|234|NEUNTES KAPITEL

Wenn Condé davon träumte, der Regentin das zu sein, was der Herzog von Guise – ich meine natürlich den zu Blois ermordeten – für Heinrich III. gewesen war, das heißt, der Fürst eines Aufstands, der von einer Mehrheit der Franzosen unterstützt würde, so verkannte er völlig seine Verdienste wie seine Situation.

Guise verkörperte seinerzeit den gnadenlosen Kampf der Katholiken gegen die Hugenotten, und als hätte der Himmel ihm für seinen Fanatismus im voraus Dank gewußt, hatte er ihn zum schönsten Mann Frankreichs gemacht. Das Volk und im besonderen das Volk von Paris erkannte in dieser männlichen Schönheit ein göttliches Zeichen. Wenn der Herzog in weißem Satin, auf makellosem Roß durch die Straßen der Hauptstadt zog, drängte man sich allerseits, seine Stiefel zu küssen, und die Gevatterinnen rieben ihre Rosenkränze an seinen gelobten Lenden. Guise war in aller Augen der heilige Georg, der den protestantischen Drachen besiegen und mit tausend Stößen durchbohren würde.

Keinen Augenblick aber konnte Condé sich einer so glühenden Liebe schmeicheln. Zum ersten, weil er selbst der reformierten Religion angehörte, und obwohl die antiprotestantischen Gefühle sich seit dem Edikt von Nantes ein wenig gemildert hatten, machte ihn schon sein Hugenottentum verdächtig. Seine Sitten, die ihn, wäre er kein Prinz gewesen, auf den Scheiterhaufen gebracht hätten, stießen die Allgemeinheit ab. Seine Legitimität blieb zweifelhaft. Und das Schlimmste, er war klein, dürr, krummnasig, kurzum ›unansehbar‹, wie die Prinzessin Conti gern sagte.

Trotzdem versuchte Condé, sich als Ankläger des Unrechts und als Reformator von Mißbräuchen vor die Nation zu stellen. Von Mézières aus richtete er ein Manifest in Briefform an die Regentin, das zugleich ihre Herrschaft verurteilte und seine Kandidatur für die Thronfolge anmeldete.

|235|Seine Anklagen reichten weit: die Kirche werde nicht genug geehrt, der Adel sei arm, das Volk mit Steuern überlastet, die Ämter seien zu teuer, die Gerichte lägen am Gängelband. Vor allem aber beklagte Condé, daß die »königlichen Finanzmittel« vergeudet und verschleudert würden.

Das Komische an diesem Vorwurf war, daß er die Marschälle von Ancre meinte, daß Condé den Vorwurf aber ebensogut an sich selbst hätte richten können, zog man in Betracht, was er und die anderen Großen den Schatz bereits zu Anfang der Regentschaft gekostet hatten und weiterhin kosten würden, falls die Macht, wie er es erwartete, sich seine Loyalität mit Goldsäcken zurückkaufen würde.

Weil es ihn aber nicht allzu ruhmvoll dünkte, Frieden nur gegen Geld anzubieten, warf Condé über seine Habgier den Schleier des ›Gemeinwohls‹, er forderte die Einberufung der Generalstände, um die Mißbräuche abzustellen, und daß die spanischen Hochzeiten bis zu deren Tagungsschluß aufgeschoben würden, obwohl er die Eheverträge mit unterzeichnet hatte.

Condé verschickte sein Manifest an alle französischen Gerichtshöfe mit der Aufforderung, ihn zu unterstützen. Doch keiner antwortete ihm. Einige expedierten die Sendung ungeöffnet an den König.

Und verderbt, wie er war, ging Condé noch weiter. Durch Schmähschriften verbreitete er, die Regentin treibe es mit dem Concini – eine alte Leier, die aber vom Pöbel bereitwillig aufgegriffen wurde –, und sie plane, den König vergiften zu lassen, um an der Macht zu bleiben – eine Schändlichkeit, auf die nicht einmal Mariette verfallen wäre.

So stand es mit jenen unerquicklichen Intrigen, als mir eine neue Sache zu Ohren kam, und zwar so unerwartet, daß es mir die Sprache verschlug. Man wird sich erinnern, daß ich in meiner Wohnung das gute Abendessen, das mein Koch Robin bereitete, gemeinsam mit La Barge einzunehmen pflegte. Das war kein Verstoß gegen die Etikette, denn mein Page war, wenn auch bescheidener, so doch adliger Herkunft, und allein bei Tisch schmeckte es mir einfach nicht.

Das Gute daran war außerdem, daß ich vor La Barge auch längere Zeit schweigen konnte, ohne ihn zu kränken. Seine Gegenwart bot mir den Vorteil, daß ich Gesellschaft hatte, die |236|mir gleichwohl deren Verpflichtungen ersparte. Trotzdem gab ich mich vor ihm nicht so groß, daß er nicht sprechen durfte, sofern er um die Erlaubnis bat, und da er die wachsten Augen und Ohren sämtlicher Pagen im Louvre hatte, war es verblüffend, was er alles wußte über diesen und jenen, sogar über die Höchstgestellten – und wie vergnüglich er es erzählte.

»Monsieur«, sagte er eines Abends, »Ihr runzelt die Stirn. Seid Ihr mißgestimmt?«

»Nein, aber ich mache mir einige Sorgen um das Reich bei dieser Prinzenrevolte.«

»Darf ich sprechen, Monsieur?«

»Wenn deine Rede Saft und Pfeffer hat, bitte.«

»Ich denke schon, Monsieur.«

»Gut. Ich höre.«

»Zuerst, Monsieur«, sagte La Barge, »müßt Ihr wissen, daß ich verliebt bin. Sie heißt Gina.«

»Und ist Zofe bei der Königin?«

»Nein, Monsieur, viel mehr! Sie ist Pflegerin der Füße Ihrer Majestät. Sie wäscht der Königin die Füße, massiert und salbt sie, feilt die Nägel, entfernt Hornhaut.«

»Und wie weit bist du bei dieser Gina?«

»Am Ziel, Monsieur!«

»Bravo! Aber daß du die Ärmste nicht schwängerst!«

»Keine Gefahr, Monsieur. Ginas Mutter ist Hebamme in Florenz und hat sie das Verhüten gelehrt.«

»Schön, mein Sohn, und wo sind Saft und Pfeffer?«

»Die kommen, Monsieur. Vorher müßt Ihr noch wissen, Gina ist das geschwätzigste Mädchen der Welt. Und so erfuhr ich aus ihrem Mund, wie die Königin den Minister Villeroy empfing, während Gina ihr die Füße wusch.«

»Und das soll ich glauben?« rief ich. »Die Königin empfängt ihren Minister, wenn sie die Füße im Zuber hat?«

»Oh, Monsieur! Die Königin macht noch ganz anderes, tugendsam, aber überhaupt nicht schamhaft, wie sie ist! Im Sommer, bei großer Hitze, hält sie Siesta ohne Röcke, ohne Mieder. Und so entblößt, hat sie mit dem Gardehauptmann de Thermes gesprochen, als ob nichts dabei wäre.«

»Gott verhüte, daß ich die Königin schmähe, was immer sie auch tun möge!« sagte ich fromm. »Weiter, La Barge. Was wollte Villeroy?«

|237|»Er schlug vor, daß die Regentin, wenn sie keinen Krieg machen wolle, Condé und die Seinen gehörig erschrecken solle, damit sie zur Besinnung kämen. Es würde genügen, sagte er, wenn die Königin Truppen zusammenzöge und nach Reims ginge. ›Reims‹, sagte Monsieur de Villeroy, ›liegt vier Marschstunden von Mézières entfernt, und derweise bedrängt, kommen die Großen entweder nach Reims und unterwerfen sich, oder sie ziehen sich hinter die Reichsgrenzen zurück. In beiden Fällen wäre man sie los, und Mézières und die Champagne fielen in die Hände des Königs.‹ Natürlich hat Gina das nicht so klar und zusammenhängend wiedergegeben, weil sie sich statt an die Hauptsache mehr an Nebensachen hielt.«

»Was für Nebensachen?«

»Die Schuhe des Ministers, ihr altmodischer Schnitt, ihre Schnallen.«

»Wieso, verflixt, interessierten die sie?«

»Na, sie saß doch zu Füßen der Königin und hatte sie ständig vor Augen.«

»Das leuchtet ein«, sagte ich lachend. »Und was antwortete die Königin auf Villeroys vernünftige Worte?«

»Sie hätte kein Geld für eine Reise nach Reims.«

»Das hätte sie, wenn sie nicht soviel verschwendete.«

»Monsieur«, sagte La Barge, »Gott verhüte, daß wir die Königin schmähen, was sie auch tun möge.«

»Weiter!«

»›Madame‹, sagte Villeroy, ›es gibt den Kriegsschatz in der Bastille.‹ – ›Aber, Ihr wißt, Monsieur de Villeroy‹, sagte die Königin seufzend, ›daß ich daran nicht rühren darf.‹ – ›In Friedenszeiten, Madame‹, erwiderte der Minister, ›dürft Ihr daran nicht rühren, in der Tat, im Kriegsfall jedoch und um den Aufstand der Prinzen zu bekämpfen, wird Euch der Rechnungshof eine Zahlung nicht verweigern.‹ – ›Gut, Monsieur de Villeroy‹, sagte die Königin, ›ich will es bedenken‹, und schwenkte die Füße im Zuber.«

»Das hast du hinzuerfunden, La Barge!«

»Ja, Monsieur, ich dachte, es macht sich gut.«

»Halte dich an die Tatsachen, La Barge, sonst glaube ich dir gar nichts.«

»Was jetzt folgt, könnt Ihr gar nicht anders als glauben, Herr Chevalier. Es liegt in der Natur der Sache. Kaum war Monsieur |238|de Villeroy fort, ließ sich die Spinne Concini von der Decke herab, um Villeroys Gewebe zu zerstören. Bei dem Wort ›Schatz der Bastille‹ aus dem Mund der Königin geriet sie jedoch in Ekstase. ›Nehmt die Zahlung, Madame! Wenn Ihr das Geld habt, könnt Ihr Euch immer noch anders besinnen.‹ – ›Wieso?‹ fragte die Königin, die nicht begriff, welchen Trick die Concini ihr vorschlug. ›Ganz einfach‹, sagte die Concini, ›sagt, Ihr wollt Krieg führen, nehmt die Zahlung und nehmt reichlich, an die zweieinhalb Millionen Livres. Dann handelt Ihr mit den Prinzen gegen eine Million den Frieden aus, und den Rest behaltet Ihr für Euch.‹«

»›Für uns‹ wäre genauer gewesen«, sagte ich und verstummte. Die Niedertracht dieses Plans verblüffte mich.

»Und stimmte die Königin zu?« fragte ich dann.

»Sie schwankte zunächst und hätte noch länger geschwankt, hätte die Concini nicht das entscheidende Argument gefunden. ›Madame, seid Ihr es nicht leid, den Goldschmieden diese riesigen jährlichen Zinsen für das Diamantenarmband zu zahlen, das Ihr vor sieben Jahren auf Kredit gekauft habt?‹ – ›Aber‹, sagte die Königin, ›wie kann ich den Rechnungshof über meine Absichten täuschen?‹ – ›Werbt Schweizer an, Madame‹ sagte die Concini, die um keine Antwort verlegen war, ›sechstausend Schweizer! Wenn Ihr Eure Kräfte verstärkt, denkt keiner, daß Ihr auf Frieden aus seid.‹«

Leser, ich muß gestehen, daß ich diesen Bericht zuerst so unfaßlich und die Intrige, die er enthüllte, so schändlich fand, daß ich der Geschichte lange keinen Glauben schenken mochte. Doch die Zukunft beglaubigte sie in so vielen Punkten, daß ich nicht mehr umhin konnte, ihn ernster zu nehmen als beim ersten Hören. Tatsachen und Beweise stelle ich Ihren Überlegungen frei: primo, die Königin erhielt vom Rechnungshof tatsächlich die Summe von zweieinhalb Millionen Livres, um Krieg gegen die Großen zu führen. Secundo: sie stellte tatsächlich sechstausend Schweizer ein, aber anstatt mit ihren derweise verstärkten Kräften das Haupt der Rebellion zu zertreten, entsandte sie den Präsidenten De Thou nach Mézières, um mit den Prinzen einen Vergleich auszuhandeln. Tertio: für eine Million Livres schloß sie mit ihnen Frieden. Quarto: sie zahlte den Goldschmieden jene vierhundertfünfzigtausend Livres, die sie ihnen seit sieben Jahren für ihr Diamantarmband schuldete.

|239|Dieses Armband war das größte, schwerste und kostspieligste, das ich je im Leben an einem weiblichen Handgelenk sah. Die Königin trug es zum erstenmal im Jahr 1607 auf dem Ball der Herzogin von Guise, zum großen Zorn Henri Quatres, der sich weigerte, den Preis zu begleichen: was erklärt, daß die Königin es auf Kredit erwarb und dafür sieben Jahre Zinsen zahlte – nicht etwa die Kaufsumme, nur die Zinsen –, so daß der Preis im Lauf der sieben Jahre aufs Doppelte gestiegen war. Verständlich, wie erleichtert die Königin die Kaufsumme abgalt, als sie das Geld in Händen hatte, das sie dem Rechnungshof abgelistet hatte. Und meines Erachtens tat sie es mit um so leichterem Herzen, als ihr, nachdem sie die Großen geschmiert, die Schweizer bezahlt und den Preis für das berühmte Schmuckstück entrichtet hatte, noch fast eine Million Livres übrigblieben für ihre kleinen Vergnügen … Dies war, wenn ich so sagen darf, das Nadelgeld, das sie aus einer Staatsaffäre abzweigte, die immerhin die Einheit des Reiches bedrohte und es übrigens stark erschüttert zurückließ bis ans Ende dieser heillosen Regentschaft. Die Höhe des Nadelgeldes, das die Concini ihrerseits von dem königlichen Nadelgeld einstrich, entzieht sich jeder Kenntnis, doch wette ich, es war nicht klein, da die Engvertraute nicht verfehlt haben dürfte, ihrer Herrin klarzumachen, wessen Hirn die schlaue combinazione ersonnen hatte.

***

Während ich zur Fortführung dieser Memoiren in meinem Tagebuch blättere, lese ich unter dem zehnten März 1614 die folgende Notiz: Der König gibt seinen Kindern ein Essen. Das sentimentale Wildschwein. Der König empfängt Präsident De Thou.

Was dieses Wildschwein zwischen dem Diner der Kinder und Präsident De Thou, dem großen, klugen und gewandten Gerichtsherrn, zu suchen hat, weiß ich nicht mehr. Und warum ich es ›sentimental‹ nannte, noch weniger. Dafür fällt mir bei angestrengtem Nachdenken Stück für Stück jenes Essen wieder ein, auch was Präsident De Thou gesagt und wie bemerkenswert Ludwig ihm geantwortet hat. Aber merkwürdig, da ich mich der Worte dieses kurzen Zwiegesprächs entsinne, ja seiner Töne auf beiden Seiten sogar, überwindet mein Gedächtnis sozusagen die Zeit, der Nebel des Vergessens lichtet |240|sich, und auch die Geschichte des kleinen Wildschweins, das seiner Liebe zum Opfer fiel, kehrt wieder.

Besagte ›Kinder‹ waren nicht etwa, wie man denken könnte, die zweiunddreißig kleinen Edelleute, Ludwigs Spielgefährten, sondern sein Bruder und seine drei Schwestern. Der König hatte sie nach Henri Quatres Tod so benannt, weil er meinte, daß er als Ältester und als Thronfolger seines Vaters den jüngeren Geschwistern auch die väterliche Autorität und Liebe zu geben habe.

Als ich die Gemächer des Königs betrat, beendete er gerade die Mahlzeit mit ›seinen Kindern‹, die er in immer gleicher Ordnung um seinen Tisch versammelt hatte. Zu seiner Rechten saß Gaston, sechs Jahre alt, der bei Nicolas’ Tod Herzog von Orléans und Monsieur geworden war, ein aufgewecktes, fröhliches Kind, angeblich bevorzugt von seiner Mutter, doch war diese Bevorzugung relativ und erschien als solche nur im Gegensatz zu der unveränderlichen Fühllosigkeit gegenüber dem Ältesten. Links von Ludwig saß Madame, die sanftmütige, fügsame Elisabeth, elfeinhalb Jahre und Ludwig im Alter am nächsten und von ihm auch am meisten geliebt.

Auf der anderen Tischseite, dem König gegenüber, saßen die beiden kleinen Schwestern: Chrétienne, acht Jahre alt, die dereinst den unbedeutendsten Herrscher – den Herzog von Savoyen – heiraten und am glücklichsten werden sollte. Und schließlich das jüngste Kind Frankreichs, die fünfjährige Henriette, ein Jahr vor der Ermordung des Königs geboren; ihre Geburt hatte man dem Volk nicht einmal durch die üblichen Kanonenschüsse zu verkünden geruht, so leid war es das königliche Paar, Töchter zu bekommen.

»Ein schlechtes Vorzeichen!« hatte unsere Mariette, die Augen gen Himmel und mit wogendem Busen, gerufen. Und hierin täuschte sie sich nicht. Die arme Henriette, so wenig ehrenvoll in dieser Welt empfangen, vermählte sich zwar glorreich, denn sie heiratete Charles I. von England, doch wurde dieser unglückliche König einige Jahre später von seinen Untertanen enthauptet und ließ sie als Witwe zurück.

»Meine Kinder«, sagte Ludwig, als das Dessert kam, »ich will Euch eine Geschichte erzählen von einem kleinen Wildschwein.«

»Einem Wildschwein, Sire?« fragte Madame, die den jüngeren |241|Schwestern gern vorführte, daß sie als die Älteste das Recht hatte, Fragen zu stellen.

»Das heißt aber Frischling«, sagte Gaston, der, weit entfernt, zu stottern wie sein großer Bruder, eine muntere, flinke Zunge hatte.

»Redet nicht an meiner Stelle, Monsieur«, sagte der König streng. »Außerdem geht es in dieser Geschichte um einen weiblichen Frischling, die Schwester eines Frischlings, nicht sein Weibchen, weil sie in ihrem Alter noch gar nicht heiraten konnte.«

Gaston errötete über die kleine Zurechtweisung, aber die Röte verlor sich schnell, und vermutlich dachte er im nächsten Augenblick schon nicht mehr daran, so geschwind wechselten bei ihm die Eindrücke. Im Äußeren war er seinem großen Bruder sehr ähnlich, hatte die gleichen schwarzen Augen und das lange Kinn, aber im Unterschied zu Ludwig, dessen Gesicht entschieden und verschlossen wirkte, war das von Gaston fröhlich, verschmitzt und ein bißchen weichlich.

»Aber, Sire«, wagte Chrétienne mit feiner Stimme zu fragen, »wie alt war denn das Frischlingsmädchen?«

»Es war noch sehr klein«, sagte Ludwig.

»Und wie klein?« fragte Madame, die fand, daß es von Chrétienne ziemlich ungehörig war, mit ihren acht Jahren das Wort zu ergreifen.

»Dieses kleine Wildschwein«, sagte Ludwig, »war so groß wie eine Katze. Es wurde von einem meiner Wasserträger namens Bonnet in der Küche aufgezogen, und weil er es ganz früh zu sich genommen hatte, hielt es ihn für seine Mutter und liebte ihn sehr.«

»Seine Mutter?« fragte Chrétienne.

»Weil bei Tieren die Jungen von ihrer Mutter ernährt werden«, sagte Ludwig, der wohl am besten wußte, daß es bei Königskindern nicht so war. »Und«, fuhr er fort, »eines Abends stürzte der arme Bonnet aus dem Fenster und starb. Man trug seinen Leichnam in die Küche, und das kleine Wildschwein lag die ganze Nacht bei ihm und quiekte. Am nächsten Morgen holte man Bonnet ab, um ihn zu begraben, und nachdem er fort war, suchte ihn das kleine Wildschwein überall, und weil es ihn nirgends fand, verweigerte es jede Nahrung, bis es auch gestorben ist.«

|242|»Ach, wie traurig«, sagte Madame, Tränen in den Augenwinkeln, die sie aber zurückhielt, um ihrem großen Bruder nicht zu mißfallen.

»Aber, Sire«, sagte Gaston, der gerne aß, »wie kann man jede Nahrung verweigern, wenn man Hunger hat?«

»Weil man vor Kummer keinen Appetit hat«, sagte Ludwig.

»Aber wenn das kleine Wildschwein groß geworden wäre«, sagte Chrétienne, »wäre es dann nicht selber gegessen worden?«

»Überhaupt niemals!« schrie Madame entrüstet.

»Madame«, sagte Ludwig zu ihr, »es ziemt sich nicht, am Tisch des Königs zu schreien.«

»Ich bitte um Vergebung, Sire«, sagte Madame errötend.

»Schon gut«, sagte Ludwig, indem er seine Hand rasch auf Madames Patschhand legte. »Meine Kinder«, sagte er und stand auf, »das Diner ist beendet! Jetzt kommen die Geschenke! Ich habe in Saint-Germain einige Kleinigkeiten für Euch eingekauft. Monsieur de Berlinghen, wollt Ihr sie uns bringen?«

»Sofort, Sire«, sagte Monsieur de Berlinghen, der nur darauf wartete, geschenkebeladen zu erscheinen wie ein Esel mit Reliquien.

Während die Geschenke nun in protokollarischer Reihenfolge überreicht wurden an Monsieur, an Madame, an Chrétienne und Henriette, fiel mir etwas ein, was ich Ihnen, meine Leser, doch nicht vorenthalten möchte. Zwei Wochen zuvor hatte die Regentin von den riesigen Summen, die der Rechnungshof ihr zur Verfügung gestellt hatte, Ludwig in aller Feierlichkeit sehr teure Diamantringe zum Geschenk gemacht. Damit wollte sie den schändlichen Gerüchten entgegentreten, die der Prinz Condé über ihren angeblichen Vorsatz, den König zu vergiften, ausgestreut hatte.

Diese prunkvollen Gaben bereiteten Ludwig aber nicht die geringste Freude. Zum ersten, weil er für Luxus und Schmuck nichts übrig hatte. Zum zweiten, weil er sehr wohl verstand, daß hinter dieser ungewöhnlichen Großzügigkeit etwas anderes steckte. Das trat beim Empfang der Ringe zutage, als er die Etuis öffnete und sofort wieder mit den verlegenen Worten schloß: »Madame, das ist zuviel für Uns!« Und als er sich bedanken mußte, tat er es mit kalter, gezwungener Stimme. |243|Ludwig hatte nur zu deutlich gefühlt, wie wenig Liebe hinter diesen Gaben stand, die außerdem mehr dem Geschmack der Spenderin entsprachen als dem des Empfängers.

An diese peinliche Szene dachte ich und hatte noch jenes: »Madame, das ist zuviel für Uns« im Ohr, während ich zusah, wie der König seine kleinen Geschenke an die Kinder verteilte. Der jubelnden Freude, mit der ein jedes das seine auspackte, entnahm ich, daß all diese Gaben, auch wenn sie zusammen nicht mehr als vierzig Ecus gekostet haben mochten, sorgfältig ausgesucht worden waren, um die Wünsche des Bruders oder der Schwestern zu erfüllen.

Chrétienne und Henriette bekamen Puppen, beide gleich aussehend, aber die eine in Blau, die andere in Rosa, damit man sie auseinanderhalten und ebensogut auch tauschen konnte. Ihre höfischen Kleider ließen nichts zu wünschen übrig: Reifröcke und Baskinen aus reiner Seide, große, im Nacken aufgestellte Spitzenkragen, zu den Reifröcken passende Seidenschuhchen, echte Haare, nach Florentiner Mode aufgesteckt, wie ihre Mutter sie trug.

Der Herzog von Orléans erhielt ein Taschenmesser aus Moustiers mit zwei Klingen und einem mit Silbersternen eingelegten Fayencegriff. Und Madame (die darüber rot wurde vor Glück) ein Schminkkästchen aus Ebenholz, das alles enthielt, um Herzen zu knicken: Reispuder, Rouge, Augenschwarz, Mouchen, was weiß ich noch! Begleitet jedoch von der ausdrücklichen Mahnung, damit vorerst nur die Puppen anzumalen, weil es für sie selbst noch nicht Zeit sei, sich zu schminken.

Die Freude war groß. Die Kinder zwitscherten »Vielen Dank« und »Tausend Dank, Papachen« und umringten Ludwig, der ernst und würdevoll rundum Umarmungen und Küsse austeilte, bis steif und verkniffen Madame de Montglat erschien, um Monsieur und die beiden kleinen Schwestern in der Karosse nach Saint-Germain-en-Laye zurückzubegleiten. Von den Kindern Frankreichs durfte nur Madame im Louvre wohnen, ein Vorrecht, das sie ihrem Alter und ihrer politischen Rolle als Verlobte des Infanten verdankte.

Als Ludwig mit ihr allein blieb, wirkte er glücklich über das kurze Beisammensein, bevor der Präsident De Thou eintrat. Doch war seinen schönen schwarzen Augen gleichzeitig einige |244|Schwermut abzulesen, wie wenn er in Gedanken schon den Moment voraussah, da die Pyrenäen ihn auf immer von dieser geliebten Schwester trennen würden.

Die Begegnung des Königs mit Präsident De Thou war kurz, aber meines Erachtens bedeutsam für jeden, der wie ich zu entschlüsseln versuchte, was Ludwig gegenüber der Revolte der Großen empfand. Denn die Überwachung – um nicht zu sagen Bespitzelung –, der er unterlag, hatte um ihn noch zugenommen seit der Einnahme von Mézières, so als fürchtete die Regentin – wie unsinnig! –, daß er gegen sie die Partei der Prinzen ergreifen könnte. Seit kurzem wurde Ludwig sogar zum Ministerrat gebeten, und sei es als stummer Teilnehmer. Dadurch sollte bezeugt werden, daß zwischen ihm und derjenigen, die das Reich in seinem Namen regierte, kein Schatten einer Verstimmung bestand, gleichzeitig verschanzte sich die wankende Macht der Regentin hinter der geheiligten Person des gottgegebenen Herrschers.

Den berühmten De Thou hatte ich schon gesehen, aber nur von ferne bei öffentlichen Zeremonien. Von nahem nun, während er mühselig vor dem König niederkniete, fand ich ihn alt und gebrechlich. Soweit ich wußte, hatte sich der berühmte Historiker nie von dem Schlag erholt, der ihn drei Jahre zuvor getroffen hatte, als seine Kandidatur für das Amt des Ersten Gerichtspräsidenten von der Regentin abgelehnt worden war. Nachdem sie den Papst um Rat gefragt hatte (aber die Episode habe ich bereits erzählt), hatte sie sich für Monsieur de Verdun entschieden, einen nicht sehr fähigen Mann, der aber von den Jesuiten gestützt wurde.

Damit war Präsident De Thou, damals Ratsvorsitzender des Prinzen Condé, aber noch nicht am Ende der Bitternisse. Als die Königin hörte, daß Monsieur de Thou gesagt hatte, die Dinge wären besser für ihn ausgegangen, wäre der Prinz in Paris gewesen, fühlte sie sich durch diese Worte gereizt und hatte die Grausamkeit, dem unglücklichen Präsidenten einen Brief des Prinzen zuzustellen, in welchem dieser die Wahl der Regentin billigte. Ihre unverdiente Mißachtung und Condés Verrat, obwohl De Thou ihm so gut gedient hatte, betrübten den Mann derart, daß er jeden Mut verlor und nahezu verstummte.

Wie gesagt, verdankte er sein Unglück dem Papst, der kurz |245|und knapp geantwortet hatte, De Thou sei ein ›Ketzer‹. Obwohl Herr De Thou gut katholisch war, hatte ihm der Vatikan zwei Verbrechen nicht verziehen, die dieses Urteil veranlaßten: seine Histoire Universelle bezeugte hinsichtlich der Protestanten eine gewisse Toleranz, und das Edikt von Nantes war auf Henri Quatres Bitte hin von Herrn De Thou vorbereitet und großenteils verfaßt worden.

»Sire«, sagte Präsident De Thou nun zu Ludwig, »ich komme, von Euch Urlaub zu nehmen, denn ich werde von der Königin Eurer Mutter nach Mézières gesandt, wo ich Friedensverhandlungen mit dem Herrn Prinzen Condé führen soll.«

Ich wußte von diesem Auftrag nichts und muß gestehen, daß ich De Thous Seelengröße bewunderte, in seinem Alter, trotz seiner hinfälligen Gesundheit diese Reise auf sich zu nehmen und den Verrat der Königin und des Prinzen zu vergessen, nur um seinem Lande zu dienen.

Ob Ludwig sich jener Nackenschläge des Präsidenten im Jahr 1610 erinnerte, oder ob er später davon erfuhr, weiß ich nicht, denn je mehr man ihm verhehlte, desto begieriger versuchte er, sich zu informieren. Nach dieser Begegnung indes kam ich zu der Überzeugung, daß er alles wußte, denn er handelte gegen Herrn De Thou, wie er es am Tag nach seiner Salbung mit Bellegarde getan hatte, um ihn über Concinis Unverschämtheiten zu trösten, allerdings mit einer Nuance: ohne den ehrwürdigen Präsidenten ebenso vertraulich beim Bart zu fassen, bekundete er ihm gleichwohl seine Zuneigung und Wertschätzung, indem er ihm beide Hände auf die Schultern legte – eine Geste, derer Herr De Thou noch drei Jahre später, kurz vor seinem Tod, tief bewegt gedachte. Und so sprach der König in heiterem Ton: »Geht, Monsieur De Thou! Und sagt jenen Herren da, sie sollen ja artig sein!«

Ich bewunderte diese Worte, den Ton und die Geste: alles stimmte. Die aufsässigen Prinzen in Mézières waren nicht mehr als ›jene Herren da‹, und der König von Frankreich, trotz seiner zwölfeinhalb Jahre weit entfernt, sie zu fürchten, behandelte sie überlegen wie ungezogene Kinder, die ein hoher Staatsdiener schelten solle, um sie zur Räson zu bringen.

Da ich mehrmals festgestellt hatte, daß Ludwig mehr Dinge wußte, als er durch mich erfahren hatte, schloß ich, daß es in |246|seiner Umgebung noch andere Personen gab, die ihn über die Affären unterrichteten, welche die Regentin ihm so sorgfältig zu verheimlichen trachtete. Wer diese Personen waren, konnte ich aber nie mit Gewißheit feststellen, auch nicht, als der König wirklich König geworden war und keinen Grund mehr hatte, auf so unbedingter Geheimhaltung zu bestehen – eine machiavellistische Tugend, die er nach dem Tod seines Vaters im zartesten Alter notgedrungen gegen die mütterliche Bevormundung entwickelt hatte.

Ich war also auf Vermutungen angewiesen, wer jene sein mochten, die ihn, bei leichtem Zugang zu ihm, ohne jedes Aufsehen mit Informationen versahen, die man ihm verbergen wollte.

Bei Doktor Héroard, der Ludwig grenzenlos ergeben war (auch wenn er ihn, wie mein Vater behauptete, nicht sehr gut behandelte, weil er Mißbrauch mit Abführmitteln und Klistieren trieb), verstand sich dies gewissermaßen von selbst, und der Abstand, den Héroard von Anfang an zwischen uns geschaffen hatte, bestätigte mich in dieser Annahme. Auch Monsieur de Souvré konnte zu ihnen gehören. Seine Treue gegenüber der Regentin war meines Erachtens eher vorgetäuscht, vor allem seit sie ihr Versprechen ihm gegenüber gebrochen und statt seiner den Concini zum Marschall ernannt hatte. Der Vogelsteller Luynes, dem Ludwig in seiner steten Begierde nach Liebe eine außerordentliche Freundschaft entgegenbrachte, hatte beste Gelegenheiten, da er ihn fast täglich auf der Jagd sah, ihm mitzuteilen, was er oder seine beiden Brüder, Brantes und Cadenet, in den Korridoren des Louvre gehört hatten. Wie ich mehrmals beobachtete, scheute sich auch Bellegarde nicht, lange und in aller Öffentlichkeit dem König ins Ohr zu sprechen, der, so gleichmütig er sich dabei gab, ihm doch aufmerksam lauschte. Ich bin mir sicher, daß der Herzog, der in nichts etwas Schlimmes sah, dies ganz unschuldig tat (auch ebenso straflos, weil er zu hoch stand, um für seinen Unbedacht büßen zu müssen), immerhin jedoch gehörte er zum Rat der Regentin, und wenn er von den dort erörterten Dingen auch wenig verstand, konnte Ludwig, wenn er ihm lauschte, doch das Wichtige vom Nebensächlichen unterscheiden.

Daß Ludwig noch andere Informationsquellen hatte als |247|mich, machte mich durchaus nicht eifersüchtig, sondern im Gegenteil nur froh, weil ich mir überdies sicher war, daß er, so wie er mich auf eine Zeichensprache verpflichtet hatte, den beständigen, geheimen Fluß seiner Quellen zu organisieren wußte, so daß er, wenn er alles Gehörte zusammennahm, seine Kenntnislücken aufzufüllen und die Bedeutung eines Ereignisses ziemlich gut zu erfassen vermochte, nachdem ihm die bloßen Tatsachen zur Kenntnis gebracht worden waren.

Den Beweis dafür erhielt ich einige Wochen nach dem Besuch des Präsidenten De Thou, um genau zu sein, am Abend des siebenten April 1614, als Ludwig der Königin soeben einen kurzen protokollarischen Besuch gemacht und sie es unterlassen hatte – aus Dummheit, meine ich, denn die Nachricht ging bereits im ganzen Louvre um –, ihm den Tod des Konnetabels Montmorency mitzuteilen. Minuten später erschien Bellegarde und unterrichtete den König. »Das tut mir sehr leid«, sagte Ludwig, dann fügte er, aber so, als spräche er zu sich selbst, eine bedeutungsschwere Überlegung hinzu: »Um dieses Amt werden sich viele bewerben. Aber man darf es keinem geben.«

Diese Bemerkung bewies, daß Ludwig tatsächlich vieles wußte: wie strikt ablehnend sein Vater zum Konnetabelamt gestanden hatte, weil es seinem Träger eine Macht, fast so groß wie die königliche, einräumte; daß Heinrich III. es bereits dem Herzog von Guise verweigert hatte, obwohl der es von ihm gewissermaßen mit dem Messer an seiner Kehle einforderte; daß Henri Quatre es dem Herzog von Montmorency schließlich nur gegeben hatte, um ihn aus dem Languedoc, wo er sich wie ein Vizekönig aufspielte, fortzulocken, und ihn damit aber auch erst in einem Alter an den Hof holte, als sein körperlicher und geistiger Verfall ihn ungefährlich machten; daß Ludwig durchaus wußte, wie emsig die Herzöge Guise und Épernon, die der Regentin die Treue hielten, nach diesem hohen Amt strebten; und schließlich, daß er diesen beiden ebensowenig vertraute wie den revoltierenden Prinzen von Mézières, denn seine grundsätzliche, unverrückbare Gegnerschaft zu den Großen hatte sich bereits mit einer Stärke in ihm festgesetzt, die auch in seiner späteren Herrschaft durch nichts erschüttert werden sollte.

* * *

|248|Sein Ressentiment ihnen gegenüber trat mir drei oder vier Tage darauf klar zutage, als Monsieur de Blainville ihm nach dem Mittagessen berichtete, er habe Befehl von der Regentin, die Gardekompanie kriegsmäßig zu bewaffnen, wenn sie den König aus Paris hinaus zur Jagd begleite.

Ich hatte für Monsieur de Blainville nicht viel übrig, weil ich ihn verdächtigte, Ludwig im Auftrag der Königin auszuspionieren, und jenen Befehl fand ich ob seiner Dummheit geradezu komisch, denn weit entfernt, sich bis nach Paris zu wagen, um den König in seine Gewalt zu bringen, hatte der Prinz Condé, als er hörte, daß die königlichen Heere in der Champagne um sechstausend Schweizer verstärkt worden waren, die Stadt Soissons, wo er mit den Gesandten der Königin in Friedensverhandlungen stand, umgehend verlassen und sich mit seinen wenigen Truppen vorsichtig nach Sainte-Menehould zurückgezogen. Was für mein Gefühl wenig Angriffslust und Tapferkeit bezeugte und wahrlich keinen Anlaß bot, von seiner Seite ein so abenteuerliches Unterfangen wie die Entführung des Königs zu befürchten.

Mag sein, daß Ludwig von Condés Rückzug nach Sainte-Menehould noch nichts wußte, denn sein Verdruß über jenen Befehl hatte nichts mit dessen Unsinnigkeit zu tun, sondern mit einem ganz anderen Grund.

»Warum?« fragte er lebhaft. »Wenn das Volk von Paris das sieht, wird es denken, ich habe Angst. Ich habe aber keine Angst vor den Prinzen!«

Worauf Blainville, dem es nicht an Schlagfertigkeit mangelte, sagte: »Sire, ich denke, das Volk von Paris wird sich sehr freuen, wenn es sieht, wie sorglich wir die Person Seiner Majestät schützen.«

Das leuchtete dem König offenbar ein, denn nach kurzer Überlegung sagte er: »Gut, aber sagt den Männern, sie sollen die Waffen beim Auszug und beim Einzug in die Stadt unterm Mantel halten.«

Mühelos konnte ich mir vorstellen, wie Ludwig über die Verhandlungen mit den Großen dachte, die im Ministerrat besprochen wurden: denn dort fragte man sich, wie viele Hunderttausende Ecus jedem einzelnen wohl noch bewilligt werden müßten, bis sie sich bequemten, zur Pflicht zurückzukehren. Todsicher hatte Ludwig Mühe, seinen Ärger hinunterzuschlucken. |249|Er, der so gerne ein Soldatenkönig gewesen wäre wie sein Vater, mußte verzweifelt sein, daß er nicht, wie er wollte, über Soldaten verfügen konnte, deren Anführer er war. In welcher inneren Verfassung er war, läßt sich daraus erkennen, wieviel Zeit er fast täglich mit militärischen Übungen zubrachte, die er entweder seinen kleinen Edelleuten oder seinen Garden befahl.

Eine in dieser Hinsicht eindrucksvolle Szene kommt mir in den Sinn. Am zweiundzwanzigsten April war ich mit Monsieur de Souvré, Hauptmann Vitry und Doktor Héroard in seiner Gesellschaft, als Ludwig um Schlag drei Uhr seine Karosse bestieg und den Louvre verließ. Der Kutscher schien seine Befehle im voraus erhalten zu haben, und zweifellos wußten auch Souvré und Vitry, wohin wir fuhren, nur ich, der wie Héroard erst in letzter Minute dazu aufgefordert worden war, kannte unser Ziel nicht. Trotzdem wurde es mir klar, je länger wir über die Pflasterstraßen der Hauptstadt stuckerten.

Die Karosse fuhr über den Pont-Neuf, in die Rue Dauphine (›meine Straße‹, sagte Ludwig nicht ohne Bewegung, da Henri Quatre die von ihm gebahnte Verlängerung des Pont-Neuf seinem Dauphin zu Ehren so getauft hatte), und nachdem wir die Porte de Buci hinter uns hatten, ging es zweimal rechterhand bis auf die Rue de Seine, die zum Pré-aux-Clercs führte, einem weiten Gelände, das vor allem durch blutige Duelle unter Edelleuten oder durch Schlachten zwischen rivalisierenden Banden berüchtigt war.

Zur Stunde aber sah man dort nur die Gardebataillone im Geviert, während das Volk, das sich üblicherweise an diesem Ort erging (denn es war schönes Wetter), gedrängt am Rande stand, gaffte und klatschte. Als die Karosse hielt, brachte ein Gardist für Ludwig eine weiße Stute am Zügel und einen Braunen für Hauptmann Vitry. Im Nu saß Ludwig auf und galoppierte vor der Front mit einer Meisterschaft und Gewandtheit, die seinem Reitlehrer alle Ehre machten. Ich blieb mit Souvré und Héroard in der Karosse sitzen und langweilte mich, offen gestanden, zu Tode, mir fehlte jeder militärische Sinn. Trotzdem ließ ich Ludwig nicht aus den Augen, der ganz bei der Sache schien, bald von einem Bataillon zum anderen sprengte und mit den Offizieren sprach, bald wie ein Standbild auf seinem Roß verharrte und zusah, wie die Truppe marschierte, |250|sich teilte und wieder zusammenschloß, sich wieder trennte und bei diesen Exerzitien mal im Schritt ging, mal in Laufschritt oder Sturmschritt fiel.

Ludwig, der überall ein Halbdutzend Offiziere um sich hatte, schien die Manöver nicht nur zu beobachten, sondern auch zu inspirieren, denn mehr als einmal sah ich einen Meldegänger von seinem kleinen Generalstab zu einem der Bataillone sprengen, als ob er Befehle überbrächte. Derweise war Ludwig drei für mich endlose Stunden voll beschäftigt, und als er zu uns zurückkam, Pferd und Zügel dem Gardisten überließ und zu uns in die Karosse stieg, wirkte sein windgepeitschtes Gesicht glücklich und zuversichtlich. Mit einem wohligen Seufzer lehnte er sich in die Sammetpolster, und als Héroard ihn fragte, ob er nicht zu erschöpft sei, antwortete er nein, er habe nur einen Wolfshunger.

Vitry, der sich ebenso abgemüht hatte wie er, hätte dasselbe sagen können. Und sowie die Karosse anfuhr, zog er eine kleine Waffel aus dem Ärmel und wollte, mit der linken Hand die rechte abdeckend, heimlich davon abbeißen. Was aber Ludwig nicht entging, und halb tadelnd, halb lachend sagte er: »Vitry, wollt Ihr meine Karosse zur Wirtschaft machen?«

Vitry lief rot an und ließ seine Waffel verschwinden wie ein ertappter Schüler. Die Runde lächelte.

 

In der Gewißheit, daß der König, anstatt die Heeresmacht zu befehligen, seine Garden manövrieren ließ, gab sich Prinz Condé mit der Schenkung nicht zufrieden, die ihm von den Abgesandten der Regentin angeboten und bis auf vierhundertfünfzigtausend Livres gesteigert wurde – eine gewaltige Summe! Er verlangte außerdem, daß ihm auf immer das Gouvernement der Stadt Amboise an der Loire abgetreten werde, ›zu seiner Sicherheit‹, wie er sagte, ganz als hätte er eine Regentin dermaßen zu fürchten, die zwar genug Männer hatte, seine kleine Truppe im Handumdrehen zu zermalmen, ihn aber trotzdem lieber mit Gold überhäufte.

Die unerhörte Anmaßung spaltete den Ministerrat. Villeroy und Präsident Jeannin widersetzten sich mit aller Härte, Amboise einem protestantischen Prinzen zu überlassen, weil die Loire den Provinzen zu nahe war, wo die Hugenotten die Oberhand hatten. Die Marschälle von Ancre indessen wollten ihm |251|die Stadt unbedingt geben, um zu verhindern, daß, falls die Verhandlungen scheiterten und es zum Krieg käme, der junge Herzog von Guise den Oberbefehl über die königlichen Truppen erhielte.

Der Streit erreichte schrille Höhepunkte, als die Damen sich einschalteten. Meine Halbschwester, die schöne Prinzessin Conti, griff aufs heftigste und mit scharfen Worten die Concini an, indem sie ihr vorwarf, ihrem Bruder durch ihre Friedensbereitschaft schaden zu wollen. Doch die Spinne war giftig. Abends ließ sie sich von der Decke herab, beklagte sich tränenreich über die Unverschämtheit der Prinzessin gegen sie und erklärte Ihrer Majestät, wenn sie Condé wegen der Stadt Amboise bekriege, werde sie gänzlich unter die Herrschaft des Hauses Guise fallen.

Als der Rat am nächsten Tag zusammentrat, war die Königin laut umlaufendem Gerücht entschlossen, Amboise preiszugeben. Wer Ludwig dieses Gerücht zutrug, weiß ich nicht, noch wer ihm die strategische Bedeutung eines Pfandes erläuterte, das man dem Prinzen Condé so leichtfertig abtreten wollte. Doch sein Entschluß war schnell gefaßt: er ging zum Angriff über. Kaum hatte er den Saal betreten, wo der Rat tagte, wandte er sich offen an die Königin und sagte: »Frau Mutter! Gebt Amboise nicht her! Wenn der Prinz sich einigen will, soll er sich einigen!«

Die Königin wurde rot vor Überraschung und Zorn, derweise von einem Sohn angesprochen zu werden, den sie nicht liebte und als Kind abtat.

»Sire«, fragte sie, indem sie vergaß, daß Ludwig seine Quellen nie preisgab, »wer gibt Euch solchen Rat? Doch nur jemand, der weder Euer noch des Reiches Wohl will.«

Der König hielt es für klug, auf die verächtliche Frage seiner Mutter nicht einzugehen. Er hielt am Grund des Problems fest und sagte aus aller Kraft: »Frau Mutter, gebt diese Stadt auf keinen Fall her! Soll der Prinz tun, was ihm beliebt!«

Ohne ein weiteres Wort grüßte er die Königin und verließ den Saal.

 

Dies wurde mir ein paar Tage später vom Minister Villeroy berichtet. Er war damals siebzig Jahre alt und einer der Graubärte, deren hohes Alter man bespöttelte, aber ohne deren Erfahrung man nicht auskam, schon zu Lebzeiten Henri Quatres |252|nicht, der diesem ehemaligen Anhänger der Liga bitter seine spanischen Sympathien vorwarf.

Villeroy war eine ehrwürdige Erscheinung im weißen Haar, mit hoher Stirn, hohlen Wangen, langer Nase und einem Spitzbart, der das schmale Gesicht noch verlängerte. Und gewissermaßen noch als einziger trug er die kleine Krause des vorigen Jahrhunderts um den mageren Hals. Beschlagen in allen Intrigen der Macht und des Hofes, ein geschliffener Höfling, der sich gelegentlich trotzdem nicht scheute, dem Herrscher zu widersprechen (ob es Henri Quatre war oder dann die Regentin), entschiedener Katholik, was seine leidenschaftliche Parteinahme erklärte, war Villeroy dennoch höchst empfindlich, wenn es nicht um Spanien, sondern um die Interessen des Reiches ging: deshalb wollte er ein für allemal mit den Großen reinen Tisch machen, ihre Rebellion im Keim vernichten und sie zur Besinnung bringen.

Jung waren in seinem hageren Greisengesicht nur die hellen Augen geblieben, die, wach und lebhaft, von regem Geiste zeugten. Er kannte meinen Vater sehr gut, der zehn Jahre jünger war als er, weil sie beide unter Heinrich III. und Heinrich IV. gedient hatten. Und obwohl sie nicht auf denselben Seiten standen, blieben sie in gegenseitiger Achtung und gemeinsamer Toleranz einander freundschaftlich gesonnen.

Als ich Erster Kammerherr wurde und in den Louvre zog, riet mein Vater mir dringlich, seine Gunst zu erwerben. Ich folgte dem Rat, und der beredte Villeroy fand in mir einen so aufmerksamen Zuhörer, daß er Freundschaft zu mir faßte. Und um es klar zu sagen, meine Beziehung zu ihm bedurfte nicht der geringsten Speichelleckerei. Villeroy, der über vierzig Jahre Staatssekretär im Dienst dreier Herrscher gewesen war, wußte so vieles über die Vergangenheit und soviel über die Gegenwart, daß ich ihm offenen Mundes lauschte und für eine so reiche und tiefe Erfahrung voller Bewunderung war.

Er kam aus dem Bürgertum, aber dem höchsten, höchst gebildeten, glanzvollsten und fleißigsten. Sein Vater war Vorsteher der Kaufmannschaft und damit Bürgermeister von Paris gewesen, und sein Enkel – derzeit sechzehn Jahre alt, während ich zweiundzwanzig war – wurde später von Ludwig XIV. zum Herzog und Pair erhoben. Ich wünschte, so manche unserer Adligen, die sich ihr Leben lang in Unwissenheit und Müßiggang |253|sielen, es sich aber zur Ehre anrechnen, den Dritten Stand zu verachten, würden aus dem ebenso wunderbaren wie verdienten Aufstieg einer nichtadligen Familie einiges lernen.

 

»Und hat es Euch überrascht, Monsieur de Villeroy, daß Ludwig sich derart erklärte?«

»Überrascht?« sagte er. »Das Wort ist zu schwach. Wäre der Blitz in den Ratstisch gefahren, es hätte uns nicht heftiger erstaunt. Dieser stotternde Knabe, der angeblich nur mit Jagden, Vogelstellerei und kindischen Spielen befaßt und der Regentin scheinbar so gefügig war, sprach plötzlich vor versammeltem Rat mit Kraft und Entschlossenheit eine politische Meinung aus, die der seiner Mutter entschieden widersprach! Da hieß es sich zu befragen, die Augen aufzusperren, die Ohren zu spannen! Und er war erst zwölfeinhalb Jahre alt! Die Zukunft der Regentin begann düster auszusehen! Der selige König hat schon recht gehabt, als er einmal sagte, bei dem Starrsinn der beiden werde die Mutter es eines Tages hart zu tun bekommen mit diesem Sohn! Und was, junger Freund, sollte man bei diesem unerwartet autoritären Ton denken, den er ihr gegenüber anschlug: ›Frau Mutter! Gebt diese Stadt auf keinen Fall her!‹ Gerechter Gott, da sprach ein König!«

»Und änderte diese Intervention des Königs irgend etwas an der Affäre, Monsieur de Villeroy?« fragte ich.

»Und ob, junger Freund! Ludwig ist König auf Grund legitimer Thronfolge! Und mehr noch: zu Reims geweiht und der Gesalbte des Herrn, der seine Macht von Gott hat! Seine Standpauke stürzte den Rat in die fürchterlichste Verlegenheit, denn hiernach war es uns sowohl verboten, Condé die Stadt Amboise zu geben, als auch, sie ihm nicht zu geben. Ersteres hätte bedeutet, die Meinung des Königs zu mißachten. Das zweite, den Entscheid der Regentin zu übergehen.«

»Und wie habt Ihr dieses Dilemma gelöst?«

»Wie immer, durch einen Kompromiß«, sagte Villeroy, und ein dünnes Lächeln erheiterte sein tausendfaltiges Gesicht. Amboise wurde Condé gegeben, aber nur leihweise und bis zur Einberufung der Generalstände. Auf diese Weise blieben Frankreichs Interessen, Gott sei Dank, grundsätzlich gewahrt.«

* * *

|254|In jenem Jahr war der achtundzwanzigste Juni derart glühend und dürr, daß ein jeder in Paris darunter litt, zumal es, wie ich mich erinnere, seit fünf Monaten nicht geregnet hatte. In den Gärten riß das Erdreich, so brannte die Sonne, und Katastrophenprediger prophezeiten von den Kanzeln herab, die Erde werde sich in eine Glutstätte verwandeln, in der wir alle zur Strafe für unsere Sünden schmoren müßten.

Sogar im Leinenwams und ohne daß ich mich von der Stelle rührte, schwitzte ich, daß mir dicke Tropfen über die Wangen liefen, und wenn ich die königlichen Gemächer betrat, sah ich jeden dort völlig abgeschlagen und in gleicher Verfassung. Doktor Héroard sagte, infolge der unmäßigen Hitze habe der König kaum geschlafen, um zwei Uhr nachts sei er, dem Ersticken nahe, erwacht, und erst, als er am Fenster die nächtliche Kühle atmete, sei ihm besser geworden.

In dem Moment kehrte Ludwig völlig verschwitzt von der Messe zurück und bat Berlinghen um frische Kleider.

Gereinigt, getrocknet und neu eingekleidet, forderte er mich auf, ihn zu Madame zu begleiten, er wolle ihr, wie er sagte, ein Bild des heiligen Irenäus bringen, das der Pfarrer von Saint-Germain-l’Auxerrois ihm geschenkt hatte. Und als wir unterwegs allein waren, sagte er: »Sioac, ich möchte, daß Ihr mich auf der großen Reise in den Westen begleitet, die ich am ersten Juli mit meiner Mutter antrete.«

»Es wird mir eine große Ehre sein, Sire.«

»Und ich möchte, daß auch der Marquis, Euer Vater, mit uns reist, ich habe Fragen an ihn über Blois.«

»Sire«, sagte ich, indem ich meine Verwunderung so gut es ging verbarg, »auch mein Vater wird sich durch Eure Einladung sehr geehrt fühlen.«

»Ich denke, er wird seine Karosse nehmen wollen und daß Ihr bei ihm Platz findet, ebenso der Chevalier de La Surie.«

Und wieder war ich verwundert, aber diesmal, weil Ludwig den Chevalier de La Surie nannte, den er doch nie gesehen hatte. Aber vielleicht wußte er durch Héroard, welche große Rolle Miroul von jeher im Leben meines Vaters spielte. Wie dem auch sei, es bewegte mich sehr, daß er ihn erwähnt hatte, und freute mich im voraus über das Glück des Chevaliers, wenn er hörte, daß der König ihn beim Namen kannte.

»Sioac«, fuhr Ludwig fort, »ich fahre heute nachmittag nach |255|Saint-Germain-en-Laye, Ihr müßt Euch aber nicht verpflichtet fühlen, mich zu begleiten. Ihr habt sicher Vorbereitungen für die Reise zu treffen.«

»Ich sage Euch tausend Dank, Sire. Darf ich fragen, wie lange die Reise in den Westen dauern wird?«

»Wie ich höre, gute zwei Monate«, sagte er.

Damit reichte er mir seine Hand zum Kuß und gab mir Urlaub. Ich verließ ihn mit gemischten Gefühlen, über die ich mich aber nicht aufhalten will, der Leser hat sie bei dieser Nachricht sicher schnell erraten.

Ich eilte oder sprengte vielmehr in die Rue du Champ Fleuri, und kaum im Hause, fiel ich meinem Vater und La Surie um den Hals, überzeugt, daß ich ihnen ungetrübte Freude bringen würde.

Ich irrte mich nicht. La Surie erblaßte, lief rot an, wankte und wäre, glaube ich, noch ohnmächtig geworden, hätte mein Vater ihm nicht rasch ein Glas Wein eingeflößt.

»Wie!« sagte er, sobald er die Sprache wiederfand, »der König kennt mich! Mich! Er weiß meinen Namen! Weiß, wer ich bin!«

»Was gibt es daran zu staunen?« sagte mein Vater. »Habt Ihr nicht wie ich und treulich an meiner Seite unserem Henri gedient? Und wißt Ihr nicht, daß Ludwig die alten Gefährten seines Vaters eifrig zählt und registriert? Wie könnte er da den Marquis de Siorac nennen, ohne im selben Atemzug den Chevalier de La Surie zu nennen, seinen lebenslangen Freund, seinen Bruder, sein alter ego?«

Bei dieser Ehrung überlief es La Surie abermals rot, er goß sich ein zweites Glas Wein ein.

»Möschjöh le Chevalier«, sagte Mariette, die mit einer Kammerfrau ins Zimmer trat (es war Louison, die bei meinem Anblick errötete), »ich deck den Tisch zum Mittageschen. Ihr tut Euch keinen guten Dienscht, vorm Braten noch zu trinken: das verdirbt Euch den Gaumen.«

»Jaja, Gevatterin«, sagte La Surie gutgelaunt, »und ich kenn eine, die sich durch zuviel Gerede noch die Zunge verdirbt.«

»Und die Ohren durch zu vieles Lauschen«, sagte mein Vater lachend. Und als er sah, daß Mariette unter dem Vorwand, aufzudecken, solange wie möglich im Raum bleiben würde, um herauszukriegen, weshalb wir drei wohl so aufgeräumt |256|waren, zog er uns in die große Fensternische zum Hof.

»Mein Sohn«, sagte er leise, »könnt Ihr mir genau wiedergeben, wie Ludwig sich mich betreffend ausgedrückt hat? Will er mir Fragen stellen in Blois oder über Blois?«

»Nun«, sagte ich und prüfte mein Gedächtnis, »mir scheint, er hat ›über Blois‹ gesagt.«

»So so!« sagte mein Vater.

»Ist das ein Unterschied?« fragte ich.

»Ein gewaltiger. Ich wüßte nämlich nicht, was Ludwig mich in Blois fragen könnte, aber was er über Blois wissen will, ist mir klar.«

»Herr Vater«, sagte ich, »Ihr sprecht in Rätseln. Ich verstehe Euch nicht.«

»Wie solltet Ihr, mein Sohn«, sagte er lächelnd, »wart Ihr 1588 schon geboren?«

»Möschjöh le Marquis«, sagte Mariette voller Hoffnung, unsere Reden besser zu verstehen, wenn wir erst am Tisch säßen, »wollt Ihr bitte Platsch nehmen, der Tisch ist gedeckt, ich will auftragen.«

Sie muß sehr enttäuscht gewesen sein, denn während der ganzen Mahlzeit fielen unsere Reden spärlich aus. La Surie konnte seine Freude nicht genug in Schweigen auskosten, mein Vater war ernst und nachdenklich, und ich, wie man sich vorstellen kann, zwischen zwei großen Gefühlen hin und her gerissen.

»Ich höre«, sagte mein Vater, »der König geht heute nach Saint-Germain-en-Laye?«

»In der Tat, Herr Vater.«

»Fahrt Ihr mit?«

»Nein, Herr Vater. Er hat mich freigestellt.«

»Dann braucht Ihr Euren Besuch in der Rue des Bourbons nicht abzusagen?«

»Nein.«

Damit herrschte Schweigen am Tisch, bis Mariette das Dessert holen ging und mein Vater fragte: »Ist Euch vor dem Besuch sehr bange, Pierre?«

Obwohl Mariette nicht da war, fragte er es leise und in so besonderem Ton, daß La Surie den Kopf hob und mich aus seinen verschiedenfarbigen Augen ansah, von denen das blaue so |257|scharf und das braune so warmherzig blicken konnte, jedenfalls wenn der Blick meinem Vater oder mir galt.

»Ja«, sagte ich, »ein bißchen schon.«

Das war die ganze Unterhaltung. Nach dem Essen zog ich mich in meine Kammer zurück und streckte mich bei geschlossenen Fensterläden aufs Bett, bis die Mietkutsche eintreffen würde, die mich zu Frau von Lichtenberg bringen sollte. Die Hitze war so stark, daß ich auch ohne Arme oder Beine zu rühren in einem fort schwitzte, was die wachsende Beklommenheit noch verstärkte, mit der ich dem Augenblick entgegensah, wenn ich meiner Gräfin gegenübertreten würde.

Obwohl ich die Gründe für die große Reise nach Westen kannte und wußte, welche Wirkungen man sich davon versprach, hatte ich, weil ich an dieser Entscheidung keinen Anteil hatte, zunächst nicht damit gerechnet, daß ich dazu aufgefordert würde, weil es im Louvre hieß, die Zahl der teilnehmenden königlichen Amtsträger würde stark begrenzt sein.

Der König hatte anders entschieden. Und trotzdem, so fremd ich dem Beschluß zu diesem Vorhaben auch war –, als Herr von Beck mich durch das Labyrinth des Hauses Frau von Lichtenbergs führte, wobei er hundertmal wiederholte, wegen der großen Hitze habe man das Zimmer der Gräfin in den Nordflügel verlegen müssen, plagten mich dunkle Schuldgefühle gegen Frau von Lichtenberg.

Sie saß wie gewohnt im Lehnsessel bei ihren Waffeln, aber diesmal hatte die Hitze Baskine, Mieder und Reifrock verbannt, jene Art Panzer, aus dem sie sich gerne von mir schälen ließ, wenn sie nach dem rituellen Imbiß in ihrem Zimmer war. Zum erstenmal nun trug sie ein ganz leichtes, weich fallendes Hauskleid, dem antiken Peplum ähnlich, das Hals, Schultern und Arme freiließ. Sogar ihre Füße, deren Eleganz ich bewunderte, sah ich nackt, und ihre durchbrochenen Pantöffelchen lagen ungenutzt auf dem Teppich.

Ich küßte ihre Hand, und unendlich entzückt von den Reizen ihrer ungewohnten Kleidung, verschlang ich sie mit meinen Blicken, und es war, als träfe sie die Botschaft meiner Augen, auf die sie doch hatte gefaßt sein dürfen, wie eine Überrumpelung; denn blieben ihre Hände auch fähig, die Waffel wie gewohnt zu bestreichen, begannen ihre Wimpern zu schlagen und |258|ihre Ohrringe zu zittern, daß ihr unmerkliches Klirren mich mit Wonneschauern erfüllte.

Dennoch spürte sie, als ich mich bei ihr niederließ, schnell mein heimliches Unbehagen und fragte mit ihrer leisen, melodiösen Stimme: »Was haben Sie, Pierre? Ist Ihnen nicht wohl zumute?«

»Das kommt, weil ich wie jeder heutzutage in Sorgen bin wegen der Revolte der Großen.«

»Ach, schon wieder!« sagte sie. »Ich dachte, die hätten durchgesetzt, was sie wollten.«

»Sicher, aber wie vorauszusehen war, wollen sie nun noch mehr … Deshalb sind sie nicht an den Hof zurückgekehrt, wie versprochen. Der Herzog von Bouillon ist in Sedan geblieben. Der Herzog von Nevers in Nevers. Der Herzog von Longueville in Mézières und der Herzog von Vendôme in der Bretagne, wo er sich frech gegen die königliche Macht verschanzt. Und Prinz Condé hat sich Amboise genommen und hat von dort aus mit ein paar Adligen und einem Regiment versucht, sich auch noch Poitiers anzueignen. Kurz entschlossen, hat der Bischof der Stadt ihm die Tore vor der Nase zugeschlagen und sofort die Königin ersucht, ihn zu entsetzen, weil der Prinz nun die Umgebung unsicher macht.«

»Ach, Pierre, wie hübsch!« sagte die Gräfin und lachte mit einemmal hell auf. »Den Ausdruck kannte ich nicht. Pierre, machen Sie mich jetzt unsicher? Nein, schon gut, mein Freund. Also, was macht die Regentin nun? Gibt sie wieder nach?«

»Nein, meine Liebste, das Maß ist übervoll. Sogar jemand mit so beschränktem Horizont mußte jetzt einsehen, daß der Appetit der Großen durch eben den Hafer wächst, mit dem man sie mästet. Villeroy konnte der Königin mühelos darlegen, daß Condé, wenn sie ihn diesmal machen ließe, mit ihr umspringen würde wie früher Guise mit Heinrich III.: er würde ihr eine Stadt nach der anderen nehmen. Wenn nicht gar ihre Provinzen. Denn Condés gelehriger Schüler, der schwule kleine Vendôme, war schon im Begriff, sich aus der Bretagne ein unabhängiges Gebiet zu schneidern. ›Wenn wir jetzt nicht handeln‹, sagte Villeroy der Königin, ›verlieren wir auch noch das Poitou und die Bretagne‹.«

»Und handelt sie?«

»Tatsächlich, ja! Und diesmal gegen die Marschälle von |259|Ancre, die derzeit in halber Ungnade sind. Aber die wird leider nicht lange anhalten.«

»Das heißt also Krieg!« sagte sie lächelnd.

»Nicht ganz. Es gibt eine große Reise gen Westen. Der Hof wird mit seinen Garderegimentern und sechstausend Schweizern eine Stadt an der Loire nach der anderen, von Orléans bis Nantes, besuchen, um der Bevölkerung ihren jungen König zu zeigen und die Großen durch die Ausstellung der königlichen Heeresstärke einzuschüchtern.«

»Und wie lange soll diese Kavalkade dauern?« fragte Frau von Lichtenberg mit plötzlich verwandeltem Gesicht.

»Zwei Monate.«

Ein langes Schweigen trat ein, als fürchte sich Frau von Lichtenberg, mir die nächste Frage zu stellen. Ihre großen schwarzen Augen bohrten sich in die meinen, stumm und blaß sah sie mich an, ihre Brust ging hoch, und ihre Hände umklammerten die Armlehnen. Wie ferne war ihre sprudelnde Heiterkeit von vorhin!

»Pierre«, sagte sie schließlich mit erloschener Stimme, »gehen Sie mit auf diese Reise?«

»Ja.«

»Zwei Monate! Zwei lange Monate, ohne Sie zu sehen!« rief sie plötzlich mit einer Verzweiflung, die mir nach dem, wie ich ihr Wesen bisher kannte, ganz übermäßig erschien.

»Ich muß, meine Liebste, leider!« sagte ich. »Der König hat es befohlen.«

Was nun geschah, machte mich sprachlos. Das Leiden, das sich auf ihrem Gesicht malte und das mir ins Herz schnitt, verschwand jäh. Mit verzerrten Lippen und flammenden Augen richtete sie sich steif und anklagend auf und sagte voll Zorn: »›Leider!‹ sagen Sie, Monsieur! Haben Sie wirklich ehrlichen Herzens ›leider‹ gesagt?«

»Madame«, sagte ich zitternd, »können Sie das bezweifeln?«

»Oh, ja, Monsieur«, rief sie, ganz außer sich, »und wie ich das bezweifle! Und Ihre scheinheiligen Beteuerungen können mir gestohlen bleiben, denn ich spüre doch, wie Sie in Gedanken an diese große Reise nach Westen innerlich voll Jubel sind!«

»Madame, bitte!« rief ich, »werfen wir nicht alles durcheinander! Für meinen König und die Einheit des Reiches erscheint mir die politische Idee dieser Reise vortrefflich. Und gleichzeitig |260|bin ich tief bekümmert bei der Vorstellung, Sie so lange nicht zu sehen.«

»Bekümmert!« rief sie hohnlachend. »Sie wollen bekümmert sein, wenn Ihnen die schönen Städte der Loire in Aussicht stehen, das vielgerühmte Licht dort und die prächtigen Schlösser, um die man Frankreich in aller Welt beneidet! Und wenn Sie Ihre guten Mahlzeiten unterwegs in Gasthäusern halten können, wo es bestimmt nicht an hübschen Toinons und Louisons mangeln wird!«

»Madame, Sie wissen gut, daß ich mich von solchem Brot nicht mehr nähre, seit ich Sie kenne.«

»Na und? Es kann ja auch eine hohe Dame sein, die ihre Pariser Tugend in Ihren Armen vergessen möchte! Ich weiß doch, was die Elle dieser Schönen vom Hofe taugt!«

»Meine Liebste, bitte! Ihre Phantasie dichtet sich ja einen ganzen Roman zusammen! Tatsächlich werde ich die Reise in der Karosse meines Vaters machen und die meiste Zeit auch darin schlafen, denn der königliche Aufzug wird so zahlreich sein, daß wir kaum mit einem Nachtquartier rechnen können!«

»Ach!« sagte sie. »Ihr Vater reist mit Ihnen!«

»So ist es.«

»Nun ja, er ist ein höchst ehrenwerter Mann und ein vorzüglicher Arzt, aber wenn das der Anstandsmantel ist, der Ihre Tugend schützen soll, kann er leicht beim ersten Wind verwehen, denn wenn ich Bassompierre glauben darf, waren die Frauen, die Ihrem Herrn Vater in Frankreich, England, Italien oder Spanien wohlwollten, so zahlreich wie die Sterne am Augusthimmel!«

»Madame«, sagte ich mit einiger Entrüstung, »muß ich die genaue Replik meines Vaters sein, bis hin zu seinen Schwächen? Ist es gerecht von Ihnen, das zu unterstellen?«

Mein Vorwurf traf sie. Und nun erkannte ich, welch großer Unterschied zwischen Frau von Lichtenberg und Madame de Guise bestand, die sich, wenn sie wütete, kein Gewissen daraus machte, in dem ausgefallensten Unsinn fortzufahren, während meine Gräfin – ob als gute Protestantin oder gute Pfälzerin, weiß ich nicht – sich ein Gewissen daraus machte, auch im Zorn nicht ungerecht zu sein.

Sie schlug die Augen nieder, Schweißtropfen perlten auf ihrer Stirn, sie schlang die Hände um ihre Knie und saß eine |261|Weile so ohne Bewegung, wenn auch noch schwer atmend, um zu sich zu kommen und ihre Erregung zu beherrschen. Und ich, der ich ihretwegen eifersüchtig war wie ein Türke und schon in üble Laune geriet, wenn nur ein Diener sie ansah, empfand Nachsicht mit ihrem Zorn und Mitgefühl für ihr Rasen. Außerdem verstand ich gut, daß unser Altersunterschied ihre Leiden schlimmer machte, weil sie ja wußte, daß ihre Schönheit im letzten Feuer strahlte und einen so jungen Liebhaber, auch wenn er noch so glühend war, nicht bis ans Ende ihrer Erdentage fesseln konnte.

Ich blieb stumm, denn nach dem Vorwurf, den ich ihr gemacht hatte, wollte ich sie nicht noch mehr beschämen, zumal ich mir sicher war, daß sie nun durchaus fühlte und begriff, wie ich an diese Reise nach Westen dachte, nämlich zweifellos schwer betrübt bei dem Gedanken, meine geliebte Gräfin so viele Wochen nicht zu sehen, aber zugleich voller Neugier auf das große Abenteuer, von dem ich mir viel versprach, aber doch nicht, was sie sich vorstellte. Schöne Leserin, Sie, die Sie jetzt wärmstens Partei für Frau von Lichtenberg nehmen, bitte, nehmen Sie mir das Geständnis nicht übel: ich war blutjung damals, und meine Augen öffneten sich der Welt mit einer Begier, die ich mir heute nur noch schwer vorstellen kann.

»Pierre«, sagte sie endlich mit leiser, müder Stimme, »ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung dafür, daß ich so von Ihrem Herrn Vater gesprochen und Sie so ohne jeden Grund verdächtigt habe, einfach nur aus meinen Ängsten heraus.«

»Ach, meine Liebste!« rief ich, schmiegte mich an ihre Knie und küßte ihre Hände und ihre schönen bloßen Arme, »bitten Sie mich doch nicht um Verzeihung, und begraben wir diesen Streit! Habe ich Sie nicht auch eines Tages wegen Bassompierre ausgezankt? Und wissen Sie denn nicht, daß Sie der ganze Horizont meines Lebens sind und daß es keine Dirne, keine hohe Dame gibt, die sich auch nur einen Seufzer lang zwischen uns drängen könnte? Bei der Heimkehr von dieser großen Reise werden Sie mich finden wie heute: ich sehe nur Sie, höre nur Ihre Stimme, lebe nur in Sehnsucht nach Ihnen, atme nur durch Sie.«

Aber es war, als hätten meine Worte, meine Gründe nicht mehr die Kraft, sie zu erreichen, so abgewandt war sie, so traurig still hinter den gesenkten Lidern, als hörte sie nur mehr den |262|eigenen Gram. Ich hatte sie immer so in sich ruhend gekannt, so maßvoll, so Herrin ihrer selbst, gewissermaßen olympisch, daß ich ihrem jähen Stimmungswandel fast ungläubig gegenüberstand.

Ihre halb gegessene Waffel lag neben einer, die sie für mich bestimmt und dann vergessen hatte, mir anzubieten. Endlich erhob sie sich wie ein Automat und ging zu ihrem Zimmer. Ich folgte ihr und entblößte sie des wenigen, was sie trug. Sie ließ die Entkleidung mit gesenkten Augen über sich ergehen, ohne jenes Erschauern, das sie sonst von Kopf bis Fuß durchlief, wenn sie unter meinen Händen zu ihrer paradiesischen Nacktheit zurückkehrte. Starr und abwesend streckte sie sich von selbst auf ihr Lager, und als ich neben sie kam, nahm sie meine Hand und drückte sie wortlos, ohne mich anzublicken, wie wenn der Schmerz so schwer auf ihrer Brust läge, daß er ihr alles Leben, alle Hoffnung nahm. Lange und inständig sprach ich auf sie ein, ohne die kleinste Antwort zu erhalten. Ich versuchte, sie durch Zärtlichkeiten und Liebkosungen zu erwecken, die sie gern hatte, und sie wollte darauf wohl erwidern, aber der Zauber wirkte diesmal nicht.

Meine arme Liebste war für gar nichts zu gewinnen, nicht einmal für unsere schönsten Wonnen. Am Ende verlor ich den Mut und blieb still und stumm neben ihr liegen. Aber daß auch das nicht das rechte war, merkte ich bald, denn sie fing lautlos an zu weinen. Da nahm ich sie in die Arme, umschlang sie mit aller Macht, aber es schien mir sinnlos, weiterzugehen: es wäre einer Vergewaltigung gleichgekommen, so leblos blieb sie. Dabei sprach aus ihrem Blick keine Kränkung, kein Zorn, kein Groll, nur Zärtlichkeit. Und obwohl ich keine Schuld hatte, zerriß mich dieser Blick und flößte mir Gewissensbisse ein. War es denn möglich, einem Wesen, das man so sehr liebte, soviel Leid zuzufügen?

Derweise verrann der ganze Nachmittag, ohne daß sie den Mund aufmachte, ich hätte glauben können, sie habe die Sprache verloren, hätten ihre Lippen, wenn ich mein Ohr darüber beugte, sich nicht leise bewegt und mich mit so ferner Stimme beim Namen genannt, als läge zwischen ihr und mir ein großer Strom, als trennten uns Wasser und Nebel, und vom anderen Ufer trüge der Wind mir ihre Stimme so klagend zu, daß es mir das Herz abdrückte.