›Du hast dieses schöne Sofa hier (und so solide)‹, las sie am Morgen auf dem Rand eines Werbeprospektes, der auf dem Küchentisch lag. ›Aber leider mag ich keine Sofas mehr, ich versink nicht gern in ihnen, vielleicht irgendwann, dann kann ich wiederkommen. Ignoranz (oder Überforderung?), was auch immer, es kratzt an meiner Zuversicht, von der ich weiß, daß ich sie mir bewahren will. Ich weiß, daß sich was ändert. Ich habe mehr als deutlich vor Augen, daß im Namen der meisten Ideologien, der mächtigen Religionen Verbrechen verübt werden – und das nicht, weil die Ideologie oder die Religion dies verlangen, sondern weil alle, die mitmachen, gefangen sind in den Denkstrukturen, sie glauben an die vollkommene Wertlosigkeit ihrer Gegner. Aber, was schreib ich dir hier zwischen Orangen für soundsoviel und den saftigen Steakangeboten. All that is solid melts into air – das Gesetz ist noch gültig, finde ich. Und das läßt mich wieder aufspringen und loslaufen. Vielleicht wie ein Kind.‹

Sie drehte den Prospekt, als könne seine Rückseite auf wundersame Weise die gegenteilige Nachricht enthalten. Sie machte sich einen Kaffee, wie immer, sie stand längere Zeit vor dem geöffneten Kühlschrank, kühlte sich in seinem Weiß, bis sie die Milch nahm, die sie gesucht hatte. Sie goß den Kaffee in den gesprenkelten Töpferbecher, ihr Name stand darauf in geschwungener Schrift, mit plötzlichem Widerwillen nahm sie diese Kennzeichnung wahr und auch, daß er seinen Brief nicht unterschrieben hatte. Sie öffnete die Küchentür, trat auf die Terrasse, umschloß mit beiden Händen den Becher, als gelte es plötzlich, ihn zu schützen.

Sie wollte das Wunder der Ruhe wiederhaben, eine Ruhe, die aus Hahnenkrähen, Hundegebell, Vogelzwitschern und Grillenschnarren bestand. Das Wasser im Pool changierte mit den weißen Fugen, als lägen gewundene Fäden auf der Oberfläche. Es ging kein Wind mehr, alles lag still da, nur eine Hummel hockte auf dem Wasser, zwischen den schwarzen Flecken der Fliegen, die voreilig baden gegangen waren. Senta ging aus der Sonne, die selbst im Winter diese besondere Kraft hatte, sie wußte, daß sie es nicht mehr schaffen würde, nicht in einem Land zu leben, in dem das Licht so klar und silbrig wie hier war, und jeder Schatten fast schwarz.

Das ist mein Garten, ging es ihr durch den Kopf, der sich so selbstlos für mich verschwendet.

Die Zikaden hoben an zum Schreien, hörten wieder auf. Ein Auto fuhr die obere Straße entlang, sie schreckte auf, erstaunt, weil sie dachte und zugleich hoffte, es käme jemand aufs Grundstück gefahren. Um sie herum waren nur die Ölbäume, die Pflanzen, das Haus. Und sie stand inmitten der Schönheit, einer fast vollkommenen Gelassenheit, und weinte.

Damit das aufhörte, lief sie los, verschüttete den Kaffee im Gehen, am Baum vorbei mit der knolligen Oberlippe und dem einen Auge. Die zwei weiter unten, die miteinander tanzten. Am anderen, mit den zwei Wegen, die sich in der Mitte trennten und dann wieder fanden. Der dahinter war eine Tür, die halb offenstand, ein schattiges, unordentliches Kinderzimmer.

Am Flachwald der Sukkulenten die Schafsgarben, ihre geflochtenen Haarkränze wie neugierige Nachbarinnen oder spionierende Witwen. Eine Pflanze hängte ihre Elefantenohren in den Wind, wieder eine andere spähte mit tausend Augen in alle Himmelsrichtungen. Kleine Völker rund um König und Königin Agave, die mit majestätischer Geduld Jahr für Jahr entlang der Trockenheit ausharrten.

Sie rannte vom Pool nach oben, den Weg über die Stufen, am Kräuterbeet vorbei, den geschwungenen Weg, und ein Blitz durchfuhr sie, ein Erschrecken. Da war ein Spalt zwischen Betonplatte und Sockel, an Michaels Grab, eine Handbreit Tiefschwarz, eine Ritze, die es nicht geben durfte. Es dauerte lange, bis sie sich traute, näher zu kommen. Dahinter, zwischen Platte und Steinmauer, lag etwas, es ragte über die Mauer hinweg, in das helle Leuchten der Ebene hinein, das sie nicht erkennen konnte, es sah aus wie eine Statue, ein Betonklotz, ein gestürzter Machthaber, ein Koloß im Gras. Ein umgekippter Lenin, Trotzki oder Marx, vielleicht, wie sie sie im Fernsehen gesehen hatte, mit einem Bronzescheitel gekämmt für die Ewigkeit, mit Bart und buschigen Augenbrauen, ein liegender Kopf so hoch wie sie, sie könnte hingehen und dem Umgekippten aufhelfen.

Sie starrte abwechselnd auf die Ritze im Beton und auf das Ding, was da lag, und erkannte irgendwann, daß es ein sehr dicker, toter Ast war, der von dem nahe stehenden Olivenbaum des Nachbargrundstücks heruntergebrochen sein mußte.

Sie blieb in Michaels Nähe stehen, räumte nichts weg. Sie hatte vor Augen, was hier passieren würde, wenn sie nicht mehr war. Die Natur war die Stärkere, mochte sie sich noch so bemühen; die Natur setzte sich letzten Endes durch.

Sie widmete sich die nächsten Tage, Wochen, Monate dem Unkraut in allen Beeten. Sie arbeitete kopfüber und fiel um acht Uhr abends hundemüde ins Bett. Sie schlief tief, so tief, wie man nur schlafen kann. Als wäre alles überflüssige Denken am Tage aus ihrem Hirn getropft zur Bewässerung der Beete. Sie riß die parasitären Gewächse aus, schnitt alle überflüssigen Triebe ab, die ihren Blumen auf den Leib rückten, stach den trockenen Lavendel aus der Erde, kappte dem Salbei den Flaum. Klappte sich wie ein Taschenmesser zusammen, genoß die Schmerzen im Rücken, während die Beete sauber und übersichtlich wurden, selbst die wuchernden fleischfingerigen Pflanzen unten am Pool wurden auf Treppenhöhe gekappt und flogen mit ihren gummiartigen Gliedern auf den Kompost. Sie schwitzte in der winterlichen Mittagssonne, sie trank literweise Wasser direkt aus dem Plastikkanister, sie aß kaum etwas, es war eher so, als fastete sie. Dann drehte der Wind, und sie spürte die Gnade der Erschöpfung. Sie meinte, das Klingeln der Glocke unten am Tor zu hören, sie ging über die Auffahrt hinunter und sah, daß es offenstand.

Sie lief auf das Tor zu, auf den schmiedeeisernen Duft von Sicherheit. Ihre Plastiksandalen schnalzten an ihren Hacken, und jeder Schritt knirschte im Kies. Das Eisen des Tors war auf der Sonnenseite heiß, sie fügte ihren Schlüssel ins Schloß und brachte an diesem Griff den Rollmechanismus in Bewegung. Das Tor ratterte über seine Schiene, einmal in Fahrt, lief es von allein. Mit beiden Händen federte sie den Knall ab, der gekommen wäre, hätte sie es laufen lassen. Vorsichtig bugsierte sie die Zunge ins Schloß. Mit einem satten Schnappen rastete der Zylinder ein. In diesem Augenblick war ihr, als bewege sich etwas hinter ihr, sie drehte sich um. Ihr weites Grundstück, Terrasse für Terrasse, Baum für Baum, der Hügel dahinter, das angeschmiegte Haus. Sie roch den Sandboden, den trockenen Staub auf den Steinen, das dickflüssige Öl, auf dem die Schiene des Tores lief. Sie roch den Asphalt der Straße. Der Himmel eine Kuppel ohne Ende, das Licht so klar, als habe es jemand mit Spiritus ausgerieben. Hier stand sie, im Aufwallen und Abebben der schnarrenden Rufe, im unermüdlichen Gesang der ewigen Seelen, wenn man daran glaubte. Senta nahm wahr, daß kein Wind mehr ging, kein Blatt sich bewegte. Und sie wußte, daß das ihr Leben war, genau das, kein anderes. Daß eine Wunde nur heilte, wenn man sie nicht berührte. Das Hintergrundgeklingel der Schafe vom Nebengrundstück, weit weg, so weit weg, daß es keine Frage aufwarf. In ihrer Unauffälligkeit waren die Schafe sich zum Verwechseln ähnlich, nur für den Besitzer markiert mit einem roten oder grünen Farbfleck, so wanderten sie über die Berge und fraßen im Schatten der Bäume, ein Leben lang die Beine zusammengekettet, als gelte es vor allem, ihre Flucht zu verhindern.

Hier würde sie bleiben und den Schlaf ihres Mannes bewachen, dafür sorgen, daß alles so blieb, wie es war. Auch, wenn es bedeutete, sich wie die Schafe abzustumpfen, gefühllos zu werden, die Reste Schmerz zu verbannen, die ab und zu ihr Herz aufzurühren imstande waren.

Sie schloß in einer konzentrierten Bewegung ab und ging hoch zum Haus.