33
Als Joe und Marissa die Tür des Gästehauses hinter sich schlossen, war es schließlich doch fast halb zwei. »Worum ging es eigentlich beim Essen?« fragte Joe seine Begleiterin.
Marissa schlüpfte aus ihrem Kleid. »Nur ums Geschäft«, sagte sie. »Die Franzosen wollen, daß Gianpietro zehn Tonnen Rohopium in Sizilien abholt und nach Marseille bringt, wo sie gerade ein neues Labor aufgebaut haben. Wenn er das in zwei Wochen schafft, kriegt er eine Million Dollar von ihnen.«
»Und warum regt sich Mara darüber so auf? Sie wird doch wohl wissen, daß Gianpietro Geld braucht, um sie zu versorgen?«
»Sie möchte sich gern in der High Society an der Côte d'Azur zeigen und vor den Leuten den Star spielen. Aber wer soll sie ausführen, wenn Gianpietro nicht da ist? Sie ist eine egozentrische Ziege.«
Joe hatte seine Smokingjacke ausgezogen und seine Krawatte und das weiße Hemd abgestreift, als es zu ihrer Überraschung noch einmal an die Tür klopfte. »Herein«, sagte Joe. Marissa konnte gerade noch ihren Morgenrock anziehen, da stand Gianpietro auch schon im Zimmer.
Aber er gönnte ihr ohnehin keinen Blick, sondern wandte sich ausschließlich an Joe. »Ich brauche Ihre Hilfe, mein Freund«, sagte er.
»Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte Joe überrascht.
»Sie haben vielleicht schon gehört, daß ich ein paar Tage weg muß. Mara hat sich über diese Reise sehr aufgeregt, aber es läßt sich nun einmal nicht ändern, und ich habe sie schließlich beruhigen können. Sie möchte aber auf jeden Fall, daß Sie weiter an dem Drehbuch für sie arbeiten. Andererseits möchte sie nicht allein in dem großen Haus bleiben und hat deshalb darum gebeten, daß Marissa zu ihr in die Villa umzieht. Ich habe ihr genug Geld dagelassen, damit sie ein bißchen einkaufen kann mit Marissa. Außerdem hat sie sich in den Kopf gesetzt, in den nächsten Wochen ausschließlich englisch zu sprechen, um die Sprache endlich richtig zu lernen.«
Joe nickte. »Ich stimme Ihnen natürlich in allem vollkommen zu, aber wäre es nicht angebrachter, wenn ich mit Ihnen nach Rom zurückkehrte? Mara ist eine sehr attraktive Frau, und man weiß doch, wie die Leute reden.«
»Die Leute können mir gestohlen bleiben, mit ihrem ewigen Klatsch. Sie sind mein Freund und ein Gentleman obendrein. Ich weiß, Sie werden nichts Unschickliches tun.«
Joe wandte sich an Marissa. »Was meinst du?«
»Ich stimme völlig mit Franco überein«, sagte sie. »Sein Vorschlag ist sehr vernünftig.«
Joe streckte die Hand aus. »Dann soll es so sein.«
Der Italiener umarmte ihn. »Danke, mein Freund, vielen Dank!«
***
Obwohl es sehr heiß in seinem Schlafzimmer war, schlief Joe wie ein Toter. Irgendwann aber traf ein fremder Geruch seine Nüstern. Es war eine andere Aura als Marissas, die ihm mittlerweile völlig vertraut war. Vorsichtig öffnete er die Augen und warf einen Blick auf die Uhr. Ein Uhr mittags.
Er spähte zum Fenster, aber sein Blick wurde von einer weiblichen Gestalt festgehalten.
Mara saß auf einem Stuhl neben dem Bett. Sie war vollkommen nackt und hatte die Beine gespreizt. »Ich dachte schon, Sie würden überhaupt nicht mehr aufwachen«, lächelte sie.
Joe starrte sie verblüfft an. »Was haben Sie denn gemacht?« fragte er. »Das sieht ja so aus, als hätten Sie sich neunzig Prozent Ihrer Pussy wegrasiert, Mara!«
Sie lachte. »Sie haben ein gutes Auge. Das ist jetzt die große Mode. Die neuen Bikinis sind nämlich so klein, daß alle Schamhaare links und rechts rausquellen. Wenn man sich nicht rasiert, sieht man aus, als ob man einen Bart auf dem Bein hätte.«
Mit einem Ruck wurde Joe endgültig wach. »He«, sagte er. »Sie sprechen ja Englisch! Ich dachte, Sie können bloß ein paar Worte.«
Mara verzog die Lippen. »Das hat sich als praktisch erwiesen«, sagte sie. »Die Leute halten einen für dumm, und das haben sie gern. Außerdem erfährt man mehr, wenn sie glauben, daß man sie nicht versteht.«
Marissa kam aus dem Bad. Sie trocknete sich gerade mit einem großen Badetuch ab und lachte Joe vergnügt an. »Na, wie gefällt es dir? Habe ich Mara nicht niedlich zurechtgestutzt? Vielleicht sollte ich Friseuse für Schamhaare werden.«
»Ich könnte das bestimmt noch besser«, grinste Joe. »Ich brauchte nicht einmal eine Schere. Ich würde das Haar einfach abknabbern.«
»Sehr witzig«, sagte Marissa. »Sieh lieber zu, daß du unter die Dusche kommst und packst. Wir fahren für ein paar Tage nach Saint-Tropez.«
»Saint-Tropez? Wo ist denn das?«
»Ungefähr achtzig Kilometer weiter westlich«, sagte Marissa. »Ein kleiner, todschicker Badeort. Vor allem hocken da nicht die ganzen alten Lustgreise herum wie in Monte Carlo, sondern junge Leute. Sie sind den ganzen Tag am Strand und tanzen trotzdem die Nächte durch.«
»Franco hat mir ein bißchen Geld dagelassen«, sagte Mara stolz. »Außerdem hat uns ein alter Freund von mir in sein Haus eingeladen. Er hat eine riesige Villa am Strand.«
»Ich weiß nicht recht«, sagte Joe. »Franco hat mir nichts von diesen Dingen gesagt. Ich weiß nicht, ob ihm das recht wäre.«
»Franco weiß Bescheid«, sagte Mara. »Er weiß, daß mein Freund ein guter Kumpel ist. Solange Marissa bei mir ist und mir Englisch beibringt und solange Sie an unserem Drehbuch arbeiten, hat er bestimmt nichts dagegen. Außerdem sind wir sowieso längst wieder hier, wenn er zurückkommt.«
Joe warf ihr einen zweifelnden Blick zu. »Und wie wollen Sie ihm Ihre rasierte Möse erklären?«
»Meine Haare wachsen schnell«, sagte sie.
»Trotzdem«, sagte Joe unsicher. »Ich möchte nicht, daß Franco von mir enttäuscht ist. Ich glaube, er kann sehr wütend werden.«
»Aber nein«, lachte Mara. »Er tut nur immer so gefährlich. In Wirklichkeit ist er ein reizender Mann.« Joe schüttelte den Kopf. Die Sache schmeckte ihm nicht. Mara stand auf, griff nach seiner Hand und zog ihn ins Bad. »So«, sagte sie und schob ihn unter die Dusche. »Jetzt kühlen Sie sich erst einmal ab.«
***
Die Fahrt nach Saint-Tropez in dem kleinen Renault dauerte etwas über anderthalb Stunden. Mara und Marissa waren abwechselnd gefahren, während Joe auf dem Rücksitz vor sich hin döste. Die Landschaft links und rechts der Route Nationale bot ein großartiges Schauspiel. Hinter Cannes allerdings wurde die Fahrt etwas ungemütlich, als sie auf die schmale Küstenstraße abbogen, die auf die Halbinsel Saint-Tropez hinausführte. Jahrhundertelang war der Ort ein kleines Fischernest, umgeben von Weinbergen, gewesen, ohne Bahnanschluß oder andere öffentliche Verkehrsmittel. Erst in den letzten Jahren hatte es die Jeunesse dorée zu ihrem Lieblingsspielplatz erkoren.
Mara kurvte durch die engen Straßen am Hafen, wo zahlreiche Jachten vor Anker lagen, und fuhr dann auf einem schmalen Fahrweg bergauf, bis sie eine hellerleuchtete Villa erreichte. Es war schon fast elf.
Joe stieg aus und sah sich um. Es war erstaunlich, wieviel Platz in diesen kleinen europäischen Autos war, die von außen so unscheinbar wirkten. Mara führte sie über eine großzügige Treppe zum Eingang der Villa. Die Türen standen weit offen, und sie waren kaum eingetreten, als auch schon der Butler erschien. »Es tut mir sehr leid, Mademoiselle«, sagte er mit einer leichten Verbeugung. »Monsieur Lascombes und seine Gäste sind ausgegangen.«
»Das hätte ich mir denken können«, sagte Mara. Ihr Französisch war völlig akzentfrei. »Sie wissen, daß er uns eingeladen hat?«
Der Butler zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Sie sind Signorina Mara Benetti, nicht wahr?«
»Das ist richtig«, sagte Mara, »und die beiden Herrschaften hier sind meine Gäste. Ich sage Monsieur Lascombe morgen früh Bescheid.«
»Sehr wohl, Mademoiselle«, sagte der Butler. »Für den Augenblick werde ich Sie und Ihre Freundin in Zimmer Nummer zwölf und den Herrn in Zimmer Nummer neun unterbringen, wenn Sie erlauben. Die beiden Zimmer liegen sich im zweiten Stock direkt gegenüber.«
»Vielen Dank«, sagte Mara.
»Ich muß um Entschuldigung bitten«, sagte der Butler, »daß wir das Gepäck nicht sofort ins Haus bringen können, aber die Hausknechte sind schon gegangen. Wir werden Ihnen die Sachen gleich morgen früh bringen.«
»Das geht schon in Ordnung«, sagte Mara. »Wir nehmen einfach die Toilettensachen jetzt gleich mit. Das andere kann warten. Wenn Sie uns jetzt unsere Zimmer zeigen würden?« Damit nahm sie eine Fünfhundertfrancnote aus ihrer Handtasche und steckte sie dem keineswegs überraschten Mann zu.
Das Zimmer der beiden Mädchen war durchaus gemütlich. Es gab ein breites Doppelbett und ein eigenes Bad. Joes Zimmer dagegen war gräßlich. Es war wohl früher ein Dienstmädchenzimmer gewesen. Das Bett glich mehr einer Pritsche, und statt eines Waschbeckens gab es nur eine Schüssel und ein Bidet. Aber er war viel zu müde, um sich zu beschweren. Er zog sich aus und schlief sofort ein.
Er hatte das Gefühl, kaum eine Stunde geschlafen zu haben, als Marissa ihn wachrüttelte. »Joe«, sagte sie leise, »wach auf!«
»Ich schlafe schon«, sagte er. »Weckt mich am Morgen.«
»Es ist Morgen«, sagte sie. »Wach auf, Joe! Wir haben ein Problem.«
Joe rieb sich die Augen. Graues Morgenlicht kam durchs Fenster. »Was ist denn los?« fragte er.
»Du mußt hier weg«, sagte sie.
»Aha«, sagte er. »Und wie soll ich das machen?«
»Ich fahre dich hinüber nach Saint-Raphael. Dort kannst du ein Taxi nehmen und nach Nizza zurückfahren.«
»Ich habe ja nichts dagegen, wieder nach Nizza zu fahren«, sagte er. »Das Bett in Gianpietros Gästehaus ist viel bequemer. Aber wieso hat Mara erst gesagt, wir wären hier eingeladen, wenn ich jetzt plötzlich durch die Hintertür abreisen muß?«
»Sie hat wohl einiges durcheinandergebracht«, sagte Marissa.
Joe stand auf und streifte seine Hosen über. »Soll ich nicht lieber mal selbst mit ihr reden?«
»Das geht nicht«, sagte Marissa. »Sie hat zwei Schlaftabletten genommen und kommt vor nachmittags bestimmt nicht mehr zu Bewußtsein.«
»Woher weißt du dann überhaupt, daß ich hier unerwünscht bin?«
»Lascombes ist bei uns gewesen. Er hat gesagt, er hätte dein Zimmer schon anderweitig vergeben. Mara habe ihm nichts davon gesagt, daß du uns begleitest. Er wolle auch keinen Ärger mit Gianpietro, und deshalb sei es besser, wenn du gingest.«
»Verdammte Scheiße!« sagte Joe wütend. »Ich hätte mir denken können, daß die Frau keinen Überblick hat. Wäre ich bloß in Nizza geblieben, anstatt mich von ihr überreden zu lassen.«
Er warf Marissa einen ärgerlichen Blick zu. »Wie sieht es mit Saint-Tropez aus? Kann ich mir nicht da ein Hotelzimmer nehmen?«
»Ich hab schon überall angerufen. Die Hotels sind alle ausgebucht. Es gibt kein einziges Zimmer mehr in der Stadt.«
Joe sah sie mißtrauisch an. »Du willst also hierbleiben?«
»Wenn du nichts dagegen hast«, sagte sie. »Gianpietro bezahlt mich dafür, daß ich Mara Gesellschaft leiste. Aber wenn du willst, komme ich natürlich mit nach Nizza zurück.«
Er dachte einen Augenblick nach. »Nein, das ist nicht nötig. Ich komme zurecht.«
»In der Villa ist es sowieso viel bequemer und schöner«, sagte Marissa.
»Sicher«, sagte Joe. »Wie lange brauchst du, um dich fertig zu machen?«
»Ich bin fertig«, sagte sie.
Er nickte. »Gut«, sagte er. »Ich komme in zehn Minuten nach unten.«
Marissa warf ihm einen ängstlichen Blick zu. »Es tut mir leid, Joe«, sagte sie.
Er lächelte müde. »So ist das nun mal. Man kann nicht immer der Star sein.«