Kapitel 1
Dalkeith-upon-the-Sea, Schottische Highlands 1515
Grimm blieb an den geöffneten Türen des Arbeitszimmers stehen und sah in die Nacht hinaus. Die Spiegelbilder der Sterne sprenkelten den ruhelosen Ozean und krönten als winzige Lichtpunkte die Wellen. Für gewöhnlich empfand er das Geräusch des Meeres, wenn es gegen die Felsen krachte, als wohltuend, seit kurzem jedoch schien es in ihm eine suchende Ruhelosigkeit zu entfachen.
Während er gemessenen Schrittes weiterging, grübelte er über mögliche Gründe für seine Unruhe nach und stand am Ende mit leeren Händen da. Es war seine eigene Wahl gewesen, als Hauptmann der Garde der Douglas auf Dalkeith zu bleiben, nachdem er und sein bester Freund, Hawk Douglas, vor zwei Jahren Edinburgh und den Dienst bei König James hinter sich gelassen hatten. Grimm bewunderte Hawks Ehefrau Adrienne - wenn sie nicht gerade versuchte, ihn unter die Haube zu bringen - und er war vernarrt in ihren kleinen Sohn Carthian. Wenn auch nicht gerade ausgesprochen glücklich, so war er doch zufrieden gewesen. Zumindest bis vor kurzem. Was also bedrückte ihn?
»Mit deiner Rastlosigkeit läufst du noch Löcher in meinen Lieblingsteppich, Grimm. Und der Maler wird dieses Porträt niemals vollenden können, wenn du dich nicht hinsetzt«, neckte ihn Adrienne und riss ihn aus seiner melancholischen Träumerei.
Grimm atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes Haar. Geistesabwesend spielte er mit ein paar Strähnen an seiner Schläfe und verzwirbelte sie zu einem Zopf, während er fortfuhr, die See zu betrachten.
»Du suchst nicht zufällig nach einer Sternschnuppe da draußen, oder etwa doch?« Hawk Douglas' schwarze Augen tanzten vor Heiterkeit.
»Kaum. Doch wann immer deine boshafte Gattin bereit ist, mir zu offenbaren, welchen Fluch sie mir durch ihren unüberlegten Wunsch auferlegt hat, werde ich mich glücklich schätzen, davon zu erfahren.« Vor einiger Zeit hatte Adrienne bei einer Sternschnuppe einen Wunsch getan und sich seither standhaft geweigert, den beiden zu erzählen, worum es sich dabei gehandelt hatte, bis sie absolut sicher sein würde, dass ihr Wunsch gehört und erfüllt wurde. Sie hatte lediglich zugegeben, dass sich ihr Wunsch auf Grimm bezog, was ihn ziemlich nervös machte. Zwar hielt er sich nicht für abergläubisch, doch hatte er genügend seltsame Begebenheiten erlebt, um zu wissen, dass Dinge, die unwahrscheinlich schienen, noch lange nicht unmöglich waren.
»Ich ebenso, Grimm«, meinte Hawk trocken. »Aber auch mir will sie es nicht sagen.«
Adrienne lachte. »Kommt schon, ihr beiden. Erzählt mir nicht, dass sich zwei so furchtlose Krieger auch nur einen Augenblick lang über den unbedeutenden Sternschnuppenwunsch einer Frau den Kopf zerbrechen.«
»Ich halte nichts, was du tust, für unbedeutend, Adri- enne«, entgegnete Hawk mit schiefem Grinsen. »Das Universum verhält sich nicht normal, wenn es um dich geht.«
Grimm lächelte schwach. Wie Recht er hatte. Als Opfer einer heimtückischen Verschwörung, ausgeheckt von einem rachsüchtigen Feenwesen, um Hawk zu vernichten, war Adrienne aus dem zwanzigsten Jahrhundert durch die Zeit katapultiert worden. Unmögliche Dinge ereigneten sich in ihrem Dunstkreis und das war der Grund, weshalb er verdammt noch mal wissen wollte, was sie sich gewünscht hatte. Er wollte vorbereitet sein, wenn die Hölle losbrach.
»Setz dich hin, Grimm«, drängte Adrienne. »Ich möchte, dass dieses Porträt spätestens zu Weihnachten fertig ist, und Albert braucht Monate, um es nach seinen Skizzen zu vollenden.«
»Weil mein Werk eben schiere Perfektion ist«, sagte der Maler leicht verstimmt.
Grimm wandte der Nacht den Rücken zu und nahm wieder seinen Platz neben Hawk vor dem Kaminfeuer ein. »Ich verstehe immer noch nicht so ganz, was das überhaupt soll«, murmelte er. »Porträts sind was für Mädchen und kleine Kinder.«
Adrienne schnaufte. »Ich beauftrage einen Maler, zwei der großartigsten Männer zu verewigen, denen ich je begegnet bin«, sie schenkte ihnen ein umwerfendes Lächeln, und Grimm verdrehte die Augen, denn er wusste, dass er der liebreizenden Adrienne keinen Wunsch abschlagen konnte, wenn sie so lächelte, »und alles, was sie tun, ist nörgeln. Eines Tages werdet ihr mir noch dankbar sein.«
Grimm und Hawk sahen sich amüsiert an und nahmen wieder ihre Pose ein, die Adrienne gewählt hatte, da sie ihre muskulösen Körper und die verwegen schönen Gesichtszüge am vorteilhaftesten zur Geltung brachte.
»Achte darauf, dass du seine Augen farblich ebenso brillant wiedergibst, wie sie sind«, instruierte sie Albert.
»Als ob ich nicht wüsste, wie man malt«, grummelte er. »Ich bin hier der Künstler. Es sei denn natürlich, Ihr wolltet selbst Hand anlegen.«
»Ich dachte, du magst meine Augen.« Hawk runzelte die Stirn und sah Adrienne an.
»Allerdings. Ich habe dich geheiratet, erinnerst du dich?«, neckte ihn Adrienne mit einem Lächeln. »Kann ich etwas dafür, dass sämtliche Bedienstete auf Dalkeith, bis hinunter zur jüngsten Magd im zarten Alter von zwölf Jahren, von den Augen deines besten Freundes schwärmen? Sie sehen genauso aus wie meine Saphire, wenn ich sie ins Sonnenlicht halte, sie leuchten mit irisierendem blauem Feuer.«
»Und was sind meine? Belanglose schwarze Walnüsse?«
Adrienne lachte. »Dummkopf, so hatte ich dein Herz beschrieben, als ich dich das erste Mal traf. Und hör auf, an deinen Haaren herumzufummeln, Grimm«, tadelte sie. »Oder gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du diese Flechten an deinen Schläfen auf dem Porträt haben möchtest?«
Grimm erstarrte und berührte dann langsam und ungläubig sein Haar.
Hawk starrte ihn an. »Woran denkst du, Grimm?«, fragte er voll Verwunderung.
Grimm schluckte. Es war ihm nicht einmal bewusst gewesen, dass er die Kriegszöpfe in sein Haar geflochten hatte. Ein Mann trug sie nur in den dunkelsten Zeiten seines Lebens - wenn er seine verstorbene Gemahlin betrauerte oder sich zur Schlacht rüstete. Bis zum heutigen Tag hatte er sie zweimal getragen. Woran hatte er gedacht? Grimm starrte blicklos auf den Boden, verwirrt, unfähig, seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen. Seit kurzem quälten ihn Geister aus der Vergangenheit, Erinnerungen, die er vor Jahren wutschnaubend in ein flaches Grab geworfen und unter einer dünnen Schicht des Verdrängens begraben hatte. Doch in seinen Träumen wandelten die Schattenleichen wieder umher und hinterließen auf ihren Spuren ein Gefühl des Unwohlseins, das ihn den ganzen Tag nicht losließ.
Grimm suchte noch immer nach einer Antwort, als eine Wache durch die Türen des Arbeitszimmers stürmte.
»Mylord. Mylady.« Der Soldat nickte ehrerbietig zu Hawk und Adrienne, während er eiligen Schrittes den Raum durchquerte. Er trat mit ernstem Blick zu Grimm. »Das hier ist soeben für Euch abgegeben worden, Hauptmann.« Er übergab Grimm ein offiziell aussehendes Stück Pergament. »Der Überbringer beharrte darauf, dass es dringend sei und nur Euch persönlich ausgehändigt werden dürfe.«
Grimm drehte das Schriftstück langsam in der Hand. Das elegante Wappen von Gibraltar St. Clair war in das rote Wachs gedrückt. Verdrängte Erinnerungen kamen in ihm hoch: ]illian. Eine Frau wie die Verheißung von Schönheit und Freude, die er niemals besitzen würde; eine Erinnerung, die er eben jenem ungeeigneten, flachen Grab überantwortet hatte, das nun entschlossen schien, seine Toten wieder von sich zu geben.
»Nun los, Grimm, mach es auf«, drängelte Adrienne.
Langsam, als hielte er ein verwundetes Her, das mit scharfen Zähnen auf ihn losgehen könnte, brach Grimm das Siegel und öffnete die Nachricht. Regungslos las er den knappen, aus drei Worten bestehenden Befehl. Seine Hand ballte sich reflexartig zur Faust und zerknüllte das dicke Pergament.
Er erhob sich und wandte sich an die Wache. »Sattle mein Pferd. Ich mache mich in einer Stunde auf den Weg.« Der Soldat nickte und verließ das Arbeitszimmer.
»Und?«, fragte Hawk. »Was steht drin?«
»Nichts, womit du dich beschäftigen müsstest, Hawk. Mach dir keine Gedanken. Es betrifft dich nicht.«
»Alles, was meinen besten Freund betrifft, betrifft auch mich«, sagte Hawk. »Also hör schon auf. Was ist los?«
»Nichts, habe ich gesagt. Belass es dabei.« Grimms Stimme hatte einen warnenden Unterton, der die Hand eines geringeren Mannes gebannt hätte. Doch Hawk war niemals ein geringer Mann gewesen und würde es niemals sein, und er bewegte sich so rasch, dass Grimm nicht schnell genug reagieren konnte, als er ihm das Pergament aus der Hand fegte. Schelmisch grinsend sprang Hawk zurück und entknitterte das Pergament. Sein Grinsen wurde noch breiter und er zwinkerte Adrienne zu.
«Komm wegen Jillian<, steht hier. Eine Frau, nicht wahr? Die Geschichte nimmt Konturen an. Ich dachte, du hättest den Frauen abgeschworen, mein wankelmütiger Freund. Also, wer ist Jillian?«
»Eine Frau?«, rief Adrienne entzückt aus. »Eine junge, heiratsfähige Frau?«
»Hört auf, ihr beiden. So ist es nicht.«
»Und weshalb hast du dann versucht, es geheim zu halten?«, insistierte Hawk.
»Weil es Dinge gibt in meinem Leben, von denen du nichts weißt, und es würde viel zu lange dauern, alles zu erklären. Da ich jetzt nicht die Muße habe, dir die ganze Geschichte zu erzählen, werde ich dir in ein paar Monaten eine Nachricht zukommen lassen«, wich er kühl aus.
»So einfach kommst du mir nicht davon, Grimm Roderick.«
Nachdenklich rieb sich Hawk die Bartstoppeln an seinem störrischen Kinn. »Wer ist Jillian und woher kennst du Gibraltar St. Clair? Ich dachte, du seist direkt aus England an den Hof gekommen. Ich dachte, du würdest in Schottland niemanden kennen, außer denen, die du bei Hofe getroffen hattest.«
»Ich habe dir nicht die ganze Geschichte erzählt, Hawk, und jetzt habe ich keine Zeit dafür, aber ich werde dir alles erzählen, sobald es mir möglich ist.«
»Du erzählst es mir jetzt oder ich komme mit dir«, drohte Hawk. »Was bedeutet, dass Adrienne und Carthian ebenfalls mitkommen. Also, entweder du redest, oder du kannst dich auf Begleitung gefasst machen, und man kann nie wissen, was passiert, wenn Adrienne mitmischt.«
Grimm sah ihn finster an. »Du kannst wirklich eine Plage sein, Hawk.«
»Gnadenlos. Fürchterlich«, stimmte Adrienne süßlich zu. »Du kannst gleich aufgeben, Grimm. Mein Gatte erkennt ein Nein als Antwort niemals an. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«
»Komm schon, Grimm, wenn du mir nicht vertraust, wem sonst könntest du trauen?«, redete Hawk ihm zu. »Wohin gehst du?«
»Es ist keine Frage des Vertrauens, Hawk.« Doch Hawk sah ihn nur mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck an, und er wusste, dass er nicht vorhatte nachzugeben. Hawk würde bohren und graben und letztendlich genau das tun, was er angedroht hatte - mitkommen. Es sei denn, Grimm würde ihm eine zufrieden stellende Antwort geben. Vielleicht war es an der Zeit, dass er mit der Wahrheit herausrückte, obwohl er, sobald er es getan hatte, auf Dalkeith nicht mehr willkommen sein würde. »Ich gehe nach Hause, mehr oder weniger«, räumte Grimm schließlich ein.
»Caithness ist dein Zuhause?«
»Tuluth«, murmelte Grimm.
»Was?«
»Tuluth«, sagte Grimm ausdruckslos. »Ich bin in Tuluth geboren.«
»Du sagtest, du wärst in Edinburgh geboren!«
»Das war eine Lüge.«
»Warum? Du hast mir erzählt, deine ganze Familie sei tot! War das auch eine Lüge?«
»Nein! Sie sind alle tot. Da habe ich nicht gelogen. Nun ja... ein bisschen vielleicht«, verbesserte er sich hastig. »Mein Vater ist noch am Leben, aber ich habe seit mehr als fünfzehn Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen.«
Ein Muskel zuckte an Hawks Kiefer. »Setz dich, Grimm. Du wirst nirgendwo hingehen, bis du mir nicht alles erzählt hast. Und ich vermute, dass die Geschichte ohnehin längst überfällig ist.«
»Ich habe nicht die Zeit, Hawk. Wenn St. Clair sagt, dass es dringend sei, so wurde ich schon vor Wochen auf Caithness gebraucht.«
»Was hat Caithness mit diesen Dingen zu tun oder mit dir? Setz dich! Rede! Jetzt!«
Als er einsehen musste, dass ihm kein Aufschub gewährt wurde, ging er im Raum auf und ab und begann mit seiner Geschichte. Er erzählte ihnen, wie er im Alter von vierzehn Jahren in der Nacht des Massakers Tuluth verlassen und zwei Jahre lang die Wälder der Highlands durchstreift hatte, mit den Kriegsflechten im Haar und die Menschheit hassend, seinen Vater hassend, sich selbst hassend. Er übersprang die brutalen Teile - die Ermordung seiner Mutter, die Hungerqualen, die er erleiden musste, die wiederholten Anschläge auf sein Leben. Er erzählte ihnen, wie er im Alter von sechzehn Jahren bei Gibraltar St. Clair Unterschlupf gefunden hatte; dass er seinen Namen in Grimm geändert hatte, um sich und diejenigen, die ihm etwas bedeuteten, zu schützen. Er erzählte ihnen, wie die McKane ihn erneut in Caithness aufgespürt und seine Pflegefamilie angegriffen hatten. Und schließlich, im Tonfall eines fürchterlichen Geständnisses, erzählte er ihnen, wie sein richtiger Name lautete.
»Was hast du da gerade gesagt?«, fragte Hawk bestürzt.
Grimm sog einen tiefen Atemzug in seine Lungen und schnaubte dann verärgert. »Ich sagte Gavrael. Mein wirklicher Name ist Gavrael.« Es gab nur einen Gavrael in ganz Schottland; kein Mann würde sich willentlich diesen Namen und diesen Fluch zu Eigen machen. Er wappnete sich für Hawks Explosion. Er brauchte nicht lange zu warten.
»Mclllioch?« Hawks Augen verengten sich ungläubig.
»Mclllioch«, bestätigte Grimm.
»Und Grimm?«
»Grimm steht für Gavrael Roderick Icarus Mclllioch.«
Grimms Hochlandakzent grollte so unverkennbar bei diesem Namen, dass es fast wie eine unartikulierte Anhäufung von rollenden jRs und Ls und stakkatoscharfen Ks klang. »Nimm den ersten Buchstaben von jedem Namen und du hast es. G-R-I-M.«
»Gavrael Mclllioch war ein Berserker!«, donnerte Hawk.
»Ich sagte ja, dass du nicht allzu viel von mir weißt«, sagte Grimm düster.
Mit drei Riesensätzen hatte Hawk das Arbeitszimmer durchquert, baute sich bedrohlich nur Zentimeter von Grimm entfernt auf und betrachtete ihn eingehend, als könnte er irgendwelche verräterischen Spuren eines Untiers entdecken, die Grimms Geheimnis schon vor Jahren hätten aufdecken können. »Wie konnte es mir nur verborgen bleiben?«, murmelte Hawk. »Jahrelang habe ich mich über einige deiner besonderen ... Talente gewundert. Bei den verfluchten Heiligen, allein schon wegen deiner Augen hätte ich darauf kommen müssen -« »Viele Menschen haben blaue Augen, Hawk«, sagte Grimm lakonisch.
»Nicht so wie deine, Grimm«, bemerkte Adrienne.
»Das erklärt alles«, sagte Hawk langsam. »Du bist kein Mensch.«
Grimm zuckte zusammen.
Adrienne warf ihrem Mann einen finsteren Blick zu und hakte sich bei Grimm unter. »Natürlich ist er ein Mensch, Hawk. Er ist ein Mensch ... und noch etwas mehr.«
»Ein Berserker.« Hawk schüttelte den Kopf. »Ein verfluchter Berserker. Du weißt, man sagt, dass William Wallace ein Berserker war.«
»Und was für ein schönes Leben er hatte, eh?«, sagte Grimm voller Bitterkeit.
Kurz darauf reiste Grimm ab, ohne weitere Fragen zu beantworten, und hinterließ einen zutiefst unzufriedenen Hawk. In aller Eile machte er sich auf die Reise, denn die Erinnerungen kamen unkontrolliert und mit aller Macht zurück. Grimm wusste, dass er allein sein musste, wenn schließlich sämtliche Erinnerungen sich seiner bemächtigten. Er dachte nicht mehr gerne an Tuluth. Hölle, er dachte überhaupt nicht mehr gern, nicht, wenn es sich verhindern ließ.
Tuluth: in seiner Erinnerung ein qualmendes Tal, schwarze Rauchwolken, so dicht, dass seine Augen von dem beißenden Gestank brennender Häuser und brennenden Fleisches tränten. Schreiende Kinder. Ach, Christus!
Grimm musste schlucken, als er Occam die Sporen gab und ihn im Galopp über die Hügelkette trieb. Er war unempfänglich für die Schönheit der Hochlandnacht, verloren in einer anderen Zeit, umgeben allein von der Farbe des Blutes und der Schwärze seelenentstellender Trostlosigkeit - mit einem einzigen golden schimmernden Lichtblick.
Jillian.
Ist er ein wildes Tier, Papa? Darf ich ihn behalten? Bitte! Er ist ein so wundervolles Geschöpf!
Und in seinen Gedanken war er wieder sechzehn Jahre alt und blickte auf das kleine goldene Mädchen. Die Erinnerung übermannte ihn und ließ die Scham zäher herabtropfen als geronnenen Honig aus der Wabe. Sie hatte ihn im Wald gefunden, während er wie ein Tier nach Nahrung suchte.
Er ist noch wilder als mein Savanna TeaGarden, Papa!
Savanna TeaGarden war ihr Schoßhund, ein Schoßhund mit den geballten siebzig Kilo eines Irischen Wolfshundes.
Er wird mich beschützen, Papi, ich weiß es!
In dem Augenblick, als sie diese Worte gesprochen hatte, hatte er sich in seinem tiefsten Inneren geschworen, genau das zu tun. Doch er hätte sich nie träumen lassen, dass er sie eines Tages vor sich selbst würde schützen müssen.
Grimm rieb sich das glatt rasierte Kinn und warf den Kopf in den Nacken. Für einen kurzen Moment spürte er wieder das verfilzte Haar, den Dreck und den Schweiß und die Kriegsflechten, die wilden, hasserfüllten Augen. Und das reine, liebliche Kind hatte ihm beim ersten Anblick vertraut.
Doch er hatte sie schnell eines Besseren belehrt.