21

Unter all den Cadillacs, Continentals und Rolls-Royce-Limousinen, die vor A.J.s Haus in Beverly Hills parkten, wirkte sein Vorkriegs-Chrysler ziemlich deplaziert. Ein Parkwächter mit roter Jacke drückte ihm ein Ticket in die Hand und setzte sich hinter das Steuer. Joe zögerte noch einen Moment, ehe er die Auffahrt hinaufging, und sah zu, wie sein Auto die Straße hinuntergefahren und weit von den wichtigen Wagen entfernt abgestellt wurde, die vor dem Haus parkten. Er lächelte. Sogar Autos wurden in Hollywood Opfer des Kastensystems.

Ein befrackter chinesischer Butler öffnete ihm. »Wie ist Ihr Name, Sir?«

»Joe Crown«, sagte er. Der Butler warf einen kontrollierenden Blick auf die Liste in seiner Hand und nickte dann. Er wies mit der Hand auf den Eingang zu einem großen Salon, in dem schon zahlreiche Gäste versammelt waren.

Blanche Rosen, die Frau von A.J. stand gleich an der Tür. Sie war eine attraktive Frau, die sehr viel jünger aussah als vierzig. Sie lächelte und streckte ihm ihre Hand hin. »Joe«, sagte sie herzlich. »Ich freue mich, daß Sie kommen konnten.«

Er schüttelte ihre Hand. »Ich bedanke mich sehr für die Einladung, Mrs. Rosen.«

»Nennen Sie mich Blanche«, sagte sie und machte eine vage Handbewegung in Richtung der übrigen Gäste. »Ich nehme an, Sie kennen die meisten hier. Machen Sie es sich bequem. Die Bar ist am anderen Ende.«

»Vielen Dank, Blanche«, sagte er, aber sie hatte sich bereits abgewandt, um den nächsten Gast zu begrüßen. Er machte sich auf den Weg zur Bar. Tatsächlich kannte er die meisten Gäste vom Sehen und aus der Zeitung, aber er hatte mit den wenigsten jemals gesprochen. Ein schwarzer Barkeeper strahlte ihn an. »Sie wünschen, Sir?«

»Scotch und Wasser«, sagte Joe. Er nahm seinen Drink und bewegte sich unauffällig zum Rand des Geschehens. A.J. hatte einen großen Kreis von Zuhörern um sich versammelt, neben ihm stand Judi in einem durchsichtigen schwarzen Paillettenkleid. Alle schienen durcheinanderzuplappern.

In diesem Augenblick ging eine kleine Welle der Erregung durch den Saal. A.J. ergriff Judis Arm und zog sie zum Eingang. Joe folgte ihm mit den Augen. Er sah einen großen Hut und wußte sofort, wer die Frau war: Hedda. Ihre Hüte waren berühmt, ihr Wahrzeichen sozusagen. Sie war eine der beiden wichtigsten Klatschkolumnistinnen Hollywoods. Plötzlich flammten Blitzlichter auf, und man sah Fotografen hantieren. Sogar A.J. begann die Reporterin zu umschmeicheln.

»Ich habe mir wohl selbst ein Bein gestellt, was?« sagte eine dunkle Stimme zu Joe.

Er drehte sich um und erkannte Ray Stern. »Warum?« fragte er den Regisseur überrascht.

»Nun, ich hätte diesen Film drehen können. Diese Chance hab ich vergeben.«

»So ein wichtiger Film war es ja nun auch nicht.«

Stern sah ihn verblüfft an. »Jeder Film, der soviel Geld einbringt, ist ein wichtiger Film.«

»Mir hat er gar nichts gebracht«, sagte Joe. »Seit er gedreht worden ist, habe ich keinen einzigen Auftrag mehr gekriegt.«

»Die Aufträge werden schon kommen«, sagte Stern. »Warten Sie ab. Was glauben Sie, warum Sie A.J. zu dieser Party eingeladen hat? Sie sind der Autor des bestverkauften Films, den das Studio dieses Jahr produziert hat.«

Joe sah ihn nachdenklich an.

»Wahrscheinlich wird Sie A.J. noch im Verlauf dieser Party für eine Fortsetzung unter Vertrag nehmen.«

»Er hat mich noch gar nicht gesehen«, sagte Joe.

»Das glaube ich nicht«, sagte Stern. »Er sieht alles.«

»Ich weiß nicht.« Joe zuckte die Achseln. »Woran arbeiten Sie gerade?«

»Ich bin arbeitslos«, sagte der Regisseur. »Er hat meine Option einfach auslaufen lassen. Ich weiß auch nicht, warum ich eingeladen worden bin. Wahrscheinlich hat die Sekretärin vergessen, mich aus den Listen zu streichen.«

»So schlimm wird's schon nicht sein«, sagte Joe. »Es kommt bestimmt wieder anders.«

»Ach, zur Hölle«, sagte Stern bitter. »Ich glaube, ich hole mir noch einen Drink.«

Joe beobachtete, wie sich der Regisseur auf den Weg zur Bar machte.

»Sind Sie nicht Joe Crown?« Es dauerte eine Sekunde, ehe Joe merkte, daß die schlanke Brünette mit den strahlendblauen Augen und dem enganliegenden, schulterfreien Seidenkleid tatsächlich mit ihm sprach. »Ja«, sagte er.

Die junge Frau lächelte. »Ich bin Tammy Sheridan. Erinnern Sie sich nicht?«

Er hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. »Tut mir leid. Im Moment weiß ich wirklich nicht…«

»Ich hatte die zweite Hauptrolle in Ihrem Film«, sagte sie. »Ich bin das Mädchen, mit dem Judi den großen Kampf hatte.«

»Jetzt tut es mir aber wirklich leid«, lächelte Joe, »daß ich mir den Film nicht angesehen habe.«

»Sie haben den Film nie gesehen?« sagte Tammy verblüfft. »Nicht mal im Vorführraum?«

»Es hat mich nie jemand eingeladen«, sagte er. »Und als er fertig war, hatte ich nichts mehr im Studio zu tun. Vielleicht gehe ich mal hin, wenn er in Los Angeles läuft.«

»Aber ich habe gehört, daß Sie schon an der Fortsetzung schreiben«, sagte sie. »Ich wollte Sie eigentlich dazu überreden, meine Rolle noch etwas auszubauen.«

»Dazu können Sie mich gern überreden«, sagte er. »Nur muß ich den Auftrag erst einmal haben.«

Jetzt lachte sie auch, und er spürte, daß sie ihm nicht glaubte. »Sind Sie allein da?« fragte sie.

»Ja«, sagte er.

»Ohne Begleitung?«

»Ohne Begleitung.«

»Das ist aber merkwürdig«, sagte sie. »Ich habe gehört, Sie wären verheiratet und würden Judi noch nebenbei haben.«

»Sie scheinen ja eine Menge zu hören«, sagte er. »Aber ich muß Sie enttäuschen. Ich bin zwar verheiratet, aber meine Frau ist zur Zeit in New York, und Judi vögle ich auch nicht.«

»Ich habe gehört, Sie hätten ihr die Rolle verschafft.«

»Das stimmt nicht.«

»Wie ist sie denn dann an die Rolle gekommen?« fragte Tammy. »Sie ist doch überhaupt keine Schauspielerin. Selbst an meinen schlechtesten Tagen wirke ich neben der noch mindestens wie die Garbo.«

Joe hob die Hände. »Keine Ahnung«, sagte er. »Ich hab bloß das Drehbuch geschrieben.«

Tammy warf einen Blick zum Eingang, wo sich gerade ein Dutzend Fotografen bemühte, Judi und Steve Cochran auf die Platte zu bannen. »Sie ist eine verdammte Hure!« zischte sie eifersüchtig. Dann wandte sie sich wieder an Joe. »Haben Sie einen Wagen hier?« Joe nickte.

»Ich bin mit einem Taxi gekommen«, sagte sie. »Können Sie mich vielleicht nachher mitnehmen?«

»Natürlich«, sagte er. »Gern.«

»Sagen Sie mir dann Bescheid?« fragte sie und bewegte sich in Richtung zum Eingang. »Ich werde mich mal darum bemühen, auf das eine oder andere Foto zu kommen.« Er beobachtete, wie sie sich an die Fotografen heranpirschte, und schlenderte dann zur Bar, um sich einen neuen Drink zu besorgen. Je mehr Menschen hereinkamen, desto heißer wurde es im Raum, und er suchte sich einen Platz bei einem offenen Fenster, um frische Luft zu haben. Mr. Metaxa, der Bankier, kam durch den ganzen Saal auf ihn zu. »Joe«, sagte er, »herzlichen Glückwunsch!«

Joe lächelte. »Vielen Dank! Aber wozu?«

»Zu Ihrem phantastischen Drehbuch. Der Film wird ein Kassenschlager dank Ihrer Idee. Die Bruttoeinnahmen der Verleiher könnten glatt zwei Millionen erreichen. Wir sind alle sehr zufrieden.«

»Das freut mich«, sagte Joe.

Der Bankier ergriff seinen Arm. »Kommen Sie«, sagte er. »Ich möchte Sie einem guten Freund von mir vorstellen. Er ist Italiener. Ein Filmproduzent. Er möchte Sie gern kennenlernen.« Er führte Joe zu einem hochgewachsenen, gutaussehenden Mann, dessen edler Kopf von dichten, schlohweißen Haaren gekrönt wurde. Metaxa sprach italienisch mit ihm und übersetzte dann für Joe. »Das ist Joe Crown, der Scrittore«, sagte er. »Das ist der große italienische Regisseur und Produzent Raffaelo Santini. Signor Santini hat unter anderem ›Das Motorrad‹ produziert.«

Joe hatte davon gehört. Das Motorrad war einer jener neorealistischen italienischen Filme, die zur internationalen Avantgarde gehörten. Die Kritiker waren begeistert gewesen, und Santini hatte beinahe den Oscar für den besten ausländischen Film gekriegt.

»Es ist mir eine Ehre«, sagte Joe aufrichtig.

»Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, Mr. Crown«, sagte Santini mit einem freundlichen Lächeln. »Ihr Film hat mir sehr gut gefallen. Er zeigt, daß Sie sehr viel Humor haben und sehr genau wissen, was das Publikum will. Ich mag diese professionelle Einstellung.«

»Vielen Dank, Mr. Santini«, sagte Joe.

Santini nickte ernsthaft. »Vielleicht kommen Sie eines Tages mal nach Italien, und wir machen etwas zusammen.«

»Das würde ich sehr gern tun«, sagte Joe.

In diesem Augenblick ertönte hinter ihm die Stimme A.J.s. »Was brütet ihr hinterlistigen Burschen schon wieder aus?« fragte der Produzent lächelnd. »Wollt ihr meinen besten Drehbuchautor entführen?«

»Aber nein«, sagte Metaxa sofort. »Mr. Santini hat ihm nur gratuliert.«

»Ich habe Joe für drei Filme unter Vertrag«, sagte A.J.

Joe staunte. Bis zu diesem Augenblick hatte er von einem Vertrag nichts gehört. Vorsichtshalber hielt er aber den Mund.

»Am Montag unterhalten wir uns über das nächste Drehbuch«, sagte A.J. und warf Joe einen Blick zu. »Stimmt's nicht, Joe?«

»Ja, so ist es, Mr. Rosen«, bestätigte Joe.

»Und wie lautet der Titel des neuen Films?« fragte Santini.

A.J. starrte ihn unsicher an und wandte sich dann an Joe. »Sagen Sie es ihm, Joe.«

Joe sagte, ohne zu zögern: »Die Wiederkehr der Amazonenkönigin.«

»Ah, natürlich«, sagte Santini. »Wie einfach, wie einfach und wie genial. Der Film ist ja schon so gut wie verkauft.«

»Joe, vergessen Sie nicht: Montag morgen um neun in meinem Büro«, sagte A.J. und zog sich lächelnd zurück.

Joe spürte, daß ihn die beiden Italiener beobachteten. Santini flüsterte dem Bankier etwas zu und sagte dann laut: »Vergessen Sie nicht, was ich gesagt habe, Mr. Crown. Eines Tages machen wir einen Film zusammen. In Rom.«

Aus den Augenwinkeln sah Joe, daß Tammy Sheridan sich wieder näherte. »Joe!« rief sie aus etwa zwei Metern Entfernung, als wären sie zwei alte Freunde, die sich nach jahrelanger Trennung zufällig wieder begegneten. »Joe, Sie müssen mich Mr. Santini vorstellen. Er ist der beste Mann in der Branche, den ich kenne.«

»Mr. Santini«, sagte Joe, »das ist Tammy Sheridan.«

»Ich fand Ihren Film ganz fabelhaft«, jubelte Tammy. »Ich habe ihm auch in der Akademie meine Stimme gegeben, und es tat mir sooo leid, daß er dann doch keinen Oscar gekriegt hat.«

»Vielen Dank, Miß Tammy«, sagte Santini höflich.

»Es wird gerade zum Essen gerufen«, sagte die junge Frau. »Darf ich neben Ihnen sitzen? Ich möchte Sie so viele Dinge über Ihren Film fragen.«

»Tut mir leid«, sagte Santini bedauernd, »aber zum Essen kann ich leider nicht bleiben. Ich war schon bei Chasens verabredet.« Der Italiener ergriff ihre Hand, küßte sie und verbeugte sich. »Ciao«, sagte er.

Tammy seufzte, als sie ihm nachsah. »Der Kerl geht vielleicht ran!« flüsterte sie. »Als er mir die Hand küßte, dachte ich, er kitzelt mich mit der Zunge.«

»Oh, verdammt«, sagte Joe. »Das könnte ich auch.«

Tammy starrte ihn empört an. »Mir auf diese Weise die Hand küssen?«

»Nein«, lächelte Joe. »Sie ein bißchen kitzeln.«