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Sechseinhalb Jahre früher

Tal der Könige

Pete lungerte beim hinteren Teil der Gruppe herum, wartete und versuchte, Begeisterung über eine Tonscherbe aus dem Mittleren Reich zu heucheln, die auf einer Werkbank neben ihm lag. Vielleicht zwanzig Mäuse wert, wenn er sie verticken könnte, überlegte er. Aber für solchen Mist gab es keinen Markt, und auf den letzten vier Führungen, an denen er teilgenommen hatte, hatte er bisher nichts auch nur ansatzweise Interessantes zu sehen bekommen.

Verdammt, war das heiß! Er nahm den breitkrempigen Hut ab, den er in Kairo einem Straßenhändler abgekauft hatte, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte das verfluchte Ding wieder auf. Es war Ende März – Hochsaison in Ägypten, weil die Temperaturen eigentlich als erträglich galten –, aber hier draußen in der Wüste war es höllisch heiß. Er tat, als sei er ein Tourist, holte seine Kamera aus dem Rucksack und machte ein Foto von der Werkbank und den paar unnützen Artefakten. Dann wechselte er das Objektiv und fotografierte die Ausgrabungsstätte. Den Eingang des Grabs. Und schließlich das herumlaufende Personal.

Dieses Grab würde sich vermutlich ebenso als Flop erweisen wie alle anderen, die er sich bisher auf seiner Reise angesehen hatte, aber er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass ein Foto manchmal Dinge einfing, die man auf den ersten Blick übersah.

Und wenn es etwas gab, was er gründlich machte, dann waren das seine Recherchen.

Dummerweise war er bei diesen Recherchen bisher nur auf Schund gestoßen. Und was seine Kontaktleute ihm erzählten, war auch bloß dummes Zeug. Wenn er nicht bald ins Schwarze traf, konnte er in der Touristenklasse nach Miami zurückfliegen.

»So, meine Damen und Herren, wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte. Die Führung fängt gleich an.«

Wie der Rest der Herde, drehte Pete sich um und sah zu dem Sonnendach hin, wo eine mit Kakihosen, Arbeitshemd und Stiefeln bekleidete Dame der Gruppe sowohl in ägyptischem Arabisch als auch auf Englisch Anweisungen gab. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, da es von einer abgetragenen, tief in die Stirn gezogenen Seemannsmütze beschirmt wurde, aber sie hatte eine außergewöhnlich klangvolle Stimme, und das weckte seine Neugier.

Erstens, weil sie Amerikanerin war, und wenn eine amerikanische Frau an dem Ort arbeitete, den er auskundschaftete, hatte er immer sofort einen Fuß in der Tür. Er war noch keiner begegnet, die ihm auf die Schliche gekommen war.

Aber zweitens und vor allem hatte sie diese Art von Stimme, auf die er abfuhr. Weich und direkt, aber zugleich ein Versprechen von wollüstigem Sex.

Er hob die Kamera und machte ein Bild von ihr. Vielleicht würde sich diese Führung ja doch von den anderen unterscheiden.

Er schob den Rucksack auf den Rücken, hängte sich die Kamera um den Hals und rückte sie so zurecht, dass er sie auf der Brust trug. Dann steckte er die Hände in die Taschen seiner Cargohosen, wartete und tat, als langweilte er sich zu Tode.

Aber er langweilte sich ganz und gar nicht. Als die Tour weiterging und ihre Führerin eine Katherine Meyer der hauptsächlich aus amerikanischen Touristen bestehenden Gruppe die Ausgrabungsstätte zeigte und die Ziele des Projekts erläuterte, hing er an ihren Lippen. Die Frau wusste, wovon sie sprach. Sie schaffte es, die öden Gegenstände, die sie hier ausbuddelten, nach etwas Geheimnisvollem und Aufregendem aussehen zu lassen. Und als sie erwähnte, dass das Grab möglicherweise die letzte Ruhestätte von Nofretete war, brachte sie die ganze Gruppe dazu, Ooooh! und Aaaah! zu rufen, als wäre sie Jacques Cousteau, der gerade einen versunkenen Schatz vom Grund des Ozeans hob.

Die Führung dauerte schon eine halbe Stunde, und er hatte immer noch nicht richtig ihr Gesicht gesehen, aber sie schien dunkle Augen und dunkles Haar zu haben, einen schlanken Körper und zarte Hände.

Sie wies die Gruppe an, in das Grab und den Gang entlang­zugehen und sich dann nach rechts zu wenden, um die erste Grabkammer zu betreten. Pete wusste, dass das wirklich interessante Zeug vor den Touristen weggesperrt sein würde. Darum hörte er gut zu, was sie über die religiösen Texte und Bilder zu sagen hatte, die die äußersten Kammern zierten. Das gab häufig Hinweise darauf, wer oder was tiefer in ihrem Inneren begraben war.

Doch als sie am Eingang des Grabes stand, und die Gruppe an ihr vorbeiströmte und in der Dunkelheit verschwand, fühlte Pete sich auf einmal wie benommen. Aus der Nähe war sie nicht nur attraktiv, sie war umwerfend. Mahagonifarbenes Haar, das ihr in einer sanften Welle auf die Schultern fiel, dunkle Schokoaugen, eine gerade Nase und ein verdammt sexy Muttermal rechts oberhalb ihres Mundes, der von einer vollkommenen rosa Farbe war.

Er setzte beides zusammen diese heißblütige Stimme, der er schon den ganzen Morgen zugehört hatte, und diese sündigen Lippen, auf die er gerade starrte , und obwohl er bei fast vierzig Grad Hitze schmorte, bekam er einen handfesten Steifen.

»Geht es Ihnen gut, Sir? Sie sehen etwas blass aus.«

Er nickte langsam, schaffte es aber einfach nicht, sein Gehirn wieder einzuschalten und sich von ihr loszureißen.

»Hier.« Sie holte eine Wasserflasche aus ihrer Hüfttasche und lächelte. Das süßeste Lächeln, das er je gesehen hatte. Was ihn nur noch weitere zehn Grad hochjagte.

»Nehmen Sie meine. Wenn Sie erst mal drin sind, wird es noch heißer.«

Zur Hölle, sie hatte ja keine Ahnung.

Er nahm die Flasche, die sie ihm hinhielt, wartete, bis sie vorbeigegangen war in den Gang. Dann soff er das ganze verfluchte Ding leer, während er ihren sexy Hintern hin und her schwingen sah, als sei es allein für seine Augen bestimmt.

Normalerweise hätte er sich die verschiedensten Maschen ausgedacht, wie er sie flachlegen und dann dazu verleiten konnte, über die Ausgrabungsstätte und die Relikte zu plaudern und darüber, was hier wirklich abging. Aber als er Katherine Meyer jetzt weggehen sah, dachte er aus irgendeinem Grund nicht bloß an die kommende Nacht.

Er dachte an sehr viel mehr.

Und fragte sich, was um alles in der Welt gerade mit ihm passiert war.

Gegenwart

New York City

Kat biss sich auf die Lippen, während sie hinter dem Steuer der Luxuskarosse saß und darauf wartete, dass Pete sein Date abgesetzt hatte und zurückkam.

Date? Gütiger Himmel! Diese Frau war kein Date. Die war ein Piranha. So wie die auf dem Rücksitz über ihn hergefallen war, war Kat sicher gewesen, dass sie ihn zum Nachtisch verspeisen würde, gleich dort auf dem sündhaft teuren Lederpolster. Was sah er bloß in einer solchen Frau?

Ach ja, richtig. Kat biss die Zähne aufeinander. Als wüsste sie das nicht: dicke Titten, schmaler Arsch, Klasse, Kultiviertheit und Kohle.

Alles, was Kat niemals gehabt hatte und auch nie haben würde.

Nein, nicht deine Sache. Du gehst da nicht rein. Was er macht und mit wem, ist nicht der Grund, warum du hier bist. Es ist dir sogar völlig egal, schon vergessen?

Hinter ihr hupte ein Auto. Kat schreckte hoch und fuhr in ihrem Sitz herum. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie begriffen hatte, dass es nur eine andere Limousine war, die auf den Platz wollte, den sie blockierte. Sie legte den Gang ein und fuhr vor, bis sie einen halben Block weiter zum Stehen kam. Zwei Frauen mit eng anliegenden silbernen Kleidern und ultrahohen Stöckelschuhen stiegen aus und gingen auf dasselbe Gebäude zu, in dem Pete verschwunden war.

Kat atmete auf und versuchte, sich wieder zu konzentrieren, während der Wagen hinter ihr sich wieder vom Bordstein entfernte und um die nächste Ecke bog. Aber über ihre momentane Situation nachzudenken, trug nicht eben dazu bei, ihre Nerven zu beruhigen, die wie mexikanische Springbohnen herumhüpften.

Sie rieb sich die Stirn. Dass sie Pete wiederbegegnet war, hatte ihr einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Sie hatte gerade einen Einbruch im großen Stil verübt, und nun konnte sie auch noch Autodiebstahl auf die Liste ihrer kleinen Fehltritte setzen. Es würde nicht lange dauern, bis Petes richtiger Fahrer das fehlende Fahrzeug als gestohlen melden würde. Sie hatte Schwein gehabt, dass er Mütze und Jackett auf dem Vordersitz hatte liegen lassen, als er pinkeln ging, aber diese Limousine zu klauen, war vollkommen außerplanmäßig gewesen.

Wenn sie nicht aufpasste, würden ihr schon in wenigen Minuten die Bullen auf den Fersen sein. Das würde ihr gerade noch fehlen zu all den anderen Problemen, die sie ohnehin schon hatte.

Sie drückte ihre Nasenwurzel zwischen zwei Fingern und kniff die Augen zusammen. Warum war sie nicht einfach weggegangen?

Kat wurde es langsam müde, mit sich selbst zu streiten, und beobachtete wieder das Gebäude. Er war schon viel zu lange da drin. Was, wenn er mit dem Piranha nach oben gegangen war? Was, wenn er doch nicht wiederkam, wie er gesagt hatte? Was, wenn ach du Scheiße! was, wenn er in diesem Moment wilden, hemmungslosen Sex mit ihr hatte?

Du gehst da auf gar keinen Fall rein.

Ein Schatten im Rückspiegel erregte ihre Aufmerksamkeit. Ihr Instinkt schlug Alarm, und die Gedanken an Pete wurden in den Hintergrund gedrängt. Vorsichtig rutschte sie in den Sitz hinunter, streckte die Hand langsam zum Spiegel aus und tippte dagegen, um einen besseren Blick nach hinten zu bekommen.

Es war ein Mann. Breite Schultern, lange Beine. Groß. In einem langen dunklen Mantel. Er sah sich mehrmals auf der leeren Straße um, bevor er die Fahrbahn überquerte und auf das Gebäude des Piranhas zulief.

Er trat für einen kurzen Moment unter eine Straßenlaterne und verschwand dann wieder im Schatten. Jedoch nicht, bevor Kat gesehen hatte, dass er den Arm hob. Metall glitzerte in seiner Hand.

Doch eine Sekunde hatte schon gereicht. In dem Augenblick, in dem er im Licht gestanden hatte, konnte Kat sein Gesicht deutlich erkennen. Sein kurz geschorenes Haar. Seine Knopfaugen.

Busir!

Auf ihrem Arm stellten sich die Härchen auf, doch sie wandte die Augen nicht von ihm ab. Nicht einmal, als er in den Schatten neben dem Gebäude schlich und dort stehen blieb. Langsam griff sie nach dem Rucksack, den sie auf den Beifahrersitz gelegt hatte, öffnete ihn und tastete nach ihrer Neunmillimeter. Ihre Finger umschlossen das kalte Metall mit erstaunlicher Kraft. Obwohl sie im Umgang mit dieser Feuerwaffe bestens geschult war, schoss Adrenalin durch ihr Blut. Würde sie tatsächlich fähig sein, jemanden zu töten?

Sie war sich nicht sicher. Wenn sie es tat, würde sie das auf dieselbe Stufe mit den Männern stellen, die Sawil und Shannon getötet hatten.

Sie wusste nur eines mit Sicherheit: Busir und seine Gorillas waren Petes wegen gekommen, wie sie es vorausgesehen hatte. Sie konnte es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, nur hier herumzusitzen und nichts zu unternehmen.

Nachdem sie die Beretta in ihrer Jackentasche hatte verschwinden lassen, durchkramte sie den Rucksack noch einmal nach dem kleinen Elektroschocker, zu dem ihr der Selbstverteidigungsausbilder geraten hatte. Den würde sie viel lieber benutzen, wenn sie konnte. Damit und mit einer Reservepatrone in der Hand stieg sie aus und bemühte sich, leise zu sein.

Ein rascher Blick zurück bestätigte ihr, dass Busir nicht allein war. Er hatte einen Kumpel mitgebracht, wenn auch nicht den, den sie auf der Auktion gesehen hatte. Der hier sah aus wie ein Amerikaner. Zentimeter für Zentimeter bewegte Kat sich um parkende Autos herum, immer schön, ohne ins Blickfeld eines der beiden zu geraten, bis sie den Seitenweg erreicht hatte. Dort angekommen, nahm sie die Beine in die Hand und rannte über das nasse Pflaster einmal um den Block herum, bis sie sich, aus südlicher Richtung kommend, hinter dem Wagen der Männer befand.

Sie atmete heftig und wartete. Ihr Atem wurde ruhiger, doch durch den Adrenalinschub klopfte das Blut in ihren Ohren im Takt mit ihrem Herzschlag. Schließlich verließ sie sich ganz auf ihren Instinkt und ihr jahrelanges Training und versuchte die Selbstzweifel an den Rand ihres Unterbewusstseins zu drängen. Reine Logik sagte ihr, dass sie es nicht allein mit den beiden Männern aufnehmen konnte, doch sie hatte den klaren Vorteil des Überraschungsmoments auf ihrer Seite. Und sie würde das Beste daraus machen.

Plötzlich kam Pete aus der Lobby, mit gesenktem Kopf und über der Brust verschränkten Armen. Seine Miene verfinsterte sich, als er zu der Stelle blickte, an der die Limousine gestanden hatte. Er sah sich kurz um und steuerte dann auf den Wagen zu. Mit erhobenem Kinn ging er die Straße entlang, ohne zu ahnen, was gleich geschehen würde.

Sie war schweißgebadet. Es brachte sie fast um, aber sie wartete, bis Busir seinen ersten Zug gemacht hatte.

Dann machte sie ihren.

Als Busir aus dem Schatten hervortrat und Pete unhörbar folgte, griff Kat nach der Fahrertür und zog sie auf. Der Mann auf dem Fahrersitz schnellte herum und sah ihr ins Gesicht. Sie war sicher, dass sie ihn noch nie gesehen hatte, aber das hielt sie nicht auf. Sie packte den Elektroschocker und rammte ihn direkt in seinen Hals, um den Mantel nicht aus Versehen zu treffen. Der Mann zuckte und jaulte auf, doch sie wich nicht von der Stelle und zählte bis vier.

Der Mann verkrampfte sich und fiel auf den Vordersitz. Er war nicht bewusstlos, doch außer Gefecht gesetzt. Zumindest für eine Weile.

Angesichts dessen, was sie gerade getan hatte, blieb Kat einen Moment lang mit weit aufgerissenen Augen wie erstarrt stehen. Bilder rasten wie ein Stummfilm vor ihrem geistigen Auge vorbei. Das Grab. Die Geräusche. Der Kampf. Und wie sie weggerannt war.

Sie kniff die Augen zusammen und atmete zweimal tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen. Aber mehr als zweimal konnte sie sich nicht leisten. Sie machte die Augen auf, bereit, Pete zu finden. Und da bemerkte sie die leere Ampulle, die auf der Konsole lag. Sie beugte sich über den Körper des Mannes und hob das kleine Glasgefäß auf.

Lorazepam.

Großer Gott!

Ein lautes Krachen, gefolgt von einem Ächzen zog ihre Aufmerksamkeit von dem Fläschchen weg auf den Gehweg. Sie sah gerade noch, wie Pete und Busir im Seitenweg verschwanden.

Ihre Füße schlitterten auf dem vereisten Trottoir. Sie verlor zweimal fast das Gleichgewicht, bevor sie den Zugang zu dem düsteren Weg erreichte.

Und da blieb sie mit offenem Mund stehen.

Wenn sie geglaubt hatte, dass Pete Schutz brauchte, hatte sie sich geirrt. Er presste Busir gegen die Seitenwand des Backsteingebäudes und hatte die Situation problemlos unter Kontrolle. Blut rann ihm die Schläfe hinab. Neben seinem Auge zeichneten sich eine Rötung und der Beginn eines bösen blauen Flecks ab. Aber der Grund, warum sie wie angewurzelt stehen blieb, war sein Blick aus purer Bösartigkeit, mit dem er in die Augen des Killers starrte.

Von dieser Seite kannte sie ihn überhaupt nicht. Der Pete, dem es egal war, ob etwas rechtens war oder nicht, der zwielichtige Geschäfte machte und dem Gesetz immer eine Nasenlänge voraus war. War das auch der Pete, der sich mit Vergewaltigern und Mördern einließ und mit Männern, die alles tun würden, um zu bekommen, was sie wollten?

Nein.

Sie merkte erst, dass sie das Wort laut ausgesprochen hatte, als Petes Kopf zu ihr herumfuhr.

Überraschung und Verwirrung zeichneten sich auf seinem zerschrammten Gesicht ab. »Was zum Teufel «

Busir nutzte diesen Moment, um die Oberhand zu gewinnen. Er hob den Arm und mit einer Bewegung, der Kat kaum folgen konnte, jagte er Pete eine Injektionsnadel in den Hals.

Pete brüllte und richtete seine Aufmerksamkeit sofort wieder auf Busir. Seine Augen glühten. Er griff sich an den Hals, zog die Nadel heraus und starrte sie an. In dem Sekundenbruchteil seiner Verwirrung schob Busir sich von der Mauer weg und hieb ihm mit der Faust seitlich ins Gesicht. Pete flog gegen die Wand, stieß sich gleich wieder ab, stürzte sich auf Busir und riss sie beide hart zu Boden.

Kat kreischte und machte einen Satz nach hinten, während die beiden miteinander rangen. Fäuste flogen, und Körper klatschten auf harten Beton. Sie wusste, dass sie etwas unternehmen musste, doch sie war zu perplex, um etwas anderes zu tun, als die beiden anzustarren, zumal Pete ganz gut zurechtkam und Busir nach Strich und Faden verdrosch.

Das heißt, bis einer seiner Schläge sein Ziel um Längen verfehlte. Und noch einer. Und noch einer.

Oh Gott! Diese Nadel musste eine Arterie oder Vene getroffen haben. Seine Kraft ließ rasch nach, und er verlor jeden Vorteil, den er sich vorher verschafft hatte.

Blut und Schweiß rannen über Busirs Gesicht. Als Pete blinzelte und seinen Kopf benommen schüttelte, wand sich Busir unter ihm hervor und sprang auf. Als er neben ihr stand und auf Pete hinabsah, der Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten, lachte Busir leise in sich hinein. Ein Lachen, das Kat vor Jahren schon einmal gehört hatte und nie mehr vergessen würde. Es reichte, um sie wieder in die Gegenwart zurückzuholen.

Ehe sie es sich anders überlegen konnte, lud sie nach und traf Busir mit dem Elektroschocker hart am Rücken. Er bäumte sich auf, schrie und fuhr herum. Und ohne nachzudenken, hielt sie ihm das Ding eiskalt noch einmal an die Brust.

Sie presste die Zähne aufeinander und hielt das Gerät fest ­umklammert, obwohl seine kohlschwarzen Augen sie fixierten. Sein Körper zuckte und verkrampfte sich. Er verdrehte die Augen, und dann fiel er auf die Knie und sackte schließlich vorwärts zu Boden, wo sein Körper weiter von elektrischen Impulsen zuckte.

Schweißnass und atemlos starrte sie hinab auf das, was sie heute Abend schon zum zweiten Mal getan hatte. Sie verspürte nicht den leisesten Anflug von Reue. In diesem Augenblick begriff sie, wie Männer töten konnten. Er hatte es nicht besser verdient, erst recht nicht nach dem, was er Sawil angetan hatte. Shannon. Und ihr.

Auf dem Schneematsch durchdrehende Reifen holten Kat zurück an den Ort des Geschehens. Ihr blieben nur noch Sekunden, bis Busirs Kumpel im Auto wieder zum Leben erwachen würde, Minuten, bis Busir zu sich kommen oder sein anderer Freund von der Auktion auftauchen würde, um ihm beizustehen.

Sie stieg eilig über Busir hinweg und kauerte sich neben Pete, der gegen die Mauer gesunken war und ihr mit Kopf und Augen so langsam folgte, als funktionierte er nur noch in Zeitlupe. Vor Verwirrung zog er die Augenbrauen zusammen, während er sie mit großen Augen anstarrte.

»Wir müssen von hier verschwinden«, sagte sie schnell und vergewisserte sich, dass nirgends blanke Knochen zu sehen waren.

»Kat?«, krächzte er.

»Kannst du laufen? Ich glaube nicht, dass ich dich tragen kann.«

»Krass.« Er schüttelte heftig den Kopf und lehnte ihn wieder gegen die Wand. »Echt abgefahrener Traum.«

Wohl eher ein Albtraum.

Seine Worte wurden undeutlich, und sie wusste, dass die Droge zu wirken begann. Sie musste ihn hochbekommen und von hier wegbringen, ehe es zu spät war. »Du musst aufstehen.«

Sie stellte sich über ihn und umfasste seinen Rücken mit beiden Armen. Ein Stöhnen drang aus ihrer Brust, als sie all ihre Kraft aufbot, um ihm auf die Beine zu helfen. Gütiger Himmel, er war schon fast so schwer wie ein Toter. Aber roch oh Mann so unglaublich. Sie atmete seinen Duft tief ein und wurde mit tausend Erinnerungen bombardiert, die sie bereits vor Jahren aus ihrem Kopf verdrängt hatte.

»Du « Er legte ihr beide Hände auf die Schultern, als sie ihn wieder gegen die Wand lehnte und mit ihrer Schulter abstützte. »Du erinnerst mich an jemanden, den ich kenne.«

Er baute eindeutig ab. Sie musste sich beeilen.

»Das höre ich ständig.« Sie drehte sich etwas und zog sich seinen Arm über die Schulter. Er glitt ihren Rücken hinab, und sein Kopf prallte wieder gegen den Beton.

»Verdammt Ich fühl mich beschissen.«

Da waren sie schon zu zweit.

Sie griff mit der linken Hand nach seinem Arm und hielt ihn fest, während sie ihm ihren anderen Arm um die Taille legte und ihn von der Wand wegzog. Ihr Rücken und ihre Schultern begannen augenblicklich zu rebellieren. Panik stieg in ihr auf, als sie ihren Blick hob und sah, wie weit der Wagen weg war. »Pete, du musst mir helfen. Ich schaffe es nicht alleine.«

Irgendwie bekam er das mit. Obwohl sein Kopf herumrollte und sich seine Füße bewegten, als hätte ihm jemand Backsteine an die Sohlen gebunden. Wie sollte sie ihn bloß zum Auto bekommen, bevor Busir und sein Muskelprotz wieder aufwachten? Und was sollte sie tun, wenn sie dort angekommen waren? Genau wie früher stellte Peter Kauffman ihre Welt von jetzt auf gleich komplett auf den Kopf.

Sie manövrierte ihn um Busir herum, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Mann immer noch paralysiert war, und bewegte sich Zentimeter für Zentimeter Richtung Bürgersteig.

»Sehe ich so beschissen aus wie ich mich fühle?«, fragte Pete, als sie den vereisten Gehweg erreichten.

»Nicht ganz.« Für sie sah er wie Adonis aus, selbst blutüberströmt und zerschrammt wie jetzt. Und, wenn man sie gefragt hätte, so gefährlich wie eine Königskobra. Das hier war das Dümmste, was sie je getan hatte. Und das sollte schon etwas heißen bei ihrer Vergangenheit.

»Kein Champanner mehr für mich, ’kay? Ich will kein Kater.«

Schweiß lief ihr die Schläfe hinab, während sie sich fortbewegten. »Keine Angst. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass in wenigen Minuten ein Kater unsere geringste Sorge sein wird.«