsere Schule auf irgendetwas spezialisieren.“

Ihre Mutter goss sich Sahne in den Tee. „Meine Güte, du strömst heute Morgen ja über vor Ideen. Anscheinend hast du hervorragend geschlafen.“

Prudences Traum hatte sie irgendwie belebt. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich möchte nur helfen.“

„Oh, das tust du ja auch, mein Liebes! Ohne dich wäre ich verloren! Wie ist das nun mit deiner Idee?“

„Die anderen Mädchenseminare sind alle auf irgendetwas spezialisiert. Mrs. Ashtons exklusives Mädchenpensionat bietet jedes Semester geschmackvolle Theateraufführungen an, weil man dort glaubt, die Schauspielerei verhelfe einem zu mehr Selbstbewusstsein. Lady Barkstows Akademie hat extra einen Pferdetrainer angestellt. Jedes Mädchen bekommt bei der Ankunft ein Pferd gestellt, und die Schule verspricht, dass sie bis zum Abschluss hervorragende Reiterinnen aus ihnen macht.“

„Pferde?“ Ihre Mutter legte die Gabel hin. „Das klingt ziemlich teuer.“

„Ich meine ja nicht, dass wir genau dasselbe anbieten sollen wie die anderen Schulen“, meinte Prudence rasch. „Wir müssen eben unser eigenes besonderes Angebot finden, mit dem wir die guten Familien dazu bringen, dass sie ihre Töchter zu uns und nicht anderswohin schicken. Wir könnten zum Beispiel eine Kombination aus Kunst und gesunden Freiluftaktivitäten bieten. Wir sind auf dem Land, vielleicht können wir das zum Vorteil wenden.“

Ihre Mutter seufzte. „Prudence, ich wollte, wir wären nicht darauf angewiesen. Ich finde die Vorstellung wunderbar, eine Schule einzurichten, aber es ist mir entsetzlich, dass wir es tun müssen. Irgendwie nimmt mir das die ganze Freude ...“

Prudence erhob sich vom Tisch. „Mutter, es tut mir so leid wegen Phillip ... “

Ihre Mutter legte die Hand auf die ihrer Tochter. „Hör sofort auf. Er hat seine Angelegenheiten doch nicht absichtlich in einem solchen Wirrwarr hinterlassen.“

„Es ist ja nicht nur das Geld, sondern auch die Demütigung ... “ Prudence presste die Lippen zusammen. „Die Leute haben ihm vertraut. Er hätte sich darüber im Klaren sein müssen, dass er mit seinem Vermögen haftete, er hätte nicht so viele Versprechungen machen dürfen.“

„Er war wohl übertrieben optimistisch. Aber er hat kein Verbrechen begangen. Es hätten ihn nie so viele Leute um Gelder angehen dürfen. Und uns dann auch noch in der Gesellschaft zu schneiden ...“ Ihre Mutter blickte auf ihren Teller. „Ich weiß, wie schwer das für dich gewesen ist.“

„Es war für uns beide schwer. Ich hatte eigentlich geglaubt, ein paar der Frauen seien meine Freundinnen, aber das stellte sich dann als Irrtum heraus.“ Nein, ihre angeblichen „Freundinnen“ hatten lieber die Lügen geglaubt, die in den Zeitungen verbreitet wurden. Dass Phillip das Geld seiner Investoren gestohlen habe, dass sie Männer bezirzt habe, ihr Geld in die Sache zu stecken. Es war schrecklich und auch billig, und auch jetzt noch, drei Jahre später, hinterließ die Geschichte einen schalen Geschmack in ihrem Mund. Phillip hatten diese ekelhaften Gerüchte besonders schlimm belastet. Er wurde bleich und nervös. Und schließlich krank. Es schien ihn vor ihren Augen einfach dahinzuraffen.

Sie nahm einen Schluck Tee, um den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. „Es hat keinen Zweck, in der Vergangenheit zu graben. Außerdem ... “

Ein lautes Blöken erfüllte die Luft. Mrs. Crumpton und Prudence sahen sich an. Wieder blökte es, lauter und viel näher diesmal.

Ihre Mutter sprang auf und eilte zum Fenster, wo sie sich beinah die Nase am Glas platt drückte. „Prudence! Schon wieder dieses Schaf! Es frisst unsere ganzen Winterzwiebeln!“

„Jetzt reicht es mir!“ Prudence warf ihr Besteck auf den Tisch. „Ich gehe zum Captain, nur dass ich diesmal ...“ Was konnte sie tun? Ihre Gedanken rasten. Hastig verwarf sie Plan um Plan. Am Ende blieb ihr eine einzige Idee. „Ich weiß jetzt, was ich tun werde. Mutter, ich schaffe dieses alberne Schaf zu ihm! Soll er doch sehen, wie er damit zurechtkommt! “

Ihre Mutter blinzelte. „Aber ...“

Prudence war bereits an der Tür. Ihre Mutter lief ihr nach. „Prudence, warte! Geh nicht, solange du dich noch so aufregst! Sonst sagst du noch etwas, was du hinterher bereust. Iss wenigstens dein Frühstück auf.“ Ihre Mutter nahm sie am Arm und hielt sie auf. „Dann bist du etwas ruhiger. Vielleicht kommst du sogar noch dazu, dein Haar nett zu richten. Und auch wenn mir dieses Kleid gut gefällt, wäre vielleicht das blaue mit den ..."

„Nein.“ Prudence riss sich los, nahm den Mantel vom Haken an der Tür und legte ihn sich über die Schultern. „Es wird Zeit, dass wir es dem Captain mit gleicher Münze zurückzahlen. “

„Ach je!“

Prudence wand sich den Schal um den Hals. „Ich werde ihm das Schaf direkt ins Cottage treiben. Mal sehen, wie ihm das gefällt!“

„Prudence, vielleicht wäre es besser, wenn du ...“

Doch Prudence war bereits unterwegs. Ihre Miene verriet äußerste Entschlossenheit. „Captain Llevanth“, murmelte sie, während sie zur Tür hinauseilte und Kurs nahm auf das Geblöke, „ob es Ihnen nun passt oder nicht, heute Morgen bringe ich Ihnen ein Schäfchen ins Trockene! “